230. Folge Sommer 2021 II/2021 - kreis-fischhausen.de

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230. Folge Sommer 2021 II/2021 In Höhe der Efa-Düne entstand auf der Ostsee-Seite eine neue Raststätte. Mit herrlichen Badestrand und zwei Gaststätten ein fantastischer Pausenplatz auf der Kurischen Nehrung. Foto: Uwe Nietzelt

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230. Folge Sommer 2021 II/2021

In Höhe der Efa-Düne entstand auf der Ostsee-Seite eine neue Raststätte. Mit herrlichen Badestrand und zwei Gaststätten ein fantastischer Pausenplatz auf der Kurischen Nehrung. Foto: Uwe Nietzelt

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Inhaltsverzeichnis

AktuellesLiebe Samländerinnen und Samländer .................................. ........................... 3Liebe Landsleute aus dem Landkreis Königsberg ............................................. 6

Aus den OrtsgemeinschaftenNeues aus dem Samland ..................................................................................... 8Die Erinnerung bleibt ......................................................................................... 10Mich brennt´s in meinen Reiseschuh´n ............................................................. 11Rauschen .......................................................................................................... 13Warschken ........................................................................................................ 18Bernstein-Geschichten ....................................................................................... 20Ein Rundgang durch Laptau .............................................................................. 23Gedenken zum Kriegsende vor 75 Jahren ........................................................ 29Neukuhren ......................................................................................................... 31

Geschichte und Kultur im SamlandVergessene und verschwundene Orte: Rosignaiten/Brasnicken ...................... 36Ein ostpreußischer Künstler – Dr. Alfred Lau ................................................... 41Familiengeschichte St. Lorenz .......................................................................... 47Edgar Schumacher – Bilder, die ich malte ....................................................... 55Der Stammbaum ............................................................................................. 61Der Orkan ........................................................................................................ 64Sag es mit Troddeln ......................................................................................... 67Die Pest im Samland ....................................................................................... 68Das „Geschäftsrad“ von Bäcker Müller ............................................................ 70Das Kunkellehen Fuchshöfen .......................................................................... 72Gespräch auf dem Wachbudenberg ................................................................ 76Der Mord von Streilacken ................................................................................ 79Das Eisenbahnunglück von Cranz .................................................................. 81

GedichteDat Aeppelboomke ........................................................................................... 17Klage eines ostpreußischen Jungen ................................................................ 64Wiederseh´n und Abschied – Eine deutsche Geschichte ................................ 74Alles fügt sich ................................................................................................ 103Maienlied ....................................................................................................... 104Dämmerung ................................................................................................... 112

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Liebe Samländerinnen und Samländer!

VerschiedenesNachkriegserinnerungen von 1945 bis 1948 ..................................................... 82Suchanzeige ...................................................................................................... 85Humor im Samland ............................................................................................ 88Veranstaltungen ................................................................................................. 90Publikationen ..................................................................................................... 94Geburtstage ....................................................................................................... 95Traueranzeigen ................................................................................................ 105Ein stilles Gedenken ........................................................................................ 108Spenden für das 1. Quartal 2021 .................................................................... 109Impressum ...................................................................................................... 115

Als diese Zeilen geschrieben wur-den, hörte man langsam bessere Nachrichten. Die Fallzahlen sinken und die meisten unserer Mitglieder sollten zumindest bald geimpft sein. Wir haben uns deshalb entschlos-sen, voll in die Planung unseres Kreistreffens im September einzu-steigen.

Kreispräsident Helmut Ahrens hat sein Kommen zugesagt und so steht dem würdigen Begehen des 70-jäh-

rigen Jubiläums der Patenschaft des Kreises Pinneberg nichts mehr im Wege. Wir würden uns freuen, wenn wir zahlreiche Samländerinnen und Samländer am 18. und 19. Septem-ber 2021 in Pinneberg begrüßen und nach zwei Jahren endlich ein Wiedersehen feiern könnten. Das genaue Programm werden wir im nächsten Heft veröffentlichen.

Kurz vor Redaktionsschluss erreich-te uns die traurige Nachricht, dass

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Wilhelm Tuschewitzki verstorben ist. Wir verlieren einen guten Freund und Förderer unserer Arbeit. Den meisten wird er vor allem durch den Freundeskreises zur Erhaltung und Pflege ostpreußischen Kulturgutes e. V. bekannt sein. Jahrzehnte war der Freundeskreis mit einer Ausstel-lung und Präsentation auf unseren Kreistreffen und den Veranstaltun-gen im Samland vertreten. Zwei Vi-trinen, eine mit Bernstein und eine mit Lasdehner Keramik, sind noch von ihm gestaltet. Nutzen Sie die Gelegenheit im September diese beeindruckenden Stücke ostpreußi-scher Kultur noch einmal zu sehen. Ein ausführlicher Nachruf wird in der nächsten Ausgabe erscheinen.

Danken möchten wir an dieser Stel-le unseren vielen treuen Spendern. Es ist eine großartige Motivation für uns zu sehen, dass unsere Arbeit so honoriert wird und wir so in der Lage sind, den Heimatbrief noch viele Jah-re herauszugeben. Dann aber noch eine Bitte. Immer wieder tauchen vereinzelt Bilder von kleineren Dör-fern auf, die wir in unserem Archiv nicht haben. Gerade die Geschichte der kleinen Dörfer ist mit Fotos nur sehr lückenhaft dokumentiert. Wenn Sie Fotos in Ihrem Besitz haben, bit-ten wir Sie ganz herzlich, Sie uns für eine Kopie zur Verfügung zu stellen. Alle Originale bekommen sie selbst-verständlich wieder zurück.

Im September sind die eigentlich für letztes Jahr geplanten Vorstands-

wahlen. Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit haben oder jeman-den kennen, den Sie für geeignet halten, scheuen Sie sich nicht, uns anzusprechen. Wir suchen dringend Unterstützung für alle unseren Auf-gaben. Schön wäre es, wenn sich eine oder mehrere Personen zur Betreuung unseres Museums fin-den würden. Gisela Hußfeld, die uns schon Jahrzehnte in verschiedenen Tätigkeiten wundervoll unterstützt hat, möchte die Führungen durch das Museum, die sie nach Bedarf in den letzten Jahren ehrenamtlich durchgeführt hat, aus Altersgründen abgeben. Die Kreisgemeinschaft ist ihr zu großem Dank verpflichtet und hoffentlich gibt es auf dem Kreistref-fen die Gelegenheit, das noch ein-mal persönlich auszudrücken.

Leider konnten wir unsere jährliche Arbeitstagung der Kreisvertreter in diesem Jahr nicht wie gewohnt persönlich durchführen. Aufgrund der Beschränkungen trafen wir uns diesmal per Videokonferenz am Computer. Etwas ungewohnt – aber trotzdem sehr interessant. The-men waren u. a. das 10. Deutsch-Russische Forum „Zukunft braucht Vergangenheit“, welches ja im letz-ten Jahr abgesagt werden musste. Dieses soll nun im Jahr 2022 in Lü-neburg stattfinden. Der Termin wird noch bekannt gegeben. Zurzeit sind Reisen ins Königsberger Gebiet oder aus dem nördlichen Ostpreußen in die Bundesrepublik Deutschland nicht möglich. Dagegen findet der

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Redaktionsschluss für Folge 231 ist der 15. Juli 2021Redaktionsschluss für Folge 231 ist der 15. Juli 2021

13. Deutsch-Polnische Kommunal-politische Kongress am 16./17. Ok-tober 2021 mit ca. 60 Teilnehmern in Allenstein statt. Ebenso findet das diesjährige Sommerfest der Lands-mannschaft Ostpreußen am 19. Juni 2021 als Kulturveranstaltung in Os-terode, hilfsweise in Heilsberg, statt. Bereits in der Planung ist das Jah-restreffen der LO in Wolfsburg am 11. Juni 2022. Es wird eine musika-lische Umrahmung, voraussichtlich durch die Siebenbürger Blaskapelle Wolfsburg, geben. Die Moderation liegt erneut bei BernStein. Die Kreis-gemeinschaften, Landesgruppen, das Ostpreußische Landesmuseum und das Kulturzentrum Ostpreußen werden die Gelegenheit erhalten, sich mit Ständen einzubringen. Ein weiteres Problem ist die Sicherung von Heimatkreisdateien, die oftmals mit großem Aufwand erstellt wurden. Es hat bereits Fälle gegeben, auch in unserer Kreisgemeinschaft, in de-nen der Karteiführer bzw. Ortsver-treter plötzlich verstorben sind und die Daten nicht an den Vorstand der Kreisgemeinschaft herausgegeben worden sind. Diese sind leider für immer verloren, denn hier gab es zu-sätzlich viele Informationen zu den Ortschaften und Bewohnern. Die Karteien müssen so geschützt wer-den, dass sie für die Zukunft erhalten bleiben. Der Vorstoß der LO, eine

Kopie der Dateien an die Bundes-geschäftsstelle zu geben, stieß bei den Kreisgemeinschaften zum Teil auf heftigen Widerstand. Dr. Andre-as Borm vertrat die Auffassung, dass die Stadt- und Kreisgemeinschaften zu wenig jungen Nachwuchs gene-rieren. Die Stadtgemeinschaft Tilsit konnte sechs jüngere Mitglieder aus der „Enkelgeneration“ gewinnen, die Interesse zeigen. Allerdings müssen sie erst langsam in die Arbeit hin-einwachsen und dürfen nicht gleich auf die Übernahme von Funktionen angesprochen werden. Hier können Sie uns unterstützen. Sprechen Sie mit Ihren Kindern und Enkeln, ob sie uns nicht bei der Arbeit unterstützen wollen, denn auch in unserer Kreis-gemeinschaft fehlt der Nachwuchs.

Mit der Hoffnung auf einen wunder-schönen Sommer freuen wir uns auf ein Wiedersehen im September in Pinneberg.

Bleiben Sie gesund

Wolfgang Sopha- Vorsitzender -

Uwe Nietzelt- Stellvertretender Vorsitzender -

Rüdiger Paulsen- Schatzmeister -

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liebe Freunde unseres Landkreises!

Liebe Landsleute aus dem Landkreis Königsberg,

Der Redaktionsschluss unseres Hei-matbriefes „Unser schönes Sam-land“ zum Sommer 2021 steht vor der Tür, und soeben habe ich bei dem Busunternehmen angerufen, mit dem ich immer nach Königsberg fahre bzw. gefahren bin. Freundlich, aber bestimmt wurde mir der Rat gegeben, beim Auswärtigen Amt anzurufen: Sie, die Mitarbeiter des Reiseunternehmens, wüssten nichts und könnten nichts sagen. Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet, aber ich wollte halt nichts unversucht lassen.

Ja, Reisen in die Heimat liegen in weiter Ferne, aber Versammlungen und Treffen hier im Westen ebenfalls. Bei uns kommt noch hinzu, dass un-ser Patenkreis Minden-Lübbecke

ein Hotspot-Gebiet ist, wie mir Frau Mirjana Lenz telefonisch mitteilte. In meinem Grußwort im Heimatbrief vom Frühjahr 2021 steht: „Der Früh-ling wird alles leichter machen...“ Diese Hoffnung scheint sich bisher nicht zu erfüllen, und Ostern war ebenfalls ein stilles Fest ohne große Familientreffen.

Dabei werden die elektronischen Kontakte natürlich immer wichtiger. Videokonferenzen sind angesagt. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat die Kreisvertretertagung am 20. März 2021 virtuell durchgeführt. Es war sehr erfreulich, die Landsleute zu sehen, wenn auch nur auf dem Bildschirm, und es kam zu angereg-ten und informativen Gesprächen. Schön war auch der private Aus-tausch, der in den Pausen stattfin-den konnte. Aber es bleibt doch der allgemeine Wunsch bestehen, sich im nächsten Jahr in Helmstedt wie-der persönlich begegnen zu können.

Eine große Freude waren und sind auch die virtuellen Veranstaltungen der „Freunde Kants und Königs-bergs e.V.“, denn daran nehmen Mitglieder und Gäste aus aller Welt teil, vor allem aber die russischen Kollegen und Kolleginnen aus Kö-nigsberg. Das ist dann ein kleiner Ersatz, ein kleiner Trost in der lan-gen Zeit der Trennung. Auch Kants Geburtstag soll am 22. April virtuell gefeiert werden. Telefon und E-Mails

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ermöglichen heute die Kommunika-tion, und nicht zu vergessen unsere Presse, die PAZ (Preußische Allge-meine Zeitung), die Heimatbriefe, der Königsberger Express. In priva-ten Telefongesprächen und im Mail-Verkehr erfährt man einiges über die Corona-Pandemie im Königsberger Gebiet. Das Impfen geht offenbar schnell und problemlos, Geschäfte, Restaurants, Kinos und Museen sind geöffnet, aber es gelten die entspre-chenden Abstandsregeln und die Maskenpflicht. Eine Freundin berich-tete, dass es an den Eingängen der großen Kaufhäuser und Baumärkte Testverfahren gäbe, zumindest wird die Temperatur gemessen. Private Treffen, hörte ich von einer anderen Bekannten, unterliegen jedoch nicht diesen strengen Regeln und Kontrol-len wir hier auf deutscher Seite.

