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ist, gibt es gute Gründe, diese negativen „Beziehungskiller“ anzugehen: Sind Kinder
mit im Spiel, werden die Partner trotzdem gemeinsam Eltern und durch diese
Verbindung ein Leben lang in Beziehung bleiben. Der in dieser Arbeit evaluierte
Elternkurs „Kinder im Blick“ greift beim Thema „Umgang mit dem anderen
Elternteil“ auf dieses Wissen zurück (vgl. Abschnitt 4).
Ebenfalls von Bedeutung für Prävention und Intervention sind die Befunde zu den
Auswirkungen einer elterlichen Trennung auf die Kinder. Sie werden im kommenden
Abschnitt dargestellt.
2.3 Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf die Kinder als Ausgangspunkt für Interventionen
2.3.1 Trennungsfolgen für Kinder
Einführung
Kinder haben ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Kontinuität, weshalb
die Trennung der Eltern zunächst ihre ganze Welt ins Wanken bringt (Hetherington &
Kelly, 2003). Die widerprüchliche Befundlage zu Trennungsfolgen bei Kindern spricht
jedoch dafür, dass eine Vielzahl an Faktoren, z.B. auch die individuellen Belastungen
vor der Trennung, die kindlichen Reaktionen auf die Scheidung bzw. die Anpassung
an die Nachscheidungssituation mitbedingen. Während manche Forscher in der
elterlichen Trennung ein dauerhaftes Störungspotential sehen (Napp-Peters, 1995),
kritisieren andere diese einseitige Sicht und berichten sogar von einer Minderheit an
Kindern, die durch die Trennung eine Bereicherung an sozialen Kompetenzen erfahren
(z.B. Hetherington & Kelly, 2002). Auch deutsche Studien kommen zu dem Ergebnis,
dass eine Mehrheit der Scheidungskinder langfristig gesehen einen unproblematischen
Entwicklungsverlauf aufweist (Walper & Schwarz, 2002). Dies spricht dafür, dass eine
gesunde psychosoziale Anpassung durchaus in unterschiedlichen familialen
Lebensformen und nicht nur in Kernfamilien möglich ist (vgl. Bundesministerium für
Familie, 2006). Im folgenden Abschnitt werden die bisherigen Forschungsergebnisse
dargelegt, indem zum einen zwischen kurz- und langfristigen Trennungsfolgen für
Kinder unterschieden und zum anderen erörtert wird, welche intervenierenden oder
moderierenden Faktoren die Entwicklung der Kinder mit beeinträchtigen.
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Kurzfristige Trennungsfolgen für Kinder
Zahlreiche Studien identifizieren insbesondere kurzfristige negative Auswirkungen
einer Scheidung für die Kinder. Wie die Meta-Analyse von insgesamt 92 Studien von
Amato und Keith (1991) zeigt, enstehen gehäuft Beeinträchtigungen in folgenden
Bereichen: Externalisierendes (z.B. Aggressivität) und internalisierendes (z.B. Depres-
sionen) Problemverhalten, Schul- und Leistungsprobleme, Schwierigkeiten im
Sozialverhalten (z.B. weniger soziale Aktivitäten), Beeinträchtigungen des psy-
chischen und physischen Wohlbefindens sowie des Selbstkonzepts. Betrachtet man die
Effektstärken, scheinen die Ausprägungen jedoch eher gering zu sein. Dies bedeutet,
dass nur ein geringer Anteil der kindlichen Anpassung auf die Familienform zurück
geführt werden kann. Nachdem Amato und Keith in dieser Untersuchung feststellten,
dass die negativen Auswirkungen in den neueren Studien aus den 70er und 80er Jahren
geringer waren, wurde in einer weiteren Meta-Analyse von 67 Studien (Amato, 2001)
der Frage nachgegangen, inwieweit der gesellschaftliche Wandel hin zu einer größeren
Aktzeptanz von Trennungen und Scheidungen auch Einfluß auf die Belastungs-
symptome nimmt. Entgegen den Erwartungen konnte dieser Trend jedoch nicht
bestätigt und keine Nivellierung der Differenzen zwischen Trennungskindern und
Kindern aus Kernfamilien festegestellt werden. Vielmehr wuchs der Unterschied in
den 90er Jahren wieder an (vgl. Werneck & Werneck-Rohrer, 2003).
