25 Jahre BVG

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A S I P Schweizerischer Pensionskassenverband Beilage Jahresbericht 2009 Am 1. Januar 1985 trat das BVG in Kraft. Seither haben sich die Pensionskassen zu einem stabilen und funktionsfähigen Teil unserer auf drei Säulen basierenden Alters-/Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge entwickelt. Auf dieser CD finden Sie zum Jubiläum 25 Beiträge namhafter Autorinnen und Autoren, die sich mit den Errungenschaften und Herausforderungen der beruflichen Vorsorge befassen. BVG kompakt! Berufliche Vorsorge von 1985 bis heute www.asip.ch

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A S I P S c h w e i z e r i s c h e r P e n s i o n s k a s s e n v e r b a n d B e i l a g e J a h r e s b e r i c h t 2 0 0 9

Am 1. Januar 1985 trat das BVG in Kraft. Seither haben sich die Pensionskassen zu einem stabilen und funktionsfähigen Teil unserer auf drei

Säulen basierenden Alters-/Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge entwickelt. Auf dieser CD finden Sie zum Jubiläum 25 Beiträge

namhafter Autorinnen und Autoren, die sich mit den Errungenschaften und Herausforderungen der beruflichen Vorsorge befassen.

BVG kompakt!Berufliche Vorsorge

von 1985 bis heute

www.asip.ch

BVG

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Impressum: Herausgeber: ASIP, Schweizerischer Pensionskassenverband, Kreuzstrasse 26, 8008 Zürich Redaktion: Hanspeter Konrad, Direktor ASIP, [email protected] Fotos: Renate Wernli, Gilbert Projer, Rolf Siegenthaler, Luzern, ZVG Illustrationen: Bobi Hajas, Zürich Konzept/Gestaltung: clauderotti layout & grafik, Unterägeri Typografie und Satz: Jarmila Erne Produktion: Nigg Regli, Zürich Französische Übersetzung: Translation Probst, Winterthur Lektorat: Nicole Viaud, Horgen Lithos: Daniela Juon, Oberägeri CD-Produktion: Markus Schmid www.tnt-graphics.ch, Kloten

Sicht der ASIP Präsidenten

1 Christoph Ryter: Die berufliche Vorsorge – eine Erfolgsgeschichte

2 Hans Ender: Back to the basics

3 Hermann Walser: Umhüllende Pensionskassen

Sicht des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV)

4 Anton Streit: Rückblick – Ausblick / Chancen-Risiken

Sicht der Sozialpartner

5 Thomas Daum: Modell mit starken Wurzeln

6 Colette Nova: Die Systemlücken schliessen

Sicht der Aufsicht

7 Christina Ruggli: Die Aufsicht im BVG

Sicht der Vorstandsmitglieder ASIP

8 Jean Pfitzmann: Befürchtungen und Träume

9 Brigitte Schmid: Eine Entschlackung ist nötig

10 Martin Beyeler: Versicherte und Verantwortliche

11 Urs Stadelmann: Stellenwert der Transparenz

12 Urs Bracher: Die Führung grosser Kassen

13 Dieter Stohler: Öffentlich-rechtliche Kassen

14 Beatrice Fluri: Stellenwert/Entwicklung der Gemeinschaftseinrichtungen

15 Martin Leuenberger: PK Lösungen im Gesamtrahmen

16 Birgit Moreillon: Die Zweite Säule – eine duale Welt

17 Jacques Hoffmann: Ein Sozialwerk in Gefahr?

18 Thomas Hohl: Der Sicherheitsfonds

19 Vera Kupper Staub: Die Quadratur des Kreises (Vermögensanlagen)

20 Daniel Dürr: Die Ausbildung der Stiftungsräte

21 Markus Moser: Baustelle Rechtsentwicklung

22 Blaise Matthey: Zweite Säule und Arbeitgeber

23 Christian Cuénoud: Unter internationalem Einfluss

24 Daniel Thomann: Wie kann es weitergehen?

Sicht des Direktors

25 Hanspeter Konrad: Kommunikation schafft Vertrauen

Inhalt

BVG

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

BVG

1985März, 11. Michail Gorbatschow wird vom Zentralkomitee der KPdSU zum neuen Generalsekretär der Partei gewählt.

Bei der historischen Volksabstimmung 1972 zur Ein-führung des 3-Säulensystems in der Schweiz wusste ich von Altersvorsorge noch nichts – wirklich nichts. Ich war gerade 5 Jahre alt und hatte das Gefühl, dass die Erwach-senenwelt noch Lichtjahre entfernt sei. Meine Grossväter mussten damals bereits nicht mehr arbeiten, sondern wa-ren pensioniert. Dass einer von ihnen einen wesentlichen Teil seines Einkommens nicht nur von der AHV oder den Ersparnissen, sondern aus einer Pensionskasse bekam, realisierte ich aber natürlich nicht.

Die parlamentarischen Beratungen im Anschluss an die Botschaft des Bundesrates aus dem Jahre 1975, die Dis-kussionen um das Primat für das BVG (Leistungs- oder Beitragsprimat) und das Inkrafttreten des eigentlichen Gesetzes am 1.1.1985 gingen ebenfalls von mir weitge-hend unbeachtet über die Bühne. Mit der beruflichen Vorsorge kam ich erst 1988 in Berührung, als ich zuerst als temporär Angestellter, später dann (nach Absolvie-rung der Rekrutenschule) als Festangestellter bei der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt mein Erwerbsleben startete. Ich war damals in einer klei-nen Gruppe der Abteilung Mathematik tätig. Für interna-tionale Konzerne erstellte diese mit einer sog. Einnahmen-Ausgaben-Rechnung ein länderübergreifendes «Pooling» von Versicherungsverträ-gen, um einen Teil der Risikomarge bei einem guten Schadenverlauf zu-sätzlich zu den lokalen Überschuss-beteiligungen ausschütten zu kön-nen. Schon beim ersten Kontakt mit der kollektiven Vorsorge ging es also um eine Optimierung von Vorsorge-kosten durch die Bildung von grös-seren Risikogemeinschaften. Dieses grundsätzliche Thema sollte mich seit-her nie mehr ganz loslassen.

Immobilien und ITDie kollektive berufliche Vorsorge in der Schweiz lernte ich im Zusammenhang mit meiner berufsbegleitenden Ausbildung zum dipl. Pensionsversicherungsexperten ab

1990 genauer kennen. Das Gebiet begann mich zu faszi-nieren und so wechselte ich von der Lebensversicherung zu einer Beratungsgesellschaft für Vorsorgeeinrichtungen. Der Beginn der 90er-Jahre war auch im Anlagebereich eine sehr spannende Zeit. Der Bundesrat hat damals zum Beispiel mit einem dringlichen Bundesbeschluss kurzzei-tig den Zuwachs von Anlagen in Liegenschaften bei Pen-sionskassen begrenzt (Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1989, wieder aufgehoben im Jahr 2001). Es gab nämlich auch bei den in den letzten 10 Jahren immer sehr positiv erwähnten Liegenschaften in der Schweiz spekulative Tendenzen. Es wird leider häufig vergessen, dass ein an-sprechender Ertrag (wie bei den schweizerischen Liegen-schaften) immer mit dem Eingehen von gewissen Risiken verbunden ist. Nicht wenige Vorsorgeeinrichtungen muss-ten in der ersten Hälfte der 90er Jahre beim Marktwert ihrer Liegenschaften substanzielle Einbussen in Kauf neh-men. Aufgrund der damals noch weniger transparenten Bewertung und Rechnungslegung schlug dies aber weni-ger offensichtlich auf die ausgewiesene finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen durch.

Mitte der 90er-Jahre – damals war ich frischgebackener Pensionsversicherungsexperte – be-schäftigte mich die Umsetzung des Freizügigkeitsgesetzes bei unseren Kunden. Etliche Vorsorgepläne mussten überarbeitet werden. Es gab damals z. B. Leistungsprimat-pläne, welche eine sog. Sockellei-stung vorsahen und somit nicht über die vom Gesetz geforderte li-neare Skala verfügten. Zudem war auch die Einführung der Möglich-keit, Vorsorgegeld für die Finanzie-rung von selbstgenutztem Wohnei-gentum zu beziehen, zu Beginn mit vielen Unsicherheiten und Fragen

verbunden, welche erst im Laufe der Zeit durch die Pra-xis oder auch durch die Rechtsprechung geklärt wurden. Diese Gesetze hatten zur Folge, dass die EDV-Systeme für die Verwaltung von Vorsorgeeinrichtungen erweitert und angepasst werden mussten, um die neuen gesetz-

Freizügigkeitsgesetz und Finanzierung von Wohneigentum, Unter- deckung und Deckungsgrad, Mindestzins und Umwandlungssatz: Der Präsident des ASIP blickt aus persönlicher Sicht auf 25 Jahre BVG zurück. Von Christoph Ryter

Eine Erfolgsgeschichte

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Christoph Ryter,

Präsident des ASIP seit 2007,

Geschäftsleiter Migros-Pensionskasse

lichen Vorgaben einhalten zu können. Es mussten neue Daten festgehalten und bei Austritt eines Versicherten der neuen Vorsorgeeinrichtung zur Verfügung gestellt wer-den.

Kaum waren die Auswirkungen des FZG/WEFG eini-germassen verdaut, kam die nächste Revision der EDV-Systeme im Zusammenhang mit dem befürchteten Super-gau beim Jahrtausendwechsel. Die Frage war, ob die Systeme am 1. Januar 2000 überhaupt noch laufen wür-den. Zum guten Glück haben sich die Befürchtungen nicht bewahrheitet. Oder dann waren die Vorbereitungs-massnahmen so gut geplant und umgesetzt worden, dass es keine nennenswerten Vorfälle gab.

Zusammenschluss zum ASIPNoch rechtzeitig vor dem Jahrtausendwechsel haben sich 1997 fünf unabhängige Pensionskassenverbände zusam-mengeschlossen. Es handelte sich um den Schweize-rischen Verband für privatwirtschaftliche Personalvorsor-ge, die Vereinigung für eine freiheitliche 2. Säule, die Vereinigung der verbandlich organisierten Vorsorgeein-richtungen, den Interkantonalen Verband für Personal-vorsorge und die Konferenz der Geschäftsführer von Per-sonalvorsorgeeinrichtungen. Ab diesem Datum hatten die Vorsorgeeinrichtungen in der Schweiz mit dem ASIP eine gemeinsame Organisation und mit dem Präsidenten, Dr. Hermann Walser, sowie dem Geschäftsführer, Gregor Ruh, eine Crew, welche die Anliegen der Branche mit zunehmender Dauer immer wirkungsvoller vertraten.

Hart getroffen wurden die Vorsorgeeinrichtungen zum ersten Mal im neuen Jahrtausend in den Jahren 2001 und 2002, als die Vermögenserträge wegbrachen und einige Vorsorgeeinrichtungen in eine Unterdeckung gerieten. Allerdings war damals noch gar nicht so klar, wie der Deckungsgrad einer Vorsorgeeinrichtung zu ermitteln war. Der heute allseits anerkannte Deckungsgrad gemäss Art. 44 BVV2 wurde erst 2003 nach Vorschlägen der Auf-sichtsbehörde des Kantons Zürich landesweit verbindlich definiert. Auch die zulässigen Sanierungsmassnahmen bei einer Unterdeckung mussten durch den Gesetzgeber erst erarbeitet und dann durch die einzelnen Vorsorge-einrichtungen in ihren Reglementen konkretisiert wer-den. Ich hatte 1999 vom Beratungsbereich in die Ge-schäftsführung der Vorsorgeeinrichtungen der damaligen Alusuisse gewechselt und war somit selber sehr direkt mit den Auswirkungen dieser ersten Krise konfrontiert.

Mindestzins und Umwandlungssatz2003 war das Jahr, in welchem zum ersten Mal in der Geschichte des BVG der ominöse Mindestzinssatz von

den vermeintlich in Stein gemeisselten 4 % wegkam und gesenkt wurde. In den folgenden Jahren wurde (und wird immer noch) heftig und emotional darüber disku-tiert, auf welchem Niveau die beiden Eckwerte Mindest-zins (auf jährlicher Basis) und Mindest-Umwandlungssatz (auf mittelfristiger Basis) liegen sollen. Es scheint mir kei-ne allzu gewagte Prognose zu sein, wenn ich behaupte, dass diese Themen auch in den nächsten paar Jahren noch hochaktuell sein werden.

Ab dem Mai 2007, zehn Jahre nach der Gründung, durfte ich das Präsidium des ASIP von meinem Vorgän-ger, Hans Ender, übernehmen. Zusammen mit meinen Vorstandskollegen und dem Direktor, Hanspeter Konrad, versuchen wir, mit dem ASIP die Anliegen der Vorsorge-einrichtungen bei den verschiedensten Stellen – der Politik, der Verwaltung, der Aufsicht, den kantonalen Steuerbehörden, Versicherungsexperten, Kontrollstellen, Wissenschaft usw. – einzubringen. Gleichzeitig möchten wir unseren Verbandsmitgliedern auch Unterstützung bie-ten bei der täglichen Arbeit und der ständigen Aus- sowie Weiterbildung der Führungsorgane und Mitarbeitenden von Vorsorgeeinrichtungen. Die Wahrnehmung der Inte-ressen der Mitglieder ist natürlich immer eine Gratwande-rung, denn die Interessen sind bei einem so heterogen zusammengesetzten Verband vielfältig und es ist nicht im-mer einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Vertrauen muss gestärkt werdenNach der wuchtigen Ablehnung der zweiten Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes vom Volk am 7. März 2010 sind alle Akteure der beruflichen Vorsorge, primär die Sozialpartner, aufgerufen, durch gemeinsame Anstrengungen Lösungen für die nach wie vor bestehen-den grossen Herausforderungen zu suchen: Aufgrund der demografischen Entwicklung und der markant ge-sunkenen Ertragserwartungen auf den Vermögen sind wir seit dem Beginn dieses Jahrtausends in einer Konso-lidierungsphase bei der Entwicklung unseres Sozialversi-cherungssystems. Das Ziel ist dabei primär eine nachhal-tige Neudefinition des Gleichgewichts zwischen den gewünschten Leistungen auf der einen und den zumut-baren Beiträgen und realistischerweise erzielbaren Ver-mögenserträgen auf der anderen Seite. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaft scheint arg in Mitleiden-schaft gezogen worden zu sein. Es gilt nun sicherzustel-len, dass das Vertrauen der Versicherten in ihre sozial-partnerschaftlich geführte Vorsorgeeinrichtung nicht gestört wird, damit die Erfolgsgeschichte des BVG auch in den nächsten 25 Jahren auf eine nachhaltige Art und Weise weitergeht. n

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BVG

1986Januar, 28. Die US-Raumfähre Challenger explodiert.

In meiner Tätigkeit in der beruflichen Vorsorge habe ich als Experte, Dozent und Mitglied verschiedener Gre-mien erlebt, dass der geschichtliche Hintergrund unserer Sozialversicherung nur noch beschränkt bekannt ist. Dies könnte ein Grund sein, warum gewisse Entwicklungen in der Gesetzgebung nicht mehr verstanden und mangels Mut zum Widerstand akzeptiert werden.

Im Jahre 1972 wurde das 3-Säulen-Prinzip in unsere Bundesverfassung aufgenommen. Prof. H. M. Riemer be-zeichnet dieses als «Schicksalsminderungssystem». Bis zum Ersten Weltkrieg war die 2. Säule das Privileg der Bundesbeamten, betriebliche Vorsorgeeinrichtungen wa-ren freiwillig und nur vereinzelt vorhanden. Im ZGB 1907 und im OR 1911 sind noch keine gesetzlichen Vorschriften zu finden. Erste gesetzliche Hinweise findet man im Fabrikgesetz aus dem Jahre 1918. Die Revision des OR im Jahre 1936 trug zur Förderung der betrieblichen Vor-sorge bei. Mit der während dem Zweiten Weltkrieg ge-währten Steuerbegünstigung erlebte sie einen ersten Auf-schwung.

Die Revision des ZGB und des OR im Jahre 1958 führte zu einer Trennung der Personalvorsorge vom Arbeitgeber. Ferner wurde der Anspruch auf Freizügigkeit behan-delt. Mit der Überarbeitung des Ar-beitsvertragsrechts wurde 1972 erst-mals ein Teil der Arbeitgeberbeiträge als Bestandteil der Freizügigkeits-leistung gewährt. In diesem Zusam-menhang ist die Ungleichbehand-lung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit oder ohne be-triebliche Vorsorge zu beachten. Diese Ungleichbehandlung führte zu Wettbewerbsverzerrungen. Die Gewährung eines hö-heren Lohnes wurde nicht selten einer Vorsorgelösung im Betrieb vorgezogen.

Dieser Ungleichbehandlung wurde mit der Einführung des BVG im Jahre 1985 ein Riegel geschoben. Das Obliga-

torium führte dazu, dass alle Arbeitnehmer von der in der Bundesverfassung verankerten 2. Säule profitieren konn-ten. Die Einführung war nicht unumstritten. Nach langen Diskussionen über den Inhalt ist das Gesetz vermutlich nur deshalb zustande gekommen, weil man eine Rege-lung im Sinne einer Volkspension verhindern wollte.

Gemäss Pensionskassenstatistik bestanden 1985 ca. 17’900 betriebliche Vorsorgeeinrichtungen mit 1.688 Mio. Versicherten (Statistik 1980). Wenn wir die Zahlen im Jah-re 1987 beiziehen, stellen wir fest, dass sich die Anzahl der Vorsorgeeinrichtungen auf 15’179 verminderte und sich der Versichertenbestand auf 3.266 Mio. erhöhte. Die Veränderung beim Versichertenbestand war zu erwarten. Die Reduktion der Anzahl von Vorsorgeeinrichtungen wirft jedoch einige Fragen auf.

Die «Handbremse» gezogen Zahlreiche betriebliche Vorsorgeeinrichtungen, welche über Jahre hinweg freiwillig Leistungen erbrachten, die wesentlich über die im BVG geforderten Leistungen

hinausgingen, sahen sich mit Vor-schriften konfrontiert, welche nicht eitel Freude auslösten. Für sie war zu überlegen: Stellen wir die bishe-rige Lösung still und beginnen neu mit dem BVG oder fahren wir mit der bisherigen Lösung weiter und betrachten das BVG als Schatten (Schattenrechnung)? Leider sind mir keine Zahlen zu den Ergebnissen dieser Überlegungen bekannt. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass einige Unternehmen aufgrund der neuen Vorschriften aufgegeben und sich einer externen Vorsorgelösung

angeschlossen haben. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer vom Obligatorium profitiert hat? Wenn man von jenen Versicherten absieht, welche lohnorien-tiert denken, war die Einführung des BVG für alle Arbeit-nehmer, die noch nicht von einer betrieblichen Vorsorge-

Von der betrieblichen Vorsorge bis zum BVG von 1985. Und vom damaligen Rahmengesetz mit Mindestvorschriften bis zur heute alles regulierenden Flut von Gesetzesvorschriften – die Entwicklung der 2. Säule ist an einem Wendepunkt angelangt. Von Hans Ender

Back to the basics

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Hans Ender,

Präsident des ASIP

von 2004 bis 2007

lösung profitierten, ein Gewinn. Gleichzeitig muss man sich fragen: Trifft dies auch für die übrigen Arbeitnehmer zu? Nach meiner Erfahrung liegt es in der Natur des Men-schen, lieber freiwillige als obligatorische Leistungen zu erbringen. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass einige Arbeitgeber über ihre bisherige Grosszügigkeit überrascht waren und zum Nachteil ihrer Mitarbeiter die «Handbrem-se» gezogen haben. Wie wir später noch feststellen wer-den, wurden grosszügige betriebliche Vorsorgelösungen bei der Weiterentwicklung des BVG möglicherweise bestraft.

Wenn wir die Erstausgabe des BVG vom 25.6.1982 le-sen, stellen wir fest, dass in Kernbereichen noch eine Brise von Mindestvorschriften (Freiheit) zu erkennen war. Die Festlegung des Mindestzinssatzes und des Umwand-lungssatzes lagen in der Kompetenz des Bundesrates. Die Definition der Freizügigkeitsleistung war vielleicht zu offen. Detaillierte Vorschriften über Anlagen, Rechnungs-legung, Sanierungsmassnahmen und Telliquidation be-standen keine.

Alles andere als ein RahmengesetzIn den Folgejahren überstürzten sich die Gesetzesrevisi-onen. Man entfernte sich mehr und mehr von der Idee eines Rahmen- oder Minimalgesetzes. Mit der Realisie-rung des Freizügigkeitsgesetzes im Jahre 1995 wurde dem BVG ein Stempel aufgedrückt, dessen Auswirkungen erst später erkannt wurden. Entscheidend für die Weiter-entwicklung des BVG war die 1. BVG-Revision in Etap-pen (Beginn 2004).

Die Kompetenz für den Umwandlungssatz wurde dem Bundesrat weggenommen und der Umwandlungssatz im Gesetz festgelegt, mit der Konsequenz, dass heute das Volk darüber bestimmt. Ferner wurden Bestimmungen zur Rechnungslegung erlassen (FER 26), die meines Er-achtens einen wesentlichen Beitrag zur Transparenz brin-gen. Einschneidende Bestimmungen mit der Definition der Sanierung und der Teilliquidation von Vorsorgeein-richtungen folgten.

Schwund der KassenWenn wir heute die Bestimmungen zum Selbstständig-keitsbereich (Art. 49 BVG) vergleichen, stellen wir gegen-über der Ausgabe 1982 fest, dass Vorsorgeeinrichtungen, die 1985 entschieden haben, mit der vorobligatorischen Lösung fortzufahren, in einem Masse reguliert wurden,

wie sie kaum erwarteten. Das hatte Auswirkungen: Ge-mäss Pensionskassenstatistik bestehen 2007 noch 2’543 Vorsorgeeinrichtungen. Die Abnahme, verglichen mit 1987, hat nichts mit der Versichertenzahl zu tun, welche weiterhin zugenommen hat.

Meines Erachtens ist die Flut von Gesetzesvorschriften zu einem grossen Teil dafür verantwortlich:

n Die damit verbundene Führungsverantwortung ist so gross, dass sich keine «Freiwilligen» mehr finden lassen. n Die Verwaltungskosten sind zwangsläufig dermassen gestiegenen, dass sie für kleinere Unternehmen nicht mehr tragbar sind und gleichzeitig von den Gewerk-schaften kritisiert werden. n Es bleibt nichts anderes übrig, als sich grösseren In-stitutionen (Sammelstiftungen) anzuschliessen. Diese Entwicklung ist nicht ungefährlich und könnte,

wie die neuesten Entwicklungen zeigen, den Gedanken einer «kostengünstigeren» Volkspension wieder aufleben lassen. Die anstehende Strukturreform und die laufende Vernehmlassung zum Vorsorgeausgleich bei Scheidung lassen erahnen, dass der Stress für die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge nicht abnehmen wird. Nach der Volksabstimmung vom 7. März 2010 werden denn auch die Wunden geleckt. Gespräche mit den Sozialpartnern werden angeregt. Eine neue Rentenformel sollte gemäss dem zuständigen Bundesrat geprüft werden.

Fundamentale Überarbeitung ist nötigIch möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass der ASIP 2007 in Zusammenarbeit mit namhaften Politikern aller Richtungen einen Vorschlag für ein neues BVG erarbeitet hat. Es ist zu bedauern, dass dieser nicht weiter verfolgt wurde. Die Millionen, welche in den Abstimmungskampf um den Umwandlungssatz von allen politischen Kreisen investiert wurden, hätten helfen können. Und abschlies-send möchte ich wie bereits vor Jahren darauf hinweisen, dass unser Nachbarland Liechtenstein nach wie vor über ein Gesetz zur betrieblichen Vorsorge verfügt, das mit wenigen Vorschriften auskommt. Besonders zu erwäh-nen ist, dass die Festlegung des Mindestzinses und des Umwandlungssatzes im Ermessen der Vorsorgeeinrich-tung liegt.

Ich vertrete nach wie vor die Auffassung, dass das BVG einer fundamentalen Überarbeitung bedarf. «Back to the basics» ist gefragt. Nur so können Transparenz und ver-nünftige Verwaltungskosten erreicht werden! n

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BVG

1987Dezember 6. Die Volksinitiative zum Schutz der Moore («Rothenthurm»-Initiative) wird angenommen.

Wer sich als Jurist in den vergangenen 40 Jahren ständig mit den Pensionskassen und der beruflichen Vor-sorge beschäftigt hat, wird sich bewusst, welch gewaltige Entwicklung in dieser Zeitperiode stattgefunden hat. Da-bei muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, dass das BVG die berufliche Vorsorge nicht geschaffen hat. Pensionskassen, welche die Risiken Alter, Tod und Invalidität mehr oder weniger gut abdeckten, gibt es seit über hundert Jahren. Diese entwickelten sich in heute kaum mehr vorstellbarer rechtlicher Freiheit. Erst 1958 traten die beiden ersten allgemeinen bundesrechtlichen Vorschriften zur beruflichen Vorsorge in Kraft, einerseits der noch heute geltende Art. 89bis ZGB und anderseits eine schon längst wieder aufgehobene Bestimmung im Arbeitsvertragsrecht, die im Freizügigkeitsfall die Mitgabe der eigenen unverzinsten Beiträge vorschrieb, und dies stets durch Barauszahlung. 1972 folgte dann mit Inkraft-treten der damaligen Art. 331 und 331 a-c OR der erste Schritt zu einer, aus heutiger Sicht allerdings noch unge-nügenden Freizügigkeit.

Dann, nach der wegweisenden Volksabstimmung des Jahres 1972, mit welcher das Dreisäulensystem der Alters-, Invaliden- und Hinter-lassenenvorsorge in der Bundesver-fassung verankert und ein Obligato-rium der beruflichen Vorsorge vorgeschrieben wurde, begannen für den damaligen Geschäftsführer eines Vorgängerverbands des heu-tigen ASIP in verschiedensten Kommissionen die Vorbereitungsar-beiten zum BVG und dessen Aus-führungsverordnungen. Es war eine spannende Zeit, in der es immer wieder abzuwägen galt, was wirklich bei der Schaffung eines Obligatoriums geregelt werden musste und wo den Pensionskassen Freiräume für eigene Regelungen gelas-sen werden konnten. Dank einem denkwürdigen Effort der vorberatenden ständerätlichen Kommission gelang es

den eidgenössischen Räten schliesslich, das BVG in der Form eines Rahmengesetzes mit Minimalvorschriften im Leistungsbereich zu verabschieden. Das war keine Selbst-verständlichkeit, nachdem der Nationalrat als Erstrat zu-erst einen perfektionistischen Lastenausgleich schaffen wollte. Und auch bezüglich der viel schlankeren Endfas-sung brauchte es viel Überzeugungsarbeit, damit kein Re-ferendum gegen das neue Gesetz ergriffen wurde.

Ein ausgewogenes Vorsorgesystem1985 ist das BVG in Kraft getreten. Damit wuchs die Re-gelungsdichte des eigentlichen Vorsorgerechts mit einem Schlag von bisher 6 gesetzlichen Spezialvorschriften auf 98 Artikel des BVG selber und 75 Bestimmungen der BVV1 und BVV2 an, um hier nur die wichtigsten Verord-nungen zu erwähnen. Das war der Preis, der in Kauf genommen werden musste, um die weltweit wohl einzig-artige Chance zu nutzen und zu festigen, dass ein auf dem Kapitaldeckungsverfahren und auf dem Äquivalenz-prinzip beruhendes System offizieller Teil unserer Alters-

Invaliden und Hinterlassenenvor-sorge geworden ist. Wie schon seit Inkrafttreten des BVG verschiedent-lich, ist auch kürzlich wieder die damit in der Schweiz umgesetzte Kombination von Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren in diesem Vorsorgebereich wieder als weltbeste Lösung qualifiziert wor-den. Bedauerlich ist, dass dies in der Schweiz öfters nicht so klar ge-sehen und anerkannt wird, wäh-rend wir vom Ausland, das zuwei-len schwer unter einem fast ausschliesslich auf dem Umlagesys-

tem beruhenden Altersvorsorgesystem leidet, für unser 3-Säulensystem beneidet werden. Dank dem BVG und der damit obligatorisch gewordenen beruflichen Vorsor-ge verfügt unser Land über ein sehr ausgewogenes Vor-sorgesystem, dessen verschiedene Träger sich nicht zu-

Die Trennung von obligatorischer und weitergehender Vorsorge stellt das System der umhüllenden Pensionskassen in Frage. Neben ein paar grossen BVG-Minimalkassen würden betriebliche Vorsorgeeinrichtungen nur noch Leistungen im ausserobligatorischen Bereich versichern. Das wollte das BVG nicht. Von Hermann Walser

Umhüllende Pensionskassen

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Dr. Hermann Walser,

Präsident des ASIP

von 1998 bis 2004

letzt dadurch auszeichnen, dass die Stärken des einen Systems die Schwächen des anderen austariern, was das Gesamtsystem sehr stabil macht.

Trend zur RegulierungZwei Gefahren für die Weiterentwicklung der beruflichen Vorsorge sind aber nicht zu verkennen. Die eine besteht in der deutlich vorhandenen Tendenz des Gesetzgebers zur Überregulierung. Diese Tendenz besteht bei weitem nicht nur in der 2. Säule, sondern ist in der heutigen ge-setzgeberischen Hektik sozusagen allgegenwärtig. Sobald in irgendeinem Bereich ein Problem auftaucht, wird so-fort versucht, dieses mit einem neuen Gesetz oder einer Gesetzesänderung vermeintlich ein für allemal in den Griff zu bekommen und zu lösen. Dies ist meist eine Illu-sion, denn die Erfahrung zeigt immer wieder, dass hastig entworfene und umgesetzte Gesetzesrevisionen neue und andere Anwendungsprobleme schaffen, womit ein eigentlicher circulus vitiosus in Gang gesetzt wird. Für die berufliche Vorsorge bedenklich ist dabei vor allem, dass die Gestaltungsfreiheit der Pensionskassen und ihrer Organe so immer mehr eingeschränkt wird und ein wich-tiger Kerngedanke der beruflichen Vorsorge, die sozial-partnerschaftliche Gestaltung des Vorsorgesystems durch die paritätischen Organe, langsam aber sicher erstickt wird. Denn wenn es nichts mehr zu gestalten gibt, ver-liert die berufliche Vorsorge eine ihrer wesentlichen Grundlagen. Die Regelungsdichte hat heute nach der 1. BVG-Revision ein alarmierendes Ausmass angenommen. Der Gesetzgeber ist dringend aufgerufen, grösste Zurück-haltung bei weiteren Regulierungsvorhaben zu üben.

Gefahr einer EinheitskasseEiner der Leitgedanken des BVG bestand darin, die vor 1985 schon zahlreich existierenden guten Vorsorgeein-richtungen in das Obligatorium zu integrieren und zu umhüllenden Pensionskassen zu machen. Dies auf der Grundlage der Überlegung, dass diese Kassen ihre Vor-sorgepläne weiter führen sollen, aber mittels einer Schat-tenrechnung nachweisen müssen, dass sie jederzeit min-destens die obligatorischen Pflichtleistungen erbringen. Dies führte zum sogenannten Anrechnungsprinzip bei der Gewährung von Teuerungszulagen und bei der Ver-

zinsung der Altersguthaben. Danach sind die Vorsorge-einrichtungen nicht verpflichtet, ihre reglementarischen Leistungen bzw. die Verzinsung entsprechend anzupas-sen, solange die reglementarischen Leistungen bzw. das reglementarische Altersguthaben mindestens so hoch sind wie die vom BVG vorgeschriebenen Leistungen bzw. Altersguthaben.

Die Praxis verschiedener Sammelstiftungen, die zur Zeit intensiv geführten Diskussionen um die Nullverzin-sung und leider auch die neuste bundesgerichtliche Pra-xis beginnen diese Grundgedanken in Frage zu stellen. Praktisch wird bei umhüllenden Pensionskassen eine Trennung von obligatorischer und weitergehender Vor-sorge gefordert oder schon praktiziert. Der obligatorische Teil des Altersguthabens wird mit dem BVG-Mindest- zins verzinst, der weitergehende Teil mit dem vom paritätischen Organ bestimmten Zins, der vom BVG-Min-destzins abweichen kann. Und die Umwandlung des Altersguthabens in eine Altersrente erfolgt im Obligato-riumsbereich mit dem BVG-Umwandlungssatz, im wei-tergehenden Bereich mit einem regelmässig tieferen Um-wandlungssatz.

Wenn sich diese Praxis weiter durchsetzt, wird das Sy-stem der umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen in Frage gestellt. Man wird sich dann ernstlich überlegen müssen, ob die obligatorische Vorsorge nicht auf einen anderen, separaten Rechtsträger ausgegliedert werden soll, um im weitergehenden Vorsorgebereich grössere Gestaltungs-freiheit erhalten oder diese sogar vergrössern zu können. Macht dies Schule, müsste weiter ebenso ernstlich gefragt werden, wie viel Sinn es macht, wenn dann in unserem Land hunderte von ausgegliederten BVG-Minimalkassen entstehen, die alle das genau Gleiche machen, nämlich sich auf die Durchführung des BVG-Obligatoriums zu be-schränken. Der Ruf nach einer Einheitskasse dürfte dann nicht mehr weit sein. Und zu Ende gedacht würde man so zu einem System mit ein paar grossen überbetrieb-lichen BVG-Minimalkassen gelangen, während sich die betrieblichen Vorsorgeeinrichtungen darauf beschränken würden, Leistungen im ausserobligatorischen Bereich zu versichern. Eine solche Ordnung wollte das BVG ganz bewusst nicht. Darum ist den umhüllenden Vorsorgeein-richtungen besonders Sorge zu tragen. n

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1988Februar, In Calgary gewinnt Vreni Schneider olympisches Gold im Riesenslalom und Slalom, Pirmin Zurbriggen in der Abfahrt.

