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EVU – Ländergruppe Österreich
3. EVU - Verkehrssicherheitsseminar
in Österreich
Kurzfassungen
zu den Fachvorträgen
Samstag, 26. Februar 2005, 9:30 – 16:00 Uhr
Bundesanstalt für Verkehr, Wien Strebersdorf
veranstaltet von der EVU – Österreich
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
Inhalt Seite 1
Inhalt:
Seite
MR DI Dr. Günter BREYER Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie II/ST 2 Leiter der Abteilung ST 2 - Technik
Verkehrssicherheitsarbeit in Österreich ............................................................... 2
DI Michael WEBER Vorsitzender des EVU-Dachverbandes
Unfallrekonstruktion in Europa – Unterschiede und Gemeinsamkeiten Erkenntnisse aus dem EU-Projekt QUERY ........................................................... 8
Prof. Dr.-Ing. habil. Egon-Christian VON GLASNER Präsidialratsvorsitzender des EVU-Dachverbandes
Wahre Sicherheit von Fahrerassistenzsystemen ............................................... 20
Univ.-Prof. DI Dr. Peter LUGNER Technische Universität Wien
Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ ............. 23
Univ.-Prof. DI Dr. Hermann STEFFAN DSD Linz, Technische Universität Graz – Institut für Fahrzeugsicherheit
Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision .............................................. 28
Mag. Dr. Werner GRATZER DWG Sachverständigenbüro Gratzer
Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen – Tunnelunfall in St. Gotthard u.a. .......................................................................... 35
Univ.-Prof. DI Dr. Ernst PFLEGER / DI Hannes GLASER EPIGUS-Institut für ganzheitliche Unfall- und Sicherheitsforschung
Blicktechnische und fahrdynamische Grenzbereiche bei Kurvenfahrten zur Aufklärung von Abkommensunfällen ........................................................... 59
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BREYER, Günter – Verkehrssicherheitsarbeit in Österreich Seite 2
MR DI Dr. tech. Günter BREYER Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie II/ST 2 Leiter der Abteilung ST 2 - Technik
Verkehrssicherheitsarbeit in Österreich
Österreichisches Verkehrssicherheitsprogramm 2002 – 2010
Verkehrssicherheit in Österreich
• Seit den 1970er Jahren ist Verkehrssicher-heit ein zentrales Thema in Österreich
• Seit 1970
- Zunahme des Straßenverkehrs um 300%
- Abnahme der Zahl der Verkehrstoten um 70%
• 2003
- Getötete: 931
- Verletzte: ~ 57.000
- Unfälle: ~ 43.000
=> Österreich ist nicht unter den Spitzenreitern der EU
• Seit 2000
- Wichtiger Impuls durch das „White Paper on European Transport Policy: Time to Decide“ (2001)
- Österr. Verkehrssicherheitsprogramm 2002-2010
- Revision im Jahr 2004
• Schwerpunkte in den Bereichen
- Geschwindigkeit/Abstand
- Alkohol/Drogen
- Sicherheitsgurt/Kindersitz
• Ziel für das Jahr 2010: -50% Getötete
• Zwischenergebnis 2004: -13% Getötete
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Österreichisches Unfallgeschehen
Entwicklung der Unfallkenngrößen 1961-2003 (Index 1961 = 100%)
Anzahl der bei Verkehrsunfällen Getöteten pro Mio. Einwohner 2003 (Quelle: IRTAD)
Getötete nach Verkehrsbeteiligung 2003 Getötete nach Straßenart 2003
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Verkehrssicherheitsprogramm 2002-2010
• Regierung verabschiedet VSP im Jahr 2002
• VSP beinhaltet einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Erhöhung der Verkehrssicherheit
• 28 Schwerpunkte mit mehr als 100 konkreten Maßnahmen
• Jährliche Reduktionspotentiale werden – soweit möglich - angegeben
• Umsetzung der Maßnahmen begann 2002
• „Startpaket“ wurde Ende 2003 abgeschlossen
• 7. April 2004 (Weltverkehrssicherheitstag „Road Safety is no Accident“): Präsentation der 2. Auflage des VSP in Deutsch und Englisch
• Evaluation der Maßnahmen in regelmäßigen Abständen
Ziele des VSP
Grundsätze:
• Jeder Tote und Schwerverletzte im Verkehr ist einer zuviel
• Die nachhaltige Sicherheitsarbeit im Bereich der Bahn und der Luftfahrt soll für die Straße als Vorbild dienen
• Eine gesunde Sozialwirtschaft hat schon allein aus ökonomischer Sicht die Pflicht, Unfallfolgekosten zu minimieren
Ziele bis 2010:
minus 50 % Getötete
minus 20 % Unfälle mit Personenschaden
Volkswirtschaftliche Kosten
Wichtigste Kostenarten:
• Medizinische Behandlungskosten
• Verlust an Leistungspotential
• Schmerzensgeldzahlungen
• Kosten von Sachschäden
• Rechtskosten
Gesamtkosten für Unfälle im Straßenverkehr:
