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9lcuc <;3iird)cr «Seitling WOCHENENDE 255/65 Samstag/Sonntag, 30./31. Oktober 1976 Nr. 255 65 Torf bedeckt den grüssten Ted der Acusscren Hebriden und Shetlands. Die Bauern, Pächter fast alle, haben seit der Wikingerzeit das Recht, auf dem gemeinschaftlich genutzten Weideland Torf zu stechen. Sie tun dies anfangs Juni, lassen die Plaggen zum Trocknen an Ort und Stelle und führen sie sechs bis acht Wochen später heim, hier auf der Hebrideninsel Lewis. Sie benützen den Brennstoff zum Heizen und Kochen, Fischfang, Harris Tweed und (talstationen Inseln am Oel III Kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft, kaum zur Selbstversor- gung ausreichend, ergänzt durch Fischfang und WollsloffHerstel- liing, war bis vor zwei Jahren kennzeichnend füi Shetland und die Aeusseren Hebriden, aber nicht für Orkney, dessen Grund- moränendcckc fruchtbarer ist als das Hochmoor der andern In- seln. Jetzt bringt das Nordseeöl den Shetländern und Orkadiem neue Einkünfte grössere, als sie vorläufig zu verdauen wissen. Auf den Aeusseren Hebriden dagegen ist die Subsistenzwirt- Voii Roger Bernheim (Text) und Fred Mayor ( Aul nalinei- schaft weiterhin die Regel. Doch auch dort beginnt die Ölindu- strie sich spürbar zu machen, kaum schon als Wirtschaftsfaktor, aber als Aussicht auf künftige Erwerbsquellen: man vermutet, dass sich westlich von Schottland, unter dem Atlantik, ebenfalls Oellager befinden. Schafe gibt es auf den schottischen Inseln, genau wie auf dem schottischen Festland, seit undenkbarer Zeit. Ebcnsolang wird dort schon Wolle gewoben. Ursprünglich war das Tuch nur für den Eigenbedarf bestimmt. Im ausgehenden Mittelalter be- gann man. Ueberschüsse davon gegen andere Waren auszu- tauschen, später als Teil des Pachtzinses abzugeben. Frühzeitig war das mehrfarbige Wolltuch üblich, gestreifte oder karierte Muster, wie sie noch heute schottische Stoffe charakterisieren. Die einstmals hier ansässigen Kelten schrieben jeder Gesell- schaftsschicht eine bestimmte Zahl von Farben für ihre Kleider vor: Die Diener trugen einfarbiges Tuch, die Bauern zweifarbiges, Bau der Pipeline -iir Oelstation auf Shetland 150 bis ~>;00 Kilometer östlich, und nordöstlich von Orkney und Shetland liegen einige der reichhaltigsten Oelfeldcr der Nordsee. An den Bohrstellen ist die See manchmal so Hämisch, dass die Oeltanker dort nicht anlegen konnten. Deswegen baut man auf Orkney und Shetland je ein e Relaisstation und wird das Oel über eine Pipeline dorthin fuhren und dort auf die Tanker verladen. Neue Zürcher Zeitung vom 30.10.1976

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9lcuc <;3iird)cr «Seitling WOCHENENDE255/65

Samstag/Sonntag, 30./31. Oktober 1976 Nr. 255 65

Torf bedeckt den grüssten Ted der Acusscren Hebriden und Shetlands. Die Bauern, Pächter fast alle, haben seit der Wikingerzeit das Recht, auf dem gemeinschaftlich genutzten Weideland Torf zu stechen. Sie tun diesanfangs Juni, lassen die Plaggen zum Trocknen an Ort und Stelle und führen sie sechs bis acht Wochen später heim, hier auf der Hebrideninsel Lewis. Sie benützen den Brennstoff zum Heizen und Kochen,

Fischfang, Harris Tweed und (talstationenInseln am Oel III

Kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft, kaum zur Selbstversor-gung ausreichend, ergänzt durch Fischfang und WollsloffHerstel-liing, war bis vor zwei Jahren kennzeichnend füi Shetland unddie Aeusseren Hebriden, aber nicht für Orkney, dessen Grund-moränendcckc fruchtbarer ist als das Hochmoor der andern In-seln. Jetzt bringt das Nordseeöl den Shetländern und Orkadiemneue Einkünfte grössere, als sie vorläufig zu verdauen wissen.