1. Rückblick in vier EtappenDas Obligatorium: Schliessen von Versicherungslücken Schon lange vor dem Eingreifen des Staates hatten fort-schrittliche Arbeitgeber und innovative Arbeitnehmer gut funktionierende Vorsorgeeinrichtungen betrieben. Die Lücken waren aber nach wie vor gross: 20–25% der Per-sonen, die 1985 dem Obligatorium unterstellt wurden, waren vorher gar nicht versichert. Weitere rund 20% ge-hörten zum Kreis der Versicherten mit ungenügendem Versicherungsschutz. Mit dem Inkrafttreten des BVG 1985 konnten diese Lücken geschlossen werden.

Steter Wandel ohne laute Töne

Viele Veränderungen erfolgten abseits der politischen Bühne und wurden lange Zeit auch wenig beachtet. Ein-deutig war vorerst die Verschiebung vom Leistungsprimat zum Beitragsprimat. 1978 gehörte ungefähr die Hälfte der Aktivmitglieder einer Leistungsprimatkasse an, 1994 war es noch jeder Dritte, heute noch etwa jeder Sechste. Für diese Entwicklung massgebend war nicht nur der Wunsch, die Beiträge besser steuern und budgetieren zu können, sondern auch die einfachere administrative Handhabung im Beitragsprimat. Hinzu kam ein langsamer aber ste-tiger Konzentrationsprozess in zweierlei Hinsicht. Die Zahl der re-gistrierten, das Obligatorium durch-führenden Kassen sank von 4›237 Einrichtungen 1987 auf 1›996 Ein-richtungen 2008. Später eingesetzt hat derselbe Trend auch bei der Zahl der Aufsichtsbehörden: Ihre Zahl ist in den letzten Jahren prak-tisch halbiert worden. Auf eine an-fänglich eher konservative Anlagepolitik folgte zwischen 1994 und 2000 die Entdeckung der Aktien, deren Anteile sich in diesem Zeitraum praktisch verdoppelt haben. Stark reduziert wurde auch aufgrund rechtlicher Ein-schränkungen die Bedeutung der Anlagen beim Arbeit-

geber von ursprünglich 15% des Vermögens 1987 auf weniger als 2% heute.

Punktuelle Eingriffe des Gesetzgebers

Vorerst beschränkte sich die gesetzgeberische Tätigkeit auf punktuelle Problembewältigungen. So wurde 1995 mit der Einführung der vollständigen Freizügigkeit einem Problem eine Lösung zugeführt, die der beruflichen Vor-sorge einen grossen Imageschaden zugeführt hatte. In der Folge ist das Schlagwort der «goldenen Fesseln» weit-gehend aus dem Wortschatz der beruflichen Vorsorge verschwunden. Die Einschätzung, der Anteil der Wohnei-gentumsbesitzer sei in der Schweiz zu klein, führte zur Möglichkeit, Mittel der beruflichen Vorsorge für den Er-werb von selbstbewohntem Wohneigentum zu verwen-den. Letztlich war es auch ein im Zusammenhang mit Liegenschaften stehender Verlustfall, der den 1996 in Kraft getretenen Ausbau des Insolvenzschutzes über das Obligatorium begünstigte.

Umfassende 1. BVG-Revision

Die 1. BVG-Revision, umgesetzt in drei Bauetappen, brachte eine um-fassende Renovation. Die erste Etappe, die am 1. April 2004 in Kraft trat, brachte eine Verbesserung der Transparenz und eine Stärkung der paritätischen Führung der Kassen. Im Zentrum der zweiten Etappe (Inkrafttreten am 1. Januar 2005) stand die schrittweise Anpassung des Umwandlungssatzes von 7,2% auf 6,8% als Reaktion auf die gestie-gene Lebenserwartung. Mit einer Herabsetzung des Koordinationsab-

zuges wurde weitgehend eine Schmälerung der Jahres-rente verhindert und für kleinere und mittlere Einkom-men der Versicherungsschutz verbessert. Zudem wurde durch die Herabsetzung der Eintrittsschwelle der Versi-chertenkreis nochmals erweitert. Als Schlussbouquet

Nach einem Rückblick auf die Entwicklung der beruflichen Vorsorge seit dem Inkrafttreten des Obligatoriums 1985 wenden wir uns der Gegenwart zu, werfen einen Blick auf die aktuellen Baustellen und wagen einen Ausblick. Von Anton Streit

25 Jahre BVG

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Anton Streit, Vizedirektor BSV

Leiter des Geschäftsfeldes

Alters- und Hinterlassenenvorsorge

wurden in einem dritten Paket (Inkraftsetzung am 1. Ja-nuar 2006) steuerliche Aspekte geregelt.

Ergänzend wurde im Nachgang zur Krise 2001/2002 das Instrumentarium der Sanierungsmassnahmen erwei-tert. Einerseits wurde anerkannt, dass eine zeitlich be-grenzte Unterdeckung zulässig ist, anderseits wurden die möglichen Massnahmen und die Spielregeln näher defi-niert. Ohne diese vorausschauende Anpassung hätte das Krisenjahr 2008 kaum so gut bewältigt werden können.

2. Die aktuellen BaustellenDie Strukturreform wurde vom Parlament in dieser Früh-jahrssession verabschiedet. Mit dieser Reform soll eine unabhängige, mit namhaften Kompetenzen ausgerüstete Oberaufsichtskommission errichtet werden, die für die Qualitätssicherung verantwortlich ist, indem sie Standards erlässt und die eine einheitliche Aufsichtstätigkeit in der ganzen Schweiz sicherstellt. Auch die direkten, ebenfalls unabhängigen Aufsichtsbehörden erhalten zusätzliche Kompetenzen und die Teilung von direkter Aufsicht und Oberaufsicht wird konsequent vollzogen. Die Rollen der verschiedenen Akteure in der zweiten Säule werden auf Gesetzesebene geklärt und die Rolle des obersten Organs verbindlich und transparent umschrieben.

Von grosser Bedeutung sind die Verbesserungen der Corporate Governance. Klare Regelungen auf Gesetzese-bene zur allgemeinen Loyalität, zu den Geschäften mit Nahestehenden (Stichwort marktübliche Konditionen) und zur Vermeidung von Interessenkonflikten drängen sich auf, ebenso Verordnungsbestimmungen zu den Ei-gengeschäften, zur Ablieferung von Vermögensvorteilen und zur Offenlegung. Wenige, aber klare Regeln sollen dazu dienen, dass in Einzelfällen auftretende Verstösse rasch bewältigt und nötigenfalls sanktioniert werden und nicht dem Ruf der beruflichen Vorsorge nachhaltigen Schaden zufügen können.

Mitten in der parlamentarischen Beratung steht auch die Vorlage zur Finanzierung öffentlich-rechtlicher Vor-sorgeeinrichtungen. Die Vorstellung, dass die Versicher-tenbestände stabil bleiben (Perennität) hat aufgrund demografischer Entwicklungen und aufgrund von Privati-sierungen öffentlich-rechlicher Aufgaben nicht mehr die-selbe Bedeutung wie in der Vergangenheit. Die Stabilität der Kassen wird sich deutlich erhöhen, wenn sie besser ausfinanziert sind (innerhalb von 40 Jahren müssen ge-

mäss Erst-Rat alle Kassen einen Deckungsgrad von min-destens 80% erreichen), wenn der unkontrollierte Rück-wärtsgang nicht mehr bedient werden darf (bei Sinken des Deckungsgrades müssen Sanierungsmassnahmen er-griffen werden) und die Verselbständigung der Kassen verstärkt wird.

3. AusblickDas Gesetz zur Anpassung des Mindestumwandlungs-

satzes BVG wurde am 7. März 2010 mit 72,7% Nein-Stim-men abgelehnt. Dieses Resultat ist eindeutig und flächen-deckend und zeigt auf, dass wir auch im Bereich der zweiten Säule ein gewisses Vertrauensproblem haben. Massnahmen zur Stärkung des Vertrauens sind deshalb unumgänglich.

Besonders ins Schussfeld geraten sind die Lebensversi-cherer. Hier gilt es spezifische Fragen (z. B. um die Fest-legung der Legal Quote) zu klären. Die Subkommission BVG der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesund-heit des Nationalrats ist hier am Ball. Es ist aber auch daran zu erinnern, dass die Garantie eines Lebensversi-cherers für viele KMU-Betriebe, die nicht mit der Not-wendigkeit von Sanierungsmassnahmen konfrontiert werden wollen, sehr wertvoll ist.

Zentral ist ohnehin die Stärkung des Vertrauens in das gesamte System. Ein erster wichtiger Schritt ist die zügige Umsetzung der Strukturreform, denn vielen der im Vor-feld der Abstimmung erhobenen Anliegen (unabhängige Oberaufsicht, Verbesserung der Corporate Governance, Transparenz, bessere Kontrolle über die Verwaltungsko-sten) kann damit Rechnung getragen werden.

Mittelfristig ist es sicher angebracht, einen umfassenden Bericht zur Zukunft der 2. Säule zu erarbeiten und die in der geltenden Ordnung bestehende Verpflichtung zur Unterbreitung eines Berichts im Jahre 2011 zum Anlass zu nehmen, eine Art Gesamtschau anzustellen und den allfälligen Handlungsbedarf für weitere Reformschritte zu analysieren.

Wenn es gelingt, die Transparenz weiter zu verbessern und das Vertrauen zu stärken, wird man sich daran erin-nern, dass die heute 25-jährige Geschichte des BVG eine Erfolgsgeschichte ist, und dass das 3-Säulenprinzip der Schweiz insgesamt in Europa und in der ganzen Welt zu Recht einen sehr guten Ruf hat und vielmals als Vorzeige-beispiel gilt. n

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

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1989November 2009. Der Fall der Berliner Mauer lässt die Menschen in ganz Europa feiern.

Wer aus Anlass des 25-Jahre-BVG-Jubiläums Rück-schau hält, sollte sich bewusst sein, dass die berufliche Vorsorge viel älter ist. Als das Gesetz am 1. Januar 1985 in Kraft trat, traf es auf eine blühende Landschaft von bereits lange Zeit bestehenden Vorsorgeeinrichtungen, die meistens aus patronaler Initiative entstanden waren, über die Jahre aber immer mehr sozialpartnerschaftlich getragen wurden. In der Maschinen-, Elektro- und Metall-industrie, für welche ich die Einführung des BVG vorbe-reiten half, rechneten wir beim Inkrafttreten des BVG mit einer Vorsorgeabdeckung von über 90 % der Arbeitsver-hältnisse. Das Gesetz brachte also für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmende nichts wirklich Neues, aber einen erheblichen Anpassungsbedarf für die bereits bestehen-den Pensionskassen.

Angesichts der seinerzeit noch herrschenden Auffas-sung, das BVG sei ein offenes Rahmengesetz, welches den einzelnen Vorsorgeträgern erhebliche Gestaltungs-spielräume belasse, waren die An-passungen einigermassen gut zu bewältigen. Allerdings gab es schon damals verschiedene Pensionskas-sen-Chefs, die vor den künftigen Regulierungsrisiken warnten («wo es Fussballfeld isch, wird au tschuttet») und diese zum Beispiel mit dem «Splitting» zwischen den Trägern der obligatorischen und der überobligatorischen Vorsorge eingrenzen wollten. Heute wissen wir, dass die «Kassandra-Rufe» nicht unbegründet waren und selbst «ge-splittete» Kassen sich im Überobli-gatorium dem Zugriff des Gesetzgebers nicht entziehen konnten.

Bis Mitte der 90er-Jahre hielt sich der gesetzgeberische Aktivismus jedoch in Grenzen, sodass noch Raum für so-zialpartnerschaftliche Weiterentwicklungen blieb. So lei-

tete der Gesamtarbeitsvertrag der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie 1988 den schrittweisen Übergang zur vollen Freizügigkeit ein, mit Grundsätzen, die dann auch im Freizügigkeitsgesetz von 1995 übernommen wurden.

Belastungen in den 90er-JahrenEs mag an der guten Entwicklung auf den Finanzmärkten gelegen haben, dass seit Mitte der 90er-Jahre die regula-torischen Belastungen der beruflichen Vorsorge und ihre Instrumentalisierung für andere Zwecke (Wohneigen-tumsförderung) ständig zunahmen, ohne dass eine ver-tiefte Diskussion über die damit angestossenen struktu-rellen Veränderungen und Folgekosten stattgefunden hätte. Man thematisierte – zumindest in der Öffentlichkeit – auch kaum die Entwicklung der wesentlichen System-parameter wie Lebenserwartung, Renditemöglichkeiten, Mindestzins und Umwandlungssatz, obwohl es dazu eini-gen Anlass gegeben hätte.

Umso dramatischer waren dann die Reaktionen, als mit dem Bör-sencrash anfangs dieses Jahrzehnts die «heile Vorsorgewelt» ihr Ende fand und in der Folge der Mindest-zinssatz erstmals nach 17 Jahren gesenkt werden musste. Das Be-wusstsein, dass alle Akteure – Pen-sionskassen und Lebensversicherer, Arbeitgeber und Arbeitnehmende, aktive Versicherte und Rentner – letztlich im gleichen Boot sassen und sich gemeinsam in einer falschen Sicherheit gewiegt hatten, wurde von gegenseitigen Beschul-

digungen und Vorwürfen verdrängt, die im Begriff des «Rentenklaus» ihren emotionsgeladenen Höhepunkt fan-den. Seither sind viele Diskussionen über die 2. Säule von Misstrauen und Vorteilsverdächtigungen geprägt, was eine partnerschaftliche Diskussion über die Behe-

Bei aller Kritik, der die berufliche Vorsorge zur Zeit ausgesetzt ist, muss festgestellt werden: Sie trägt wesentlich zur sozialen Sicherheit in unserem Land bei und hat zwei Börsencrashs ohne fundamentalen Schaden überstanden. Um die Erfolgsgeschichte fortzusetzen, braucht es aber eine Rückbesinnung auf ihre Wurzeln und eine stärkere Verankerung in der Bevölkerung. Von Thomas Daum

Modell mit starken Wurzeln

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BVGThomas Daum,

Direktor Schweizerischer

Arbeitgeberverband

bung von Fehlern und die Bewältigung künftiger Heraus-forderungen erschwert.

Für eine konstruktive VorsorgediskussionDie 1. BVG-Revision (2005–2006) brachte wesentliche Verstärkungen in den Bereichen der paritätischen Verwal-tung, der standardisierten Rechnungslegung und der Ver-sicherteninformation sowie eine Entflechtung von Vor-sorgegeschäft und allgemeinem Versicherungsgeschäft bei den Lebensversicherern. Mit der zurzeit vom Parla-ment beratenen «Strukturreform» sollen zudem die Gover-nance und die Aufsicht der Vorsorgeeinrichtungen ver-bessert werden.

Damit wären die rechtlichen Voraussetzungen für eine transparente und faire Führung der beruflichen Vorsorge gegeben. Wie die zurückliegende Abstimmungskampa-gne zur Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,4 % zeigt, reicht das zur Beruhigung und Versachlichung der Dis-kussion über die 2. Säule und zur Weiterentwicklung des BVG im demokratischen Prozess nicht aus. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn

n die berufliche Vorsorge wieder als partnerschaftliche Aufgabe der Sozialpartner, der Vorsorgeeinrichtungen und der Versicherer wahrgenommen wirdn die Versicherten bzw. die Stimmberechtigten das Vorsorgesystem in seinen wichtigsten Elementen und Ausprägungen verstehen und n die Vielgestaltigkeit der Vorsorge als eine ihrer Stärken akzeptiert wird.

Koexistenz der Träger – differenzierte Regulierung

Nachdem das Nebeneinander von (autonomen) Pensi-onskassen und Lebensversicherern als Träger der beruf-lichen Vorsorge während Jahrzehnten gut funktioniert hatte, wollen linke Kreise die Lebensversicherer seit dem Einbruch von 2002 aus dem Feld der beruflichen Vorsor-ge verdrängen. Diese Kampagne lässt sich nicht mit ge-machten Fehlern der Versicherer begründen, sondern ist ideologisch motiviert und stellt das System der beruf-lichen Vorsorge in Frage. Es gehört eben zu diesem Sys-tem, dass (vor allem kleine) Unternehmungen ihre Vor-sorgeverpflichtung ohne eigene Risiken und ohne eigenen Verwaltungsaufwand über eine Sammelstiftung oder mit einer Vollversicherung erfüllen können. Um dies zu gewährleisten, brauchen wir die Lebensversicherer als Vorsorgeträger. Umgekehrt wäre es falsch, die Vorsorge-einrichtungen den gleichen versicherungsrechtlichen Durchführungs- und Aufsichtsregeln zu unterstellen wie die Lebensversicherer. BVG und Versicherungsrecht müs-sen mit anderen Worten von der Koexistenz der Vorsor-

geträger ausgehen und diese mit einer differenzierten Regulierung unterlegen, welche den unterschiedlichen Leistungsgarantien, Risikoträgerschaften und Geschäfts-zielen Rechnung trägt. Erst wenn dieser Grundsatz wieder von allen Akteuren in der beruflichen Vorsorge akzeptiert ist, können sie das System partnerschaftlich weiterentwickeln.

AufklärungsbedarfWer geglaubt hatte, 25 Jahre BVG, die hitzigen Auseinan-dersetzungen nach dem Börsencrash anfangs dieses Jahr-zehnts, die politischen Debatten über die 1. BVG-Revisi-on, die Einführung der Transparenzvorschriften und die verstärkte mediale Präsenz des Themas hätten das Ver-ständnis für die Funktionsweise der beruflichen Vorsorge entscheidend verbessert, sah sich im Abstimmungskampf über den Mindestumwandlungssatz bitter enttäuscht. Die Leistungen der 2. Säule sind zwar zum festen Bestandteil der sozialen Sicherheitsansprüche geworden, aber das System, welches diese Ansprüche generieren muss, ist weitgehend unbekannt.

Auf dieser Basis naiver Unkenntnis ist es einfach, uner-füllbare Erwartungen zu schüren, notwendige Korrek-turen zu bekämpfen, übermässige Verwaltungskosten zu behaupten und die berufliche Vorsorge insgesamt als «Selbstbedienungsladen» für Experten, Portfoliomanager usw. zu diskreditieren.

Hier stehen die Verantwortlichen der beruflichen Vor-sorge in einer Aufklärungspflicht. Zu lange haben sie die Vorsorge im kleinen Zirkel der «Eingeweihten» geschrie-ben und zu oft hüllen sie sich auch heute noch in eine Aura des anglizistischen Fachjargons, der Aussenstehen-den den Zugang zum Thema massiv erschwert. Nach dem Boom der Publikationen und Veranstaltungen für die Insider muss nun eine langfristig angelegte Informati-onskampagne für die Betroffenen gestartet werden. Erst wenn die berufliche Vorsorge in breiten Bevölkerungs-kreisen verstanden wird, ist sie gegen politische Manipu-lationsversuche gefeit. Und nur wenn die Versicherten ihre Rolle sowie ihre Chancen und Risiken im System kennen, kann dieses System mit ihnen seine volle Stärke ausspielen.

Wurzeln stärken Damit die Erfolgsgeschichte der beruflichen Vorsorge fortgeschrieben werden kann, müssen ihre Akteure also nicht nur das versicherungs- und anlagetechnische In-strumentarium beherrschen, sondern sich auch immer wieder auf die (sozial-)partnerschaftlichen Wurzeln der 2. Säule besinnen und diese mit einer aktiven und ehr-lichen Kommunikation in der Bevölkerung verankern. n

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BVG

1990Die S-Bahn Zürich nimmt ihren Betrieb auf.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die ersten 11 Jahre seit der Einführung des BVG habe ich mich nicht stärker mit der beruflichen Vorsorge auseinandergesetzt als an-dere Arbeitnehmende. Meine ersten persönlichen Erfah-rungen mit der beruflichen Vorsorge gehen aber noch in die Zeit vor dem BVG zurück: Als Kind wohnte ich nämlich lange in einem Haus, das einer Lehrerpensionskasse ge-hörte. Die ersten Fachkenntnisse über die berufliche Vorsor-ge habe ich während dem Studium erworben, das ich zufäl-ligerweise im ersten Jahr des BVG abgeschlossen habe.

Von 1986–1995 habe ich dann in der Bundesverwaltung meine ersten Erfahrungen als Versicherte gesammelt. Diese sprechen Bände: Während dieser ganzen Zeit habe ich nämlich nie einen Vorsorgeausweis, ein Reglement oder eine Jahresrechnung gesehen! Soviel ich weiss, ist es vielen anderen Versicherten damals nicht anders ge-gangen; diese Erfahrung scheint also durchaus repräsen-tativ zu sein für die damalige Zeit. Das Leistungsprimat hat mich verärgert, weil mir die Nachzahlungen im ersten Jahr die Lohnerhöhungen gleich wieder weggefressen haben. Den Sinn dieser Nachzah-lungen hat mir damals niemand er-klären können, ich habe sie erst später verstanden. Das erste und gleichzeitig letzte Papier, das ich von der damaligen EVK erhalten habe, war die Berechnung der Aus-trittsleistung. Das war im Jahr, als das Freizügigkeitsgesetz in Kraft ge-treten ist. Allerdings hätte ich auch vor Inkrafttreten des FZG nichts verloren, weil es ein Freizügigkeits-abkommen gab. Was ja bekanntlich leider nicht für alle BV-Versicherten galt und zum FZG geführt hat.

Pensionskassenbashing ist nicht neuWeiter erinnere ich mich aus dieser Zeit an Medienbe-richte, die den Pensionskassen die Schuld für Immobili-enspekulation zuschoben. Als junge Familienmutter mit

einem kleinen Budget habe auch ich unter steigenden Mieten gelitten – Vermieterin war in der Tat eine Pensi-onskasse –, habe den Zeitungen deshalb geglaubt und war wütend. Heute schliesse ich daraus: Pensionskassen-bashing in den Medien ist nichts Neues!

Nach meinem Arbeitsbeginn beim SGB hat sich die be-rufliche Vorsorge rasch als dasjenige Aufgabengebiet entpuppt, das am meisten Herausforderungen an mich stellte: Es begann mit den ersten Änderungen der Anlage-vorschriften (es ging um Derivate, als Reaktion auf Missstände), dann kam die Arbeit an der 1. BVG-Revisi-on. Bald musste ich mich mit vielen Themen befassen, die noch heute aktuell sind: Mindestzinssatz, Mindestum-wandlungssatz, Teilliquidationen, Anlagevorschriften, Versicherungstechnik, Vermögensverwaltung, Regle-mentsänderungen, Sanierungsmassnahmen, die Probleme im Zusammenhang mit den Versicherern usw. Dass es möglich und zulässig war, dass Versicherungsgesell-schaften den Umwandlungssatz für Neurenten im Über-obligatorium auf einen Schlag um bis 25 % senken konn-

ten, war ein Schock. Auch die Frage, ob das heutige Drei-Säulen-System gut sei oder nicht doch vielleicht Systemänderungen nötig seien, be-gleitet mich beruflich seit langem. Und das leidige Thema «freie Pensi-onskassenwahl» hat sich als ein Dauerthema entpuppt. Der für mich lehrreichste und interessanteste As-pekt war und ist zweifellos die Mit-arbeit und die Führung von Stif-tungsräten.

Es wird in Zukunft nicht ruhiger

Generell habe auch ich den Eindruck: Der Komplikati-onsgrad in der beruflichen Vorsorge steigt in schwindel-erregendem Tempo. Neben den zahlreichen Vorgaben des Gesetzgebers, des Bundesrates und der Aufsicht überraschen auch die Gerichte immer wieder mit Ent-

Die gesellschaftlichen Erwartungen und das ökonomische Umfeld ändern sich. Das hat Auswirkungen auf die berufliche Vorsorge: Auch die zweite Säule muss sich immer wieder hinterfragen und Systemlücken schliessen. Von Colette Nova

Die Systemlücken schliessen

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Colette Nova, Geschäftsführende

Sekretärin des Schweizerischen

Gewerkschaftsbundes SGB

scheiden, die die Vorsorgeeinrichtungen zu – manchmal problematischen – Anpassungen zwingen. Manchmal werden durch diesen Aktivismus zwar Probleme gelöst – aber oft werden gleich wieder einige neue geschaffen. Was schon für die Führungsorgane und die Geschäftsfüh-rung zuviel ist, überfordert die «normalen» Versicherten definitiv. Und dass dieses hektische Treiben nicht eine dämpfende Wirkung auf die Verwaltungskosten hat, ver-steht sich von selbst. Allerdings ist das ASIP-Konzept des «neuen BVG» für mich kein tauglicher Lösungsansatz.

Geänderte ErwartungenDie gesellschaftlichen Erwartungen ändern sich, das öko-nomische Umfeld ebenfalls, das kann nicht ohne Auswir-kungen auf die berufliche Vorsorge bleiben. Wie die üb-rigen Sozialversicherungen muss sich auch die zweite Säule immer wieder hinterfragen lassen. Ob das Kapital-deckungsverfahren und die heutige zweite Säule der Weisheit letzter Schluss sind, wird individuell unter-schiedlich beurteilt. Was der heutigen zweiten Säule aber ganz massiv schadet, ist die Tatsache, dass neben den autonomen Pensionskassen auch profitorientierte Firmen darin tätig sind. Die berufliche Vorsorge wäre viele ihrer Glaubwürdigkeitsprobleme los, wenn es nur noch «eine Welt gäbe», nämlich diejenige der kollektiven Vorsorge nach dem Gegenseitigkeitsprinzip. Der Verteilkonflikt zwischen den Versicherern und den Versicherten ist für die Versicherten nach wie vor schlecht gelöst. Den mei-sten Politikerinnen und Politikern sowie den Journalisten kann man offenbar weismachen, dass es die Versicherer brauche, obwohl dies so nicht stimmt. Viele Dauerstreit-punkte würden sich ohne Versicherer fast von selbst er-ledigen, wie etwa die Bestimmung der richtigen Höhe des Mindestzinssatzes. Ohne Versicherer wäre auch die Debatte zum Umwandlungssatz eine andere gewesen. Die Pensionskassen müssten sich auch nicht mit absur-den Forderungen wie etwa jener nach der Einführung des SST auseinandersetzen. Dass der ASIP sich in Bezug auf die Assekuranz zu wenig eigenständig positioniert, halte ich für einen strategischen Fehler. Der ASIP würde massiv an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn er sich ganz eindeutig für die autonome und sozialpartnerschaftliche Vorsorge positionieren würde.Es gibt Systemlücken, die geschlossen werden müssen: Ein erheblicher und eher

steigender Teil der Arbeitnehmenden kommt heute in der beruflichen Vorsorge zu kurz, ist nicht oder nur schlecht versichert. Prekäre Arbeitsverhältnisse, kleine oder Kleinstpensen und -beschäftigungen, Wechsel oder Zusammenspiel von Unselbständigkeit und Selbständig-keit usw. schliessen viele Arbeitnehmende von zum Le-ben genügenden Vorsorgeleistungen aus. Diesen Men-schen nützen auch gute Lösungen in umhüllenden Kassen nichts. Sie sind meist nicht in solchen Kassen und des-halb darauf angewiesen, dass ihren Vorsorgebedürfnissen auch im Obligatorium besser entsprochen wird. Hier liegt eine Herausforderung, aber auch eine Chance für die be-rufliche Vorsorge.

Besser als ihr ImageDie Zukunft der beruflichen Vorsorge liegt auf jeden Fall nicht in der «freien Wahl der Pensionskasse». Ich bin überzeugt, dass es darin weder «Wahl», noch «freie» Wahl noch «Pensionskasse» mehr gäbe und dass die Folgen für die Vorsorge äusserst schlecht wären. Wie sich auch rund um die Abstimmung zum Umwandlungssatz gezeigt hat, ist die heutige kollektive Vorsorge für die Bevölkerung nicht leicht verständlich, weshalb solche Ideen immer wieder herumgeboten werden. Der Informations- und Aufklärungsbedarf ist viel grösser als in Bezug auf die AHV/IV. Das ist bisher unterschätzt worden.

Die Zukunft der beruflichen Vorsorge liegt aber sicher auch nicht in der Umstellung auf Zinssätze beim oder un-terhalb des risikolosen Zinses, wie eine trotz ihres Namens rückwärtsgewandte Organisation behauptet. Damit würde der Ast abgesägt, auf dem die berufliche Vorsorge (inklu-sive Versicherungsgesellschaften) sitzt! Denn Bundesobli-gationen kaufen können die einzelnen Versicherten selbst und sie könnten dies erst noch sehr günstig tun. Es gäbe für sie also keinen Grund mehr, in einer Pensionskasse zu sein und dieser Verwaltungskosten zu bezahlen. Die AHV wäre sofort viel attraktiver als die berufliche Vorsorge. Dieser «Scheideweg» wäre ein kolossaler Irrweg.

Das BVG und die berufliche Vorsorge sind zwar für den grössten Teil der Bevölkerung ein Buch mit sieben Siegeln. Die berufliche Vorsorge ist aber besser als ihr Image. Ihr wohl grösstes «Kapital» sind viele engagierte und kompetente Menschen, die gute Ideen und den Wil-len haben, diese Ideen umzusetzen. n

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25 Jahre BVG aus dem Blickwinkel der Konferenz der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden – zwischen zahnloser und formaljuristischer Aufsicht. Von Christina Ruggli-Wüest

Die Aufsicht im BVG

1. EntstehungsgeschichteBei Inkraftsetzung des BVG am 1. Januar 1985 gab es «die BVG-Aufsicht» noch nicht. Der Gesetzgeber stützte sich im Wesentlichen auf die funktionierende Stiftungsaufsicht ab1 und regelte die Besonderheiten der BVG-Aufsicht ge-rade mal in zwei Artikeln2; zusätzlich wurde in einem Artikel die Oberaufsicht geregelt3. Die zugehörige Aus-führungsverordnung4 befasst sich hauptsächlich mit den Schnittstellen zu anderen Aufsichtsbehörden und dem BVG-Register 6.

In materieller Hinsicht überwacht die Aufsichtsbehörde die Einhaltung (aller) gesetzlicher Vorschriften7 durch die Vorsorgeeinrichtungen und Einrichtungen, die nach ih-rem Zweck der beruflichen Vorsorge dienen8. Insbeson-dere prüft sie die Übereinstimmung der Reglemente mit den gesetzlichen Vorschriften9, sie fordert jährlich die Be-richterstattung, namentlich über ihre Geschäftstätigkeit, von allen beaufsichtigten Institutionen ein, sie nimmt Einsicht in die Kontrollstellenberichte und in die Berichte des Experten für berufliche Vorsorge; schliesslich trifft sie Massnahmen zur Behebung von Mängeln. Sie beurteilt auch Streitigkeiten betreffend das Recht der versicherten Person nach Art. 65a und 86b Abs. 2 BVG; zudem überwacht sie die Zweckwahrung bei Vorsorgestif-tungen und genehmigt dort auch Urkundenänderungen nach Art. 85 und 86 ZGB.

Die Formulierung des Gesetzge-bers lässt erkennen, dass von einer «defensiven Denkhaltung» ausge-gangen wurde; das zeigt sich unter anderem daran, dass ein aktives Einschreiten «nur» beim Vorliegen von Mängeln festgelegt worden ist10.

2. Die StiftungsaufsichtAufgrund der Annahme des Gesetzgebers, dass die Stif-tungsaufsicht als Basis der BVG-Aufsicht dienen soll, stellt sich die Frage nach der Tätigkeit der Stiftungsauf-sicht. Nach Artikel 84 ZGB überwacht diese die Wahrung des Zwecks durch die beaufsichtigte Stiftung11. Mit der

Revision des Stiftungsrechts im Jahr 2006 wurden wenige zusätzliche Aufgaben, welche sich in der Praxis heraus-gebildet haben, festgelegt12. Weitere Bestimmungen zur Stiftungsaufsicht finden sich in den kantonalen Einfüh-rungsgesetzen zum ZGB13 und in den kantonalen Verord-nungen zur Stiftungsaufsicht14. Auch diese wenigen Be-stimmungen basieren auf dem Gedankengut der «Stiftungsfreiheit» und halten daher ein Einschreiten der Aufsicht nur dann für gerechtfertigt, wenn offensichtliche Mängel zu Tage treten15. Neben kantonalen Aufsichtsbe-hörden bestehen in verschiedenen Kantonen noch Ge-meindeaufsichten16. Diese beaufsichtigen Stiftungen mit einem in der Regel eng auf die betreffende Gemeinde begrenzten Tätigkeitsbereich. Diese Gemeindeaufsicht ist im BVG aber von Bundesrechts wegen ausgeschlossen17. Die bereits vorgestellte defensive Aufsichtstätigkeit wird im Stiftungsrecht eher noch verstärkt.

3. Die Konferenz der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden.

Im Jahr 1970 haben sich die kantonalen Stiftungsauf-sichtsbehörden zu einer Konferenz zusammengeschlos-

sen. In der Konferenz sind alle kantonalen BVG- und Stiftungsauf-sichtsbehörden vertreten. Die Kon-ferenz ist ein Verein und ihren Mitgliedern gegenüber nicht wei-sungsberechtigt. Sie verfolgt den Zweck, alle Fragen auf dem Gebiet der beruflichen Vorsorge und des Stiftungsrechts zu behandeln und eine gesamtschweizerisch einheit-liche Anwendung dieser Rechtsge-biete zu fördern. Die Konferenz en-gagiert sich seit ihrer Gründung für die Förderung der Beziehungen un-ter den kantonalen Aufsichtsbehör-

den und mit Fachpersonen bzw. -institutionen; sie nimmt aktiv an Vernehmlassungen teil. Sowohl bei der Einfüh-rung des BVG als auch bei der Stiftungsrechtsrevision und der 1. BVG-Revision setzte sich die Konferenz für die Belange der durchführenden Aufsichtsbehörden ein.

1991Juni, Zur 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft wird rings um den Urnersee der 35 km lange Weg der Schweiz eröffnet.