~ 3.6 Mrd. Euro/Jahr
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Ergebnis der österreichischen Kostenträgerrechnung (Metelka et al., 1997)
Kostenträger Kosten (in Euro)
Getöteter 805.215,-
Schwerverletzter 43.605,-
Leichtverletzter 3.695,-
Schwerer Sachschaden 4.870,-
Leichter Sachschaden 1.242,-
Schwerpunkte des VSP
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Handlungsfeld „Mensch“
Jährliches Reduktionspotential im Bereich Alkohol und Drogen:
bis zu 100 Getötete bis 2010
Maßnahmen:
erhöhte Alkohol-Überwachungsdichte (“Alko-Vortester”), Schulung im
Bereich Drogenerkennung, Durchführung einer “BOB”-Kampagne, …
Jährliches Reduktionspotential im Bereich Führerscheinausbildung, Fahrtraining:
bis zu 130 Getötete bis 2010
Maßnahmen:
Einführung des Vormerksystems, regelmäßige Erneuerung des Führerscheins
in Abstimmung mit der EU,…
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Rechtliche Rahmenbedingungen
Zusammenarbeit
• Innen-, Justiz-, Bildungs-, Gesundheitsministerium
• Bundesländer, Städte, Gemeinden
• Kuratorium für Verkehrssicherheit
• Automobil- und Mobilitätsclubs
• Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer
• Universitäten und Forschungseinrichtungen
Finanzierung
Österreichischer Verkehrssicherheitsfonds
• KFG:
- Gebühr für Wunschkennzeichen (~ 250.000, Euro 145,- für 15 Jahre)
- Zweckgebunden für Verkehrssicherheitsarbeit
• Volumen des Fonds: Euro 40 Mio. in den letzten 15 Jahren
- 60 % Bundesländer
- 40 % Bund
• Dient der Finanzierung von Projekten zur Erhöhung der Verkehrssicherheit in Österreich
MR DI Dr. tech. Günter BREYER
Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie Sektion II – Infrastruktur; Leiter der Abteilung II/ST 2 - Technik und Verkehrssicherheit 1010 Wien, Stubenring 1 01 / 71 100 - 5419 E-Mail: [email protected]
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WEBER, Michael – Unfallrekonstruktion in Europa (EU-Projekt QUERY) Seite 8
DI Michael WEBER Vorsitzender des EVU-Dachverbandes
Unfallrekonstruktion in Europa – Unterschiede und Gemeinsamkeiten Erkenntnisse aus dem EU-Projekt QUERY
Die EVU und ihre Ländergruppen im Wandel – Weiterbildung und Berufsbild
1 Die Vereinigung EVU als Zusammenschluss der Unfallanalytiker in ganz Europa ....... 8
2 Abgrenzung der Berufsbilder ..................................................................................... 11
3 EVU Projekt QUERY ................................................................................................. 11
3.1 Definition ............................................................................................................ 12
3.2 Einführung ......................................................................................................... 12
3.2.1 Prävention .............................................................................................. 12
3.2.2 Gerechte Aufteilung der zivilrechtlichen Kosten ...................................... 12
3.2.3 Satisfaktionen ......................................................................................... 13
3.2.4 Verbesserung der Sicherheit an Kraftfahrzeugen im Straßenraum ......... 13
3.3 Projektziele ........................................................................................................ 13
3.4 Erwartete Ergebnisse von QUERY .................................................................... 14
3.5 QUERY - Phase 1 .............................................................................................. 15
3.6 Europäische Dimension der Recherche .............................................................. 17
4 Weiterbildung der Sachverständigen durch die Knowledge Base EVUonline.org ....... 18
1 Die Vereinigung EVU als Zusammenschluss der Unfallanalytiker in ganz
Europa
Die EVU wurde 1991 von dem Unfallanalytiker Dr. Burg für Sachverständige aus dem
Bereich der Unfallanalyse und Unfallforscher gegründet. Die erste Tagung fand 1992 in
Wien statt.
Da die Mitgliederzahl stetig wuchs, wurde die Vereinigung im Jahr 2000 neu strukturiert: Es
gibt einen Dachverband der EVU mit Sitz in Hamburg, (kurz EVU genannt) und die
Ländergruppen, z.B. Ländergruppe Ungarn, (kurz EVU-Ungarn). Jedes europäische Land
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hat die Möglichkeit, eine eigene Ländergruppe zu gründen. Hiervon haben schon viele
Länder der EU und auch die Schweiz Gebrauch gemacht. Zur Zeit hat die gesamte
Vereinigung EVU rund 500 Mitglieder.
