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489Literatur
22 ÜberlastungsschädenH. Lohrer
22.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
22.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
22.3 Sinus-tarsi-Syndrom
22.4 Metatarsalgie
Wirth. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß (ISBN 3131262419) © 2002 Georg Thieme Verlag
22.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
22.1.1 Fasciitis plantarisund Fersensporn
Synonyme
Der Begriff plantare Fasziitis wird im deutschen Sprach-raum in Anlehnung an den angloamerikanischen Terminus„Plantar fasciitis“ benutzt. Pathologisch anatomisch ent-spricht der plantaren Fasziitis jedoch das „Heel pain Syn-drome“, während die „Plantar fasciitis“ ein entsprechen-des Krankheitsbild weiter distal, etwa unter der Metatar-sale-II-Basis und dem Os cuneiforme II meint (Pfeffer1995). Daneben wird in der älteren Literatur das Krank-heitsbild meist mit Fasciitis plantaris umschrieben. Inkor-rekterweise wird aber allgemein meist der Begriff Fersen-sporn, der lediglich eine röntgenologische Veränderungdes plantaren Fersenbeines umschreibt, benutzt.
Definition
Die plantare Fasziitis ist eine degenerative Erkrankung desUrsprungs der Aponeurosis plantaris am Tuber calcanei.Der Schmerz entsteht belastungsabhängig. Die typischeSchmerzhaftigkeit an der dorsomedialen Planta pediswird durch körperliche Belastung aktiviert.
Ätiologie
Wesentliche Bedeutung in der Verursachung der plantarenFasziitis kommt der rezidivierenden, hohen Längs-beanspruchung der Plantaraponeurose zu. Diese entstehtin erster Linie im Zusammenhang mit sportlicher Laufbe-lastung und besonders bei Sprungbelastung. Eine alters-abhängige Degeneration erklärt die Entstehung des Syn-droms vorwiegend im 4. und 5. Lebensjahrzehnt. Kraft-defizite und Einschränkungen der Sprunggelenkbeweg-lichkeit bei Patienten mit dieser Symptomatik sind nach-gewiesen (Messier u. Pittala 1988, Kibler u. Mitarb. 1991).Systemische Störungen des Bindegewebsstoffwechselsdurch Hyperurikämie, Fettstoffwechselstörungen, rheu-matische Dispositionen (vor allem seronegative Spondyl-arthritiden) und Adipositas beschleunigen den Verschleißdes sehnigen kalkanearen Ursprunges und können beietwa 16% der symptomatischen Fälle nachgewiesen wer-den (Furey 1975).
Pathogenese
Die Aponeurosis plantaris verbindet den Tuber calcanei alssehnige Haut über fünf Zügel mit den plantaren Plattender Metatarsophalangealgelenke, den Zehengrundgliedba-sen und den Beugesehnenscheiden (Hicks 1954, Sarrafian1987). Damit ist die oberflächliche Verspannung der Fuß-
längswölbung gegeben. Die Dorsalextension der Zehen er-zeugt den so genannten Windlass-Mechanismus undspannt die Plantaraponeurose zusätzlich. Repetitive Span-nungsspitzen am Ursprung der Faszie am medialen Tubercalcanei – beispielsweise bei Langstreckenläufern – führtüber Mikrorisse und resultierende reparativ-entzündlicheVeränderungen zur degenerativen Verschlechterung derGewebsqualität, die den pathogenen Prozess unterhält.
Epidemiologie
Die plantare Fasziitis ist einer der häufigsten degenerati-ven Sehnenschäden beim Läufer. Quaschnik (1996) gibtan, dass 10% der laufinduzierten Beschwerden durch eineplantare Fasziitis hervorgerufen werden. In der eigenenSprechstunde tritt das Krankheitsbild insgesamt bei etwa0,5% der Patienten auf, bei Triathleten in 1,5% der Fälle.Dies entspricht 5,7% aller diagnostizierten Tendopathienim Sport. Aber auch bei sportlich nicht aktiven Patientensind entsprechende Häufigkeiten beschrieben.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Anamnese und gezielte klinische Untersuchung ermögli-chen in der Regel eine sichere Diagnose der plantaren Fas-ziitis. Der Patient berichtet entweder über ein schleichen-des Auftreten von Schmerzen am plantaren, mediodorsa-len Fußrand zunächst nur zu Beginn der Lauf- oder Geh-belastung. Dem entspricht auch ein morgendlicher An-laufschmerz. Sprint- und Sprungbelastung führt normaler-weise zu einer Schmerzverstärkung. Erst im fortgeschrit-tenen Stadium lässt der Schmerz auch nach längerer Be-lastung nicht mehr nach.
Eine akutes Auftreten der Beschwerden entsprichteiner Zerrung oder einem (Partial-)Riss (Leach u. Mitarb.1978). Ein Belastungsabbruch wird dabei erforderlich undeine Wiederaufnahme der Laufbelastung ist schmerzbe-dingt nicht mehr möglich oder verschlimmert die Be-schwerden.
Bei der Untersuchung findet sich ein punktueller undintensiver Druckschmerz am medioplantaren Ursprungder Plantaraponeurose. Selten kann inspektorisch eineSchwellung oder eine Hämatomverfärbung in dieser Regi-on auf eine Zerrung oder einen (Partial-)Riss hinweisen.Auch bei kompletten Rissen der plantaren Aponeuroselässt sich eine Delle meist nicht tasten.
Bildgebende Diagnostik
Die Anfertigung einer Röntgenübersichtsaufnahme desoberen Sprunggelenks in 2 Ebenen unter Einschluss desgesamten Kalkaneus ist obligatorisch. In 60 – 70% diesersymptomatischen Fälle (Chigwanda 1997, Onuba u. Ireland1986) kann dabei ein plantarer Fersensporn nachgewiesen
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werden, dem allein noch kein Krankheitswert zukommt.Nach Rubin u. Witton (1963) sind etwa 10% der röntgeno-logisch identifizierten Fersensporne symptomatisch. Beischmerzfreien Kontrollfüßen kann jedoch ein plantarerFersensporn nur in 8% röntgenologisch dokumentiert wer-den (Onuba u. Ireland 1986). Riepert u. Mitarb. (1995)fanden für eine mitteleuropäische Population eine planta-re Fersenspornprävalenz von insgesamt 11,2%. Die Präva-lenz des Spornes nimmt danach mit steigendem Lebens-alter stark zu. Die Tatsache, dass in 4,8% der Fälle einkombiniertes Auftreten von plantarem und dorsalem Fer-sensporn gefunden wird (Riepert u. Mitarb. 1995), weistauf eine systemische, enthesiopathische Konstellation hin.
Die Röntgenuntersuchung ist besonders zur differenzi-aldiagnostischen Abgrenzung des Krankheitsbildes erfor-derlich.
Sonographisch lassen sich akute und chronifizierte For-men der plantaren Fasziitis eindeutig erfassen (Wall u.Mitarb. 1993). Sonographische Kriterien einer plantarenFasziitis sind (Kane u. Mitarb. 1998, Cardinal u. Mitarb.1996):� Verbreiterung des Sagittaldurchmessers des Aponeuro-
sis-plantaris-Ursprungs über 3 mm,� unscharfe Randkonturen der Aponeurosis plantaris,� zentrale Echogenitätsminderung des Aponeurosis-
plantaris-Ursprungs.
Frühphasen der degenerativen Veränderungen sind sono-graphisch nur gelegentlich trotz klinischer Symptomatikunauffällig. Andererseits bleibt die Verbreiterung der Plan-taraponeurose auch nach Abklingen der klinischen Symp-tomatik sonographisch regelmäßig weiterhin sichtbar.
Die kernspintomographische Untersuchung lässt dieeindeutige Differenzierung frischer Rupturäquivalenteund entzündlich degenerativer Veränderungen zu (Helieu. Mitarb. 1995, Roger u. Grenier 1997). Aber auch dieKernspintomographie ist der klinischen Diagnostik in frü-hen Phasen der Schädigung unterlegen.
Die Szintigraphie sollte erwogen werden, wenn die Be-fundlage klinisch und radiologisch nicht eindeutig oderatypisch ist. Szintigraphische Aktivität am kalkanearen Ur-sprung der Aponeurosis plantaris soll ein Prädiktor guterkonservativer Therapieaussichten sein (Intenzo u. Mitarb.1991). Röntgenologisch nachgewiesene plantare Fersen-sporne sind szintigraphisch meist (95%) positiv (Tudor u.Mitarb. 1997). Eine szintigraphische Untersuchung ist indiesen Fällen deshalb nicht unbedingt notwendig.
Differenzialdiagnose
Zunächst ist eine Abgrenzung einer akuten oder rezidivie-renden Verletzung (Riss) gegenüber der plantaren Fasziitiserforderlich. In unmittelbarer Nachbarschaft der proxima-len Aponeurosis plantaris liegen eine Reihe von Struktu-ren, deren pathologische Veränderungen im Rahmen derDifferenzierung des plantaren Fersenschmerzes abge-grenzt werden müssen:
� Nervenengpass-Syndrom (erster Ast des lateralenplantaren Nerves [Pfeffer 1995]),
� kalkaneare Stressfraktur,� Atrophie des plantaren Fettgewebes,� subkalkaneare Bursitis (Barrett u. Mitarb. 1995),� Neurom (Barrett u. Mitarb. 1995).
Als überregionale Schädigung muß eine radikuläre Läsionder S1-Wurzel abgegrenzt werden.
Die laborchemische Abklärung sollte Harnsäure, Blut-fette, Rheumafaktoren und seronegative Spondylarthriti-den (besonders HLA-B 27) beinhalten.
Therapie
Konservative Therapie
Die konservative Behandlung der plantaren Fasziitis istunter streng wissenschaftlichen Kriterien kaum belegt.Behandlungsvorschläge beruhen häufig auf Erfahrungenund sind allenfalls durch retrospektive Untersuchungenevaluiert.
Grundsätzlich sind danach die Ergebnisse der konser-vativen Behandlung der plantaren Fasziitis in etwa 70%der Fälle sehr gut und gut (Warren 1990, Wolgin u. Mitarb.1994, Furey 1975). Die guten Behandlungsresultate wer-den bei beidseitigem Auftreten der Erkrankung durchÜbergewicht des Patienten und bei langwierigem Verlaufvor Behandlungsbeginn getrübt (Wolgin u. Mitarb. 1994).
Die konservative Behandlungsstrategie sollte in meh-reren Phasen erfolgen, wobei jeweils nur die noch symp-tomatischen Patienten in die jeweils nächste Behand-lungsstufe aufgenommen werden:Phase 1:� Belastungsmodifikation,� Einlagen,� dehnen, kräftigen,� Elektrotherapie, Ultraschall,� Querfriktionen,� Nachtschiene in Dorsalextension des Fußes,� nichtsteroidale Antiphlogistika (systemisch).Phase 2: Injektionen,Phase 3: extrakorporale Stoßwellentherapie,Phase 4: Röntgenentzündungsbestrahlung,Phase 5: operative Intervention.
Beim Läufer sollte zunächst ein anamnestisch erkannterTrainingsfehler korrigiert und der Umfang und die Inten-sität des Trainings herabgesetzt werden. Einlagentech-nisch wurde früher eine so genannte Locheinlage miteiner zirkulären Stanzung unter dem Schmerzpunkt emp-fohlen, die sich nicht bewährt hat. Heute ist eine Freile-gung und Weichpolsterung längsoval mit gleichzeitigerBetonung der Stütze unter der medialen Wölbung zu emp-fehlen. Für orthopädische Einlagen und für Tapebandagie-rungen ist gegenüber der Behandlung mit systemischennichtsteroidalen Antiphlogistika ein signifikant besseresResultat nachgewiesen (Lynch u. Mitarb. 1998). Die zu-
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sätzliche Versorgung mit Nachtschienen, die das Sprung-gelenk moderat dorsalextendieren, war einer Standardbe-handlung überlegen (Batt u. Mitarb. 1996).
Martin u. Mitarb. (1998) zeigen in einer Literaturüber-sicht, dass mit den konservativen Standardtherapien (Pha-se 1) etwa die Hälfte der Patienten völlig beschwerdefreiwerden. Dabei weisen die Autoren besonders auf die nied-rige Compliance der Patienten gegenüber den konservati-ven Behandlungsmodalitäten hin. Ein Einfluss auf das Be-handlungsergebnis war jedoch nicht zu sichern.
Injektionen werden nach der Literatur ausschließlichmit corticoiden Substanzen durchgeführt. Dabei sollen inbis zu 70% die Schmerzen verschwinden. Vor einer unkri-tischen Applikation, vor allem kristalliner Corticoide, istbesonders beim Leistungssportler zu warnen, da nahezualle beschriebenen Rupturen der Aponeurosis plantarisnach lokalen Infiltrationsbehandlungen mit Corticostero-iden aufgetreten sind (Sellman 1994, Acevedo u. Beskin1998).
Die guten Ergebnisse der extrakorporalen Stoßwellen-therapie sind von allen Behandlungsmodalitäten der plan-taren Fasziitis wissenschaftlich am besten und umfang-reichsten abgesichert. Aufgrund der hohen Behandlungs-kosten sind damit bislang nur chronische, auf andere kon-servative Maßnahmen nicht ansprechende Fälle behandeltworden. Die Literaturübersicht belegt, dass die Ergebnissedenen einer operativen Versorgung ebenbürtig sind (Hel-ler u. Niethard 1998).
Für die Röntgenentzündungsbestrahlung unter Tiefen-bedingungen werden bei konservativ erfolglos vorbehan-delten plantaren Fasziitiden sehr gute Ergebnisse(schmerzfrei) in 67 – 72% berichtet (Seegenschmiedt u.Mitarb. 1996). Ihr wesentlicher Nachteil ist jedoch das po-tenzielle Strahlenrisiko.
Operative Therapie
Die Indikation zur operativen Versorgung der plantarenFasziitis ist dann zu stellen, wenn trotz konsequenter kon-servativer Vorbehandlung (Phase 1 – 3) nach mindestens 6Monaten der Patient über unveränderte Symptome klagtund sich entsprechend behindert fühlt. Nach Davis u. Mit-arb. (1994) muss nach konsequenter konservativer Be-handlung der Fasciitis plantaris bei 4,8% der Patienteneine operative Therapie durchgeführt werden.
Offene Einkerbung. Als Standardverfahren ist die Einker-bung des faszialen Ursprunges zu nennen, die über einenkurzen schrägen Hautschnitt über dem maximal druck-schmerzhaften Punkt an der dorsomedialen Fußsohle er-folgt (Pfeffer 1995). Damit können störende plantar druck-dolente Vernarbungen vermieden werden. Der Faszien-ursprung wird dargestellt und entweder komplett, odernur im medialen Anteil eingekerbt. Gelegentlich wird dieEntnahme eines schmalen Faszienstreifens empfohlen. Eineventuell vorhandener Fersensporn lässt sich im Ursprungdes M. flexor digitorum brevis unter der Aponeurosis plan-taris präparieren und an seiner Basis abtragen. Wichtig ist,
den ersten Ast des lateralen plantaren Nerven zum M.abductor digiti minimi, der unmittelbar unter einem mög-lichen Fersensporn verläuft, zu schonen.
Endoskopische Behandlung. In den vergangenen Jahrenwurden zunehmend auch endoskopische Verfahren zuroperativen Behandlung der plantaren Fasziitis eingesetzt.Dabei scheinen die Ausheilungszeiten vergleichsweisekürzer zu sein (Barrett u. Mitarb. 1995).
Nachbehandlung
Postoperativ sollte prinzipiell frühfunktionell behandeltwerden. Dabei kann es bei offener Operationstechnik er-forderlich werden, für etwa 2 Tage eine kurze dorsale Un-terschenkelfußschiene einzusetzen. Danach sollte bereitseine vorsichtige Teilbelastung einsetzen, wobei auf einegezielte Einlagenversorgung unbedingt zu achten ist. Phy-siotherapeutische Maßnahmen beginnen bereits in denersten postoperativen Tagen und sind zunächst antiphlo-gistisch (Hochvolt, Lymphdrainage). Nach Abschluss derWundheilung und nach Entfernung der Wundfäden solldie volle Gehfähigkeit erreicht sein. Ein gezieltes Fußmus-kelkräftigungs- und Dehnprogramm unter krankengym-nastischer Anleitung ist jetzt erforderlich. Der Laufbelas-tungsaufbau kann ab der 6. postoperativen Woche lang-sam steigernd einsetzen, wobei zunächst Ausdauertrai-ning empfohlen wird. Eine Sprungbelastung sollte nichtvor der 10.– 12. Woche postoperativ erfolgen. Die gesamteRehabilitationszeit ist auf mindestens 12 Wochen zu ver-anschlagen. In einzelnen Fällen kann die volle Belastbar-keit erst 1 Jahr postoperativ eintreten.
Komplikationen
Experimentelle Befunde weisen auf die bei kompletter In-zision mögliche Depression der Längswölbung des Fußeshin (Murphy u. Mitarb. 1998, Kitaoka u. Mitarb. 1997, Thor-darson u. Mitarb. 1998). Ein Transferschmerz im Mittel-fußbereich könnte demnach durch die komplette Diszisi-on der Aponeurosis plantaris zu erklären sein (Palumbo u.Mitarb. 1994).
Klinisch sind allgemeine Operationsrisiken (Thrombo-se, Infekt) zu fürchten (Sammarco u. Helfrey 1996). Aufdas vergleichsweise höhere postoperative Risiko einer ver-stärkten Narbenbildung im Operationsgebiet wird hinge-wiesen (Perelman u. Mitarb. 1995). Genaue Zahlen überdie Häufigkeit einer iatrogenen intraoperativen Schädi-gung des ersten Astes des lateralen plantaren Nervs sindnicht publiziert. Eine postoperative Besserung des Befun-des ist nicht zu erwarten, wenn die Aponeurosis plantarisnicht die Ursache der Beschwerden war, oder wenn dieendoskopische Technik nicht einwandfrei beherrschtwird (Palumbo u. Mitarb. 1994).
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Ergebnisse
Auch die Ergebnisse der operativen Interventionen bei derFasciitis plantaris sind nicht prospektiv und vergleichenduntersucht. Die klinischen Ergebnisse der offenen operati-ven Intervention sind nach den vorliegenden retrospekti-ven Analysen gut (Schepsis u. Mitarb. 1994). Etwa 90% derPatienten geben eine zumindest 80%ige Besserung ihrerBeschwerden an (Perelman 1995). Dies scheint auch fürden Sportler zu gelten (Leach u. Mitarb. 1978).
Baxter u. Thigpen (1984) fanden ähnlich gute Ergeb-nisse bei gleichzeitiger und zusätzlicher Neurololyse desersten Astes des lateralen plantaren Nervs.
Beim endoskopischen Release der plantaren Fasziewerden mittelfristig ähnlich gute Ergebnisse im Vergleichzum offenen Vorgehen berichtet (Barrett u. Mitarb. 1995,Kinley u. Mitarb. 1994).
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22.1.2 Achillodynie
Synonyme
Achillodynie, Achillessehnenreizung und Paratendinitisoder Peritendinitis achillea sowie Paratenonitis achilleawerden meist synonym benutzt, obwohl damit eigentlichunterschiedliche pathologisch anatomische Substrate be-zeichnet werden. In der angloamerikanischen Literatur istals Überbegriff „Dysfunction of achilles tendon“ etwa pa-rallel zum „fersennahen Schmerzsyndrom“ der deutsch-sprachigen Literatur zu sehen. Meist findet sich der Termi-nus „Achilles tendinitis“ (entsprechend Tendinitis achil-lea), der ebenso wenig klar definiert ist wie die „Achillo-dynie“. Dabei wird oft zwischen Erkrankungen der kalka-nearen Insertion („insertional“) und solchen der freienSehne („noninsertional“) unterschieden (Teitz u. Mitarb.1997). Puddu u. Mitarb. (1976) subsummieren entspre-chend der pathologisch anatomisch dominierenden Struk-tur:� Paratendinitis,� Paratendinitis with tendinosis,� Tendinosis.
Mafulli u. Mitarb. (1999) benutzen zur Beschreibung einerchronischen substanziellen intratendinösen Achillesseh-nenschädigung mit Verdickung den Begriff „Central corelesion“.
Definition
In der Literatur wird unkorrekterweise unter „Achillody-nie“ meist ein nicht konkret zugeordneter Schmerz an undum die Ferse und der Achillessehne verstanden.
Konkret sollte der Begriff „Achillodynie“ einen belas-tungsinduzierten degenerativen Schaden der Achillesseh-ne und/oder ihres Gleitgewebes in ihrem Verlauf distal desmyotendinösen und proximal des tendoossären Übergan-ges bezeichnen, der einen belastungsabhängigen, lokalenSchmerz auslöst und der immer mit einer Druckdolenzsowie meist mit einer Schwellung der Achillessehne ein-hergeht (Lohrer 1991).
Ätiologie
Die Achillodynie ist ein typischer lauf- und sprungbelas-tungsinduzierter Sportschaden. Ihr Auftreten außerhalbdes Sportes ist selten. Hohe und umfangreiche externeBelastungen sind daher der Schlüssel bei der Verursa-chung der Achillodynie. Die Beanspruchbarkeit der Achil-lessehne kann jedoch auch durch endogene Ursachen he-rabgesetzt sein (Tab. 22.1). Oft können sowohl endogeneals auch exogene ätiologische Faktoren bei der Analyseerkannt werden.
Pathogenese
Ausgangspunkt der Entwicklung einer Achillodynie sindzunehmende degenerative Veränderungen im Zentrumder Achillessehne. Es wird angenommen, dass diese Ver-änderungen in dem Bereich 2 – 6 cm proximal des kalka-nearen Ansatzes der Sehne entstehen, an der die Durch-blutung zwischen den beiden kapillären Endstrecken derversorgenden Gefäße kritisch ist (Prinzip der letzten Wie-se). Das Missverhältnis zwischen repetitiver Mikrotrauma-tisierung und mangelhafter regenerativer Fähigkeit derSehne setzt den klinisch zunächst latenten Prozess derAchillessehnendegeneration in Gang (Józsa u. Kannus1997). Langfristig resultiert die charakteristische Ver-dickung der Achillessehne. Die Belastungs- und Druck-schmerzhaftigkeit kann in nahezu jedem Stadium der De-generation aktiviert werden.
Einer weiteren Hypothese zufolge werden die degene-rativen Vorgänge durch entzündliche akute, subakute,subchronische und chronische Veränderungen im Parate-non eingeleitet.
Biomechanisch gesehen kann davon ausgegangen wer-den, dass bestimmte Anomalien der unteren Extremitätund Vorschäden (Abb. 22.1) zu einer vermehrten Pronati-onsbewegung in der Stützphase des Laufens führen, inderen Folge die Achillessehne einer vermehrten Torsions-belastung ausgesetzt wird (Segesser u. Nigg 1980).
Der Verlauf der Achillodynie ist phasenhaft. Zunächstbesteht ein Schmerz nur zu Beginn der Laufbelastung (An-laufschmerz). Später kommt ein Nachbelastungs- und Ru-heschmerz der Sehne hinzu. Zuletzt ist die Aufnahmeeiner Laufbelastung schmerzbedingt nicht mehr möglich.