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4. ZwischenfazitSowohl aus den BVG-Bestimmungen als aus den Bestim-mungen über die Stiftungsaufsicht ergibt sich, dass bei der Aufsichtsausübung Zurückhaltung erforderlich ist. Eingriffe sind nach den allgemeinen Regeln der verwal-tungsrechtlichen Tätigkeit nach dem Verhältnismässig-keitsgrundsatz und nach dem Legalitätsprinzip zu beur-teilen18. In dieser Hinsicht sind die Aufsichtsbestimmungen sehr marginal gehalten. Die formellen Prüfaspekte stehen im Vordergrund; für eine griffige Aufsicht fehlt es an den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen. Die inho-mogene Vorsorgelandschaft19, die Revisionsstellen und Experten, welche stark von ihren Fachvereinigungen20 beeinflusst sind, und die faktisch fehlende Oberaufsicht, führen immer zum Vorwurf der zahnlosen, formali-stischen Aufsichtsführung an die Adresse der Aufsichts-behörden. Dies steht in einem gewissen Spannungsfeld zu den Anforderungen, welche insbesondere von der Öf-fentlichkeit an die BVG-Aufsichtsbehörde herangetragen werden21. Die Konferenz der kantonalen BVG- und Stif-tungsaufsichtsbehörden nimmt die Anforderungen für eine vermehrte Einheitlichkeit in der Umsetzung der Ge-setzesbestimmungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten wahr. Sie kann jedoch – wie andere Konferenzen22 auch – nur Empfehlungen abgeben.

5.1 Was heisst das nun für die Zukunft? Auswirkungen der Strukturreform

Ursprünglich23 war das Anliegen der Strukturreform eine Verstärkung der Aufsicht und der Oberaufsicht, basierend auf den Erfahrungen aus den Schadenfällen24 und der Praxis der ersten rund 15 Jahre BVG. Es wurde jedoch bald festgestellt, dass es im System mit eigenverantwort-lich handelnden Akteuren25 nicht genügt, einzig die Auf-sicht und die Oberaufsicht zu verstärken, sondern dass es erforderlich ist, die Kompetenzen und Verantwortungen aller am System beteiligten Gremien und Personen26 zu klären und zu verstärken, wenn eine erhöhte Sicherheit für den gesamten BVG-Bereich erzielt werden soll. Zur Diskussion standen auch immer wieder «gleichlange Spiesse» sowohl für eigenständige Vorsorgeeinrichtungen von Unternehmungen als auch für Sammel- und Gemein-schaftsstiftungen von Versicherungsgesellschaften und Banken27. Schliesslich wurde die Gewährleistung der Sy-stemsicherheit28 als solche gefordert.

Die auf dem Expertenbericht basierende Botschaft des Bundesrates vom 15. Juni 2007 zur Strukturreform29 nahm die wesentlichen Anliegen auf schlug vor, dass die Kom-petenzen und die Verantwortung der einzelnen Akteure vertieft gesetzlich geregelt werden. Die bisherigen Erfah-rungen in der Praxis standen bei den Bestimmungen zu den Aufgaben des obersten Organs30, der Revisionsstelle 31

und des Experten für berufliche Vorsorge Pate32. Bei den Aufsichtsbestimmungen wurde dem Legalitätsprinzip ver-mehrt Rechnung getragen und sowohl die Aufsichtstätig-keit33 als solche wie auch die Aufsichtsmittel34 umschrie-ben. Die Organisation der Aufsichtsbehörden35 wurde insofern verändert, als zukünftig im BVG auch «Zusam-menschlüsse» von Aufsichtsbehörden vorgesehen sind zur Verstärkung der eigenen Kompetenzen. Schliesslich wurde erkannt, dass nicht nur die fehlende Erfahrung36 in der Aufsichtsführung vermieden werden muss, sondern eine Aufsichtsbehörde auch durch externe Eingriffe37 ge-schwächt werden kann. Es wurde daher die administra-tive, finanzielle und rechtliche Selbständigkeit postuliert38.Als weitere, wesentliche Änderung wurde die Entflech-tung von Direkt- und Oberaufsicht beschlossen.

Inskünftig wird die Direktaufsicht ausschliesslich auf Kantons- bzw. Regionsebene stattfinden39, während die Bundesebene die Oberaufsicht40 bzw. die Systemauf-sicht41 durchführen wird. Die Erkennung von Verände-rungen der Systemparameter, welche die Sicherheit des Gesamtsystems beeinflussen, und das rechtzeitige Ergrei-fen entsprechender Massnahmen werden für die Zukunft der zweiten Säule zentral sein42.

5.2 Notwendige Veränderungen in der Wahrnehmung von Öffentlichkeit und Politik

Mit den Veränderungen auf der gesetzlichen Ebene muss aber auch ein Wandel in der Wahrnehmung der 2. Säule in der Öffentlichkeit und in der Politik einher gehen. Zu-nächst muss realisiert werden, dass trotz des grossen Anteils der von den Sozialpartnern gemeinsam «uneigen-nützig» betriebenen Vorsorgeeinrichtungen auch Vorsor-geeinrichtungen eine Existenzberechtigung haben, welche als professionelles Geschäftsmodell eines Wirt-schaftsunternehmens (in concreto einer Versicherungsge-sellschaft oder einer Bank) betrieben werden. Wenn im-mer wieder gleichlange Spiesse gefordert werden, ist genau zu überlegen, wo diese denn gleich lang sein sol-len und wo sie es heute schon nicht sind und diese For-derung auch gar keinen Sinn macht43. Will man die Viel-fältigkeit der 2. Säule und den Anreiz erhalten, dass Unternehmungen solche Einrichtungen eigenständig ver-walten, muss man mit «Lücken» leben können. Dies be-deutet, dass nicht jedes «vermeintliche» Fehlverhalten zu neuen gesetzlichen Bestimmungen führen kann, wie dies in den letzten 15 Jahren geschehen ist44. Vielmehr muss wahrgenommen werden, dass das gesamte System nur so gut ist, wie die beteiligten Akteure. Beim obersten Organ ist das Spannungsfeld zwischen vertretbarem Aufwand und Ausbildung eines Laiengremiums und der Verant-wortlichkeit zu beachten45. Im Gegenzug ist die Latte bei ➔

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den professionellen Akteuren wie den Revisionsstellen und den Experten für berufliche Vorsorge und nicht zu-letzt auch bei der Aufsicht und der Oberaufsicht hoch anzusetzen46. Das Zusammenspiel dieser Akteure in der Aufsichtspyramide47 muss gewährleistet bleiben; das Sy-stem der repressiven Aufsicht mit gewissen präventiven Vorwirkungen hat sich nicht verändert, weshalb die Auf-sichtsbehörde (erst) bei feststellbaren Mängeln einschrei-tet48, dann allerdings konsequent und ohne Verzöge-rungen49. In diesem Sinn wünscht sich die Autorin des vorliegenden Artikels für die Zukunft etwas mehr Realitäts-sinn in der zweiten Säule und etwas weniger Emotionen. n

1 Botschaft BVG, BBl 1976 I 149 ff.2 Artikel 61 und 62 BVG; Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über

die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG),

SR 831.40.3 Artikel 64 BVG4 Verordnung über die Beaufsichtigung und die Registrierung der

Vorsorgeeinrichtungen (BVV1) vom 29. Juni 1983; SR 831.435.15 Artikel 1 bis 4 der BVV16 Artikel 6 bis 11 der BVV17 Unter «Rechtskonformität» wird dabei nicht nur die Einhaltung der

BVG-Bestimmungen und der damit zusammenhängenden Gesetzge-

bung (inkl. Verordnungen) verstanden, sondern auch die Einhaltung

weiterer gesetzlicher Bestimmungen (in der Praxis stellen sich diese

Fragen insbesondere bei Vorsorgegenossenschaften hinsichtlich der

allg. Bestimmungen des Obligationenrechts und bei öffentlich-

rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen z.B. betreffend die Einhaltung

von Artikel 8 BV). 8 Betroffen sind somit nicht nur eigentliche Vorsorgeeinrichtungen,

sondern auch sog. Hilfs- oder Annexeinrichtungen wie Freizügigkeits-

und Anlagestiftungen sowie patronale Wohlfahrtseinrichtungen;

vgl. dazu Botschaft zur Revision des Bundesgesetzes über die

berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 1. März

2000; im Folgenden Botschaft zur 1. BVG-Revision, BBl 2000, S. 26379 Zu Beginn des BVG waren dies das Leistungsreglement und

manchmal noch ein Geschäfts- bzw. Organisationsreglement bei

grösseren Vorsorgeeinrichtungen; zwischenzeitlich verfügen die

Vorsorgeeinrichtungen neben den Leistungsreglementen über

zahlreiche weitere Reglemente (z.B. Anlage-, Reserve-, Rückstellungs-

sowie Geschäfts- und Organisations- und Wahlreglemente), welche

teilweise sogar genehmigungspflichtig sind (z.B. das Teilliquidations-

reglement nach Artikel 53b ff BVG). 10 Das bedingt, dass ein Mangel aufgrund der eingereichten

Unterlagen (oder auf andere Art und Weise) feststellbar ist. 11 Die ZGB-Aufsicht war also ursprünglich nur in einem einzigen

Artikel geregelt.12 Artikel 83d ZGB betreffend die Ergänzungsmöglichkeit bei ungenü-

gender Organisation, Artikel 84a ZGB betreffend die Massnahmen bei

Gefährdung der Stiftung/Sanierung, Artikel 86b ZGB betreffend die

Genehmigung untergeordneter Urkundenänderungen (sog. unwesent-

liche Änderung).13 Für den Kanton Basel-Stadt: EGZGB §§ 17-19 (Abgrenzung der

innerkantonalen Zuständigkeiten der Aufsicht); SG BS 211.100.14 z.B. Verordnung über die Stiftungsaufsicht vom 3. Februar 2004;

SG BS 212.90015 Hans-Michael Riemer, BE-Kommentar zu Artikel 84 ZGB, Rz. 55 ff.16 So besteht z.B. im Kanton Basel-Landschaft noch eine Gemeindeauf-

sicht; im Kanton Basel-Stadt ist dies ebenfalls noch möglich, wobei

jedoch aufgrund der städtischen Struktur die Mehrheit der kantonalen

Stiftungen unter Kantonsaufsicht stehen.17 Artikel 61 BVG; danach bezeichnet jeder Kanton eine (einzige)

Behörde als Aufsichtsbehörde18 U. Häfelin/G. Müller, Grundriss des Allgemeinen

Verwaltungsrechts, Rz. 51419 Hier soll keineswegs einer Vereinheitlichung das Wort geredet

werden; es ist jedoch ein Fakt, dass die Aufsichtsführung bei einer

Sammel- oder Gemeinschaftsstiftung anders erfolgt und erfolgen muss

als dies bei einer kleineren Konzernvorsorgeeinrichtung der Fall ist.20 Sowohl die Treuhandkammer als auch die Aktuarvereinigung wie

auch die Kammer der Pensionskassen-Experten verfolgen dabei nicht

ausschliesslich Interessen, welche auf die 2. Säule ausgerichtet sind,

sondern oft über internationale Standards in sach- und fachfremder Art

auf die Einrichtungen der 2. Säule zur Anwendung kommen;

stellvertretend genannt seien die Entwicklungen der internationalen

Rechnungslegung (konzernrelevante Beurteilung von Beitragsprimat-

plänen als «Leistungsverpflichtungen der Arbeitgeberfirma») bzw. der

Risikosimulation (Swiss Solvency Test).21 Gefordert werden dabei eine vollständige Vermeidung von potenti-

ellen Schadenfällen, rasches und effizientes Einschreiten bei Gefähr-

dung unter Wahrung der Rechte der Betroffenen (Rechtliches Gehör,

Suspensivwirkung einer Beschwerde etc.), einheitliche Rechtsanwen-

dung (trotz unterschiedlicher Einrichtungen) und «Augenmass»

bei heiklen Situationen (z.B. bei Sanierungsmassnahmen im

Zusammenhang mit Unterdeckungsfällen im Rahmen der Finanzmarkt-

krise 2008 ff.).22 Erwähnt seien hier stellvertretend die Regierungskonferenzen in

verschiedenen Bereichen z.B. die Konferenz der kantonalen Finanzdi-

rektoren oder der Gesundheitsdirektoren; daneben bestehen sog.

Fachkonferenzen z.B. diejenige der kantonalen Zivilstandsämter, der

vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden etc.23 Vgl. dazu Schlussbericht der Expertenkommission «Strukturreform»;

Übersicht und Ausgangslage24 Insbesondere aus dem Fall Vera/Pevos. 25 Das Konzept BVG geht bekanntlich davon aus, dass der Arbeitgeber

zusammen mit seiner Arbeitnehmerschaft über die berufliche Vorsorge

in seinem Unternehmen bestimmt; Artikel 11 BVG; daneben muss

eine Vorsorgeeinrichtung zwingend über eine BVG-anerkannte

Revisionsstelle und einen Experten für berufliche Vorsorge verfügen,

Artikel 53 BVG in Verbindung mit Artikel 33 ff BVV2.26 Im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungszweigen (z.B. der Eidg.

Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung) ist die berufliche ➔

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Vorsorge in ihrer Ausgestaltung sehr vielfältig; die Durchführung kann

durch professionelle Lebensversicherungsgesellschaften (als Betreiber

von entsprechenden Sammelstiftungen wie auch als «Rückversicherer»)

wie auch durch firmeneigene Vorsorgeeinrichtungen mit einem

«Laiengremium» als Führungsorgan erfolgen. 27 Die Autorin des vorliegenden Artikels war Mitglied in verschiedenen

Expertenkommissionen und hat daher die Diskussionen «hautnah»

miterlebt.28 Unter dem Titel «prudentielle Aufsicht» wurde teilweise

kontrovers diskutiert, in wieweit die die Direktaufsicht führenden

Aufsichtsbehörden auch für die präventive Sicherheit des

Gesamtsystems zuständig sein sollen.29 Botschaft zur Strukturreform, BBl 2007 5669 ff.30 Artikel 51a E-BVG31 Artikel 52b und 52c E-BVG32 Artikel 52d und 52e E-BVG33 Artikel 62 Abs. 1 E-BVG34 Artikel 62a E-BVG35 Derzeit gibt es auf staatsvertraglicher Basis bereits in der Inner-

schweiz (ZBSA) und in der Ostschweiz (Ostschweizer Aufsicht)

derartige gemeinsame Aufsichtsbehörden. Zudem bestehen formelle

(z.B. zwischen den Kantonen Schaffhausen und Zürich betreffend die

BVG-Aufsicht) und informelle Zusammenarbeiten (z.B. in der Region

Nordwestschweiz zwischen den Kantonen Basel-Landschaft,

Basel-Stadt und Solothurn und in der Westschweiz zwischen den sechs

Westschweizer Kantonen und Bern).36 Die Erfahrung beruht in diesem Fall nicht so sehr auf der zeitlichen

Erfahrung als vielmehr auf der materiellen Breite der beaufsichtigten

Institutionen und den damit verbundenen Fragestellungen. 37 Neben der direkten Dienstanweisung von einer hierarchisch

vorgesetzten Stelle wie z.B. dem Gesamtregierungsrat oder eines/einer

einzelnen Departementsvorstehers/in ist z.B. an Budgetkürzungen und

Sparübungen zu denken, welche es einer Aufsichtsbehörde verunmög-

lichen können, zeitnah zu agieren (muss z.B. für die Verhängung einer

amtlichen Verwaltung zuerst ein Budget bewilligt werden, ist die

Aufsichtsbehörde nicht mehr handlungsfähig). Ähnliches gilt, wenn bei

Personalabgängen eine Neubesetzung aus Spargründen unterbleiben

muss oder wegen Personalmangels auf Departementsebene

sachfremde Aufgaben an die Aufsichtsbehörde delegiert werden (z.B.

50 % Handelsregisterführung und 50% Aufsichtsbehördentätigkeit).38 Derzeit steht diese Unabhängigkeit in den Eidg. Räten wieder zur

Diskussion, da der Ständerat die Formulierung auf «weisungsungebun-

den» verkürzt hat. Vgl. Protokoll SR, Amtliches Bulletin vom 8.12.2009.39 Die bisher vom BSV direkt beaufsichtigten Vorsorge- und Freizügig-

keitseinrichtungen werden nach dem Sitzprinzip auf die kantonalen

bzw. regionalen Aufsichtsbehörden verteilt werden.40 Aufsicht über die kantonalen/regionalen Aufsichtsbehörden und

Direktaufsicht über die speziellen Einrichtungen wie Sicherheitsfonds

und Auffangeinrichtung sowie Anlagestiftungen.41 Im Sinne der prudentiellen Aufsicht; dazu werden auch die

Anerkennung von Fachstandards z.B. für Revisionsstellen im BVG-

Bereich oder für Experten für berufliche Vorsorge gehören.42 Als Beispiel diene die aktuelle Diskussion bzw. die Volksabstimmung

vom 7. März 2010 über die Senkung des Umwandlungssatzes.43 Hier muss man sich eingestehen, dass viele Arbeitgeber und noch

mehr Arbeitnehmer mit ihrer 2. Säule nichts zu tun haben wollen und

erst im Leistungsfall überhaupt ein minimales Interesse und dann auch

nur an der Leistung entsteht.44 Seit Einführung des Freizügigkeitsgesetzes per 1.1.1995 ist praktisch

kein halbes Jahr vergangen, ohne dass neue Gesetzes- oder Verord-

nungsbestimmungen erlassen worden sind und sei es auch nur, um

nicht genehme Urteile «abzuändern»; so letztmals geschehen mit den

Teilliquidationsbestimmungen von Artikel 27g und h BVV2 per

1.6.2009.45 Wird die Verantwortlichkeit überzogen, dann finden sich mittelfristig

keine Arbeitgeber oder Arbeitnehmer mehr, welche dieses Risiko

tragen wollen und sich daher für den Posten als Stiftungsrat zur

Verfügung stellen.46 Dabei spielen die Fachausbildung und die entsprechenden Standards

wie auch die Standesregeln eine entsprechende Rolle. Bei der

Aufsichtsbehörde ist die geforderte administrative, rechtliche und

finanzielle Unabhängigkeit unabdingbar.47 Aufsichtspyramide bedeutet: Kontrolle des obersten Organs durch

die Revisionsstelle und den Experten für berufliche Vorsorge gemäss

ihrem jeweiligen Fachbereich; aufsichtsrechtliche Prüfung der

Vorsorgeeinrichtung auf der Basis der entsprechenden Berichte mit den

diesbezüglichen Feststellungen.48 Dies bedingt, dass die Revisionsstellen wie auch die Experten für

die berufliche Vorsorge ihre Meldepflichten konsequent wahrnehmen

und in ihren Berichten klare Stellungnahmen abgeben.49 Hier ist insbesondere das prozedurale Mittel des Entzugs der

aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wesentlich. Taktische

Verzögerungen sind ausgeschlossen, sofern sich auch die Beschwer-

deinstanz entsprechend verhält. n

Dr. Christina Ruggli-Wüest, Präsidentin der Konferenz der kantonalen

BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden; Leiterin der Aufsichtsbehörde

BVG und Stiftungsaufsicht des Kantons Basel-Stadt

BVG

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

BVG

1992Dezember, 6., Die Schweizer Stimmbürger lehnen den Beitritt zum EWR knapp ab.

Befürchtungen und Träume

Nach der Annahme durch das Parlament am 25. Juni 1982 wurde das BVG trotz der Zangengeburt eingeführt, und zwar gestaffelt. Die erste Etappe (die Bestimmungen zum rechtlichen Rahmen, Sicherheitsfonds und zur Auf-fangeinrichtung sowie zur Aufsichts- und Vollzugsbehör-de) konnte am 1. Juli 1983 in Kraft treten. Das Gesetz selbst folgte dann am 1. Januar 1985. Was andere Punkte betrifft, so gab es Übergangsfristen, etwa für die Umset-zung der paritätischen Verwaltung bis zum 31.12.1986 oder für die Änderungen der Statuten und Verordnungen sowie die Anpassung der Anlagen bis Ende 1989. Doch selbst diese gestaffelten Daten der Inkraftsetzung wurden stets von langen Debatten begleitet, denn man befürchte-te eine «überstürzte Inkraftsetzung», die katastrophale Folgen haben könnte. Trotz der vom Parlament ange-brachten Verbesserungen spürte man ein Misstrauen ge-genüber dem neuen Gesetz und seinen Verordnungen. Zugegeben, die Anwendungsbestimmungen wurden erst kurz vor der Inkraftsetzung veröffentlicht, da nur wenige Monate für die Ausarbeitung geblieben waren. Doch die Abkehr vom Perfektionismus zahlte sich aus: Die Inkraftsetzung verlief ohne grössere Schwierigkeiten.

Risiken wurden Herausforderungen

Die grösste Sorge bei der Einfüh-rung des BVG bestand darin, den bestehenden Pensionskassen wür-de die kreative Freiheit entzogen, wenn man in den Verordnungen alle Einzelheiten regeln würde. Man befürchtete auch eine Einmischung der neuen Aufsichtsbehörden. Alle waren sich dahingehend einig, dass ein obligatorisches System von Massnahmen zur Siche-rung der Leistungen für die Versicherten sowie von einer effizienten Aufsicht begleitet sein muss. Es stellte sich sehr bald heraus, dass diese Sicherheit vor allem durch eine verstärkte Verantwortung der Organe und der Lei-

tung der Pensionskassen gewährleistet werden konnte. Auf diese Weise transformierte sich dieses reale Risiko rasch zu einem verstärkten Bewusstsein aufseiten der Lei-tungsorgane der Vorsorgeeinrichtungen.

Eine weitere Befürchtung betraf die Folgen der paritä-tischen Verwaltung. Alle begrüssten die Einführung dieses Prinzips für die Privatkassen – für die öffentlichen Kassen erachtete man es als unvereinbar mit dem Rechtssystem –, doch gewisse Gruppierungen waren besorgt wegen der dominanten Stellung der Arbeitgebervertreter in An-betracht von deren Ausbildung und Wissen. Es bot sich daher die Gelegenheit, für die Mitglieder der Stiftungsräte eine spezielle und gezielte Ausbildung durchzuführen; das war ein langer gemeinsamer Weg, der noch heute begangen wird. Die Mitglieder der Stiftungsräte müssen ihr Metier und ihre Verantwortungsbereiche kennen. Heute wissen sie, dass die mit dem Amt in einem solchen Organ verbundene Arbeit der Ehre vorgeht, die dieses Amt mit sich bringt.

Weiter haben die schwerverständlichen Texte des Ge-setzes und seiner Verordnungen die Gegner des BVG zu sagen veran-lasst, die Versicherungsnehmer inte-ressierten sich nicht für die Pensi-onskassen. Es stimmt, dass es für einen gewöhnlichen Versicherten nicht einfach ist, die berufliche Vor-sorge und seine jeweilige Pensions-kasse zu verstehen. Die Komplexi-tät der beruflichen Vorsorge hat die Verantwortlichen jedoch dazu ge-zwungen, die Informationen für die Versicherten stetig zu vereinfachen und zu verbessern. Die heutigen Pensionskassen beschränken sich

nicht darauf, den Versicherungsnehmern Reglemente und Jahresberichte zu senden. Sie haben sich der Herausfor-derung gestellt, und man kann heute mit Fug und Recht behaupten, dass das Interesse der Versicherungsnehmer an ihrem Versicherungsschutz gross und im Wachsen be-

Ein zu komplexes Gesetz, überforderte Versicherte oder Schwierigkeiten bei der Geldanlage – viele bei der Einführung des BVG geäusserte Befürchtungen erfüllten sich nicht. Ein damals gehegter Traum ist aber leider nicht in Erfüllung gegangen: Dass das BVG ein Rahmengesetz bleiben würde. Von Jean Pfitzmann

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Dr. iur. Jean Pfitzmann, Vizepräsident des ASIP,

Mitglied des Stiftungsrates der

Pensionskasse SWATCH GROUP

griffen ist. Die paritätische Verwaltung und die Nähe der Pensionskassen zu den Unternehmen sind natürlich äus-serst wichtige Faktoren, um dieses Interesse zu wecken.

Falschen Befürchtungen von PessimistenDie Komplexität des vom Gesetzgeber eingeschlagenen Weges liess die Gegner auch behaupten, das BVG sei nicht durchführbar. Die Branche hat jedoch schnell ge-lernt, dass man mit dem BVG auch den Stil der Verwal-tung der Pensionskassen ändern muss. Professionalität gewann in der Branche mehr und mehr an Boden, und wenn heute jemand Direktor oder Präsident einer Vorsor-geeinrichtung werden will, genügt es nicht mehr, eine Karriere in irgendeiner beliebigen Branche vorzuweisen. Gezielte Ausbildungswege wurden geschaffen, sie sind der Schlüssel zum Erfolg. Im Bereich der Zweiten Säule zu arbeiten, ist nicht mehr nur eine einfache Beschäfti-gung, sondern ist zu einem echten Metier geworden. Die Branche verwaltet heute, im Jahr 2010, die berufliche Vorsorge auf effiziente Weise; sie profitiert überdies von verschiedensten Formen der Informatik.

Kaum wurde der Gedanke geäussert, dass die künftige berufliche Vorsorge auf dem Kapitaldeckungsverfahren basieren würde, hörten die Pessimisten nicht auf zu pro-phezeien, die Kassen würden Schwierigkeiten haben, ihr Geld anzulegen. Andere befürchteten angesichts des An-lagevolumens eine Verzerrung der Kapitalmärkte. Keine dieser Befürchtungen hat sich jedoch bewahrheitet. Die Vorsorgeeinrichtungen haben schnell begriffen, dass ihre Anlagemöglichkeiten nicht an den Landesgrenzen Halt machen und dass die Investitionen auf hochprofessio-nelle Weise getätigt werden müssen. Die Anlagen der Pensionskassen sind heute ein Stabilisierungsfaktor, und die Investitionen in Immobilien sind grundlegend für die Schaffung von Wohnraum für die Bevölkerung.

Man befürchtete auch, die paritätische Verwaltung wür-de zu einem «Splitting» (Teilung) der grossen Kassen in

eine obligatorische Einheit und eine über-/ausserobliga-torische Einrichtung führen. In der Praxis wurde dieser Weg nicht eingeschlagen, denn die Sozialpartner er-kannten sehr bald die Vorteile einer Kasse, die sich nicht auf die im BVG festgelegten Mindestleistungen be-schränkt. Von Seiten der Arbeitnehmer erfuhren die Staf-felung der Altersgutschriften sowie die mit dem Alter stei-genden Beiträge harsche Kritik. Die Arbeitnehmer waren der Ansicht, die älteren Personen fänden aufgrund dieser Bestimmungen keine Arbeit mehr. Heute kann man fest-stellen, dass zahlreiche Kassen einheitliche Beiträge bei-behalten haben und dass in den anderen Fällen die Bei-träge für die berufliche Vorsorge kein Hindernis für die Einstellung eines älteren Angestellten darstellen.

Hoffnungen, die Träume geblieben sindAngesichts der langwierigen, sehr spezialisierten Bera-tungen hatten viele gehofft, das BVG würde ein Rahmen-gesetz bleiben, wie es bei seiner Inkraftsetzung vorgese-hen war. Heute müssen wir feststellen, dass das BVG aufgrund der vielen Verordnungen und Richtlinien kein Rahmengesetz mehr ist. Vielleicht sind der Perfektionis-mus, der eine Stärke unseres Landes ist, sowie der Wunsch, auf rechtlicher Ebene die grösstmögliche Sicher-heit zu erlangen, dafür verantwortlich, dass wir Mühe ha-ben, die «Gesetzgebungsmaschine» zu bremsen. Glückli-cherweise hat dieses Handicap der Vielfalt der beruflichen Vorsorgelandschaft, die ein Pluspunkt unseres Modells ist, keinen Abbruch getan.

Man hoffte auch, die Pensionskassen spielten bei der finanziellen Unterstützung für die Gründung neuer Un-ternehmen eine Rolle. Doch wir haben schnell erkannt, dass Rendite und Sicherheit der Anlagen wichtiger sind als der Wunsch, neue Unternehmen ins Leben zu rufen. Das Sozialkapital kann nicht zweimal sozial sein. Ethische Überlegungen zu den Pensionskassenanlagen gewinnen hingegen immer mehr Boden in den Stiftungsräten. n

BVG

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BVG➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

Obwohl als Rahmengesetz konzipiert, dehnt das BVG seinen Geltungs-bereich immer mehr auf die gesamtberufliche Vorsorge aus. Das macht das Alltagsgeschäft der Geschäftsführung komplexer und fremdbe-stimmter. Die 2. Säule muss dringend administrativ entschlackt werden. Von Brigitte Schmid

Eine Entschlackung ist nötig

Ein Vergleich des schweizerischen Systems mit ande-ren Systemen zeigt, dass das kapitalgedeckte Vorsorgesy-stem mit betrieblich ausgerichteten Pensionskassen einen sozialpolitischen Erfolgsfaktor darstellt. Jene Nachbarn – und andere Länder –, die bisher einzig über ein umlage-finanziertes System (im Sinne unserer AHV) verfügen und erst jetzt dabei sind, zusätzlich eine kapitalgedeckte Vorsorge einzurichten, beneiden uns um unsere Lösung. Dazu beigetragen hat die Tatsache, dass die berufliche Vorsorge auf einer über Jahrzehnte gewachsenen sozial-partnerschaftlichen Zusammenarbeit basiert. Der Gesetz-geber hat diese Entwicklung bei der Einführung des Ob-ligatoriums berücksichtigt, indem er das massgebende Gesetz (BVG) als Rahmengesetz ausgestaltet hat, das im Leistungsbereich nur Mindestvorschriften enthielt und so-mit den Pensionskassen Raum liess, unter Beachtung die-ser Mindestbestimmungen andere Vorsorgemodelle und weitergehende Leistungen vorzusehen. Die Führungsor-gane der Kassen haben immer wieder bewiesen, dass sie willens und in der Lage sind, ihre Vorsorgepolitik, ihre Organisation und Führungsstruk-turen den geänderten Gegeben-heiten und Bedürfnissen der Sozi-alpartner und der Versicherten anzupassen.

Immer neue Anwendungsprobleme

Die aktuelle Entwicklung steht je-doch immer mehr in einem Span-nungsfeld mit der in der damaligen Botschaft zum BVG erklärten Ab-sicht, dass es bei diesem Gesetz um einen Rahmen geht. Das Rahmen-gesetz dehnt seinen Geltungsbe-reich mehr und mehr auf die gesamte berufliche Vorsorge aus. Auftauchende Probleme werden sofort mit neuen gesetzlichen Vorschriften zu lösen versucht, dabei werden aber meist sofort wieder neue Anwendungspro-bleme geschaffen. In dieser Entwicklung ist auch ein

Grund für die Zunahme der Verwaltungskosten zu sehen. Die Umsetzung aller vom Gesetzgeber verlangten Anfor-derungen ist nicht gratis zu haben. Als Beispiel für diese Ausdehnung sei auf Art. 49 BVG hingewiesen. In Abs. 2 werden Bestimmungen aufgelistet, die auch für den wei-tergehenden Vorsorgebereich gelten. In der Fassung von 1985 erklärte Art. 49 Abs. 2 BVG, 12 Bestimmungen für diesen Bereich als anwendbar (im Wesentlichen organi-sationsrechtlicher Natur und solche bezüglich der finan-ziellen Sicherheit). In der aktuellen Fassung sind es be-reits 26 Bestimmungen.

Weiter fallen formelle Bestimmungen ins Gewicht, die den Verwaltungsaufwand erheblich vergrössern (z. B. Umsetzung der Teilliquidation oder Vorgaben, Regle-mente über Rückstellungen und Reserven zu erstellen).

Rolle der GeschäftsführungIm Rahmen der Gestaltung, Überwachung und Steuerung der Vorsorgepolitik spielt in der Pensionskasse die Ge-schäftsführung eine zentrale Rolle. Sie stellt das Binde-

glied zwischen oberstem Führungs-organ (in der Regel der Stiftungsrat) und den Leistungsbezügern dar. Die Geschäftsführung kümmert sich um die Vorbereitung der Stiftungs-ratssitzungen, die Umsetzung der getroffenen Entscheide sowie die Koordination der operativen Tätig-keiten. Die Geschäftsführung ist Anlaufstelle für die Mitarbeitenden sowie die Rentenbezüger; sie stellt den Kontakt zu Aufsichtsbehörden, Revisionsstellen, Vermögensverwal-tern sowie Stifterfirma sicher. Auf-grund dieses umfassenden Aufga-

benspektrums kommt der Geschäftsführung im System der sozialpartnerschaftlich geführten beruflichen Vorsor-ge eine grosse Bedeutung zu. Die Geschäftsführung sollte Fähigkeiten eines Pensionskassenexperten, eines Juristen, eines Anlagespezialisten und eines erfahrenen Managers

1993August, 18., Die Kappelbrücke in Luzern wird bei einem Brand fast völlig zerstört.

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BVGBrigitte Schmid,

Geschäftsführerin

Pensionskasse Swiss Re

auf sich vereinen; zudem sollte sie ausgezeichnet kom-munizieren können.

Grosse RegulierungsdichteDie eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben wurde in den letzten Jahren als Folge der anhaltenden Regulierung durch die Politik und Aufsichtsbehörden zu-nehmend eingeschränkt. Die administrativen Auflagen nahmen zu. Aus dem Rahmengesetz von 1985 wurde ein Regelwerk mit beachtlicher Regulierungsdichte. Woran liegt das? Einzuräumen ist, dass es für den obligatorischen Bereich einen gesetzlichen Rahmen braucht, und zwar aus Gründen der Rechtssicherheit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und letztlich auch aus Sicherheitsüberle-gungen (Schutzgedanke der Versicherten). Im Vorder-grund steht die Rechtssicherheit. Die berufliche Vorsorge als unternehmerisch geführtes Sozialwerk braucht stabile Rahmenbedingungen bezüglich der Rechtsträger und de-ren Organisation, der Geschäftsführung, der Rechnungs-legung und der Vermögensanlagen. Ob und wie gut die-se Ziele erreicht werden, hängt jedoch nicht vom reinen Vorhandensein von Regelungen, deren Anzahl oder Durchsetzung ab. Entscheidend ist vielmehr

n inwieweit die Regelungen für die Versicherten, die Stiftungsräte, Geschäftsführungen und die weiteren Akteure nachvollziehbar und überschaubar sind,n ob und wie gut Gesetze, Verordnungen und Vorschriften geeignet sind, die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen, n welche unerwünschten Nebenwirkungen und insbesondere Kostenfolgen durch sie entstehen undin welchem Verhältnis die Kosten für die Setzung, Kontrolle und administrative Umsetzung einer Norm zu deren Nutzen stehen.