Gemäß der Satzung hat die EVU den Zweck, Verbesserungen von Grundlagen der Unfall-
forschung und Methodik der Unfallanalyse zu fördern und damit zur Erhöhung der
Rechtssicherheit beizutragen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten verbessert sie die
Verkehrssicherheit, indem Informationen über Unfallabläufe publiziert und Konzepte zur
Verbesserung der aktiven und passiven Sicherheit aus den Erkenntnissen realer
Unfallabläufe abgeleitet werden. Zudem betreibt die EVU eine intensive Schulung und
Weiterbildung ihrer Mitglieder. Führende Mitarbeiter aus der europäischen Fahrzeug-
industrie sind in diese Weiterbildung integriert und informieren über modernste Techniken.
Die EVU leistet eigene Forschungsarbeit oder beteiligt sich an geeigneten Projekten. Die
Ergebnisse werden in erster Linie den Mitgliedern zur Verfügung gestellt. Jedoch auch der
Allgemeinheit werden solche Erkenntnisse in Form von Publikationen und Kongresse
weitergegeben.
Von der EVU benannte Mitglieder wirken in nationalen und internationalen Fachgremien mit
und bringen so die Fachkunde des Vereins ein. Die EVU bemüht sich um die Förderung der
internationalen Zusammenarbeit zur Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung im
Bereich Verkehrssicherheit und Unfallforschung. Der Verein engagiert sich auch bei der
Harmonisierung der Ausbildung und Bestellung von Sachverständigen.
Die EVU führt eine Mitgliederliste, die im Internet unter www.EVUonline.org für jedermann
zugänglich ist. Die Liste hilft dabei, einen geeigneten Unfallanalytiker an einem bestimmten
Unfallort zu finden. Die EVU gibt eigene technische Unterlagen heraus und prüft Werke, die
von den Ländergruppen oder den Fachausschüssen erarbeitet werden. Über den
geschützten Bereich von www.EVUonline.org werden diese Informationen allen Mitgliedern
kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Vereinigung arbeitet auf nationaler Ebene mit den
Autorisierungs- und Zertifizierungsstellen zusammen und treibt die europäische Harmoni-
sierung des Berufsbildes voran. Die Ländergruppen kümmern sich um die nationalen
Interessen des Berufsstandes und sind in den entsprechenden Gremien vertreten.
Die EVU organisiert in jedem Jahr eine ordentliche Mitgliederversammlung. Sie findet immer
im Rahmen der EVU-Jahrestagungen in wechselnden Ländern statt. Sie beruft außerdem
Fachausschüsse ein und betreut deren Arbeit, Internationale Veranstaltungen zur Aus- und
Weiterbildung werden kritisch geprüft und ggf. weiterempfohlen. Der Dachverband ist auch
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zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der EVU und für die Genehmigung der Satzungen der
Ländergruppen.
Generell können natürliche und juristische Personen Mitglieder der EVU werden. Ist eine
Ländergruppe bereits gebildet, kann eine Person nur über die Ländergruppe in die EVU
aufgenommen werden. Nur in Ländern, in denen noch keine Ländergruppe gebildet ist, kann
die Mitgliedschaft direkt über den EVU-Hauptverband in Hamburg erworben werden.
Organe der EVU sind der Vorstand, der Präsidialrat und die Mitgliederversammlung. Der
Vorstand besteht aus dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter, dem Schatzmeister und dem
Schriftführer einerseits (engerer Vorstand) und den Vorsitzenden der Ländergruppen
andererseits, die mit den Mitgliedern des engeren Vorstandes den erweiterten Vorstand
bilden.
Der Präsidialrat, der sich aus besonders profilierten Persönlichkeiten aus Wissenschaft,
Politik, Verwaltung und Industrie zusammensetzt, besteht aus mindestens drei und in der
Regel nicht mehr als elf Personen. Die Wahl erfolgt durch die Mitgliederversammlung auf
Vorschlag des erweiterten Vorstandes. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre und endet erst, wenn
eine Neuwahl wirksam geworden ist. Wiederwahl und Zuwahl sind jederzeit zulässig. Der
Präsidialrat hat die Aufgabe, den Vorstand in wichtigen Vereinsangelegenheiten und
hinsichtlich der Einhaltung der wesentlichen Ziele der EVU zu beraten. Der Präsidialrat wählt
aus seiner Mitte einen Präsidenten und mehrere Vizepräsidenten. Der Präsident oder an
seiner Stelle einer der Vizepräsidenten führt im Präsidialrat den Vorsitz.