Auf den Aeusseren Hebriden dagegen ist die Subsistenzwirt-

Voii Roger Bernheim (Text) und Fred Mayor ( Aul nalinei-

schaft weiterhin die Regel. Doch auch dort beginnt die Ölindu-strie sich spürbar zu machen, kaum schon als Wirtschaftsfaktor,

aber als Aussicht auf künftige Erwerbsquellen: man vermutet,

dass sich westlich von Schottland, unter dem Atlantik, ebenfallsOellager befinden.

Schafe gibt es auf den schottischen Inseln, genau wie aufdem schottischen Festland, seit undenkbarer Zeit. Ebcnsolang

wird dort schon Wolle gewoben. Ursprünglich war das Tuch nur

für den Eigenbedarf bestimmt. Im ausgehenden Mittelalter be-gann man. Ueberschüsse davon gegen andere Waren auszu-tauschen, später als Teil des Pachtzinses abzugeben. Frühzeitig

war das mehrfarbige Wolltuch üblich, gestreifte oder karierteMuster, wie sie noch heute schottische Stoffe charakterisieren.Die einstmals hier ansässigen Kelten schrieben jeder Gesell-schaftsschicht eine bestimmte Zahl von Farben für ihre Kleidervor: Die Diener trugen einfarbiges Tuch, die Bauern zweifarbiges,

Bau der Pipeline -iir Oelstation auf Shetland 150 bis ~>;00 Kilometer östlich, und nordöstlich von Orkney und Shetland liegen einige der reichhaltigsten Oelfeldcr der Nordsee. An den Bohrstellen ist die See manchmal

so Hämisch, dass die Oeltanker dort nicht anlegen konnten. Deswegen baut man auf Orkney und Shetland je e i ne Relaisstation und wird das Oel über eine Pipeline dorthin fuhren und dort auf die Tanker verladen.

Neue Zürcher Zeitung vom 30.10.1976

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Zur Schur versammelte Schafe auf der Insel Barra. Das Weideland wird gemeinschaftlich genutzt.

Heimarbeiter auf der Insel Lewis und Harris weben auf Trittnebstiihlcn den Harris Tweed. Der Webstuhl gehört ihnen und steht meistens ineinem Schuppen neben dem Haus. In der Regel hat der Weber auch ein paar eigene Schafe, vielleicht in Pacht einen Acker.

Schafschur auf Shetland.

die Offiziere dreifarbiges, die Zahl vier war aus unbekanntenGründen niemandem zubcstimnit, fünffarbigen Stoff trugen dieHäuptlinge, sechsfarbigen die Dichter und siebent arbigen dieKönige und Königinnen. Im 16. und 17. Jahrhundert herrschtein*den Farbmustern die braune Farbe vor, damit im Heidelanddas Tuch den Träger tarne. Mit d er Zeit bürgerte es sich ein,

aber keinesfalls als feste Regel, dass bestimmte Farbmuster dieKleidung bestimmter Sippen oder bestimmter Regionen kenn-zeichneten. Durchwegs gültig war das nicht: Man sieht aufälteren und jüngeren Familienbildnissen Angehörige der gleichenSippe in Farbmustern verschiedener «clans» gekleidet.

Eine besondere Art schottischen Wollgewebes ist der Tweed,

ein dauerhafter Kleiderstoff, der sich rauh anfühlt. Er wird mitStreichgarn gewoben, gesponnen aus d er relativ groben Wolledes schwarzköpfigen Schafs (Heidschnucke), des Crossbrced-und des Cheviotschafs. Die beiden Gewebeläden, der Schussund die Kette, kreuzen sich beim Tweed nicht abwechslungs-

weise einmal über, einmal unter dem andern, sondern über-springen immer zwei Fäden auf einmal, und zwar in senkrechterwie in waagrechter Richtung. Von den Tweedsorten erlangte derHarris Tweed einen besonderen Ruf. Er war schon Mitte des

letzten Jahrhunderts im Ausland gefragt. Ursprünglich wurde er,

wie sein Namen anzeigt, nur auf der zur Hebrideninsel Lewisgehörenden Halbinsel Harris gewoben, später auch anderswoauf Lewis, schliesslich auf allen Inseln der Aeusseren Hebriden.Die soziale Reformbewegung Grossbritanniens in der zweitenHälfte des letzten Jahrhunderts, die von John Ruskins Ideenüber den sittlichen Wert des Handwerks inspiriert war, nahmsich des Harris Tweed an. 1909 erhielt das Produkt ein gesetz-

lich geschütztes Echtheitszeichen. Es garantiert, dass der Stoffzu hundert Prozent aus reiner schottischer Schafwolle hergestellt