Schweizerischer PerfektionismusIn den letzten Jahren wurde im Bereich der beruflichen Vorsorge obigen Punkten nicht konsequent nachgelebt. Die Tendenz des Gesetzgebers ging – im Einklang mit dem schweizerischen Perfektionismus und einem über-triebenen Sicherheitsdenken – eindeutig dahin, Sachver-halte immer eingehender und detaillierter regeln zu wol-len. Das Resultat ist eine zunehmend kompliziertere Gesetzgebung, die nur allzu häufig noch zusätzliche Aus-legungsprobleme aufwirft und den konkreten Gesetzes-vollzug durch die Pensionskassenverantwortlichen er-schwert und verteuert. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber erkannte Schwachstellen im recht-lich-organisatorischen Bereich sachgerecht behebt und

sich dabei auf das wirklich Nötige beschränkt. Viele Re-visionsvorschläge schiessen jedoch über das Ziel hinaus, sind in der Praxis schwierig umzusetzen und erhöhen die administrativen Anforderungen; sie sind letztlich auch Ursache für die steigenden Verwaltungskosten. Es ist nicht erstaunlich, dass die immer häufiger verlangten Gutachten und Analysen zu einzelnen Fragestellungen seitens der Aufsichtsbehörden den Beizug von Experten verstärken. Für die Geschäftsführung fällt vor allem der Aufwand, der mit der permanenten Revision von Teilli-quidations-, Anlage- und Reservenreglementen verbun-den ist, ins Gewicht. Insbesondere die permanent revi-dierten Bestimmungen zur Teilliquidation sind kaum praxistauglich. Das Umsetzungsprozedere – Vorbereitung durch die Geschäftsführung, Beschlussfassung im Stif-tungsrat, Genehmigungsverfahren durch Aufsichtsbehör-den, generelle Informationspflicht der Versicherten verbunden mit Einsprachemöglichkeit, Meldepflicht ge-genüber den Aufsichtsbehörden und konkrete Anwen-dung im Einzelfall – ist zu kompliziert. Kaum ist dieser Prozess abgeschlossen, muss eine neue Version einge-reicht werden, weil der Gesetzgeber eine neue Bestim-mung erfunden hat.

Administrative EntschlackungAdministrative Herausforderungen für die Geschäftsfüh-rung stellen auch die von Gesetzes wegen verlangten Sa-nierungskonzepte bei Unterdeckungen verbunden mit den, den Aufsichtsbehörden einzureichenden Meldefor-mularen dar. Es gilt die Arbeiten der Pensionskassen-Ex-perten, der Revisionsstellen und weiterer Experten zu koordinieren.

Schliesslich wird das Alltagsgeschäft der Geschäftsfüh-rung zunehmend komplexer und fremdbestimmter. Die Betreuung der aktiv Versicherten und der Rentenbezüger von der Wiege bis zur Bahre wird mit gesetzlichen Vorga-ben übersäht. Für verschiedene Sachverhalte – wie zum Beispiel Kapitalbezug, Bezug aus der Pensionskasse für Wohneigentum, Scheidungen – schreibt der Gesetzgeber das Verfahren vor. So fallen verschiedene durch die Ge-schäftsführung verbindlich vorzunehmende Aufgaben wie zu treffende Abklärungen, Meldepflichten, Einholen von Unterschriften usw. ins Gewicht.

Um die Erfolgsgeschichte berufliche Vorsorge weiter-zuführen, muss die 2. Säule administrativ entschlackt werden. Die Schlinge um die berufliche Vorsorge muss gelockert werden. Wir alle sind gefordert, der zuneh-menden Verkomplizierung Einhalt zu gebieten, und da-mit das Vertrauen in die 2. Säule zu stärken. n

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

BVG

Das Spannungsfeld zwischen den Interessen der Versicherten und der-jenigen der Pensionskassen-Verantwortlichen ist besonders bei der Ver-mögensverwaltung gross. Die 2009 erlassene ASIP-Charta verpflichtet die Pensionskassen-Verantwortlichen verbindlich zur Wahrung der Loyalität. Von Martin Beyeler

Versicherte und Verantwortliche

Gemäss dem BVG ist jeder Arbeitgeber verpflichtet, seine Mitarbeitenden, die ein jährliches AHV-Einkommen über der sogenannten «Eintrittsschwelle» (zurzeit CHF 20’520) verdienen, in einer Vorsorgeeinrichtung der zwei-ten Säule zu versichern. Damit ist auch jeder Arbeitneh-mer gesetzlich verpflichtet, einen Teil des Einkommens in seine Pensionskasse einzuzahlen. Diese muss das Ver-mögen treuhänderisch und im Interesse ihrer Versicher-ten verwalten. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein gewisses Spannungsfeld: Der Versicherte ist abhängig von den Entscheiden und Handlungen seiner Pensions-kasse. Es besteht eine sogenannte Informationsassyme-trie, das heisst, die Verantwortlichen der Pensionskasse verfügen über einen Wissensvorsprung gegenüber den Versicherten, die eigentlich «Eigentümer» ihres Vermögens sind. Weiteres Konfliktpotenzial besteht auch im Ausein-anderfallen von Eigentum und Interesse; es ist nicht in jedem Fall sichergestellt, dass die Verantwortlichen der Pensionskasse auch wirklich im Interesse der Versicher-ten handeln.

Das Spannungsfeld akzentuiert sich zusätzlich dadurch, dass der Versicherte einer Pensionskasse nur wenige Wahlmöglichkeiten bezüg-lich der Gestaltung seiner Vorsorge hat und höchstens indirekt – über seine Vertreter im Stiftungsrat – Ein-fluss auf die Entscheide der Füh-rung nehmen kann. Wie geht man in der Praxis mit diesem Span-nungsfeld um? Aufgrund meiner längjährigen Erfahrung als Ge-schäftsführer einer gut organisierten Pensionskasse mit rund 5’000 De-stinatären versuche ich, diese Frage anhand von vier konkreten Bespielen zu beantworten.

Transparente Information der DestinatäreDie Versicherten haben ein Anrecht, möglichst rechtzeitig offen, transparent und verständlich über ihre persönliche

Vorsorgesituation, die finanzielle Lage ihrer Pensionskas-se und Änderungen von Reglementen und deren Auswir-kung informiert zu werden. Neben schriftlichen Informa-tionen, die soweit als möglich auf «Fach-Chinesisch» verzichten oder die wenigstens die Fachwörter erklären, sind auch Informationsveranstaltungen und persönliche Gespräche ein zwar aufwändiges, aber wertvolles Mittel. Durch diese persönlichen Kontakte spürt der Pensions-kassen-Fachmann, wo der Schuh drückt und welche Sor-gen und Anliegen die Destinatäre beschäftigen. Allge-mein stellt man heute fest, dass die Versicherten sehr viel besser informiert sind als zur Zeit der Anfänge des BVG. Dazu haben sicher auch die Massenmedien ihren Beitrag geleistet, wenn auch nicht immer in objektiver Art und Weise.

Internes Kontrollsystem (IKS)In der von mir geleiteten Pensionskasse haben wir im Jahr 2009 ein internes Kontrollsystem aufgebaut und ab 1. Januar 2010 praktisch umgesetzt. Unter einem internen

Kontrollsystem versteht man alle Si-cherungsvorkehrungen, für die der Stiftungsrat und die Geschäftsfüh-rung verantwortlich sind, die dazu dienen, den ordnungsgemässen, gesetzes- und reglementskonformen Ablauf des betrieblichen Gesche-hens zu garantieren.

Beim Aufbau unseres IKS haben wir sämtliche Geschäftsprozesse analysiert und grafisch dargestellt. Für jeden Prozess wurden die dazu-gehörigen Ziele definiert; anschlies-send haben wir die Risiken festge-halten, die das Erreichen der Ziele

gefährden könnten und für jedes Risiko bereits bestehen-de Kontrollen festgehalten oder Neue eingerichtet. In der praktischen Umsetzung werden die Kontrollen schriftlich dokumentiert. Periodisch erfolgt ein Risiko-Reporting an den Stiftungsrat und im Rahmen eines jährlichen Work-

1994Dezember, Der Netscape Navigator macht das Surfen im Internet erstmals massentauglich.

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BVGMartin Beyeler,

Geschäftsführer Pensionskasse für

die Mitarbeiter der Gruppe Mobiliar

shops führen wir einen Review des internen Kontrollsy-stems durch.

Für die Destinatäre entsteht durch das Vorhandensein und besonders durch das permanente Anwenden eines internen Kontrollsystems zusätzliche Sicherheit und da-durch ein grösseres Vertrauen. Etwa wird durch das Fest-halten der Geschäftsprozesse die Gleichbehandlung aller Destinatäre sichergestellt. Unbeabsichtigte Fehler oder sogar betrügerische Handlungen werden rechtzeitig auf-gedeckt bzw. vermieden.

Schulung und Weiterbildung des Stiftungsrates

Gemäss Artikel 51 Absatz 6 BVG hat die Vorsorgeeinrich-tung die Aus- und Weiterbildung der Mitglieder des ober-sten Organs (Stiftungsrat) so sicherzustellen, dass die Stif-tungsräte ihre Führungsaufgabe und Verantwortung wahrnehmen können. Auch innerhalb eines Stiftungs-rates kann eine Informationsassymetrie bestehen. Viel-fach sind die Vertreter des Arbeitgebers früher und besser informiert als diejenigen der Arbeitnehmer. Die Schulung und Weiterbildung der Mitglieder des Stiftungsrates sollte dem Rechnung tragen.

Nach meiner Erfahrung ist die Erstellung eines Ausbil-dungskonzeptes für die Mitglieder des Stiftungsrates emp-fehlenswert. Je nach Grösse einer Pensionskasse kann die Ausbildung durch interne und/oder externe Schulungsver-anstaltungen bzw. Kurse durchgeführt werden. Bei uns hat sich besonders bei internen Schulungen das Arbeiten in Workshops bewährt; der Wissenstransfer in die Praxis ist grösser als bei Anlässen mit Frontalunterricht. Auch kann auf individuelle Bedürfnisse oder auf den unterschied-lichen Wissensstand der teilnehmenden Stiftungsräte bes-ser eingegangen werden. Zusätzlich zu Ausbildungsveran-staltungen stellen wir unseren Stiftungsräten einschlägige Fachliteratur und spezifische Fachartikel zur Verfügung.

Aus Sicht der Destinatäre ist die permanente und stu-fengerechte Aus- und Weiterbildung der Stiftungsräte ein zentrales Anliegen. Nur so haben sie die Gewissheit, dass insbesondere ihre Vertreter im Stiftungsrat die Anliegen der Versicherten wirksam vertreten und ihre verantwor-tungsvolle Aufgabe kompetent wahrnehmen können. Auch dieser Umstand trägt wesentlich zum Vertrauen der Versicherten in ihre Pensionskasse bei.

Loyalität bei der VermögensverwaltungIn keinem anderen Bereich tritt das einleitend ange-sprochene Spannungsfeld zwischen den Interessen der

Versicherten und derjenigen der Pensionskassenverant-wortlichen so deutlich zu Tage wie bei der Vermögens-verwaltung. Die rund 2’500 Pensionskassen in der Schweiz verwalten insgesamt ein Vermögen von rund CHF 550 Mrd., das durch jährliche Einzahlungen von ca. CHF 45 Mrd. noch weiter wächst. Es muss sichergestellt werden, dass dieses riesige Vermögen treuhänderisch und im Interesse der Versicherten sicher und ertragbrin-gend angelegt wird. Neben finanziellen werden auch vermehrt soziale, ethische und ökologische Verantwor-tungen thematisiert.

Unter Mitwirkung des ASIP wurde 1996 der Verhal-tenskodex in der beruflichen Vorsorge geschaffen und in der heutigen Fassung 2000 verabschiedet. Die Be-stimmungen des Verhaltenskodex wurden im Rahmen der 1. BVG-Revision ins Gesetz übernommen. Die Vor-schriften des Kodex orientieren sich an den Grundprin-zipien der «Prudent Investor Rule», wonach der mit der Anlage Beauftragte die zur Verfügung stehenden Mittel vorsichtig investieren soll, dem Zweck entsprechend einsetzen muss und Missbräuche vermeiden soll, mit dem Ziel, Interessenkonflikte im Anlagebereich zum Vorteil der Versicherten zu lösen.

Leider war die Unterstellungsquote mit weniger als 15 % der schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen sehr tief. Daher hat der ASIP 2009 eine für alle seine Mitglieder verbindliche Charta und Fachrichtlinien er-lassen, die die Einhaltung der Loyalitäts- und Integri-tätsvorschriften des BVG sicherstellen sollen. Die Charta verpflichtet die Pensionskassen-Verantwort-lichen zur Wahrung der Interessen der Destinatäre, zum Verzicht auf Entschädigungen über die ordentlichen hinaus und zur Offenlegung aller Interessenbindungen, welche die Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten. Persönlich bin ich der Ansicht, dass im Bereich der Loyalität bei der Vermögensverwaltung genügend Regulierungen vorhanden sind. Statt laufend neue Vorschriften zu erlassen, sollte es besser darum gehen, die bestehenden Gesetze und Regulatorien konsequent anzuwenden.

Für mich ist das Schweizerische Vorsorgesystem eine Erfolgsgeschichte, die sich auch in Krisenzeiten grund-sätzlich bewährt hat. Für die Zukunft wünsche ich mir eine einfache, klare, realistische und transparente Rah-mengesetzgebung, deren Parameter ohne politische Einflussnahme festgelegt werden, damit sich die Füh-rungsorgane verstärkt auf die Pension Fund Governance fokussieren können. n

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BVG

1995Juni, Christo verhüllt den Berliner Reichstag

Nehmen wir die Jahresrechnung einer Pensions-kasse aus dem Jahre 1985 aus dem Archiv, so stellen wir mit Verwunderung fest, dass diese genau zwei Seiten um-fasste. Sie enthielt eine Bilanz und eine Ein- und Ausga-benrechnung. In den einzelnen Bilanzpositionen waren stille Reserven enthalten, welche man in guten Jahren erhöhte und in schlechten Jahren reduzierte. Die Bewer-tung der Immobilien erfolgte zu Anschaffungswerten ab-züglich jährlicher Abschreibungen. Auf der Passivseite bildete die Pensionskasse meist einen Renovationsfonds, den man bei Bedarf verwendete. Von einem Deckungs-grad oder vom Ausweis derivater Finanzinstrumente war keine Rede. Dieser Zustand war natürlich für den Adres-saten der Jahresrechnung unbefriedigend. Ohne zusätz-liche Informationen über den Stand der stillen Reserven und über die Bewertungskriterien konnte man sich kein objektives Bild über den Zustand der Pensionskasse ma-chen. Im Jahr 1996 mussten die Pensionskassen erstmals einen Anhang zur Jahresrechnung erstellen. Die Pensi-onskassen legten nun offen wie sie ihre Aktiven bewer-ten. Die Organisation der Kasse, die Einhaltung der Anlagerichtlinien so-wie versicherungstechnische Infor-mationen wurden ab diesem Zeit-punkt transparent ausgewiesen. Auch der Deckungsgrad, welcher bis dahin eine Kennzahl für Exper-ten war, wurde veröffentlicht. Stille Reserven auf Obligationen (Nomi-nalwertprinzip) konnten zwar noch gebildet werden, jedoch musste der entsprechende Kurswert im Anhang ausgewiesen werden. Mit der Ein-führung von Swiss GAAP FER 26 im Jahr 2005 nahmen die Offenle-gungspflichten nochmals zu. So sind zum Beispiel Rück-stellungen für Immobilien (Renovationsfonds) nicht mehr erlaubt. Die Aufwendungen für die Vermögensverwal-tung und der Verwaltungsaufwand muss getrennt offen gelegt werden. Ebenfalls ist der Verwaltungsaufwand pro

Versicherten zu zeigen. Dies sind nur einige Beispiele, welche aufzeigen, wie massiv sich die Offenlegungs-pflichten seit der Einführung des BVG-Obligatoriums erweitert haben. Für den Geschäftsführer einer Pensions-kasse haben diese Vorschriften Vor- und Nachteile ge-bracht. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wo diese Vor- und Nachteile liegen und was in Zukunft beachtet werden sollte, wenn Offenlegungspflichten angepasst werden.

Vorteile gläserner PensionskassenDie beschriebene Entwicklung der erhöhten Transparenz hat aus Sicht des Geschäftsführers und des Führungsor-gans viele Vorteile mit sich gebracht:

n Der Versicherte kann heute viele Informationen aus der Jahresrechnung gewinnen, welche er früher nur durch Anfragen bei seiner Pensionskasse erhielt. n Durch die vollständige Marktbewertung werden die Gewinne und Verluste in jenem Jahr verbucht, in wel-chem sie auch anfallen. Dies kann für Versicherte vor allem bei einem Austritt (Teilliquidation) entscheidend

sein.n Das Kostenbewusstsein wurde in den Pensionskassen durch das Of-fenlegen der Verwaltungskosten nochmals gesteigert.n Das Führungsorgan wird gezwun-gen, transparent über die Perfor-mance des einzelnen Berichtsjahres zu informieren. Glättungen über stille Reserven sind nicht mehr möglich.

Nachteile vollständiger TransparenzDas heute erreichte Ausmass an

Transparenz bringt für den Geschäftsführer oftmals auch nachteilige Effekte mit sich:

n Die vollständige Marktbewertung aller Vermögensan-lagen sowie die starre Berechnung der Verpflichtungen und Rückstellungen führten zu einer erhöhten Volatili-

Die Bestimmungen zur Offenlegung und zur Bewertung von Aktiven und Passiven in der Jahresrechnung der Pensionskassen wurden in den letzten Jahren mehrmals erweitert. Ein Rückblick auf diese Entwicklung soll die Vor- und Nachteile aus Sicht eines Geschäftsführers zeigen. Von Urs Stadelmann

Die gläserne Pensionskasse

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Urs Stadelmann,

Geschäftsführer Pensionskasse

der Dätwyler Holding AG

tät der Ergebnisse. Schwankungen an den Kapitalmär-kten können faktisch nicht mehr aufgefangen werden, auch wenn entsprechende Wertschwankungsreserven vorhanden sind. n Die hohe Transparenz führt vermehrt zu einer kurz-fristigen Optik. Interessierte sich früher nur ein Kreis von wenigen Experten für den Deckungsgrad einer Pensionskasse, so wird ein Geschäftsführer heute fast täglich mit der Frage nach dem aktuellen Deckungs-grad konfrontiert. Diese kurzfristige Optik steht im kla-ren Widerspruch zur Langfristigkeit des Pensionskas-sengeschäftes. n Durch die Einführung von Swiss GAAP FER 26 er-weckte man den Eindruck, dass die Pensionskassen nun untereinander vergleichbar werden. So werden in der Presse Ranglisten erstellt über die Qualität von Pen-sionskassen. Dass diese Vergleichbarkeit nicht möglich ist, ist in der Fachwelt schon lange klar. Dennoch müs-sen sich Geschäftsführer immer wieder rechtfertigen, wieso ihre Pensionskasse in einer Rangliste eher im hinteren Teil erscheint oder weshalb ihre Pensionskas-se in diesem Ranking nicht mitgemacht hat.n Die Offenlegung im heute vorhandenen Ausmass so-wie die ganze Corporate Governance haben auch Aus-wirkungen auf die Verwaltungskosten einer Pensions-kasse. Ein beträchtlicher Teil der Verwaltungskosten machen heute Revisionshonorare und Aufsichtsge-bühren aus. Aus wirtschaftlicher Sicht muss sich ein Geschäftsführer rückblickend fragen, ob der Aufwand für die erhöhte Transparenz wirklich im Verhältnis des erhofften Nutzens für den Versicherten steht.

Transparenz mit WeitblickEs ist unbestritten, dass die Jahresrechnung in der heu-tigen Form dem Versicherten sehr viele Informationen bietet. Wir als Spezialisten müssen uns aber bewusst sein, dass diese Informationen von der Mehrheit der Versicher-ten dennoch nicht interpretiert werden können. Der Ge-schäftsführer hat oftmals zusätzliche Informationen in ganz einfacher Form abzugeben. Es bleibt somit fraglich, wie hoch der Nutzen für den einzelnen Versicherten wirklich ist. Vielfach ertappe ich mich als Geschäftsführer selbst, dass ich den Fokus aufgrund der vollständigen

Marktbewertung und der fast täglich vorhandenen Kenn-zahlen zu kurzfristig ausrichte. Der Geschäftsführer hat deshalb eine Gratwanderung zu bestreiten, indem er wohl die notwendigen Kennzahlen periodisch liefert, je-doch dabei nicht vergisst, diese in den richtigen langfri-stigen Kontext zu setzen. Unter dem Druck der Öffent-lichkeit ist dies oftmals nicht einfach.

Auch der Gesetzgeber sollte sich bei künftigen Vorstös-sen zur Transparenz kritische Fragen stellen. So ist es verfehlt, bei jedem Auftreten einer deliktischen Einzel-verfehlung gleich wieder strengere Gesetze und mehr Kontrolle zu fordern. Die Forderungen kommen nämlich genau von denjenigen Politikern, welche die Verwal-tungskosten der Pensionskassen als zu hoch verurteilen.

Die heutigen Anforderungen an die Transparenz und Offenlegung haben ein Ausmass erreicht, welches es kleinen und mittleren Pensionskassen schwer macht, al-len Details und Einzelheiten gerecht zu werden. Diese Entwicklung hat sicher auch dazu beigetragen, dass die Anzahl autonomer Pensionskassen laufend abnimmt. Es wäre aber nicht im Interesse der Versicherten, wenn au-tonome privat-rechtliche Pensionskassen ihre Tätigkeit einstellen und sich einer Sammeleinrichtung anschlies-sen. Denn eines ist klar: Die Bindung und das Verantwor-tungsbewusstsein des Arbeitgebers ist bei einer eigenen Pensionskasse grösser, als wenn es sich um einen An-schluss an eine Sammeleinrichtung handelt.

Eine Flut von InformationenDie erhöhte Transparenz bietet dem Versicherten eine Flut von Informationen. In der Interpretation dieser Infor-mationen wird der Versicherte aber in den meisten Fällen überfordert sein. Es ist deshalb die Aufgabe des Ge-schäftsführers, den Versicherten in verständlicher Form eine Anleitung zur Interpretation zu geben.

Gegenüber dem Führungsorgan sollte der Geschäfts-führer bei der Präsentation der Informationen immer wie-der den Einbezug der Langfristigkeit betonen. Ansonsten läuft das Führungsorgan Gefahr, in überstürzter Weise zu agieren. Der Gesetzgeber sollte bei künftigen Revisionen im Bereich der Transparenzvorschriften in Betracht zie-hen, ob dies dem Versicherten letztendlich wirklich einen Mehrnutzen bringt (Kosten-Nutzen-Verhältnis). n

BVG

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BVG

1996Juli, in Schottland wird mit dem Schaf Dolly das erste geklonte Säugetier geboren.

Mit der Einführung des BVG wurden die Bestim-mungen des ZGB und des OR durch ein Rahmengesetz abgelöst, und die Gesetzesartikel wurden durch die Voll-ziehungsverordnungen BVV1 und BVV2 präzisiert. Seit-her traten diverse Weisungen, Verordnungen und Kreis-schreiben in Kraft. Eine grosse und in der Verwaltung spürbare Änderung lösten die Einführung des Freizügig-keitsgesetzes und des Wohneigentumsförderungsgesetzes aus. Da es die gesetzlichen Auflagen sicherzustellen galt, nahm folglich die Ausbildung der Mitarbeitenden in der Administration einen hohen Stellenwert ein. Geschult wurden die Mitarbeitenden nicht nur in den beiden neu-en Gesetzen, auch wurden Berechnungstools eingeführt und die Beratung der Versicherten wurde intensiver. Der direkte Kontakt mit den Versicherten und Rentnern stellte auch eine Chance dar, der persönlichen Beratung mehr Relevanz beizumessen. So wurde der Dialog mit den Ver-sicherten vermehrt gepflegt und komplexe Sachverhalte wurden einfach und verständlich kommuniziert. Durch die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung in Bezug auf die persönliche Vorsorgesituation und Absicherung ist die Pensionskas-senführung auch weiterhin gefor-dert, verständlich, transparent und vertrauensbildend zu informieren.

Auswirkungen gesetzlicher Änderungen

Mit hoher Frequenz wurden in den vergangenen Jahren weitere Ände-rungen eingeführt, die zusätzliche Aufgaben und Anforderungen an die Verwaltung einer grossen Kasse stellten. Beispielsweise mussten die Änderungen betref-fend Ehescheidung in ZGB/BVG und FZG sowie die Umsetzung der Einkaufsbeschränkungen gemäss Art. 79a BVG und BVV2 in den Verwaltungsprozess integriert und umgesetzt werden. Streichungen oder Erleichterungen

für die Pensionskassenverwaltung im administrativen Bereich wie etwa die Löschung des Gesetzesartikels «Bereitstellung von Mitteln für Sondermassnahmen», gab es wenig.

Die 1. BVG-Revision führte einerseits zu einer Verdich-tung des Regelwerks, andererseits bekräftigte sie die Füh-rungsverantwortung der Stiftungsräte. Trotz der hohen Regelungsdichte blieben viele Fragen unbeantwortet, was zwangläufig in einer nachfolgenden Flut von Wei-sungen und intensiven Diskussionen zur korrekten Aus-legung und Ausführung der Gesetzesartikel mündete. Wie soll beispielsweise die steuerliche Abzugsfähigkeit bei Einzahlungen in die 2. Säule bei nachfolgendem Kapitalbezug gehandhabt werden? Ist eine Nullverzin-sung in der überobligatorischen beruflichen Vorsorge er-laubt? Darf ein WEF-Vorbezug zur Finanzierung eines Wintergartens oder Swimmingpools verwendet werden? Die Pensionskassenführung sieht sich laufend mit sol-chen und ähnlichen Fragen konfrontiert, für die es eine

einheitliche Regelung zu definieren gibt.

Automatisierung der ProzesseIn den 25 Jahren BVG haben sich nicht nur die Gesetze verändert, auch die Technologie hat grosse Fortschritte gemacht. Beachtlich entwickelt haben sich etwa Infor-mations- und Kommunikationssy-steme aber auch Datenbanken. Heutzutage werden Versicherten-dossiers elektronisch abgelegt und die Datenbankensysteme der neue-

ren Generation bilden die heutige Komplexität der Vor-sorgepläne und deren individuellen Besonderheiten pro-blemlos ab. Durch den Einsatz von neuen Technologien wird die Verwaltung der Geschäftsfälle korrekt und effizi-ent abgewickelt. Bei einer grossen Kasse gibt es zudem

Neue Gesetze, neue Technologien und neue Anlagemöglichkeiten: Die ständig voranschreitende Komplexität der beruflichen Vorsorge verlangte eine Professionalisierung der Geschäftsführung und hat auch zu einem neuen Führungsverantwortungsbewusstsein beigetragen. Von Urs Bracher

Die Führung grosser Kassen

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Effizienzgewinne (Economies of Scale), da sich aufgrund des grossen Versichertenbestandes die Kosten pro Versi-cherten reduzieren. Die Pensionskassenführung muss im IT-Bereich dennoch ein sorgfältiges Kostenmanagement sicherstellen, denn die Prozesse gilt es kontinuierlich zu überprüfen. Nicht zu unterschätzen sind dabei die regel-mässigen Softwareanpassungen, die aufgrund von Ge-setzesänderungen im BVG anfallen.

Umfassendes AnlagemanagementDer Anlagebereich gewann in den vergangenen 25 Jah-ren an Dynamik und stellte die Pensionskassenführung vor neue Aufgaben. Zu Beginn standen die Renditeer-wirtschaftung und das Einhalten der Anlagerichtlinien gemäss BVV2 im Vordergrund. Später gewannen die Di-versifikation, das Risikomanagement und die optimale Zusammensetzung des Portefeuilles an Bedeutung. Diese neuen Ansätze wurden in den Anlageprozess integriert. Der Einbezug der Passivseite in die Gesamtbetrachtung wurde früher selten angewandt. Heute ist diese im Rah-men einer periodisch wiederkehrenden Asset-Liability-Studie aus dem Steuerungsprozess einer Pensionskasse nicht mehr wegzudenken.

Im Laufe der Zeit wurden nebst den klassischen Anla-gevehikeln vermehrt auch derivative Finanzinstrumente verwendet. Aus Diversifikationsgründen setzten grosse Kassen vermehrt auch alternative Anlageinstrumente wie Hedge Funds, Private Equity und Rohstoffe ein. Dies wie-derum setzte voraus, dass die Pensionskassenführung die neuen Anlagemöglichkeiten und insbesondere die damit verbundenen Risiken kennt und beurteilen kann.

In den Finanzkrisen der Jahre 2002/2003 und 2008 er-reichten die Volatilitäten Höchststände an den Finanz-märkten. Dadurch rückte das Risikomanagement der Anlagen in den Vordergrund. Mittlerweile ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Pensionskassenfüh-rung intensiv mit dem Anlagemanagement auseinander-setzt, denn bei Anlageentscheiden gilt es jeweils das An-lagerisiko und die Auswirkungen auf die Risikofähigkeit der Pensionskasse abzuwägen. Die Professionalisierung und Dynamik in der Vermögensverwaltung erfordert sei-tens der Geschäftsführung eine hohe Fachkompetenz. Das Anlagemanagement und der verantwortungsvolle so-wie pflichtbewusste Umgang mit den Guthaben der Versicherten nimmt bei der Geschäftsführung und dem Stiftungsrat höchste Priorität ein. Die Anlagenfragen wer-den auch weiterhin höchste Aufmerksamkeit erfordern. Insbesondere die Tendenz der Individualisierung be- ziehungsweise die Möglichkeiten der individuellen Ver-mögensanlage durch die Versicherten wird die Pensions-kassenführung vor neue Aufgaben stellen.

Swiss GAAP FER 26 schaffte TransparenzEine grosse Veränderung in der Führung von Pensions-kassen bewirkten die Rechnungslegungsvorschriften nach Swiss GAAP FER 26. Die Pensionskassen setzen die-se seit dem 1. Januar 2004 um. Der Grundsatz von Swiss GAAP FER 26 ist die Darstellung der tatsächlichen Vermö-gens-, Finanz- und Ertragslage (true & fair view) einer Pensionskasse. Bei der Bewertung der Aktiven wird grundsätzlich der Marktwert per Bilanzstichtag verlangt. Dies führte zu einer Abkehr der lange gepflegten Bilan-zierung zu Buchwerten. Glättungseffekte in der Bewer-tung von Obligationen, Immobilien und Beteiligungen sind nicht mehr erlaubt. Swiss GAAP FER 26 erhöhte die Transparenz und ermöglichte eine bessere Vergleichbar-keit der Pensionskassen untereinander. Diese Rechnungs-legungsvorschriften können als wichtige und wertvolle Errungenschaft in der beruflichen Vorsorge bezeichnet werden.

Es ist zu beobachten, dass sich Pensionskassen von grossen, international tätigen Unternehmen vermehrt im Spannungsfeld der Bewertungen und Rechnungslegungs-grundsätzen der Konzernrechnungen bewegen. Gemäss internationalen Rechnungslegungs-Standards haben die Pensionskassenverpflichtungen einen direkten Einfluss auf die Konzernbilanzen und können somit unter Um-ständen den Rechnungsabschluss der Unternehmung ne-gativ beeinflussen. Aus diesem Grund orientiert sich die Pensionskassenführung vermehrt an den Vorgaben der Konzernleitung in Bezug auf die Gestaltung der «assets & liabilities».

Hohe Professionalisierung auch in ZukunftEine wesentliche Grundidee des BVG ist die Gestaltungs-freiheit und -verantwortung im Rahmen der Selbstregu-lierung. Die zunehmende Regelungsdichte und die Ver-politisierung der beruflichen Vorsorge schränkte die Gestaltungsfreiheit allerdings stark ein. Gesetzesände-rungen oder Anpassungen aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen oder aufgrund der Entwicklungen an den Finanzmärkten sind unerlässlich. Doch wurden in den vergangenen 25 Jahren zu viele zusätzliche Gesetze, Ver-ordnungen und Weisungen erlassen, welche die beruf-liche Vorsorge unbeweglich, widersprüchlich und teuer machen. Bereits heute sind die Verwaltungskosten von Pensionskassen von öffentlichem Interesse und weitere Auflagen und Weisungen werden diese Kosten zusätzlich belasten.

Die hohen Anforderungen, welche durch die Gesetze an die Pensionskassenführung gestellt werden, haben die Miliztauglichkeit des Systems eingeschränkt. Die Kom-plexität in der beruflichen Vorsorge verlangt ein hohes ➔

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Urs Bracher,

Geschäftsführer Pensionskasse

der Credit Suisse Group (Schweiz)

Mass an Fachwissen, Engagement und Verantwortungs-bewusstsein seitens der Stiftungsräte, des Geschäftsfüh-rers und der Mitarbeitenden in der Vorsorgeeinrichtung. Diesen Anforderungen im Milizsystem gerecht zu wer-den, ist ohne hochprofessionelle Geschäftsführung nicht mehr möglich.

Das Führungsverständnis der Pensionskassen hat sich seit Einführung des BVG grundlegend geändert. Die Füh-

rung, Versichertenverwaltung und das Anlagemanage-ment haben einen hohen Professionalisierungsgrad erreicht. Zudem nimmt der Stiftungsrat seine Führungs-verantwortung wahr und beeinflusst massgeblich die Si-cherstellung der beruflichen Vorsorge. Mit dieser Voraus-setzung wird die Führung von grossen Pensionskassen die Herausforderungen der Zukunft im Interesse der Ver-sicherten und Rentner meistern können n

BVG

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BVG

1997Juni, 20., In England erscheint der erste Harry Potter-Roman von Joanne Rowling, «Harry Potter und der Stein der Weisen».