Jahrestagungen der EVU - Die
Termin zur Jahrestagung 2005
liegt fest: 21.10.2005 bis
22.10.2005 in Bratislava
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2 Abgrenzung der Berufsbilder
In den deutschsprachigen Ländern hat sich in den letzten Jahrzehnten eine neue
Berufssparte herausgebildet. Es handelt sich um den forensisch tätigen Unfallanalytiker
(Unfallrekonstrukteur) für Straßenverkehrsunfälle. Er wird von Gerichten oder auch von
streitenden Parteien, z. B. Versicherungen, damit beauftragt, den Ablauf eines Unfalls
anhand objektiver Spuren zu rekonstruieren. Auch in anderen europäischen Ländern gibt es
diesen Berufszweig, jedoch wird er in der Regel von Gerichten nur selten angefragt.
In den USA und Großbritannien hat sich dieser Berufszweig parallel entwickelt. Im
Unterschied zu den meisten europäischen Ländern wird er dort aber nicht vom Gericht
sondern von den Parteien beauftragt. Jede Partei hat ihren eigenen Sachverständigen, die
dann vor dem Gericht ihre meist unterschiedlichen Standpunkte austauschen.
Der Unfallanalytiker verfügt europaweit in aller Regel über eine akademische Ausbildung als
Ingenieur oder Physiker.
Unfallforscher beschäftigen sich weniger mit der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen als
mit dem eigentlichen Ablauf. Meist sind sie an forschenden Institutionen wie den
Entwicklungsabteilungen der Automobilindustrie oder an Universitäten tätig. Ihr Ziel ist es,
die passive und aktive Sicherheit von Fahrzeugen zu verbessern. Für ihre Arbeit ist es
wichtig, auf die Erfahrungen der Unfallanalytiker zurückgreifen zu können. Umgekehrt
profitieren die eher praktisch tätigen Unfallanalytiker von den theoretischen Forschungs-
ergebnissen der Unfallforscher in der Automobilindustrie oder mit ihnen verbundenen
Institutionen.
Die außerdem noch auf diesem Gebiet tätigen Sachverständigen erfüllen andere Aufgaben:
Eine sehr große Gruppe bilden die Sachverständigen für Fahrzeugschäden und -bewertung.
Dabei handelt es sich um Experten, die sich mit der Schadenhöhe beschäftigen. Außerdem
gibt es noch die Berufsgruppe der Sachverständigen für Fahrzeuguntersuchungen. Sie sind
überwiegend auf dem Gebiet der technischen Fahrzeugüberwachung tätig. Da jedes dieser
Fachgebiete eine besondere Spezialisierung benötigt, sollten die Berufsbilder in Zukunft
besser voneinander getrennt werden. Auch dies ist ein wesentliches Ziel des EVU.
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3 EVU Projekt QUERY
3.1 Definition
Die EVU hat sich für die nächsten zwei Jahre das Ziel gesetzt, ein Unfallrekonstrukteur-
Netzwerk in ganz Europa aufzubauen und zu erforschen, wie das Berufsbild des
Sachverständigen für Unfallrekonstruktion in die unterschiedlichen Rechtssysteme integriert
ist. Dieses Projekt trägt den deutschen Titel:
Entwicklung der Richtlinien für ein „Best Practices“ Berufsbildes
des Unfallanalytikers.
In der englischen Übersetzung lautet er:
Developing Guidelines for a „Best Practices“ Qualification
of Accident Analysts (kurz QUERY)
3.2 Einführung
Auf den Straßen der Europäischen Union sterben jährlich ca. 40.000 Menschen, 1,5 mio
werden in Folge von Straßenverkehrsunfällen verletzt. Nach einem Verkehrsunfall stellt sich
die Frage nach der Unfallursache und wie man ihn hätte vermeiden können. Die Antwort
hierauf kann in den meisten Fällen nur ein entsprechend qualifizierter Unfallanalytiker
liefern, der anhand des gesicherten Spurenmaterials den Unfallablauf rekonstruiert. Stich-
probenartige Befragungen haben ergeben, dass das Berufsbild dieses Sachverständigen in
den verschiedenen Mitglieds- und Beitrittsländern der EU sehr unterschiedlich definiert ist.
Wie in anderen Berufsfeldern auch wäre es von Vorteil, wenn dieses Berufsfeld europaweit
harmonisiert werden könnte. Dies ist zur Zeit das Hauptziel der EVU.
Die Kenntnis des genauen Unfallablaufs ist eine unabdingbare Voraussetzung für die
nachfolgend aufgezählten Reaktionen auf ein Unfallereignis:
3.2.1 Prävention
Die strafrechtliche Fahndung in Verkehrsfällen setzt voraus, dass der Unfallablauf
rekonstruiert und ein mögliches Verschulden der Beteiligten bewiesen wird. Eine
Präventionswirkung wird dadurch erreicht, dass schuldhaftes Handeln bestraft wird.