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Tab. 22.1 Übersicht ätiologischer Faktoren, die zur Entwick-lung einer Achillodynie prädisponieren____
1. Externe Ursachen� Training:
– Trainingsalter– aktueller Trainingszustand der Sehnen
(funktionelle Adaptation)– Intensität und Umfang– Regeneration und Reparation– Untergrund
� Sportschuh� systemische oder lokale Corticosteroidgabe
2. Interne Ursachen und Prädisposition� physiologische Sehnenalterung� Vorschaden
– laterale Kapselbandinsuffizienzdes oberen Sprunggelenks
– Hallux rigidus– Chondropathie OSG/USG– Stoffwechselstörungen (Harnsäure, Hyperlipidämie)
� anatomische Varianten (Anomalien)– hochgesprengter Fuß– Senkfuß– Rotationsfehler
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Epidemiologie
Neben dem Patellaspitzensyndrom ist die Achillodynie derhäufigste Sportschaden. Die Prävalenz der Achillodynie beiLäufern beträgt etwa 10% (Myerson u. McGarvey 1998). Inder allgemeinen sportorthopädischen Sprechstunde liegtdie Häufigkeit der Achillodynie bei 6 – 7% (Lohrer 1995, Lep-pilahti u. Mitarb. 1991, Clement u. Mitarb. 1984). Männersind bevorzugt betroffen (Leppilahti u. Mitarb. 1991). Beid-seitiges Auftreten ist häufig (41%). Das durchschnittlicheTrainingsalter beim Auftreten einer Achillodynie liegt bei12 ± 8 Jahren (Lohrer 1989). Offenbar spielt die Reizsummereaktiver Belastungen (Gesamtintensität und -umfang)eine wesentliche Rolle. So klafft zwischen dem Patienten-alter bei Spitzen- und Leistungssportlern (23,5 ± 4,8 Jahre)und dem der Breitensportler (39,2 ± 8,4 Jahre) eine großeLücke (Lohrer 1991). Im Spitzen- und Leistungssport domi-nieren vorfußorientierte Belastungen (Mittel- und Lang-strecke), im Breitensport die Langstrecke (Fersenläufer).
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Anamnestisch ist die Belastungsabhängigkeit eines fersen-nahen Schmerzbildes, die ausgeübte Sportart (Tab. 22.2)und das Trainingsverhalten zu erfragen. Eine Achillodynietritt fast nie am Anfang einer Athletenkarriere, sondernmeist nach einer etwa 10 Jahre betragenden Latenzzeitauf. Initial bemerkt der Patient einen Anlaufschmerznach der Nachtruhe und zu Beginn der läuferischen Akti-vität. Erst in späten Phasen tritt ein Ruheschmerz auf, derauch während der sportlichen Aufwärmarbeit und der Be-lastung nicht mehr verschwindet und zum Belastungs-abbruch führt. Meist wird erst in dieser Phase ärztlicheHilfe erstmals in Anspruch genommen. Beginn und Verlaufdes Leidens und die Art der vorausgehenden Behandlungsollten erfragt werden (Teitz u. Mitarb. 1997).
Der mehrfach ausgeführte Einbeinzehenspitzenstand istnur in fortgeschrittenen oder aktivierten Fällen schmerz-haft oder unmöglich. Zusammen mit einem akuten Beginnder Symptomatik spricht dieser Test für eine Partialruptur.
Bei der klinischen Untersuchung in Bauchlage des Pa-tienten kann die typische Druckdolenz beim Zangengriffzwischen Daumen und Zeigefinger des Untersuchers etwa2 – 7 cm oberhalb des kalkanearen Achillessehnenansatzesausgelöst werden. Dieses Zeichen kann bereits in latentenPhasen, wo der Athlet subjektiv noch schmerzfrei ist undwo mit bildgebenden Verfahren noch Normbefunde erho-ben werden, positiv sein und ist deshalb unter präventivenAspekten von besonderer Bedeutung. Die typische spin-delförmige Verdickung der Sehne in ihrem freien Verlauftritt erst später hinzu und ist, zusammen mit dem Druck-schmerz, pathognomon. Eine teigige Palpationsqualitätweist dabei auf eine aktivere Phase der Erkrankung hin.Eine derbe, feste Konsistenz der Sehne lässt auf einen aus-geheilten oder latent kompensierten Zustand schließen(Lohrer 1996).
Beim Bewegen des Fußes in dieser Position kann gele-gentlich ein Krepitieren als Hinweis für eine Paratenonitiscrepitans wahrgenommen werden. Die Anamnese dazuzeigt regelmäßig einen akuten Beginn, ausgelöst durchLaufen auf ungewohnt unebenem Terrain (z. B. Strandläufeoder Läufe im Schnee). Die Palpationspunkte der differen-zialdiagnostisch abzugrenzenden Bursitis subachillea (pa-
49522.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
•Fußfehlform•Rotations- fehler
Anomalie
•Lat. OSG•Hallux rigidus•Knorpel
Vorschäden
•Training•Schuh•Terrain
externe Einflüsse
Überpronation
MikrorupturDegeneration Achillodynie
•Trainingszustand•funktionelle Adaptation•Reparation
•Stoffwechsel•physiologische Alterung
Calcaneus varus
hohe externe Last
Abb. 22.1 Pathogeneseder Achillodynie.
Tab. 22.2 Die Verteilung der bei Achillodynieausgeübten Sportarten (n = 44)____
Sportart Zahl der Patienten
LeichtathletikSprintMittelstreckenlaufLangstreckenlaufMehrkampfSprünge
128853
Tennis 3
Triathlon 2
Fußball 2
Ballett 1
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raachillärer distaler Zangengriff) und des dorsalen Fersen-spornes (distaler, zentraler Daumenspitzendruck) liegendistaler (Abb. 22.2a-c). Die weitere Untersuchung beginntmit der Evaluierung der Beinachse (Rotationsfehler). Da-nach sind die Fußstatik (hochgesprengt oder Senkfuß) unddie lateralen Kapselbandstrukturen des oberen Sprung-gelenkes und die Sprunggelenkbeweglichkeit sorgfältigzu prüfen (Kaufman u. Mitarb. 1999, Segesser u. Mitarb.1980). Ein Druckschmerz im anteromedialen oberenSprunggelenk weist auf eine chondrale Überlastung hin.Schließlich ist die Zehenfunktion zu analysieren. Ein Hal-lux rigidus führt beim Läufer immer zu einer supinatori-schen Abwicklung beim Abstoß. Schließlich ist der getra-gene Sportschuh, der die Folgen einer Fehlbelastung alssummatorischen Abdruck wiedergibt, inspektorisch zuanalysieren (Lohrer 1989). Eine aufwendige biomecha-nische Gang- oder Laufanalyse ist meist nicht erforderlich,zumal ihr Wert hinsichtlich der kinematischen Verände-rungen bei symptomatischen Läufern bis heute nicht ge-sichert ist (Nigg u. Mitarb. 1999).
Eine laborchemische Abklärung bei der Achillodyniesollte dann erfolgen, wenn eine Diskrepanz zwischen derBelastungsanamnese und dem klinischen Bild besteht.Durch Stoffwechselstörungen hervorgerufene Achillody-
nien treten darüber hinaus fast immer beidseits auf.Neben der Harnsäure sollte der Fettstoffwechsel sowierheumatoide Prädispositionen (HLA-B 27, Borrelienserolo-gie) abgeklärt werden.
Bildgebende Diagnostik
Die Anfertigung einer Röntgenübersichtsaufnahme desoberen Sprunggelenks unter Einschluss der Ferse in 2 Ebe-nen ist besonders aus differenzialdiagnostischen Erwä-gungen (Abgrenzung einer Haglund-Pseudoexostose beiBursitis subachillea und dorsalem Fersensporn) heraus ob-ligat. Eine spindelförmige Verdickung der Sehne kann alsWeichteilschatten oft erkannt werden. Intratendinöse Ver-kalkungsfiguren sind selten (Józsa u. Kannus 1997).
Die Sonographie ist für die Diagnostik und Verlaufs-beurteilung der Achillodynie unverzichtbar. Die Beurtei-lung stützt sich auf den sagittalen Achillessehnendurch-messer, der normalerweise 5 mm nicht übersteigt und beieinseitiger Achillodynie auch im Seitenvergleich beurteiltwerden kann. Das Paratenon stellt sich normalerweise alsgut abgrenzbarer, dünner und echoreicher Randsaum dar.Ein verschwommenes, verbreitertes und schlecht abgrenz-bares Paratenonecho spricht für einen entzündlichen Reiz-zustand. Der achilläre Binnenreflex ist bei der Achillodynie
496 22 Überlastungsschäden
Abb. 22.2a–c Untersuchungstechniken:
a Untersuchungstechnik bei Achillodynie.b Untersuchungstechnik bei Bursitis subachillea.c Untersuchungstechnik bei dorsalem Fersensporn
bzw. distaler achillärer Insertionstendopathie.
a b
c
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meist diffus vermindert. Fokale intratendinöse Anechoge-nitäten kommen bei Faserrissen vor und weisen auf einHämatoserom hin.
Die Kernspintomographie ist die Methode mit derhöchsten Spezifität und Genauigkeit (Pope 1992). Nach-teilig sind die vergleichsweise hohen Kosten und die län-gere Untersuchungszeit. Sinnvoll ist ihr Einsatz besonderszur Operationsvorbereitung und in der Abgrenzung vonPartialrupturen.
Differenzialdiagnose
Die Differenzialdiagnostik der Achillodynie ist die Differen-zialdiagnose des fersennahen Schmerzes. Grundsätzlichsind von achillären paraachilläre bzw. achillessehnennaheErkrankungen abzugrenzen, die von Patient oder Arzt alsAchillessehnenschmerz fehlgedeutet werden. Achillody-nien sind bezüglich einer gegebenenfalls kausal zugrunde-liegenden Störung weiter abzuklären (Tab. 22.3). Lässt sichbei der Analyse eine derartige Veränderung nicht unmittel-bar finden, so liegt eine „idiopathische“ Achillodynie vor.
Therapie
Konservative Therapie
Die Behandlung der Achillodynie als primär degenerativeErkrankung erfolgt grundsätzlich konservativ. In frühenPhasen sind die Erfolgsaussichten gut. In späteren Stadiensind konservativ nicht erfolgreich behandelbare Achillody-nien häufig. Entsprechend der Pathognese sind dabei 3Prinzipien zu berücksichtigen. Einerseits wird den dege-nerativen Prozessen durch hyperämisierende Maßnahmenbegegnet. Zum anderen gilt es, die vermuteten biomecha-nischen Ursachen zu kompensieren. Darüber hinaus ist fürdie auslösende reaktive Beanspruchung eine adäquate Be-lastungsreduktion oder eine Belastungspause wesentlich,die den Schweregrad und die sportlichen Ambitionen be-rücksichtigt.
Basis der Behandlung ist in jedem Falle die gezielteSportschuheinlagenversorgung, die gegebenenfalls miteinem Wechsel des insuffizient gewordenen Sportschuheseinhergeht. Die Stabilisierung der funktionellen Beinachsewährend der sportlichen Belastung ist mit speziellen kran-kengymnastischen Techniken zu schulen (sog. funktionel-les Beinachsentraining). Zusätzlich sollte die Achillessehnenach der sportlichen Belastung gekühlt, im freien Intervalljedoch gewärmt werden. Dazu eignen sich Fango, „Hotpacks“, therapeutischer Ultraschall, diadynamischerStrom und Friktionsmassagen. Die begleitende hypertoneReaktion der Wadenmuskulatur sollte mit Dehnung,Wärme und Massage behandelt werden.
Bei Beschwerdepersistenz kann in einer zweiten Be-handlungsphase eine Infiltrationsserie mit hyperämisie-renden Substanzen, beispielsweise 40%iger Glucose oderActovegin (Pförringer u. Mitarb. 1994) erfolgen. Die Infilt-rationen erfolgen dabei in das Paratenon der Achillesseh-ne. Die gelegentlich empfohlenen Corticoidinfiltrationen
(Wegner 1993) sind dagegen kontraindiziert (Myerson u.McGarvey 1998), da sie die degenerativen Veränderungenbegünstigen, reparative Vorgänge bremsen und so Ruptu-ren Vorschub leisten.
In einer weiteren Behandlungsphase kann bei Beschwer-depersistenz eine Röntgenentzündungsbestrahlung unterTiefenbedingungen indiziert sein (Simmelbauer 1998).
Ob durch die Extrakorporale Stoßwellentherapie dieAchillodynie günstig beeinflusst werden kann, ist bislangnoch unklar.
49722.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Tab. 22.3 Diffenzialdiagnosen der Achillodynie (n = 74)____Diagnose Differenzierung Anzahl der
Patienten
Achillodynie idiopathisch 17
mit lateraler OSG-Kap-selbandinsuffizienz
7
mit KnorpelschädenOSG/USG
6
nach Achillessehnennaht 5
bei Beinachsenfehlern 5
bei Bursitis subachillea 4
nach Achillessehnenteil-ruptur
2
nach lateraler OSG-Kap-selbandnaht
2
nach Stressfraktur (Osmetatarsale III, Kalka-neus)
2
bei Hallux rigidus 1
bei Xanthomatose 1
HLA-B 27 positiv 1
bei Osteochondrosisdissecans des medialenTalus
1
Kalkaneare (distale)Insertionstendopa-thie/dorsaler Fersen-sporn
5
Paratenonitiscrepitans
4
Tendopathiender medialen Flexo-renmuskelgruppe
4
Os-trigonum-Impin-gement-Syndrom
3
Bursitis subachillea 2
Apophysitis calcanei 1
Bursitis praeachillaris 1
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Operative Therapie
Skarifizierung. Bei einer chronifizierten Schmerzhaftigkeitder Achillessehne, die sich gegenüber konservativer Thera-pie resistent zeigt und die sportliche Belastung einschränkt,ist die Indikation zur operativen Versorgung gegeben.
Liegt noch keine relevante Verdickung der Sehne vor undzeigt sich im Kernspintomogramm kein abgrenzbarer de-generativer Herd, so kann eine Stichelung der Sehne durch-geführt werden. Diese kann über einen medialen Längs-schnitt oder subkutan über einen zwei bis drei Zentimeterkurzen, kosmetisch günstigeren Transversalschnitt erfol-gen. Nach Durchtrennung der Haut und der Subkutis wirdüber der Paratenonstruktur stumpf präpariert. Anschlie-ßend wird die Sehne von dorsal mit einem feinen Skalpellmehrfach mesh-graftartig im Faserverlauf durchstochen.
Paratenonresektion und plastische Ausschneidung.Liegt eine sicht- und palpierbare Verdickung der Sehneund ihres Gleitgewebes vor und finden sich kernspinto-mographisch eine interne Degeneration oder kleine Rup-turäquivalente, so ist die Revision über einen 5 – 10 cm
langen medial paraachillären Längsschnitt vorzunehmen.Nach Präparation der dorsalen, medialen und lateralenSehne erfolgt zunächst die Abtragung des verschwieltenund verdickten Paratenons teils scharf oder mit demLuer. In Übereinstimmung mit dem kernspintomographi-schen Befund wird die Sehne danach meist mittig längs-tenotomiert. Das hyalin oder fettig degenerativ veränderteGewebe wird scharf und sparsam exzidiert. Dabei ist eineLupenbrille nützlich. Eine Stichelung der Restsehne kannfakultativ vorgenommen werden, bevor die Tenotomie mitresorbierbarem Material (z. B. 3 – 0 Vicryl) per Einzelknopfoder fortlaufend verschlossen wird.
Verstärkungsplastik. Müssen größere Achillesseh-nenareale exzidiert werden, so ist die Stabilität der Sehnegefährdet. In diesen Fällen kann eine plastische Verstär-kung mit der Sehne des M. plantaris, die vom selben Zu-gang aus entnommen werden kann (Sehnenstripper) er-folgen (Abb. 22.3). Nur in wenigen Fällen fehlt der M. plan-taris. Eine Verstärkung durch Umschlagplastik oder durchfreies achilläres Sehnentransplantat (Griffelschachtelplas-tik) ist dann möglich (Clanton u. Schon 1986).
498 22 Überlastungsschäden
Abb. 22.3 Operative Versorgungeiner Achillodynie.a Exzision degenerierter intratendinöser
Anteile.b Plastische Verstärkung mittels
Plantarissehnendurchflechtung.
a
b
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Nachbehandlung
Initial postoperativ wird eine dorsale Unterschenkel-Fuß-Schiene in leichter Spitzfußstellung für 3 – 4 Tage angelegt.Danach kann bei gutem Wundheilverlauf funktionell wei-terbehandelt werden. Ein Stabilschuh mit anfangs 2 – 3 cmFersenerhöhung kann danach angepasst werden(Abb. 22.4) und die Vollbelastung somit knapp 1 Woche
postoperativ erreicht sein. Im weiteren Verlauf kann dieFersenhöhe alle 2 Wochen um 1 cm reduziert werden.Ein Konfektionsschuh soll nicht vor der 4. postoperativenWoche getragen werden. Bis zur 4. postoperativen Wocheist eine physiotherapeutische Behandlung (antiphlogis-tisch, Gehschule) zu empfehlen. Reaktive Belastungen(Laufen und Springen) sind nicht vor der 8.– 10. postope-rativen Woche möglich. Die Zeit bis zur Wiederaufnahmeder vollen sportlichen Belastung beträgt regelmäßig bis zueinem Jahr (Myerson u. McGarvey 1998).
Komplikationen
Der N. suralis verläuft am lateralen Achillessehnenrandund kann bei unvorsichtiger Präparation leicht verletztwerden (schmerzhafte Narbenneurinome). Deshalb istein lateraler paraachillärer Hautschnitt nicht anzuraten.Ein zentraler supraachillärer Längsschnitt sollte wegender Gefahr einer hypertrophen Narbenbildung und derGefahr einer nachfolgenden schmerzhaften Irritationdurch den Schuh vermieden werden.
Zu großzügige und zu sparsame Resektion schwächtdie Sehne (Ruptur- und Rezidivgefahr). Eine Verletzungder von ventral in die Sehne einstrahlenden Gefäße ist zuvermeiden, um die für die Sehnenregeneration notwendi-ge Durchblutung zu sichern. Werden weitere pathologi-sche Veränderungen der Umgebung (symptomatische Bur-sitis subachillea) nicht mitversorgt, so ist mit einem Rest-schmerz zu rechnen (Schuchardt 1998).
Ergebnisse
Die Ergebnisse der konservativen Behandlung der Achillo-dynie sind gut. Clement u. Mitarb. (1984) geben an, miteinem komplexen Schema insgesamt 67% exzellente Er-gebnisse (symptomfreie, nicht reduzierte Trainingsbelas-tung) zu erzielen. Angermann u. Hovgaard (1999) haben22 Patienten nach durchschnittlich 5 Jahren nachunter-sucht, die initial mit Fersenerhöhung (1 cm), 6-mal phy-siotherapeutischer Behandlung (Massage und Stretching)sowie einem speziellen Trainingsprogramm behandeltwurden. Neun Fälle waren ausgeheilt, 4 gebessert, wäh-rend 7 nicht auf die Behandlung ansprachen oder sichverschlechterten.
Die Behandlungsergebnisse der operativen Interventio-nen bei der Achillodynie werden ebenfalls als gut angege-ben. Kontrollierte, prospektive Studien sind nicht publi-ziert. Im retrospektiven Ansatz fanden Schepsis u. Mitarb.(1994) nach durchschnittlich 6,5 Jahren exzellente undgute Ergebnisse in 87% (Paratenonitis) beziehungsweisein 67% (Tendinose) der operierten Patienten. Statistischgesehen, waren diese Ergebnisse nicht different(Tab. 22.4). Nach längerfristiger Beschwerdefreiheit muss-ten 36% der Tendinosegruppe nach 5,5 – 10 Jahren wegenerneut aufgetretener Beschwerden reoperiert werden.Schuchardt (1989) findet in einer retrospektiven Fragebo-genevaluation (Rücklaufquote 70%) insgesamt 80,2% zu-
49922.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Abb. 22.4a u. b Stützschuhvarianten.
a OrthoTECH Stabilschuh zur funktionellen postoperativenTherapie.
b OrthoTECH Vario-Stabilschuh zur funktionellen postoperativenTherapie (nach stabilitätsgefährdenden Eingriffen).
a
b
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friedene Patienten. Dabei war die „gewohnte sportlicheBelastungsfähigkeit mit Beschwerdefreiheit“ nur von53,5% der Patienten wiedererlangt worden. Kvist u. Kvist(1980) stellten bei 201 Patienten die Operationsindikationbereits nach 2 – 3 Monaten ineffektiver konservativer The-rapie und damit in einem sehr frühen Stadium der Seh-nendegeneration. Sie geben 96,5% exzellente und gute Er-gebnisse an. Mafulli u. Mitarb. (1999) dagegen fandennach durchschnittlich 35 Monaten vergleichsweiseschlechte Ergebnisse bei der operativen Behandlung fort-geschrittener intratendinöser Schäden. Nur 5 von 14 Pa-tienten hatten exzellente und gute Resultate, 6 weiterePatienten mussten sogar erneut operiert werden.
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22.1.3 Distale achilläreInsertionstendopathie
Synonyme
Die kalkaneare oder distale achilläre Insertionstendo-pathie entspricht der Insertional achilles tendinitis derangloamerikanischen Literatur. Daneben wird der Begriffdes dorsalen Fersenspornes gebraucht, wenn ein röntge-nologisches Äquivalent vorliegt.
Definition
Die distale achilläre Insertionstendopathie ist ein degene-rativer, überlastungsinduzierter oder entzündlich syste-misch bedingter Schaden der Achsillessehne, bei dem derachilläre Sehnen-Knochen-Übergang unmittelbar betrof-fen ist.
Ätiologie
Bis heute ist nicht klar, welche Faktoren im individuellenFall eine Achillodynie oder aber eine distale achilläre In-
500 22 Überlastungsschäden
Tab. 22.4 Operationsergebnisse bei achillären Schmerz-syndromen (nach Schepsis u. Mitarb. 1994)____
Diagnose sehrgut
gut befrie-digend
schlecht
Paratenonitis 14 6 2 1
Tendinose 5 5 3 2
Bursitis subachillea 13 5 6 0
Insertionstendopathie 3 3 1 0
Mischformen 5 3 2 0
Gesamt 40 22 14 3
Prozent 51 28 17 4
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sertionstendopathie entstehen lassen. Verglichen mit derAchillodynie scheint aber die Mitbeteiligung systemischerKomponenten gegenüber der Verursachung durch rezidi-vierende Mikrotraumata häufiger (Tab. 22.5). Wie bei derAchillodynie muss aber immer an Trainingsfehler, anato-mische Varianten und Anomalien oder an eine biomecha-nisch analysierbare Ursache der Schädigung (funktionelleÜberpronation) gedacht werden.
Pathogenese
Im fibrokartilaginären Übergang gehen die Kollagenfasernder Sehne physiologischerweise über eine unverkalkteund eine verkalkte Knorpelschicht schließlich in den Kno-chen über. Bei der distalen achillären Insertionstendo-pathie finden sich histologisch fokale Nekrosen, Einblu-tungen, Entzündungszellreaktionen und Granulations-gewebe (Becker u. Krahl 1978). Offenbar ist also nichtnur die Kollagenfaser, sondern auch die Knorpelzelle derÜbergangsregion Ausgangspunkt der Veränderungen.Möglicherweise sind es initial entzündliche Veränderun-gen in der Insertionszone und, wie bei der AchillodynieMikrorupturen, die bei nicht ausreichender Regenerationund Reparation einen Circulus vitiosus in Gang setzen undschließlich die fibrilläre Sehnenstruktur breitflächig zer-stören. Wenn bestimmte prädisponierende Faktoren vor-liegen, kann die Übergangsregion verkalken und es ent-steht der dorsale Fersensporn.