Das Erfolgsmodell «2. Säule» wurde mit dem Inkraft-treten des BVG im Jahre 1985 lediglich vervollständigt. Der Grossteil der Arbeitnehmerschaft war bereits in einer Vorsorgeeinrichtung versichert. Dazu gehörten insbeson-dere auch die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen. Die grossen Arbeitgeber hatten bereits im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine – im Laufe der Zeit sich entwickeln-de – Vorsorge für Ihre Mitarbeitenden eingerichtet. Im öffentlichen Bereich waren die (teilweise auf freiwilliger Basis errichteten) Lehrerkassen die Vorläuferinnen der heutigen modernen Vorsorgeeinrichtungen. Später waren beamtenrechtliche Aspekte mitprägend für die Ausgestal-tung der Vorsorge: Das Risiko der Nichtfortsetzung einer Beamten- und Magistratenkarriere, sei es durch Nichtwie-derwahl, sei es durch Krankheit bzw. Dienstunfähigkeit oder Tod wurde für die betroffenen Personen bzw. deren Hinterlassenen abgesichert.

Die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Kassen basiert(e) traditionellerweise auf dem System der Mischfinanzierung bzw. der Teilkapitalisierung: Unter der Prä-misse, dass öffentliche Arbeitgeber weder Konkurs gehen noch sämt-liche Arbeitnehmenden entlassen (bzw. privatisieren) können und so-mit den Älteren bzw. Verstorbenen immer wieder jüngere Versicherte nachfolgen (Prinzip der Perennität), kann ein Teil der Vorsorge im Aus-gaben-Umlageverfahren finanziert werden. Der andere Teil wird im für die berufliche Vorsorge ty-pischen Kapitaldeckungsverfahren finanziert.

Gemäss Pensionskassenstatistik 2007 bestehen 98 re-gistrierte öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen mit insgesamt 565’000 Aktivversicherten. Sie verwalten mit 178 Mia. Franken etwa 30% der Vorsorgevermögen.

Spezialbehandlung im BVGDie Einführung des BVG war (auch) für die öffentlich-rechtlichen VE keine einfache Angelegenheit. Die Kan-tone haben zwar grosse Erfahrung in der Umsetzung von neuem Bundesrecht, jedoch war (wie auch bei einigen privaten Kassen) das Verfahren zur definitiven BVG-Re-gistrierung oftmals nicht in der vom Bundesgesetzgeber anberaumten Frist möglich. Dies liegt insbesondere an den demokratisch legitimierten Entscheidungswegen, die länger und viel komplexer sind als bei privatrechtlichen Verhältnissen.

Immerhin nahm das BVG Rücksicht auf die besonde-ren Verhältnisse bei den öffentlich-rechtlichen Vorsorge-einrichtungen: So wurde das Prinzip der Teilkapitalisie-rung (nebst der Bilanzierung in offener Kasse) mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde und bei Vorliegen ei-ner Staatsgarantie offiziell zugelassen. Damit zusammen hängt die Auflage, dass ein solcher Fehlbetrag bei Teilli-

quidation nicht weitergegeben wer-den darf. Als weitere gesetzliche «Privilegierung» gilt der Vorbehalt bezüglich paritätischer Verwaltung. Aus der Überlegung, dass eine öf-fentlich-rechtliche Einrichtung durch das entsprechende Gemein-wesen (Bund, Kanton, Gemeinde) konstituiert und überwacht wird, gilt das Prinzip, dass das Gemein-wesen auch die reglementarischen Bestimmungen erlassen und damit über die Ausgestaltung der Vorsor-ge (Beiträge und Leistungen) ent-scheiden kann. Im Umfang, in wel-

chem das Gemeinwesen diese Aufgaben nicht an die Vorsorgeeinrichtung delegiert hat, ist die paritätische Mit-bestimmung somit eingeschränkt; es besteht lediglich ein Anhörungsrecht des paritätischen Organs. Im Weiteren gilt eine Spezialbehandlung durch die Ausnahme von der

Die öffentlich-rechtlichen Pensionskassen zählen zu den ältesten und grössten Pensionskassen der Schweiz. Bei ihnen stehen heute vor allem die gesetzliche Privilegierung bezüglich Kapitaldeckung und die paritätische Verwaltung auf dem Prüfstand. Von Dieter Stohler

Öffentlich-rechtliche Kassen

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Dieter Stohler,

Direktor Pensionskasse Basel-Stadt

Verselbständigungspflicht (durch die Zulassung von Ein-richtungen öffentlichen Rechts ohne eigene Rechtsper-sönlichkeit) und bezüglich ihrer Beaufsichtigung.

Stärkung der SozialpartnerschaftIm Laufe der letzten 20 Jahre setzte auch bei den öffent-lich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ein Konzentra-tions- und Professionalisierungsprozess ein. Durch die Zunahme der Regelungsdichte und der Komplexität der Kassenführung waren auch die Aufsichtsbehörden gefor-dert. Das System auf Bundesebene, wo die Aufsicht auf verschiedene Departemente und Bundesämter verteilt war, erlitt spätestens seit dem damaligen Debakel um die Eidg. Versicherungskasse (Anfang der Neunzigerjahre) Schiffbruch und wurde korrigiert. Nebst der Bündelung der Fachkompetenzen drangen und dringen nun ver- stärkt Aspekte der Corporate Governance durch. Die Trennung zwischen Aufsicht und Kassenführung sowie die Unabhängigkeit verschiedener Entscheidebenen wur-den verstärkt: Man kann sich schliesslich nicht selbst be-aufsichtigen. Die neuerdings vorgeschlagenen Verselb-ständigungspflichten sowohl von öffentlich-rechtlichen Kassen (wo noch nicht vorhanden) als auch von den Auf-sichtsbehörden sind zweifellos zu begrüssen.

Viel zu reden gab und gibt die Parlamentarische Initia-tive Beck betreffend der Finanzierung öffentlich-recht-licher Vorsorgeeinrichtungen. Nachdem vor allem in der deutschen Schweiz einige Kassen inzwischen auf das Sy-stem der vollen Kapitaldeckung umgestellt worden wa-ren, verlangte Nationalrat Beck vor wenigen Jahren ein vollständiges Verbot der Mischfinanzierung. Zurzeit liegt ein Revisionspaket «Finanzierung der öffentlich-recht-lichen Vorsorgeeinrichtungen» bei den eidgenössischen Räten. Nachdem der Bundesrat ursprünglich – nach einer längeren Übergangsfrist – ein solches Verbot unterstützte, gehen die Beratungen im Parlament in Richtung Festle-gung eines Mindestdeckungsgrades, welcher auch unter 100 % liegen kann. In der Tat ist nicht einzusehen, wes-halb das System der Teilkapitalisierung von Bundesrechts wegen gänzlich eliminiert werden muss. Ebenso richtig ist, wenn dieses System neuen Leitplanken unterworfen wird. So ist insbesondere die These, dass im öffentlichen

Sektor das Prinzip der Perennität generell spielt, kritisch zu hinterfragen. Der Strukturwandel auch der öffent-lichen Arbeitgeber schreitet mit zunehmendem Tempo voran (Ausgliederungen; Privatisierungen; Fusionen etc.). Die Vorsorgeeinrichtungen müssen diese Veränderungen auf gerechte und vernünftige Weise sowie zeitgerecht nachvollziehen können.

Auch die paritätische Verwaltung von öffentlich-recht-lichen Kassen erlebt Veränderungen. Immer weniger passt das blosse Anhörungsrecht gemäss Art. 51 Abs. 5 BVG in die übrige BVG-Landschaft mit einer paritätischen Kassenführung und mit einem Mitspracherecht der Ar-beitnehmerschaft gemäss Art. 11 Abs. 2 und 3bis BVG. Im Sinne einer echten Sozialpartnerschaft müsste die Arbeit-nehmerschaft über die Ausgestaltung der Vorsorge mitbe-stimmen können; das erfordert, dass sich das Gemeinwe-sen auf die Rolle des Arbeitgebers beschränkt. In diese Richtung zielen denn auch die laufenden Revisionspro-jekte der bundesrechtlichen Vorschriften (Finanzierung öffentlich-rechtlicher Vorsorgeinrichtungen/Strukturre-form). Auch die zunehmend verlangte Trennung einzel-ner angeschlossener Vorsorgewerke innerhalb einer (Sammel-) Einrichtung erfordert ein paritätisches Mitspra-cherecht der beteiligten Gruppierungen.

Revisionsprojekt mit richtiger RichtungÖffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen können die steten Veränderungen auf Arbeitgeberseite sowie den Wandel in der beruflichen Vorsorge nur dann zeit- und sachgerecht nachvollziehen, wenn sie verselbständigt und effizient organisiert sind und wenn die Sozialpartner-schaft funktioniert. Hierfür benötigen sie ein starkes, pa-ritätisch besetztes Führungsorgan, welches die Interessen der Kasse wirksam vertritt und verhindert, dass die Kasse allenfalls zwischen den Fronten politischer Interessen «zerrieben» wird. Das Gemeinwesen hat die Funktion des Arbeitgebers, seine Vertreterinnen und Vertreter sind Mit-glieder des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung. Das aktuell in den eidgenössischen Räten in Diskussion stehende Revisionsprojekt für öffentlich-rechtliche Vor-sorgeeinrichtungen zielt in diese Richtung und verdient die Unterstützung. n

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BVG➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

«Gemeinsam sind wir stark»Gemeinschaftseinrichtungen sind Non-Profit-Institutionen und müssen keine Aktionärsinteressen befriedigen. Auch in schwierigeren Zeiten haben sie sich gut entwickelt und nach wie vor gehört jeder erwirtschaftete Franken den Versicherten. Aber heute droht auch ihnen die Gefahr der Überreglementierung. Von Beatrice Fluri

Bereits vor der Einführung des Gesetzes über die berufliche Vorsorge 2. Säule bestanden zahlreiche Ge-meinschaftseinrichtungen. Solche Einrichtungen wurden oft im Rahmen von Berufsverbänden gegründet, damit nicht jeder, oft über wenig Mitarbeiter verfügende Arbeit-geber eine eigene Vorsorgelösung anbieten musste. Ge-meinschaftseinrichtungen bestanden sogar schon vor der Einführung von AHV/IV. Diese Gemeinschaftslösungen sollten ganz im Sinne der heutigen AHV/IV und dem BVG in erster Linie dafür sorgen, dass während der Ar-beit invalid gewordene Arbeitnehmer und Arbeitneh-merinnen sowie ihre Familien im Falle des Eintretens von Invalidität ihres Versorgers ein angemessenes Leben wei-terführen konnten. Die meisten Gemeinschaftseinrich-tungen boten auch Altersrenten an.

So haben also schon vor der Einführung des BVG in der Schweiz die meisten Arbeitgeber eine eigene Pensionskasse geführt oder sich einer Gemeinschaftseinrichtung an-geschlossen. Auch ohne Gesetze nahmen sie ihre soziale Verantwor-tung gegenüber ihren Angestellten wahr.

Nach der Einführung des BVG

Mit der Inkraftsetzung des BVG wurde jene grosse Minderheit von Arbeitgebern zur Einführung einer beruflichen Vorsorge verpflichtet, welche bisher noch keine Lösung anbieten konnten und entspre-chend jetzt zusammen mit ihren Arbeitnehmern einer be-ruflichen Minimal-Vorsorgelösung beitreten mussten. Man vergisst heute oft, dass der überwiegende Teil der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schon vor dem 1. Januar 1985 von oft deutlich über diesen BVG-Mini-

malleistungen stehenden Vorsorgeleistungen profitieren konnte, wobei viele Arbeitgeber mehr als die Hälfte der Beiträge leisteten.

Auch die Gemeinschaftseinrichtungen mussten vor der Einführung des BVG Anpassungen in ihren Regle-menten und Statuten vornehmen. Zu spürbaren Mehrko-sten zwang sie die Führung einer BVG-Schattenrechnung. Diese zusätzliche Buchhaltung ermöglicht dem Gesetzge-ber und den Rechnungsprüfern zu ermitteln, ob eine Vor-sorgelösung die gesetzlichen Auflagen erfüllt.

Nicht alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen waren über die Einführung des BVG erfreut. So mussten zum Beispiel Ehefrauen, welche im Geschäft mithalfen und sich eigentlich auf die Vorsorge ihres Mannes verliessen, neu mindestens dem BVG beitreten. Mit der Einführung des FZG, des Freizügigkeitsgesetzes, nach 10 Jahren BVG, wurde eine weitere soziale Besserstellung der Ar-

beitnehmer und Arbeitnehmerinnen umgesetzt. Sie nahmen bei einem Stellenwechsel nicht nur ihre Beiträge an die Vorsorgeeinrich-tung mit, sondern auch die Einzah-lungen des Arbeitgebers. Auch für die Gemeinschaftseinrichtungen bedeutete dies, dass Mutationsge-winne bei Arbeitgeberwechsel da-hinfielen; Beträge, von welchen in der Regel die verbleibenden Versi-cherten profitierten. Diese Gewinne im Falle von Arbeitgeberwechsel mussten mit anderen Finanzquellen ausgeglichen werden, zum Beispiel

mit Beitragserhöhungen.Nach 20 Jahren wurde die erste BVG-Revision durch-

geführt. Sie war der Auslöser, dass Schritt für Schritt auch in den überobligatorischen Bereich der Vorsorgeeinrich-tungen eingegriffen wurde.

1998Oktober. Der erste Smart rollt vom Fliessband.

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Beatrice Fluri,

Eidg. dipl. Pensionskassenleiterin

Wachstum nach Einführung des BVGGemeinschaftseinrichtungen sind vorwiegend verband-lich organisierte Vorsorge- und autonome Sammeleinrich-tungen. Sie sind dem Markt und der Konkurrenz ausge-setzt. Entsprechend werden sie verpflichtet oder gezwungen, kostengünstige und selbstverständlich geset-zeskonforme Dienstleitungen anzubieten.

Gemeinschaftseinrichtungen decken Firmenbedürf-nisse ab. Sie sind Non-Profit-Institutionen und müssen keine Aktionärsinteressen befriedigen. Jeder erwirtschaf-tete Franken gehört den Versicherten. Nach der Einfüh-rung des BVG wuchsen sie spürbar. Sie bieten weiter- hin sowohl BVG-Minimal- wie auch überobligatorische Leistungen an. Wie jedes Unternehmen müssen sie be-dacht sein, ihre kompetenten Dienstleistungen mit einer schlanken Organisation und Administration anzubieten. Somit sollten nicht alle Sonderwünsche ihrer Kunden an-genommen werden. Denn Sonderwünsche gehen nicht selten zu Lasten anderer angeschlossener Versicherter und Unternehmen.

Das Prinzip «Gemeinsam sind wir stark» führt dazu, dass auch im Anlagenbereich dank Volumen und Grösse günstige Konditionen gefordert und ausgehandelt wer-den können. Auch in schwierigen Zeiten wie heute konn-ten sich die Gemeinschaftseinrichtungen gut behaupten und qualitativ weiterentwickeln. Nach wie vor sind mehr Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an autonome Kas-sen als an Versicherungsgesellschaften angeschlossen.

Überlastung des MilizsystemsUnsere Gesellschaft neigt zurzeit dazu, für jeden Sonder-fall einen Gesetzesartikel einzuführen. Das ist leider auch im Sozialbereich so. Dies führt bei Arbeitnehmern/Innen und bei Arbeitgebern zu immer mehr Unsicherheit und Intransparenz. Die Experten haben das Wort, obwohl auch sie nicht fehlerlos sind. Auch bei Gemeinschaftsein-richtungen und ihren Verwaltungs- und Stiftungsräten werden die Sitzungen länger und die jeweiligen Abklä-rungen dauern länger. Dem Milizsystem in unserem an und für sich weltweit hervorragenden Sozialbereich droht Überlastung. Die Kosten steigen stetig, Unmut und Kritik machen sich breit. Die Regelungsdichte nimmt laufend zu und dementsprechend der freie Handlungsspielraum ab. Das BVG ist als Rahmengesetz entstanden und wird nun zunehmend zu einem komplizierten und kostenin-tensiveren Regelwerk.

Sachlichkeit und TransparenzIn den grossen Linien hat die Einführung des BVG die soziale Sicherheit in der Schweiz verstärkt und auch ver-bessert. Darauf dürfen wir stolz sein. Es geht aber darum, unserem 3-Säulen-Prinzip Sorge zu tragen. Sachlichkeit, Einfachheit und viel Transparenz müssen zukunftswei-send sein. Gefährlich sind vor allem politische Graben-kämpfe, die von jeglicher Sachlichkeit abweichen. Ein aktuelles Beispiel zeigte sich bei der Abstimmung über den Umwandlungssatz. n

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Ein starker Arbeitgeberverband kann seinen Mitgliedern sehr viel bieten. Die Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes zum Beispiel ist eine zuverlässige Partnerin in allen Sozialversicherungsfragen und bietet erst noch alle Dienstleistungen aus einer Hand. Von Martin Leuenberger

Alles aus einer Hand

1999August 11. Tausende Schweizer wollen in Süddeutschland eine totale Sonnenfinsternis beobachten. Sie müssen bis zur nächsten 2081 warten: Es war bedeckt.

Baumeister stellen die Infrastruktur in der Schweiz sicher und ermöglichen uns allen, in soliden Gebäuden zu wohnen und zu arbeiten. Das Produkt ihrer täglichen Arbeit ist ersichtlich und für alle langfristig nutzbar. Als Baumeister darf man stolz darauf sein, mit handwerk-lichem Geschick und einem grossen Knowhow zur Zukunftsgestaltung unseres Landes beizutragen. Neben dieser täglichen Arbeit, die allen Beteiligten grosse Kon-zentration und volles Engagement abfordert, sehen sich die Unternehmungen mit einem erheblichen Admini-strationsaufwand konfrontiert (Offertwesen, Rechnungs-stellung, Buchhaltung usw.). Nicht zuletzt gilt es, in die-sem «unsichtbaren Teil» der unternehmerischen Tätigkeit, Verträge abzuschliessen, welche die Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungen festlegen. Es lohnt sich, diesem Bereich ebenfalls Aufmerksamkeit zu schenken, denn hier können wesentliche Einsparungen erzielt werden.

Eigene AusgleichskasseDer Schweizerische Baumeisterver-band (SBV) ist der Arbeitgeberver-band im Bauhauptgewerbe. Mit der Schaffung einer eigenen Ausgleichs-kasse hat der SBV für Verbandsmit-glieder eine bauspezifische Lösung realisiert und damit die Grundlage geschaffen, dass den Mitgliedern der Ausgleichskasse Dienstlei-stungen aus einer Hand gewährlei-stet werden können. Über die Aus-gleichskasse abgewickelt werden die Alters-, Hinterlassenen- und In-validenversicherung (AHV/IV), der Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EO/MSE) wie auch der gesamte Beitragsbezug sowie die Ausrichtung von Leistungen. Als Ergänzung zur gesetz-lichen Erwerbsausfallentschädigung werden zusätzliche Leistungen über die Militärdienstkasse ausgerichtet. Die-

ser patronale Verein wird durch zusätzliche Beiträge fi-nanziert, die Leistungen gleichzeitig mit der Erwerbsaus-fallentschädigung bezahlt.

Übertragene AufgabenAls übertragene Aufgaben (zusätzliche Durchführung von Dienstleistungen für Mitglieder/Nichtmitglieder im Bauhauptgewerbe) wurden übernommen:

n Familienzulagen: In der Schweiz bestehen neben dem Rahmengesetz über die Familienzulagen (FamZG) 26 kantonal unterschiedliche Familienzulagengesetze. Die Abrechnungen wie auch die Anmeldungen für Zula-gen werden zentral über die Ausgleichskasse abgewickelt. n Parifonds Bau: Der Schweizerische Baumeisterver-band hat mit den Sozialpartnern Gesamtarbeitsverträge (LMV Bauhauptgewerbe, GAV Gleisbau) ausgehandelt. Diese Verträge regeln die Arbeitsbedingungen und müssen, da sie vom Bundesrat als allgemeinverbindlich erklärt wurden, auch von Nichtmitgliedern zwingend

eingehalten werden. Basierend auf dem Landesmantel-, respektive dem Gleisbauvertrag wurde der Verein «Parifonds Bau» gegründet. Er ist zu-ständig für den Vollzug des Vertrags sowie den Bildungsbereich. Der Vollzug – also die korrekte Anwen-dung der Vertragsbestimmungen – wird durch regionale paritätische Kommissionen vor Ort geprüft, na-tionale Kommissionen – Schweize-rische Kommission für den Gleis-bau (SPK Gleisbau), Schweizerische Paritätische Vollzugskommission Bauhauptgewerbe (SVK) – überwa-

chen die regionalen Kommissionen und stellen die Kommunikation mit dem SECO sicher. Die Bildung wird mit der Abgeltung von Lohnausfall, Spesen und Kurskosten für Ausbildungen im Bereich des Bauhaupt-gewerbes unterstützt.

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BVGMartin Leuenberger,

Direktor Sozialinstitutionen des

Schweizerischen Baumeisterverbandes

n Flexibler Altersrücktritt (FAR): Ein weiterer Gesamt- arbeitsvertrag bildet die Grundlage für die Vorruhe-standsregelung. Der im Bauhauptgewerbe geltende, grosszügige und flexible Altersrücktritt wird durch Bei-träge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Erfüllt ein Mitarbeiter die Voraussetzungen, um diesem Vertrag unterstellt zu werden, so ist er einerseits bei-trags-, andererseits aber auch leistungsberechtigt. Die Leistungsvoraussetzungen sind im Gesamtarbeitsver-trag und dessen Reglement umschrieben. n Versicherungskasse des Schweizerischen Baumeister-verbandes (VSBV): Bereits vor dem Obligatorium von 1985 hat das Bauhauptgewerbe eine patronale Vorsor-geeinrichtung angeboten. Anfänglich als patronal fi-nanzierte Versicherungskasse geführt, ist sie heute eine BVG-Versicherung, die keine Beitragseinnahmen mehr aufweist, sondern nur noch Sparkapitalien verwaltet und Leistungen im Leistungsfall ausrichtet oder auf ob-ligatorische BVG-Konten überträgt.

Eigene Pensionskasse (PK SBV)1985 hat der SBV die Stiftung Pensionskasse des Schwei-zerischen Baumeisterverbandes gegründet. Die Vorsorge-einrichtung steht für Firmen zur Verfügung, die im Bau-hauptgewerbe tätig sind. Die Pensionskasse trägt das Risiko selbst, verzichtet also auf eine Rückversicherung. Dieser Entscheid der zuständigen Organe erwies sich bis heute als richtig, konnte die Risikoprämie nach der An-laufzeit um rund 50 % reduziert werden – und der De-ckungsgrad der Pensionskasse wies zu einem Jahresende noch nie eine Unterdeckung auf! Als zusätzliche Vorteile haben sich die Unabhängigkeit von Rückversicherungen sowie die Prämienstabilität erwiesen – und, ganz wichtig: Alle Beiträge kommen ganz den Versicherten und den Betrieben zugute.

Für Mitglieder ist es sehr bedeutungsvoll, dass im Ver-band ein Kompetenzzentrum besteht, das ihre admini-strativen Aufgaben mildert und unterstützt. Ansprechpart-ner stehen für kompetente Auskünfte zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit dem Verband und den Sozialpart-nern ist wichtig, damit die anstehenden Aufgaben fristge-recht erledigt werden können.

Ein weiterer entscheidender Vorteil: Die Arbeitgeberre-visoren der Ausgleichskasse führen die Revisionen für sämtliche übertragenen Aufgaben inklusive der obligato-rischen Unfallversicherung (Suva) durch. Dies bedeutet, dass die Mitgliedfirmen periodisch nur einmal und dabei für sämtliche Institutionen kontrolliert werden. Sie kön-nen bei dieser Gelegenheit sämtliche Fragen bei einer einzigen Stelle anbringen und gleichzeitig mit den ver-

trauten Partnern Lösungen erarbeiten. Während der revi-sionsfreien Zeit bilden die Revisoren oft ein geschätztes Bindeglied zwischen der Ausgleichskasse und den Kun-den, wenn grössere Probleme auftauchen.

Synergien muss man nutzenDie Ausgleichskasse pflegt eine enge Zusammenarbeit mit den Verbandsorganen, womit nicht zuletzt Synergien ausgeschöpft werden können. In der Kommunikation können etwa die Mittel des Verbandes unterstützend ein-gesetzt werden. Nur so ist es möglich, dass bei Fragen im Sozialversicherungsbereich die Meinung der Ausgleichs-kasse gebührend berücksichtigt wird und bereits in den wichtigen Vernehmlassungsprozess einfliesst. Dies trägt massgeblich dazu bei, politische Entscheide zu unterstüt-zen, die in der Praxis umsetzbar sind.

Den Mitgliedfirmen sind die Ausgleichskasse und die ihr übertragenen Aufgaben bestens bekannt. Das gegenseitige Vertrauen bildet eine gute Basis für die Zusammenarbeit – eine gute Voraussetzung für die Pensionskasse. So können die Mitglieder von einem Kompetenzzentrum profitieren, das in vielen Belangen der richtige Ansprechpartner ist.

Ein starker Verband kann helfenDas BVG und seine Verordnungen sind seit 25 Jahren in Kraft. Diverse Gesetzesrevisionen haben stattgefunden. Will man sich als Laie ein vertieftes Wissen über die ver-schiedenen Bereiche (Beitragspflicht, die Deklarationen, die Leistungen im Invaliditäts-, Todesfallbereich oder der Altersrente) aneignen, bedarf allein schon dies eines enormen persönlichen Einsatzes. Das BVG bildet jedoch nur einen kleinen Teil der gesamten Sozialversicherungs-gesetzgebung. Begriffe wie technischer Zinssatz, Um-wandlungssatz, versicherungstechnische Grundlagen usw. verkomplizieren die Materie zusätzlich.

Sich als Baumeister auch noch mit den Geheimnissen der Sozialversicherungen vertraut zu machen, übersteigt oft die Grenze des Zumutbaren, zumal allein die Admini-stration einen beträchtlichen zusätzlichen Aufwand erfor-dert. Es ist deshalb empfehlenswert vor allem für kleine-re Bauunternehmungen, sich einem Kompetenzzentrum anzuschliessen, das viele Dienstleistungen aus einer Hand anbietet. Diese Möglichkeiten bieten nicht nur die Baumeister, auch nahestehende Verbände sind mit ihren Verbandseinrichtungen prädestiniert, ihren Mitgliedern den administrativen Aufwand in wesentlichen Teilen ab-zunehmen, so zum Beispiel die PROMEA, Spida, Gastro-social etc. Ein starker Arbeitgeberverband kann seinen Mitgliedern also sehr viel bieten – ein guter Grund mehr für eine Mitgliedschaft! n

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BVG

2000März 7. Die Band «Mash» nimmt den Volksmusik-Klassiker «Ewigi Liäbi» auf.

Solidarität kontra IndividualismusZweifellos stellt die Zweite Säule ein Solidaritätssystem dar. Das Wort «Solidarität» ist ein hehrer Begriff, der das Engagement beinhaltet, mit dem sich mehrere Menschen füreinander verpflichten und sich jeder Einzelne für alle einsetzt. Darin enthalten ist das Wort «solide», was soviel wie «robust», «dauerhaft» und «widerstandsfähig» bedeutet. In der Kuppel des Bundeshauses kann man den Satz le-sen: «Unus pro omnibus, omnes pro uno» – also: «Einer für Alle, alle für Einen». Dies ist der traditionelle Leitsatz der Schweiz.

Allerdings verschiebt sich nun seit einigen Jahren das Gleichgewicht in dem Masse, dass der Kapitalbestand der Zweiten Säule zugunsten der Individualisierung zunimmt. Anstatt die Vorsorgeeinrichtung der Zweiten Säule insgesamt als eine Sozialleistung des Arbeitgebers (mit den gleichen Leistungen für das Kollektiv aller Ver-sicherten) zu betrachten, konzentriert sich der Blick des Versicherten auf den Betrag, den der Arbeitgeber auf sein Sparkonto einzahlt. Diesen sieht er als vollumfäng-lichen Bestandteil seiner (selbstver-ständlich individualisierten) Entlöh-nung an.

Es ist daher nicht weiter verwun-derlich, dass der Ruf nach einer freien Wahl der Pensionskasse lau-ter wird. Hierbei wird jedoch ver-gessen, dass das System der Zwei-ten Säule sich auf die Idee der Sozialpartnerschaft stützt. Wäre der Arbeitgeber überhaupt einverstan-den, den gleichen (hohen) Beitrag zu entrichten, wenn er wüsste, dass sein Mitarbeiter sein Vorsorgeinsti-tut frei wählen könnte? Hier sind durchaus Zweifel angebracht.

Im Zuge der ersten BVG-Revision hat der Gesetzgeber die Forderungen in Richtung auf eine Individualisierung der Vorsorge durchaus berücksichtigt. Bis zu einem ge-wissen Grad können die Kassen mehrere Beitragspläne

ausarbeiten und ihre Versicherten die Art der Anlage frei wählen lassen.

Vorsorgeeinrichtungen von Unternehmen kontra jene von Versicherungen

Auch bei den Vorsorgeeinrichtungen ist eine Zweiteilung zu verzeichnen. Einerseits gibt es die durch (ausreichend grosse) Unternehmen gegründeten Einrichtungen, ande-rerseits bestehen Einrichtungen, die von den Versiche-rern ins Leben gerufen wurden. Für diese beiden Arten von Pensionskassen gelten nicht exakt dieselben Regeln. Erstere verfolgen nur ein einziges Ziel: das Interesse ihrer Versicherten und Rentner. Jeder Franken, der von einer solchen Kasse eingenommen wird, geht an ihre Versi-cherten und Rentner. Die anderen Kassen haben als bör-senkotierte Unternehmen vor allem das Interesse ihrer Aktionäre im Auge und versuchen, einen Gewinn zu er-wirtschaften. Dies hat zur Folge, dass die berufstätigen Versicherten und Rentner dabei oftmals in den Hinter-grund treten. Jeder eingenommene Franken muss

zwischen den Versicherten und Rentnern der Kasse sowie den Akti-onären der Versicherungsgesell-schaft aufgeteilt werden. Deshalb hat der Gesetzgeber den vom Versi-cherer einzubehaltenden Anteil auf 10 % begrenzt (legal quote).

Kassen mit BVG-Minimum kontra umhüllende Kassen Hinzu kommt, dass die Vorsorge-pläne des Versicherers oftmals den Plänen mit gesetzlichen Mindestlei-stungen (BVG-Minimum) entspre-chen, die Vorsorgepläne der Unter-

nehmen dagegen oftmals (sehr) grosszügig sind (umhüllende Kassen). Da die gesetzlichen Bestimmungen zur beruflichen Vorsorge oftmals nur auf die Minimallei-stungen anwendbar sind (z. B. Auszahlung der Zinsen auf Sparkonten, Umrechnungssatz), haben die umhül-

Leistungsprimat kontra Beitragsprimat, öffentliche kontra private Kassen, Rente kontra Kapital – die Zweite Säule vereint wie das Yin und Yang in vieler Hinsicht komplementäre, vielleicht sogar gegensätzliche Systeme unter einem Dach. Von Birgit Moreillon

Die Zweite Säule – eine duale Welt

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lenden Kassen mehr Freiheiten in Bezug auf die Definiti-on ihrer Leistungen. Sie verfügen insbesondere bei der Durchführung von Sanierungsmassnahmen über einen grösseren Handlungsspielraum.

Öffentliche kontra private Kassen Überdies bestehen auch Unterschiede zwischen den öf-fentlichen und den privaten Kassen. Erstere sind infolge ihres langjährigen Bestehens in der Lage, eine Mischfi-nanzierung (eine Kombination aus Kapitalisierung und Umlageverfahren) vorzunehmen. Ihr Deckungsgrad kann daher unter 100 % liegen, was für die privaten Kassen nicht zulässig ist. Diese müssen jederzeit in der Lage sein, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Ist das nicht der Fall (und fällt ihr Deckungsgrad unter 100 %), sind sie zur Einleitung von Sanierungsmassnahmen gezwungen. Eine parlamentarischer Vorstoss stellt dieses Prinzip in Frage und fordert eine vollständige Finanzierung der öffent-lichen Kassen. Einige Vorsorgeinstitute, vor allem in der Deutschschweiz, haben bereits den Schritt hin zu einer vollständigen Finanzierung getan.

Leistungsprimat kontra Beitragsprimat Schliesslich bestehen zwei Arten von Plänen: Bei den ei-nen stehen die Leistungen, bei den anderen die Beiträge im Vordergrund. In einem leistungsorientierten Plan er-gibt sich die Rente aus einem Prozentsatz des letzten Sa-lärs bzw. der letzten Saläre. Sie steigt also im Falle einer Lohnerhöhung proportional an. Der Versicherte verfügt somit über eine sehr gute Einschätzung seines Rentenni-veaus im Verhältnis zu seinem Gehaltsniveau. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl jener Vorsorgeeinrich-tungen stark zurückgegangen, die einen leistungsbezo-genen Plan anbieten.

Das gesetzlich obligatorische System stützt sich auf bei-tragsorientierte Pläne. Hier werden die Leistungen vom Versicherungsbeginn an auf der Grundlage aller Beiträge festgelegt. Steigen die Gehälter stark an, wird zur Auf-rechterhaltung des gleichen Leistungsniveaus eine Nach-zahlung (Einkauf) erforderlich. Bleibt das Gehalt indes stabil, erhöht sich die Rente im Verhältnis zum Lohn, was auf die dem Sparkonto gutgeschriebenen Zinsen zurück-zuführen ist.