Am 16. April 2021 stand in der Preu-ßische Allgemeinen Zeitung ein op-

timistischer Bericht über das Dra-mentheater in Königsberg. Es finden wieder Aufführungen statt, die sofort ausverkauft sind. Das Kultur- und Theaterleben in Königsberg soll er-weitert werden, auch das ein hoff-nungsvoller Blick in die Zukunft.

Die Zeiten sind schwierig, aber es hat doch schon, besonders für uns, größere Schwierigkeiten gegeben. 46 Jahre mussten wir warten, bis wir in die Heimat reisen durften – und heute kommt uns ein Jahr wie eine Ewigkeit vor. Und erinnern wir uns an die Kommunikationsmöglichkeiten vor 30 Jahren – das war eine völlig andere Welt. Wir sollten trotz allem dankbar und nicht allzu unzufrieden sein.

Ich wünsche Ihnen einen sonnigen und erholsamen Sommer.

Ihre Bärbel Beutner

Gern veröffentlichen wir Ihre alten Geschichten,Erinnerungen und interessanten Reiseberichte

aus dem Kreis Samland. Wenn Sie entsprechende Texte

(gern auch mit Fotos) haben, dann sendenSie diese an unsere Geschäftsstelle.

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Millionen für Bodenentwässerung

Das Kaliningrader Gebiet stellte rund 50 Millionen Rubel für die Sa-nierung einer Pumpstation bei Hein-richswalde/Slawsk zur Verfügung, so die Pressestelle der Kaliningra-der Gebietsregierung. Damit sollen 4.000 Hektar Land trockengelegt werden. Mit ihrer Hilfe können nun rund 500 Hektar umliegender Flä-chen entwässert werden. In diesem Jahr sind 104 Millionen Rubel für die Verlegung von 800 Kilometern un-terirdischer Entwässerungsrohre so-wie den Aushub von 119 Kilometern Entwässerungsgräben eingeplant. Dies soll die Überschwemmung von Ackerland und Siedlungen auf einer Fläche von 5.400 Hektar verhindern.

Fahrt auf die Nehrung wird teurer

Eine Fahrt mit dem eigenen Pkw auf die Kurische Nehrung wird im Som-mer im Familienhaushalt eines Nor-malverbrauchers ein spürbares Loch reißen. Die Gebühr pro Fahrzeug kann zu Beginn der Hauptreisezeit bis zu 1.000 Rubel (ca. 11 Euro) betragen. Dies erklärte kürzlich der Direktor des Nationalparks Anatolij Kalina in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „Klops“ auf „Club-house“. „Steigt der Besucheran-drang im Sommer, wird die Gebühr für die Einfahrt entsprechend weiter angehoben, vermutlich auf 500 bis 1.500 Rubel pro Auto“, sagte er. Es sei in diesem Zusammenhang dar-an erinnert, dass sich die Kosten für

die Einfahrt mit dem eigenen Auto auf die Kurische Nehrung seit Jah-resbeginn bereits verdoppelt haben. Vor Ort befinden sich mehrere Park-plätze mit einer Gesamtkapazität von 1.100 Kraftfahrzeugen. Weitere 600 Stellplätze existieren in den drei Siedlungen auf der Nehrung.

Per Rad von Nehrung zu Nehrung

Der erste, 34 Kilometer lange Ab-schnitt eines neuen Radweges von der Kurischen zur Frischen Nehrung wird nicht wie ursprünglich geplant im Juli, sondern erst gegen Ende 2021 fertiggestellt werden. Der ers-te Abschnitt verläuft von der Neh-rung bis zur Siedlung Groß Kuhren/Primorje. Der zweite, 60 Kilometer lange Abschnitt wird sich bis Pillau/Baltijsk erstrecken. Nach seiner Fertigstellung wird der Radweg die Kurische und die Frische Nehrung miteinander verbinden. Mit dem Bau des Radweges wurde bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 be-gonnen.

Alles wird teurer

Laut Statistikamt wurden in Russland im Zeitraum von Januar 2020 bis Ja-nuar 2021 folgende Waren teurer: Zucker um 64 Prozent, Pflanzenöl um 26,1 Prozent, Graupen und Hül-senfrüchte um 20,7 Prozent, Teigwa-ren um 13 Prozent, Hühnereier um 18 Prozent, Obst und Gemüse um 16,3 Prozent. Im Kaliningrader Ge-biet verteuerten sich ebenso Fleisch-

Neues aus dem Samland

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und Fischwaren, wie Hammelfleisch, Räucherfisch und marinierter Fisch, sowie Obst und Gemüse. Aufgrund einer starken Verteuerung von Zu-cker und Pflanzenöl waren deren Preise Ende 2020 von der Zentral-regierung eingefroren worden. Ein deutlicher Preisanstieg ist allerdings auch in anderen Bereichen nicht zu übersehen. Eine Preisexplosion sei ebenso bei einigen Medikamenten zu verzeichnen. Auch Thermome-ter und Spritzen kosten mittlerweile fast 30 % mehr. Die größten Preis-sprünge waren bei elektrischen Bü-geleisen und Mikrowellen (um 11,2 %), bei Hemden für Jungen (um 6,5 %), bei Herren-Unterhosen (um 6,4 %) sowie bei Shampoos (um 6 %) zu verzeichnen. Auch Eheringe wurden seit Januar 2020 um 58 % teurer.

Stromkunden bitten um Entlastung

Der erneute Anstieg der Stromtari-fe bringt die Wirtschaft der Kalinin-grader Region in Schwierigkeiten, die selbst die Privilegien der Son-derwirtschaftszone nicht aufwiegen können. Dies berichtet die Moskau-er Zeitung „Kommersant“ unter Be-rufung auf die Industrie- und Han-delskammer Kaliningrad. Vertreter der Geschäftswelt wandten sich mit der Bitte an den Ministerpräsi-denten der Russischen Föderation Michail Mischustin, die Stromtarife und Kapazitäten für die Verbraucher auf dem Niveau der zweiten Jahres-hälfte 2020 zu halten. „Im vergan-genen Jahr 2020 kam es wegen der

Corona-Pandemie zu starken Ein-schnitten im Industrie-, Handels- und Dienstleistungsbereich. Eine Reihe von Unternehmen musste schließen, Tausende Gebietsbewohner wurden erwerbslos. Die Folge davon ist ein Wachstum der sozialen Spannungen in der Region“, heißt es im Schreiben an den Ministerpräsidenten. Die ent-standene Lage werde dadurch ver-schärft, dass die Stromkosten um 20 bis 55 Prozent gestiegen seien. Viele Verbraucher seien außerstande, die Stromrechnungen zu zahlen. Die Verschuldung nehme zu und führe zu einem Produktionsrückgang oder gar zur Stilllegung der betroffenen Produktionsbetriebe.

Volleyball-WM 2022 in Königsberg

Die nächste Volleyball-Weltmeis-terschaft findet laut Beschluss der Fédération Internationale de Vol-leyball FIVB vom 26. August bis 11. September 2022 in den zehn russi-schen Städten Moskau, St. Peters-burg, Kaliningrad, Jaroslawl, Kasan, Jekaterinburg, Ufa, Nowosibirsk, Ke-merowo und Krasnojarsk statt. Zur Teilnahme an der WM angemeldet haben sich 24 Nationalmannschaf-ten, darunter auch der Gastgeber Russland. In Königsberg/Kaliningrad sollen die Turniere in der Sporthal-le „Jantarny“ ausgetragen werden. Diese hat sich bei Klubmeisterschaf-ten auf nationaler und europäischer Ebene bewährt.

Quelle: Königsberger Express

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Die Erinnerung bleibt

Der bedauerliche Einschnitt in den normalen Ablauf unseres Lebens hat dafür gesorgt, dass der Besuch Nordostpreußens im letzten Som-mer den nicht russischen Bürgern verwehrt blieb. Es bestehen nicht un-begründete Befürchtungen, dass es auch im kommenden Sommer nicht anders ausfallen wird. Das ist wirk-lich traurig, zumal die neue „Heim-wehtouristiksaison“ eine runde sein würde – und zwar die dreißigste.

Ja, Anfang Mai 1991 war es soweit, dass die alten Ostpreußen ihre Hei-mat wiedersehen durften. Mir ist ein großes Glück beschieden worden, als Reiseleiter und Dolmetscher gleich nach der Grenzöffnung sie in Empfang zu nehmen, um ihnen Be-such ihrer Heimatorte und Kontakte zu den dort wohnenden Menschen zu erleichtern. In jenem ersten Jahr waren es fast ausschließlich die Samländer, für deren Begleitung ich im Auftrag der Reiseagentur „Greif-Reisen“ zuständig war.

Ich habe leider nur wenig Notizen dabei gemacht und eine Kame-ra hatte ich damals nicht. Aber der Zeitabschnitt von Mai bis Septem-ber des Jahres 1991 hat sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt. Als ob es gestern gewesen ist, sehe ich vor mir die Leute, mit denen ich damals Bekanntschaft und mit einigen lang-jährige Freundschaft geschlossen habe. Das Gedächtnis hat behalten Irmgard Fabrizius (geb. Kurowski) aus Sankt Lorenz, dann die zwei

Schwestern, Töchter des Besitzers vom Gut Alexwangen (Goldbaum?), aber auch Anne Wenck aus Sorthe-nen, Eva Sander (geb. Michalowitz) aus Rauschen, Helga Theiss aus Georgenswalde, Helga Spandoeck aus Radnicken, Herbert Muschlien aus Rauschen, Kurt Budeweit aus Palmnicken/Kraxtepellen. An den Mädchennamen von Helga Theiss kann ich mich nicht erinnern, aber ich weiß noch, dass ihr Großvater in Georgenwalde den dortigen Was-serturm technisch versorgte. Sein Name, wie ich glaube, klang pol-nisch. Bei den Russen soll er einen großen Respekt genossen haben, weil er ein sehr guter Handwerker und deshalb überall wegen der Re-paraturen gefragt war.

Ich kann mich auch gut an eine sehr schöne unter uns damals herrschen-de Stimmung voll Vertrauens und ge-genseitiger Zuneigung erinnern. Es war eine sehr schöne Zeit, es schien, dass Ostpreußen bald sich ganz öff-nen wird und die früher Beheimate-ten hier wieder wohnen dürfen. Es ist nicht alles so geworden, wovon man damals gemeinsam träumte, aber eins steht fest – ein enormes und ständig wachsendes Interesse sowie die Begeisterung für Geschichte und Kultur Ostpreußens bei der hier jetzt wohnenden Bevölkerung lassen auf eine schöne, harmonische und fried-liche Zukunft dieses von vielen so in-nig geliebten Landes hoffen.

Ewgeni Snegowski

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Mich brennt´s in meinen Reiseschuh´n

Joseph von Eichendorff war schon im Heimatbrief „Unser schönes Sam-land“ 229. Folge vertreten, mit sei-nem Sommergedicht „Sehnsucht“. Der schlesische Dichter (1788-1857) hat uns viele Schätze hinterlassen, so auch das bekannte Gedicht und Lied von den „Reiseschuhen“.

„Mich brennt´s in meinen Reiseschuh´n,

fort mit der Zeit zu schreiten,was wollen wir agieren nun

vor so viel klugen Leuten, vor so viel klugen Leuten?“

So lautet die erste Strophe. Zu-nächst ist da der Wunsch, in die Fer-ne zu ziehen, Strom und Wälder zu erleben und die Weite des Himmels zu sehen. In der dritten Strophe aber wird die Reise zur Metapher des Le-bens, des Kreislaufs der Generatio-nen.

„Da geh die einen müde fort,die andern nah´n behende...“

Das Leben ist wie ein Stück, das man ständig weiterspielt, ohne es zu

Ende zu bringen. Das Ende kennt nur der liebe Gott.