3.2.2 Gerechte Aufteilung der zivilrechtlichen Kosten
In den meisten europäischen Rechtssystemen zahlen die Versicherungen des Unfall-
verursachers den materiellen Schaden, steht die Unabwendbarkeit für einen Beteiligten fest,
muss seine Versicherung nicht haften. Zur gerechten Kostenverteilung ist es notwendig, den
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Verursachungsgrad verschiedener Beteiligter festzustellen. Hierzu muss der Unfall
regelmäßig rekonstruiert werden.
3.2.3 Satisfaktionen
In der Regel trifft denjenigen, der einen Unfall verursacht auch ein Verschulden. In diesen
Fällen steht dem Opfer eines Verkehrsunfalls auch eine immaterielle Entschädigung zu
(„Schmerzensgeld“). Der Grad des Verschuldens kann durch eine Unfallrekonstruktion
ermittelt werden.
3.2.4 Verbesserung der Sicherheit an Kraftfahrzeugen im Straßenraum
Die im Rahmen einer Rekonstruktion gewonnenen Erkenntnisse zum Unfallablauf lassen
sich auch in praktische Empfehlungen umsetzen, wie zukünftig Unfälle vermieden (aktive
Sicherheit) oder zumindest wie die Folgen eines Unfalls gemildert werden können (passive
Sicherheit). Der Sachverständige für Unfallrekonstruktion kann die gewonnenen
Erfahrungen aus tatsächlichen Unfällen und aus Unfallversuchen in technische
Empfehlungen umsetzen, mit deren Hilfe sich der Unfallschutz verbessern lässt.
3.3 Projektziele
In allen europäischen Staaten arbeiten hochqualifizierte Unfallanalytiker als Sach-
verständige, die anhand der Unfallspuren den Hergang genau rekonstruieren können.
Bisher sind alle Regelungen zur Aus- und Weiterbildung des Unfallanalytikers, zur
Zulassung bei den Gerichten und anderen Institutionen und zur Position des
Sachverständigen bei Gericht in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Es existieren bisher
keine Erhebungen darüber, wie groß die Unterschiede sind und welche Gemeinsamkeiten
sich gebildet haben.
Um diese mit QUERY gesteckten Ziele zu erreichen, wurden zunächst in allen EU-Ländern
und den Beitrittsländern kompetente Ansprechpartner gesucht. Diese Phase war bis
November 2004 abgeschlossen. In jedem Land wurde mindestens ein geeigneter Techniker
als Partner für Query gefunden. Damit lässt sich die rechtliche Stellung des Sach-
verständigen in dem jeweiligen Rechtssystem ermitteln und das Berufsbild grob umreißen.
Nachdem in allen Ländern Kontaktpartner gefunden sind, fand der erste Workshop „Query
Phase 1“ am 4.11.2004 in Budapest statt (vgl. Abschnitt 3.5). Bei diesem Workshop wurden
die unterschiedlichen Berufsbilder an ausgewählten Beispielen von den jeweiligen
Ländervertretern vorgestellt.
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WEBER, Michael – Unfallrekonstruktion in Europa (EU-Projekt QUERY) Seite 14
Nach diesem Workshop erfolgt jetzt die eigentliche Datenerfassung durch vertiefende
persönliche Gespräche und auf elektronischem Wege. Die Auswertung der Daten wird
anschließend in einem Zwischenbericht festgehalten. Nach der Datenauswertung werden
die Partner aus den einzelnen Ländern zu einem zweiten Workshop im Herbst 2005
eingeladen. In diesem Workshop werden die Ergebnisse diskutiert und hieraus praktikable
Rahmenbedingungen und Inhalte abgeleitet, um das Berufsbild des Sachverständigen auf
europäischer Ebene zu vereinheitlichen.
Das Projekt QUERY wird von der DG-Tren der Europäischen Union (Generaldirektion
Energie und Transport) mit 50% der Kosten bezuschusst. Mit diesem Zuschuss und
Sponsoring verschiedener Organisationen konnte ein Budget von 120.000.- € für die
Finanzierung aufgebracht werden.
3.4 Erwartete Ergebnisse von QUERY
Mit den Daten und Informationen ist zum ersten Mal ein Überblick gegeben, wie der Sach-
verständige in die verschiedenen Rechtssysteme eingebunden ist, welchen Stellenwert er
einnimmt und über welche beruflichen Qualifikationen er in den einzelnen Ländern verfügt.
Aus diesen Resultaten kann das Berufsbild des europäischen Sachverständigen für
Unfallrekonstruktion festgeschrieben werden:
1. Über welche Ausbildung muss er verfügen?