Epidemiologie
Orava u. Lepilahti (1999) berichten, dass insgesamt 6,1%(39/642) der Patienten, die wegen eines überlastungs-bedingten Achillessehnenschadens operiert wurden, einedistale achilläre Insertionstendopathie oder einen aktivier-ten dorsalen Fersensporn hatten. In einer Analyse konser-vativ behandelter Patienten mit überlastungsbedingtenachillären Schmerzsyndromen fanden sich 8,0% (5/63)distale achilläre Insertionstendopathien bzw. dorsale Fer-sensporne (Lohrer 1995).
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Inspektorisch finden sich bei der distalen achillären Inser-tionstendopathie meist keine auffälligen Befunde. Nur infortgeschrittenen Fällen, besonders wenn ein ausgeprägterdorsaler Fersensporn vorliegt, lässt sich eine Vorwölbungder dorsalen Fersenbeinkontur erkennen, die häufigfälschlicherweise als Haglund-Höcker bezeichnet wird.Im Vergleich zur Achillodynie ist die palpatorisch nach-weisbare Druckdolenz nicht flächig, sondern punktuellam distalen Achillessehnenende lokalisiert. Die Palpationerfolgt nur mit dem Druck des Daumens und von dorsaletwa in Achillessehnenmitte (Abb. 22.2c).
Bildgebende Diagnostik
In der seitlichen Übersichtsröntgenaufnahme des Fersen-beines finden sich auch bei weichteilbetonter Aufnahme-technik in der Regel Normalbefunde. Nur in einzelnen Fäl-len kann ein dorsaler Fersensporn erkannt werden. Dabeiempfiehlt es sich, die Aufnahmen in jedem Fall mit demAufheller zu prüfen, um bereits initiale Kalzifizierungen,die meist besonders schmerzhaft sind, zu objektivieren.
Die sonographischen Befunde sind meist unauffällig, essei denn, dass Kombinationen mit anderen achillärenKrankheitsbildern (Achillodynie, Bursitis subachillea) vor-liegen. Dorsale Fersensporne stellen sich durch Echoaus-löschungen dar. In der Frühphase sind chondroide Meta-plasien durch ansatznahe Echogenitätsminderungen oderAnechogenitäten erkennbar.
Die Kernspintomographie ist in der bildgebenden Diag-nostik der distalen achillären Insertionstendopathie vonnachgeordneter Bedeutung und vor allem von differenzial-diagnostischer Relevanz. Allenfalls fortgeschrittene dege-nerative und entzündliche Veränderungen sind nachweis-bar.
Das Skelettszintigramm ist bei der distalen achillärenInsertionstendopathie mehr als bei anderen achillärenSchmerzsyndromen aussagekräftig. Entzündliche Ver-änderungen können bereits in einer frühen Phase der Er-krankung ein szintigraphisches Korrellat im Sinne einesumschriebenen „Hot spot“ induzieren. Erst nach Abschlussder Verknöcherung des Fersenspornes wird das Szinti-gramm wieder negativ. Meist besteht zu diesem Zeitpunktklinisch wieder Schmerzfreiheit.
Differenzialdiagnose
In unmittelbarer räumlicher Nähe zur distalen achillärenInsertion liegt die Bursa subachillea, deren entzündlicherReizerguss ebenso abzugrenzen ist wie die weiter pro-ximal lokalisierte Achillodynie. Auch die subkutane, prä-achilläre Bursitis kann ein ähnliches Schmerzbild pro-vozieren. Daneben ist besonders bei Langstreckenläuferneine (seltene) Stressfraktur des Kalkaneus abzugrenzen.
50122.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Tab. 22.5 Systemische Faktoren, die besonders beider distalen achillären Insertionstendopathiezu berücksichtigen sind____
� Hyperurikämie� HLA-B 27� seronegative Spondylarthritiden� Diabetes� systemische Kortisongabe� systemische Zytostatikagabe� Hyperlipidämien� Sarkoidose� Borrelliose� Yersiniose
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Systemische Ursachen (s. Tab. 22.5) sind immer dannbesonders zu berücksichtigen, wenn ein konkreter Zusam-menhang mit einer sportlichen Belastung nicht besteht.
Beim Kind sind Tendopathien der Achillessehne extremselten. Grundsätzlich ist bei Fersenschmerzen in diesenFällen zunächst an die osteochondrotische Schädigungder kalkanearen Apophyse (Apophysitis calcanei) zu den-ken.
Therapie
Konservative Therapie
Wegen der entzündlichen Komponente können lokale(Salben) und systemische antiinflammatorische (nichtste-roidale Antiphlogistika) Medikamente sinnvoll sein.
Physiotherapeutisch sind die degenerativen Verände-rungen der achillären Insertion mit hyperämisierendenMaßnahmen zu behandeln. Dabei werden neben Ultra-schall diadynamische Stromformen, aber auch Hochvolteingesetzt.
Eine Entlastung der Achillessehneninsertion durch einegezielte Einlagenversorgung mit betonter medialer Ab-stützung sollte in allen Fällen erfolgen.
Krankengymnastisch sollte eine Dehnungsbehandlungder Wadenmuskulatur erfolgen und eine funktionelleBeinachsenstabilisation geschult werden. Lokale Infiltrati-onsbehandlungen mit Corticoiden bergen grundsätzlichdie Gefahr einer mittelfristig stärkeren Degeneration underhöhen potenziell das Rupturrisiko.
Gute Ergebnisse dagegen können mit der Extrakorpo-ralen Stoßwellentherapie aufgrund des großen Impedanz-sprunges im Sehnen-Knochen-Übergang erwartet werden.Kontrollierte Studien diesbezüglich liegen aber bishernicht vor.
Die Röntgenentzündungsbestrahlung unter Tiefenbe-dingungen wurde für die distale achilläre Insertionstendo-pathie und für den dorsalen Fersensporn bisher nicht dif-ferenziert untersucht. Eine günstige antiinflammatorischeBeeinflussung des Krankheitsbildes in Analogie zur Fasci-itis plantaris ist aber wahrscheinlich. Das potenzielleStrahlenrisiko ist bei der Indikation besonders bei jünge-ren Patienten zu berücksichtigen.
Operative Therapie
Degenerativ-entzündliche, chronische distale achilläre In-sertionstendopathien sind nach nicht erfolgreichen kon-servativen Vorbehandlungen von über einem Jahr eineroperativen Intervention zuzuführen. Das Prinzip des Ein-griffes unterscheidet sich nicht von der operativen Versor-gung der Achillodynie. Dabei soll, je nach Lokalbefund,eine Paratenonteilresektion, eine Exzision degenerativ ver-änderter intratendinöser Anteile, eine Resektion eines ge-gebenenfalls bestehenden dorsalen Fersenspornes undeine Narbeninduktion durch Skarefizierung allein oder inKombination durchgeführt werden.
In der Literatur werden meist mediale, seltener lateraleparaachilläre und zentrale Längsschnitte empfohlen. Der
Vorteil dieser Zugänge besteht in der Möglichkeit, dieSchnittführung leicht zu erweitern. Nachteilig dagegenist die regelmäßig auftretende, kosmetisch und funktionellungünstige Narbenbildung, die oft zu Irritationen mit derFersenschale des Schuhes führt (Myerson u. McGarvey1998). Optimale kosmetische und funktionelle Ergebnissebietet ein Transversalschnitt über der Ferse, der in eineHautfalte gelegt wird. Nach scharfer, subkutaner Präpara-tion im Verlauf des Hautschnittes, wird die distal dorsaleAchillessehne stumpf präpariert. Schwartig-degenerativeParatenonveränderungen werden scharf oder mit demLuer abgetragen. Eine distale Längstenotomie wird ent-sprechend der präoperativen Diagnostik fakultativ durch-geführt. Dabei kann ein dorsaler Fersensporn präoperativepikutan sonographisch markiert und intraoperativ miteiner Injektionskanüle exakt lokalisiert werden. Degenera-tive intratendinöse Veränderungen und/oder ein dorsalerFersensporn werden scharf exzidiert, die Basis eines Spor-nes muss gelegentlich mit einem schmalen Osteotom ab-getragen werden. Wird durch diese Maßnahme die Sehnestrukturell so geschwächt, dass sich eine Gefährdung ihrerStabilität ergibt, oder liegt eine größere distale Partialrup-tur vor, so muss eine plastische Verstärkung und/oder einedistale Reinsertion vorgenommen werden. Dabei bietensich vor allem Knochenankersysteme an, an die kleinefreie oder gestielte Transplantate sicher und ohne großenpräparatorischen Aufwand fixiert werden können. EineStichelung der erreichbaren Restsehne zur Narbenindukti-on bildet den Abschluss des Eingriffs. Die Längstenotomiewird mit resorbierbaren Fäden (3 – 0 Vicryl) Seit-zu-Seitfortlaufend oder durch Einzelknopfnähte versorgt. DieWunde wird nach Öffnen der Blutsperre und nach Blut-stillung sowie Einlage einer Redon-Drainage schichtweisegeschlossen.
Nachbehandlung
Unmittelbar postoperativ wird eine dorsale Unterschen-kel-Fuß-Schiene angelegt, die für 2 – 3 Tage, je nachWundheilung, belassen wird. Die in der Literatur angege-benen Immobilisationszeiträume von bis zu 8 Wochen(Myerson u. McGarvy 1998) sind unter dem Aspekt derheute belegten guten Ergebnisse der funktionellen Seh-nennachbehandlung nicht mehr zu rechtfertigen (Ther-mann 1996). Anschließend kann unter Applikation einerFersenerhöhung von 1 cm am oder im Schuh der Belas-tungsaufbau erfolgen. Vorteilhaft ist dabei das Trageneines Stabilschuhs (s. Abb. 22.4), der bis zur 4. postopera-tiven Woche eingesetzt werden soll. Physiotherapeutischsoll zunächst antiphlogistisch (Hochvolt, Lymphdrainage)vorgegangen werden. Der spezifische Kraftaufbau kann abder 4. postoperativen Woche erfolgen. Eine reaktive Belas-tung (Laufen) ist nicht vor der 8. postoperativen Woche zugestatten und darf, abhängig vom Stabilitätszustand derSehneninsertion, in einzelnen Fällen nicht vor Ablauf des1. postoperativen Jahres erfolgen. Die aktuelle Belastbar-keitsdiagnostik ist dabei entsprechend der anamnes-tischen Angaben und der klinischen sowie sonographi-
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schen Untersuchung vorzunehmen. Weitere bildgebendeVerfahren bringen in diesem Zusammenhang meist keineVorteile.
Komplikationen
Besonders bei ausgedehnten Resektionen im Insertions-bereich der Achillessehne kann eine relevante Schwä-chung der Sehne iatrogen herbeigeführt werden, die beiBelastungswiederaufnahme zur Ruptur prädisponiert.Eine nicht ausreichende Resektion der degenerativ-ent-zündlich veränderten Sehnenanteile andererseits führt zueinem postoperativ anhaltenden Restschmerz. Intensiv de-generativ vorgeschädigte Sehneninsertionen und plas-tische Verstärkungsoperationen erhöhen das Infektions-risiko. Durch die Verwendung einer transversalen Hautin-zision lässt sich das Risiko für Hautnekrosen und ober-flächliche Infekte gegenüber den meist noch üblichen Zu-gängen in Längsrichtung reduzieren (Tab. 22.6).
Ergebnisse
Nur selten werden Ergebnisse der operativen Interventio-nen bei distaler achillärer Insertionstendopathie berichtet.Im langfristigen Ergebnis geben Schepsis u. Mitarb. (1994)bei geringer Stichprobengröße überwiegend exzellente(n = 3) und gute (n = 3) Ergebnisse an. Befriedigende(n = 1) und schlechte (n = 0) Resultate dagegen sind selten.
LiteraturBecker, W., H. Krahl (1978): Die Tendopathien. Grundlagen, Klinik
Therapie. Thieme, StuttgartLohrer, H. (1995): Sport orthopaedics in athletics – an analysis of
the current situation. NSA (New Studies in Athletics) 10 (4):11 – 21
Myerson, M.S. , W. McGarvey (1998): Disorders of the insertion ofthe achilles tendon and achilles tendinitis. J Bone Jt Surg80-A:1814 – 1824
Orava, S. , J. Leppilahti (1999): Overuse injuries of tendons in ath-letes. European Instructional Course Lectures 4: 128 – 131
Paavola, M., S. Orava, J. Leppilahti, P. Kannus, M. Jarvinen (2000):Chronic Achilles tendon overuse injury: complications aftersurgical treatment. An analysis of 432 consecutive patients.Am J Sports Med 28: 77 – 82
Schepsis, A.A., C. Wagner, R.E. Leach (1994): Surgical managementof achilles tendon overuse injury. A long-term follow-up study.Am J Sports Med 22: 611 – 619
Thermann, H. (1996): Die funktionelle Behandlung der frischenAchillessehnenruptur. Hefte zur Zeitschrift „Der Unfallchirurg“.Springer, Berlin, Heidelberg, New York
22.1.4 Bursitis subachillea undHaglund-Pseudoexostose
Synonyme
Bursitis subachillea und Haglund-Pseudoexostose bzw.Haglund-Deformität werden synonym benutzt.
Definition
Die Bursitis subachillea ist eine, durch lokale Kompressionentstandene aseptische entzündliche Reizung der Bursasubachillea, die durch einen konstitutionell prominentenFersenhöcker (Haglund Pseudoexostose) und/oder durchden Druck der Fersenschale des Schuhes von außen her-vorgerufen wird.
Ätiologie
Die Haglund-Pseudoexostose ist eine konstitutionell be-dingte, knöcherne Formvariante des Fersenbeines miteiner betonten Prominenz des proximalen Tuber calcanei.Zwischen diesem kalkanearen Höcker und der dorsal lie-genden Achillessehne ist die Bursa subachillea als Ver-schiebeschicht physiologischerweise eingelagert. Die prä-formierte Enge kann durch lokalen Druck des Schuhes(Fersenschale) noch akzentuiert werden und einen Reiz-zustand der Bursa provozieren. Auch ein hoher Momen-tandruck, beispielsweise durch den Tritt eines Fußballstie-fels, kann den bursitischen Reizzustand aktivieren.
Pathogenese
Durch die relative Verstärkung der Dorsalextension neigtbesonders der Fersenläufer dazu, den subachillären, prä-kalkanearen Raum in der Standphase des Laufes einzuen-gen. Eine analoge Situation liegt in der Plierposition beimBallett vor. Eine Chronifizierung einer einmal entzündlichgereizten Bursa subachillea ist bei nicht vollständiger Aus-heilung und bei Fortbestehen der auslösenden Ursacheleicht möglich.
50322.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Tab. 22.6 Komplikationen nach operativen Eingriffenwegen achillärer Schmerzsyndrome(n = 432) (nach Paavola u. Mitarb. 2000)____
Komplikationen insgesamt: 11% (46/432)
Allgemeine Komplikationen:
� Hautnekrosen 14� oberflächliche Infekte 11� Serome 5� Hämatome 5� Fibrosen, hypertrophe Narben 5� N.-suralis-Läsionen 4� Partialriss, Thrombose 1
Komplikationen nach Diagnosen:
� Peritendinosen 27/171� Tendinose 1/50� Bursitis/subachilläre Insertionstendopathie 5/107� Teilriss 13/92� sonstige (Xanthome, Soleusanomalien) 0/12
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Epidemiologie
Typischerweise befinden sich Patienten mit Bursitis sub-achillea im 4. – 6. Lebensjahrzehnt. Damit sind sie älter alsPatienten mit anderen achillären Schmerzsyndromen(Myerson u. McGarvey 1998, Lohrer 1995). Neben Läufernsind im Vergleich mit anderen achillären Schmerzsyndro-men häufiger auch Fußballer und Balletttänzer betroffen.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Inspektorisch findet sich oft eine auffällige Prominenz derdorsalen Kalkaneuskontur (Abb. 22.5). Eine Rötung ist fa-kultativ vorhanden. Diagnostisch wegweisend ist der lo-kale Druckschmerz, der in diesem Fall über dem Spaltzwischen Achillessehne und posterosuperiorer Tuberositascalcanei medial und lateral der Sehne mit dem zangenför-migen Griff zwischen Zeigefinger und Daumen ausgelöstwerden kann (Abb. 22.2b). Die kurzzeitige Schmerzfrei-heit nach diagnostischer Infiltration der Bursa mit 1 – 2Milliliter eines Lokalanästhetikums beweist die Diagnose.Gelegentlich kann bei der Punktion der Bursa ein seröses,meist zahflüssiges Exsudat gewonnen werden, wodurchdie Diagnose ebenfalls bewiesen wird.
Bildgebende Diagnostik
Im seitlichen Röntgenbild der Ferse findet sich meist eineprominente posterosuperiore Tuberositas calcanei, die vonHaglund (1928) erstmalig beschrieben wurde. Am Rönt-genbild kann diese am besten graphisch anhand der „Pa-rallel pitch Lines“ (Pavlov u. Mitarb. 1982) erkannt werden.Eine Reihe weiterer Messmethoden am seitlichen Rönt-genbild der Ferse sind bekannt, werden aber in ihrer Wer-tigkeit kontrovers diskutiert (Myerson u. McGarvey 1998,Schneider u. Mitarb. 2000). Nur bei besonders indolentenPatienten und bei betont chronischem Verlauf kann alsdiagnostisch wegweisender Befund gelegentlich eine Us-urierung der dorsalen Kalkaneuskontur nachgewiesenwerden, die druckbedingt im Sinne eines intraossärenGanglions entsteht.
Differenzialdiagnose
Besonders subkutane, retroachillär vorkommende Bursiti-den, die weitaus harmloser sind („Bump pump“), werdenoft mit der Bursitis subachillea verwechselt. Diagnostischist daneben besonders die Tatsache zu berücksichtigen,dass die Bursitis subachillea eher selten isoliert auftrittund meist im chronischen Stadium eine Degenerationder darüberliegenden Achillessehne und ihres Gleitgewe-bes induziert, die in jedem Falle mit zu behandeln ist.Beim Kind tritt die Bursitis subachillea, im Vergleich mitder Apophysitis calcanei, selten auf.
Grundsätzlich ist daneben die Differenzierung aller fer-sennahen Schmerzsyndrome notwendig (s. Tab. 22.3)(Lohrer 1991).
Therapie
Konservative Therapie
Zunächst sollte versucht werden, eine externe mecha-nische Irritation der Bursa subachillea zu reduzieren.Dazu haben sich individuell angeformte, anatomische Sili-konfersenschalen, sowie gegebenenfalls die Zurichtungder harten Fersenschale eines Schuhes oder Sportschuhesdurch Freilegung und Weichpolsterung bewährt. Eine mo-derate Fersenerhöhung bis zu einem Zentimeter kannsinnvoll sein. Bei der physiotherapeutischen Behandlungstehen antiphlogistische Stromformen (Hochvolt, Ionto-phorese) im Mittelpunkt. Die lokale, intrabursale Injektionmit Corticosteroiden ist bei diesem Krankheitsbild aus-nahmsweise möglich. Dabei sollte ein wasserlösliches De-xamethasonpräparat benutzt werden, um eine iatrogeneSchädigung der distalen Achillessehne auf jeden Fall zuvermeiden. Eine sichere Infiltrationstechnik muss gewähr-leistet sein. Zu empfehlen ist dabei ein lateral paraachillä-rer Zugang. Das Durchdringen der Bursawand lässt sicham Widerstandsverlust bei der Injektion und durch Palpa-tion der sich füllenden Bursa medial paraachillär sichern.Systemisch kann, besonders in aktivierten Phasen, einenichtsteroidale antiphlogistische oder eine Enzymmedika-
504 22 Überlastungsschäden
Abb. 22.5 Haglund-Deformität des Fersenbeines mit Bursitissubachillea und distaler Achillessehnenteilruptur (markierterSchmerzpunkt = x). Oberflächliche abgeheilte Blase durch Druckder Fersenkappe eines zu engen Laufschuhes.
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tion erfolgen. Lokale Salbenapplikationen sind nur in frü-hen, blanden Phasen wirksam. Eine Reduktion der aus-lösenden (sportlichen) Belastung oder mehrwöchige Be-lastungspausen sind meist zusätzlich erforderlich.
Operative Therapie
Verfahren 1. Nach etwa 6-monatiger, erfolgloser konser-vativer Behandlung ist die Indikation zur Operation gege-ben. Die Resektion der Bursa subachillea sowie des an-grenzenden knöchernen Haglundanteiles dient der me-chanischen Reduktion der retroachillären, präkalkanearenEnge. Über einen kosmetisch günstigen transversalenHautschnitt am Oberrand des Kalkaneus kann problemlosdie meist notwendige zusätzliche Sehnenrevision und ge-gebenenfalls eine beidseits paraachilläre Intervention bes-ser erfolgen. Meist werden aber derzeit noch paraachilläremediale und laterale Zugänge empfohlen (Myerson u.McGarvey 1998). Zunächst wird der mediale Achillesseh-nenrand präpariert, das kalkaneare Periost parallel zumSehnenrand inzidiert und der Haglundhöcker mit dem Ra-spatorium umfahren. Dabei wird die Bursa meist eröffnetund mit dem Luer entfernt. Der wesentliche Schritt desEingriffes besteht in der Resektion eines Knochendeckelsaus dem Haglundanteil, wobei die Osteotomie mit demOsteotom knapp oberhalb der Achillessehneninsertion be-ginnt und nach proximal einen mit der Achillessehne of-fenen Winkel von etwa 45° bildet. Die Osteotomie wirdmit der Feile besonders an den Kanten medial und lateralgerundet und mit Knochenwachs abgedeckt.
Verfahren 2. Das Prinzip der kalkanearen Korrekturosteo-tomie, die aufwendiger ist und sich bisher nicht allgemeinetablieren konnte, besteht in einer kalkanearen dorsalba-sigen Keilresektion. Durch Schluss dieser Osteotomie er-gibt sich ein vergrößertes retroachilläres Volumen (Ste-phens u. Borton 1998).
Verfahren 3. In jüngster Zeit werden gelegentlich endo-skopisch assistierte Verfahren angegeben, bei denen aus-gehend von einer Bursoskopie Resektionen der Bursa sub-achillea und des Haglundanteiles des Fersenbeines durch-geführt werden. Diese haben bisher allenfalls experimen-tellen Charakter.