„Und keiner kennt den letzten Akt,von allen, die da spielen,

nur der da droben schlägt den Takt,weiß, wo das hin will zielen, weiß,

wo das hin will zielen.“In den Reiseschuhen brennt es be-sonders denen, die es gewöhnt sind, jedes Jahr mindestens einmal in die Heimat zu reisen. Einer von denen ist Louis-Ferdinand Schwarz, der frühe-re Kreisvertreter von Fischhausen. Seit der Öffnung des Königsberger Gebietes hat er es sich zur Aufgabe

gemacht, seine Heimat Ostpreußen möglichst vielen Interessierten nahe zu bringen. Die von ihm organisierten Gruppenreisen sind ein „Geheimtipp“ oder eine „Berühmtheit“, je nach Per-spektive. Meist liegen schon vor der Bekanntgabe der Reisetermine An-meldungen vor („Geheimtipp“), und die Reisen waren oft so schnell aus-gebucht, dass Wartelisten angelegt wurden. Den Gästen wurde nicht nur ein umfangreiches und differenzier-tes Programm geboten, sie bekamen gleichsam Gelegenheit zu einem historischen und kulturellen Begleit-studium. Vor Reisebeginn erhiel-ten sie umfangreiches Material zur Vorbereitung. Was Louis-Ferdinand Schwarz dabei mit Recht als Erfolg verbuchte, war die Tatsache, dass oft die Hälfte der Teilnehmer keine Ostpreußen waren bzw. keinen fa-miliären Bezug zu dem Land hatten. Über die Reise im Sommer 2019 veröffentlichte Dr. Rolf Westheider in der Preußischen Allgemeinen Zei-tung und in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ ausführliche Berichte. Er beleuchtet die Geschichte des Ge-bietes und beschreibt die Errungen-schaften der letzten Jahre: die Au-tobahn nach Rauschen und Cranz, Burg und Hotel „Nesselbeck“, das Stadion auf der Lomse. Die Gruppe besuchte die touristischen „Muss-Ziele“, aber auch das Kinder- und Ju-genddorf Salem, das 1998 auf dem Gut Pollwitten der Familie Schwarz errichtet worden ist. Und das fahren „einfache“ Touristen durchaus nicht an. Der Bericht von Rolf Westhei-

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der endet mit dem Aufruf, dass die Anmeldungen zur nächsten Reise im August 2020 rechtzeitig und zü-gig vorgenommen werden müssen! „Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten...“ (Schiller). Sehr traurig musste der Ehrenvorsitzende der Kreisgemein-schaft Fischhausen seinen Reiseteil-nehmern bekanntgeben, dass Coro-na die Reise 2020 verhinderte. Ob es 2021 noch möglich sein wird? Man könnte die Karten befragen, ein sy-rischer Kollege von mir verstand aus dem Kaffeesatz zu lesen... Wir müs-sen das Schicksal akzeptieren. Doch das tut den Erfolgen, die bisher er-reicht worden sind, keinen Abbruch. Louis-Ferdinand Schwarz hat 1990 bereits einen sensationellen Hilfs-transport ins Königsberger Gebiet durchgeführt, hat deutsch-russische Kulturwochen in Rauschen organi-siert, hat es geschafft, dass in dem halb fertigen Dom in Königsberg ein deutsch-russisches Konzert statt-fand, hat soziale Projekte angesto-ßen – und immer begleitet von voll besetzten Reisebussen. Die in 30 Jahren gewachsenen Kontakte zu den Russen sind zu festen Freund-schaften geworden. Hier noch ei-nige „Schlaglichter“. 2005 reiste Louis-Ferdinand Schwarz nach Fischhausen, heute Primorsk, wie-der begleitet von 25 Mitreisenden. Die russische Seite hatte ihn einge-laden, beim Festakt zum 700-jäh-rigen Jubiläum der Stadt Fisch-hausen die Festrede zu halten. Die große Ehre war das Ergebnis einer

sehr engen und fruchtbaren Zusam-menarbeit zwischen den deutschen Fischhausenern und den russischen Bewohnern von Primorsk. In der Berichterstattung über diese Fest-veranstaltung wird mitgeteilt, dass Louis-Ferdinand Schwarz 41 Mal in der alten Heimat war. In dem Bericht über die Reise im Jahre 2013 steht, dass er zum 22. Mal zu einer beson-deren Busreise eingeladen habe. Da fällt es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Die Einzelreisen waren für Planungen, Verhandlungen, Orga-nisationen nötig, die Gruppenreisen kommen dazu. Ein Projekt soll noch angesprochen werden, das in allen Berichten mehr „nebenbei“ erwähnt wird: es ist das „Kinderdorf Salem“, ein ökologisches Dorf, „für das 82 Hektar Land des ehemaligen Gutes Pollwitten der Familie Schwarz be-reitgestellt werden“, heißt es in dem Bericht von 2013. Dort finden eltern-lose Kinder und Jugendliche ein Zu-hause und erhalten Unterricht und eine Berufsausbildung. 2013 war der Dorfleiter Sergej Wislow. 2016 stell-te Xenia Buchholz im „Königsberger Express“ ein Projekt vor, das in Zu-sammenarbeit mit der St. Petersbur-ger staatlichen Agraruniversität, und zwar mit der Zweigstelle in Polesk, früher Labiau, geplant ist. Es soll in Salem bzw. in Pollwitten ein Wein-anbaugebiet angelegt werden. Es ist zu wünschen, dass die Öffentlichkeit mehr über dieses Projekt „Salem“ er-fahren könnte.

Bärbel Beutner

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und den Schulbezirken Craam, Georgenswalde und St. Lorenz!

Liebe Heimatfreunde aus Rauschen

Der Lärchenpark

Der Lärchenpark an der Promena-den-Allee und neben dem Wasser-turm war für Rauschen gewisserma-ßen ein Kulturpark. Schon sehr früh war dort die Konzerthalle gebaut worden. Sie zog bei den Konzerten viele Besucher an, die diesen zentra-len Teil des Parks belebten. Und es gab dort das große Wasserbecken mit dem prächtigen Springbrunnen.

Dann kam ein künstlerisches Werk hinzu: Die 1940 von Hermann Bra-chert geschaffene „Wasserträgerin“ (siehe Heimatbrief Ausgabe 229). Leider ist das genaue Datum ihrer

Aufstellung im Park nicht bekannt und es gibt auch keine Abbildung ih-res Aufstellungsortes. Der zentrale Platz vor der Konzerthalle war da-mals durch den Springbrunnen be-legt. Nach Zeitzeugen soll sie auf ei-ner Grünfläche seitlich vom Brunnen in Richtung Warmbad gestanden haben. Den zentralen Platz im Park an der Stelle des Springbrunnens hat sie dann erst in der Sowjetzeit erhalten. Wie ich aus Gesprächen mit Alla Sarul, der früheren Direktorin des Brachert-Museum in Georgens-walde, in Erinnerung habe, wurde Ende der 90er-Jahre des 20. Jh. in der Eremitage in St. Petersburg eine Kopie angefertigt und sie holte 2002 das Original in das Museum nach Georgenswalde. 2005 wurde dann im Lärchenpark die Kopie aufgestellt.

Wie der Königsberger Bürgerbrief in Ausgabe 96 schreibt, wurde nun diese Kopie nach Kaliningrad/Kö-nigsberg in das dortige Museum für Bildende Künste zur Restaurierung gebracht. Sie hatte durch die Witte-rung Schäden bekommen. Nach der Restaurierung soll sie in Kaliningrad das Brachert-Museum bereichern. Für Rauschen/Swetlogorsk wird in Kaliningrad eine Kopie in weißem Marmor angefertigt, sodass dann auch wieder im Lärchenpark eine „Wasserträgerin“ zu sehen sein wird. Im Park soll auch ein Springbrunnen entstehen, der von zwei Marmorsta-tuen geschmückt wird.

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Sandaufspülungen am Strand

Im Internet fand ich folgende Artikel aus dem „Koenigsberger Express“, die Rauschen/Swetlogorsk betreffen. Bei unseren Besuchen ist uns seit den 90er-Jahren aufgefallen, dass der Sandstrand in Rauschen immer schmaler wurde und je nach den Windverhältnissen fast ganz ver-schwunden war. Das Wasser reichte dann bis an die Strandpromenade heran. Wir haben das auf den Verfall der Buhnen zurückgeführt, die etwa in den 20er-Jahren gebaut wurden. Dadurch wurde verhindert, dass be-sonders bei Westwind der Sand ins Meer gespült werden konnte. Und so hatten wir damals einen breiten Sandstrand, der zum Burgenbauen

reizte. Nach den Planungen soll der Sandstrand in Swetlogorsk zum Be-ginn der Urlaubsperiode im Sommer 2021 durch Maßnahmen zur Küs-tenbefestigung auf 20 bis 30 Meter Breite anwachsen, so der regionale Bauminister Sergej Tschernomas.

„Entsprechende Arbeiten sind abge-schlossen, infolge derer der Sand zwischen Promenade und Holzbuh-nen auf bis zu 20 Meter Breite auf-gespült werden soll“, erklärte Tscher-nomas. „In Cranz/Selenogradsk, wo die gleichen Maßnahmen getroffen wurden, ist dieses Ziel bereits nach einer Herbst- und Wintersaison er-reicht worden. Wir hoffen, ein ähnli-ches oder noch besseres Ergebnis in Swetlogorsk zu erzielen.“

Blick auf den Lärchenpark mit Springbrunnen und Musikpavillon. Die Aufnah-me entstand zwischen 1929 und 1939. Foto: Sammlung Klemm

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Im Januar 2019 waren durch einen starken Seesturm erhebliche Schä-den am Strand und an der Prome-nade in Swetlogorsk entstanden. Zu ihrer Behebung stellte der regionale Reservefonds 234,6 Millionen Rubel zur Verfügung.

Graffiti an der Strandpromenade

„Die neugebaute Promenade im Badeort Swetlogorsk/Rauschen er-hielt unweit der Sonnenuhr ein Graf-fiti, das den Namen ,Rauschens Träume‛ tragen soll. Ausführende Künstler sind Serafima und Aleksej Moskajew, die beide im Badeort an-sässig sind. Die Komposition ist eine Liebeserklärung an unsere Stadt“,

sagte Serafima Moskajew in einem Interview mit der Webseite „New-kaliningrad“. „Sie stellt eine Mutter dar, die ihr kleines Kind mit einem Wiegenlied in den Schlaf singt. Der Junge träumt von den Schiffen und Häusern des Ortes, so als ob diese in die Haartracht seiner Mutter ein-geflochten wären. Dem Betrachter scheint, als würde alles – Kindheits-erinnerungen, Erlebnisse und Visio-nen – auf den stillen Wogen dieses Wiegenliedes schaukeln.“

Die Idee, die Promenade mit Graffitis zu verzieren, stammt von der Stadt-verwaltung, die auch die Materialien zur Verfügung stellte. Die beiden Künstler arbeiten ehrenamtlich. „Das

Der Strand zu deutscher Zeit. In den letzten Jahren hatte die Ostsee sehr viel von dem Sandstrand abgetragen. Foto: Sammlung Klemm

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ist unser Geschenk an die Stadt“, sagt Serafima Moskajew.

Nach Redaktionsschluss wurde be-kannt, dass man den Künstlern nahe gelegt hat, ihr Kunstwerk von „Rau-schens Träume“ in „Träume von Swetlogorsk“ umzubenennen. Wenn die Promenade neu sei, brauche man auch nicht auf den alten Orts-namen zurückzugreifen, hieß es in der Begründung.

Soviel an Neuigkeiten aus der Hei-mat. Es wäre doch sehr erfreulich wenn der früher schöne Strand von Rauschen wieder hergestellt werden könnte. Leider ist aber auch zu be-fürchten, dass durch die Klimaver-

änderungen mit Gletscherschmelze, Tauen des Polar-Eises und dadurch steigendem Wasserstand in den Meeren auch einiges von der Land-fläche verloren geht. Nun wünsche ich Ihnen allen einen schönen Som-mer bei guter Gesundheit.

Mit heimatlichem Gruß Ihr

Hans-Georg Klemm Sudetenstraße 11 91080 Uttenreuth Tel.: 09131/58489 E-Mail: [email protected]

Quellen:- Königsberger Express- Königsberger Bürgerbrief

So sah der „Strand“ in Rauschen vor zwei Jahren aus. Durch die Sandanspü-lung und Setzen von Buhnen soll sich das ändern. Foto: Uwe Nietzelt

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Dat Aeppelboomke

Dat Aeppelboomke em Goarde, da hewd seck scheen gemoakt,

et hewd en finet, wittet Kleed bekome öwer Nacht

Et weet, dat hied sin Hochtiedsdoag,drom es et voller Freid,

et steiht so jung on glöcklich doa, vom Morgewind puscheid.

Der hibschen, schlanken Make dort kiekt he öns Stoawke rin,

he winkd ehr to on kieckt ganz niep,als mott dat man so sin.

Se lache! on nöckd em frindlich to, dem kleenen Aeppelboom,

se hewd öm vör‘ger Nacht gedrömt den wunderscheensten Drom.

Sabine Horn

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Warschken

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Auch in russischen Zeiten geben sich die neuen Besitzer der Güter Mühe, diese nicht ganz dem Verfall Preis zu geben. Ein Beispiel hierfür ist das Guts-haus von Warschken. Auf den Bilder ist der aktuelle Zustand des Gutshau-ses von Warschken zu sehen. Hier ist zurzeit ein kleines und gemütliches Seniorenheim untergebracht. Der Name des letzten Besitzers war Tonn. Das wusste ich auch schon, aber heute erfuhr ich, dass der Name des vorletzten Schmidt war. Eine Mitarbeiterin des Heims ist eine begeisterte Forscherin der Geschichte dieses Ortes.

Text und Fotos: Ewgeni SnegowskiAnmerkung der Redaktion:

Der bis 1946 Warschken genannte Ort wurde 1874 in den neu errichteten Amtsbezirk Palmnicken der bis 1945 bestand und zum Landkreis Fisch-hausen, ab 1939 zum Landkreis Samland im Regierungsbezirk Königsberg der preußischen Provinz Ostpreußen gehörte. Am 26. Mai 1899 wurde das Gut Palmnicken mit den Vorwerken Dorbnicken, Heiligenkreutz und eben Warschken als eigener Gutsbezirk anerkannt. Am 30. September 1928 kam Warschken zur Landgemeinde Sorgenau und wurde nur 3½ Jahre später in die Landgemeinde Palmnicken überführt.