und auf den Aeusseren Hebriden gefärbt, gesponnen und hand-gewoben worden ist. Das Garn wird in Fabriken gesponnen;gewoben wird es von Heimarbeitern auf Trittwebstühlen. 1966gab es auf der Insel Lewis tausend Weber, und die Jahresproduk-

tion erreichte damals den Höhepunkt von 7 Millionen Yard.Seither ist die Produktion auf 3 Millionen Yard, die Zahl derWeber auf 500 gesunken, teils wegen der Rezession, teils wegen

cines modebedingten Nachfragerückgangs. 1976 sind die Nach-frage und die Produktion wieder etwas gestiegen. Die Notwen-digkeit zur Rationalisierung besteht: die moderne Konfektions-industrie verlangt breiteres Tuch. Die Lieferanten schlugen denWebern vor, den Tweed auf Doppelwebstühlen herzustellen, dochdie Weber lehnten ab: sie wollen Heimarbeiter bleiben; die Dop-pelwebstühle mussten in Fabriken aufgestellt werden.

Fast ebenso wichtig wie für Lewis d er Harris Tweed warfür Shetland das dortige Wollprodukt: Strickwaren, ebenfallszum grossen Teil von Hand gearbeitet, in Heimarbeit oder inkleinen Fabriken: Pullover, Jacken. Halstücher. Mützen. Damen-kleider, meistens mehrfarbig gemustert. Auch dafür ist die Nach-frage der Mode unterworfen: Anfang der siebziger Jahre ging

sie zurück, jetzt, da die Mode vom Kunststoff zur Naturfaserzurückkehrt, nimmt sie wieder zu, aber kann nur noch zurHälfte befriedigt werden, weil viele Strickerinnen in die ein-träglichere Oelindustrie abgewandert sind. Im Gegensatz zumHarris Tweed schützt kein Echtheitszeichen die shetländischenStrickwaren. Die meisten Produkte, die diese Bezeichnung tragen,

stammen von anderswoher.Wichtiger als die Wolle ist für die Inseln die Fischerei. Sie

ist dermassen wichtig, dass ihretwegen beim Referendum überden Beitritt Grossbritanniens zur EG Shetland und die AeusserenHebriden als die zwei einzigen Grafschaften des Königreichsdagegen stimmten. Die Leute dort sind überzeugt davon, dass

die EG-Mitgliedschaft sie um den Schutz ihrer Fischgründe vorausländischen Fischern bringt. Auf Orkney ist man der gleichenMeinung, stimmte aber trotzdem für den Beitritt zur EG. weilda die landwirtschaftlichen Interessen überwiegen. Wahrend desKabeljaukriegs zwischen Grossbritannien und Island ergriffen

die Shetländer, die Orkadier und die Bewohner der AeusserenHebriden resolut für Island Partei.

Ausländische Fischer kommen schon seit Jahrhunderten indie Küstengewässer dieser Inseln. Ausländische Fischer warenes ja auch, nämlich holländische, die im 18. Jahrhundert dieriesigen Heringgründe östlich von Shetland entdeckten. DieHeringfischerei in diesen Gewässern erfuhr gegen Ende desletzten Jahrhunderts einen Boom, d er bis zum Ersten Weltkrieg

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5taie Sonderzeitung WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 30./31. Oktober 1976 Nr. 255 67

dauerte. Die Inseln wurden zu einem der wichtigsten Fisch-umschlagspllitzc der Welt. An ihren Piers drängten sich zuTausenden britische und ausländische Fischerboote. Im Rekord-jahr 1905 landeten allein auf Shetland 1783 britische Segel- undDampfschüfe, darunter 873 shetländische Boote, über eine Mil-lion Fass Hering, der allesamt auf Shetland eingesalzen wurde.Ebenso rasch wie der Aufstieg dieser Industrie erfolgte ihr Zu-sammenbruch. Die Nachfrage ging zurück, gleichzeitig gingen

die Fischer anderer nordeuropäischer Nationen zu modernerenFangmethoden über und verdrängten die Scholten und Englän-

der von den Märkten. Gegenwärtig werden auf Shetland imJahr noch etwa 5000 Fass Hering eingesalzen und etwa gleich

viel geräuchert.

Die Einheimischen sehen allerdings im Nachfragerückgang

und in der Vereiterung ihrer Fangmethoden nicht die einzigen

Ursachen für den Zusammenbruch der Industrie. Ebenso wichtig

ist nach ihrer Meinung, dass die ausländischen Fischer rück-

Möwen im Hafen von CoslUbäy (Hatra) belagern ein Fischerboot,das kurz vorher vollbeUulcn eingelaufen ist.