Nachbehandlung
In der unmittelbaren postoperativen Phase ist eine Immo-bilisierung, beispielsweise in einer dorsalen Unterschen-kel-/Fuß-Schiene, die am Ende des Eingriffes angelegt wer-den soll, sinnvoll, um die Gefahr einer Nachblutung zureduzieren. Bei komplikationslosem Heilverlauf kann be-reits vier Tage postoperativ die funktionelle Behandlungim Stabilschuh (s. Abb. 22.4) mit 1 – 1,5 cm Fersenerhö-hung begonnen werden. Vollbelastung ist bereits nach5 – 6 Tagen möglich. Der Stabilschuh muss für 4 Wochengetragen werden. Eine sukzessive Reduktion der Fersen-erhöhung erfolgt zwischen der 4. und 7. Woche. In derfrühen Phase der Wundheilung sind Lymphdrainagen
und Hochvolt sinnvoll. Der Übergang zur Laufbelastungerfolgt je nach Lokalbefund und nach subjektivem Befin-den nach 6 – 8 Wochen. Sind Zusatzeingriffe an der Achil-lessehne erforderlich geworden, so wird der sportliche Be-lastungsaufbau durch diese limitiert.
Komplikationen
Verletzungen des N. suralis, aber auch ungenügende(Myerson u. McGarvey 1998) und überzogene Resektionendes Haglund-Höckers können Ursache postoperativ anhal-tender Beschwerden sein. Daneben sind postoperative Be-schwerden häufig durch zusätzliche, präoperativ nichtidentifizierte Erkrankungen der distalen Achillessehne(distale Partialrupturen, Insertionstendopathien, Parate-nondegenerationen) zu erklären. Wird die Pseudoexostosevon medial mit dem Osteotom abgetragen, so besteht dieGefahr einer iatrogenen Sehnenverletzung besonders imlateralen Sehnenanteil, wo die Sehne nicht ausreichenddurch Hohmann-Hebel geschützt werden kann. Der ven-trale Anteil der Achillessehne ist besonders bei endosko-pischen Verfahren (Kugelfräse) gefährdet. Eine zu distaleResektion birgt die Gefahr eines Achillessehnenausrisses.
Ergebnisse
Berichte über durchgehend gute Ergebnisse der operativenInterventionen bei der Bursitis subachillea haben meistanekdotischen Charakter. Größere Untersuchungen (An-germann 1990, Schneider u. Mitarb. 2000, Schepsis u. Mit-arb. 1994) weisen auf vergleichsweise schlechtere Resul-tate hin (s. Tab. 22.4).
LiteraturAngermann, P. (1990): Chronic retrocalcaneal bursitis treated by
resection of the calcaneus. Foot Ankle 10: 285 – 287Haglund, P. (1928): Beitrag zur Klinik der Achillessehne. Z Orthop
Chir 49: 49Lohrer, H. (1995): Sport orthopaedics in athletics – an analysis of
the current situation. New Studies in Athletics 10 (4): 11 – 21Myerson, M.S. , W. McGarvey (1998): Disorders of the insertion of
the achilles tendon and achilles tendinitis. J Bone Jt Surg. 80-A:1814 – 1824
Pavlov, H. u. Mitarb. (1982): The Haglund syndrome: initial anddifferential diagnosis. Radiology 144: 83
Schepsis, A.A., C. Wagner, R.E. Leach (1994): Surgical managementof achilles tendon overuse injury. A long-term follow-up study.Am J Sports Med 22: 611 – 619
Schneider, W., W. Niehus, K. Knahr (2000): Haglund’s syndrome:disappointing results following surgery – a clinical and radio-graphic analysis. Foot Ankle Int 21: 26 – 30
Stephens, M.M., D.C. Borton (1998): Dorsaler Fersenschmerz: ope-rative Therapie. In: Wülker, N., M. Stephens, A. Cracchiolo III:Operationsatlas. Fuß und Sprunggelenk. Enke, Stuttgart:351 – 357
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22.1.5 Pathologien der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne
Synonyme
Die Begriffe Tendinitis oder Tendinose der M.-flexor-hallu-cis-longus-Sehne, Tendovaginitis der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne, schnellender Großzeh, Hallux saltans oder„Trigger toe“, sowie „Jogger’s foot“ bezeichnen chronischeSchädigungen der Sehne des M. flexor hallucis longus undihrer Umgebung.
Definition
Partialrupturen und Knötchen der M.-flexor-hallucis-lon-gus-Sehne auf degenerativer Basis und/oder Tendovagini-tiden an der Umlenkstelle der Sehne im Bereich des osteo-fibrösen Kanales am dorsomedialen Talus.
Ätiologie
Pathologien der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne resultie-ren aus Tendovaginitiden, Stenosen des osteofibrösen Ka-nales am dorsomedialen Talus, die idiopathisch oder durchein Os trigonum ausgelöst sein können. Eine relative Ste-nose resultiert aus einem hypertrophen, tief ansetzendenmuskulären M.-flexor-hallucis-longus-Anteil oder durchTeilrisse der Sehne, verbunden mit degenerativen Schwel-lungen.
Pathogenese
Die M.-flexor-hallucis-longus-Sehne ist in ihrem Verlaufvom distalen Unterschenkel zur Fußsohle von einer Seh-nenscheide umgeben. Diese Sehnenscheide zieht mit derSehne am dorsomedialen Talus, medial des Processus pos-terior tali durch einen osteofibrösen Kanal, dessen Volu-men durch ein straffes bindegewebiges Dach limitiert ist.In diesem Kanal wird die Sehne in ihrem Verlauf fastrechtwinklig umgelenkt. Sportliche Belastungen mit Beto-nung der Zehenspitzenbeanspruchung besonders durchBallett bedingen eine hohe Belastung und Beanspruchungder M.-flexor-hallucis-longus-Sehne und haben eine Hy-pertrophie des Muskels zur Folge. Dieser kann bei Dorsal-extension von Großzehe und Sprunggelenk nicht frei indie proximale Öffnung des osteofibrösen Kanales eintau-chen („Flaschenhalszeichen“). Besonders bei Technikver-änderungen und bei abrupten Belastungssteigerungenkann eine Tendovaginitis auftreten, die auch krepitieren-den Charakter haben kann. Im höheren Trainingsalter sinddegenerative Veränderungen der Sehne nachweisbar, diezu längsverlaufenden Partialrissen und zu fusiformenSchwellungen der Sehne führen. Diese Sehnenknötchensind die Ursache eines funktionellen Hallux rigidus. Wiebeim schnellenden Daumen kommt es dabei beim aktivenFlektieren und Extendieren im passiv frei beweglichen
Großzehengrundgelenk zu einem plötzlichen Schnappen(„trigger toe“), welches durch den abrupten Ein- und Aus-tritt des Knötchens in den unelastischen osteofibrösenKanal entsteht (Sammarco u. Cooper 1998).
Epidemiologie
Pathologien der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne treten ty-pischerweise bei Ballettbelastungen auf. Ein Zusammen-hang mit anderen sportlichen Belastungen ist vergleichs-weise selten (Sammarco u. Cooper 1998). Im eigenen Kol-lektiv sind Häufungen des Krankheitsbildes bei rhyth-mischen Sportgymnastinnen und bei Stabhochspringerin-nen zu bemerken.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Das leider nur in wenigen Fällen nachweisbare, aber pa-thognomone „Schnellen“ der Großzehe wird eindrucksvollvom Patienten berichtet und demonstriert. Ein lautesKnackphänomen ist möglich. Eine Schmerzhaftigkeit pa-raachillär medial bzw. am dorsomedialen Sprunggelenktritt besonders im Zehenstand („en pointe“-Position imBallett) und bei maximal dorsalextendiertem oberenSprunggelenk („plier“-Position im Ballett) auf. Bei der kli-nischen Untersuchung liegt der Tastfinger dorsal des Ge-fäß-Nerven-Bündels in den paraachillären Weichteilenüber der Sehne, die durch passive Bewegungen der Groß-zehe im Grundgelenk leicht in ihrer Funktion palpiert wer-den kann. Dabei wird ein Druckschmerz oder gelegentlicheine Krepitation objektiviert. Daneben sollte aus einer imKnie gebeugten und im Sprunggelenk und Großzehen-grundgelenk dorsalextendierten Stellung heraus eine akti-ve Kniestreckung mit gleichzeitiger Plantarflexion vonSprunggelenkk und Großzehe erfolgen, um den Ort (dis-tale oder proximale Stenose) und die Art (Tendovaginitis,Sehnenknötchen) der Schädigung zu objektivieren (Sam-marco u. Cooper 1998).
Bildgebende Diagnostik
Die Diagnostik der Pathologien der M.-flexor-hallucis-lon-gus-Sehne erfolgt im wesentlichen klinisch. Die Röntgen-übersichtsaufnahmen des Sprunggelenkes lassen ein ätio-logisch relevantes Os trigonum gegebenenfalls leicht er-kennen.
Sonographisch kann mit einem sagittalen Achillesseh-nenlängsschnitt der distale Muskelbauch des M. flexorhallucis longus und mit einem medial paraachillärenSchrägschnitt die Sehne und ihre Sehnenscheide gegebe-nenfalls flüssigkeitsgefüllt im Seitenvergleich identifiziertwerden.
Eine exakte Darstellung des Verlaufes der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne ist kernspintomographisch nichtleicht. Bei optimaler MR-Technik findet sich häufig einehantelförmige Flüssigkeitsansammlung um die M.-flexor-hallucis-longus-Sehne mit einer typischen Einschnürung
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in Höhe des dorsalen Talus. Schädigungen der Sehneselbst, beispielsweise Längsrupturen, sind kernspintomo-grafisch nicht sicher darstellbar.
Differenzialdiagnose
Die verschiedenen Pathologien der M.-flexor-hallucis-lon-gus-Sehne sind wenig bekannt und werden daher oftübersehen beziehungsweise fehldiagnostiziert. Patientund Arzt verwechseln sie meist mit Schädigungen derAchillessehne oder mit der Bursitis subachillea. Die Be-schwerden bei der subtalaren Arthrose sind ähnlich. Eindorsales knöchernes Impingementsyndrom des Sprung-gelenkes, ausgelöst durch einen hyperplastischen Proces-sus posterior tali oder durch ein Os trigonum, kann rönt-genologisch und durch eine Schmerzprovokation bei einermaximalen passiven Plantarflexion abgegrenzt werden.
Beim „Jogger’s foot“ wird der belastungsabhängigeSchmerz zwar ebenfalls im Verlauf der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne, allerdings distaler empfunden. Ursache istdabei ein chronischer Druck auf den N. plantaris med., derdie M.-flexor-hallucis-longus-Sehne plantar bis zu ihrerKreuzungsstelle mit der Sehne des M. flexor digitorumlongus begleitet.
Therapie
Konservative Therapie
Wegen des schwellungs- oder ergussbedingten Missver-hältnisses zwischen der Größe und dem Inhalt des osteo-fibrösen Kanales am dorsomedialen Talus ist die Therapiezunächst antiphlogistisch. Lokale Salbenapplikationen undsystemische Gaben nichtsteroidaler Antiphlogistika sindsinnvoll. Infiltrationen der Sehnenscheide mit wasserlösli-chen Corticosteroiden, beispielsweise 4 mg Dexametha-son, können 1- bis 3-mal nützlich sein. Orthopädieschuh-technisch können Abrollhilfen oder versteifende Elementeunter dem Großzehengrundgelenk sowie leichte Fersen-erhöhungen die Bewegungsamplitude der M.-flexor-hallu-cis-longus-Sehne und damit den Reizzustand reduzieren.Die auslösende Belastungsform soll während der Therapiefür einige Wochen nicht ausgeübt werden.
Operatives Therapie
Wenn nach 2 – 3 Monaten konservativer Therapie dieSymptome nicht gebessert werden können, ist die opera-tive Intervention gerechtfertigt (Hamilton 1995, Kolettis u.Mitarb. 1996). Das Prinzip des Eingriffes besteht in derBeseitigung der Stenose im osteofibrösen Kanal. In Bauch-lage des Patienten und Oberschenkelblutsperre wird zwi-schen dem Hinterrand des Innenknöchels und dem me-dialen Achillessehnenrand und oberhalb der tastbarenOberkante des Kalkaneus beginnend, ein etwa 3 cm langer,leicht dorsal konvexbogiger Hautschnitt über der tast-baren Sehne des M. flexor hallucis longus angelegt. Zuvorsollte der Verlauf des Gefäß-Nerven-Bündels ventraldavon markiert worden sein. Es werden aber auch lateral
paraachilläre Zugänge beschrieben (Hamilton 1995, Kolet-tis u. Mitarb. 1996, Sammarco u. Cooper 1998). Nach derSpaltung der oberflächlichen Aponeurose des Fußes mussdas Gefäß-Nerven-Bündel dargestellt und im weiterenVerlauf nach medial oder lateral weggehalten werden.Durch Bewegung der Großzehe lässt sich die Sehne desM. flexor hallucis longus identifizieren. Die Sehnenscheidewird oberhalb des osteofibrösen Kanales eröffnet undbeim Vorliegen einer Tendovaginitis reseziert. Anschlie-ßend wird das Dach des osteofibrösen Kanales in der ge-samten Länge dargestellt und mit einer feinen Schereunter Sicht und unter Schonung der nahen neurovaskulä-ren Strukturen durchtrennt. Die Sehne des M. flexor hal-lucis longus kann jetzt stumpf unterfahren und zur In-spektion herausgezogen werden (Abb. 22.6). Eine Läsionder Sehne wird versorgt, indem Knötchen und Verdickun-gen reseziert und Längsrisse sparsam exzidiert und mitdünnem Faden (3 – 0 Vicryl oder PDS) fortlaufend vernähtwerden. Degenerative Veränderungen des distalen M. fle-xor hallucis longus, die durch seinen wiederholten Eintrittin den osteofibrösen Kanal entstanden sind (sog. Flaschen-halszeichen), sind zu exzidieren. Ein symptomatisches Ostrigonum kann von diesem Zugang aus nach lateral hindargestellt und ebenfalls entfernt werden. Die Einlageeiner Redon-Drainage ist zu empfehlen.
Nachbehandlung
Postoperativ wird für etwa 3 – 4 Tage eine dorsale Unter-schenkel-Fuß-Schiene angelegt. Anschließend erfolgt diefunktionelle Weiterbehandlung mit sukzessiver Bewe-gungsfreigabe durch Versorgung mit einem Stabilschuh(s. Abb. 22.4) oder einer Kohlefasersohle im Konfektions-schuh für 4 Wochen. Nach initialer antiphlogistischer phy-siotherapeutischer Behandlung (Hochvolt, Lymphdraina-ge) wird die aktive und passive Mobilisation der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne nach wenigen Tagen, nach Sehnen-
50722.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Abb. 22.6 Intraoperativer Situs vor der Spaltung des osteofi-brösen Kanales. Die Sehne des M. flexor hallucis longus ist intakt.Der Oberrand des fibrösen Daches des osteofibrösen Kanales istmit einem Pfeil markiert.
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nähten nach etwa 1 Woche begonnen. Entsprechend kanndie sportliche Belastung bereits nach etwa 4 Wochen be-gonnen werden, wenn keine Sehnenschäden vorliegen.Nach operativen Zusatzinterventionen an der Sehne dage-gen sollte wenigstens 8 Wochen abgewartet werden,bevor eine sportliche Belastung wieder erfolgt.
Komplikationen
Die Präparation zur Dekompression des osteofibrösen Ka-nales der M.-flexor-hallucis-longus-Sehne erfolgt in un-mittelbarer Nähe des Tibialis-posterior-Gefäß-Nerven-Bündels und muss daher äußerst sorgfältig erfolgen. Indem weichen, paraachillären Fettgewebe sind darüber hi-naus postoperative Hämatombildungen möglich, die An-lass von narbigen Rezidiven sein können. Sorgfältige Blut-stillung, Öffnen der Blutsperre und die Einlage einer Re-don-Drainage ist vor dem Wundverschluss notwendig.
Ergebnisse
In der Literatur sind die Ergebnisse nur kleiner operativerGruppen beschrieben. Dabei wird nicht differenziert, obisolierte Tenosynovitiden oder eine Kombination mit Seh-nenschäden vorlagen. Sammarco u. Cooper (1998) berich-ten über gute und exzellente Ergebnisse in 23 von 26Fällen. Kolettis u. Mitarb. (1996) hatten bei 11 von 13 Pa-tienten 2 – 10 Jahren postoperativ keine Einschränkungender Ballettfähigkeit gefunden. Hamilton u. Mitarb. (1996)fanden gute und exzellente Ergebnisse bei 30 von 41 Tän-zern nach 7 Jahren.
LiteraturHamilton, W.G. (1995): Impingement syndromes. In: D.E. Baxter:
The foot and ankle in sport. Mosby, St. Louis: 23 – 41Hamilton, W.G., M.J. Geppert, F.M. Thompson (1996): Pain in the
posterior aspect of the ankle in dancers. J Bone Jt Surg 78-A:1491 – 1499
Kolettis, G.J., L.J. Micheli, J.D. Klein (1996): Release of the flexorhallucis longus tendon in ballet dancers. J Bone Jt Surg:1386 – 1390
Sammarco, G.J., P.S. Cooper (1998): Flexor hallucis longus tendoninjury in dancers and nondancers. Foot Ankle Int 19: 356 – 362
22.1.6 Peronealsehnenschäden
Synonyme
Tendinitis und Tendinosen sowie degenerative, chronischeRupturen der Mm. peroneus brevis und longus verursa-chen ebenso einen lateralen Fuß- und Fersenschmerz wiedie rezidivierende Peronealsehnenluxation.
Definition
Posttraumatisch belastungsabhängig auftretende Schmerz-syndrome an der lateralen Ferse beziehungsweise lateralretromalleolär, auch mit akuten Schmerz- und Instabili-tätsereignissen einhergehende Schäden der Peronealseh-nen (Tendinosen, Längsrupturen) und ihrer Sehnenschei-den (Tendovaginitis) beziehungsweise ihrer retromalleolä-ren Fixierung (rezidivierende Peronealsehnenluxation).
Ätiologie
Besonders nicht austrainierte Sportler mit intensiver Seit-wärtsbelastung (Tennis, Squash), die im Training die Be-lastung schnell steigern, sind anfällig für peroneale Seh-nenschäden. Häufig besteht eine Koinzidenz mit supinato-rischen Umknickereignissen. Besonders wenn keine rele-vante sportliche Belastung besteht, sollte eine laborche-mische Abklärung bezüglich einer systemischen, rheuma-tischen Prädisposition erfolgen.
Eine Abflachung der Malleolarrinne, kombiniert miteinem konstitutionell oder posttraumatisch anlässlicheines Inversionstraumas erworbenen Instabilität des Reti-naculum mm. peroneorum superius, und/oder eine Läsiondes knorpeligen Randes (Labrum) der Gleitrinne prädis-poniert zur Luxation der Peronealsehnen (Jäger u. Wirth1978). Das Risiko zur Luxation der Peronealsehnen wirddurch eine Valgisierung des Rückfußes (Knicksenkfuß)weiter erhöht (Sammarco 1995).
Pathogenese
Abrupte Belastungsanstiege besonders nach Phasen ver-minderter Beanspruchung (Trainingspause), beispielswei-se nach Verletzungen oder beim Wechsel von Sand- aufKunststoffbeläge beim Tennis, können Tendovaginitideninduzieren. Degenerative Veränderungen entstehen in derM.-peroneus-brevis-Sehne an der Umlenkstelle retromal-leolär, da sie dort sandwichartig zwischen Außenknöchelund M.-peroneus-longus-Sehne unter Kompression gerät.In fortgeschrittenen Fällen entstehen etwa 5 cm langeLängsrisse in diesem Bereich, die eine Tendovaginitis zu-sätzlich unterhalten können.
Die Sehne des M. peroneus longus degeneriert und rup-turiert meist unterhalb des Außenknöchels, etwa in Höhedes inkonstant nachweisbaren Os peroneum über demlateralen Kuboid. Neben degenerativen Partialrissen, dieeine lokale Auftreibung der Sehne induzieren, kommt eszu kompletten Abrissen oder zu Abrissfrakturen des alsSesambein in die Sehne eingelagerten Os peroneum.
Bei forcierter Plantarflexions-/Eversionsbewegung desFußes kann eine Luxation der Peronealsehnen erfolgen,wenn entsprechende prädisponierende Veränderungenvorliegen.
508 22 Überlastungsschäden
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Epidemiologie
Verletzungen und Schäden der Peronealsehnen und ihreLuxationen sind insgesamt selten. Jäger u. Wirth 1978 be-richten über insgesamt 38 operierte Fälle mit Peronealseh-nenluxationen in 17 Jahren. Eine hohe Dunkelziffer ist al-lerdings zu unterstellen, da die Diagnostik dieser Verlet-zungen nicht leicht ist.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Wenn nach einer lateralen Kapsel-Band-Verletzung desoberen Sprunggelenks auch nach Tagen ein relevanterRestschmerz verbleibt, der sich auf die laterale Retromal-leolarregion konzentriert, so müssen Pathologien der Pe-ronealsehnen erwogen werden. Langsam und spontan beisportlicher Beanspruchung auftretender Schmerz sowieSchwellungen im Verlauf der Peronealsehnen sind hinwei-send. Palpatorisch findet sich meist eine druckdolenteSchwellung im Verlauf der Sehnen retromalleolär und dis-tal am lateralen Rückfuß. Im isometrischen Widerstands-test bei Eversion/Abduktion des Fußes sollte der Verlaufder Sehnen auf lokale Druckdolenzen palpiert werden.Eine druckschmerzhafte, knochenharte Schwellung am la-teralen Kalkaneus in Höhe der Trochlea peronealis lässt aneinen Riss der Sehne des M. peroneus longus mit Fraktureines Os peroneum denken. Gelegentlich kann der retra-hierte proximale Sehnenstumpf an der Trochlea peronealisam lateralen Kalkaneus druckdolent getastet werden.
Die Luxation der Peronealsehnen wird (allerdings in-konstant) von den Patienten als schnappendes Ereignisam Außenknöchel wahrgenommen. Häufig aber wird dieLuxation mit einem invertorischen Umknicktrauma desFußes verwechselt. Eine Provokation durch Plantarflexion/Abduktion/Eversion des Fußes gegen Widerstand kann be-sonders im Stand gelegentlich zum Luxationsnachweisführen.
Bildgebende Diagnostik
Bei Verletzungen der M.-peroneus-brevis- und meist auchder M.-peroneus-longus-Sehne können die Röntgenüber-sichtsaufnahmen (OSG und Fußwurzel in jeweils 2 Ebe-nen) dem Ausschluss rheumatisch-entzündlicher odertraumatisch knöcherner Veränderungen dienen. Ein sei-tendifferent proximalisiertes Os peroneum in der schrägenProjektion der Fußwurzel lässt einen Riss der Sehne des M.peroneus longus mit Fraktur eines Os peroneum ver-muten. Anterior-posteriore Stehaufnahmen des oberenSprunggelenks sind bei Sehnenrissen unbedingt erforder-lich, um eine monokompartimentale mediale Höhenmin-derung des OSG-Spaltes nachzuweisen.
Schmale schalenförmige knöcherne Fragmente, diedem Malleolus lateralis im a.-p. Strahlengang anliegen,sprechen für einen knöchernen Ausriss des Retinaculummm. peroneorum superius und damit für eine Luxationder Peronealsehnen (Jäger u. Wirth 1978).