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Bernstein-Geschichten

Der „Königsberger Express“ vom Ap-ril 2021 brachte auf der ersten Seite die Meldung von einer Bernsteinaus-stellung, die jetzt im Frühjahr 2021 im Bernsteinmuseum im Dohna-Turm gezeigt wird. Es sind Stücke aus der Produktion der Königsberger Staatlichen Bernsteinmanufaktur, die sich „zwischen 1926 und 1945 zu einer Firma von Weltrang“ entwi-ckelt habe, so in dem ganzseitigen Bericht auf S. 15. Dort werden die Schmuckstücke erläutert: Broschen in Form von Blumen, Blüten und Äh-ren, Anhänger, Halsketten, Ohrringe. Ein vierblättriges Kleeblatt fällt auch in der schwarz-weißen Abbildung so-fort auf. Die Verarbeitung von Bern-stein mit Silber galt lange als charak-teristisch, ja geradezu klassisch. Sie geht wohl auch auf die Königsberger Epoche zurück, denn im „Königsber-ger Express“ heißt es: „Bei den ge-zeigten Broschen bestehen Blüten-mitte, Stiele und Zweige aus Silber.“ Und: „Die damals erstmals verwen-deten Silberlegierungen und Chrom unterstrichen den besonderen Glanz des Bernsteins.“

Die Schmuckstücke in der heutigen Kaliningrader Ausstellung stammen aus deutscher Zeit, von den russi-schen Experten „zusammengetra-gen“, wie es in dem Artikel des „Kö-nigsberger Express“ ausgedrückt wird. Und das heißt sicherlich: lie-bevoll gesammelt und vielleicht auch restauriert. Wie gerne würden wir Samländer hinfahren und die Ausstellung anschauen! Aber Co-

rona errichtet Mauern. Ob es in der Ausstellung auch Schmuckstücke aus früherem Privatbesitz gibt? Und wenn – welche Geschichte mag mit dem einen oder anderen Stück ver-bunden sein?

Einige Bernsteinstücke sind bei der Flucht mit in den Westen gekom-men, mit ihrer besonderen Geschich-te. Da fällt mir unsere Nora ein, die auf unseren Kreistreffen, nun schon Großmutter, von ihren „Kronjuwelen“ erzählte, die sie stets trug. Vor dem Krieg machte sie im Samland eine landwirtschaftliche Lehre auf einem großen Gut, das auf Milchwirtschaft spezialisiert war. Und da begegnete sie dem Sohn des Gutsherrn. „Nun ja, die Nora war eine hübsche Mar-jell“, wusste unsere Gerda, eine Schulfreundin der Nora, zu berich-ten. „Und der Georg – nun ja...“

Nora erzählte, immer noch mit Glanz in den Augen, von ihrer Jugendliebe. „Und dann hat er mich gebutscht!“ Das war ein wichtiger Satz. Die Kron-juwelen, eine Bernsteinkette, bekam sie nicht persönlich überreicht. Der junge Mann hinterlegte sie, in Zei-tungspapier gewickelt, an einen Ort, den er ihr ins Ohr flüsterte. Krieg, Flucht, der Untergang Ostpreußens – ein Ehepaar wurden Nora und Ge-org nicht. Doch auch wenn der Krieg nicht gekommen wäre – ein Heimat-film-Ende hätte es wohl auch nicht gegeben. Dazu waren die Schran-ken auf dem großen Gut mit der hoch entwickelten Milchwirtschaft denn

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doch unüberwindlich, Schranken, die mitunter noch in der völlig veränder-ten Nachkriegswelt fortwirkten. Aber der Nora blieben die Kronjuwelen.

Ein Armband aus Bernstein und Sil-ber, „gerettet von zu Hause“, kam einer Mutter aus dem östlichen Sam-land auf tragische Weise im Westen abhanden. Die Mutter hatte ein Baby, und im Flüchtlingslager in Dänemark 1945 hatte sie nicht genug Milch. Eine andere Wöchnerin konnte aus-helfen. Beide Babys hatten eine älte-re Schwester im gleichen Alter. Zum Dank für die lebensrettende Mutter-milch musste die Schwester des ge-retteten Babys, sieben Jahre alt, der ebenfalls siebenjährigen Tochter der Amme ihre Puppe überlassen, die auch „von zu Hause gerettet“ war.

Ist die Geschichte bis dahin schon traurig genug, so bekam sie im Westen eine ebenso traurige Fort-setzung. Die Mutter des geretteten Babys wollte die Härte an ihrer älte-ren Tochter wieder gut machen und suchte nach der Ankunft im Westen nach einer Puppe. Kaufen konnte sie keine, es gab doch nichts, und sie als Ostvertriebene hatte doch auch nichts. Schließlich machte sie eine Familie ausfindig, die eine Pup-pe hergeben wollte. Was sollte sie als Gegenleistung bieten? Sie bot der Puppenspenderin das Armband aus Bernstein und Silber an – in der Hoffnung, sie würde es von einer Flüchtlingsfrau nicht nehmen!!? Als ihre beiden Töchter, das Baby und

die damals Siebenjährige erwachsen waren, versuchten sie mehrmals, der Mutter den Verlust des Bernstein-armbands „von zu Hause“ wieder gutzumachen und durch ein neues Armband zu ersetzen. Aber das ge-lang nicht, konnte ja auch nicht ge-lingen, denn das Armband war doch „von zu Hause“ ...

Seit drei Jahrzehnten dürfen wir ins Samland reisen, und bei manchen Reisenden dürfte sich inzwischen eine private Bernsteinsammlung be-finden. Aber es geht ja um die alten Stücke aus der Staatlichen Bern-steinmanufaktur. Da gab es einmal eine Brosche in Form eines Schmet-terlings, die Flügel aus gelbem Bern-stein und in der Mitte ein „Auge“ aus braunem Bernstein mit Facet-tenschliff. Irgendwann brachen die Flügel auseinander, aber das „Auge“ kam zu hohen Ehren. Es wurde als Schmuckstein in den goldenen Trau-ring des verstorbenen Großvaters eingearbeitet und nahm an künftigen Familienfesten teil. Es gab auch ei-nen ovalen Anhänger mit Facetten-schliff, der mehrmals für Ausstellun-gen verliehen wurde. Als jedoch ein Museum Interesse zeigte, ihn zu erwerben, weigerten sich die Enkel. Schließlich hatte der Großvater einst das Schmuckstück der Großmutter zur Hochzeit 1935 geschenkt. Viel-leicht war es bei Bistrick in Königs-berg gekauft worden?

Ostpreußen war stets ein beliebtes Reiseland. Nicht nur in den Seebä-

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dern, auch auf dem Land machte man gerne Ferien, besonders bei Verwandten. Da gibt es nur wenige Fotos in Schwarz-Weiß, wie man im Sommer im Garten sitzt oder gar am Strand. Es besaß ja durchaus nicht jeder einen Fotoapparat. Die Nach-fahren brauchen Fantasie, wenn sie sich derartige Sommerferien vorstel-len wollen.

Fantasie brauchte ich auch, als ich Ende der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts den Nachlass einer Tante zweiten oder dritten Grades sichtete. Die Tante wohnte in Saar-brücken, hatte aber mehrmals Som-merfrische in Ostpreußen verlebt. Nun fiel mir eine Bernsteinkette in die Hände, große, gelbe, undurch-sichtige Perlen. Man wollte sie weg-werfen, sie wäre doch unmodern, ja sogar hässlich, hieß es. Ich nahm sie mit.

Die Tante hatte ich noch gut ken-nengelernt. Sie war eine Person mit der besonderen Gabe, andere Men-schen zum Lachen zu bringen, auch wenn sie das gar nicht wollte. Das konnte peinlich werden. Dabei war sie ebenso eine vollendete Dame. Sie hatte ein schweres Leben ge-habt, mit Enttäuschungen und voller Verantwortung und Selbstaufgabe für andere. Aber wenn man sich an sie erinnerte, kam nur die komische Seite zum Tragen – man musste la-chen. Ich nahm die Kette also mit und trug sie auch mitunter. Ihre Herkunft blieb im Dunkeln. Vielleicht war sie in

den 30-er Jahren des vorigen Jahr-hunderts in Königsberg gekauft wor-den? Oder in Cranz bei einem der beliebten Tagesausflüge an die See? Niemand konnte es mehr sagen. Doch sie bekam besondere Bedeu-tung. Eines Tages riss die Schnur, an der die Perlen aufgezogen waren. Es fand ein Volksfest statt, und auf diesem Volksfest gab es einen Stand mit Ketten und Schmuck, und die Betreiberin konnte Ketten aufziehen. Sie konnte auch meine Kette neu aufziehen und machte ein Gebilde aus Bernsteinperlen und Silberglie-dern daraus. Als ich bei meinem nächsten Besuch in Königsberg/Ka-liningrad diese Kette trug, waren die russischen Freundinnen begeistert. Die Kette wurde kopiert, es ging vor allem um die Verbindung von altem Bernstein und modernen Gliedern.

Ein Schmuckgeschäft in der neuen Heimat hier im Westen hatte eine neue Idee. Man komponierte die al-ten Bernsteinperlen mit andersfarbi-gem Bernstein und war stolz auf die aparte Kombination.

Die Tante ist lange tot. Ihr Frauen-schicksal, das man ja auch erst im Alter richtig verstehen lernt, gäbe Stoff für einen ganzen Roman. Die Herkunft ihrer Kette bleibt im Dun-keln. Sie muss aber in Ostpreußen liegen. Ihre Kette jedoch führte viele Frauen zusammen, russische und deutsche.

Bärbel Beutner

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Der Bericht „Ein Rundgang durch Laptau“ von Frau Liselotte Kleining, geb. Kuhn, hat mir die Reise 1991 ins Samland mit meiner Mutter wie-der in Erinnerung gebracht.

Nachdem die Reisebeschränkun-gen für das nördliche Ostpreußen erleichtert wurden, habe ich meine Mutter „bearbeitet“ mit mir dorthin zu fahren. Ich wollte endlich die Orte se-hen, von denen in der Familie so viel erzählt wurde. Meine Tante Lise-Lot-te hat in ihren Erinnerungen etwas über das Leben im Dorf geschrieben:„In der Schule bewohnten wir drei große und ein kleines Zimmer unten, eine Küche mit Pumpe und Ausguss und eine ziemlich große Speisekam-

mer. Daneben waren die zwei großen Schulkassen. Darüber das Zimmer, wo wir Mädels schliefen. Ein Zim-mer war noch für den zweiten Leh-rer. Wir hatten das erste halbe Jahr noch Petroleumlampen in Laptau, dann erst bekamen wir elektrisches Licht. Die Wäsche, es war alles Lei-nen- und Baumwollwäsche, wurde gekocht, per Hand gewaschen und im Frühjahr/Sommer im Obstgarten gebleicht, anschließend gemangelt oder mit einem Kohleplätteisen ge-plättet. Jede Woche wurde Brot ge-backen, zum Sonntag Fladen (Streu-selkuchen).

Im Garten hinter der Schule, der an die Kirche und Friedhof grenzte, hat

Ein Rundgang durch Laptau

Die Schule in Laptau 1936, mit Kirchturm im Hintergrund und Ehrenmal.

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Foto oben: Schule in Laptau 1991/Rechte Seite – ehemals Schulklassen

Foto unten: Schule in Laptau 1991/Linke Seite – ehemals Lehrerwohnung

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ten wir noch Rasen, Johannisbeer-sträucher, zwei Pflaumen- und vier Apfelbäume. Zu Stall mit Scheunen-fach und Speicher und den Toiletten musste man über die Straße gehen. Da war ein großer Zaun herum und anschließend unser großer Obstgar-ten. Wir verlebten eine schöne Kinder- und Jugendzeit. Wir spielten viel mit den beiden Gutskindern Lotti und Lore Kuhn, die mit uns in einem Alter waren, aber eine Hauslehrerin hat-ten. Im Park stand eine alte Buche. Wir sind oft bis oben geklettert und konnten dann bis ans Haff sehen. Auch sind wir durch die Kuhställe ge-gangen. Vor den drei großen Bullen hatten wir aber Respekt und haben sie nur von der Stalltür aus besehen.

Die Bullen wurden fast täglich aus-geführt, auch durchs Dorf. Einmal musste der Bullenführer, ein kleiner dünner Mann, Reißaus ins Back-haus nehmen, weil der Bulle sich erschreckt hatte und nicht so wollte, wie er sollte.

Im Backhaus backten die Leute vom Gut wöchentlich das Brot und Kuchen, denn nicht in jedem Haus gab es einen Backofen. Als wir noch klein waren, gingen wir im Sommer mit anderen Kindern im Mühlenbach baden. Dort haben wir auch schwim-men gelernt. Als wir größer waren, fuhren wir nach Cranz baden.

