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510 2 Sachtexte analysieren
2.1 Analyse eines journalistischen Textes: Glosse
In diesem Kapitel erwerben Sie folgende Kenntnisse und Kompetenzen:
den Inhalt eines journalistischen Sachtextes gedanklich erschließen, óTypen von Sachtexten und ihnen zugeordnete Sprachfunktionen erkennen und darstellen, ópersuasive (überzeugende bzw. überredende) Textsignale erkennen und benennen, óeine Sachtextanalyse einschließlich Stellungnahme richtig aufbauen. ó
Aufgabenstellung1. Analysieren Sie den Text „Lebhafter Grenzverkehr“ von Ulrich Greiner. (Gewichtung: 2/3)2. Nehmen Sie anschließend Stellung zur Frage, welche Chancen und Schwierigkeiten Sie für zweisprachige bzw. von zwei verschiedenen Kulturen geprägte Schriftsteller/innen sehen. (Gewichtung: 1/3)
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Ulrich Greiner: Lebhafter Grenzverkehr. Wie deutsch ist unsere Literatur?� (DIE ZEIT, 14. 12. 2006)
Kaum etwas bringt verständige Leser mehr auf die Palme als die unbedachte Einordnung etwa von Peter Handke oder Max Frisch in die Kategorie „deutsche Literatur“. Natürlich weiß man, dass Handke ein Österreicher ist und Frisch ein Schweizer war. Aber es gibt keine österreichische oder schwei zerische Sprache, sondern Frisch und Handke schreiben oder schrieben deutsch.Navid Kermani, 1967 als Sohn iranischer Eltern in Siegen geboren, hat dieser Tage einen Vortrag für die KonradAdenauerStiftung über das Thema „Was ist deutsch an der deutschen Literatur?“ verfasst, und gleich zu Beginn erwähnt er jenen Schriftsteller, der ihn als Schüler am meisten beeindruckt hat: Franz Kafka.Ist Kafka ein deutscher Schriftsteller? Er lebte in Prag, das bis 1918 zu ÖsterreichUngarn gehörte. Seine Muttersprache war Deutsch, aber mit den Dienstboten redete er tschechisch. Wir könnten ihn also einen österreichischen Schriftsteller nennen, zumal ihn, wie Kermani zeigt, mit Deutschland wenig oder nichts verband.
Es ist klar, dass die Bezeichnung „deutsch“ im Fall der Literatur etwas anderes meint als die nationale Zuschreibung. Der deutsche Nationalstaat ist bekanntlich eine späte Erfindung. Als Schiller und Goethe schrieben, gab es ihn noch nicht. Von Wolfram von Eschenbach oder Hartmann von Aue ganz zu schweigen. Heute ist Deutsch die in Europa am häufigsten gesprochene Sprache, aber wir würden einen deutsch sprechenden Luxemburger oder Dänen oder
Norditaliener niemals einen Deutschen nennen. Was aber, wenn er großartige Gedichte schriebe?Kermani jedenfalls sagt in schöner Unbefangenheit, für ihn seien Robert Walser oder Heimito von Doderer Deutsche, „aber nicht im politischen Sinn, sondern als Angehörige der deutschen Literatur, die nicht identisch ist mit der deutschen Nation“. Es ist nicht sicher, dass sich jeder Österreicher oder Schweizer über diese Bemerkung freut. Kermani will darauf hinaus, dass die Besonderheit der deutschen Lite