2. Welche Mindestkenntnisse muss er haben, und wie kann man sie von einer
Zulassung (Zertifizierung) prüfen?
3. Wie kann man nach der Zulassung noch eine Qualitätskontrolle realisieren?
4. Wie werden die Unfallanalytiker honoriert?
Förderung durch
Brüssel
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Alle Ergebnisse sollen mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch) in
einem Buch oder einer Broschüre publiziert werden. Die wichtigsten Daten werden
zusätzlich in Fachzeitschriften (deutschsprachige Länder: Verkehrsunfall und Fahrzeug-
technik, England: ITAI, USA: Accident Reconstruction Journal, etc.) und auch im Internet
(www.EVUonline.org) publiziert.
3.5 QUERY - Phase 1
Am 04.11.2004 wurde in Budapest der erste Workshop zu dem Projekt QUERY
durchgeführt. Hierzu waren Fachleute aus nahezu allen europäischen Ländern erschienen.
Bis dahin war es gelungen, aus allen Staaten der EU 25 (bis auf Malta) ausführliche
Beschreibungen der beruflichen Situation zu erhalten. Zusätzliche Informationen lagen aus
der Schweiz und aus Norwegen vor. Die folgenden Themenbereich wurden in diesen
schriftlichen Präsentationen vor dem Treffen abgefragt:
• fachliche Voraussetzung
• offizielle Zulassung
• Position des Sachverständigen
• Arbeitsbedingungen
• Arbeitsfelder
• Verbände, Institutionen, Aktivität
Es stellte sich heraus, dass dieser Beruf in allen europäischen Ländern existiert. Die
westlichen (Spanien, Portugal, Frankreich und Italien) und die skandinavischen Länder
setzen aber bei der Aufarbeitung von Verkehrsunfällen sehr viel seltener Sachverständige
ein als die deutschsprachigen Länder. Im Westen werden sie überwiegend in Strafverfahren
hinzugezogen. Zivilrechtliche Auseinandersetzungen über Verkehrsunfälle vor Gericht sind
dort eher selten, weil die Versicherungen Streitigkeiten vor Gericht vermeiden. In deutsch-
sprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) werden Sachverständige für Unfall-
rekonstruktion auch häufig in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen hinzugezogen, damit
eine gerechte Aufteilung der Kosten erreicht wird.
Im englischen Rechtssystem, das ähnlich aufgebaut ist wie das amerikanische und
australische, gibt es keinen „Gerichtssachverständigen“. Dort treten in der Regel zwei oder
sogar mehr Privatsachverständige gegeneinander an, die von den Parteien gestellt werden.
In den meisten europäischen Staaten wird zwischen einem Gerichtssachverständigen und
einem Privatsachverständigen unterschieden. Die Position des Gerichtssachverständigen ist
in der Regel sehr viel stärker als die des Privatsachverständigen. Zur Auswahl eines
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geeigneten Gerichtssachverständigen stehen den Gerichten meist Listen zur Verfügung.
Oftmals ist aber nicht klar, welche Kriterien es gibt, um in eine solche Liste aufgenommen zu
werden.
Die östlichen Länder Europas haben teilweise einen überraschend hohen Standard in der
Unfallrekonstruktion. Er liegt meist deutlich höher als der in den westlichen Ländern. Die dort
tätigen Sachverständigen werden aber bei gerichtlicher Beauftragung außerordentlich
schlecht bezahlt (3,- bis 11,- €) und müssen deshalb Privataufträge übernehmen, um ihr
Auskommen zu haben.
Zwischen den Teilnehmern bestand Einigkeit darüber, dass eine universitäre Ausbildung mit
einem Ingenieurtitel in Maschinenbau oder einer vergleichbaren Ausbildung Mindest-
voraussetzung für die Berufsausübung sein muss. Wenn die Studienfächer die Grundlagen
der Unfallrekonstruktion und der Automobiltechnik nicht einschließen, sollten auch noch
post-graduate-studies Voraussetzung sein. Für die Zulassung vor Gericht sollte außerdem
noch mehrere Jahre Berufserfahrung in einem Büro zusätzlich vorgeschrieben werden.
Die Zulassung sollte nicht auf Lebenszeit, sondern limitiert für zwei bis fünf Jahre vergeben
werden. Bei der Zulassung soll auch die persönliche Integrität eines Bewerbers geprüft und
auch anschließend weiter überwacht werden.