Diese direkt auf das Ereignis „Scheidung” folgenden Reaktionen machen deutlich,
welchen tiefen Einschnitt Kinder durch die Trennung ihrer Eltern erfahren. Die
Befunde von Schwarz (z.B. 1999) stützen die dargelegte Annahme, dass die
Scheidungszeit eine akute Krise ist, auf die Kinder verstärkt mit Selbstwertproblemen
und einer erhöhten Bereitschaft zur Regelüberschreitung reagieren (vgl. auch Brauner-
Runge, 2003). Zwei Faktoren tragen neben den Verlust- und Existenzängsten
besonders zu einer erheblichen Belastung der Kinder im Trennungsprozess bei: Zum
einen geht die Triangulierungsfunktion intakter Mutter-Vater-Kind-Familien verloren,
indem Schwierigkeiten mit einem Elternteil nun nicht mehr durch den anderen
Elternteil abgefedert (sondern im Gegenteil eher noch verschärft) werden, zum
anderen wird der kindliche Glaube an die Ewigkeit der Liebe erschüttert, was die
massiven Verlustängste von Kindern erklärt (Pokorny, 2003). Figdor (2003) kommt
angesichts solcher Belastungen zu dem Schluss, dass „ein gesundes, einigermaßen
normales Kind auf eine solche Krise reagieren muss”. Trotz dieser kurzfristigen
negativen Folgen scheint für eine Mehrheit der Kinder jedoch eine langfristige
Anpassung möglich, wie die Darstellung der Langzeitstudien im folgenden Abschnitt
zeigt (z.B. Hetherington & Kelly, 2003; Schmidt-Denter, 2000; Walper & Wendt,
2005; Wendt & Walper, 2007).
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Langfristige Trennungsfolgen für Kinder
Langzeitstudien ermöglichen eine differenziertere Betrachtung der Entwicklungs-
verläufe von Trennungsfamilien und Auswirkungen der Scheidung auf die kindliche
Anpassung über die Zeit hinweg. Nach dem Bundesministerium für Familie (2006)
kann die Literatur zu mittel- und langfristigen Trennungsfolgen für Kinder in drei
Bereiche gegliedert werden: (1) Psychische Probleme, (2) Eltern-Kind-Beziehungen
und (3) Probleme in der Partnerschaft.
(1) Psychische Probleme
Durch die Scheidung nachhaltig beeinträchtigt sind vor allem das Selbstwertgefühl,
soziale und kognitive Kompetenzen sowie die schulischen Leistungen. Zudem steigt
die Wahrscheinlichkeit von internalisierendem und externalisierendem Problem-
verhalten, wenn die Eltern ein hohes Konfliktniveau aufweisen und die Kinder in ihre
Streitigkeiten verwickeln (Bundesministerium für Familie, 2006). Auch Fthenakis
(1996) referiert, dass Scheidungskinder langfristig gesehen ein viermal höheres Risiko
haben, psychische Erkrankungen zu erleiden. Einerseits äußert sich dies durch
delinquentes Verhalten insbesondere von Jungen, andererseits zeigen diese Kinder
häufiger depressives Verhalten und sind selbstmordgefährdeter als Kinder aus intakten
Zweielternfamilien.
Aus Sicht der Psychoanalyse ergeben sich aus dem Trennungserleben sowohl
negative als auch positive Langzeitfolgen für Kinder. Als problematisch werden - wie
bereits dargestellt - ein erhöhtes Aggressionspotenzial und ein geringeres
Selbstwertgefühl gesehen. Darüber hinaus ist die Findung der eigenen Geschlechts-
identität je nach Familienkonstellation und vorhandenen Rollenvorbildern erschwert,
was sich entweder in einer starken Befürwortung oder extremen Ablehnung des
eigenen Geschlechts manifestieren kann. Des Weiteren wird der Autonomie-
bildungsprozess in der Adoleszenz gebremst, wenn sichere Bindungserfahrungen
fehlen, eine große Angst vor Liebesverlust herrscht oder aber vermehrte aggressive
Verhaltenstendenzen stärkere Auseinandersetzungen provozieren. Dem stehen jedoch
auch mögliche positive Lerneffekte gegenüber: Durch eine Trennung der Eltern lernen
die Kinder, dass es manchmal hilfreich ist, aus unguten Situationen auszubrechen und
nach besseren Alternativen zu suchen. Dies kann wiederum Gefühle der Unab-
hängigkeit, Selbstständigkeit, Flexibilität und sogar auch Selbstvertrauen vermitteln
(Figdor, 1998; zitiert nach Levnaic, 2003).