Im Winter fuhren wir nach Cranz zur Klavierstunde. Die Ostsee habe ich

schon oft vorne zugefroren gesehen, aber im April 1929 waren es richti-ge Eisberge, wie im Gebirge sah es aus.“

Im August 1991 flogen wir von Ham-burg nach Riga, weiter nach Polan-gen und von dort ging es mit dem Bus nach Rauschen. Hier waren wir in ei-nem einfachen Hotel untergebracht. Nach einer Stadtrundfahrt durch Kö-nigsberg hatten wir die Möglichkeit, mit einem Privatauto und Dolmet-scherin nach Laptau zu fahren.

Mein Großvater, Georg Lange, hat-te 1920/21 die Hauptlehrerstelle in Laptau übernommen und war auch gleichzeitig Kantor. Meine Mutter, Lena Sommer, geb. Lange, wuchs mit ihren Geschwistern in der Schule auf. Sie war eine Spielfreundin von Frau Kleining und hatte auch nach dem Krieg wieder Kontakt zu ihr.

Die Familie Lange war nach dem frühen Tod meines Großvaters 1931 nach Tannenwalde gezogen. In den Folgejahren und durch den Krieg ha-ben die Landschaft und die Ortschaf-ten sich sehr verändert. Manches war nicht wiederzuerkennen. Trotz fehlendem Turm, nach dem meine Mutter immer Ausschau hielt, fanden wir die Kirche, die Schule und das Kriegerdenkmal. Aber der Zahn der Zeit hatte auch an diesen Gebäuden genagt.

Die Schule, mit zwei Kastanien da-vor, war bewohnt, leider konnten wir

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Fotos oben: Zustand der Kirche in den Jahren 2014 (l.) und 2017 (r.)

Foto unten: Zustand des Kirchenraumes im Jahr 2017

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Fotos oben: Zustand des Ehrenmals in den Jahren 1991 (l.) und 2000 (r.)Foto unten: Zustand des Ehrenmals im Jahr 2014Kleines Bild: der fehlende Gedenkstein des Ehrenmals Fotos (10): privat

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nicht hinein. An der Schule vorbei ging man zur Kirche und auf den Friedhof. Die Kirche wurde 1991 noch als Turnhalle genutzt. Vom deutschen Friedhof, der an der Kir-che lag, war nichts zu erkennen. Hin-ter der Kirche befindet sich jetzt der russische Friedhof.

Gegenüber der Schule stand früher die sog. „Lehrerpumpe“. Von dort musste in den zwanziger Jahren das Wasser für die Schule geholt wer-den. Statt der Pumpe steht dort ein Ziehbrunnen.

1991 stand noch ein Eimer zum Wasserholen dort. Der Brunnen wur-de später etwas verschönert. Hinter dem Brunnen der Obstgarten und die Bleichwiese.

Das Kriegerdenkmal/Ehrenmal von 1914/18 ist erstaunlicherweise erhal-ten geblieben, nur die Gedenkplatte und ein Stein seitlich des Soldaten-kopfes fehlten

Unsere Zeit in Laptau war sehr knapp bemessen, sodass wir den Besuch auf den Bereich Schule/Kir-che/Denkmal beschränkt haben. Bei diesem „Kurztrip“ mit meiner Mutter haben wir nicht nur Laptau aufge-sucht, wir waren auch auf der Suche nach der Burg Lochstedt, wo meine Eltern bis 1945 gelebt haben. Auf dem Weg dorthin kamen uns Pan-zer entgegen und die Posten an der Kontrollstelle ließen uns ohne Pa-piere nicht durch. Diese Aufregung

war für meine Mutter doch sehr groß und wir fuhren nach Rauschen zu-rück. Nach unserer Rückkehr waren die Familie, Verwandte und Freunde sehr an unseren Erlebnissen interes-siert und viele Erinnerungen an das Leben vor dem Krieg wurden wieder wach. Nachdem ich 1997 mit meiner Tochter in Rauschen war und wir mit viel Glück zur Burg Lochstedt geführt wurden, konnten wir zu Hause noch mehr erzählen.

Im Jahre 2000 flogen wir – meine Geschwister und Kusinen – nach Kö-nigsberg, um auf den Spuren unse-rer Mütter zu gehen und die eigenen Erinnerungen an die Kindheit nach-zuvollziehen, ebenso in den Jahren 2004 und 2010.

Nachdem meine Schwester und meine Kusinen verstorben waren, habe ich angeboten, den Neffen und Nichten die Geburts- und Wohnorte der Familien zu zeigen. Laptau ge-hörte immer zur ersten Anlaufstelle. Wir haben in all den Jahren die für uns markanten Punkte fotografiert und konnten so die Veränderungen – positiv oder negativ – festhalten. Tatsächlich standen im Jahr 2017 drei der Ururenkel unseres Großva-ters Georg Lange am Ziehbrunnen vor der Schule. Für sie war das eine spannende, interessante und lehrrei-che Reise in die Vergangenheit der Familie und der Geschichte des Lan-des.

Marianne Huuck geb. Sommer

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Rede an den Großen Kurfürsten am 13. September 2020 in Eckernförde

„Lieber Kurfürst!Wir kennen uns schon ziemlich lan-ge. Es sind schon 90 Jahre her, als ich als kleines Mädchen mit meinem Puppenwagen vor Deinem Denk-mal auftauchte und sichtlich einge-schüchtert zu Dir hochguckte. Was Du für unsere Heimat getan hast, brachte man uns dann in der Schu-le bei. Meine Achtung stieg gewal-tig! Später hatten wir dann unseren Spaß damit, die Touristen zu veräp-peln. Wenn diese vor Deinem Denk-mal standen und wohl nicht wussten, wer Du warst. und fragte ein Tou-rist, dann antworteten wir Pillauer Bowkes ganz treuherzig: „Das ist un-ser Kurfürst. Sie wissen sicher was er vorstellt und Sie wissen bestimmt auch was er denkt?“ Meist aber gab es keine Antwort von den Touristen. Dann sagte einer von uns: “Na, er stellt den rechten Fuß vor und denkt, wenn ich noch einen Schritt weiter gehe, dann falle ich runter!“ Dann war es Zeit abzuhauen. Man hörte noch: „So ein Lorbass!“ Du, lieber Kurfürst hast sicher geschmunzelt. Du hattest einen guten Blick aufs Wasser und hast gesehen, wie ich mit meiner Jolle rumflitzte. Du konn-test sehen, wie der neue Lotsenturm gebaut wurde, auf dem ich meinen ersten Segelschein machte. Und dann... wurde alles anders, als der schreckliche Krieg kam. Große Schif-fe machten fest; Wohnraum für viele Marinesoldaten. In Pillau blieb es

lange ruhig, aber als dann die Front näher kam, da erschienen böse Männer. Sie hoben Dich vom Sockel und schafften Dich nach Hamburg. Du solltest nämlich eingeschmolzen werden, um Kanonen aus Dir zu ma-chen! Zum großen Glück der Pillauer wurdest Du nicht eingeschmolzen... und als Eckernförde 1955 unsere Patenstadt wurde, bekamst Du hier am Borbyer Ufer diesen schönen Platz, mit Blick zum Wasser und Du wurdest Mittelpunkt bei den Treffen der heimattreuen Pillauer in ihrer Patenstadt Eckernförde. Sie kamen zum Teil auch aus dem Ausland, an-fangs viele Hunderte. Mit den Jahren wurden es weniger. Viele sind schon gestorben und wir sind nur noch eine kleine Schar. Wenn Du reden könntest, sicher würdest Du sagen: Ihr letzten Pillauer und Eure Nach-kommen, ich habe eine Botschaft an Euch: Vertragt Euch, haltet zusam-men wie Pech und Schwefel, haltet die Liebe zu Pillau lebendig, in dem Ihr so oft wie möglich dort hinfahrt. Ihr werdet dort friedliche, hilfsberei-te und gastfreundliche Leute tref-fen. Knüpft Kontakte mit ihnen und schließt Freundschaften mit denen, die nun dort beheimatet sind! Vor allen Dingen aber merkt Euch eins: Miteinander reden ist immer richtiger als aufeinander schießen! Ich hoffe, dass Ihr im nächsten Jahr wieder herkommt und mir Euer Pillauer Lied singt!“

Rosemarie Goretzki/Strahlendorf (*1925) Wedel, Tel.: 04103/5646

Gedenken zum Kriegsende vor 75 Jahren

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Folgende Anmerkungen zum vorstehenden Text

Das Standbild des Großen Kurfürs-ten Friedrich Wilhelm von Branden-burg (1620-1688) erinnert an den Wegbereiter von Brandenburg-Preu-ßen zur Großmacht. Es ist die einzi-ge original erhaltene Bronzefigur aus dem ehemaligen Ostpreußen. Die spätere Seestadt Pillau (Die Stadt-rechte bekam der Ort 1725 verliehen) verdankte dem Kurfürsten ihre erste Blütezeit, da er der „kleinen Stadt am baltischen Meer“ (wie es im Pillauer Heimatlied heißt) eine wichtige Rolle

beispielsweise durch die Zollerträge zuerkannte. Um die Bedeutung des Denkmals zu verstehen, muss die damalige Zeit und die historische Entwicklung der europäischen Staa-ten mitbedacht werden, wo die wirt-schaftliche Blüte und Expansion von Völkern den Handelsbeziehungen, aber auch dem Militarismus zuzu-rechnen ist; so gewann Pillau auch als Marinestützpunkt ökonomischen Aufschwung, die Stadt wurde später zudem als touristisches Ausflugsziel bekannt. Das Denkmal des Großen Kurfürsten wurde 1913 am Hafen von Pillau aufgestellt; jedoch 1944 für Rüstungszwecke vom Sockel gehoben und nach Hamburg trans-portiert. 1955 wurde das Standbild in Eckernförde direkt am Wasser auf einem Sockel neu verankert und die Stadt Eckernförde übernahm die Pa-tenschaft für die heimatlosen Pillau-er; diese Patenschaft umfasst auch zeitlich unbegrenzt alle Nachfahren. Wir, die Nachfahren, motiviert von unserer „Grand Dame“ Rosemarie Goretzki/Strahlendorf haben be-schlossen, dass noch viele weitere Generationen von Patenkindern in der Stadt Eckernforde am Denkmal des Großen Kurfürsten traditionell zusammentreffen werden und zu-dem auch gegenwartsbezogene Ak-tivitäten anstreben, auch durch wei-teres „Brückenbauen“ der friedlichen interkulturellen Beziehungen zur Stadt Baltijsk im heute russischen Ostpreußen.

Gabriele E. Schildknecht-LindenbergDenkmal des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Foto: Ebo24

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Neukuhren

Es ist wieder einmal soweit. Ich habe mich bemüht, einen Beitrag für un-seren Heimatbrief „Unser schönes Samland“ zu erstellen. Das ist mir erfreulicherweise mit „fremder Hilfe“ gelungen.

Elli Heckt (geb. Hauswald) aus Strande ist im Jahre 2019 mit ihrem Enkel Volker und ihrer Cousine Han-nelore (in Altnicken aufgewachsen) in Neukuhren gewesen und hat mir einen Kurzbericht zur Verfügung ge-stellt, den ich im Wortlaut veröffentli-chen will.

Unter dem Motto „Reise in die alte Heimat“ schreibt Frau Heckt: „Im Juli 2019 rief mich mein Enkelsohn Volker an und überraschte mich mit

der Frage, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm in meine alte Heimat zu rei-sen. Es gäbe ein günstiges Angebot für eine Flugreise. Wir könnten doch auch noch meine Cousine Hannelo-re fragen, ob sie auch Lust hätte mit-zukommen. Nach kurzer Überlegung sagten wir zu.

Erster Tag

Am 5. September in der Frühe um 3.00 Uhr ging es mit dem Taxi zum Flughafen nach Hamburg. Der Flug ging über Warschau nach Königs-berg/Kaliningrad (Flughafen Powun-den). Leider war mein Koffer nicht mitgekommen. Er kam vier Tage später! Mit dem Taxi nach Neukuh-ren dauerte es circa 20 bis 25 Minu-

Elli Heckt mit Begleitung vor der Pension „Neukuhren“. Foto: privat

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ten. Mein Enkel übersetzte, dass un-sere Pension „Neukuhren“ hieß. Sie lag an der Straße nach Battau, noch hinter der Fliegerhorst-Siedlung. Auf der linken Seite der Straße befand sich ein fast fertig gestellter Neubau mit Eigentumswohnungen.

Zweiter Tag

Gut ausgeschlafen begann der zwei-te Tag unserer Reise. Nach dem Frühstück machten wir uns mit dem Zug auf nach Königsberg. Die Fahr-karten kosteten umgerechnet 0,90 EUR pro Person. Dort angekommen ging es per Taxi zum Königsberger Dom. Hier machten wir eine Besich-tigung und hörten ein Orgelkonzert. Anschließend wurden wir für eine

Pregelschifffahrt angeworben. Ge-gen 13.00 Uhr hatten wir ein her-vorragendes Mittagessen in einem tollen Lokal für nur 22,60 Euro für drei Personen – inklusive Getränke. Danach bummelten wir gemütlich durch die Stadt. Insgesamt machte die Stadt einen gepflegten Eindruck.