Aber auch auf Seiten der beteiligten Personen, also der Versicherten sowie den Verwaltungsverantwortlichen, bleibt die Dualität der Zweiten Säule weiterhin bestehen.

Berufstätige Versicherte kontra Rentenbezüger

Eine Vorsorgeeinrichtung umfasst im Allgemeinen zwei Arten von Versicherten: die Berufstätigen und die Rent-ner. Erstere befinden sich in einer Phase der Kapitalan-

häufung, die anderen in der Phase des Kapitalverbrauchs. Es versteht sich nahezu von selbst, dass sich die Interes-sen der einen nicht unbedingt mit jenen der anderen decken. Die Rente der Pensionsempfänger stellt ein er-worbenes Recht dar. Dies bedeutet, dass ihnen die Vor-sorgeeinrichtung – de facto – einen jährlichen Minimaler-trag (der dem Mindestsatz entspricht) garantiert. Die Berechnung der Rente berücksichtigt nämlich einen zu-künftigen Ertrag (BVG-Mindestsatz), damit die Höhe der Rente in Abhängigkeit von dem beim Rentenantritt ver-fügbaren Kapital festgelegt werden kann. Eine derartige Garantie wird den berufstätigen Versicherten nicht gewährt und kann ihnen auch nicht gewährt werden. Für sie besteht das erworbene Recht im bereits angehäuften Kapital (das nicht durch einen Negativzinssatz reduziert werden kann); es besteht jedoch keinerlei Garantie für einen zukünftigen Zinssatz, wie dies für einen Rentner der Fall ist.

Arbeitgebervertreter kontra Versichertenvertreter

Die Schlichtung wird vom Stiftungsrat, dem obersten Or-gan der Vorsorgeeinrichtung, wahrgenommen. Dieser be-steht paritätisch aus Arbeitgeber- und Versichertenvertre-tern. Auch hier können die Interessen auseinandergehen – insbesondere in Bezug auf das Gleichgewicht zwischen dem Leistungsangebot und seiner Finanzierung, die min-destens zur Hälfte vom Arbeitgeber zu tragen ist. Ein wei-terer Stein des Anstosses ist die Frage, in welchem Aus-mass der Arbeitgeber an allfälligen Sanierungsmassnahmen teilnehmen kann bzw. muss?

Aussergewöhnliche kontra unbefriedigende Leistungen

Während der ersten 15 Jahre des Bestehens des BVG und insbesondere in den 90er-Jahren erfüllte der dritte Bei-tragszahler – der sich aus den Anlagen ergebende Ertrag – seine Rolle voll und ganz. Die Kassen hatten daher keinerlei Probleme, einen Mindestsatz von 4 bis 5 % zu finanzieren. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, die Renten der Pensionsempfänger zu erhöhen und den be-rufstätigen Versicherten zusätzliche Zinsen zukommen zu lassen oder sogar die Leistungen zu verbessern.

Diese aussergewöhnlichen Leistungen mussten in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, insbesondere jedoch im Jahr 2008, unzureichenden Leistungen weichen. Konn-ten die Kassen Ende der 90er-Jahre höhere Beträge an ihre beschäftigten Versicherten und Pensionsempfänger verteilen, mussten viele von ihnen unmittelbar danach – infolge des Börseneinbruchs 2001 und 2002 – Sanierungs-massnahmen einleiten. Kaum waren sie Ende 2007 aus ihrem technischen Defizit heraus, hatten sie 2008 bereits wieder Einbrüche zu verzeichnen. ➔

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Birgit Moreillon,

Geschäftsführerin Pensionskasse

der Banque Cantonale Vaudoise

Langfristig kontra kurzfristigSo entwickelte sich die langfristige Perspektive, die auf einer Anlageperiode von etwa 60 Jahren beruht (40 Jahre Berufstätigkeit und 20 Jahre Rente), sehr schnell zu einer (sehr) kurzfristigen Vision.

Die Befürchtungen hinsichtlich der zukünftigen Erträge zusammen mit einer erhöhten Lebenserwartung spiegeln sich in den Aufrufen zur Reduzierung des Umwandlungs-satzes wieder. Eine erste Verringerung des Eingangssatzes – der seit 1985 7,2 % betrug – wurde während der ersten BVG-Revision im Jahre 2005 beschlossen. Der neue Satz von 6,8 %, bei dem es sich – was nicht vergessen werden darf – um einen Mindestsatz handelt, wird im Zusam-menhang mit den zukünftig zu erwartenden Erträgen als immer noch zu hoch eingeschätzt. An dieser Stelle ist zu vermerken, dass eine mit einem zu hohen Umwand-lungssatz berechnete Rente zwanzig Jahre reichen muss, ohne dass eine Veränderung möglich wäre. Hingegen könnte eine mit einem zu niedrigen Umwandlungssatz berechnete Rente später problemlos erhöht werden, so-fern die Ergebnisse der Pensionskasse dies ermöglichen.

Rente kontra Kapital Je niedriger der Umwandlungssatz ist, desto eher neigen die Versicherten dazu, ihr Kapital ganz oder teilweise in

bar zu beziehen. Werden sie in der Lage sein, dieses Ka-pital selbst zu verwalten und besser als die Pensionskas-sen anzulegen? Das ist eindeutig zu bezweifeln. Es lohnt sich daher, daran zu erinnern, dass das allererste Ziel ei-ner Vorsorgeeinrichtung darin besteht, die Renten auf ei-ner solidarischen Grundlage zu gewährleisten. Die Renten der Versicherten mit überdurchschnittlicher Le-bensdauer werden von denen mit geringerer Lebensdau-er finanziert; die Renten der überlebenden Lebenspartner werden (teilweise) von den Ledigen finanziert. Die (kinderlosen) Rentner zahlen für die Rentner, die noch unterhaltspflichtige Kinder haben oder Kinderrenten be-ziehen.

Finanzielle kontra soziale Überlegungen

Schliesslich müssen die an der Berufsvorsorge Beteiligten darauf achten, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen (in einem System, in dem sich mittlerweile ein Kapital in der Höhe von über 600 Milliarden CHF angesammelt hat) so-wie den sozialen Überlegungen zu finden. Denn schliess-lich handelt es sich bei der Zweiten Säule um eine Sozi-alversicherung – und wie beim Yin und Yang geht das eine nicht ohne das andere. Und umgekehrt. n

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2001Oktober, 2. Die nationale Fluglinie Swissair groundet.

Ich hatte das Glück, 26 Jahre lang einen aktiven Bei-trag zur Gestaltung der Zweiten Säule leisten zu können. Das erste Mal kam ich 1984 damit in Berührung, als ich die Pensionskasse eines Industrieunternehmens mit 150 Mitarbeitern gründete. Diese Gründung erfolgte in (erfolgreicher!) Zusammenarbeit mit dem Vertreter der Arbeitergewerkschaft sowie einem Versicherungsmathe-matiker und Berater. Ein weiteres Mal, einige Jahre später, als ich die Geschäftsführung einer Gemeinschaftsstiftung mit Versicherten von 1200 Arbeitgebern aus der ganzen Schweiz (eine Verbandskasse) übernahm. Die Führungs-kräfte dieses Berufsverbandes hatten 1984 die Vorzüge einer autonomen und gemeinsamen Lösung (als Alterna-tive zu den Sammelstiftungen der Versicherer) verstan-den: Verwaltungskompetenz, Transparenz, Vereinfachung der Verwaltung und insbesondere geringerer Betriebsauf-wand. In dieser Kasse habe ich während zwanzig Jahren die Entwicklung des BVG miterlebt. Zu der rechtlich zu-nächst einfachen Ausgangslage von 1985 (zwei grundle-gende Texte: BVG und VVG 2) kamen im Verlauf der Jahre neue Gesetze (insbesondere das Freizügigkeitsgesetz und die Verordnung über die Wohneigen-tumsförderung), neue Normen (FER 26), neue Richtlinien sowie eine stets umfassendere Rechtsprechung hinzu. War dies alles notwendig? Ich bin nicht davon überzeugt. Aber es ist nun einmal so und man hat sich damit abfinden und in der Folge die Strukturen (sowie die Kosten!) ausbauen müssen.

Die Bilanz von heuten Die Zweite Säule hat sich zu einem unumgänglichen Bestandteil unserer Sozialpoli-tik entwickelt. Ihre Solidität hat sie bei der Bewältigung zweier grösserer Finanzkrisen seit dem Jahr 2000 unter Beweis gestellt. Gewiss gab es auch einige Verun- treuungsfälle, auch war eine gewisse Laxheit in der

Führung einiger (insbesondere öffentlich-rechtlicher) Einrichtungen festzustellen, die sich nun in einer schwierigen Situation befinden. Alles in allem aber hat sich die Zweite Säule gut gehalten. Dennoch ist sie re-gelmässigen, direkten oder indirekten Angriffen ausge-setzt, steht sie doch nicht nur denen im Weg, die von einer grossen staatlichen Versicherung (einer erwei-terten AHV) träumen, sondern auch denen, welche die Vorsorge gern privatisieren und individualisieren wür-den. Darüber hinaus leitet die unter Politikern und Ge-setzgebern derzeit zu beobachtende Tendenz zu einer ständig zunehmenden Reglementierung leider ebenfalls Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Zweiten Säule. Zudem ist eine zunehmende Komplexität nicht von der Hand zu weisen: Es gibt zu viele Gesetze und zu viel Bürokratie, der sprunghafte Anstieg der rechtlichen Richtlinien führt zu Unverständnis bei den Versicherten und erschwert die Verwaltung. Für einen Stiftungsrat, der sich auf der Grundlage des Milizsystems bildet, wird es von Tag zu Tag schwieriger, eine globale Vision

für das Leben seiner Kasse zu ent-wickeln. Überdies ist zu befürchten, dass sich der bereits im Gange befindliche Konzentrationsprozess noch beschleunigt: Für ein kleines oder mittleres Unternehmen wird es unmöglich, eine autonome Kasse als wichtigen Bestandteil seiner So-zialpolitik aufrechtzuerhalten, da sie sich das Fachpersonal nicht mehr leisten kann. Sollte sich die Tendenz der Überreglementierung fortsetzen, werden wir es mit immer grösseren Einrichtungen und damit mit einer zunehmenden Vereinheitlichung zu

tun haben. Wenn es dann einmal soweit ist, dass alle dasselbe tun, tritt die Versuchung einer Einheitskasse oder einer Super-AHV wieder auf den Plan. n Die Führungsebenen der Pensionskassen sind (insbe-sondere im Vermögensverwaltungsgeschäft) mehr und

Um in 25 Jahren wieder eine positive Bilanz ziehen zu können, müssen die an der Vorsorge Beteiligten und die politischen Akteure ihre Handlungen und Überlegungen einfacher und weitsichtiger gestalten. Denn die Zweite Säule ist zu komplex geworden und zu weit von den Versicherten entfernt. Von Jacques Hoffmann

Ein Sozialwerk in Gefahr?

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Jacques Hoffmann,

Mitglied des Anlageausschusses

der Pensionskasse SSPh

mehr zwischen der Notwendigkeit einer langfristigen Planung und den kurzfristigen, von Gesetz und Auf-sichtsbehörde auferlegten Anforderungen hin- und hergerissen. Ich bin insbesondere nicht davon über-zeugt, dass die allseits hochgelobte Rechnungslegungs-norm FER 26 frei von grösseren Ungereimtheiten ist: Der Begriff «Mark to Market» schafft – manchmal will-kürlich – auf der Aktivseite der Bilanz eine Volatilität, die zu Reaktionen führen kann, die kurzfristig nur schwer mit der langfristigen Vision zu vereinbaren ist, über die eine Geschäftsleitung verfügen muss. Die Ty-rannei des Deckungsgrades (der wiederum von der Volatilität der Aktivseite der Bilanz betroffen ist) sowie das entsprechende jährliche Fallbeil am 31. Dezember, das die Einrichtung dazu zwingen kann, sofortige – je-doch nicht immer unbedingt erforderliche – Sanie-rungsmassnahmen einzuleiten, spiegeln ebenfalls die-sen Hang zum kurzfristigen Denken wieder. n Die im Rahmen der Zweiten Säule bestehende Koe-xistenz zweier Lösungen (die autonomen Kassen und die Sammelstiftungen der Versicherer) bereitet wegen der Ungleichheiten zwischen diesen beiden Versicher-tengruppen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Ko-sten, das Leistungsniveau, die Transparenz und die Entscheidungskompetenz. Die Lösung einer Komplett-versicherung der Versicherer war im Jahr 1985 insbe-sondere für die KMUs gerechtfertigt, weil kurzfristig keine anderen Alternativen verfügbar waren. Ich bin heute davon überzeugt, dass alle KMUs problemlos in die bereits bestehenden oder noch zu gründenden ge-meinsamen Institutionen aufgenommen werden könnten und dass man auf den durch die Versicherer vertretenen Lösungsansatz der Komplettversicherung verzichten könnte.

Utopien für morgenn Der Überreglementierung ist Einhalt zu gebieten: Hierfür ist ein einfaches und klares Rahmengesetzes auf Bundesebene auszuarbeiten, das den geschäftsfüh-renden Gremien (selbstverständlich unter einer effizi-enten Überwachung) mehr Freiräume gewährt. Dies war auch die Idee für «das neue BVG», das der ASIP vor einigen Jahren ausarbeitete. Insbesondere müsste die Festlegung technischer Bestandteile (Zinssatz, Um-wandlungssatz usw.) aus dem Kompetenzbereich der Politik verschwinden, so dass jede Einrichtung ihre Re-geln in Abstimmung mit ihrer jeweiligen Situation und mit Zustimmung ihrer Experten selbst festlegen kann.

n Der Sammellösungsansatz der Versicherer ist zu stop-pen. Sicherlich braucht die Zweite Säule die Versiche-rer für Leistungen der Risikorückversicherung (Invalidi-tät, Tod usw.), jedoch nicht für die Führung der Alterskonten und die Verwaltung der Einrichtungen. Zudem scheint es mir nicht vernünftig zu sein, dass die Sozialversicherung eine Gewinnquelle für eine Han-delsgesellschaft und ihre Aktionäre darstellt. n Lockerung der Rechnungslegungsnormen in den Be-wertungsregeln bestimmter Aktiva. n Für die Bewertung der Situation einer Pensionskasse sollte mehr Zeit zur Verfügung stehen, damit gewisse Parameter nivelliert werden können.n Im Zusammenhang mit der Teilliquidation sollte mehr Realitätssinn an den Tag gelegt werden; einige Ent-wicklungen in der jüngsten Rechtsprechung lassen die Befürchtung aufkommen, dass dieser Begriff in Wirk-lichkeit einfach einen Ersatz für das Freizügigkeitsge-setz darstellt!n Den öffentlichen Kassen sollte erlaubt werden, das Prinzip der Mischfinanzierung beizubehalten. Es er-scheint mir wenig sinnvoll, nur für die Erfüllung eines Dogmas öffentliche Gelder in Höhe von mehreren Dut-zend Milliarden Franken zu blockieren.Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig und alle

angeführten Punkte verdienten eine ausführliche Darstel-lung.

Wir haben mit dem Drei-Säulen-Prinzip ein solides und kohärentes System geschaffen, um das uns viele Länder beneiden. Die Zweite Säule ist ganz offensichtlich ein wesentliches Glied, das jedoch zu komplex und zu weit von den Versicherten entfernt ist. Ich bin ausser mir, wenn ich (kurz vor der Abstimmung über den BVG-Um-wandlungssatz vom 7. März 2010) im Fernsehen Mitbür-ger sehe, die keine Ahnung von der Rentenfrage haben und somit höchst anfällig für die allereinfachsten und reisserischsten Argumente und Parolen sind. Das ist eine Gefahr für unsere Demokratie und damit auch für unsere Zweite Säule!

Ich wünsche allen an der Vorsorge Beteiligten und al-len politischen Akteuren, ihre Handlungen und Überle-gungen einfacher und weitsichtiger zu gestalten (der le-gislative Perfektionismus ist kein Selbstzweck!), damit im Jahr 2035 andere eine positive Bilanz zum 50-jährigen Bestehen des BVG ziehen können. n

Die hier geäusserte Meinung ist persönlich, die Verantwortung

dafür liegt nicht beim ASIP.

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

Der SicherheitsfondsEine Erfolgsgeschichte mit neuen Herausforderungen: Mit der Einführung des Obligatoriums der beruflichen Vorsorge im Jahre 1985 erhielt die bis anhin nur spärlich geregelte Welt der Pensionskassen ein Rahmengesetz mit Mindestleistungsvorschriften. Von Thomas Hohl

Dem damaligen Gesetzgeber war bewusst, dass das neue Obligatorium Vorsorgelücken schliessen würde, in-dem Arbeitgeber eine Vorsorgeeinrichtung gründen oder sich einer bestehenden anschliessen würden, die bisher, aus welchen Gründen auch immer für sich und die Arbeitnehmenden noch über keine berufliche Vorsorge verfügten. Bedenken bezüglich Finanzierbarkeit bei un-günstiger Alterstruktur, respektive bezüglich Zahlungsfä-higkeit einzelner Vorsorgeeinrichtungen waren dem Gesetzgeber nicht fremd. Er hat deshalb nebst der Auf-fangeinrichtung eine zweite öffentlich-rechtliche Stiftung mit eigener Rechtspersönlichkeit, nämlich den «Sicher-heitsfonds BVG» mit Sitz in Bern, ins Leben gerufen. Als öffentlich-rechtliche Stiftung fungiert der Sicherheitsfonds wie eine Behörde, die mit Verfügungskompetenz ausge-staltet ist.

Die ursprüngliche IdeeWeitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit hat sich der Sicherheitsfonds bei der Verfolgung seiner ursprünglich vorgesehenen zwei Hauptziele be-stens bewährt, nämlich der Gewäh-rung von Zuschüssen bei un- günstiger Altersstruktur und der Sicherstellung von gesetzlichen Leistungen bei zahlungsunfähig ge-wordenen Vorsorgeinrichtungen. Die Funktion dieser gesamtschwei-zerischen Institution wird sicher-gestellt durch eine sehr effizient arbeitende Durchführungsstelle, unterstützt durch einen periodisch tagenden Geschäftsleitenden Aus-schuss und einen umsichtig agierenden, aus Arbeitneh-mer- und Arbeitgeberseite paritätisch zusammengesetzten Stiftungsrat. Die berufliche Vorsorge als Ganzes hat inner-halb der eigenen Bestimmungen ein selbständiges Si-cherheitsnetz gespannt, welches sich in den vergangenen

25 Jahren Achtung und Durchsetzungskraft verschafft hat. Erwähnung findet diese Erfolgsgeschichte aber kaum in der Presse. Im Gegenteil, auffällig ist der zu beobach-tende Unterschied zwischen hochgehender Empörung der veröffentlichten Meinung bei Insolvenz einer Vorsor-geeinrichtung einerseits und der Gelassenheit der effek-tiv Betroffenen andererseits. Diese Gelassenheit basiert letztlich auf der Gewissheit, dass der Sicherheitsfonds Verluste von gesetzlichen Leistungen ersetzen wird. Im Weiteren strengt der Sicherheitsfonds Verantwortlichkeits-klagen an, um die von ihm geleisteten Summen von den Schadensverursachern zurückzuerhalten. Der Sicherheits-fonds schützt so die Interessen der ganzen Solidarge-meinschaft der Beitragszahler.

Insolvenzfälle, bei denen kriminelle Energie zu Ver-lusten führte, sind Ausnahmen geblieben. Bei der Mehr-heit der vom Sicherheitsfonds behandelten Insolvenzfälle besteht eine Verkettung mehrerer Ursachen; sei es eine zu riskante Anlagetätigkeit, ein zu spätes Eingreifen der

Vorsorgeverantwortlichen bei struk-turellen Problemen der Kasse, eine zu nachsichtige Vorgehensweise der Aufsichtsbehörden oder eine ungenaue Tätigkeit der Kontroll-stellen. In der Dynamik des Wirt-schaftskreislaufes stehen die Inte-ressen einer Pensionskasse zudem nicht an erster Stelle. Neue Firmen entstehen, alte gehen unter oder Firmenteile mit zugehöriger Beleg-schaft wechseln den Eigentümer, alles mit möglichen Folgen für die berufliche Vorsorge der Mitarbei-tenden. Am Schluss steht die Soli-

darität der an den Sicherheitsfonds zahlenden Vorsorge-einrichtungen für die Deckung eines im Vorsorgebereich entstandenen Verlustes ein.

Die ursprünglich angedachte Idee funktioniert. Der Staat trat dabei lediglich als Gründungshelfer, heute in

2002Januar, 1. Der Euro wird als Währung eingeführt.

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Aufsichtsfunktion und per Gesetz, künftig als möglicher Kreditgeber in Erscheinung.

Die Entwicklungsschritte seit der GründungDass der Sicherheitsfonds BVG eine Erfolgsgeschichte darstellt, zeigt sich auch darin, dass der Fonds im Laufe der vergangenen 25 Jahren immer wieder mit neuen, teils sehr gewichtigen Aufgaben betraut worden ist. Es kön-nen bisher sechs grössere Entwicklungsschritte festgehal-ten werden.

1. Ab dem 1. Januar 1997 werden Leistungen bis zum eineinhalbfachen oberen BVG-Grenzbetrag sicherge-stellt: eine Erhöhung um 50 % auf einen Schlag! Gleich-zeitig wurden die gesetzlichen Grundlagen für die Sicherstellung der Leistungen auf Stufe eines Versicher-tenkollektives geschaffen. Ab dem erwähnten Datum muss der Sicherheitsfonds zudem auch die Deckung des allgemeinen Defizits der Auffangeinrichtung über-nehmen. 2. Per 1. Mai 1999 fungiert der Sicherheitsfonds neu als Zentralstelle der 2. Säule. Ziel ist es hier, die vielen Tausend Anfragen bezüglich Verbleib einer Freizügig-keitsleistung mit den von den Vorsorgeeinrichtungen und Freizügigkeitseinrichtungen gemeldeten Konten zu verknüpfen. Mit anderen Worten soll dem Eigentü-mer zu seinem kontaktlosen und vergessenen Gutha-ben verholfen werden; eine Herkulesarbeit eingedenk der Tatsache, dass in der Schweiz Hunderttausende von Fremdarbeitern und Saisonniers beschäftigt wa-ren.3. Im Jahre 2000 wurde ein neues Beitragssystem ein-geführt, wobei nicht mehr nur die BVG-registrierten Kassen, sondern neu alle dem FZG unterstellten Ein-richtungen Beiträge zu entrichten haben. Es werden neu zwei getrennte Beiträge erhoben, wobei neben den koordinierten Löhnen neu auch die Austrittslei-stungen und die bereits laufenden Rentenleistungen Bemessungsgrundlage sind.4. Im Rahmen der ersten BVG Revision 2005 wird fest-gelegt, dass dem Sicherheitsfonds neu solche von FZL-Einrichtungen verwalteten Guthaben zu übertragen sind, die mehr als zehn Jahre nach dem ordentlichen Rücktrittsalter der berechtigten Person nicht bezogen worden sind. Der Sicherheitsfonds hat diese Guthaben zur Finanzierung der Zentralstelle der 2. Säule zu ver-wenden. Weiter erhält der Sicherheitsfonds die Pflicht, den AHV-Ausgleichskassen deren Kosten für die BVG-Anschlusskontrollen der Arbeitgeber zu entschädigen.5. Der Bundesrat unterzeichnet im Dezember 2006 mit Liechtenstein eine Vereinbarung über den Anschluss ihrer Vorsorgeeinrichtungen beim Sicherheitsfonds der Schweiz. Diese Vereinbarung wird im Jahr 2007 vom

Parlament in Bern genehmigt. Seit 2007 stellt also der Sicherheitsfonds der Schweiz die gesetzlichen und re-glementarischen Leistungen von zahlungsunfähig ge-wordenen Vorsorgeeinrichtungen unseres Nachbar-landes sicher.6. Seit dem 1. Juni 2007 ist der Sicherheitsfonds im Bereich der beruflichen Vorsorge die Verbindungsstelle zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der EFTA. Seit dem genannten Zeitpunkt ist die Abklärung der Sozialversicherungspflicht im Ausland als Voraussetzung zur Auszahlung von BVG-Guthaben aus beruflicher Vorsorge bei Ausreise in ein EU- oder EFTA-Land notwendig.

Die neuen HerausforderungenDer Sicherheitsfonds BVG steht vor grossen Herausforde-rungen. Nicht nur hat die jüngste Finanzkrise den Struk-turwandel im Wirtschaftsleben beschleunigt, sondern auch der schleichende demographische Wandel der Be-völkerung führt zu ganz neuen Fragestellungen. Wie muss beispielsweise eine reine Rentnerkasse ausfinan-ziert sein, damit sie nicht im Laufe der Zeit automatisch das Risiko einer erheblichen Unterdeckung und mögli-cherweise einer Zahlungsunfähigkeit läuft? Die Abtren-nung von Altersleistungsbezügern in eine separate Rentnerkasse ist nicht verboten; diese aber ohne Wert-schwankungsreserven und mit einem zu hohen tech-nischen Zinssatz auszugestalten ist demgegenüber abso-lut ungenügend. Auch eine solche Kasse muss Anlagerisiken eingehen können, da sie nicht nur den technischen Zins erarbeiten, sondern auch Gebühren der Aufsicht, Kosten der Verwaltung und Beiträge an den Si-cherheitsfonds tragen muss. Heute zahlen jährlich bereits über 300 reine Rentnerkassen Beiträge an den Sicher-heitsfonds; Tendenz steigend.

Neu wird auch in einem Vorentwurf im Bereich des Vorsorgeausgleichs bei Ehescheidung vorgeschlagen, dass alle Vorsorgeeinrichtungen verpflichtet werden sollen, ihren gesamten Versichertenbestand jährlich der Zentralstelle der 2. Säule zu melden. Damit solle es für Scheidungsrichter leichter sein, beim Vorsorgeausgleich alle einschlägigen Vermögenswerte (neu inkl. Deckungs-kapital laufender Renten) zu berücksichtigen.

Der Sicherheitsfonds BVG ist eine Solidargemeinschaft. Jede Vorsorgeeinrichtung und jeder aktiv Versicherte (via Verwaltungskostenbeitrag) zahlt einen Solidaritätsbeitrag. Auch wenn grosse öffentlich-rechtliche Kassen mit Staats-garantie ihre Beitragspflicht an den Sicherheitsfonds peri-odisch hinterfragen, braucht es die Solidarität der grossen Kassen, die ihrerseits kaum je in den Genuss von Zu-schüssen wegen ungünstiger Alterstruktur oder Leistungen bei Insolvenz kommen werden. Die Herausforderung be- ➔

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Dr. iur. Thomas Hohl, Mitglied des

Geschäftsleitenden Ausschusses des

Sicherheitsfonds BVG

steht in der periodisch zu leistenden Überzeugungsarbeit diesen gegenüber. Der Sicherheitsfonds, hier insbesonde-re die Mitarbeitenden der Durchführungsstelle, leisten mit der Schulung von Vorsorgeverantwortlichen, Vor-tragstätigkeit und der Pflege von guten Beziehungen zu involvierten Stellen und dem Bundesamt für Sozialversi-cherungen eine stete Sensibilisierungs- und Informations-arbeit.

Kommerziell ausgerichtete Kreise preisen bei Neugrün-dungen von Sammeleinrichtungen den Sicherheitsfonds

sogar als «Versicherung» an. Die berufliche Vorsorge als Ganzes hat sich aber als lernfähiges Gebilde erwiesen. Nach zweifelhaften Neugründungen von Sammeleinrich-tungen wurde Remedur geschaffen, indem die Anforde-rungen bei Neugründungen verschärft worden sind, um künftig Missbräuche zu verhindern. Ähnliches müsste noch bei den Freizügigkeitseinrichtungen geschehen, denn dies ist eines der wenigen Gebiete der beruflichen Vorsorge ausserhalb der Schutzwirkung des Sicherheits-fonds BVG geblieben. n

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

BVG

Bei der Einführung des BVG 1985 war die Welt noch in Ordnung. Die Bundesobligationen-Renditen lagen bei gut 6 % p.a. und der alles beherrschende BVG-Satz war auf 4 % festgelegt worden. Eine Pensionskasse konnte 100 % ihres Vermögens in CHF-Bundesobligationen inve-stieren und war fein raus. Eine wirklich miliztaugliche Sache.

25 Jahre später präsentiert sich die Ausgangslage einer Pensionskasse doch deutlich schwieriger. Die Bundesob-ligationen-Renditen liegen bei rund 2 %. Der BVG-Satz hat sich aufgespalten und ist variabel geworden. Je nach Anwendung liegt er nun zwischen 2 % (BVG-Minimal-verzinsung der Altersguthaben fürs Jahr 2010) und 3 – 4 % (technischer Zinssatz zur Bewertung der Rentenverpflich-tungen). Die Option, 100 % des Vermögens in CHF-Bundes-obligationen zu investieren, hat keine Pensionskasse mehr. Pensionskassen müssen Finanzrisiken tragen, um ihren langfristigen Leistungsversprechungen nachkommen zu können. Die Sache ist nicht mehr «ganz einfach».

Die skizzierte Entwicklung widerspiegelte sich auch in den Veränderungen der rechtlichen Vorgaben der BVV2. Zu Beginn ent- hielten die Bestimmungen vor allem Vorgaben, welche Anlagen zu wel-chen Prozentanteilen erlaubt sind. Als erstes wurden die Bandbreiten erweitert. Dann wurde die Möglich-keit geschaffen, von den Vorgaben abzuweichen, wenn man dies in-haltlich wirklich begründen konnte. Jetzt ist das Spektrum möglicher Anlagen breiter. Die Anlagestrategie muss jedoch nicht nur die Vorgaben einhalten, sondern gesamthaft be-gründet werden. Sie muss den Vor-sorgeleistungen und den Umständen der Pensionskasse angemessen sein. Je schwieriger die Aufgabe der Vermö-gensanlage wurde, desto mehr reifte somit die Einsicht, dass gesetzliche Vorgaben wohl keine einheitliche Lö-sung für alle präsentieren können. Die Eigenverantwor-

tung des paritätischen Führungsorgans wurde deutlicher ins Zentrum gerückt. Dies ist gut so.

Verlust der Miliztauglichkeit?Das paritätische Führungsorgan muss somit über das Ri-sikoniveau der Vorsorgeeinrichtung entscheiden. Dies bedeutet, es muss festlegen wie viel Risiko und welche Arten von Risiken die Pensionskasse eingehen soll. Risi-ko ist dabei die Wahrscheinlichkeit, die definierten Leistungsziele nicht erfüllen zu können. Die Arten der eingegangenen Risiken entscheiden darüber, unter wel-chen Umständen die Leistungsziele nicht erfüllt werden können. Ist die Pensionskasse bereit mehr Risiko zu tra-gen, so kann erwartet werden, dass ihre Leistungsver-sprechungen mit tieferen Beiträgen finanziert werden können. Entscheidungen über risikobehaftete Situationen sind nie einfach. Im Nachhinein stellen sie sich fast im-mer als nicht die besten heraus. Solche Entscheidungen treuhänderisch zu fällen, stellt hohe Ansprüche an das Führungsorgan sowie auch an die Kommunikation. Die

Entscheidungen müssen objektiv angemessen sein sowie der Risiko-neigung von Arbeitnehmer und -ge-ber entsprechen. Verliert hier das System die Miliztauglichkeit?

Alles in Butter?Ist die Lehre aus 25 Jahren BVG-Vermögensanlage, dass die Vermö-gensanlage mit Derivaten, Hedge Funds und Private Equities, mit Bubbles und Crashs sowie mit ho-hen Zielrenditen nicht mehr miliz-tauglich ist? Sollen die Anlagestrate-gien der Pensionskassen nur noch

von Experten verabschiedet werden? Ich bin klar der Meinung, dass dies nicht zu besseren Resultaten führen würde.

n Führungsorgane aus Nicht-Experten können und sol-len für die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen

Die Vermögensanlagen wurden in den letzten 25 Jahren viel komplexer, die Renditeanforderungen stiegen und die Anlageinstrumente wurden vielfältiger. Pensionskassen müssen deshalb ihren Vorteil als Risiko- gemeinschaft bewahren, professionell aufgestellt sein und ihre Führungs-organe brauchen gesunden Menschenverstand. Von Vera Kupper Staub

Die Quadratur des Kreises

2003Juli, 6., Roger Federer gewinnt in Wimbledon den ersten seiner bisher 16 Grand Slam-Titel.

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Dr. Vera Kupper Staub,

Stv. Vorsitzende der Geschäftsleitung

der Pensionskasse der Stadt Zürich

Experten beiziehen. Dann aber unterziehen sie deren Analysen mittels des gesunden Menschenverstands einem «reality check». Dies führt zu besseren Resul-taten, wenn die Nicht-Experten genügend selbstbewusst sind, um Expertenresultate kritisch zu hinterfragen.n Nur ein paritätisch zusammengesetztes Führungsor-gan kann die Risikoneigung von Arbeitnehmer und -geber annäherungsweise wiedergeben. Dieser not-wendige Entscheidungsinput kann nicht von Experten bezogen werden.

Dies sind die zwei Punkte, auf welchen die Stärke eines paritätischen aus Nicht-Experten zusammengesetzten Führungsorgans basiert. Somit alles in Butter?

Freie Pensionskassenwahl?Die Aufgabe der Vermögensanlage einer Pensionskasse ist über die letzten 25 Jahre schwieriger geworden. Si-cherheit existiert in der Vermögensanlage nicht. Die Pen-sionskasse kann sich nur zwischen mehr Risiko und Er-trag oder weniger Risiko und Ertrag entscheiden. Die Risiken werden in einer Pensionskasse gemeinsam getra-gen, durch alle Versicherten und alle angeschlossenen Arbeitgeber zusammen. Die Veränderungen der gesetz-lichen Bestimmungen bezüglich Sanierungen und Teilli-quidationen zeigen, dass mit der Zunahme des Anlageri-sikos klare Regeln für die Verlustzuteilung notwendig wurden und in Zukunft noch weiterentwickelt werden müssen. Wäre dies alles nicht viel einfacher mit einer freien Pensionskassenwahl?