Napp-Peters (1995) zieht aus ihrer Langzeitstudie mit 269 Scheidungskindern das
Resümee, dass es nur 20% der Kinder gelingt, sich zu lebenstüchtigen Erwachsenen zu
entwickeln, wohingegen alle anderen symptombelastet bleiben und in etwa die Hälfte
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sogar mit Alkohol- und Drogenproblemen und eine Minderzahl mit Kriminalitätsde-
likten zu kämpfen hat. Einige weitere längsschnittliche Untersuchungen konnten
hingegen keine andauernden Unterschiede zwischen Trennungskindern und Kindern
aus Kernfamilien ausmachen. In einer Untersuchung des DJI wiesen Kinder aus
Einelternfamilien zwar zunächst problematische Entwicklungstendenzen auf, jedoch
nur mit geringen Effektstärken und vor allem zeigte sich keine dauerhafte
Benachteiligung in den unterschiedlichen Lebensbereichen (Walper & Wendt, 2005).
Genauso wenig konnten in der Kölner Längsschnittstudie (Schmidt-Denter, 2000), in
der sich die Belastung kurz nach der Trennung als am größten erwies, oder in
Untersuchungen anderer Forschungsgruppen (Hetherington & Kelly, 2003; Reis &
Meyer-Probst, 1999) langfristig große Unterschiede zwischen Scheidungskindern und
solchen aus Kernfamilien ausgemacht werden. Vielmehr relativieren diese Ergebnisse
die rein negative Sichtweise und attestieren der Trennung sogar teils eine positive
Wirkung, wie aus Sicht der Psychoanalyse bereits angenommen: Manche Kinder
waren in der Tat unabhängiger, wiesen ein besseres Selbstwertgefühl auf und
verhielten sich empathischer im Vergleich zu Kindern aus Kernfamilien (Gately &
Schwebel, 1992; Riggio, 2004).
Zwei Längsschnittstudien, die sowohl die Forschung als auch den professionellen
Umgang mit Trennung und Scheidung und die Gesetzeslage maßgeblich beeinflusst
haben, stechen besonders hervor. Neben einer differenzierten Darstellung der
Befundlage, ist vor allem die von einander abweichende Interpretation der Ergebnisse
bemerkenswert. Die erste prominente Longitudinalstudie wurde von Wallerstein und
Kollegen 1971 in Kalifornien initiiert (z.B. Wallerstein, 2002; Wallerstein &
Blakeslee, 1989). Insgesamt wurden aus 60 Familien sowohl die Eltern als auch die
Kinder 18 Monate sowie fünf, 10, 15 und 25 Jahre nach der Trennung befragt. Eine
Gruppe Kernfamilien stellte die Vergleichsgruppe hierzu dar. Die Ergebnisse nach
fünf Jahren zeigen ein deutliches Abklingen der scheidungsbedingten Symptome, wie
z.B. internalisierendes und externalisierendes Verhalten und Leistungsprobleme.
Dennoch resümiert Wallerstein, dass sich die Auswirkungen einer erlebten Scheidung,
die erlebten Ängste und der Glaubensverlust an tragfähige Beziehungen oft erst mit
dem Eintritt ins Erwachsenenalter und dem Eingehen eigener ernsthafter
Liebesbeziehungen bemerkbar machen (vgl. auch Brauner-Runge, 2003).