In den Niederlanden und in Großbritannien wird Unfallrekonstruktion teilweise auch von
Polizeibeamten betrieben. (Im Projekt verstehen wir unter „Unfallrekonstruktion“: Mit
wissenschaftlichen Methoden Rückschlüsse aus den Unfallspuren ziehen.) Die Teilnehmer
von QUERY waren sich darüber einig, dass dies problematisch ist, weil die so verstandene
Unfallrekonstruktion eine solide akademische Ausbildung erfordert, die beim Polizeibeamten
fehlt. Deshalb sollte in den Richtlinien aufgenommen werden, dass Polizeibeamte nur für die
Spurensicherung an der Unfallstelle zuständig sind und auf diesem Gebiet besser aus-
gebildet werden sollen. Nur ausnahmsweise soll es nach umfangreichen Trainingsmaß-
nahmen möglich sein, dass Polizeibeamte auch einfache Unfallrekonstruktionen, wie etwa
die Geschwindigkeitsrückrechnung aus Bremsspuren, durchführen können. Diese beiden
Länder äußerten Bedenken gegen eine Richtlinie, bei der die Polizei überhaupt keine
Befugnisse zur Sachverständigentätigkeit haben soll.
Von den westlichen Teilnehmern, den Skandinaviern und den Engländern wurde beklagt,
dass kaum Austausch mit Mittel- und Osteuropa vorhanden ist. Die EVU ist die einzige
länderübergreifende Organisation in Europa. Wir werden jetzt unsere Aktivitäten in Richtung
dieser Länder verstärken. Hierzu muss die EVU konsequent Englisch als hauptsächliche
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WEBER, Michael – Unfallrekonstruktion in Europa (EU-Projekt QUERY) Seite 17
Verständigungssprache nutzen. (Bislang war die Hauptsprache im EVU Deutsch.) Als erstes
konkretes Ergebnis aus dem Workshop wurde eine Email-Diskussionsgruppe gegründet. Sie
wurde bereits eingerichtet, und zwar unter der Adresse
http://uk.groups.yahoo.com/group/eurec/ .
Nach Meinung der Konferenzteilnehmer sollen insbesondere folgende Punkte fest-
geschrieben werden:
• Mindestanforderungen an die berufliche Ausbildung
• erforderliche post-graduate-studies
• erforderliche berufliche Erfahrung
• weitere notwendige Kenntnisse (z. B. Führerscheine)
• Kriterien zur Aufnahme in eine Gerichtsliste
• Qualitätssiegel für den europäischen Sachverständigen
• Zusammensetzung einer Fachkommission zur Prüfung von Sachverständigen
• Prüfungskatalog für die Aufnahme in eine Gerichtsliste
• Mindestanforderungen an die moralische Integrität
• Limitierung der gerichtlichen Zulassung
3.6 Europäische Dimension der Recherche
Eine zuverlässige und genaue Rekonstruktion von Verkehrsunfällen ist nur möglich, wenn
der Unfallanalytiker über ein möglichst großes Fachwissen verfügt. Die von uns erarbeiteten
Empfehlungen lassen sich entweder auf europäischer Ebene oder Länderebene in
Richtlinien oder in Gesetze umsetzen. Durch die zunehmende Internationalisierung des
Verkehrs ist auch mit einer zunehmenden Unfallzahl mit Beteiligung von Bürgern aus
anderen Mitgliedsstaaten zu rechnen. Sowohl für die „zahlende Versicherung“ als auch für
den Bürger ist es beruhigend zu wissen, dass der Unfall von einem qualifizierten
Unfallrekonstrukteur, der europaweit geltende Kriterien erfüllt, analysiert wird. Hierdurch wird
auch die Rechtssicherheit in Europa erhöht.
Dies gilt nicht nur für Verkehrsunfälle, sondern auch für die Überwachung von
Verkehrsverstößen. In einigen Ländern werden zur Zeit noch zweifelhafte Meßmethoden
angewendet, die zu Fehlmessungen führen können. Zur Überprüfung dieser Messungen
werden von den Gerichten häufig Sachverständige für Unfallrekonstruktion herangezogen.
Deren kritische Berichte zu den Messmethoden hat schon zu vielen Verbesserungen
geführt.
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WEBER, Michael – Unfallrekonstruktion in Europa (EU-Projekt QUERY) Seite 18
Die Informationen, die im Rahmen des Projektes QUERY gewonnen werden, sollen mit
weiteren EU-Projekten, die sich mit dem Bereich der Datensammlung und der
Unfallursachenerforschung verzahnt werden. Die Teilnahme von Repräsentanten aus
anderen Projekten an den QUERY-Workshops ist daher vorgesehen.
Das Interesse der Unfallanalytiker an der Arbeit ihrer Berufskollegen in den EU-Staaten und
in den Beitrittsländern ist groß. Das zeigen unter anderem die von uns jährlich durch-
geführten Fachtagungen. Die Auslandsabteilungen der Versicherungen legen Wert darauf,
dass die Unfälle in den anderen Ländern korrekt und nachvollziehbar abgewickelt werden.