Weiter wie bisher?Auf der Versicherungsseite der Pensionskassen ist der Trend hin zur Individualisierung der Leistungen sehr stark (z. B. Einführung von Todesfall-Kapitalien). Oft geht aber vergessen, dass durch die Auflösung einer

Versicherungssolidarität der Versicherungs-Mehrwert verloren geht. Die Versicherung wird gesamthaft teurer. Führen wir die freie Pensionskassewahl ein, so trägt je-der Versicherte das gesamte Anlagerisiko ganz individu-ell, wie auf seinem Bankdepot. Ein Versicherter, welcher das Pech gehabt hätte, sich per Ende 2008 pensionieren zu lassen, hätte die Verluste auf den Aktienmärkten voll tragen müssen. Sein um 10 bis 20 % reduziertes Gutha-ben wäre in eine entsprechend kleinere Rente umge-wandelt worden. In der Risikogemeinschaft «Pensions-kasse» passiert dies nicht, da das Anlagerisiko gemeinsam getragen wird. Dieses gemeinsame Tragen des Anlageri-sikos hat für jeden einzelnen Versicherten zwei Vor-teile:

n Die Variabilität der persönlichen Rente ist kleiner.n Der erwartete Vermögensertrag ist höher, da gemein-sam höhere Risiken eingegangen werden können.

Die individuelle Pensionskassenwahl würde uns zurück zu einer teureren Art der Altersvorsorge, nament-lich der Lebensversicherung, führen. Dann also weiter wie bisher?

Die Entscheidungen innerhalb der Vermögensanlage einer Pensionskasse haben innerhalb der letzten 25 Jahre deutlich an Komplexität hinzugewonnen. Die Renditean-forderungen sind relativ zu den Marktmöglichkeiten ge-stiegen. Das Spektrum der Anlageinstrumente ist vielfäl-tiger geworden. Pensionskassen sind gezwungen, Anlagerisiken zu tragen. Pensionskassen haben dabei keine schlechteren Karten als Banken oder Versiche-rungen. Sie müssen jedoch ihren kompetitiven Vorteil als Risikogemeinschaft bewahren, professionell aufgestellt sein und sicherstellen, dass die Führungsorgane gut in-formiert den gesunden Menschenverstand kritisch walten lassen. Los! n

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2004In Irland tritt das weltweit erste vom Staat erlassene Rauchverbot in Kraft.

Seit dem Inkrafttreten des Obligatoriums für die be-rufliche Vorsorge gelten die Bestimmungen über die paritätische Verwaltung. Es gilt der Grundsatz: Die Pensi-onskassenverwaltung hat paritätisch zu erfolgen – Arbeit-geber und Arbeitnehmer haben das Recht, in das oberste Organ der Vorsorgeeinrichtung die gleiche Zahl von Ver-tretern zu entsenden (Art. 51 Abs. 1 BVG). Im Rahmen der paritätischen Verwaltung sind namentlich zu regeln (Art. 51 Abs. 2 BVG):

n Die Wahl der Vertreter der Versichertenn Eine angemessene Vertretung der verschiedenen Arbeitnehmerkategorienn Die paritätische Vermögensverwaltungn Das Verfahren bei Stimmengleichheit

Bei einer betrieblichen Pensionskasse eines Arbeitgebers ist das oberste Organ der Stiftungsrat. Hat sich der Arbeit-geber zur Durchführung der betrieblichen Vorsorge einer Sammel- oder Gemeinschaftseinrichtung angeschlossen, so werden auf Betriebsebene die Belange der beruflichen Vorsorge durch eine so genannte «Personalvorsorgekom-mission» geregelt. Auch bei dieser Organisationsform ist der Stiftungsrat auf Ebene der Stiftung paritätisch zu be-setzen.

Seit dem Inkrafttreten des Obliga-toriums wurden die Aufgaben einer Vorsorgeeinrichtung laufend erwei-tert. Ihre Führung ist komplex und anspruchsvoll. In der Praxis haben oft Vertreter der Arbeitgeberseite eine aktivere Rolle eingenommen. Weiter ist zu beachten, dass alle an der Verwaltung Beteiligten für ihr Tun oder Nichttun eine Haftung übernehmen. Es ist deshalb wich-tig, dass alle involvierten Personen über eine fundierte und breite Aus-bildung verfügen. In Eigenverant-wortung haben viele Vorsorgeeinrichtungen deshalb bereits seit jeher Stiftungsratsmitglieder aus- und weiter-gebildet. Mit der 1. BVG Revision ist auf Antrag der nati-onalrätlichen Kommission der Grundsatz ins Gesetz auf-genommen worden, dass die Vorsorgeeinrichtung die

Erst- und Weiterbildung der Stiftungsratsmitglieder ge-währleisten muss. Art 51 Abs. 6 BVG: «Die Vorsorgeein-richtung hat die Erst- und Weiterbildung der Arbeitneh-mer- und Arbeitgebervertreter im obersten paritätischen Organ auf eine Weise zu gewährleisten, dass diese ihre Führungsaufgaben wahrnehmen können.»

Die Vorsorgeeinrichtung ist damit verpflichtet, ein Aus- und Weiterbildungsangebot anzubieten respektive den Zugang zu solchen Angeboten zu ermöglichen. Anfal-lende Kurskosten sind durch die Vorsorgeeinrichtung zu übernehmen. Eine Freistellung für die Kursteilnahme ist grundsätzlich zu bejahen. Im Vordergrund steht die Befä-higung, die anspruchsvolle Aufgabe pflichtbewusst wahr-nehmen zu können.

Qualitätssicherung Dass die Ausbildung der Stiftungsratsmitglieder eine wichtige Massnahme zur Sicherung der Qualität der be-ruflichen Vorsorge darstellt, wird nun auch in der Struk-turreform der beruflichen Vorsorge aufgenommen. Die Verantwortung für die Ausbildung wird neu geregelt. Das geltende Gesetz enthält keine explizite Aufzählung der

Aufgaben des obersten Organs. Die Pflichten richten sich immer an die Vorsorgeeinrichtung. Der Entschei-dungsspielraum und damit auch die Verantwortlichkeiten werden neu klar geregelt. Der Stiftungsrat ist für die Bestimmung der strategischen Ziele und die Grundsätze der Vor-sorgeeinrichtung verantwortlich. Dazu gehören das Finanzierungssy-stem, die Leistungsziele und die Leistungspläne sowie die Ziele und Grundsätze der Vermögensanlage. Das oberste Organ entscheidet über die Anlagetätigkeit aufgrund der Ri-

sikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung. Folgende zentrale Führungsaufgaben dürfen nicht delegiert, sondern müs-sen vom obersten Organ selbst wahrgenommen werden:

n Festlegung des Finanzierungssystemsn Festlegung von Leistungszielen und Vorsorgeplänen

Die Anforderungen an die Stiftungsräte sind hoch. Aus- und Weiter- bildung ist deshalb eine unabdingbare Voraussetzung, um die komplexen Aufgaben lösen zu können. Denn nur wer seinen Bildungsstand der Entwicklung anpasst, kann eigenverantwortlich handeln. Von Daniel Dürr

Die Ausbildung der Stiftungsräte

➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

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Daniel Dürr,

Geschäftsführer Pensionskasse

der technischen Verbände

sowie der Grundsätze für die Verwendung der freien Mitteln Erlass und Änderung von Reglementenn Genehmigung der Jahresrechnungn Festlegung der Höhe des technischen Zinssatzes und der übrigen technischen Grundlagenn Festlegung der Organisation der Vorsorgeeinrichtungn Ausgestaltung des Rechnungswesensn Sicherstellung der Information der Versichertenn Sicherstellung der Erstausbildung und Weiterbildung der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung betrauten Personenn Wahl und Abberufung des Experten für die beruf-liche Vorsorge und der Revisionsstellen Entscheide über die ganze oder teilweise Rückdeckung der Vorsorgeeinrichtung und über den allfälligen Rückversicherern Festlegung der Ziele und der Grundsätze der Vermögensverwaltung sowie der Durchführung und Überwachung des Anlageprozessesn Periodische Überprüfung der mittel- und langfristigen Übereinstimmung zwischen der Anlage des Vermögens und den Verpflichtungen der VorsorgeeinrichtungDas oberste Organ muss nicht alle Aufgaben in voller

Zusammensetzung selbständig ausführen. Die Vorberei-tung oder die Ausführung von Beschlüssen kann an ein-zelne Mitglieder oder an Ausschüsse delegiert werden. Verantwortlich für die Beschlussfassung und die damit zusammenhängenden haftungsrechtlichen Folgen bleibt in erster Linie das oberste Organ. Bei delegierten Aufga-ben ist das gesamte Gremium über den Stand zu infor-mieren. Insbesondere bei der Übertragung von Geschäf-ten an Dritte sind die allgemein geltenden Sorgfaltspflichten zu beachten. Bei der Auswahl der beauftragten Personen oder Institutionen muss das oberste Organ sowohl die Ausbildung und Erfahrung und die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit überprüfen. Die Beauf-tragten sind zu instruieren und die Überwachung ist si-cherzustellen.

Braucht es ein Universalgenie?Es stellt sich die Frage, ob jeder Arbeitnehmer- und Ar-beitgebervertreter im Stiftungsrat ein ausgebildeter Be-triebswirt, Ökonom, Börsen- und Finanzspezialist, Jurist, Versicherungsexperte, Manager, Kommunikationsspezia-list und Personalchef sein muss. Dies dürfte wohl kaum die Idee sein. Dieses Universalgenie gibt es in der Praxis

wohl kaum und braucht es auch nicht. Zur Ausübung des Amtes eines Stiftungsrates genügen in der Regel ein ge-sunder Menschenverstand, der Mut, Fragen zu stellen und unverständliche Angaben (fachspezifische Ausdrü-cke) zu hinterfragen. Grundsätzlich gilt: Es sollte nur den Entscheiden zugestimmt werden, die auch verstanden werden.

Die Anforderungen an die Vertreter im obersten Organ bleiben trotzdem hoch. Es stellt sich die Frage, wer die Fachausbildung übernimmt. Eine generelle Übersicht über Aus- und Weiterbildungsangebote im Bereich der beruflichen Vorsorge besteht nicht. Dementsprechend besteht auch keine Qualifikation bestehender Angebote. Eine Grundausbildung wird durch die Fachschule für Personalvorsorge (Verwaltungsfachmann/-frau mit eidg. Fachausweis und eidg. dipl. Pensionskassenleiter/in) an-geboten. Die Fachschule, die Schweizer Personalvorsor-ge sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen bieten heute Grundkurse für Stiftungsräte an. Viele, vor allem grössere Vorsorgeeinrichtungen, schulen die Stif-tungsratsmitglieder in internen Kursen. Eintägige Infor-mationsveranstaltungen werden vom ASIP, von den Auf-sichtsbehörden und der Fachzeitschrift AWP angeboten. Hinzu kommen zahlreiche Seminare von Banken und weiteren Anbietern von Dienstleistungen im Bereich der beruflichen Vorsorge. Hier besteht teilweise die Gefahr, dass Produkte oder Verkaufsgespräche im Vordergrund stehen.

Eine Umfrage unter Führungsorganen von Vorsorgeein-richtungen im Jahr 2008 hat ergeben, dass das Ausbil-dungsangebot grundsätzlich als genügend eingeschätzt wird. Vermisst wird eine gewisse Systematik in der Struk-tur der Ausbildung.

Beim Pensionskassenverband ASIP ist die Aus- und Weiterbildung ein wichtiger Bestandteil des Dienstlei-stungsangebots. Der ASIP führt mehrmals jährlich Weiter-bildungsveranstaltungen für Führungsorgane und Mitar-beitende von Vorsorgeeinrichtungen an. Zu wichtigen Themen der beruflichen Vorsorge erscheinen regelmässig Fachmitteilungen. Bei Spezialfragen kann auch direkt die Geschäftsstelle angefragt werden.

Die Aus- und Weiterbildung im Bereich der beruflichen Vorsorge ist eine unabdingbare Voraussetzung um die komplexen Fragen beantworten und die gestellten Aufgaben lösen zu können. Nur wer seinen Kenntnis- und Bildungsstand der stetigen Entwicklung der beruf-lichen Vorsorge anpasst, kann eigenverantwortlich handeln. Verantwortungsbewusste Führungsorgane ga-rantieren eine funktionierende berufliche Vorsorge. n

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2005April, 2. Papst Johannes Paul II. stirbt

Das Bild ist nicht neu, aber immer noch passend: Wäre die Zweite Säule ein Bauwerk im architektonischen Sinne, wäre dies für das Auge des Betrachters eine ziem-lich verwirrende Angelegenheit, mit Einfügungen, An- und Nebenbauten, Verstrebungen – und mit einem per-manenten Baugerüst.

Dennoch hat sich diese Zweite Säule als ausgespro-chen tragfähig erwiesen; die «Statik» des Bauwerks ist demnach einwandfrei. Für das Gesamtsystem der sozi-alen Sicherheit in der Schweiz ist die berufliche Vorsorge als zentraler Stützpfeiler unverzichtbar geworden. Ande-rerseits führt die Intransparenz, die sich aus dem immer dichter werdenden gesetzlichen und verordnungsrecht-lichen Regelwerk, der Heterogenität der massgebenden rechtlichen Grundlagen und einer nicht immer optimalen Informationspolitik der Vorsorge-Akteure ergibt, zu Ver-unsicherung und einem gewissen Misstrauen. Nicht von ungefähr machte die Mär vom «Rentenklau» unlängst wie-der die Runde.

Dieser Verunsicherung entgegenzuwirken, den vorsor-geversicherten Menschen eine zu-frieden stellende Dienstleistung zu erbringen und dabei allgemein das Wissen um die berufliche Vorsorge zu erweitern, dazu sind primär die Pensionskassen und der ASIP als Fachverband aufgerufen. Aber auch an die Adresse der Politik richtet sich das Postulat, der vielbeklagten Komplexität der Materie nicht durch permanentes Drehen an der Ge-setzgebungsschraube weiter Vor-schub zu leisten.

Rechtsentwicklung als Risikofaktor?

In der beruflichen Vorsorge scheint sich nämlich der Wandel der rechtlichen Gegebenheiten seit der Einfüh-rung des Obligatoriums und der seitdem stetig zuneh-menden Regulierung auch der exzedenten Vorsorgebe-

reiche besonders rasch zu vollziehen. Je ausgeprägter aber die positiv-rechtliche Durchdringung, desto höher der (punktuelle) Anpassungs- respektive Revisionsbedarf und umso rascher der Wandel – ein Teufelskreis. Hinzu kommt, dass Rechtsentwicklung selten als kontinuier-licher Prozess verläuft; sie erscheint vielmehr, zumindest aus dem Blickwinkel der Rechtsanwender bzw. -unter-worfenen, mitunter als erratisch. Manche der Verände-rungen und Verwerfungen, durch die die Vorsorgeland-schaft seit Inkrafttreten des BVG geprägt wurde, dürfen durchaus als erdbebenhaft bezeichnet werden.

Denken wir nur an das Freizügigkeitsgesetz, welches vor fünfzehn Jahren tief in die Finanzierungsgrundlagen der Kassen eingriff und damit indirekt den Trend zum Beitragsprimat wesentlich verstärkte, oder an die zeit-gleich in Kraft getretene schweizerische Singularität der Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge. Oder erinnern wir uns an die Einführung der systemwidrigen – inzwischen revidierten – Einkaufs- beschränkungen im Zuge des so genannten «Stabilisie-

rungsprogramms 1998», mit denen die Erlangung des vollen re-glementarischen Vorsorgeschutzes in gewissen Fällen schlechterdings vereitelt und das Diktum «Hard cases make bad law» einmal mehr bestätigt wurde.

Ebenfalls nicht zu vergessen ist die sachlich verfehlte Einführung einer Umsatzabgabe auf Wert-schriftentransaktionen und die da-mit einhergehende fiskalpolitische «Beförderung» inländischer Vorsor-geträger in den Status von Effekten-händlern.

Durch die Scheidungsrechtsrevision wurde vor zehn Jahren ein eigentlicher «Versorgungsausgleich» eingeführt. Anders als nach früherem Recht, wo die Übertragung von Vorsorgemitteln stets nur auf der Grundlage bestehender Unterhaltsansprüche erfolgen konnte und insofern ledig-

Angesichts der selbst in Fachkreisen kritisierten «Verkomplizierung» der Rechtsmaterie scheint der Zeitpunkt gekommen, über eine grundlegende Vereinfachung des Systems ebenso vertieft wie laut nachzudenken. Erste Ansätze dazu wie das im Frühjahr 2007 lancierte Projekt «Neues BVG» des ASIP sind erkennbar. Von Markus Moser

Baustelle Rechtsentwicklung

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Dr. iur. Markus Moser,

Geschäftsführer Pensionskasse Novartis

lich eine neue Finanzierungsmodalität eröffnet worden war, stellt das neurechtliche Institut einen eigenständigen, verschuldensunabhängigen Rechtsanspruch zwischen Güterrecht und nachehelichem Unterhalt dar, wonach die während der Ehedauer erworbenen Austrittslei-stungen von Gesetzes wegen hälftig zu teilen sind.

Das neue Scheidungsrecht brachte zugleich eine deut-lich verstärkte Mitwirkung der Vorsorge- bzw. Freizügig-keitseinrichtungen bereits im Vorfeld der Scheidung mit sich: Während die Höhe der rechnerischen Austrittslei-stung im Zeitpunkt des Eheschlusses bereits nach früherem Recht festzuhalten und bei Stellenwechsel der neu zuständigen Einrichtung mitzuteilen war (Art.2 FZV; in Art.24 Abs.2 FZG neu auf Gesetzesstufe geregelt), sa-hen sich die Vorsorgeträger nun auch bei der Ermittlung des während der Ehe gebildeten Vorsorgeguthabens im Vorfeld der Scheidung formell einbezogen. Kommt eine genehmigungsfähige Einigung über die Teilung nicht zu-stande (Art.141 ZGB), erlangt die Vorsorgeeinrichtung sodann – neben den geschiedenen Ehegatten – Partei-stellung in dem sich an das Scheidungsverfahren an-schliessenden sozialversicherungsrechtlichen Prozess (Art.142 ZGB; 25a FZG).

Verglichen mit den Teilrevisionen früherer Jahre, war die Bewältigung der in drei Regulierungswellen über die Vorsorgewelt hereingebrochenen sog. 1. BVG-Revision für die mit der Umsetzung befassten Einrichtungen bei-nahe schon «business as usual».

Judikatur als KatalysatorBisweilen lag das Epizentrum erdbebenhafter Verände-rungen nicht in Bern, sondern in der schönen Leuchten-stadt Luzern. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die bekannten EVG-Entscheide 116 V 189 (zur Koordina-tion mit Leistungen eines Trägers der obligatorischen Un-fallversicherung beziehungsweise der Militärversiche-rung) und 118 V 35 (zur haftungsverlängernden Wirkung der Versicherungsklausel des Art.23 BVG) und die da-durch bewirkten tief greifenden Änderungen und neuen Anwendungsfragen, welche in einer umfangreichen Fol-gerechtsprechung zu klären waren.

Insbesondere um Art.23 BVG ist über die Jahre ein kasuistisch-dogmatischer Knoten sprichwörtlich gor-dischen Ausmasses geknüpft worden, den der Gesetzge-ber sich anschickte, im Rahmen der 1. BVG-Revision zu durchtrennen, dann aber «kapitulierte» und es bei punk-tuellen Eingriffen bewenden liess. Immerhin wurde die Benachteiligung frühinvalider Menschen, die mit einer seit Jugendzeit vorbestehenden Beeinträchtigung der Ar-

beits- bzw. Erwerbsfähigkeit ins Erwerbsleben einsteigen, wenn nicht beseitigt, so doch gemildert.

Denkwürdig, wenngleich nur noch von anekdotischem Interesse, ist die vorübergehende Konfusion um die tem-poräre Ausgestaltung umhüllender Invalidenrenten, die mit einem veritablen Canossa-Gang des EVG endete (BGE 127 V 259; 130 V 369 ff.).

Praktikabilitätsansätze vorhanden …Wie wir uns erinnern, war man mitunter sogar «pragma-tischer», als der Gesetzgeber erlauben wollte. So war in den Anfangszeiten des BVG die Koordination gesetzlicher Vorsorgeleistungen mit jenen eines Trägers der obligato-rischen Unfallversicherung bzw. der Militärversicherung zunächst verordnungsrechtlich – und ausgesprochen «pragmatisch» – im Sinne des Prinzips der strikten Subsidi-arität geregelt worden. Danach waren die Vorsorgeeinrich-tungen legitimiert, ihre Leistungspflicht schlechterdings «wegzubedingen», sofern ein Leistungsanspruch nach UVG respektive MVG bestand. Erst mit dem vorerwähnten, wegleitenden Urteil BGE 116 V 189 ff. wurde diese Praxis als im Obligatoriumsbereich gesetzwidrig disqualifiziert. Im Sinne einer abgeschwächten Subsidiarität hatten die Vorsorgeeinrichtungen fortan die obligatorischen Invalidi-tätsleistungen in den Schranken von Art.24 BVV2 bis zur Höhe von 90 % des «mutmasslich entgangenen Verdienstes» auszurichten. Seit Anfang 2005 können sie, entsprechende Reglementierung vorausgesetzt, nicht nur das tatsächlich erzielte, sondern auch das «zumutbarerweise noch erziel-bare Erwerbseinkommen» in die Kürzungsberechnung ein-beziehen (vgl. BGE 134 V 64 ff.).

… aber kaum konsequent verfolgt Summa summarum kann man nicht umhin festzustellen, dass die zunehmende Regulierungsdichte im Recht der beruflichen Vorsorge dessen korrekte Umsetzung und ordnungsgemässe Anwendung nicht gerade vereinfacht hat. Zwar sind Ansätze zu «praktikablen» Vorgaben und Lösungen (auch) in der Rechtsetzung durchaus vorhan-den. Angesichts der selbst in Fachkreisen kritisierten «Ver-komplizierung» der Materie scheint jedoch der Zeitpunkt gekommen, über eine grundlegende Vereinfachung des Systems ebenso vertieft wie laut nachzudenken. Erste An-sätze dazu sind erkennbar – das im Frühjahr 2007 lan-cierte Projekt «Neues BVG» des Pensionskassenverbandes ASIP ist ein gutes Beispiel dafür; doch sind solche Bestre-bungen derzeit noch weit davon entfernt, als politisches Postulat auf-, geschweige denn als programmatisches Prinzip ernst genommen zu werden. n

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2006Februar, 14., Die UBS weist für 2005 mit 14 Mia. Franken den Rekord-gewinn ihrer Geschichte aus.

Die enge Verbindung zwischen Arbeitgeber und Zweiter Säule kann zunächst historischen Tatsachen zugeschrieben werden: Zu Beginn der Zweiten Säule standen die Arbeitgeber, die aus freien Stücken Solidari-tätseinrichtungen ins Leben riefen und auf diese Weise das zentrale Gerüst des aktuellen Systems schufen. Von Anfang an prägten sie in starkem Masse den pragma-tischen Ansatz, der fernab von einem staatlich organisier-ten System oder von Sozial- und Privatversicherungen sui generis gewählt wurde.

Gewiss war man unter den Arbeitgebern manchmal ge-teilter Meinung darüber, was die Zweite Säule im Hin-blick auf die Gesetzgebung und die Vorsorgeeinrich-tungen hätte sein sollen, und auch heute ist man sich darüber nicht immer einig. Trotzdem haben die Arbeitge-ber der Zweiten Säule gewissermassen ihre Form verlie-hen und in Momenten, in denen Dinge in Frage gestellt werden, wirft man das, zu dessen Erschaffung man bei-getragen hat, nicht einfach über Bord.

Arbeit und Sozialverantwortung

Es ist zu betonen, dass die Arbeitge-ber das Verhältnis zu den Arbeit-nehmern immer schon in einem weiteren Rahmen als lediglich im Zusammenhang mit dem Lohn be-trachtet haben. Ein leistungsfähiges Unternehmen kann sich nicht damit zufrieden geben, für die Schaffung eines kompetitiven Arbeitsrahmens einzig das Lohnargument geltend zu machen, so sehr dies in schwie-rigen Zeiten auch richtig scheinen mag.

In diesem Zusammenhang liess die Zweite Säule – ge-nau wie die Gestaltung der Arbeitsplatzes, die umwelt-schonenden Transporte oder die mit dem Familienleben zu vereinbarenden Arbeitszeiten – bereits zu Beginn eine

gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmer erken-nen. Zwar ist die Zweite Säule in der Schweiz obligato-risch, intelligenterweise wurde jedoch ein Mindestrah-men eingeführt, der den Arbeitgebern einen beträchtlichen Handlungsspielraum lässt – sowohl in Bezug auf die Übernahme der Beiträge als auch in Bezug auf die Versi-cherungsleistungen. Dieser Handlungsspielraum wird von zahlreichen Arbeitgebern ausgeschöpft. Die Zweite Säule ist somit nicht nur ein hilfreiches Instrument zur Anwerbung von Mitarbeitern, sondern auch ein Werk-zeug zur Vermittlung der Philosophie und der Werte des Unternehmens.

Bedauerlicherweise wird dieser Punkt von den Arbeit-gebern nicht immer in den Vordergrund gestellt und von den Arbeitnehmern zu wenig in Betracht gezogen, ob-wohl es sich hierbei um einen Aspekt handelt, der bei der Entstehung einer Vertragsbeziehung unbedingt in Be-tracht gezogen werden sollte. Eine gute berufliche Vor-sorge ist nicht nur eine Garantie für den Arbeitnehmer,

sie ist auch ein Wettbewerbsfaktor für das Unternehmen auf einem Ar-beitsmarkt, der durch einen immer härteren Kampf um qualifizierte Ar-beitnehmer gekennzeichnet ist.

Ein institutionalisierter Dialog Die Zweite Säule ist auch ein Bei-spiel für einen institutionalisierten Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Hinblick auf eine gemeinsame Thematik: die finanzi-ellen Ressourcen beider Seiten. Die paritätische Funktionsweise der

Vorsorgestiftung ist von grundlegender Bedeutung für die Sicherung der Einkommen der heutigen und zukünftigen Rentner.

Die gemeinsame Betrachtung der Aktiv- und Passivpo-sten in der Bilanz ist einer der besten Wege für die Mit-

Die Beziehung des Arbeitgebers zur Zweiten Säule ist eng. Dies hat mit der vom Gesetzgeber für ihn vorgesehenen Rolle zu tun – mit der Mit-gliedschaft seiner Arbeitnehmer, mit seiner Pflicht zur Finanzierung und mit seinem wichtigen Platz in der Struktur der Vorsorgeeinrichtung. Von Blaise Matthey

Zweite Säule und Arbeitgeber

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glieder eines Stiftungsrates, sich der Realität des Marktes und des demografischen Wandels zu stellen und darüber zu diskutieren. Das gemeinsame Wissen ist hierbei ein Vorteil, da sich bei Schwierigkeiten niemand hinter seiner Unkenntnis der Sachverhalte verschanzen kann. Dieses Wissen ist auch Ausdruck hoher Transparenzanforde-rungen und einer soliden Verwaltung der Vermögensan-lagen und erweist sich als ausgezeichneter Schutz vor den Bestrebungen derjenigen, welche die Zweite Säule schwächen oder gar abschaffen wollen.

Ganz allgemein konfrontiert die paritätische Verwal-tung, die manche als Schreckgespenst darstellen, die Beteiligten mit der Realität des Unternehmens und der Märkte. Sie fördert das Verständnis der Gesamtzusam-menhänge in der Wirtschaft und bringt dem Bürger das Wirtschaftssystem näher.

Ungewissheit über die Form

Es ist selten, dass sich Arbeitgeber für die vollständige Aufhebung der Zweiten Säule zugunsten einer Erweite-rung der Ersten Säule oder der privaten Vorsorge aus-sprechen. Tatsächlich fällt es schwer, den Sinn einer sol-chen Aufhebung zu erkennen, wo doch der mit der Zweiten Säule verbundene soziale Dialog regelmässig als einer der Schlüsselfaktoren der wirtschaftlichen Wettbe-werbsfähigkeit des Landes beschrieben wird. Die ange-messenste Form, welche die berufliche Vorsorge anneh-men sollte, sowie die zur Sicherung ihres Fortbestehens zu ergreifenden Schutzmassnahmen jedoch stehen regel-mässig im Zentrum lebhafter Debatten. So haben bei-spielsweise die Probleme der Unterdeckung sowie der Umsetzung der internationalen Rechnungslegungs-normen Fragen zur Zweckmässigkeit der engen Verbin-dung der Zweiten Säule mit dem Unternehmen ausge-löst.

Einige Arbeitgeber haben sich für eine klarere Tren-nung zwischen dem Unternehmen und der Pensionskas-se des Unternehmens ausgesprochen, da in ihren Augen Flexibilität und Leistung für die Versicherungsnehmer al-lein auf diese Weise sichergestellt werden können. Vor dem Hintergrund individueller Bestrebungen sowie der Börsenbewertung wurde das aktuelle Modell, bei dem das Unternehmen im Zentrum steht, in Frage gestellt, ohne dass jedoch die anderen in Betracht gezogenen Formen gegenüber dem bestehenden Modell eine reelle Chance gehabt hätten.

Die Entwicklung hin zu individuelleren Lösungen wür-de die Rolle des Arbeitgebers im Hinblick auf die Vorsor-ge verändern. Dies entspricht nicht den Wünschen einer Mehrheit der Arbeitgeber. Eine Abstufung bei den Verbin-dungen zwischen Arbeitgeber und Pensionskasse besteht

jedoch aufgrund der vielfältigen Bedürfnisse, die erfüllt werden müssen.

Unterschiedliche LösungenVon den drei im Augenblick zur Verfügung stehenden Modellen (firmeneigene Stiftung, Gemeinschaftsstiftung und Sammelstiftung) steht die firmeneigene Stiftung dem Unternehmen am nächsten. Sie ist Ausdruck einer engen Verbindung zwischen Arbeitsbeziehung und sozialer Ab-sicherung. Die Zusammenlegung von Ressourcen ermög-licht sowohl innerhalb des Unternehmens als auch inner-halb der Pensionskasse eine bessere Nutzung von Kompetenzen sowie eine Senkung der Verwaltungsko-sten. Die firmeneigene Stiftung schafft eine Nähe zwi-schen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern, da sie ausschliesslich Personen aufnimmt, die im Unternehmen tätig sind.

Dieses Modell entspricht der ursprünglichen Ausrich-tung der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung, die auf dem Unternehmen und den indirekten Vorteilen beruht, die das Unternehmen seinen Mitarbeitern bietet. Es ist daher kaum verwunderlich, dass viele Grossunternehmen dieses Modell wählen und dass diese Vorsorgeeinrich-tungen oft Leistungen bieten, die über die gesetzlichen Mindestleistungen hinausgehen.

Nimmt man die Grösse als Kriterium, so ist dieses Mo-dell für KMUs offensichtlich weniger geeignet. Diese nut-zen für ihre Vorsorgebedürfnisse Gemeinschafts- und Sammelstiftungen. Doch auch hier ist Flexibilität kein Ding der Unmöglichkeit. Die KMU können zwischen ei-ner ganzen Reihe unterschiedlicher Pläne wählen und gegebenenfalls über die vom Gesetz oder vom Gesamtar-beitsvertrag (GAV) vorgeschriebenen Mindestbeträge hinausgehen. Auf diese Weise haben auch sie die Mög-lichkeit, die Leistungen aus der beruflichen Vorsorge als Wettbewerbsvorteil einzusetzen. Die Sozialpartner kön-nen in einzelnen Sektoren selbst Verbesserungen ausar-beiten, wie dies im Bauwesen mit der Einführung der vorgezogenen Rente geschah. Das Wichtigste ist im Grun-de genommen, dass die Gesetzgebung verschiedene Ar-ten der Altersvorsorge zulässt, die den verschiedenen Arten von Unternehmen in der Schweiz entsprechen und die kollektiven und individuellen Bestrebungen der Ar-beitgeber berücksichtigen. Notwendig ist auch, dass die gewählte Form übermässige Kosten für Arbeitgeber und Versicherte vermeidet, was dann der Fall ist, wenn Aufga-ben gemeinsam angegangen werden – sei dies durch das Unternehmen und die Stiftung oder sei dies durch die Gesamtheit aller bei einer Pensionskasse versicherten Ar-beitgeber.

Manchmal schüren Arbeitgeber Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Komplexität des BVG. In ge- ➔

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Blaise Matthey,

Generaldirektor FER Genf

wisser Hinsicht liegt diese Komplexität im BVG selbst, zumal es zahlreiche Experten (Aktuare, Finanzanalyti-ker, Kassiere usw.) vorsieht. Damit die Zweite Säule für die Arbeitgeber weiterhin attraktiv bleibt, müssen die Zahlen und Fakten in aller Offenheit erklärt und zugänglich gemacht werden – zu diesem Zweck sind entsprechende Fähigkeiten zu nutzen. Die technolo-

gische Entwicklung macht dies möglich, obwohl hinter der geschaffenen Einfachheit immer mehr Komplexität und Investitionen stecken. In den 25 Jahren seines Be-stehens hat sich das BVG verändert, doch es hat uns erlaubt, den Bedürfnissen der Arbeitgeber im Bereich der Vorsorge gerecht zu werden, was eine der grund-legendsten Aufgaben war. n

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2007März Dem wärmsten Winter aller Zeiten folgt in der Schweiz einer der wärmsten Frühlinge aller Zeiten.

Man hört in der Schweiz oft, das Schweizer Vorsor-gesystem funktioniere gut und es sei im weltweiten Ver-gleich eines der besten. Eine vor Kurzem durchgeführte Studie der Consultingfirma Mercer hat laut der Schweizer Tageszeitung «Le Temps» vom 25. Februar1 das internatio-nale Ansehen des Schweizer Vorsorgesystems tatsächlich bestätigt. In dieser Studie belegt die Schweiz vor Ländern wie den Niederlanden, Australien, Schweden, Kanada und dem Vereinigten Königreich den ersten Rang bei den Vorsorgesystemen. In Bezug auf die Vorsorgeleistungen wird die Schweiz nur von den Niederlanden übertroffen, bei der Finanzierung des Systems befindet sich die Schweiz dagegen vor den Niederlanden. Die Mischform zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfah-ren trägt bedeutend zum Erfolg des Schweizer Modells bei.