Fässer zum Einsalzen von Hering in Lerwlck (Shetland). Die Nordsee Ist der bedeutendste Heringgrund der Welt. Um die Jahrhundertwendewinden auf Shetland im Jahr eine Million Fass Hering gelandet, gekehlt und eingesalzen, heute sind es noch etwa 5000.

sichtslos die hiesigen Fischgründe ausgebeutet und die Beständezerstört hätten. Daran ist viel Wahres. Zu ergänzen wäre, dass

seinerzeit die Einheimischen nicht etwa aus Rücksicht auf dieFischbestände, also zur Schonung, sondern mangels Kapital undUnternehmungsgeist die alten Fangmethoden beibehielten. Inden letzten Jahren ist auf den schottischen Inseln rier Fischfang

etwas regeneriert worden. Eine in den sechziger Jahren gegrün-

dete Behörde, welche die wirtschaftliche Entwicklung des schotti-schen Hochlands und der schottischen Inseln fördern soll, gibt

Darlehen zum Ankauf von Fischerbooten. Man fischt jetzt nebenHering hauptsächlich Kabeljau. Schellfisch. Wittling, Seebuit,Steinbutt, Köhler und Scholle. Die Heringe werden nach wievor auf den schottischen Inseln eingesalzen oder geräuchert. Dieandern Fische werden ebenfalls da in Fabriken lilcttiert undtiefgekühlt, nachher zur weiteren Verarbeitung auf das Festlandgebracht. Auch die Krebse werden sofort nach der Landunggeköpft und tiefgekühlt. Weitere Fabriken auf den Inseln stellenFischmehl und Fischöl her.

Die Einheimischen möchten verhüten, dass jetzt die Weiss-fischbcstände und die neugefundenen Heringgründe wiederummasslos ausgebeutet werden. Sie haben bereits mehrfach bei derEG und anderswo Klage geführt, dass wieder ohne Rücksicht-nahme gefischt werde, vor allem von norwegischen, dänischen,sowjetischen und französischen Fischern. Mit feinmaschigen

Netzen werde herausgeholt, was die See hergebe, auch Jung-

fische. Doch alles Klagen habe bisher nichts gefruchtet. Genauwie die Isländer verlangen die Bewohner der schottischen InselnSchutz für ihre Fischgründe vor den ausländischen Fischern.Sie wollten ursprünglich eine 200 Meilen breite Hoheitszone mitausschliesslich britischem Fischereirecht. Unter den EG-Partnernist das nicht möglich: Brüssel sieht eine 200-Meilen-Zonc nurgegen aussen hin vor. also um das Gemeinschaftsgebiet herum;gemeinschaftsintern dagegen, für die Partner untereinander, solleine 12-Meilcn-Zone gelten. Die Bewohner der schottischen In-seln drangen London dazu, für die Inseln nun wenigstens eineEG-interne 50-Meilcn-Zone zu erwirken. Wenn London in dieser

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Im Hafen von Lerwlck werden jetzt neben Hering vor allem Kabeljau, Schellfisch, Wittling, Heilbutt und Steinbutt gelandet.

Der Hafen von Stornoway (Lewis)

Sache der EG gegenüber nachgibt, so wird das auf den Hebridendie bereits bestehenden Sympathien für die schottischen Natio-nalisten, die die Unabhängigkeit von Grossbritannien fordern,

verstärken. Auf Orkney und Shetland konnte ein eigener Natio-nalismus zu Unabhängigkeitsrufen führen.

Der Fischfang und die Herstellung von Wollwaren wurdenauf diesen Inseln immer bloss als Nebenbeschäftigung betrieben.Die Fischer und Weber und Stickerinnen waren auch Bauern,

hielten Schafe und hatten etwas Ackerland, auf dem sie vorallem Viehfutter und Gemüse für den Eigenbedarf anbauten.Das ist heute noch genau so wie früher. Fast alle Bauern sind

Pächter: Der Boden ging in der Zeit des schottischen Feudal-systems an schottische Grossgrundbesitzer über, die meistens

auf dem schottischen Festland lebten. Ausser auf Orkney gibt

der Boden wenig her. kaum genügend für den Eigenbedarf. Das

Leben ist hart, aber hat seine angenehmen Seiten, ist frei von

aller städtischen Hetze, spielt sich in einem kleinen Kreis hilfs-bereiter Mitbürger ab und ist vielfältig, wechselnd mit dem Laut

Die gelandeten Fische werden zum Teil unverarbeitet in Kisten zwischen Eis auf das britische Festland transportiert, zum Teil auf d en Inselnjitettiert und tiefgekühlt und erst dann zur Weiterverarbeitung auf das Festland gebracht.