Die Tenographie ist invasiv und schwer zu interpretie-ren. Sie wird mehr und mehr von der Kernspintomogra-phie verdrängt, die tendovaginitische Flüssigkeitsvermeh-rungen gut erkennen lässt. Kleine, aber klinisch relevanteSehnenläsionen werden im Kernspintomogramm oft über-sehen. Eine gezielte Fragestellung aufgrund der klinischenVoruntersuchung ist die Voraussetzung für eine gute Ein-stelltechnik, die die diagnostische Sicherheit des Kern-spintomogrammes erhöhen kann.
Differenzialdiagnose
Degenerativ-arthrotische Veränderungen im oberen undunteren Sprunggelenk sowie eine Osteochondrosis dis-secans des lateralen Talus können Schwellungen undSchmerzen in der dorsalen Außenknöchelregion verursa-chen und sind daher abzugrenzen. Ein symptomatischesOs subfibulare kann ebenfalls belastungsabhängigSchmerzen am Außenknöchel provozieren. RadikuläreS1-Läsionen führen zu einer Schmerzausstrahlung entlangder dorsalen distalen Fibula und sind durch neurologischeUntersuchungen sowie durch das Fehlen von lokalenSymptomen zu differenzieren. Hohe peroneale Nerven-schäden führen zur Funktionsminderung der Peroneal-muskulatur. Daneben sind Traktionsneuropathien des N.peroneus superficialis abzugrenzen, die ebenfalls bevor-zugt im Zusammenhang mit Supinationstraumen desSprunggelenks auftreten (Johnston u. Howell 1999).
Therapie
Konservative Therapie
Die beginnende und geringfügig ausgeprägte Symptoma-tik kann zunächst durch mehrwöchige Belastungsredukti-on oder Belastungspause sowie lokal und systemischdurch nichtsteroidale Antirheumatika behandelt werden.Physiotherapeutisch sind antiphlogistische Stromformen(Hochvolt), vor der Belastung Wärme und Dehnungen,nach der Belastung Kühlung zu empfehlen. Die orthetischeVersorgung erfolgt mit langschaftigen Innenschuhorthe-sen (z. B. Aircast), um die Beanspruchung der Peronealseh-nen im Sport zu reduzieren.
Operative Therapie
Operatives Vorgehen bei Tendovaginitis, Partialruptu-ren, Rupturen. Lassen sich die Symptome der milden pe-ronealen Sehnenpathologien trotz mehrmonatiger konser-vativer Therapie nicht beherrschen oder liegt eine Rupturvor, die primär keine Aussicht auf konservative Heilungbietet und klinisch relevante Symptome verursacht, so istdie Indikation zum operativen Vorgehen gegeben(Abb. 22.7).
Über einen retromalleolär gebogenen Hautschnitt wer-den die Peronealsehnen im Verlauf dargestellt. Zur Revisi-on wird die Sehnenscheide eröffnet und bei Vorliegeneiner Reizung reseziert. Wenn keine Luxation vorliegt,braucht das Retinaculum mm. peroneorum superius
50922.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
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nicht immer gespalten zu werden, da die Sehnen durchproximalen und distalen Zug zugänglich sind. Die Sehnenwerden mit einem Overholt unterfahren und sind so leichtauf Schädigungen, die meist auf der fibularen Seite lokali-siert sind, zu prüfen.
Degenerative, längsverlaufende Partialrupturen undRupturen sind nach sparsamer Exzision der Rissränderfortlaufend mit dünnem Faden (4 – 0 Vicryl oder Ethibond)zu verschließen.
Komplette transversale Risse (meist M.-peroneus-lon-gus-Sehne) sind nur in der frischen Phase durch direkteEnd- zu Endnaht behandelbar. Bei den häufigeren, längerzurückliegenden Rupturen wird zunächst eine Mobilisati-on des proximalen, retrahierten Stumpfes und eine End-zu Endnaht versucht. Bei einer Abrissfraktur des Os pero-neum soll das kleinere Fragment reseziert werden. Gelingtdies nicht ausreichend, so empfiehlt sich die Interpositioneines freien Sehnentransplantates. Als Transplantate eig-nen sich dazu die M.-plantaris-Sehne und zur Stabilisie-rung eines M.-peroneus-longus-Sehnenrisses die längshal-bierte M.-peroneus-brevis-Sehne. Sind die Sehnenstümpfenicht voll mobilisierbar, so kann zur Erhaltung einer Rest-funktion im Sinne der Plantarflexion und Lateralstabilisa-tion des Sprunggelenks eine Fixation an den lateralen Kal-kaneus erfolgen, die mit Hilfe von resorbierbaren Kno-chenankern (Mitek Panalok) technisch nicht aufwendigist (Sammarco 1995). Zusatzverletzungen, wie eine latera-le Kapselbandinsuffizienz des oberen Sprunggelenks, sindzusätzlich zu versorgen.
Peronealsehnenfesselung. Während bei der erstmaligenPeronealsehnenluxation durchaus ein konservativer Be-handlungsversuch (Gipsimmobilisation oder funktionelle
Stabilisation in der Aircastorthese für 6 Wochen) erfolg-reich sein kann, ist die rezidivierende Peronealsehnenlu-xation operativ zu stabilisieren (s. Abb. 22.7). Dabei wer-den zahlreiche Verfahren angegeben, deren Prinzip dieVertiefung der Malleolarrinne oder der plastische Ersatzder insuffizienten Strukturen des Retinaculum mm. pero-neorum superius ist (Jäger u. Wirth 1978).
Die anatomische Situation wird durch die Peronealseh-nenfesselung nach Viernstein (Lankes u. Mitarb. 1996) ambesten rekonstruiert. Dabei erfolgt die Verstärkungsplastikvon einem kurzen retromalleolären, distal nach ventralabbiegenden Zugang aus durch Präparation eines Periost-lappens in der Verlängerung der fibularen Insertion desRetinaculums. Durch eine Nut unmittelbar über dem La-brum der Malleolarrinne wird der Perioststreifen mit demelongierten Retinaculum in die Fibula eingezogen undüber zwei Bohrkanäle nach ventral durch transossäreNähte gespannt.
Nachbehandlung
Alle peronealen Sehnenoperationen sind nach einer kur-zen Immobilisierungsphase (etwa 1 Woche) im Unter-schenkelgipsschienenverband funktionell behandelbar.Dabei ist für größere Eingriffe (z. B. freie Sehnentransplan-tation) der Vario-Stabilschuh (s. Abb. 22.4b), nach wenigerstabilitätsgefährdenden Operationen (Längsrisse, Pero-nealsehnenfesselung) der Stabilschuh (s. Abb. 22.4a) zuempfehlen. In jedem Fall soll eine Fersenerhöhung voneinem Zentimeter für 4 – 6 Wochen erfolgen. Eine mode-rate Außenranderhöhung (0,5 cm) ist nur nach Eingriffenan den Peronealsehnen, nicht nach peronealen Sehnenfes-selungen sinnvoll.
510 22 Überlastungsschäden
Funktion o. B.
Tendovaginitis
Resektiondes Paratenon
SchnappensichtbareLuxation
Luxation
Sehnen-fesselung
degenerativer (Partial)riss(längs)
Riss(quer)
altMuskelfunktion
nicht mobilisierbar
altMuskel + Sehne
mobilisierbar
Refixation amlateralen Kalkaneus
freies Transplantat•Plantarissehne•1/2 Peronaeus- brevis-Sehne
frisch
End- zu Endnaht
Dorsolateraler Fußschmerz(retromalleoläre Schwellung und Druckdolenz)
Einschränkung•Einbeinfersenstand•Einbeinzehenstand•Isometrietest
Rissrandexzisionfortlaufende Naht
Abb. 22.7 Die Pathologien der Pero-nealsehnen.
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Die physiotherapeutische Betreuung beginnt nacheinem Tag mit Lymphdrainagen und Hochvolttherapie.Passive Mobilisationen können vorsichtig nach 2 Wochenbegonnen werden. Aktive Anspannungen sind frühestensnach 4 – 6 Wochen erlaubt.
Komplikationen
Sowohl bei Peronealsehnenfesselungen als auch bei pero-nealen Sehneneingriffen sind Rezidive möglich. Wenn sichwegen der langfristig bestehenden lateralen Instabilitätzusätzlich eine Arthrose des medialen Sprunggelenks ent-wickelt hat, so kann die dadurch induzierte statische In-version des Rückfußes mit einer Sehnenoperation nichtmehr wirksam korrigiert werden. Wundheilungsstörun-gen am lateralen Kalkaneus sind wegen der geringenWeichteildeckung möglich.
Nach Refixationen der M.-peroneus longus Sehne amlateralen Kalkaneus kann die komplexe Sehnenfunktionnicht voll wiederhergestellt werden. Eine progressive Ele-vation des Os-metatarsale-I-Köpfchens ist möglich (Sam-marco 1995). Der Patient ist präoperativ entsprechendaufzuklären. Bei langfristig bestehender Sehneninsuffi-zienz mit Vernarbungen im muskulären Bereich kannauch nach gelungener Operation die Kraft der Peroneal-muskeln reduziert bleiben.
Ergebnisse
Bezüglich der Ergebnisse der Sehneneingriffe sind in derLiteratur vorwiegend Fallbeschreibungen mitgeteilt (Sam-marco 1995). Nach peronealen Fesselungsoperationensind die Nachuntersuchungsergebnisse nahezu durchgän-gig gut. Lankes u. Mitarb. (1996) haben 10 von 20 zwi-schen 1980 und 1991 operierten Patienten nachuntersuchtund fanden bei allen Patienten Beschwerdefreiheit undreizlose Weichteilverhältnisse.
LiteraturJäger, M., C.J. Wirth (1978): Kapselbandläsionen. Biomechanik, Di-
agnostik und Therapie. Thieme, StuttgartJohnston, E.C., St.J, Howell (1999): Tension neuropathy of the su-
perficial peroneal nerve: associated conditions and results ofrelease. Foot Ankle Int 20: 576 – 582
Lankes, P., M. Krüger-Franke, B. Rosemeyer (1996): Die Operations-technik der Peronealsehnenluxation. Sportorth Sporttraumatol12: 47 – 50
Sammarco, G.J. (1995): Injuries to the tibialis anterior, peronealtendons, and long flexors and extensors of the toes. In: Baxter,D.E: The foot and ankle in sport. Mosby, St. Louis: 53 – 70
22.1.7 Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne
Synonyme
M.-tibialis-posterior-Sehnendysfunktion ist ein Begriff, dersich an die angloamerikanische Literatur anlehnt. Dane-ben werden die Termini M.-tibialis-posterior-Peritendini-tis, M.-tibialis-posterior-Sehnendegeneration oder M.-ti-bialis-posterior-Tendinose verwendet. Elongation derSehne des M. tibialis posterior und Ruptur der M.-tibialis-posterior-Sehne kennzeichnen fortgeschrittenere Stadiendes Sehnenschadens, die einen erworbenen Knick-Senk-Fuß oder Plattfuß zur Folge haben.
Definition
Eine progrediente Degeneration der M.-tibialis-posterior-Sehne mit sukzessiver Elongation und daraus resultieren-der statischer Dysfunktion (Entwicklung eines Knick-Senk-Fußes) kennzeichnet die Schädigung der M.-tibialis-poste-rior-Sehne.
Ätiologie
Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne haben nahezuausschließlich einen degenerativen Hintergrund. Eine zu-grunde liegende rheumatische Prädisposition sollte labor-chemisch ausgeschlossen werden. Der senkfüßige Athletneigt mehr zur Mikrotraumatisierung der M.-tibialis-pos-terior-Sehne.
Pathogenese
Die M.-tibialis-posterior-Sehne leistet einen wesentlichenBeitrag zur aktiven Stabilisation der medialen Fußlängs-wölbung (Kitaoka u. Mitarb. 1997). Sie wird daher beson-ders bei der Pronationsbewegung in der Standphase desLaufens und Gehens sowie bei der Landung nach Sprüngenbeansprucht. In ihrem Verlauf wird sie um den als Hypo-mochlion wirkenden Innenknöchel je nach Stellung desSprunggelenks um 0 – 90° umgelenkt. In diesem Bereichscheint eine hypovaskuläre Zone vorzuliegen (Frey u. Mit-arb. 1990).
Die M.-tibialis-posterior-Sehnendegeneration verläuftstadienhaft (Tab. 22.7). Ein langwieriger präklinischer Ver-lauf ist nahezu regelmäßig nachweisbar. Subjektiv mani-festiert sich das Krankheitsbild meist als akutes Ereignis,oft im Zusammenhang mit einem Supinationstrauma desSprunggelenks. Das Stadium I nach Johnson u. Strom(1989) ist durch eine entzündliche Reizung und/oderdurch beginnende degenerative Veränderungen derSehne gekennzeichnet. Im Stadium II kommt es durchweitere Degeneration zur Insuffizienz und Elongation derSehne, noch ohne Beeinträchtigung der Statik und Funk-tion der passiven Anteile der Fußwurzel. Im Stadium III
51122.1 Tendopathien und Insertionstendopathien
Wirth. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß (ISBN 3131262419) © 2002 Georg Thieme Verlag
schließlich entwickelt sich durch eine weitere Insuffizienzund Elongation der M.-tibialis-posterior-Sehne und dersekundären Weichteilstabilisatoren (Riss des Lig. calca-neonaviculare plantare) der medialen Fußwölbung sowiedurch funktionelles Übergewicht der antagonistischen Pe-roneus-brevis-Sehne eine fixierte Valgusstellung des Rück-fußes und eine Abduktion im Mittelfuß.
Epidemiologie
Schäden der M.-tibialis-posterior-Sehne sind eher unty-pisch für den aktiven Sportler im Leistungsalter. Der Be-ginn der M.-tibialis-posterior-Sehnenschädigung, die Frau-en dreimal häufiger trifft, liegt meist jenseits des 40. Le-bensjahres. Übergewicht und Hypertonie sollen prädis-ponierend wirken (Holmes u. Mann 1992). KompletteRisse der Sehne sind selten (Gazdag u. Cracchiolo 1997),Längsrisse sind die Regel. Einzelfälle kommen im Sportbereits bei jüngeren Patienten vor (Porter u. Mitarb. 1998).Dabei können In- und Eversionstraumen verursachendwirken.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Die Patienten können sich oft an einen plötzlich auftreten-den, undefinierbaren Schmerz am Innenknöchel und ammedialen Fuß erinnern. Ein auslösendes Ereignis (evertori-sches oder invertorisches Umknicken) wird von etwa 50%der Patienten berichtet. In der weiteren Folge kann eineVielzahl unspezifischer Symptome am gesamten Fuß auf-treten. Beschwerden beim Gehen und Laufen auf unebe-nem Untergrund und beim Halten der Balance auf einemBein sind typisch. In fortgeschrittenen Stadien tritt derbelastungsabhängige Schmerz auch an der lateralen Fuß-wurzel (Sinus tarsi und laterales USG und OSG) im Sinneeiner belastungsabhängigen Impingementsymptomatikauf. Die Entwicklung des Knick-Senk-Fußes geht einher
mit einer arthrotischen Gelenkschädigung im OSG undUSG, die zunächst lateral beginnt.
Die Inspektion des stehenden Patienten konzentriertsich auf seitendifferente Schwellungen im Bereich des me-dialen Malleolus und auf Asymmetrien der Fußstatik (ein-seitiger Senkfuß). Spezifische Tests sind der Einbeinzehen-stand und das „Too-many-toes“-Zeichen (Pomeroy u. Mit-arb. 1999, Johnson 1995). Beim „Too-many-toes“-Zeichenwerden im beidbeinigen Stand die Knie nach vorn zen-triert. Der einseitig vorhandene Pes planovalgus gibt sichdadurch zu erkennen, dass beim Blick von dorsal auf derbetroffenen Seite neben dem Außenknöchel mehr Zehenzu sehen sind, als auf der gesunden Gegenseite(Abb. 22.8). Im beidbeinig ausgeführten Zehenstand ge-lingt die Aufrichtung der Fußlängswölbung und die Inver-sion der Ferse am betroffenen Fuß weniger oder gar nicht.Sehr spezifisch ist der Einbeinzehenstandtest, der für eine
512 22 Überlastungsschäden
Tab. 22.7 Stadieneinteilung der M.-tibialis-posterior-Sehnenschäden (nach Johnson u. Strom 1998)____Stadium I Stadium II Stadium III
Sehnenzustand Peritendinitis und/oder Sehnen-degeneration
Elongation Elongation
Rückfuß mobil, unauffällige Form mobil, wenig Valgus fixiert, mäßig bis schwererValgus
Schmerz medial, umschriebenwenig bis moderat
medial, moderat, im Sehnenverlauf medial und lateral
Einbeinzehenstand geringe Schwäche mäßige Schwäche erhebliche Schwäche
Too-many-toes unauffällig positiv (gering) positiv (ausgeprägt)
Histologie Degeneration, synoviale Proliferation Sehnenauffaserung, Synovialitis schwere Degeneration
Behandlung konservativ: 3 Monateoperativ: Synovektomie, Debridement
Sehnentransfer mit M.-flexor-digitorum-longus-Sehne
subtalare Arthrodese
Abb. 22.8 Too-many-toes-Zeichen bei chronischer Ruptur derTibialis-posterior-Sehne. Beim Blick von dorsal zeigt die betroffeneSeite durch Knick-Senk-Fuß-Bildung neben dem lateralen Fußrandmehr Zehen als die gesunde Gegenseite.
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Läsion der M.-tibialis-posterior-Sehne spricht, wenn seineAusführung Schwierigkeiten bereitet oder unmöglich ist,wenn der Patient eine Unsicherheit empfindet oder wenndie Inversion des Rückfußes nicht vollständig gelingt.Frühe Stadien der Schädigung der M.-tibialis-posterior-Sehne sollen durch Schmerzhaftigkeit oder durch seiten-differente Probleme bei der 5- bis 10-fachen Wieder-holung des Einbeinzehenstandtestes bereits erkennbarsein (Mann 1993).
Bei der Untersuchung soll zunächst der Verlauf der M.-tibialis-posterior-Sehne von retromalleolar bis zu ihrerInsertion am medioplantaren Os naviculare pedis aufSchwellungen und Druckdolenzen getastet werden. DieFunktionsprüfung des Tibialis posterior erfolgt im inver-torischen Widerstandstest, der in maximaler Spitzfußstel-lung (Ausschalten der invertorischen Komponente des M.tibialis anterior) durchgeführt wird. Unter therapeuti-schen Gesichtspunkten ist die Evaluation des Rück- undMittelfußes zum Nachweis bestehender fixierter oder pas-siv korrigierbarer Kontrakturen wichtig (Pomeroy u. Mit-arb. 1999, Johnson u. Strom 1989). Neben einer fixierten,valgischen Kontraktur des Rückfußes sind im Stadium IIIauch druckschmerzhafte obere und untere Sprunggelenk-anteile (Arthrose) palpatorisch nachweisbar.
Bildgebende Diagnostik
Die Diagnose der Schädigungen der M.-tibialis-posterior-Sehne erfolgt klinisch. Röntgenübersichtsaufnahmen desFußes in 2 Ebenen und des oberen Sprunggelenks a.p.sollten seitenvergleichend und im Stehen angefertigt wer-den. In frühen Stadien lassen sich keine wegweisendenBefunde erkennen. Erst später kann die progrediente De-formierung des Fußes anhand zahlreicher objektiverMess- und Winkelwerte ebenso wie die sich entwickeln-den arthrotischen Veränderungen seitenvergleichend be-urteilt werden (Pomeroy u. MItarb. 1999).
Die sonographische Darstellung der Schäden der M.-ti-bialis-posterior-Sehne ist schwierig und gelingt nur mithochauflösenden Schallköpfen und in fortgeschrittenenFällen, wenn eine relevante Sehnenverdickung und Syno-vialitis vorliegen.
Nur der erfahrene Kernspindiagnostiker kann bereitsfrühe, und erst recht fortgeschrittene Veränderungen derSehne des M. tibialis posterior nachweisen. Die Qualitätder kernspintomographischen Aussage ist wesentlich vonder klinischen Fragestellung, das heißt von der Verdachts-diagnose abhängig.
CT und Szintigraphie haben allenfalls differenzialdiag-nostische Bedeutung.
Differenzialdiagnose
Abzugrenzen sind schmerzhafte Veränderungen der me-dialen und lateralen Beugesehnen am oberen Sprung-gelenk sowie kongenitale Knick- Senk- und Platt-Füße,die meist beidseitig auftreten. Auch M.-tibialis-posterior-Sehnenluxationen sind beschrieben (Loncarich u. Clapper
1998). Posttraumatische Fehlstellungen nach Sprung-gelenkfrakturen und laterale monokompartimentale OSG-und USG-Arthrosen, beispielsweise nach einer Osteochon-drosis dissecans oder bei tarsalen Koalitionen, können zueiner progredienten Rückfußvalgusstellung führen. Ein Ta-raltunnelsyndrom kann das Stadium I der M.-tibialis-pos-terior-Sehnenläsion imitieren.
Therapie
Konservative Therapie
Trotz des grundsätzlich progredienten Verlaufes der Schä-den der M.-tibialis-posterior-Sehne ist zunächst eine kon-servative Behandlung über mindestens 3 Monate indiziert.In den seltenen Fällen, wo der Patient einen akuten Beginn(Bagatelltrauma) schildert, und wo es sich nicht um einenkompletten Abriss der Sehne handelt, kann eine Immobi-lisation im Unterschenkelliegegips für bis zu 6 Wochenindiziert sein. Eine Belastung sollte nur dann erfolgen,wenn dabei keine Schmerzen auftreten. In den häufigenFällen zunehmender degenerativer Schädigungen der M.-tibialis-posterior-Sehne ist das Behandlungsziel dieSchmerzfreiheit und die Kontrolle der funktionellen Defor-mität (Pomeroy u. Mitarb. 1999). Neben symptomatischenphysiotherapeutischen Maßnahmen (Hochvolt) und loka-ler (Salbe) und systemischer antiphlogistischer (NSAR)Therapie, muss eine passive Unterstützung der Fußlängs-wölbung mittels Einlagen erfolgen, die besonders das Sus-tentaculum tali abfangen. Wenn bereits ein funktionellerKnick-Senk-Fuß vorliegt (Stadium II), kann zusätzlich einesupramalleoläre Stabilisierung mit einem Stabilschuh (s.Abb. 22.4) vorteilhaft sein. Im Stadium III sollte wegender kontrakten Situation lediglich eine Bettung des Fußesdurch orthopädieschuhtechnische Maßnahmen erfolgen.
Infiltrationen mit wasserlöslichen Corticosteroidensind allenfalls in Phasen sinnvoll, wo die Synovialitis denSchmerzprozess dominiert.
Operative Therapie
Verfahren 1. Im Stadium I nach Johnson u. Strom (1989)wird zunächst eine operative Exploration des M.-tibialis-posterior-Sehnenlagers von einem retromalleolären Haut-schnitt ausgehend durchgeführt. Synovialitisches Gewebewird reseziert. Degenerative Veränderungen der M.-tibia-lis-posterior-Sehne, die meist durch eine Querschnittsver-größerung erkennbar sind, werden nach Längstenotomieaus dem Zentrum der Sehne debridiert. Die Sehne wirddanach mit feinem (Vicryl oder PDS 4 – 0) Faden fortlau-fend vernäht.