Bei der zweiten Studie handelt es sich um die „Virginia Longitudinal Study of
Divorce and Remarriage (VLS)", die 1972 unter der Leitung von Hetherington
aufgenommen wurde (z.B. Hetherington & Kelly, 2003). Über 20 Jahre flossen die
Daten von insgesamt 450 Familien mit 900 Kindern in die Auswertungen mit ein.
Nacherhebungen fanden zwei Monate sowie ein, zwei, sechs, 11 und zuletzt 20 Jahre
nach der Trennung statt. Auch hier wurden nicht geschiedene Familien als
Vergleichsgruppe herangezogen (vgl. auch Werneck & Werneck-Rohrer, 2003). Trotz
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kurzfristiger negativer Folgen, oft schweren Einschnitten in den Lebensverläufen
sowie einem hohen zerstörerischen Potenzial, sieht Hetherington teilweise auch
positive Aspekte in einer Scheidung und hält eine langfristige Anpassung für 75% der
Familien für möglich. Die meisten Kinder kamen zwei Jahre nach der elterlichen
Trennung gut mit der Situation zurecht. Zudem stellte sie fest, dass nur 20% der
Teilnehmer im Erwachsenenalter mit anhaltenden Problemen kämpften, während 80%
ein normal angepasstes Leben führten. Im Vergleich zu den Kindern nicht
geschiedener Eltern, von denen ebenfalls ca. 10% problembelastet waren, kann von
einem doppelt so hohen Risiko für anhaltende Anpassungsschwierigkeiten bei
Scheidungskindern ausgegangen werden. Als „Gewinner“ der Scheidung wurden vor
allem Mädchen gesehen. Sie erwarben - möglicherweise durch eine frühe Eigen-
ständigkeit und enge Beziehung mit der Mutter - häufig eine überdurchschnittliche
Sozial- und Lebenskompetenz (Hetherington, 1999)3. Dennoch zeigen Trennungs-
kinder höhere Belastungssymptome als Kinder aus harmonischen Kernfamilien (Reis
& Meyer-Probst, 1999). So scheint nicht so sehr die Trennungssituation an sich,
sondern vielmehr die damit einhergehenden Belastungen, wie z.B. Streitigkeiten der
Eltern, das zerstörerische Potential in sich zu bergen (vgl. Abschnitt 2.3.2). Nimmt
man eine noch differenziertere Perspektive ein, zeigt sich, dass insbesondere
mehrfache Trennungserfahrungen sowie das Aufwachsen in komplexen Stieffamilien
zu einem erhöhten Entwicklungsrisiko und Anpassungsproblemen führen (Schmitz &
Schmidt-Denter, 1999; Wendt & Walper, 2007).
(2) Eltern-Kind-Beziehungen
Bei einer Trennung ist nicht nur die Beziehung auf der Paarebene, sondern auch das
Eltern-Kind-Subsystem tangiert (Textor, 2006b). Längsschnittstudien belegen, dass
durch eine Scheidung der Eltern und den damit einhergehenden Belastungen die
emotionale Bindung zwischen Eltern und Kindern sowie das Erziehungsverhalten4
geschwächt wird (Amato & Booth, 1996; Schmidt-Denter & Beelmann, 1995). Zudem
verändert sich der Umgang der Eltern mit den Geschwistern. Insbesondere Väter von
drei oder mehr Kindern beginnen, eines der Kinder zu bevorzugen. Aber auch die
Mütter haben oft nicht genügend Energie, um für alle Kinder gleichermaßen da zu sein
(Wallerstein & Lewis, 2007). Kommen neue Partner ins Spiel, gestaltet sich die
Reorganisation der Rollen im Familiensystem besonders schwierig (Dimpker, von zu
Gathen & Maywald, 2005). Betrachtet man die Eltern-Kind-Beziehung nach der
Trennung muss jedoch unterschieden werden, ob es sich um den hauptbetreuenden 3 Dieser Befund könnte jedoch auch ein Hinweis auf Überforderung und überangepasstes Verhalten und somit nicht zwangsläufig positiv sein. 4 Die Auswirkungen einer Trennung auf das Erziehungsverhalten wird im Kapitel über die Trennungsfolgen für Eltern im Abschnitt 2.4.1 näher beleuchtet.