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der Jahreszeiten. Im Frühjahr pflügt man und wirft die Saat aus,

nachher sieht man nach den Lämmern, Anfang Juni wird Torfgestochen und zum Trocknen an Ort und Stelle aufgestellt, dannbeginnt die Zeit der Heringfischerei, auf die d er Weissfisch-fang folgt, der fast den ganzen Winter über dauert, so dass ver-schiedene Männer (zur einstmaligen Zeit des Hcringbooms alle)

lange Zeit auf dem Meer verbringen und das Vieh und die

Felder den Frauen und Kindern überlassen. Ende Juli werden

die getrockneten Torfsoden heimgebracht und hinter dem Hausaufgeschichtet, wabenartig, damit d er Wind hindurchbläst und

sie Hocken hält. Dann wird geerntet. Schliesslich bricht der

Winter an: lange Nächte, düstere Tage, Stürme, denen Fischer

zum Opfer fallen.

Der Ertrag des Bodens ist so g?ring, und die andern Erwerbs-möglichkeiten sind so bescheiden, dass seit mehr als hundert

Jahren die Bevölkerung unablässig abnimmt. Neben denen, die

für immer auswandern, melden sich viele junge Manner, aufeinigen Inseln zwei Drittel, für längere Zeit zur Handels- oderKriegsflotte. Eine Acndcrung zum Bessern erfolgte Ende dersechziger Jahre, also noch vor den Oelfunden in der Nordsee,

und die Einheimischen sind sehr stolz auf dieses Zeichen eigener

Kraft. Die Ursache d er Besserung bestand unter anderem inden Darlehen, die die bereits genannte Entwicklungsbehörde gab.

Damit kaufte man neue Fischerboote, baute einige Fabriken,

vor allem zur Fischverarbeitung, und ameliorierte Weidelandund Ackerboden. Das Ergebnis war bescheiden: Die auf den

Acusscrcn Hebriden (aber nicht auf Orkney und Shetland) chro-nische Arbeitslosigkeit ging nicht zurück, aber die Abwanderung

der Bewohner wurde aufgehalten.

In diese Insclgesellschaft von Kleinpächtern und Fischernplatzt unverhofft der Reichtum oder doch die Gelegenheit dazu.

Man sitzt vielleicht am Pier, bessert schadhafte Netze aus, oder

man sticht auf dem Felde Torf, plötzlich steht vor einem einOelmagnat, breitschultrig, einen Texashut auf dem Kopf, imMund eine Havanna, und fragt: «Was kostet die Insel?» Manschaut auf den Mann, auf seine verheissungsvoll vorstehendeBiusttasche, blickt dann um sich herum: karger Boden, Moor-land, es gibt Torf her, ernährt ein paar Schafe, man rackert sichab, jahraus, jahrein, und kommt doch nirgendwo hin. Der Breit-schultrige wiederholt die Frage: «Was kostet die Insel?» Reichsein! Nach London fliegen: Soho, Nachtklubs, Lichter, Leben!Vielleicht brauchte man gar nicht hinzufliegen, man konnteganz Soho aufkaufen und herbringen auf die Insel mitsamt denEntkleidungstänzerinnen und Massagesalons. Und man konntesich ein anständiges Haus bauen, die Kinder auf bessere Schulenschicken. Und man konnte doch was handelt man dagegen

ein? Oel und Oeltanks. Das verwüstet die Landschaft, ver-schmutzt die Insel, vertreibt die Vögel, vergiftet die Fische imMeer. Und einmal hört der Oelsegen auf, aber die Insel ist aufOel ausgerichtet; wer zahlt dann die Umstellung? Der Brcit-schult:ige drangt: «Was kostet die Insel?» Will man fortabimmer gedrängt sein?

Als auf Shetland und auf Orkney die ersten Oelleutc auf-tauchten, Pläne vorlegten, Geld springen liessen, war die Be-völkerung gegen die Zulassung von ölorientiertcr Industrie. Um-stimmen liess sie sich erst, als man ihr erstens ein weitgehendesMitbestimmungsrecht beim Aufbau dieser Industrie zugestand,

zweitens Vorsorge getroffen war für Umweltschutz und drittensdas Ausmass des Gewinns, der der Bevölkerung aus dem Oelzufliessen würde, genügend Ueberzeugungskraft besass.