Verfahren 2. Im Stadium II mit manuell noch korrigier-barem Rückfußvalgus und Insuffizienz der M.-tibialis-pos-terior-Sehne wird ein zusätzlicher Transfer der M.-flexor-digitorum-longus-Sehne empfohlen (s. Tab. 22.7). Bei nochsuffizient imponierender proximaler Tibialis-posterior-Muskel-Sehnen-Einheit kann dieser Transfer auf die M.-ti-bialis-posterior-Sehne erfolgen (Seit- zu Seitanastomose).
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Liegt eine kontrakte, unelastische proximale Tibialis-pos-terior-Muskel-Sehnen-Einheit vor, so ist der Transfer aufdas Os naviculare pedis oder das Os cuneiforme I sinnvoll(Pomeroy u. Mitarb. 1999). Der Zustand des Deltabandessollte zusätzlich evaluiert und gegebenenfalls rekonstru-iert (Naht oder Periostzügelplastik) werden (Gazdag u.Cracchiolo 1997). Eine Versorgung der in diesem Stadiumregelmäßig begleitend bestehenden Ruptur des Lig. calca-neonaviculare plantare (Pfannenband oder „spring liga-ment“) durch raffende Nähte ist für das Gelingen des Ein-griffes von entscheidender Bedeutung.
Verfahren 3. Für fortgeschrittene Fälle im Stadium II undim Stadium III sind knöcherne Eingriffe zusätzlich erfor-derlich. Dabei werden je nach Zustand der Fußwurzelge-lenke medialisierende Kalkaneusosteotomien, subtalareund talonavikulare sowie Triplearthrodesen oder kalka-neokuboidale Distraktionsarthrodesen angegeben (Pome-roy u. Mitarb. 1999).
Nachbehandlung
Weichteileingriffe im Stadium I können nach einer kurzenImmobilisationsphase bis zur Sicherung der Wundheilung(etwa 2 Wochen) funktionell mit einer Kombination auseiner medial gut stützenden Einlage und dem adipromed-Stabil-Stützschuh und mit voller Belastung behandelt wer-den.
Eingriffe mit Sehnentransfers sollten nicht vor der 4.postoperativen Woche mit der Belastung aufbauend über2 – 3 Wochen beginnen. Eine frühfunktionelle zunächstpassive, ab der 3. Woche auch aktive Mobilisation istdabei möglich.
Knöcherne Eingriffe sind meist übungsstabil. Mit demBelastungsaufbau kann nach 4 – 6 Wochen entsprechendder radiologischen Verlaufskontrolle begonnen werden.
In der frühen, unmittelbar postoperativen Phase solltebesonders bei ausgedehnteren Eingriffen regelmäßigLymphdrainage, Hochvolt und kurzzeitig systemische An-tiphlogistika (NSAR, Enzyme) eingesetzt werden.
Für Geh- und spätere Laufbelastungen, die im StadiumI nach frühestens 6, ansonsten frühestens nach 12 Mona-ten begonnen werden kann, ist auf Dauer eine Einlagen-versorgung notwendig.
Komplikationen
Die typische Progredienz der Schäden der M.-tibialis-pos-terior-Sehne kann trotz konservativer und operativer Be-handlung beobachtet werden. Meist ist das ursprünglichesportliche Niveau nicht mehr zu erreichen.
Bei operativen Interventionen ist immer die räumlicheNähe des M.-tibialis-posterior-Gefäß-Nerven-Bündels zubeachten.
Unbefriedigende Resultate treten vor allem dann auf,wenn die Rekonstruktion die bereits eingetretenen patho-logischen Veränderungen nicht ausreichend berücksich-tigt.
Ergebnisse
Gazdag u. Cracchiolo (1997) berichten über 22 Patienten,die mit Sehnentransfer versorgt wurden. 16 Patienten hat-ten nach durchschnittlich 32 Monaten ein exzellentes, 3ein mäßiges und 3 ein schlechtes Ergebnis. Die Autorenweisen besonders daraufhin, dass zusätzliche Verletzun-gen des Deltabandes versorgt werden sollen. Meist ver-blieb eine residuale Deformität des Rückfußes, allerdingsohne Beschwerden zu provozieren.
Knöcherne und Weichteilkombinationseingriffe wer-den derzeit kontrovers diskutiert, zeigen aber gute Resul-tate im kurzzeitigen Verlauf (Pomeroy u. Mitarb. 1999).Mann (1993) weist besonders darauf hin, dass der Weich-teileingriff die Fußform nur in 4 von 17 Fällen vollständigund in weiteren 7 Fällen teilweise korrigiert hat. Nachetwa 8 – 10 Jahren fand er darüber hinaus eine erneuteZunahme der Plattfußdeformität, die ein arthrodetischesVorgehen notwendig machte. Ein Befund, der präoperativmit dem Patienten besprochen werden muss. Nachunter-suchungsergebnisse bezüglich einer hohen sportlichen Be-lastbarkeit nach operativen Interventionen an der M.-ti-bialis-posterior-Sehne (Transfer) sind nur als Kasuistikenpubliziert (Porter u. Mitarb. 1998).
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514 22 Überlastungsschäden
Wirth. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß (ISBN 3131262419) © 2002 Georg Thieme Verlag
22.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
22.2.1 FunktionellesKompartmentsyndrom
Synonyme
Ventrales und dorsales Tibiakantensyndrom, Schienbein-kantensyndrom, „Shin splints“ im angloamerikanischen,Periostitis, Periostose und umgangssprachlich Knochen-hautreizung sind Begriffe, die spezielle Formen des belas-tungsinduzierten chronischen Kompartmentsyndromesam Unterschenkel umschreiben.
Definition
Chronisches Schmerzsyndrom im Bereich eines oder meh-rerer faszialer Kompartimente des Unterschenkels, aus-gelöst durch ein Missverhältnis des belastungsinduziertsich vermehrenden muskulären Volumens und der um-hüllenden, wenig elastischen Faszie mit resultierendermuskulärer Ischämie.
Ätiologie
Die sportliche Belastung durch intensives Lauftraining istder entscheidende Faktor bei der Entwicklung des funk-tionellen Kompartmentsyndromes. Meist sind abrupte Be-lastungssteigerungen nachzuweisen. Vorfußläufer sindhäufiger betroffen als Fersenläufer. Harte, moderne Kunst-stoffbeläge und Asphalt oder Beton begünstigen die Ent-stehung. Spezifische Trainings- und Wettkampfschuhe,
beispielsweise Spikes (mediales Kompartmentsyndrom)oder Skatingslanglaufski (anteriores Kompartmentsyn-drom) spielen eine wichtige ursächliche Rolle.
Pathogenese
Die Muskulatur des Unterschenkels ist in 4 abgrenzbarefasziale Kompartimente eingebettet (Abb. 22.9). Für dieEntstehung funktioneller Kompartmentsyndrome sind be-sonders das tiefe posteriore, das anteriore und das lateralerelevant.
Die repetitive Belastung der Muskulatur im Sport führt,besonders bei exzentrischer Arbeitsweise, zu einer Flüs-sigkeits- und damit Volumenzunahme im Intra- und Ext-razellulärraum. Die elastische Kapazität der straffen fas-zialen Hüllen im tiefen posterioren, anterioren und imlateralen Kompartment des Unterschenkels wird dabeiüberschritten. Die Erhöhung des intrakompartimentalenDruckes führt zu einer Reduktion der arteriellen und ve-nösen Durchblutung (Styf u. Mitarb. 1987) und zu einerAbnahme der muskulären Sauerstoffversorgung (Mohleru. Mitarb. 1997). Die Anreicherung saurer Stoffwechsel-produkte erhöht die Membranpermeabilität und führtschließlich zu einer weiteren ödematösen Schwellung(Schon u. Clanton 1995). Dieser Circulus vitiosus unterhältdas Schmerzbild, verschlechtert die Muskel- und Nerven-funktion und führt schließlich zu deren Degeneration undNekrose im entsprechenden Kompartment.
Die Prädisposition zur Entwicklung des medialen tiefenund des vorderen Kompartments ergibt sich durch spezi-fische Beanspruchungsmuster der entsprechenden Mus-
51522.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
anteriores Kompartment
tiefes posterioresKompartment
oberflächlichesposteriores
Kompartment
laterales Kompartment
Abb. 22.9 Die 4 faszialen Kompart-mente des Unterschenkels.
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keln. Die Muskeln des tiefen medialen Kompartments (M.tibialis posterior, M. flexor digitorum longus, M. flexorhallucis longus, M. popliteus) dienen der funktionellenStabilisierung der Fußlängswölbung sowie als „Pronati-onsbremse“. Hohe Pronationsgeschwindigkeiten tretenbesonders beim Laufen auf harten Böden (Asphalt, Beton,Kunststoffbahn) auf und induzieren hohe Bremskräfte imentsprechenden Muskel und seiner Sehne. Die Muskulaturdes vorderen Kompartments wird besonders durch eineFußhebung beansprucht, wie sie bei der Rückholbewe-gung des Skatingskies oder beim Ausheben des Spikeschu-hes auf einer Kunststoffbahn typischerweise vorkommt.
Epidemiologie
Das funktionelle Kompartmentsyndrom ist einer der häu-figsten Sportschäden. In der eigenen Sprechstunde tritt esinsgesamt in 2,5% auf (Lohrer 1995). Bei aktiven Leicht-athleten der Disziplinen Sprint, Sprung und Lauf ist dasmediale Tibiakantensyndrom nach der Achillodynie undder Stressfraktur der dritthäufigste Sportschaden (Lohreru. Mitarb. 1999). Auffällig ist, dass sowohl das durch-schnittliche kalendarische (24 ± 8 Jahre) als auch das Trai-ningsalter (6 ± 4 Jahre) im Vergleich zur Achillodynie er-heblich niedriger liegt (Lohrer 1995). Das funktionelleKompartmentsyndrom tritt ausschließlich assoziiert mitsportlicher Beanspruchung auf und wird durch weitereBelastung unterhalten oder verschlimmert. Ein beidbeini-ges Auftreten wird in bis zu 80% der Fälle berichtet (Det-mer u. Mitarb. 1985). Besonders Ausdauersportler (Lang-streckler, Jogger, Orientierungsläufer, Triathleten) sind ge-fährdet (Järvinnen u. Mitarb. 1989). Aber auch Sprinterund Springer (mediales funktionelles Kompartmentsyn-drom) sowie Skilangläufer (anteriores funktionelles Kom-partmentsyndrom) sind gehäuft betroffen.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Die Diagnose des funktionellen Kompartmentsyndromswird im wesentlichen auf der Basis der klinischen Konstel-lation gestellt (Segesser 1983). In der Anamnese muss eineeindeutige Assoziation zu sportlicher Belastung herzustel-len sein. Bereits früh nach Belastungsbeginn tritt eineSchmerzhaftigkeit über dem betroffenen Kompartmentauf, die einen diffusen Charakter hat und anfangs biszum Belastungsende, später bis zu einigen Stunden odersogar Tagen danach anhält (Järvinnen u. Mitarb. 1989). Infortgeschrittenen Stadien zwingt der sich progredient ent-wickelnde Schmerz zum Belastungsabbruch. Eine Druck-dolenz und Hypertonus besteht besonders während undkurz nach der auslösenden Aktivität über dem betroffenenKompartment, beim tiefen medialen funktionellen Kom-partmentsyndrom auch an der dorsomedialen Tibiakanteim mittleren und unteren Drittel. Meist sind abrupte Ver-änderungen im Trainingsregime, beispielsweise der Über-gang zu vermehrten Tempoläufen in Spikesschuhen beiLäufern im Frühling anamnetisch nachzuweisen. Entspre-chendes gilt für einen nicht ausreichend vorbereitetenWechsel des Trainingsuntergrundes oder für den Über-gang auf einen neuen Sportschuh.
Par- und Hypästhesien in der medialen Fußwölbung alsHinweis für ein tiefes mediales funktionelles Kompart-mentsyndrom oder im ersten Interdigitalraum beim ante-rioren funktionellen Kompartmentsyndrom oder am dis-talen anterolateralen Unterschenkel beim lateralen Kom-partment sind selten und nur in schweren Fällen nach-zuweisen. Dies gilt auch für eine Schwäche der betroffenenMuskeln (Dorsalextension = vorderes Kompartment, Ever-sion = laterales Kompartment, Inversion = tiefes dorsalesKompartment).
Bei einem langfristig bestehenden funktionellen Kom-partmentsyndrom kann es zu muskulären Kontrakturendurch degenerativ-narbigen Umbau infolge hypoxämiebe-dingter Nekrose von Myofibrillen kommen (Abb. 22.10).
516 22 Überlastungsschäden
Abb. 22.10 Strukturelle Schädigung des M. flexor digitorum longus (Degeneration und Kontraktur)beim chronischen Kompartmentsyndrom einer Langstreckenläuferin.
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Bildgebende Diagnostik
Eine Röntgenübersichtsaufnahme des Unterschenkels mitoberem Sprunggelenk in 2 Ebenen ist grundsätzlich not-wendig. Für das funktionelle Kompartmentsyndromspricht ein unauffälliger knöcherner Befund oder einenicht umschriebene Kortikalisunruhe.
Eine Skelettszintigraphie kann zum Ausschluss einerStressfraktur sinnvoll sein. Ein chronisches, funktionellesKompartmentsyndrom sollte dabei allenfalls eine geringeund diffuse Mehrbelegung der Tibiakante in der Spätphaseerkennen lassen.
Auch die Kernspintomographie dient vorwiegend diffe-renzialdiagnostischen Überlegungen. Die Spektroskopie(Mohler u. Mitarb. 1997) und NMR-Spektroskopie auchnach Belastung kann bisher nicht als zuverlässig und aus-reichend empfohlen werden (Balduini u. Mitarb. 1993).EMG und NLG sind Einzelfällen vorbehalten und sindkaum von diagnostischem Wert.
Zur sicheren Bestätigung der Diagnose wird in der Li-teratur allgemein die Messung des intrakompartimentalenDruckes in Ruhe, bei und nach definierter Belastung undfür einen bestimmten Zeitraum danach empfohlen (Styf u.Mitarb. 1987, Styf 1988, Rorabeck u. Mitarb. 1988, Willy u.Mitarb. 1999).
Differenzialdiagnose
Styf (1988) grenzt vom chronisch funktionellen Kompart-mentsyndrom die „Periostitis“, Nervenkompressionssyn-drome, Stressfrakturen, Muskelhernien und venöse Insuf-fizienzen ab. Muskelverletzungen (Zerrungen, Faserrisse)können die Symptomatik imitieren. Radikuläre (L4 –S1)und pseudoradikuläre Schmerzsyndrome müssen erwo-gen werden.
Therapie
Konservative Therapie
Das chronische funktionelle Kompartmentsyndrom wirdvom Athleten häufig lange latent toleriert, bevor eine Vor-stellung beim Arzt erfolgt. Spontane Remissionen nach derAdaptation an eine neue Belastungsstufe sind möglich.
Wissenschaftliche Belege zum Wert der konservativenTherapie fehlen. Dennoch wird allgemein empfohlen, dieBehandlung konservativ und mit einer Belastungsmodifi-kation oder Belastungspause zu beginnen (Wiley u. Mit-arb. 1987). Eine Reduktion von Intensität und Volumen derauslösenden Belastung zugunsten eines kompensatori-schen Trainings (Radfahren oder Aqua Jogging) ist immererforderlich. Für die spezifische Beanspruchung muss dieSchmerzgrenze respektiert werden. Wesentlich ist aucheine Adaptation des Trainingsuntergrundes (weicheBöden statt Asphalt und Kunststoff) sowie ein Wechselder Trainingsschuhe (Joggingschuhe statt Spikes). Eine ge-zielte Sportschuheinlagenversorgung ist in jedem Fallsinnvoll (Lohrer 1989).
In aktivierten Phasen sind systemische antiphlogistischeMedikamente (nichtsteroidale Antiphlogistika, Enzyme)sowie Salbenverbände zur Nacht zu empfehlen. Hochvolt-therapie, milde Wärme und nach Belastungen Kryotherapiesind sinnvoll. Eine muskuläre Dysbalance ist im Rahmeneines funktionellen Beinachsentrainings krankengymnas-tisch auszugleichen. Die intrakompartimentale Infiltrationwässriger Corticosteroidlösungen (4 – 8 mg Dexamethason)ist möglich und kann mehrfach wiederholt werden.
Operative Therapie
Das Prinzip der operativen Intervention beim chronischenfunktionellen Kompartmentsyndrom besteht in der longi-tudinalen Spaltung der Faszie des entsprechenden Kom-partments (Fasziotomie). Neben offenen Techniken (Rora-beck u. Mitarb. 1983, Schepsis u. Mitarb. 1993) werdenjetzt auch endoskopisch assistierte Techniken angegeben(Ota u. Mitarb. 1999).
Nachbehandlung
Unmittelbar postoperativ kann für 1 – 2 Tage eine Unter-schenkel-Fuß-Schiene angelegt werden, aber auch die un-mittelbare funktionelle postoperative Therapie ist möglich(Järvinnen u. Mitarb. 1989, Schepsis u. Mitarb. 1993). Einevolle Entlastung an Unterarmgehstützen ist für 2 – 3, eineTeilentlastung für weitere 2 Tage zu empfehlen. Anschlie-ßend sollte ein physiotherapeutisch geleitetes Dehn- undKräftigungsprogramm eingeleitet werden. Lymphdraina-gen und Hochvolt ergänzen die postoperativen Maßnah-men. Mit aufbauender Laufbelastung kann nach 5 – 6 Wo-chen begonnen werden. Die volle Belastbarkeit im Sport(Wettkampffähigkeit) ist nach 6 – 12 Wochen anzustreben.
Komplikationen
Als Hauptgefahr des Eingriffes ist das Blutungsrisiko zunennen. Besonders bei endoskopischer Technik und beimtiefen medialen Kompartment können Gefäße (V. saphe-na) und Nerven (N. saphenus) akzidentell verletzt werden.Die Anatomie der verschiedenen Muskellogen (Cheney u.Mitarb. 1998) muss bei der Operation genau beachtet wer-den, um Rezidive und unvollständige Fasziotomien zu ver-hindern. Järvinnen u. Mitarb. (1989) geben belastungs-abhängigen Restschmerz, Hyperästhesien und Narben-schmerzen als seltene postoperative Probleme an. Darüberhinaus ist eine überschießende Narbenbildung über demfasziotomierten Muskel möglich. Beim Release des latera-len Kompartments ist eine iatrogene Schädigung des N.peroneus superficialis möglich (Schepsis u. Mitarb. 1999).
Ergebnisse
Konkrete Daten zu den Ergebnissen der konservativenTherapie beim chronischen funktionellen Kompartment-syndrom sind nicht publiziert, obwohl diese immer voreiner operativen Intervention empfohlen wird (Wiley u.Mitarb. 1987, Schon u. Clanton 1995).
51722.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
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Schepsis u. Mitarb. (1999) haben prospektiv 30 Faszio-tomien bei chronisch funktionellem Kompartmentsyn-drom nachuntersucht und fanden beim isolierten Releasedes anterioren Kompartments 8 exzellente, 6 gute und 1mäßiges Ergebnis, bei gleichzeitiger Fasziotomie des ante-rioren und des lateraten Kompartments waren es 5 exzel-lente, 8 gute, 1 mäßiges und 1 schlechtes Ergebnis. Dievolle sportliche Belastbarkeit war beim monokompar-timentalen Vorgehen bereits nach 8,1 Wochen, beim bi-kompartimentalen Eingriff nach 11,4 Wochen und bei bi-lateralen Eingriffen erst nach 12,2 Wochen erreicht.
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22.2.2 Stressfrakturenvon Tibia und Fibula
Synonyme
Als Marschfraktur wurde der Überlastungsschaden desKnochens 1855 in die Literatur eingeführt (Breithaupt1855). Heute ist der Begriff Ermüdungsbruch mehr geläu-fig. „Stressreaktion“ wird uneinheitlich, entweder alsÜberbegriff für alle Überlastungserscheinungen am Skelettgebraucht, oder es werden Stadien bezeichnet, in denenmit bildgebenden Verfahren (noch) kein Fraktur- oder Fis-surspalt erkennbar ist (Graff u. Heinold 1987, Jones u. Mit-arb. 1989). Grimston u. Zernicke (1993) meinen mit Stress-reaktion eine physiologische Reaktion des Knochens aufrepetitive Belastung.
Definition
Die Stressfraktur entsteht durch Akkumulation repetitiveingeleiteter reaktiver, aber als Einzelreiz physiologischerBelastung. Dieser Sportschaden führt über einen lokal be-schleunigten Knochenumsatz (Remodeling) zu unvollstän-digen und/oder zu kompletten Brüchen. Grundsätzlichdavon abzugrenzen ist die Insuffizienzfraktur, bei dereine physiologische Belastung in physiologischem Umfangund Intensität durch wiederholte Einleitung einen physi-kalisch minderwertigen Knochen schädigt. Als Stressreak-tion sollten präklinische Verläufe bezeichnet werden, dieals Nebenbefund im Skelettszintigramm an Orten erkenn-bar werden, wo der Athlet noch keine Schmerzen empfin-det.
Ätiologie
Aus biomechanischer Sicht ist der Trainingsfehler mit ab-rupten Steigerungen der Intensität und/oder des Umfangesdes Trainings bei der Ursachenanalyse an erster Stelle zunennen. Er kann in etwa zwei Drittel der Fälle nachgewie-sen werden (Fredericson u. Mitarb. 1995, Jones u. Mitarb.1989). Auch die Qualität des getragenen Schuhwerks undder Trainingsuntergrund (Asphalt, Beton, Kunststoff) solleine ätiologische Rolle spielen (Fredericson u. Mitarb.
518 22 Überlastungsschäden
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1995). Die Rolle der muskulären Ermüdung (Übertraining,Ende einer langen oder intensiven Belastung) und lauf-technische Auffälligkeiten (höhere vertikale Bodenreakti-onskräfte) bei Sportlern mit Stressfrakturen sind gesichert(Grimston u. Mitarb. 1991).
Giladi u. Mitarb. (1987) fanden ein höheres Stressfrak-turrisiko an Tibiae mit enger Markhöhle. Ein Zusammen-hang zur Dicke der Kortikalis bestand dagegen nicht.
Die Knochendichte ist in ihrer Wertigkeit als Risikofak-tor für Stressfrakturen umstritten (Grimston u. Mitarb.1991). Menstruationsstörungen bei Athletinnen wurdenals Risikofaktor angegeben (Myburgh u. Mitarb. 1992).Ekenman u. Mitarb. (1996) fanden bei der Analyse intrin-sischer Faktoren in der Ätiologie der Tibiastressfrakturkeine Unterschiede zur gesunden Gegenseite und zurKontrollgruppe bezüglich anthropometrischer Daten, Ge-lenkbeweglichkeit der unteren Extremitäten, Gangmusterund isokinetischer Kennwerte.
Pathogenese
Im Knochen laufen physiologischerweise permanent An-und Abbauvorgänge, die im Gleichgewicht stehen, parallelab. Als adäquater Reiz zur Stimulation der zugrunde lie-genden Osteoblasten- und -klastenaktivität werden Mik-rofrakturen diskutiert. Allgemein führt mechanische Bean-spruchung zu einer Zunahme der Mikroverletzungen undzu einem vermehrten Umsatz mit resultierender Verbes-serung der knöchernen Qualität im Sinn der Hypertrophie.Liegen Risikofaktoren oder unphysiologische Belastungenvor, so kommt es zu einem Überwiegen der schädigenden(Mikrodamage) gegenüber den reparativen Vorgängen(Remodeling). Die resultierende Akkumulation der knö-chernen Mikroverletzungen resultiert schließlich in einerzunehmenden Minderung der mechanischen Belastbarkeitdes Knochens und bei weiterem Einwirken der mecha-nischen Belastung zur Stressfraktur (Grimston u. Zernicke1993) (Abb. 22.11).