Dritter Tag

Um 10.00 Uhr nahmen wir den Bus zur Schule/Rantau. Mit „Schule“ war aber eine neue Schule gemeint, die kurz vor dem Bahnhof „Rantau-Pobethen“ in einem Neubaugebiet lag. Zu Fuß tippelten wir dann nach Rantau zurück. Die alte Schule hatte einen Anbau. Auf der Anhöhe neben der Schule vor dem Sandweg stand

Blick auf die alte Schule mit Anbau in Rantau. Foto: privat

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eine Holzkapelle. In der Ortsmitte war ein Teil der Teiche durch einen gepflegten Park ersetzt worden. Von den Anwesen wie dem Gasthaus „Kern und Schwabe“ und dem Laden von Frau Siol war nichts mehr zu se-hen. Mit dem Bus fuhren wir weiter nach Neukuhren, wo ich mich durch die vielen Neubauten schlecht zu-recht gefunden habe. Anschließend gingen wir runter zur Promenade Richtung Rantau. Es war ein schöner Spaziergang bei herrlichem Wetter

vorbei an der Bernsteinresidenz des russischen Präsidenten Putin. Unter-wegs nutzte ich die Gelegenheit, ein-mal die Füße in die heimische Ost-see zu tauchen. Im Hafen standen mehrere Baukräne. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass dort eine Erweite-rung mit einem Yachthafen erfolgt.

Vierter Tag

Mit dem Taxi fuhren wir nach Rau-schen-Düne. Bis runter zur Prome-

Blick auf die Straße in Neukuhren in Richtung Rantau. Foto: privat

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nade und zum Strand waren es viele Stufen. Die Steilküste war mit Net-zen überzogen und an vielen Stellen mit Sanddorn bepflanzt. Man erzähl-te uns, dass dort noch ein Lift und ein Hotel geplant sind. Mit der Seilbahn fuhren wir nach oben. Zum Mittages-sen gingen wir ins Hotel „Seestern“. Danach bummelten wir durch die Bernsteinallee und erledigten einige kleine Einkäufe. Mit dem Taxi für cir-ca 5,00 Euro fuhren wir dann nach Neukuhren zurück.

Fünfter Tag

Jetzt hieß es wieder packen. Zum Abschied schenkte mir die Pensions-wirtin einen Bernstein-Schlüsselan-hänger. Mit dem Taxi ging es dann zum Flughafen. Es war ein wehmüti-ger Abschied von der „alten Heimat“.

Soweit der Reisebericht von Elli Heckt, für den ich mich recht herzlich bedanken möchte. Festzustellen ist, dass sich in Neukuhren vieles verän-

Rast am Strand vor der Bernsteinvilla von Russ-lands Präsidenten Wla-dimir Putin. Foto: privat

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dert hat. Nur wenig erinnert noch analte deutsche Zeiten, und diese Ent-wicklung schreitet weiter voran. Alte deutsche Bauten werden abgeris-sen und durch Neubauten ersetzt. So ist auch das Haus „Reiter´s Ruh“ von Arno Reimers Eltern nicht mehr vorhanden. Ich denke, dass sich das Ortsbild nach inzwischen fast zwei Jahren weiter verändert hat. Es ist ja beabsichtigt, Neukuhren wieder zu einem modernen Ostseebad zu machen, und das scheint inzwischen weitgehend gelungen zu sein.

Liebe Neukuhrener, Dagmar und ich wünschen Euch in dieser durch die Corona-Pandemie bedingten kritischen Zeit alles Gute. Nach den

Vom Flughafen in Königsberg ging es wieder nach Hause. Foto: A. Savin

verstärkten Impfungen hoffen wir auf eine Besserung und eine baldige Rückkehr zur Normalität. Dennoch werden wir uns bis zu einem nächs-ten Ortstreffen noch sehr lange ge-dulden müssen. Bis dahin wünsche ich Euch gute Gesundheit und grüße vor allem unsere nicht mehr reisefä-higen Landsleute.

Mit herzlichen und heimatlichen Grü-ßen

Euer Ortsvertreter Dieter Weiß Breite Lieth 6 27442 Gnarrenburg Tel. u. Fax: 04763/7275 E-Mail: [email protected]

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Vergessene und verschwundene OrteHeute – Rosignaiten/Brasnicken

Die Gemeinde lag östlich des Galtgarben, nördlich des Pilzensees, circa 15 Kilometer nordwestlich von Königsberg und gehörte zum Kirch-spiel Wargen. Rosignaiten war der Gemeindeort und Brasnicken ein Gut in dieser Gemeinde.

Rosignaiten war ein Dorf, das mit dem Namen Resenygeiten schon vor 1500 genannt wurde und even-tuell bereits seit 1400 bekannt ist. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich die Schreibweise in Rosigenet-ten und Rosygnayten.1a 1785 gibt GOLDBECK dann den Ort Rosignai-ten als königl. Dorf mit elf Feuerstel-len an.2a Das waren hauptsächlich Häuser von kleineren und mittleren Bauern.

1820 nennt WALD ebenfalls Rosig-naiten, aber als Cöllm. und Bauern-Dorf mit zehn Feuerstellen und 63

Seelen.3a Der Ort wuchs und hatte 1910 146 Einwohner. Im „Hand-buch des Grundbesitzes“ von 1929 werden die größeren Besitzungen von Fligge und Saemann genannt. Kleinere Höfe sind darin nicht aufge-führt. Dagegen werden 1932 neben den genannten Gütern noch die Be-sitzungen von Dettmer, Godau und Krause aufgeführt. 1938 hatte Rosi-gnaiten 209 Einwohner.

Neben Gutsbesitzern und Bauern lebten in Rosignaiten noch wenige Handwerker, wie es das Einwohner-verzeichnis von 1922/23 ausweist. Es gab im Ort eine Tischlerei, eine Schneiderei und eine Sattlerei. Letz-tere war bei den vielen Landwirten,

die früher ihre Felder mit Pferden bearbeiteten, zur Pflege für deren Sielen und Zaumzeuge ein wichtiger Beruf. Und hier lebte damals noch

Lageplan der Orte. Foto: Samlandkarte von 1928

Ortsplan von Rosignaiten. Foto: Messtischblatt 1187/88

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ein Straßenmeister, der wahrschein-lich für Räumdienste und Instandhal-tung der Reichstraße im nahen Be-reich zuständig war.

Am Dorf floss der „Landgraben“ vor-bei und zum Ort führte eine kleine Straße, die bei Brasnicken von der Reichsstraße 143 abzweigte. Ne-benwege führten auch nach Adlig Willgaiten und nach Dommelkeim, wo die Haltepunkte der Samland-bahn waren. Dies waren die nächst-gelegenen Bahnstationen für das Dorf. Die Schulkinder mussten nach Elchdorf in die zweiklassige Schule. Und im Ort gab es anscheinend kei-ne Einkaufmöglichkeiten. Diese la-gen sicherlich weit entfernt. Am wei-testen war aber der Weg zur Kirche in Wargen.

1928 vergrößerte sich die Landge-meinde durch die Eingemeindung des Gutsbezirks Brasnicken. Bras-nicken war ein Gut, das mit dem Namen Brasnick nach 1540 in den Akten genannt wird. Auch hier än-derte sich im Laufe der Zeit die Schreibweise des Ortsnamens über Braschnicken und Prasnicken bis zu der uns bekannten Form.1b 1785 gibt GOLDBECK Braschnicken als Adli-ges Gut mit zehn Feuerstellen an.2b

Dann knapp 40 Jahre später, 1820, nennt WALD den Ort Brasnicken als Adliges Gut mit neun Feuerstellen und 59 Seelen. Es gehörte den Er-ben von Wernick.3b 1907 war das Adl. Gut im Besitz von Eldor v. Lentzke, der eine Holländer Viehzucht betrieb.

1913 wird Friedrich Kretschmann als Besitzer genannt und dann gehörte es 1929 Margarete Finck, die das Gut an Carl Kahl verpachtet hatte. Im Verzeichnis von 1932 ist Marie Weiß als Besitzerin genannt. Verwal-tungstechnisch war Brasnicken zu-nächst ein selbständiger Gutsbezirk. Dem Besitzer oblag die Verwaltung,

er war Standesbeamter und hatte auch die Rechtssprechung. Mit Auf-hebung der Gutsbezirke kam das Gut 1928 zur Gemeinde Rosignai-ten. Das Gut lag an der alten Land-straße, die von Königsberg (Pr) ins nordwestliche Samland führte und die in den 30er-Jahren des vorigen Jh. zur „Reichsstraße 143“ wurde. Es lag am nördlichen Rand eines größeren Waldgebiets, das vielleicht noch zum Forst von Grünhoff gehör-te. Durch den Ort floss ein Bach, der vom Karpfenteich bei Elchdorf kam und der das Gelände bis zum Wald sehr feucht machte. Kurt MAIBAUM

Ortsplan von Brasnicken. Foto: Messtischblatt 1188

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schreibt, dass sein Geburtshaus am Anfang des Ortes stand. Das Foto (siehe unten) zeigt ihn auf dem Arm seiner Mutter vor dem Haus. Zum Haus gehörte ein Stall für Kleinvieh, der aber auf der anderen Straßen-seite lag. Wahrscheinlich gab es für die Gutsbedienstesten mehrere solcher Häuser im Ort. Sein Vater arbeitete als Schmied auf dem Gut, und so hörte der Junge den rhythmi-schen Schlag des Hammers auf dem Amboss beim Hufeisenschmieden

und wusste, wo sein Vater war. Gern hat er ihn dort in der Schmiede be-sucht, denn die Schmiedearbeit und das Beschlagen der Pferde waren für einen Jungen schon sehr interes-sant. Auf dem Weg dorthin musste er einen Graben überqueren, über den nur ein schmaler Steg führte. Das machte den Eltern immer etwas Sor-ge.

Wie bei einigen Gütern im Samland lag auch bei Brasnicken ein kleiner

Mutter Maibaum vor ih-rem Haus. Foto: privat

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Friedhof auf einer Anhöhe für die To-ten der umliegenden Güter. Hier war auch das Grab einer Großmutter von Herrn Maibaum. Zu den Besuchen dort schreibt er: „Ich sollte auf dem Weg zum Friedhof schön brav und ruhig, seitlich neben meinen Eltern gehend, deren Tempo mithalten. Auf dem Friedhof ging ich hinter meinen Eltern und betrachtete sie von hin-ten. Da sah ich formlose Gestalten vor mir, die ich mir damals nicht er-klären konnte.

Der Baumbestand hatte auch sehr dunkle Stellen und durch die blät-ter- und astlosen Kronen schien die Sonne immer wie ein fokussierter Scheinwerfer und dieses helle und

dunkle Schattenspiel betrachtete ich beim Gehen meiner Eltern auf deren Körperrückseiten“. Die Familie zog 1938 nach Gr. Dirschkeim, wo der Vater eine Anstellung auf dem nahe gelegenen neuen Flugplatz erhielt. Als Bahnstation wird der Haltepunkt Willgaiten der Samlandbahn ge-nannt, der etwa 5 Kilometer entfernt lag. Die zuständige Poststelle war seit 1932 im Gasthaus „Tannenkrug“. Die Kinder mussten zur Schule nach Elchdorf gehen. Doch der weite Weg zur Kirche nach Wargen war fast un-zumutbar. Ebenso lagen die Einkauf-möglichkeiten sehr entfernt.

Ebenfalls an der alten Landstra-ße, der späteren Reichsstraße, lag

Gasthaus Tannenkrug, Inh. R. Golloch, mit Gartenseite und Bärenwinkel. Die Aufnahme entstand zwischen 1925 und 1932. Foto: Bildarchiv Ostpreußen

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der Tannenkrug. Dieses Wirtshaus heißt bei GOLDBECK 1785 Dannen-krug mit zwei Feuerstellen und wird als Adel. Krug bezeichnet.2c WALD nennt 1820 den Tannenkrug ein Adel. Vorwerk mit 19 Seelen. Es diente früher als Station für die Fuhrwerke und Journalieren, die von Königs-berg zu den Badeorten fuhren. Und es war auch ein Ziel für die Besucher des Galtgarbens. Oskar SCHLICHT schrieb 1920: „Er war mehr als ein einfaches Gasthaus und nannte sich stolz ,Restaurant mit Familiensalon’“. Anfang Februar 1945 wurde das Ge-meindegebiet von der Roten Armee erobert und kam dann zu Russland. 1947/48 erhielt Rosignaiten den rus-sischen Namen Otkossowo und aus Brasnicken wurde Woloschino. Die Einwohner waren evtl. noch recht-zeitig geflüchtet oder wurden dann ausgewiesen.

Herrn Maibaum danke ich für seine Informationen, die er mir in einem langen Brief mitteilte.