Wie kamen Orkney und Shetland überhaupt ins Spiel? Oest-lich und nordöstlich der beiden Inselgruppen, 150 bis 200 Kilo-meter davon entfernt, liegen unter dem Meeresgrund einige derreichhaltigsten Oelfelder der Nordsee. Für den Transport an denVerarbeitungsort konnte man das Rohöl an der Bohrstelle aufTanker laden, doch zu Sturmzeiten konnten grosse Tanker nichtan d er Bohrstelle anlegen, die See ist dort zu wild. Man müsstedeshalb, um die Förderung ununterbrochen aufrechterhalten zu

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Oelfelder der Nordsee und die Pipelines nach Orkney und Shetland.

können, riesige Reservoirs an der Bohrstelle bauen. Die damitverbundenen Kosten und Risiken machen es ratsam, das Oel

zunächst über eine Pipeline von d er Bohrstelle zu einer Relais-station an Land zu bringen und es erst dort auf Tanker zuverladen. Die Relaisstation kann zudem zur ersten Klärung des

Rohöls dienen, nicht zur Raffinierung, bloss zur Entfernung d erim Oel befindlichen Wasser- und Gasreste. Orkney und Shetlandmit ihren grossen geschützten Buchten sind für den Bau solcherRelaisstationen ideal. In gleicher Weise interessant konnten ein-mal die Acusscren Hebriden werden, wenn auch unter demMeeresgrund westlich von Schottland, im Atlantik, Oelfelderliegen.

Wie gross sind die Oellager der Nordsee unter britischerHoheit? Gemessen an den Reserven etwa der arabischen Län-der, nehmen sie sich bescheiden aus, doch sie sind gross genug,

um in den Augen der Oelgesellschaften und ihrer Bankiers dieimmensen finanziellen Aufwendungen zu rechtfertigen, die sichin dieser ungastlichen See für die Oclsuche und für die Oel-förderung ergeben. In den bisher zur Exploration freigegebenen

Gebieten unter britischer Hoheit werden die Vorkommen vonder Regierung auf 3190 Millionen Tonnen Rohöl berechnet.Dieses Gebiet umfasst einen Sechstel des von London zurLizenzierung vorgesehenen Gesamtbereichs, für welchen die Vor-kommen auf 4500 Millionen Tonnen geschätzt werden. DieseVorräte reichen dazu aus, den Eigenbedarf Grossbritanniens inder gegenwärtigen Höhe 45 Jahre lang zu decken. Ungefährgleich lang dauerte der Hcringboom um die letzte Jahrhundert-wende, und auf Shetland sind von diesem Boom her genügend

zerfallene Hafenanlagen und Heringstationen zurückgeblieben,

dass den Einwohnern ständig vor Augen bleibt, wie rasch sichWohlstand verflüchtigt.

Noch vor den Scholten und vor allem vor dem Westminster-parlament und d er britischen Regierung schätzten die Shetlünderdie aus dem Nordseeöl sich ergebenden Einnahmequellen richtig

ein. Sie erkannten auch rechtzeitig ihre starke Position gegen-

über den Oelgesellschaften: die Unumgehbarkeit ihrer Inseln aufdem Weg des Abtransports. Sie handelten von den Oelgcscll-

schaften und von d er britischen Regierung ein Arrangement ein,das f ür eine britische Lokalbehörde einmalig und beispiellos istund d er Gemeinde so viel Geld einbringt, dass sie noch garnicht weiss, was sie damit tun soll. Orkney folgte sofort dem vonShetland vorgezeichneten Weg, gab sich allerdings mit weniger

zufrieden: nicht in finanzieller Hinsicht, aber hinsichtlich dergeforderten Vollmachten. Zum Teil erklärt sich die BescheidungOrkneys daraus, dass auf Orkney nur eine einzige Oelgcscll-

schaft auftritt, Occidental, wogegen Shetland mit mehr als zweiDutzend zu tun hat. Eine allein auftretende Firma gewinnt

leichter als eine Vielfalt von Firmen das Vertrauen der Einhei-mischen. Die britische Regierung und das Westminsterparlamentihrerseits, die in völliger Ahnungslosigkeit von den Shctlundcmüberrumpelt wurden und ihnen erstaunliche Zugeständnisse mach-ten, dürften sich kaum noch einmal zu ähnlichem bewegen

lassen.