Epidemiologie
Die meisten Stressfrakturen treten zu Beginn der drittenLebensdekade auf (Brukner u. Mitarb. 1996). Aber auch amnoch nicht ausgereiften Knochen finden sich diese laufin-duzierten Sportschäden (Walker u. Mitarb. 1996). Betrof-fen von Stressfrakturen an Tibia und Fibula sind nahezuausschließlich Athleten in Sportarten mit Lauf- undSprungbelastung (Hulkko u. Orava 1987, Brukner u. Mit-arb. 1996). Für Frauen wird meist ein 2- bis 3-mal höheresRisiko angegeben (Protzmann u. Griffith. 1977, Grimston u.Zernicke 1993). Eine prospektive Untersuchung von Ben-nell u. Mitarb. (1995) belegt dagegen kein geschlechtsspe-zifisches Auftreten. Die Inzidenz einer Tibia- oder Fibula-stressfraktur liegt nach dieser Untersuchung an Leichtath-leten bei etwa 0,35 Fällen pro 1000 Trainingsstunden. Ins-gesamt entwickelten in einem Jahr etwa 10% der Proban-den eine Stressfraktur von Tibia oder Fibula. Mittel- undLangstreckler waren häufiger von Tibia- und Fibulastress-frakturen betroffen als Sprinter und Springer.
Die Tibia ist von bis zu 50% aller Stressfrakturen be-troffen (Grimston u. Zernicke 1993, Matheson u. Mitarb.1987, Geyer u. Mitarb. 1993). Über die Häufigkeit der Fi-bulastressfraktur werden unterschiedliche Angaben zwi-schen 5% (Geyer u. Mitarb. 1993) und 30% aller Stressfrak-turfälle (Brukner u. Mitarb. 1996) gemacht. BesondersLaufanfänger sind gefährdet (Fredericson u. Mitarb. 1995).Giladi u. Mitarb. (1987) finden eine höhere Inzidenz beiWeißen, im Vergleich zu Farbigen.
Milgrom u. Mitarb. (2000) haben in einer prospektivenepidemiologischen Studie an Rekruten nachgewiesen, dasssich die Stressfrakturinzidenz an der Tibia durch ein zuvormindestens 2 Jahre regelmäßig durchgeführtes Basketball-training um knapp 3⁄4 reduzieren lässt. Eine vorher betrie-bene regelmäßge Dauerlaufbeanspruchung hatte keinenEinfluss auf die Häufigkeit der tibialen Stressfraktur. Einvorausgehendes regelmäßiges Schwimmtraining dagegenerhöhte das Stressfrakturrisiko.
51922.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
Risikofaktoren
Reparation, Remodeling
Mikrofrakturen > Remodeling
Akkumulation vonMikroschäden
mechanischeBelastbarkeit
Stress- fraktur
Entwicklung derStressfraktur
ErnährungLauftechnik Ermüdung Knochenqualität hormonelle Störung
Trainingsprogramm Boden Schuh
Abb. 22.11 Die Pathogeneseder Stressfraktur (nach Grimstonu. Zernicke 1993).
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Diagnostik
Klinische Diagnostik
Stressfrakturen äußern sich durch Schmerzen im Unter-schenkel bei hochbeschleunigten Bewegungen, wie Laufenoder Springen. Die Beschwerden sind zunächst belas-tungsabhängig, bleiben aber später auch ohne Belastungkonstant (Orava u. Mitarb. 1991). Dieser Ruheschmerz istzunächst diffus, lässt sich lokal begrenzen und scheintdurch Belastung weiter provozierbar. Er wird als dumpf,ziehend oder nagend beschrieben (Schuchardt 1989).Während das Training zunächst noch eingeschränkt mög-lich ist (Graff u. Heinold 1987), steigern sich die Beschwer-den im weiteren Verlauf bis zur Belastungsunfähigkeit.Dabei ist eine Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwer-den, klinischem und radiologischen Befund oftmals ty-pisch (Graff u. Heinold 1987). Anamnestisch sind die Risi-kofaktoren zu erfragen.
Nach Matheson u. Mitarb. (1987) vergehen bis zur Di-agnose einer Stressfraktur im Mittel 13,4 Wochen. Diedurchschnittliche Ausheilungszeit beträgt nach diesen Au-toren 12,8 Wochen.
Klinisch ergeben sich eng umschriebene, druckemp-findliche Stellen an der ventralen oder der dorsomedialenTibiakante dem Innenknöchel oder dem Fibulaschaft(meist etwa 10 cm proximal der Fibulaspitze). Muskel-funktionstests sind unauffällig. Muskelatrophien sowieSchwellungen (Ödeme) und kallöse Verdickungen sind ge-legentlich tastbar. Ein Perkussionsschmerz sollte den Ver-dacht auf eine Stressreaktion des Knochens lenken (Mar-key 1987, Schmitt u. Mitarb. 1998).
Bildgebende Diagnostik
Die Diagnostik von Stressfrakturen ist selbst für den erfah-renen Sportorthopäden nicht einfach, denn Stressfraktu-ren zeichnen sich durch vielfältige Varianten bei der Dar-stellung in bildgebenden Verfahren aus. Initial sind Stress-frakturen in etwa zwei Drittel der Fälle im Übersichtsrönt-genbild nicht auffällig. Nur die Hälfte davon entwickeltjemals Röntgenzeichen. Erst nach 2 – 4 Wochen kann
man in positiven Fällen feine Fissuren erkennen. Kombina-tionen von reaktionslosen Frakturlinien, feinen Fissuren,lokaler Sklerose, Trabekelverdichtung, externem Kallusund periostalen Reaktionen kommen im Verlauf vor(Abb. 22.12).
Stressfrakturen und -reaktionen können zuverlässigmit dem Skelettszintigramm bereits früh diagnostiziertwerden (Zwas u. Mitarb. 1987). Dabei sind die Übergängevon physiologischer Anpassung zu strukturellen Um- undAbbauvorgängen fließend, abhängig davon, in welchemStadium die Veränderung angetroffen wird (Geyer u. Mit-arb. 1993, Groshar u. Mitarb. 1985). Neben der Strahlenbe-lastung besteht aber die Gefahr von falsch-positiven Be-funden (Graff u. Heinold 1987, Lohrer u. Mitarb. 1990,Geyer u. Mitarb. 1993). Die Methode ist nicht spezifisch.
Die Kernspintomograhie ermöglicht eine frühe undspezifische Diagnose der tibialen und fibularen Stressfrak-tur. Als Frühzeichen werden periostale oder Marködemegefunden (Yao u. Lee 1988, Mink u. Deutsch 1989).
Die Indikation zur Computertomographie ist allenfallsbei intraartikulären Stressfrakturen des Innenknöchelszum Ausschluss von Gelenkstufen und bei verzögertenHeilungsverläufen im Rahmen der Operationsvorberei-tung zu stellen.
Stüssi u. Mitarb. (1994) haben eine Biegefestigkeits-bestimmung am Tibiakopf mittels eines elektromecha-nischen Hammers durchgeführt. Damit könnten die me-chanischen Eigenschaften im Zusammenhang mit derStressfraktur besser erfasst werden. Die Methode hat sichaber bislang nicht verbreitet.
Differenzialdiagnose
Systemische Corticosteroidmedikationen, Osteoporose(primär und sekundär bei Endokrinopathien), Störungendes Vitamin D Stoffwechsels (Osteomalazie) und Diabetesmellitus sind Ursachen der Insuffizienzfraktur, bei dermeist eine auslösende sportliche Belastung nicht vorliegt.
Daneben müssen die chronisch sklerosierende Osteo-myelitis Garrée (Abb. 22.13), chronische Osteomyelitiden,osteogene und periostale Sarkome und knöcherne Metas-
520 22 Überlastungsschäden
Abb. 22.12 Chronische Stressfraktur der ventralen Tibiakortikalis bei einer Sprinterin.Bei diesem Typ ist die Heilungstendenz bei konservativer Therapie reduziert.
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tasen sowie das Osteoid-Osteom in jedem Falle abgegrenztwerden. Die monostotisch auftretende fibröse Dysplasieund der Morbus Paget können ähnliche Bilder zeigen.Chronische Überlastungssyndrome wie Chondropathienund Arthrose der angrenzenden Gelenke sind ebenfallsdifferenzialdiagnostisch zu berücksichtigen (Graff u. Mit-arb. 1986).
Funktionelle chronische Kompartmentsyndrome kön-nen besonders an der dorsomedialen Tibiakante dieStressfraktur imitieren.
Therapie
Konservative Therapie
Die Behandlung der typischen Stressfraktur ist grundsätz-lich konservativ und an Tibia und Fibula meist erfolgreich.Im Prinzip sind alle Beanspruchungen, die Schmerzen pro-vozieren, zu untersagen. Zunächst ist die Aufgabe der aus-lösenden reaktiven sportlichen Aktivität unbedingt zu for-dern. Diese muss in Abhängigkeit von der Aktivität derStressfraktur etwa 2 – 6 Wochen betragen (Milgrom u. Mit-arb. 1995). Eine allgemeine Gehbelastung muss meistnicht verboten werden. Gehstützen sind nur dann erfor-
derlich, wenn die Fraktur abrutschgefährdet ist (intraarti-kuläre Innenknöchelfraktur) und bereits beim GehenSchmerzen bereitet. Auf eine Gipsimmobilisation sollteverzichtet werden. Auf die Möglichkeit zu alternativemTraining wie Aquajogging oder Radfahren ist hinzuweisen.Nicht reaktives Krafttraining ist fast immer möglich undzusammen mit Dehnungsgymnastik zum Ausgleich vor-bestehender oder sich entwickelnder muskulärer Dys-balancen zu empfehlen.
Aus physiotherapeutischer Sicht scheinen allenfallsstoffwechselsteigernde, lokal hyperämisierende Maßnah-men (Fango) sinnvoll. Für Ultraschall, Phonopherese, Aku-punktur und Whirlpool konnte ein Effekt nicht gesichertwerden (Andrish 1994). Die Wirkung systemischer An-tiphlogistika auf das intra- und periossale Ödem ist nichtnachgewiesen. Wegen der analgetischen Komponente soll-ten sie allerdings nicht eingesetzt werden, um denSchmerz als Warnsignal nicht zu verschleiern.
Orhopädieschuhtechnisch kann versucht werden,durch eine Belastungsumverteilung Belastungsspitzen imVerletzungsareal zu reduzieren. Dabei steht die gezielteSportschuheinlagenversorgung mit Stützung der medialenLängswölbung im Vordergrund (Lohrer u. Mitarb. 1990).
52122.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
Abb. 22.13a–c Die chronisch sklerosierende OsteomyelitisGarrée kann eine Stressfraktur imitieren.a Seitenvergleichendes MRT (links betroffen).b Röntgenübersicht distaler Unterschenkel a.-p. Sklerose
und Unruhe der medialen Tibiakante.c Skelettszintigramm. Massive Anreicherung der linken distalen
Tibia.
a
b c
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Bei distalen Fibula- und Tibiastressfrakturen kann einefunktionell externe Schienung (Aircast) sinnvoll sein.Damit ist auch die sportliche Reintegration sicherer mög-lich.
Operative Therapie
Verfahren 1. Die operative Behandlung bei Stressfrakturenan Tibia und Fibula ist nur in seltenen Fällen bei kompli-zierten Verläufen erforderlich. Atypische Frakturformenam ventralen Tibiaschaft zeigen oft einen ungewöhnlichprotrahierten Verlauf über mehrere Jahre. Trotz der typi-schen kortikalen Hypertrophie ist die Frakturgefahr erheb-lich. Orava u. Hulkko (1984) und Orava u. Mitarb. (1991)empfehlen die operative Versorgung mit transversaler An-bohrung der hypertrophierten ventralen Tibiakortikalismit einem Bohrer, wenn die Stressfraktur nach 6 Monatenmit konservativer Therapie nicht ausgeheilt ist.
Verfahren 2. Die operative Versorgung durch Abtragungder hypertrophen Kortikalis um den Stressfrakturbereichund die Anlagerung vitaler Kortikalisspäne wurde zur Ver-sorgung der Stressfraktur der vorderen Tibiakortikalis be-schrieben (Green u. Mitarb. 1985) und kann mit der loka-len Anbohrung kombiniert werden (Schon u. Clanton1995).
Verfahren 3. Stressfrakturen des Innenknöchels sind po-tenziell abrutschgefährdet, so dass eine operative Inter-vention grundsätzlich zu diskutieren ist. Dies gilt beson-ders dann, wenn röntgenologisch eine Fissur klar zur Dar-stellung kommt (Orava u. Mitarb. 1995). Dabei werdenAnbohrungen (Orava u. Mitarb. 1995) oder offene Osteo-synthesen (Shelbourne u. Mitarb. 1988) empfohlen.
Nachbehandlung
Nach operativen Interventionen im Zusammenhang mitStressfrakturen an Tibia und Fibula ist die Nachbehand-lung frühfunktionell. Die Osteosynthese sollte in jedemFalle übungsstabil sein. Der Belastungsaufbau kann dannnach 2 – 3 Wochen begonnen werden. Bei operierten abernicht osteosynthetisierten Stressfrakturen kann nach Ab-schluss der Wundheilung der Belastungsaufbau imschmerzfreien Bereich erfolgen. Wesentlich ist, dass diesportliche, das heißt reaktive Laufbelastung erst dann ein-setzen darf, wenn über der Fraktur kein Druckschmerzmehr nachzuweisen ist. Ausheilungszeiten von 6 Wochenbis zu 6 Monaten nach operativer Behandlung sind nor-mal.
Komplikationen
Atypische Stressfrakturen (ventraler Tibiaschaft und In-nenknöchel) weisen ein erhöhtes Risiko auf, sich zu kom-pletten Frakturen akut zu verschlimmern. Das Risiko einerpseudarthrotischen Umformung ist dann besonders hoch,wenn die Belastungsrestriktion nicht lange und kon-sequent genug erfolgt. Rezidive sind besonders bei man-
gelhafter Compliance (zu früher oder zu schneller Belas-tungsaufbau) zu fürchten.
Bei operativer Behandlung sind nur die allgemeinenOperationsrisiken zu fürchten.
Ergebnisse
Die unkomplizierte dorsomediale Tibia- und Fibulastress-fraktur heilt bei konservativer Behandlung regelmäßig in6 – 10 Wochen aus. Stressfrakturen der anterioren Tibia-kortikalis (s. Abb. 22.12) sind primär prognostisch ungüns-tiger. Orava u. Mitarb. (1991) berichten, dass von 17 der-artigen Ermüdungsbrüchen 9 verzögert heilten und ope-rativ behandelt werden mussten. Mit Ausnahme eines Fal-les (Ausheilungszeit 16 Monate) waren die Patienten so-wohl nach konservativer (Range 6 – 10 Monate) als auchnach operativer Therapie (Range 5 – 9 Monate) nachdurchschnittlich 6 Monaten wieder in der Lage, ihrenSport auszuüben.
Bei medialen Malleolarstressfrakturen ist mit einerHeilungszeit von 4 Monaten bei konservativer und 6 Mo-naten bei operativer Behandlung zu rechnen (Orava u.Mitarb. 1995).
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22.2.3 M.-gastrocnemius-Schmerzund M.-soleus-Schmerz
Synonyme
Tennisbein oder Tennis-leg, Wadenmuskelzerrung.
Definition
Als Tennis-leg wird eine akut auftretende Verletzung derproximalen Sehnen-Muskel-Übergangsregion des M. gas-trocnemius medialis bezeichnet.
Ätiologie
Aufgrund der zweigelenkigen Anatomie des M. gastrocne-mius ergibt sich die besondere Gefährdung durch eineStreckung des belasteten Kniegelenkes bei dorsalexten-diert eingestelltem oberen Sprunggelenk. Diese Situationkommt typischerweise beim Tennis vor. Zusätzliche reak-tive Kräfte durch Seitwärts- oder Rückwärtsantritte akzen-tuieren die Beanspruchung der Sehnen-Muskel-Einheit.Eine besondere Verletzungsgefahr resultiert, wenn einevaskuläre Störung (arterielle Verschlusskrankheit, Variko-sis) vorliegt. Daneben sind lokale und systemische Ermü-dungserscheinungen und Koordinationsstörungen, Elekt-rolytverschiebungen und narbige Vorschäden als Risiko-faktor zu nennen.
Epidemiologie
Besonders Männer im 5. Lebensjahrzehnt sind gefährdet.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Anamnestisch lässt sich meist ein akutes Auftreten einesstechenden Wadenschmerzes beim Tennis, Squash oderBadminton angeben. Je nach Schweregrad der Verletzungsind Zerrung, Faserriss und Partialriss zu unterscheiden.Entsprechend ist die Gehfähigkeit mehr oder weniger he-rabgesetzt. Die Schmerzhaftigkeit wird im Einbeinzehen-stand akzentuiert.
Bei der Untersuchung zeigt sich nur gelegentlich einlokales Hämatom sowie eine leichte Schwellung. Palpato-risch findet sich eine lokale Druckdolenz im Sehnen-Mus-kel-Übergang des M. gastrocnemius medialis. Bei Teilris-sen kann eine Delle meist palpiert werden. Beim Thomp-son-Test kommt es zu einer Plantarflexion des Fußes.Dehnschmerz und aktiver Anspannschmerz der Waden-muskulatur sind regelmäßig nachzuweisen.
Bildgebende Diagnostik
Verletzungen des tendomuskulären Überganges des M.gastrocnemius medialis sind sonographisch gut zu erfas-sen. Das Spektrum reicht dabei von unauffälligen Befun-
52322.2 Chronischer Unterschenkelschmerz
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den bei Zerrungen über diffuse Echogenitätsminderungenbei Faserrissen bis zu abgrenzbaren anechogenen Regio-nen bei Partialrissen.
Röntgenaufnahmen sind aus differenzialdiagnostischenGründen erforderlich.
Die Kernspintomographie kann die Verletzung exakterals die Sonographie darstellen, ihre Indikation sollte aberwegen fehlender differenzialtherapeutischer Relevanz ausKostengründen eng gestellt werden.
Differenzialdiagnose
Rezidivierende Zerrungen können im Zusammenhang mitvaskulären Erkrankungen entstehen oder vorgetäuschtwerden. Wichtig ist die Abgrenzung einer hohen Achilles-sehnenruptur. Eine Fibulafraktur oder Fibula- bzw. Tibia-stressfraktur ist auszuschließen. Neoplasien des Muskelsoder der Gefäße sind ungewöhnliche Ursachen des Wa-denschmerzes (Schon u. Clanton 1995).
Gelegentlich ist der sichere Ausschluss einer tiefen Un-terschenkelvenenthrombose nur durch Dopplersonogra-phie oder Phlebographie möglich.
Therapie
Konservative Therapie
Nach der Verletzung sollte die sportliche Belastung abge-brochen werden, um eine Verschlimmerung zu vermeiden.Daneben werden initial Kryotherapie, Kompression,Lymphdrainage, Hochvolt, in schweren Fällen auch Hoch-lagerung empfohlen (Schon u. Clanton 1995). Liegt einBelastungsschmerz vor, so sollte eine Entlastung an Unter-armgehstützen empfohlen werden. In dieser Phase hatsich der Zinkleimverband bewährt. Der Belastungsaufbauund die früh begonnene Dehnungsbehandlung wird durchdie Schmerzgrenze gesteuert. Die Hämatomresorption unddie Narbenbildung wird durch den Einsatz milder Wärme,weicher Massagen (zunächst Lymphdrainagen) und durchUltraschalltherapie verbessert. Bei großen, sonographischabgrenzbaren Hämatomen kann eine Punktion versuchtwerden.
Operative Therapie
Verfahren 1. Eine Operationsindikation kann bei massivenHämatomen und Rissen in Einzelfällen gestellt werden(Schon u. Clanton 1995, Miller 1977). Wesentlich istdabei die Ausräumung des Hämatomes.
Komplikationen
Eine nicht suffiziente Ausheilung hinterlässt eine minder-belastbare Narbe, die zu Rezidivverletzungen neigt. Grö-ßere Hämatome können konfluieren und sich mit serösenHüllen ummanteln, sodass eine Resorption fraglich wird.Das Risiko für Phlebothrombosen ist durch die schmerzbe-dingte Immobilität und durch die Vermehrung des Dru-ckes im dorsalen Unterschenkelkompartiment erhöht.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der konservativen Behandlung des Tennis-leg sind gut. Die sportliche Reintegration ist meist nach3 – 6 Wochen wieder möglich.
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524 22 Überlastungsschäden
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22.3 Sinus-tarsi-Syndrom
Synonyme
Wegen der räumlichen Nähe und der anatomischen Über-schneidung von Sinus und Canalis tarsi (Sulcus calcanei)beschreibt der Begriff Canalis-tarsi-Syndrom meist dasgleiche klinische Bild.
Definition
Das Sinus-tarsi-Syndrom repräsentiert ein diffusesSchmerzbild am lateralen Sprunggelenk und im Sinus tar-si, dem verschiedene pathologisch-anatomische Substratezugrunde liegen können.
Ätiologie
Bei einer akuten Verletzung (Supinationstrauma) oder beieiner chronischen Überlastung mit Mikrotraumatisierung(rezidivierendes Umknicken) erfolgt eine Schädigung derBandstrukturen (lig. bifurcatum) im Subtalargelenk sowieeine entzündliche Reizung weiterer Weichteilstrukturen(Fett, Gelenkschleimhäute) im Sinus tarsi. Die fortgesetzteBelastung im Sinn der Pro- und Supination im Sport oderAlltag lässt die Symptomatik persistieren und führt zueiner zunehmenden Degeneration und Vernarbung derStrukturen im Sinus tarsi (O’Connor 1958). Das Sinus-tar-si-Syndrom könnte eine wesentliche Ursache der funktio-nellen Sprunggelenkinstabilität sein. Im Experiment konn-te eine posttraumatisch verlängerte peroneale Reaktions-zeit des funktionell instabilen Sprunggelenks durch Infilt-ration des Sinus tarsi mit einem Lokalanästhetikum nor-malisiert und das subjektive Instabilitätsgefühl gebessertwerden (Hla u. Mitarb. 1999).
Epidemiologie
Das Sinus-tarsi-Syndrom kann eine Komplikation einesInversionstraumas des Sprunggelenks sein. Bei etwa 70%der Patienten mit einem Sinus-tarsi-Syndrom wird ein Zu-sammenhang mit einer fibularen Kapselbandruptur desoberen Sprunggelenks oder mit einer Verletzung der M.-tibialis-posterior-Sehne hergestellt (Trattnig u. Mitarb.1995).
Ein spezieller Zusammenhang mit sportlicher Belas-tung ist nicht beschrieben.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
In der Anamnese findet sich charakteristischerweise einlateraler Fußschmerz, der oft im Anschluss an eine lateraleKapsel-Band-Verletzung des Sprunggelenkes auftritt.