Hans-Georg Klemm Sudetenstraße 11 91080 Uttenreuth Tel.: 09131/58489 E-Mail: [email protected]

Literatur1a. Dietrich Lange: Geografisches Ortsregister Ostpreußen, Königslut-ter 2000, Seite 653

1b. Dietrich Lange: Geografisches Ortsregister Ostpreußen, Königslut-ter 2000, Seite 99

2a. J.F. Goldbeck: Vollständige To-pographie des Königreichs Preußen, Erster Teil, ND Hamburg 1990, Seite 155

2b. J.F. Goldbeck: Vollständige To-pographie des Königreichs Preußen, Erster Teil, ND Hamburg 1990, Seite 21

2c. J.F. Goldbeck: Vollständige To-pographie des Königreichs Preußen, Erster Teil, ND Hamburg 1990, Seite 34

3a. S.G. Wald: Topograph. Übersicht des Verwaltungsbezirks der Königl. Preuß. Regierung zu Königsberg in Preußen, S. 37

3b. S.G. Wald: Topograph. Übersicht des Verwaltungsbezirks der Königl. Preuß. Regierung zu Königsberg in Preußen, S. 36

Redaktionsschluss für Folge 231 ist der 15. Juli 2021

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Ein ostpreußischer Künstler – Dr. Alfred Lau

Im letzten Heimatbrief habe ich Ih-nen den Dialekt-Rezitator Robert Jo-hannes vorgestellt, der vor rund 100 Jahren in Ostpreußen seine selbst-verfassten Gedichte und Geschich-ten in unserer ostpreußischen Mund-art vorgetragen hat. Sie wurden dann in den neun Heften „Deklamatorium“ gedruckt.

Ebenfalls aus Ostpreußen stammt Dr. Alfred Lau. Er ist rund 50 Jahre jünger als Robert Jo-hannes, hatte einen anderen Bi ldungsweg, doch war of-fensichtlich das Ostpreußische Platt ebenfalls seine Leiden-schaft. Alfred Lau wurde 1898 in Friedrichshof, Kreis Ortels-burg, geboren. Er. verbrachte seine Jugend in Tammowisch-ken, Kr. Inster-burg, bei seinen Großeltern und studierte zu-nächst Medizin in Königsberg. Doch bald wechselte er zur Schriftstellerei und Journalis-tik. Als heimatlicher Mundartdichter wurde er bekannt. 1924 wurde er Redakteur der Programmzeitschrift

„Der Königsberger Rundfunk“ und trat in die NSDAP ein. Er wurde in den ersten 1930er-Jahren Chefre-dakteur der Preußischen Zeitung und ab 1935 Intendant des Reichs-senders Königsberg. Im 3. Reich hatte er dann noch weitere Ämter.

Die reife Menschenkenntnis und die verständnisvolle Beschreibung der verschiedensten Charaktere in sei-

nen Dichtun-gen verraten Laus Abstam-mung von ei-nem alten Leh-rergeschlecht, wie auch die A u s w i r k u n g seines Medizin-Studiums und der verschiede-nen beruflichen Betätigung. Er war zeitweise Hauslehrer und Vertreter, dann Mitarbeiter der t e c h n i s c h e n Nothilfe und auch Hilfsarzt.

Über seinen wei-teren Lebens-weg durch Krieg und Flucht konn-

te ich nichts finden. Seinen Lebens-abend verbrachte er dann in Bad Grund am Harz. Als Schriftsteller hat er humoristische Gedichte und Erzählungen verfasst, am bekann-

Karrikatur: Auguste beim Schreiben

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testen sind seine „Schabbelbohnen“, die Heimatbriefe von „Auguste in der Großstadt“ sowie Gedichte in ostpreußischer Mundart. Und wahr-scheinlich erst nach der Vertreibung schrieb er seine ostpreußischen Witzkes „Da lacht selbst der Leucht-turm“.

Hier möchte ich einige Passagen aus den Briefen von AUGUSTE, die in den Heften „Auguste in der Groß-stadt“ veröffentlicht wurden, wieder-geben.

Auguste Oschkinat stammte aus En-derweitschen per Kieselischken. Sie ging in jungen Jahren nach Königs-berg in Stellung (so hieß damals eine Anstellung im Haushalt) und schrieb in zahlreichen Briefen an ihre Eltern ihre Eindrücke und Erlebnisse. Die Texte sind im Stil einer einfachen Marjell und mit Worten wie sie wohl in Ostpreußen auf dem Lande üb-lich waren und gesprochen wurden. Wahrscheinlich sind sie deshalb von jüngeren Heimatfreunden nicht leicht zu verstehen.

In ihrem ersten Brief schreibt sie ihre Eindrücke von Königsberg: „Ich hääd man horchen sollt. Denn hier in Kö-nigsberg is mir alles so unbekannt, und ich hab mich in die vielen Straßen all e paar mal mächtig verbiestert. Die Heiser sehen alle eengal aus; dass einer se ausenanderkennt, sind iberall Zahlen angeschrieben, aber nu hat einer es noch schwerer mit-tes Zerächtfinden. Dem ersten Mor-

gen, wo ich da war, schickd mir de Frau nach Matt-jes-Häringe.“ Unten im Haus bekam sie die Haustür nicht auf. Sie musste den Herrn holen und stellte dann fest, dass die Tür nach außen aufging, während die Türen in Enderweitschen alle nach innen aufgingen. Mit den Fenstern war es gerade umgekehrt: sie gingen in En-derweitschen nach außen und in Kö-nigsberg nach innen auf. Und weiter:„Nu kennt ihr eich vleicht ausmalen, wie schwer das hier is, wo einer al-les nei lernen muß. Ich bin ganz un-glicklich und wolld all e paar mal wie-der zrickkommen, aber ich find nich mehr dem Bahnhof. Inne Kich ist auch alles anders, gekocht wird nich mit Holz, nei mit Luft, wo aus Röh-ren rauskommt. (. . . ). Am besten is noch das Licht, da brauchst nur so e schwarze Schraub umdrehen denn brännt. Jetz stinken meine Finger auch nich mehr so nach Pitroljum. Und das Wasser brauchst auch nich vonne Pump aufem Hof holen, das kommt von selbst raufgeklettert und leift aus einem gelben Rohr auße Wand. Ihr denkt vleicht, das ich eich beliege, das is nich wahr, es is war-raftgen Gott so wie ich eich erzähle.“

In einem anderen Brief schreibt sie über das Mittagessen dieses Ta-ges: „Zu Mittag hädden wir Schwei-nebraten mit rösche Schwart, das schmeckt rein zum Huckenbleiben, und denn zuletzt noch Speise, das is solch sießes Zeig, das schmeckt im-mer nach mehr, dass ich noch dem Löffel und dem Täller abgeläckt hab.

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Ich hab orndlich reingehauen, weil ich mir sagd, wer weiß, wenn wieder was Vernimftges kriegst.“ Sie liebt also gutes Essen, unbekümmert um ihre 90 Kilo, die sie schon zur „Gim-nasiastik“ nötigen. Und anscheinend schmeckt ihr auch das Trinken. Von den „Kierassieren“, die sie mit Be-hagen getrunken hat, berichtet sie: „Das sind sieße Schnapschens und schmecken immer nach mehr.“

Als sie ein Viertel Jahr in Königs-berg war, hatte sie wohl Kontakt zu dem Bruder August eines anderen Dienstmädchens, der Fleischer war. Sie schrieb ihren Eltern: „Nu bin ich all bald e Vierteljahr hier in Königs-berg, wenn einer so denkt wie doch die Zeit rennt. Wie ich herkam da lag alles voll Schnee und nu is all Mai! Jetz is auch all ganz scheen warm, auch abends, ich huck gern aufem Ballkong, aber meistens hucken da die Herrschaften, denn steh ich im-mer anne Haustier und schabber mittem August. Einen Abend waren wir e stickche weggegangen, und wie wir ze Haus kamen, da hädden se de Haustier zugeriegelt. Und ich kriegd Angst, ich konnd doch nich aufe Straß schlafen! Nu haben wir beide wie dammlich aufe Glock ge-drückt. Das is nämlich ganz fein eingericht, wenn unten drickst denn klingert oben. Bloß da waren so viel Knöppe dass ich nicht wußt welches unser war. Da drickd der August mit-te ganze Hand alle Knöpp auf ein-mal, er meind denn wird der richtige ja auch mittmang sein. Und da ris-

sen die Leite alle Fenster auf weil se dachten es brennt.“

Mit August geht sie auch zu den verschiedensten Veranstaltungen, obwohl sie – wie sie schreibt – in Enderweitschen den Kardel hat. Als sie einmal mit August verärgert war, sagte sie zu ihm „ich vertrag mich erst wieder mit Dir, wenn Du mir e Billjett für den Zirkus spendierst.“

Und so lud August sie an ihrem Aus-gehtag in den Zirkus ein, wo sie auf den ersten Platz gingen, weil sie sich sonst bei dem langen Programm von vier Stunden auf der Galerie die Bei-ne in den Bauch gestanden hätten. Sie schreibt: „Aber das häddet Ihr sehn sollt! Die Pferde rannden im-mer wie verrickt inne Rund, als wenn die Kiehe zu haus den Biswurm ha-ben. (…).

Und einer knallt immer mit de Peitsch. Aber der konnt knallen! Und die Au-gusts wo da waren stellten sich so dammlich an. Blos der August sagd, die heißen Klohn [Clown], er ärgert sich bloß weil er auch August heiß. (…). E richtigen Elefant hab ich nu auch gesehn, aber der ist gar nich so groß wie e Haus, oder es war e ganz junger. Aber denn de Löwen, ich wollt immer rausgehn, weil ich Angst hädd, aber de August lachd mir aus und sagt, die werden doch inne Kä-fig reingebrachd. (…). Wie aus war, da war auch all ziemlich zwölf, und ich hab de ganze Nacht von nuscht anders geträumt wie vonne Löwen.“

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Doch wie aus weiteren Briefen her-vorgeht, bleibt sie weiter sehr unter-nehmenslustig. Mit August ging sie dann auf den Jahrmarkt. Dort hat sie sich das große Frauenmensch aus Holland bekickt. „Fier jedem kosd drei Dittche, dafier kriegden wir auch zu hucken auf Bänke mit Tan-nenbretter. Wie ich wieder aufstehn wolld, da klebd ich fest wie e Flieg im Sirup, weil auf meinem Platz e gro-ßer Humpel Harz war.“ Sie hatte nun einen Fleck im Kleid und genierte sich damit auf die Straße zu gehen.

Ein anderes Mal ging sie mit August ins Theater, denn einer kann niemals genug lernen. Sie kauften sich Bill-jetters für die Komische Oper. „Ich dachd, das is was zum Lachen, aber nei, es war zum Weinen. Da war e Leitnant, wo wenigstens dreimal bald gestorben war. Der eine Krät fuch-teld ihm mit de Säbel umme Nas, aber er traf nich und ritzd ihm bloß e paar mal anne Stirn.“ Sie stand auf und wollte rausgehen, doch das stör-te die anderen, dann knallte es auf der Bühne und vor Schreck fiel sie lang hin. Und dann hat sie dem Au-gust eine geknallt, weil sie dachte, er hat ihr den Stuhl weggezogen. Doch „Dem Stuhl hadden se so nieder-trächtig eingericht, dass er von sel-ber nach hinten raufging, der August konnt nuscht fier.“

Im Juni regnet es kräftig und Auguste meint da werden zu hause auf den Feldern die Röhren Arbeit kriegen, denn die Bauern haben alles drä-

niert. Und nun hört sie, dass sich die Menschen in der Stadt auch „dränie-ren. „Die Männer ziehen sich kurze Bixen an und hopsen und rennen und spielen Ballche wie in Ender-weitschen de Schuljungens, auch die Marjellens machen das und ha-ben nuscht an wie Bixen und e Blus’. Und das nennen se denn dränieren (trainieren).“

Dann war Sommer und die Mensche schwitzten und Mücken plagten. Sie schreibt, dass zu Hause die Poggen die Mücken fingen, aber sie kann sich doch nicht ihre Kammer voller Poggen hucken. „Die Hitze bringt de Menschen auf ganz dammliche Ge-danken wie unsere Frau, wo einem Tag zu mir sagd: ‚Auguste’, sagd se, ‚Se missen mal baden’. Nu sagt mir ein Mensch bloß, was hat einer vonnes Baden? Davon werden de Fliegen und de Micken bestimmt nich weniger, de Hitze auch nich. Ja, wenn einer noch kaltes Wasser nehmen möchd, aber einer nimmt heißes. Nu denkt bloß, heißes Was-ser im Sommer, wo einem so all heiß genug is. Ich wolld nich gleich wieder was gegenreden und war ruhig, weil ich dachd, das legt sich wieder. Aber es legd sich nich. De Frau kakeld und kakeld, bis mir das all außem Hals raushing, und da dachd ich, na zum Sterben wird es je nich gleich sein. Daderwegen tat ich ihr dem Willen und der Herr mußd auch foortsran und das Lampche anstecken, wo das Wasser warm macht. Nu gab kein Zrick mehr. Ich bekickd mir das

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e Weilche, wie des Wasser immer inne Wann reinplimpert und wie se halb voll war, da riegeld ich mir inne Badstub ein, daß keiner reinkonnd, und denn ging los. Das plätscherd wie dammlich und ich huckd mir rein und ließ mir beplätschern. Erst kriegd ich gar keine Luft, es nahm mir orndlich dem Pust, weil der Ne-bel vonnes Wasser anne Däck stieg und mir einhilld. Das Wasser inne Wann wurd immer mehr. Ich dachd, nu wird es doch bald aufheren mittes Laufen, weil all genug war. Aber es heerd nich auf, weiß der Deiwel, von wo das viele Wasser herkam, wenn inne Röhr reinkickdest, konntst kein End absehen. Nu kriegt ich es aber mit de Angst, denn wurd mir auch noch von die Hitz so schlecht, daß ich dachd ich muß beschwiemen. Da riß ich mir zesammen und hoppsd mit einem Satz raus auße Wann.