Die Vollmachten, die sich die Shctländcr in Westminsterholten, waren nötig, damit die Gemeinde überhaupt mit denOelgesellschaften direkt verhandeln und sich in das Geschäfteinschalten konnte. Diese Vollmachten gehen weit über das hin-aus, was einer britischen Lokalbehörde üblicherweise zugestan-

den wird. Die Gemeinde wurde unter anderem dazu ermächtigt,

das von den Oelgesellschaften zum Bau d er Relaisstation benö-tigte Land zu kaufen; die Hafenanlagen, die bei d er Relaisstationgebraucht werden, zu besitzen und zu verwalten; mit den Oel-gesellschaften in eine Geschäftspartnerschaft zu treten; die Ein-künfte der Gemeinde aus dem Oclgeschäft selber zu verwalten.Der Gemeinderat gründete mit den Oelgesellschaften eine nicht-gewinnoricntiertc Gesellschaft. Diese entscheidet über die Kon-struktion und den Bau der Oelstation. Der Gemeinderat besitztdie Hälfte der Gesellschaftsanteile und das Vetorecht. Er istverantwortlich für den Bau der Hatenanlagcn, die er besitzenwird. Die Oelslation selber bauen die Oelgesellschaften nachGenehmigung der Baupläne durch den Gemeinderat. Es darfauf Shetland nur eine einzige Oelstation gebaut werden; sie mussvon allen Oelgesellschaften benützt werden, die ihr Oel überShetland abtransportieren wollen.

Auf Orkney baut man die Relaisstation auf dem InselchenFlotta am Südrand der binnenseeartigen Bucht Scapa Flow, diein beiden Weltkriegen der britischen Flotte als Hauptstützpunkt

diente. Die Station ist beinahe fertig gebaut, d er Oelstrom zuihr hin wird Ende dieses Jahres in Gang gesetzt. Die Pipeline

kommt vom Oelfeld Piper und wird zusätzlich über eine kurzeZweigleitung mit Oel aus dem Claymore-Feld gespeist. Sie Ist220 Kilometer lang, hat einen Rohrdurchmesser von 30 Zoll,liegt leicht versenkt auf dem Meeresgrund und kann im Tag

rund 89 000 Tonnen (560 000 Barrels) Rohöl befördern. Sie wirdvon einem fahrenden Fabrikschiff aus gelegt: auf dem Schiffwird ein Rohr an das andere geschweisst und die Pipeline suk-zessive ins Wasser gelassen. Auf der Station können in fünf Lager-

tanks 720 000 Tonnen Rohöl gelagert werden. Ein weiterer Tanknimmt das Ballastwasser auf, das die herkommenden Oeltankermitführen. Zwei kleinere Tanks lagern das verflüssigte Propan-gas, das dem Rohöl entzogen wird.

Auf Shetland wird die Oelstation erst 1978 fertiggestellt undin Betrieb genommen. Sie steht 50 Kilometer nördlich der Haupt-

stadt Lerwick am Fjord Sullom Voc. Sie wird in d er erstenProjektphase 1 , 08 Millionen Tonnen Rohöl lagern können, einenDrittel mehr als die Station auf Orkney. Das Oel wird überzwei Pipelines mit 36 Zoll Durchmesser hergebracht. Die Lei-tungen werden in der ersten Projektphase 160 000 Tonnen Oelpro Tag befördern, haben aber eine wesentlich grössere Kapa-

zität. Sie werden in der ersten Phase aus den Feldern Cormorant,

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Gewirr der Verteilerrolle auf der Oehtution Flotta (Orkney) Schweissarbeiter an der Pipeline nach Flotta

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Hutton, Brent, Dtinlin und Thisllc gespeist. Andere dort liegende

Oelfelder werden später an die beiden Leitungen angeschlossen

werden. Noch später soll möglicherweise noch eine dritte Pipe-line gelegt werden.

Auf beiden Inseln treten die Anlagen im Landschaftsbildkaum in Erscheinung. Sämtliche Abwässer namentlich die demRohöl entzogenen sowie das Ballastwasser d er herkommendenTanker werden auf Oelreste hin so behandelt, dass nur nochein Teil Oel in einer Million Teile Wasser vorhanden ist. Nach-her werden sie vor die Bucht hinaus gebracht und an einemströmungsreichen Ort ins Meer gelassen. An beiden Baustellenhat man für die je 2000 bis 3000 Bauarbeiter, die zum grösstenTeil von auswärts hergebracht wurden, ein Barackendorf gebaut.Die Zimmer gleichen modernen Hotelzimmern. Sportanlagen,Unterhaltungsräume, Bierschenken und Kinos sollen dafür sor-gen, dass die Arbeiter sich dort vergnügen und möglichst wenigin die Ortschaften d er Inseln gehen.