Der wegweisende und für die Diagnose ausschlag-gebende Befund ist ein Druckschmerz im Sinus tarsi.
Eine Instabilität des oberen und unteren Sprunggelenksist möglich, aber nicht notwendig (Hla u. Mitarb. 1999).Eine Schwellung über dem Sinus tarsi kann vorliegen.
Eine diagnostische Infiltration des Sinus tarsi miteinem Lokalanästhetikum kann die Diagnose sichern.
Bildgebende Diagnostik
Neben Übersichtsaufnahmen des oberen Sprunggelenks in2 Ebenen ist eine schräge Übersichtsaufnahme der Fuß-wurzel zu fordern. Nur gelegentlich können degenerativeVeränderungen der hinteren Kammer des Subtalargelenksnachgewiesen werden. Die Ergebnisse gehaltener Aufnah-men des unteren Sprunggelenks sind diagnostisch nichtwegweisend (Zwipp u. Tscherne 1982), auch wenn diesemeist vorzuliegen scheinen (Hla et al. 1999). Smith (1958)und Zwipp u. Mitarb. (1991) empfehlen die subtalare Ar-thrographie, wobei vermehrte ventrale Ausbuchtungenund scharfe Gelenkrandkanten auf ein Sinus-tarsi-Syn-drom hinweisen sollen.
Mittels Kernspintomographie sind Änderungen derFettgewebssignale des Sinus tarsi, die fehlende Visualisa-tion der Bandstrukturen (Trattnig u. Mitarb. 1995) sowiefibröse Umwandlungen und unspezifisch entzündlicheVeränderungen, Synovitis und Synovialzysten (Klein u.Spreitzer 1993) als morphologisches Korrelat beschrieben.
Im Rahmen der Differenzialdiagnostik können Compu-tertomographien erforderlich werden, um Koalitionen derFußwurzelknochen oder freie Körper und degenerativeVeränderungen darzustellen.
Differenzialdiagnose
Bei einer Coalitio calcaneonavicularis, talocalcanei undcalcaneocuboidei wird der resultierende Schmerz meistim Sinus tarsi empfunden. Die seltene Stressfraktur desProcessus anterior calcanei oder des corpus calcanei istbei Langstrecklern auszuschließen. Knöcherne degenerativexophytäre Gelenkrandausziehungen oder Gelenkschädennach Kalkaneusfrakturen müssen abgegrenzt werden. Os-teochondrale oder chondrale sowie Gelenkrandfrakturensind nur schwer nachzuweisen. Periphere Mononeuro-pathien und radiculäre Schmerzausstrahlungen sind zuberücksichtigen.
Therapie
Konservative Therapie
Neben elektrotherapeutischen Maßnahmen und Ultra-schalltherapie kommt der funktionell stabilisierendenFußgymnastik eine wesentliche Bedeutung in der Behand-lung des Sinus-tarsi-Syndromes zu. Passiv sollte darüberhinaus immer eine gezielte Einlagenversorgung mit aus-reichender medialer Stützung gefertigt werden.
52522.3 Sinus-tarsi-Syndrom
Wirth. Orthopädie und Orthopädische Chirurgie: Fuß (ISBN 3131262419) © 2002 Georg Thieme Verlag
Eine ein- oder mehrmalige Infiltration des Sinus tarsimit corticoidalen Lösungen wird empfohlen (Clanton u.Schon 1993, Zwipp u. Mitarb. 1991).
Operative Therapie
Verfahren 1. Nach fehlgeschlagener konservativer Thera-pie über mindestens 3 Monate kann die Indikation zuroperativen Intervention gestellt werden. Dabei wird mit-tels eines schrägen Hautschnittes über dem Sinus tarsizunächst das Retinaculum extensorum und der Ursprungdes M. extensor digitorum brevis dargestellt und abgelöstund nach distal umgeschlagen. Die subtalare Gelenkkapselkann so dargestellt, eröffnet und das Gelenk inspiziertwerden. Freie Körper sind zu entfernen, Gelenkrandosteo-phyten sind abzutragen. Über das Ausmaß der empfohle-nen Resektion des Fettgewebes im Sinus tarsi sind sich dieAutoren nicht einig (Clanton u. Schon 1993). Instabilitätendes oberen Sprunggelenks und/oder des Subtalargelenkssind zu versorgen.
Verfahren 2. Zur Prüfung der Situation im Subtalargelenkwird in jüngster Zeit oft zur subtalaren Arthroskopie gera-ten (Frey u. Mitarb. 1994). Eine Revision des eigentlichenSinus tarsi ist dabei allerdings nicht möglich. Ein offenerEingriff muss sich gegebenenfalls anschließen.
Nachbehandlung
Nach operativer Behandlung ist für wenige Tage zur Siche-rung der Wundheilung eine Immobilisation in einer Gips-oder Kunststoffschiene sinnvoll. Danach sollte eine orthe-tische funktionelle Therapie im Stabilschuh mit medialstützender Einlage den Belastungsaufbau bis zur 6. Wochesichern. In dieser Zeit ist auch eine physiotherapeutischeMobilisation der Fußwurzel sinnvoll.
Eine laufsportliche Beanspruchung sollte bis zur 6. Wo-che postoperativ unterbleiben.
Komplikationen
Bei operativen Interventionen können Schädigungen deslateralen Astes des N. peroneus superficialis vorkommen.Eine zu großzügige Ausräumung der Fettstrukturen desSinus tarsi mit ihren neurovaskulären Elementen kann zuerheblichen Nachblutungen und zu Ernährungsstörungender Fußwurzelknochen, besonders des Talus führen.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der konservativen und operativen Behand-lung des Sinus-tarsi-Syndroms sind gut (Zwipp u. Mitarb.1991, Lowy u. Mitarb. 1985, Kuwada 1994). Clanton u.Schon (1993) geben nach Auswertung einer Literaturüber-sicht 69% exzellente und 25% gute Ergebnisse sowie 6%Therapieversager an. Brunner u. Gachter (1993) berichtenallerdings, dass bei 15 von 42 operierten Füßen Rest-beschwerden bestanden.
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22.4 Metatarsalgie
Synonyme
Spreizfußbeschwerden ist der Terminus, der auch auf-grund seiner Ungenauigkeit der Metatarsalgie am bestenentspricht. Damit ist allerdings nur eine grobe lokalisato-rische Schmerzzuordnung gegeben. Alle differenzialdiag-nostisch in Betracht zu ziehenden Krankheitsbilder sindgrundsätzlich als „Metatarsalgie“ oder als schmerzhaftenMittelfuß anzusprechen.
Definition
Der Begriff „Metatarsalgie“ bezeichnet ein Schmerzbild imBereich des Mittelfußes. Er ist ungenau und entsprichtnicht einer Diagnose, sondern einem Beschwerdebild, wel-ches durch eine Vielzahl differenter Ätiologien gekenn-zeichnet ist. Eine weitere diagnostische Spezifizierung istdaher in jedem Falle erforderlich, um eine gezielte Be-handlung einzuleiten.
Ätiologie
� Der klassische Spreizfuß entsteht durch ein Auseinan-derweichen der Mittelfußknöchelchen. In der Regelwird dafür eine im Altersverlauf zunehmende Ab-schwächung der intrinsischen, aber auch extrinsischenfußstabilisierenden Muskulatur durch Inaktivitätsatro-phie verantwortlich gemacht. Wesentliche Vorausset-zung dafür ist die mangelhafte Beanspruchung dieserMuskeln durch die moderne Schuhmode. In der Folgekommt es durch die ebenfalls zivilisatorisch bedingtehohe statische Belastung auf modernen Böden(Asphalt, Zement) zu einer Mehrbeanspruchung der in-termetatarsalen Bänder und der Ligamente der Lis-franc-Gelenklinie. Die resultierende degenerative Elon-gation dieser Bänder führt zum Absinken der Querwöl-bung des Fußes und damit zur Entwicklung des Spreiz-fußes. Die dabei entstehende Schmerzhaftigkeit istzum einen durch den chronischen Zug an den Ligamen-ten, zum anderen durch die punktuell vermehrte Belas-tung der plantaren Weichteilstrukturen unter den Me-tatarsaleköpfchen II–IV erklärbar. In diesen Regionenchronisch hohen Druckes bilden sich reaktiv Hyperke-ratosen aus, die als Schwielen bezeichnet werden. Da-neben können am medialen oder lateralen Mittelfuß-rand über den Grundgelenken des 1. und 5. Strahles –ausgelöst durch den Druck des Schuhes auf den sichausbreitenden Spreizfuß – bursitisch entzündlicheSchmerzbilder entstehen.
� Plantar verlaufen die Nn. digitales plantares communesunter dem Lig. metatarsale transversum profundumund teilen sich in die Nn. digitales plantares proprii,die die plantaren Quadranten der zugeordneten Zehensensibel versorgen. Eine chronische Erhöhung des Dru-
ckes unter dem Lig. metatarsale transversum profun-dum kann durch die Absenkung der Fußquerwölbungoder durch zusätzliche Lauf- und Sprungbelastung ent-stehen. Als Folge dieser chronischen Druckschädigungkann es zu einer Bindegewebsvermehrung im N. digi-talis plantaris unmittelbar vor seiner Teilung kommen.Die sich entwickelnde ovaläre Auftreibung des Nervenentspricht einem Pseudoneurom und ist Ausgangs-punkt der druckabhängig auftretenden Beschwerden,der Morton-Neuralgie.
� Chronische Mikrotraumatisierungen der Kollateral-bandstrukturen der Metatarsophalangealgelenke sindeinerseits im Zusammenhang mit einer progredientenAusbildung des Spreizfußes zu erklären. Andererseitskönnen metatarsophalangeale Kollateralbandverlet-zungen auch durch ein einmaliges Trauma (Hängen-bleiben oder Anschlagen) einer Zehe mit relevantemVarus- oder Valgusstress entstehen.
� Gelenkergüsse und kapsuläre Reizzustände der Meta-tarsophalangealgelenke können einerseits mechanischdurch höhere Beanspruchung bei einer Senkfußausbil-dung, aber auch entzündlich rheumatisch bedingt auf-treten.
Epidemiologie
Die Entwicklung eines Spreizfußes verläuft in der Regelasymptomatisch. Der schmerzhafte Mittelfuß ist bei Frau-en häufiger. Ein Zusammenhang mit sportlicher Belastunglässt sich beim Morton-Pseudoneurom meist konstruie-ren. Entzündliche Krankheitsbilder zeichnen sich durchRuheschmerz aus. Beim Vorliegen von Druckschwielenkann ein Schmerz bereits durch Geh- und Stehbelastungprovoziert werden.
Diagnostik
Klinische Diagnostik
Beim schmerzhaften Mittelfuß ist eine spezifische Diffe-renzierung des Beschwerdebildes notwendig, um eine ge-zielte Therapie einleiten zu können. Anamnestisch sollteein belastungs- oder ruheassoziiertes Auftreten der Be-schwerden erfasst werden. Gezielt muss nach Schwellun-gen, Rötungen und Schmerzausstrahlungen gefragt wer-den. Oft kann der Patient bestimmte Manöver angeben,die zur Schmerzreduktion führen, beispielsweise Abpols-tern bestimmter Punkte oder Gehen auf der Außen- oderInnenkante des Fußes oder Tragen bestimmter Schuhe.
Anamnestisch wird beim typischen Spreizfuß eine imTagesverlauf zunehmende und durch längere Stehphasenaktivierte Schmerzhaftigkeit plantar im Bereich der Mit-telfußköpfchen angegeben.
Bei der Untersuchung wird zunächst der Fuß im Steheninspiziert. Der Spreizfuß ist meist mit einem Hallux val-
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gus, oft auch mit einem Digitus quintus varus kombiniert.Die Vorfußbelastung (Zehenstand) kann schmerzhaft sein.
Die Fußsohle und der laterale und mediale Fußrand istsorgfältig bezüglich Druckschwielen zu untersuchen.
Spezielle Zehenfehlstellungen wie Krallen- oder Klau-enzehe (s. Kap. 8) sind bereits inspektorisch zu erfassen.Die plantaren Schwielen sind in diesen Fällen Folge dieserDeformitäten.
Manuell kann eine Hypermobilität des Mittelfußesmeist festgestellt werden. Die Querwölbung des Mittel-fußes lässt sich am entlasteten Fuß durch passive Dorsal-extension der Zehen beurteilen (Abb. 22.14). Ein positiverVorfußkompressionsschmerz weist auf eine Mitbetei-ligung der intermetatarsalen Nerven im Sinn eines Mor-ton-Pseudoneuroms hin. Zur exakten Lokalisation sollteein zangenförmiger Spitzgriff benutzt werden, der die zuuntersuchende intermetatarsale Region zwischen Dau-men- und Mittelfingerendglied komprimiert. Morton-Pseudoneurome kommen kaum im ersten und vierten In-termetatarsalraum vor.
Für den ligamentären Spreizfußschmerz dagegenspricht eine Schmerzangabe bei der passiven Vermehrungder plantaren Durchbiegung durch den Untersucher. DieSuche nach einem druckschmerzhaften Punkt muss alleMetatarsalebasisgelenke, die intermetatarsalen Anteile,die Metatarsaleköpfchen und die Metatarsophalangealge-lenke einschließen.
Gelenkinstabilitäten können durch funktionelle Stabili-tätsuntersuchungen abgegrenzt werden. Im Stehen kannsich in diesen Fällen ein Abweichen der betroffenen Zehezur gesunden Seite hin zeigen (Crossover-Phänomen).
Die Inspektion des getragenen Schuhwerkes ist obligat.Zur weiteren Differenzierung der komplexen Problema-
tik bietet sich die diagnostische Infiltration mit einem Lo-kalanästhetikum an. Dabei sind die verdächtigen anato-mischen Strukturen zeitlich versetzt gezielt zu infiltrieren,
wobei eine kurzfristig erreichte Beschwerdefreiheit zumSicherung einer bestimmten Verdachtsdiagnose zu fordernist.
Die häufige rheumatische Prädisposition ist durch ent-sprechende laborchemische Analysen zu prüfen.
Bildgebende Diagnostik
Eine Röntgenanalyse des schmerzhaften Mittelfußes istunerlässlich. Dabei müssen Übersichtsaufnahmen desganzen Fußes im Stehen und in zwei Ebenen gefordertwerden, die durch eine Mittelfußschrägaufnahme ergänztwerden sollen. Neben den statischen Messwerten (De-brunner u. Hepp 1994) können so knöcherne und Gelenk-veränderungen wie der Morbus Köhler II, eine Stressfrak-tur der Ossa metatarsalia oder rheumatisch arthritischeReizzustände diagnostiziert werden. Knöcherne Pro-minenzen, meist an den Kondylen der Grundgliedbasen,sind relevant, wenn sie mit den palpatorisch schmerzhaf-ten Punkten und mit den Hyperkeratosen korrespondie-ren.
Die Sonographie ist bei Mittelfußbeschwerden nichtrelevant.
Kernspintomographisch und skelettszintigraphisch istder Nachweis knöcherner und gelenkiger Schäden positivzu führen. Zur Vermeidung falsch negativer Befunde isteine minimale Schichtbreite zu fordern. Die Darstellungeines Morton-Neuroms ist allerdings derzeit auch kern-spintomographisch noch nicht mit ausreichender Sicher-heit möglich. Biasca u. Mitarb. (1999) geben allerdings an,dass die kernspintomographische Untersuchung der kli-nischen Diagnostik überlegen sei. Die intermetatarsale Li-gamentose ist ebenso wie die Lisfranc-Ligamentose zwi-schen der Metatarsale-II-Basis und dem Kuneiforme I infrühen Stadien bildgebend, auch mittels MRT und Skelet-szintigraphie nicht positiv darstellbar.
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Abb. 22.14a u. b Untersuchungstechnik zur Evaluation des Spreizfußes.
a Passive Dorsalextension der Zehen lässt beim gesunden Fußdie Querwölbung erkennen.
b Der Spreizfuß zeichnet sich durch eine Abflachung oderdurch eine plantarwärts gerichtete Wölbung aus.
a b
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Differenzialdiagnose
Morbus Köhler, saggitale Diastase, Morton-Neurom, meta-tarsophalangeale Instabilität, Krallenzehe, Klauenzehe,Metatarsalestressfraktur, Metatarsophalangealgelenkar-thritis (rheumatisch oder Gicht), Tumoren, Verrucae plan-tares (Abb. 22.15).
Therapie
Konservative Therapie
Grundsätzlich ist die Metatarsalgie eine Domäne der kon-servativen Behandlung, die gute Ergebnisse verspricht. Zu-nächst ist die orthopädieschuhtechnische Versorgung derMetatarsalgie in allen Fällen das therapeutische Mittel derersten Wahl. Neben einer gezielten Einlagenversorgungmit der klassischen retrokapitalen Abstützung des Spreiz-fußes muss eine Optimierung des Schuhwerks erfolgen.Dem Spreizfuß ist dabei genügend Raum zu bieten.Nähte des Schuhes dürfen nicht über Druckschwielen zuliegen kommen. Freilegungen und Weichpolsterungensind nach Bedarf in den Schuh einzuarbeiten.
Dicke Druckschwielen können mit einem Hornhautho-bel oder mit einem Bimsstein tangential abgetragen wer-den.
Systemische antiphlogistische Maßnahmen oder int-raartikuläre Infiltrationen mit Corticosteroiden sind beiaktiven entzündlichen Phasen der Metatarsophalange-algelenke indiziert.
Morton-Pseudoneurome und chronische Reizzuständeder Metatarsophalangealgelenkkapseln können auf lokaleInfiltrationen mit wasserlöslichen Corticosteroiden güns-tig reagieren.
Operative Therapie
Operatives Verfahren beim entzündeten Fußballen. Dieoperative Therapie kommt beim konservativ ausbehandel-ten Mittelfußschmerz in Betracht und orientiert sich ander spezifischen Diagnose.
Zur Versorgung des entzündeten medialen Fußballenswird im Kapitel 8.1, die operative Therapie des entzünde-ten lateralen Ballens in Kapitel 8.5. beschrieben. Prinzipiellwird versucht, durch gezielte Osteotomien eine lokaleDruckentlastung herbeizuführen. Zu empfehlen sinddabei besonders Verschiebeosteotomien an den Metatar-saleköpfchen sowie nach distal schräg verlaufende sub-kapital metaphysäre Osteotomien mit dem Ziel der Eleva-tion des Os-metatarsale-V-Köpfchens.
Operatives Verfahren bei plantaren Schwielen. Bei kon-servativ erfolglos behandelten plantaren Schwielen unterden Metatarsophalangealgelenken sind in der operativenBehandlung Osteotomien indiziert:� Kondylektomien (Coughlin 1995) sind bei eher diskre-
ten plantaren Keratosen angezeigt. Von einen Längs-schnitt dorsal über dem Metatarsophalangealgelenkausgehend wird die Zehe im Grundgelenk nach plantar90° gebeugt und es wird etwa ein Viertel des plantarenKondylus horizontal abgemeißelt. Eine passagereSpickdrahtarthrodese wird empfohlen.
� Die distale Schrägosteotomie (Pedowitz 1988) erfolgtebenfalls von einem dorsalen Längsschnitt über demMetatarsophalangealgelenk ausgehend. Dabei wirdeine geringe Proximalisierung und Elevation des Meta-tarsalköpfchens erreicht. Die Osteotomie wird mit spe-ziellen Schrauben („twist-off-screw“) oder mit Spick-drähten passager fixiert.
52922.4 Metatarsalgie
mit Schwiele ohne Hautveränderung
lateral/plantarMetatarsale-köpfchen V
plantarMetatarsale-
köpfchen II – IV
Metatarsalgie
inter-metatarsal
ohne neurolo-gische Zeichen
mit neurologi-schen Zeichen
Gelenkschwellung(Erguss)
entzündeterKleinzehen-
ballen
plantareSchwiele
(Keratose)
Hühnerauge Metatarso-phalangeal-
gelenk-Instabilität
Metatarso-phalan-
gealgelenkKapselreizung
Morton-Pseudo-neurom
Gicht rheumatoideArthritis
Instabilität ohneInstabilität
Rötung ohne Rötung
Abb. 22.15 Differenzialdiagnostischer Algorithmus bei Mittelfußschmerzen (nach Coughlin 1995).
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� Eine vertikale V-förmige Chevronosteotomie (Coughlin1995) zielt auf eine geringe Elevation des entsprechen-den Metatarsaleköpfchens ab und hat den Vorteil einerstabileren Fixation und einer größeren spongiösen Flä-che.
� Eine proximale transversale Keilosteotomie (Coughlin1995) kann mittels dorsalbasigem Keil eine Anhebungdes entsprechenden Os metatarsale erreichen. Zu be-achten ist dabei besonders, dass die Elevation des Osmetatarsale umso größer ist, je proximaler die Osteo-tomie erfolgt.
Operatives Verfahren bei Morton-Pseudoneurom. Zuroperativen Versorgung des Morton-Pseudoneuroms sieheKapitel 19.2.2. Besonders bei Sportlern sollte bei diesemEingriff das Lig. metatarsale transversum profundum mög-lichst nicht durchtrennt werden (Coughlin 1995).
Nachbehandlung
Sowohl Kondylektomien als auch Osteotomien können aufeiner unbeweglichen Sohle (beispielsweise Holzschuhoder Kohlefasersohle) bereits nach wenigen Tagen, abhän-gig von der Wundheilung, belastet werden. Die Entfer-nung des Spickdrahtes erfolgt bei Kondylektomien nach2 – 3, nach Osteotomien nach 3 – 4 Wochen. Danach sollteeine weitere funktionelle Sicherung des Ergebnisses fürnoch 3 – 4 Wochen, entsprechend der röntgenologischnachweisbaren knöchernen Durchbauung der Osteotomieerfolgen. Parallel dazu ist eine physiotherapeutische Be-handlung mit Mobilisierung des operierten Gelenkes zuempfehlen. Mit einer vollen Alltagsbelastbarkeit ist nachetwa 8 – 10 Wochen, mit der vollen Sportfähigkeit nachetwa 12 Wochen zu rechnen.
Komplikationen
Wegen der insgesamt doch geringen spongiösen Flächensind bei Osteotomien verzögerte Heilungen und Pseudar-throsen zu fürchten. Die Gefahr einer Überkorrektur be-steht besonders bei der proximalen transversalen Keilos-teotomie. Transferläsionen sind schmerzhafte Reizungenbenachbarter anatomischer Regionen, die durch bio-mechanische Belastungsumverteilung nach Osteotomienauftreten können. Aus diesem Grunde ist die Indikationfür Metatarsaleosteotomien bei Leistungssportlern mit be-sonderer Vorsicht zu stellen. Von Mehrfachosteotomien istabzuraten.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der plantaren Kondylektomien sind gut(Mann u. DuVries 1973). Osteotomien haben eine ver-gleichsweise längere Heilungszeit (Pedowitz 1988). Mannu. Coughlin (1993) geben in der Übersicht der Methodenetwa zwei Drittel schmerzfreie Ausheilungen, Restschmer-zen in etwa einem Viertel der Fälle und Transferläsionenbei etwa 10% der Fälle an. Die Operationsergebnisse sindsignifikant besser, wenn der transversale Durchmesser desNeuroms mehr als 5 mm beträgt (Biasca u. Mitarb. 1999).
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