Das Wasser war gleich e Handbreit weniger, aber aufe Dauer half das auch nuschd, es wurd immer mehr und mit eins lief es iebrem Rand aufe Aerd, wo meine Plossen lagen. Ich die unterm Arm und raus. Aber blos bis anne Tier, weil ich innem Ang-treh dem Härr rumschlarren heerd, ich konnd mir doch nich so zeigen wie ich war. Nu dachd ich, was fängt einer in solch eine Lage an? Was hädd Ihr gemacht? Wißd Ihr, was ich machd? Ich bullernd anne Tier und brilld um Hilfe. Der Herr heerd das und dachd, mir hadd einer ieberfal-len. Aber wie ihm durche Tier sachd, was passiert war, da sagd er ganz

fuchtig: ‚Na denn drehen Se doch ab!’ Er hadd gut reden, aber ich! So viel Schrauben waren da angemacht, dass ich nich wußd, wo ich anfangen solld. Also bickd ich mir iebre Wann, kriegt de erste beste Schraub zu fas-sen und kurbeld wie dammlich. (...).

Ich mußd nu sehen, dass ich leben-dig wieder rauskam. Das Wasser stand mir bis anne Knöchel. Dader-wegen legd ich mir dem Rock umme Schultern, schickd den Herr vonne Tier weg, wo er immer noch stand und sockd denn so schnell wie ich konnd umme Aeck in meine Kam-mer rein. Denn mußd der Herr sich de Bixen aufkrempeln und wie so e Adebar aufe sumpfige Wies durches Wasser stelzieren. Der drehd denn dem richtigen Hahn zu und ich mussd mir noch emal anziehen und mittem Eimer das Wasser ausscheppen. Da hadd ich noch de halbe Nacht mit zu tun. (...).

De Frau schabbert dem anderen Tag aus eins wegen das viele Wasser wo ich verquast hadd, als wenn das nuscht kost.“

Soviel berichtet sie ihren Eltern von ihrem – wahrscheinlich ersten – Bad mit fließendem Wasser aus der Lei-tung.

Die Genügsamkeit und Sparsamkeit des ostdeutschen Menschen zeigt Auguste, wenn sie für sich neue „Koddern“ anschafft und für „e neien Hut mehr wie drei Mark“ nicht aus-

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geben will. Die kindliche Freude an dem billigen Sommerhut oder dem bescheidenen Frühjahrskleid geht trotzdem soweit, dass sie sehn-süchtig wünscht: „Wenn ich denn iebre Straß geh, missen de Leite sich aller nach mir umkicken“.

Doch außer diesen Briefen der Aus-guste hat er noch Witzgeschichten verfasst, von denen ich eine Auswahl ein anderes Mal hier bringen wer-de. Interessant sind in seinem Ge-dicht „Ostpreußische Speisekarte“ die volkstümlichen ostpreußischen Gerichte wie „Beetenbarsch“ und „saurem Kumst“ (Kohl), „Karmenad“ (Karbonade) und „Reicherwurst“ (Rauchwurst), „Silz“ (Sülze) und „Streiselfladen“ (Streuselkuchen), „Wickelfieß“ (Wickelfüsse) und „Rinderfleck“, „Bruken“, „Keilchen“, „Klops“ und „Räderkuchen“.

Und wer nun wegen diesem damme-ligen Artikel mit mir schimpfen will, dem gibt er in dem Gedicht „Wie is de Welt bloß roh!“ ein ganzes Re-gister saftiger, ausdruckskräftiger Schimpfworte: „Prickel, Kraet und Limmel, alter Dussel, Pojatz und Ra-bauk, Lorbas, schorw’ger Kerdel und Lachudder, Lauks und Damm-lack, Kuigel und Posauk.“

Mit freundlichen Grüßen Hans-Georg Klemm Sudetenstraße 11 91080 Uttenreuth Tel.: 09131/58489 E-Mail: [email protected]

Quellen: Internet: Ostpreußen-Humor.deDr. Alfred Lau: Auguste in der Groß-stadt

Die Kreisgemeinschaft Fischhausen e. V. finanziert ihre satzungsgemäßen Aufgaben ausschließlich aus Spenden.

Sie schaffen daher mit Ihren Spenden die finanzielle Voraussetzung dafür, dass die Kreisgemeinschaft ihre Aufgaben erfüllen und somit ebenfalls den Heimatbrief

„Unser schönes Samland“ herausgeben kann.

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Das Titelbild der Ausgabe I/2021 des Heimatbriefes hat mich angeregt, zur sprichwörtlichen „Feder“ zu greifen.

Ich bin Marie-Luise Lange, geb. Sie-bert, die Tochter des vorletzten Pfar-rers von St. Lorenz. Meine väterliche Familie Siebert stammt aus Dom-nau, wo mein Urgroßvater Friedrich Siebert Gastwirt war. Mein Groß-vater Wilhelm war Schreiber beim Amtsgericht in Prökuls, von wo sei-ne Frau Johanne Helene, geborene

Harfensteller stammte. Urgroßvater Harfensteller war dort Schuster und Küster.

Mein Vater Gerhard Andreas Sie-bert wurde in Prökuls am 9. Dezem-ber 1907 geboren. 1915 bekam die Familie den zweiten Sohn Konrad. 1923 wurde die Familie vertrieben und lebte von da an in Königsberg. Mein Vater besuchte dort das Hufen-gymnasium und studierte nach dem Abitur Theologie in Tübingen, Berlin

Ruth Wormit auf ihrem Pferd. Foto: privat

Familiengeschichte St. Lorenz

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und Königsberg. 1934 wurde er Pfar-rer in Sankt Lorenz.

Meine mütterliche Familie Wormit stammt aus der Gegend Bartenstein/Preußisch Eylau/Schönbruch, etwa genau an der heutigen Grenzlinie zwischen Russland und Polen. Sehr viele Wormits waren Landwirte. Mein Großvater Gotthilf Wilhelm Max wur-de in Zohlen geboren und erwarb 1904 ein Teilgut St. Lorenz. 1905 heiratete er Marie Luise Reiter, die aus einer „Dynastie“ von Lehrern und Organisten kam. Als einziges Kind wurde meine Mutter Ruth am 13. November 1913 geboren. Als junges Mädchen nahm sie, die eine begeis-terte Reiterin war, oft an Reitturnie-ren teil. Ihre Schulzeit verbrachte sie als Pensionärin in Königsberg. Nach dem Abitur kam sie wegen des schlechten Gesundheitszustandes ihres Vaters nach St. Lorenz zurück.

Fast die erste Amtshandlung meines Vaters soll 1934 die Beisetzung von Wilhelm Wormit gewesen sein, der im Dezember 1934 verstorben war.Meine Eltern heirateten am 20. Juni 1936. Nach einer Totgeburt kam dann am 19. Juli 1939 mein Bruder Wolfgang zur Welt. Mein Vater war Mitglied der „Bekennenden Kirche“ und hatte daher beruflich einen schweren Stand. Als Folge davon wurde er schon früh zur Wehrmacht eingezogen, dann aber von 1941 bis Februar 1943 wieder freigestellt, so dass er seine Pfarrstelle wieder be-treuen konnte. Anlässlich meiner Ge-

burt am 19. April 1943 erhielt er Hei-maturlaub, was ihm die Gelegenheit gab, mich selbst zu taufen. Am 23. Oktober 1943 fiel er als Unteroffizier einer Pioniereinheit bei Bodry.

Nach dem Bombenangriff auf Kö-nigsberg im August 1944 lebten mei-ne Großeltern Siebert, soweit ich es aus den Erzählungen meines Onkels Konrad weiß, ebenfalls in St. Lorenz. Meine Mutter blieb mit ihrer Mutter und den Schwiegereltern in St. Lo-renz, wo im April 1945 die russische Armee einbrach.

Meine Großmutter Luise Wormit wurde als Gutsbesitzerin in ein La-ger nach Königsberg verschleppt, von wo sie nach einigen Tagen zu Fuß (etwa 40 Kilometer) zurückkehr-te. Meine Mutter musste Landarbeit leisten, was sie bei der schlechten Ernährungslage nicht lange durch-hielt. Sie starb im September 1945 im Krankenhaus Georgenswalde an Hungertyphus. Meine Großmutter holte ihre Tochter mit einem Hand-wagen ab und beerdigte sie eigen-händig auf den Friedhof in St. Lo-renz. Pfarrer Ebert aus Pobethen hielt einige Tage später eine Andacht an ihrem Grab, da Versammlungen verboten waren.

Im Winter 46/47 sind mein Großvater Siebert und meine Großmutter Wor-mit gestorben. Nach einem Augen-zeugenbericht wurde Luise Wormit von Frau Kanditt, der Frau des Ober-schweizers, in ihrem Garten beer-

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digt. Diese Angaben stammen von Frau Wallner, einer Nachbarin, die sich mit Marie Wenk, geb. Wormit, einer Schwester meines Großvaters, in Verbindung gesetzt hatte.

Meine Großmutter Helene Siebert brachte uns Kinder nach Pobethen, wo ein russisches Waisenhaus ein-gerichtet worden war. Sie selbst ist seither verschollen – vermutlich ist sie verhungert. Mein Onkel Konrad hat noch lange Nachforschungen nach seiner Mutter betrieben, die aber keine Klarheit brachten. An die Zeit im Waisenhaus kann ich mich kaum erinnern – ich war ja wohl auch eines der jüngsten Kinder. Eine Be-gebenheit glaube ich noch behalten zu haben: Ich befinde mich mitten auf einer Straße – von beiden Seiten rufen aufgeregte Stimmen, ich solle

schnell kommen – dann ist nur lau-tes Klappern und Rollen zu hören. Ich bin wohl von einem Pferdefuhr-werk überrollt worden, ohne schwer verletzt worden zu sein.

Von der Reise nach der Ausweisung im Güterzug habe ich noch einige Episoden behalten. Wir saßen und lagen auf Ziegelsteinen, die mit einer dünnen Lage Stroh belegt waren. Bei einem Zughalt auf offener Stre-cke sprangen die größeren Kinder auf den Bahndamm hinunter, um an einem Bach oder einer Quelle in der Nähe Wasser zu holen. Mein Bruder bestätigte mir, dass er auch dabei gewesen war. Für kurze Zeit wurde ich dann in Westpreußen von einer Familie aufgenommen, da ich mit Malaria infiziert war. Ich kann nicht sagen, wo das war, wer mich gesund

Der Westflügel der Kirche in St. Lorenz im Juni 1993 – kurz vor dem Einsturz.

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gepflegt hat und wie lange ich dort war. Mein Onkel Konrad hat nicht gerne über die Krisenzeit gespro-chen, und ich habe auch lange Zeit alle Erlebnisse verdrängt. Dieser Onkel, der jüngere Bruder meines Vaters, war bereits 1946 aus ame-rikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden und lebte in Mül-heim/Ruhr, wohin seine Frau 1944 mit ihrem damals 1-jährigen Sohn Klaus von Landskron aus zu ihren Eltern geflüchtet war. Die Schwester meiner Großmutter Helene Siebert, Anna Schumacher, war Rotkreuz-Schwester gewesen und hatte einen „kurzen Draht“ zum Suchdienst des DRK. So wurde mein Bruder bald in einem Waisenhaus in Dresden auf-gespürt und durch seine Aussagen fand man auch mich. Wir lebten ei-nige Monate bei dieser Großtante

und wurden von unserem Onkel mit einem der letzten Züge vor der „Ber-liner Blockade“ nach Mülheim/Ruhr geholt.

Da mein Onkel dem Grundsatz – wie ja so viele Überlebende des Krieges und der Vertreibung – folgte: „Das ist vorbei – wir schauen nach vorn“, habe ich nur ganz wenig über meine Familie erfahren, mit Ausnahme von ein paar Anekdoten aus seiner und meines Vaters Kinder- und Jugend-zeit.

Über die Familie Wormit wusste er nicht viel. Es war ihm nicht wichtig, mich in späteren Jahren davon zu informieren, dass einige Wormit-Ver-wandte, z. B. die jüngste Schwes-ter meines Großvaters, Margarete Goldam, geb. Wormit, ihn kontaktiert