Den beiden Gemeinden von Orkney und Shetland zahlen dieOelgesellschaften eine Abgabe pro Fass Oel, das durch die Sta-tion hindurchfliesst. Die Höhe d er Abgabe richtet sich nach demOclpreis. Die Abgabe wird den beiden Gemeinden pro Jahrmehr einbringen als die von ihnen bisher im Lokalhaushalt bud-getierten Gesamteinnahmen. Zusätzliche Einkünfte ergeben sichaus dem vermehrten Konsum und aus andern ölorienticrten Be-trieben. Auf dem Flugplatz von Shetland, den Ende d er sech-ziger Jahre pro Woche durchschnittlich ein halbes DutzendFlugzeuge anflogen, landen jetzt in d er Woche dreihundert Ma-schinen. Weiter hat die Oclindustrie am Nordende des Hafensvon Lcrwick auf Shetland eine Versorgungsbasis für die Bohr-plattformen d er Nordsee erstellt.

Weder die Shetländer noch die Orkadier wissen schon, wiesie die Oelcinkiinfte verwenden sollen. Grundsätzlich wollen siedamit vorsorgen für die Zeit, wenn die Oclquellen versiegen.

Das Problem besteht darin, dass dieser Zeitpunkt sich nichterrechnen lässt. Demzufolge ist es zum Beispiel nicht denkbar,mit Hilfe des Oclgelds die einheimische Kleinindustrie für dieZukunft über Wasser zu halten. Sie ist in arge Schwierigkeitengeraten, weil die Arbeiter und Angestellten in die ölorienticrtenBetriebe abwandern. Diese bieten als Lohn das Zwei- bis Drei-fache von dem, was d er lokale Schreiner, Schlosser, Baumeister,Metzger oder Strickwarcnfnbrikant zu zahlen vermag.

Das soziale Gewebe d er Inseln ist bisher vom Einbruch derOelindustric weniger stark getroffen worden, als befürchtet wor-den war. Die Aussicht auf die kurzfristige Stationierung von sovielen Fremdarbeitern erschien den Einheimischen wenig ver-heissungsvoll, zumal die Inseln ausser der Alkohol versorgungwenig Vergnügungsmöglichkeiten bieten. Die Sache scheint sicheinigermassen eingespielt zu haben, teils dank den grosszügigenUnterhaltungsanlagen in den Barackendörfern, teils weil die vonden Arbeitern um des Verdienstes willen angestrebte täglicheLeistungsdauer und -intensität das Verlangen nach Freizeitver-gnügen reduziert.

Auf den Aeusseren Hebriden haben sich bisher erst wenige

ölorientierte Betriebe niedergelassen, nennenswert bloss eineVersorgungs- und Fabrikationsbasis im Hafen von Stornowayauf d er Insel Lewis. Mit weiteren Projekten auf den AeusserenHebriden halten die Oelgesellschaften vorderhand zurück, weildie ersten Sondierungen nach Oel westlich von Schottland ent-täuschende Ergebnisse brachten.

Mit diesem Beitrag schliesst die dreiteilige Serie über «Inselnam Oel». Die beiden vorangegangenen Bildberichte sind unterden Titeln «Die Aeusseren Hebriden» und «Orkney und Shet-land» in den letzten beiden Ausgaben der Beilage «Wochenende»erschienen.

Blick in einen im Bau befindlichen Lagertank der Oelstatlon Sutlom Voe (Shetland). InTonnen Oel lagern und über zwei Pipelines pro Tau eine Million

der ersten I'mjcTonnen Oel bcz

ktphase wird die Station 1 ,08 Millionenlehen können.

Oelstation Piotta (Orkney). Die fünf Tanks links fassen je 80 000 Tonnen Oel. Zwei weitere, doppelt so grosse, sind nicht sichtbar. Rechts derTank für das Ballastwasser der herkommenden Oeltanker. Im Vordergrund die Anlaxe zum Entzug der Gas- und Wasserreste im Oel.

Blick in einen 80 000 Tonnen fassenden Lagertank auf Flotta. Die Tanks haben ein Schwimmdach, das hei leerem Tank am Boden liegt. Es wird vom einlaufenden Oel gehoben. Auf dem Bild liegt Regenwasser auf demSchwimmdach des leeren Tanks. Ein iur laufender Arbeiter vermittelt das Grössenverhältnis.

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