Es wäre jedoch etwas überstürzt, daraus zu schliessen, dass kaum ein anderes Land so erfolgreich ist wie wir und dass wir über ein perfektes System verfügen. Anzu-nehmen, die Schweiz könne sich nun auf ihren Lorbee-ren ausruhen, wäre falsch: Zum ei-nen hat die erwähnte Studie nämlich auch ergeben, dass die Schweiz bei den Rahmenbedingungen, zu de-nen Mercer Aspekte wie Lenkungs-strukturen, Transparenz und Regle-mentierung zählt, lediglich den sechsten Platz einnimmt. Zum an-deren ist die aktuelle Situation nur eine Momentaufnahme. Des Wei-teren gibt es in der Schweiz seit jeher vereinzelte ältere Bevölke-rungsgruppen, die finanziell nicht genügend abgesichert sind.

Wie in anderen Sektoren − oder gar noch mehr als in anderen Sektoren − sind Errungen-schaften im Sozialversicherungsbereich nie definitiv. Was heute als gegeben gilt, kann morgen wieder in Frage ge-stellt werden. Die Bildung eines Sparvermögens erfolgt unter bekannten Umständen − seine Verteilung hingegen

findet in der Zukunft statt und ist manchmal bedeutenden unvorhersehbaren Konjunkturentwicklungen ausgesetzt. Hierzu ist beispielsweise das amerikanische System 401K zu erwähnen, in dem die Ereignisse aus dem Jahre 2008 effektiv zu einer beträchtlichen Verringerung des verfüg-baren Kapitals eines Rentnerjahrgangs führten.

Anlagepolitik im AuslandEs ist interessant, sich die Frage zu stellen, warum die Schweiz im Bereich der sozialen Sicherheit so gut ab-schneidet? Fest steht, dass sich das Land in diesem Be-reich als offen, erfinderisch und pragmatisch erwiesen hat. Die Schaffung der AHV am Ende des Zweiten Welt-krieges im Jahre 1948 war ein Schlüsselelement, auf das sich 35 Jahre später unser System der beruflichen Vorsor-ge abstützte, dessen 25. Jubiläum wir heute feiern. Im Jahre 1985 begann eine neue Ära, in deren Verlauf sich die berufliche Vorsorge sowie das Drei-Säulen-Konzept entwickelt haben.

Gemäss dem Bild von der Schweiz sollte die Zweite Säule offen sein. Seit ihrer Einset-zung kann ein Teil des Vermögens im Ausland angelegt werden. Es stimmt, dass der Schweizer Markt im Bereich der Kapitalanlagen zu eng ist. Eine Öffnung gegenüber dem Ausland ist daher natürlich und für eine ausgewogene Anlage-politik unerlässlich. Ungefähr ein Viertel des BVG-Vermögens wird im Ausland angelegt − Anleihen ausländischer Emittenten in der Schweiz sowie durch die Vorsorge-einrichtungen getätigte Investiti-onen in Schweizer Weltkonzerne,

deren Aktivität im Ausland manchmal bis zu 90 % ausma-chen, sind dabei nicht einberechnet. Man hört in der Schweiz häufig, dass jeder zweite Franken im Ausland verdient werde. Bei der Bildung des Vorsorgevermögens verhält es sich nicht anders.

Unser Vorsorgesystem kann sich nicht von den Entwicklungen im Ausland abkapseln, ohne dass das Anlagevermögen der Zweiten Säule und die Vorreiterrolle, die das Schweizer System im Vorsorgebereich einnimmt, beeinträchtigt werden. Von Christian Cuénoud

Unter internationalem Einfluss

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Wenn man ausserdem auf internationaler Ebene das Wachstum von Vorsorgefonds vergleicht, stellt man auch hier fest, dass die Schweiz den ersten Platz belegt. Das Vorsorgevermögen machte im Jahre 1990 56 % des BSP aus, während es im Jahre 2006 123 %2 des BSP betrug. Es handelt sich hierbei nicht nur um den relativ stärksten Anstieg bei den Vorsorgevermögen sämtlicher OECD-Länder im Laufe der letzten 16 Jahre, sondern auch um das höchste Niveau von Ersparnissen, die mit der Vorsor-ge verbunden sind; vergleichbar ist es lediglich mit jenem der Niederlande. Es handelt sich hier um wichtige struk-turelle Veränderungen, denn ein sehr grosser Teil der Rentenfinanzierungsmittel für die Einwohner der Schweiz ist nicht allein von den in der Schweiz gebildeten Vermö-gen abhängig, sondern auch von den Ersparnissen von in der Schweiz wohnhaften Personen, die im Ausland gebil-det und anlegt wurden.

Wie man sehen kann, ist das Schweizer System der Vorsorgeeinrichtungen stark vom Ausland abhängig. Die-se Abhängigkeit ist dem System inhärent und entspricht der Tendenz zur Globalisierung der Märkte und des Finanzsektors. Die Schweiz wird daher mehr und mehr allen internationalen Strömungen ausgesetzt sein; ihre Widerstandskraft und ihr Handlungsspielraum gegenüber der Aussenwelt werden immer begrenzter. Die Frage des Bankgeheimnisses, die Migrationsströme, die Kapitalfrei-zügigkeit sowie die EU-Richtlinien, etwa im Zusammen-hang mit den Einrichtungen der betrieblichen Altersver-sorgung3 (EbAV), erhalten eine grundlegende Bedeutung. Hierbei ist interessant, dass dieser internationale Einfluss im Bereich der Zweiten Säule in der Schweiz noch nie umfassend untersucht, geschweige denn auf politischer Ebene koordiniert angegangen wurde.

Ausnahmefall SchweizAngesichts dieser Situation haben sich mehr und mehr auf das Schweizer Modell abgestimmte Lösungen aufge-drängt. Dies gilt beispielsweise für die Normen der Rech-nungslegung, wobei die Swiss GAAP FER 26 die anzu-wendende Norm ist. Unter Berücksichtigung etwa der Zersplitterung des schweizerischen Systems ist es beach-tenswert, dass die Fachempfehlung selbst (im Gegensatz zu den internationalen Rechnungslegungsstandards) kei-ne bindenden aktuariellen Bestimmungen enthält. Des Weiteren lässt die Swiss GAAP sowohl die statische als auch die dynamische Methode für die Berechnung der Vorsorgekapitalien und der technischen Rückstellungen zu. Die Schweiz hat daher keine gemeinsamen realis-tischen und nicht politisch gesteuerten aktuariellen Grundlagen.

Der Ausnahmefall Schweiz kommt auch bei der Trans-parenz der Buchhaltung von Vorsorgeeinrichtungen zum

Ausdruck. Es ist offensichtlich, dass der Ausweis der Ko-sten für die Verwaltung beweglicher und unbeweglicher Güter sowie der Administrativkosten nicht den rigorosen, durch die internationalen Rechnungslegungsnormen (IAS19) festgelegten Kriterien entsprechen. Auf europä-ischer Ebene greift das Fehlen einer freien Übertragung von Austrittsleistungen zwischen den schweizerischen und den europäischen Vorsorgeeinrichtungen die Freizü-gigkeit für Arbeitnehmer in ihren Grundfesten an. Die neulich erfolgte Einschränkung der Möglichkeit einer Barauszahlung der Austrittsleistung aufgrund des Abkom-mens über die Personenfreizügigkeit stellt ein weiteres Beispiel dar für das Abhängigkeitsverhältnis zwischen unserem System und dem Ausland (in diesem Falle der Europäischen Union).

Schliesslich kommt der Sonderfall Schweiz auch beim Projekt eines einheitlichen europäischen Marktes für Fi-nanzdienstleistungen zum Ausdruck. Die Möglichkeit zur Schaffung von Einrichtungen der betrieblichen Altersver-sorgung (EbAV) kommt in der Schweiz nicht zur Anwen-dung. Die Schweiz hätte ohne jeden Zweifel einen Trumpf in der Hand, wenn sie die Gelegenheit, bei die-sem Projekt mitzutun, ergreifen würde. Denn unser Land verfügt über weitreichende Erfahrungen im Vorsorgebe-reich (verschiedene Rentenpläne, Mehrsprachigkeit, Er-fahrung im Anlagebereich, Offenheit, etc.). Das Schwei-zer Vorsorgesystem ist eines der besten der Welt, und die Schweiz sollte daher die sich ihr bietende Chance nutzen, um ihre Leistungen im Bereich der EbAV und der damit verbundenen Dienstleistungen anzubieten. Der direkte Zugang zum europaweiten Markt ist jedoch noch nicht erreicht, und die aktuelle Position der Schweiz, etwa im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis, ist dieser Art Initiative nicht förderlich. Es besteht kein Zweifel, dass die EbAV den Bürgern der EU bedeutende Vorteile brin-gen (Zusammenlegung des Vermögens, geteilte Verwal-tungskosten und Risiken). Falls es sich bestätigen sollte, dass die Schweiz sich nicht an diesem Projekt beteiligt, bedeutet dies eine verpasste Chance, was sich für die Schweiz nachteilig auswirken kann.

Die Spitzenposition haltenZusammengefasst kann gesagt werden, dass die Um-wandlung des gebildeten Vorsorgekapitals in einen mo-natlichen Rentenfluss effizient zu erfolgen hat: zu mög-lichst geringen Kosten und so sicher wie möglich. In dieser Hinsicht kann die Schweiz als gutes Beispiel vo-rangehen, denn es ist ihr gelungen, im Bereich der beruf-lichen Vorsorge eine Spitzenposition einzunehmen und dabei den Kollektivcharakter der Anlagen sowie Solidari-tätsbeziehungen aufrechtzuerhalten, die für die Zukunft der Vorsorge von grundlegender Bedeutung sind. Ein ➔

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BVGChristian Cuénoud,

Direktor Pensionskasse CERN

paar Mängel bleiben jedoch bestehen; internationale Ver-gleiche ermöglichen die Identifizierung von Bereichen, in denen Verbesserungen möglich sind. Im Hinblick auf technische Zinssätze, aktuarielle Grundlagen und Solva-bilitätstests sind die bestehenden Abweichungen unter den schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen noch zu gross. Was die Kosten und die Transparenz betrifft, kann das System zweifellos verbessert werden. Wenn man sich an internationalen Standards messen will, sollte im Be-reich der Lenkungsstrukturen das für die heutigen Vor-sorgeeinrichtungen charakteristische Milizsystem im Hin-blick auf eine stärkere Professionalisierung überprüft werden. Zumindest wäre es wichtig, dass sich die Len-kungsorgane der Vorsorgeeinrichtungen vermehrt Fragen zu Risiken, Anlageansätzen, neuen Finanztechniken so-

wie zu Instrumenten zur Kontrolle der Anlagepolitik stel-len. Fest steht, dass sich das Schweizer Vorsorgesystem nicht von der Aussenwelt abkapseln kann, ohne dass das Anlagevermögen der Zweiten Säule und die Vorreiterrol-le, die das Schweizer System im Vorsorgebereich ein-nimmt, beeinträchtigt werden. n

1 Melbourne Mercer Global Pension Index, in den die Schweiz auf

Antrag der Neuen Zürcher Zeitung neben elf als bedeutend einge-

stuften Ländern Europas, Asiens sowie Süd- und Nordamerikas

aufgenommen wurde.2 Quelle: Group of Ten (2005) and OECD (Global Pension Statistics).

Die Zahlen für das Jahr 2006 sind Schätzungen.3 Englisch: IORP (Institution for Occupational Retirement Provision)

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BVG

2008September, 15., Die Lehman-Brothers sind insolvent.

Die GeburtDas Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlas-senen- und Invalidenvorsorge feiert seinen 25. Geburts-tag! Vor 25 Jahren kam es zur Welt, empfangen wurde es jedoch bereits im Jahre 1972 bei der Abstimmung über das Drei-Säulen-Prinzip, das heute eindeutig in der Bun-desverfassung verankert ist.

Zehn Jahre der Vorbereitung zwischen der initialen Abstimmung und der Geburt eines Gesetzes waren nö-tig. Erinnern wir uns aber daran, dass es während der Schwangerschaft beinahe zu einem Abbruch gekommen wäre, als der Ständerat eine erste, vom Nationalrat erar-beitete Gesetzesvorlage über das Leistungsprimat bach-ab schickte. In der Folge erarbeitete die Bundesver-sammlung jedoch das, was im Jahre 1982 das BVG werden sollte: Ein deutlich anderes Konzept, bei dem sich damals alle einig waren, es handle sich um das Beitragsprimat. Nach rund drei weiteren Jahren der Be-ratungen über die Umsetzungsverordung wurde das BVG schliesslich aus der Taufe ge-hoben.

Das Kind kam gesund zur Welt und erfüllte im Grossen und Ganzen die in es gesetzten Erwar-tungen: Ein Rahmengesetz, das die bestehenden Altersvorsorge-einrichtungen, von denen einige damals bereits über 50 Jahre alt waren, respektierte; ein System, das auf einer Milizverwaltung auf-gebaut war, die ihrerseits die De-zentralisierung des Systems ga-rantierte; ein Gesetz zwar, aber ein Gesetz, dessen Hüter die Sozi-alpartner selbst waren; ein wirtschaftlich tragbares Unterfangen, das die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft nicht in zu starkem Masse ein-schränkte und somit einen unleugbaren sozialen Fort-schritt darstellte.

Die JugendEin Kind mit einer vielversprechenden Zukunft: Es ge-nügte, ihm etwas Spielraum zu geben, damit es sich ent-falten konnte. Doch wie viele gute Feen kümmerten sich im Laufe der Jahre um das heranwachsende Kind! Sie waren bestrebt, seine Ausbildung sicherzustellen, es auf Perfektion zu drillen und ihre eigenen Träume in ihm zu verwirklichen. Wie zu befürchten war, hatte dies sowohl positive als auch negative Auswirkungen!

In den Bereich der positiven Auswirkungen gehört si-cherlich das Freizügigkeitsgesetz (FZG) − eine natürliche Verlängerung des BVG, das die Polemik über die volle Freizügigkeit auf wundersame Weise und endgültig ver-stummen liess. Es erlebte aber auch mit, wie das BVG seinen Einfluss strukturell hin zu einer überobligato-rischen Vorsorge ausweitete. In den Bereich der nega-tiven Auswirkungen gehört vermutlich die Wohneigen-tumsförderung, die nicht nur eine äusserst komplexe administrative Struktur aufweist, sondern auch eine Ver-

mischung der Funktionen nach sich zieht und einen Teil der beruflichen Vorsorge Tag für Tag seinen ur-sprünglichen Zwecken entfremdet.

Es folgte eine Zeit des Durch- einanders, die geprägt war von zahlreichen Änderungen in den Verordnungen, Richtlinien der Auf-sichtsbehörden, Gerichtsurteilen, schweizerischen und internationa-len Normen der Rechnungslegung, sachkundigen Empfehlungen, Ver-haltenskodices usw.

So hat das BVG mit viel Flickar-beit, Ausbesserungen und gutem

Willen allmählich doch das Erwachsenenalter erreicht. Dabei folgte es dem Naturgesetz der Entropie, das be-sagt, dass sich jedes organisierte System unaufhaltsam auf einen Zustand des Chaos zubewegt: Es wurde in ein Kor-sett gezwängt, erhielt nur wenig Bewegungsfreiheit und

Am 25. Geburtstag des BVG müssen wir auch darüber nachdenken, welche Form der Vorsorge unsere Nachfahren einst benötigen werden − in einer Gesellschaft, die sich in den letzten 25 Jahren vielleicht stärker verändert hat als im ganzen Jahrhundert davor? Von Daniel Thomann

Wie kann es weitergehen?

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A S I P

Hanspeter Konrad

Direktor ASIP

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war nicht mehr in der Lage, sich neu zu erfinden und den Tanz der Dynamik und der Kreativität mit offenen Armen zu empfangen.

Das ErwachsenenalterIm Jahre 2010 erreichte das BVG das Erwachsenenalter − ein Alter, in dem man wichtige, richtungsgebende Ent-scheidungen trifft, in dem man den elterlichen Hafen ver-lässt und sich auf die Meere des Lebens hinauswagt. Viel-leicht ist es für die Eltern und die gutmeinenden Patinnen und Paten nun an der Zeit, Bilanz zu ziehen und einiges infrage zu stellen.

Die Debatte über den Umwandlungssatz, der auf nati-onaler Ebene dem unfehlbaren Urteil des Stimmvolkes unterworfen wird, kommt vielleicht gerade zur rechten Zeit − wie ein Katalysator, der es ermöglicht, eine Reihe von möglicherweise angebrachten Fragen aufzuwerfen und zu überdenken. Die versicherungstechnischen Methoden und das Recht mögen zwar manchmal hilfreiche Antworten liefern, doch wäre es wichtig, sich zuerst einmal darauf zu einigen, was denn überhaupt die tatsächlich wichtigen Fragen sind! Im Folgenden werden die aktuellen Fragen zum verfassungsmässig verankerten Drei-Säulen-Prinzip aufgelistet, vermutlich wären es noch einige mehr:

n Soll das BVG als uneheliches Kind der Politik und der wirtschaftlichen Macht mehr zu dem von ersterer geerbten Charakter als Sozialversicherung tendieren oder sollen – umgekehrt − eher die von letzterer ge-erbten Gene zum Ausdruck kommen, so dass sich das BVG strikt an die Marktregeln hält, selbst wenn diese wild und ungezügelt sind oder gar von der Wirtschaft selbst mit Füssen getreten wurden?n Will man das ursprüngliche Beitragsprimat so beibe-halten, wie es nach dem Tauziehen zwischen den bei-den Parlamenten im Jahre 1982 geschaffen wurde, oder will man der Versuchung von Garantien nachge-ben, die mehr dem Leistungsprimat entsprechen, bei-spielsweise der Garantie des Umwandlungssatzes, den das Volk im Anschluss an eine mehr ideologisch, denn faktisch geprägte Debatte gewählt hat? n Ist man gewillt, das System weniger komplex zu ge-stalten und – falls es nicht schon zu spät ist – endlich von diesem ungezügelten Kurs hin zu mehr Perfekti-on abzukommen, zumal dabei ja doch nur wieder neue Widersprüche geschaffen werden und der Sinn der ursprünglichen Vorlage verloren geht?n Und will man sich der Dynamik der europäischen Pensionskassen anschliessen, anstatt zuzusehen, wie der Zug ohne uns abfährt, so dass wir eines Tages feststellen müssen, dass die Kompetenzzentren, ein-

schliesslich des institutionellen Kapitals und der sich daraus ergebenden Arbeitsplätze, anderswo geschaf-fen wurden?

Ein Blick in die ZukunftAm 25. Geburtstag des BVG sollte es erlaubt sein, etwas von der Zukunft zu träumen. Angenommen, wir könnten uns alle für einen kurzen Augenblick von unseren gei-stigen Beschränkungen befreien, müssten wir dann nicht darüber nachdenken, welche Form der Vorsorge unsere Nachfahren benötigen werden − in einer Gesellschaft, die sich in den letzten 25 Jahren vielleicht stärker verän-dert hat als im ganzen Jahrhundert davor?

n Auflösung der Grenzen: Wir leben in einer immer stärker dezentralisierten Gesellschaft, die vernetzt ist und in der die Grenzen von Zeit und Ort verschwimmen, weil jeder virtuell stets zur gleichen Zeit überall ist, am Arbeits-platz und bei sich zu Hause, selbstständig und angestellt, angestellt und in Rente, angestellt bei zahlreichen Arbeit-gebern, gleichzeitig mit unterschiedlichen Aufgaben be-schäftigt! Für wie lange kann in einem derartigen Umfeld eine klare Unterscheidung zwischen Angestellten, Selbst-ständigen, Rentnern und Kombinationen dieser Gruppen aufrecht erhalten werden? n Unaufhaltbare Beschleunigung: Wir leben in einer Gesellschaft, die sich an der Geschwindigkeit be-rauscht, in der ein Ereignis das nächste jagt und die für diesen Geschwindigkeitswahn Übersichtlichkeit, Qualität und gründliche Überlegungen über Bord wirft. Man denke nur an die Informationsberge, die sich jeden Tag auf unseren Tischen stapeln; ein kur-zer Blick darauf genügt, und schon sind sie wieder vergessen, unkontrolliert und unkontrollierbar! Wie kann man in einem solchen Umfeld eine Zweite Säule glaubwürdig machen, die auf die Realitäten des letz-ten Jahrzehnts, ja sogar des letzten Vierteljahrhunderts ausgerichtet ist, wo doch die Generationen schon heute daran zweifeln, dass sie eines Tages von den Sozialleistungen, an die sie einen finanziellen Beitrag leisten, profitieren können? n Humanwissenschaften: Die Demographie beweist uns, dass wir altern; die Soziologie spricht von der Explosion der Kernfamilie; Studien zu den Geburten-zahlen belegen, dass wir eine Gesellschaft von Einzel-kindern schaffen; die Psychologie sagt uns, dass all das nicht besser und nicht schlechter ist als die alten Modelle, sie bereitet uns auf eine Gesellschaft vor, die sich ohne Zweifel deutlich von derjenigen unterschei-det, die uns vertraut war! Dies sind Fakten, und es ist unwahrscheinlich, dass sich dieser Trend in Zukunft wendet. Wie kann da vermieden werden, dass die ➔

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Daniel Thomann,

Pensionskassen-Experte

Hewitt Associates SA

Zweite Säule, die auf dem Konzept der Kernfamilie beruht, immer weniger dem Gesellschaftsmodell ent-spricht, auf das wir zusteuern? n Marktwirtschaft: Die Marktwirtschaft ist vermut-lich die Grundlage schlechthin für unseren Wohlstand, die Beschäftigung und die Löhne. Infolgedessen ge-neriert sie die Beträge, die zur Finanzierung des BVG aufgewendet werden. Sie ist auch die Triebfeder der Kapitalbildung, wie sie im Rahmen der Zweiten Säule praktiziert wird. Zugleich aber muss man auch aner-kennen, dass sie in der jüngsten Krise, die die Märkte durchgeschüttelt hat, von ihrer Pracht verloren hat. Es ist, als ob sie nach dem Fall der Mauer einen Wider-stand verloren hätte, der sie zur Vernunft brachte. Be-freit von diesem Geländer kam es mit der Zeit zu den schlimmsten Auswüchsen. Mittlerweile scheinen sich die Wellen natürlich wieder geglättet zu haben. Aber wie kann man das Vertrauen der Versicherten und der Bürger wieder herstellen? Wie kann man sie davon überzeugen, dass das Kapital und die Renditen trotz

allem weiterhin eine solide Grundlage für die materi-elle Sicherheit ihres Lebensabends bleiben?

Für die Dauer eines AugenblicksNur Fragen für heute! Und wie viele Fragen erst für mor-gen! Natürlich haben wir uns vom BVG entfernt, indem wir über all die Dinge nachgedacht haben, die uns bewe-gen. Wo sollen wir beginnen? Und wie sollen wir die Dinge angehen? Keine Reglemente mehr erlassen, son-dern – im Gegenteil − den Rahmen sprengen? Es bräuchte Mut, es bräuchte sogar Kühnheit und damit Beherztheit, wie Edmond Rostand gesagt hätte, der Beherztheit in sei-nem «Cyrano de Bergerac» folgendermassen definiert:

«Beherztheit, das ist nicht Grösse, sondern etwas, das über Grösse hinausgeht. Beherztheit, das ist der Geist der Tapferkeit. Spassen im Angesicht der Gefahr, das ist der Gipfel der Höflichkeit, eine sanfte Weigerung, das Tra-gische an sich zu sehen. Beherztheit ist die Keuschheit des Heldenmuts, wie ein Lächeln, mit dem man sich da-für entschuldigt, bewundernswert zu sein.» n

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➔ Als Jubiläumsbeilage eine CD! 25 Texte zur Entwicklung der beruflichen Vorsorge

BVG

2009Januar, 21., Barack Obama wird als 44. Präsident der USA vereidigt.

In den letzten 25 Jahren wurde das Umfeld der Pen-sionskassen in rasantem Ausmass dynamischer, komple-xer und unberechenbarer. Wir bewegen uns in einem Umfeld, das von zahlreichen Akteuren und zum Teil auch gegensätzlichen Interessen geprägt ist. In diesem Spannungsfeld von Gesetzgeber, wirtschaftlicher Ent-wicklung und Medien spielt die Kommunikation eine zentrale Rolle. Es geht um das Image der 2. Säule, einer freiheitlichen und dezentralen 2. Säule. Zunehmend ge-fordert sind die einzelnen Pensionskassen als Dienst-leistungsunternehmen gegenüber ihren Versicherten, aber auch der ASIP. Es geht um das Image der einzelnen Kasse sowie der 2. Säule als Ganzes. Professionalität in der Kommunikation, Lösungskompetenz in Sachfragen und Qualität bei den Dienstleistungen sichern langfristig Erfolg und Einfluss und leisten einen Beitrag zur Vertrau-ensbildung.

Eine zunehmende Verpolitisierung und Medialisierung prägen heute die berufliche Vorsorge. Zudem ist eine enorme Beschleunigung festzustellen: Vieles soll innert kurzer Frist maximiert werden. Dieses Kurzzeitdenken ruft Verunsi-cherung hervor. Das «Diktat der kurzen Frist» ist ein Vertrauenskiller. Vertrauen braucht Zeit und Geduld, Vertrauen verliert man schnell und baut es nur langsam wieder auf. Diese Entwicklung widerspricht der Grundidee der beruflichen Vor-sorge. Die Vorsorgebranche strebt langfristige Sicherung an, unterstrei-cht die Bedeutung nachhaltiger Lö-sungen für eine sichere Zukunft. Besonders wichtig ist das Verhältnis zwischen den Versicherten und den Führungsorganen, welche eine treuhänderische Aufgabe im Interesse der Versicherten wahrzunehmen haben. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird durch die Einhaltung der Sorgfalts-, Treue- und Informationspflicht geprägt (vgl. diesbezüglich ASIP-Charta unter www.asip.ch). Es

braucht das Vertrauen in jene, die an den Schalthebeln der Pensionskassen sitzen. Ein Missbehagen gegenüber der Art und Weise, wie das Pensionskassenvermögen der Versicherten verwaltet wird, schadet der beruflichen Vor-sorge. Die verantwortlichen Akteure der Pensionskassen sind deshalb gefordert, alles zu vermeiden, was zu einem Missbehagen führen könnte. Die hohen Vermögenswerte, welche die Pensionskassen verwalten, rufen zwingend nach effizienten Führungsstrukturen, Transparenz und insbesondere Kommunikation mit den Versicherten so-wie wirksamen Kontrollen. Hierfür muss der Stiftungsrat einer Pensionskasse geeignete organisatorische Massnah-men treffen. Die grundsätzliche Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen und reglementarischen Be-stimmungen liegt beim obersten Organ, dem Stiftungsrat der Pensionskasse. Er wird dabei von der Revisionsstelle und nicht selten von externen Experten unterstützt. Im Übrigen sind die Stiftungsräte verpflichtet, sich aus- und weiterzubilden.

Der Gesetzgeber sollte sich vermehrt von diesen Über-legungen leiten lassen und sich auf die Schaffung von günstigen Rah-menbedingungen und Mindest-normen für die berufliche Vorsorge konzentrieren. Bezüglich Kommu-nikation finden sich im BVG zu Recht nur die Grundlagen. Es ist Aufgabe der Stiftungsräte als ober-ste Führungsorgane, für ihre Pensi-onskasse ein Kommunikationskon-zept zu beschliessen.

Im Rahmen der 1. BVG-Revision wurde erstmals ein grundsätzlicher Informationsanspruch der Versi-cherten im Gesetz verankert (Art.

86b BVG; in Kraft seit 1.4.2004 bzw. 1.1.2005). In der im Frühjahr 2010 vom Parlament verabschiedeten Vorlage «Strukturreform in der beruflichen Vorsorge» werden die Kernaufgaben des obersten Organs festgehalten. In einem neuen Artikel 51a BVG wird in Abs. 2 als Aufgabe des

In einem rasant wechselnden und komplexen Umfeld mit zum Teil gegensätzlichen Interessen braucht es das Vertrauen in jene, die an den Schalthebeln der Pensionskassen sitzen – dabei spielt auch die transparente Kommunikation eine entscheidende Rolle. Von Hanspeter Konrad

Kommunikation schafft Vertrauen

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A S I P S c h w e i z e r i s c h e r P e n s i o n s k a s s e n v e r b a n d B e i l a g e J a h r e s b e r i c h t 2 0 0 9

Hanspeter Konrad,

Direktor ASIP

Führungsorgans u. a. die Sicherstellung der Information der Versicherten verankert.

Kommunikation als Hebel zur Vertrauensbildung

Im Sinne dieser Erwägungen dient die Kommunikation als Hebel zur Vertrauensbildung, zur Schaffung von Si-cherheit. Kommunikation muss immer ein zielgerichte-ter und wechselseitiger Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Akteuren sein. Kommunikation ist also immer interaktiv und inhaltlich relevant: Wort und Tat sind entscheidend! Vor diesem Hintergrund ist auch das Credo der Kommunikationsbranche des 20. Jahrhunderts «Kommunikation ist alles» zu relativie-ren. Dieses Credo führt häufig dazu, dass bei der Lö-sung von Problemen nicht immer der wirkungsvollste Ansatz gewählt wird. Für den, der «Kommunikation ist alles» denkt, scheint jedes Problem durch Kommunikati-onsinstrumente lösbar zu sein. Dies führt dann dazu, dass man meint, Wort und Tat könnten auseinanderklaf-fen: Alles ist Kommunikation – aber Kommunikation ist nicht alles!

Aufgabe für Verband und KassenWas bedeutet das für die berufliche Vorsorge, zunächst dargestellt aus Verbandsoptik und anschliessend aus Sicht der einzelnen Pensionskassen. Vor dem Hintergrund des sich stetig ändernden Umfeldes ist der ASIP gezwungen, mittels einer professionellen und effizienten Organisation innovative Strategien zu verfolgen und wirksame Instru-mente einzusetzen. Aufgrund der Erfahrungen und des Knowhows ist der ASIP geeigneter Ansprechpartner der Politik für praxistaugliche Lösungen komplexer Pro-bleme. Es gilt daher:

n Verlässlichkeit und Sicherheit der beruflichen Vorsorge aufzuzeigen,n die finanzökonomische und sozialpolitische Verantwortung wahrzunehmen,n klarzustellen, dass Pensionskassen Non Profit Organisationen sind, anders als gewinnorientierte Versicherungen und Bankenn das bestehende 3-Säulensystem mit seiner Selbstbestimmung gegenüber staatlicher Regulierung und Fremdbestimmung zu stärken.

Gerade der aktuelle Abstimmungskampf um den Min-destumwandlungssatz hat gezeigt, dass diesbezüglich viele Missverständnisse weit verbreitet sind und viele Menschen die komplexen Zusammenhänge nicht nach-vollziehen können. Diese Wahrnehmung muss ernst ge-

nommen werden. Der ASIP hat mit seiner Informations-kampagne www.mit-uns-fuer-uns.ch einen ersten Schritt getan. Die gestarteten Aufklärungsinitiativen sind weiter-zuführen.

Ein Dauerauftrag für die Verantwortlichen

Wie erwähnt, erfolgt die Kommunikation auf mehreren Ebenen und in verschiedenen Phasen. Die Pensionskas-sen selbst müssen ins Boot geholt werden: Kommunikati-on darf kein Luxusgut sein! Es geht letztlich darum, Ent-scheidungsträgern in Pensionskassen aufzuzeigen, wie gesetzgeberische, politische oder gesellschaftliche Ent-wicklungen in einen Zusammenhang mit der Pensionskas-sen-Kommunikation zu bringen sind und weshalb das notwendig ist. Wer die vielfältigen Interessen im Umfeld der beruflichen Vorsorge und die Hintergründe von gesell-schaftlichen oder politischen Abläufen nicht kennt, nimmt die Dinge möglicherweise falsch wahr und läuft Gefahr, auf bestimmte Entwicklungen falsch zu reagieren.

Die Pensionskassen-Verantwortlichen sind zu aktiver Kommunikation mit ihren Versicherten aufzufordern. Die Kommunikationsverantwortung des Führungsorgans er-gibt sich aus der Verpflichtung zur Gewährleistung der Vorsorgesicherheit. Mit den Transparenzvorschriften der ersten BVG-Revision wurden gesetzlichen Mindeststan-dards vorgegeben (vgl. Art. 65a Abs. 3 und Art. 86b BVG). Jede Vorsorgeeinrichtung sollte aber ein auf die eigene Situation abgestimmtes Kommunikationskonzept (Zweck, Grundlagen und Inhalt) entwickeln, welches den spezi-fischen Bedürfnissen unter Beachtung einer Kosten-Nut-zenanalyse Rechnung trägt. Wegleitend müssen dabei sein:

n Engagement für Fairness, Transparenz und langfristiges Denken,n Verteidigung der Interessen der Versicherten, n Weiterentwicklung der sozialpartnerschaftlich geführten, zweiten Säule,n Politisches Engagement,n Aus- und Weiterbildung,n Einfache Darstellung komplexer Zusammenhänge sowien Engagement für Corporate Governance als Selbstverständnis.

Wegleitend für die Tätigkeit soll das Motto von Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827, Schweizer Pädagoge und Sozialreformer) sein: «Vertrauen schenken ist eine uner-schöpfliche Kapitalanlage.» Richtig verstandene Kommu-nikation leistet dazu einen wesentlichen Beitrag. n

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A s s o c i a t i o n S u i s s e d e s I n s t i t u t i o n s d e P r é v o y a n c e A n n e x e a u r a p p o r t a n n u e l 2 0 0 9

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