Sie sind deshalb an Publikationen zu diesem Thema sehr interessiert. Rechtsanwälte, die
Auslandsschäden bearbeiten, benötigen qualifizierte Sachverständige vor Ort. Diese
Gruppen können durch Fachpublikationen erreicht und informiert werden. Sollte es in
Zukunft gelingen, ein einheitliches Berufsbild des Sachverständigen für Unfallrekonstruktion
festzuschreiben und eine europäische Zertifizierung zu erreichen, dann kann auch ein
Sachverständigenverzeichnis für die gesamte EU im Internet veröffentlicht werden.
4 Weiterbildung der Sachverständigen durch die Knowledge Base
www.EVUonline.org
Schon seit der Gründung des EVU wurde darüber nachgedacht, wie man Informationen
zwischen den einzelnen Ländern austauscht. Die Idee einer europäischen Mitgliederzeitung
ließ sich leider aus Kostengründen nicht verwirklichen. Mit den neuen Medien Internet und
E-Mail stehen aber elegante und effiziente Werkzeuge zur Verfügung, um eine europäische
Wissensdatenbank für die Mitglieder zu installieren. Dieses Projekt wurde mittlerweile von
der EVU erfolgreich abgeschlossen. Seit Jahresbeginn 2004 steht die dynamisch
aufgebaute Datenbank im Internet zur Verfügung. Sie umfasst folgende Bereiche:
• Umfangreiche Datensammlungen mit Fachartikeln, Büchern, Arbeitsblättern, Programmen und Excel-Sheets
• Versuchsdatenbank mit differenzierten Recherchemöglichkeiten
• Veranstaltungskalender für Fachtagungen und Seminare
• Adressverzeichnis mit Experten und Organisationen (öffentlich)
• Fachbezogene Linksammlung
Alle Informationen einschließlich der downloadbaren Dokumente wie PDF, Excel, Word oder
Fotos sind in einer Access-Datenbank abgelegt. Für den Anwender wurden umfangreiche
Such- und Recherchemöglichkeiten mit Suchmasken und Filtern eingerichtet. Damit ist es
möglich, in Sekundenschnelle nach Schlagwörtern, Autoren oder anderen Suchkriterien die
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
WEBER, Michael – Unfallrekonstruktion in Europa (EU-Projekt QUERY) Seite 19
gewünschten Informationen aufzuspüren. Die Knowledge Base wird von den Mitgliedern
selbst mit Daten gefüttert. Man kann Texte, Fotos und auch fertige Dokumente in eine
einfach zu bedienende Maskenstruktur eingeben und die Daten mit einem Mausklick ohne
jegliche Programmierkenntnisse auf den Server bringen. Bedingung hierfür sind allerdings
Redaktionsrechte über die nur einige der Mitglieder verfügen. Damit wird sichergestellt, dass
keine ungeprüften Informationen dort veröffentlicht werden. Jedes Mitglied kann aber Inhalte
an einen der Redakteure schicken, der sie dann sofort publiziert.
DI Michael WEBER
Vorsitzender des EVU-Dachverbandes EVU-Geschäftsstelle, D - 22303 Hamburg, Borweg 6 +49 (040) 636 099 88 E-Mail: [email protected] www.evuonline.org
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in www.EVUonline.org
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
VON GLASNER, Egon-Christian – Wahre Sicherheit von Fahrerassistenzsystemen Seite 20
Prof. Dr.-Ing. habil. Egon-Christian VON GLASNER Präsidialratsvorsitzender des EVU-Dachverbandes
Wahre Sicherheit von Fahrerassistenzsystemen
Ein Statusreport der Europäischen Vereinigung für Unfallforschung:
„Zukünftige Fahrerassistenzsysteme - ein Beitrag
zur Steigerung der aktiven Sicherheit“
VORTRAGSGLIEDERUNG:
• Aktivitäten zu Fahrerassistenzsystemen weltweit
• Bremssystemmanagement als Plattform für Assistenzsysteme
• Existierende und zukünftige Fahrerassistenzsysteme
- Bremssysteme mit integrierten Dauerbremsanlagen - Stabilitätssysteme mit Überschlagverhinderung
- Koppelkraftregelung, aktive Kupplung für Anhängefahrzeuge - Bremsbelagverschleißharmonisierung - Bremsassistent - Abstandsregeltempomat - Spurassistent - Systeme zur Verbesserung der Nachtsicht - Kommunikation der Fahrzeuge untereinander - Umfeldüberwachung - Verkehrsteilnehmer- und Verkehrszeichenerkennung
- Autonomes Fahren mit X-by-Wire-Systemen
• Fazit: Gedanken zu Fahrerassistenzsystemen
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26. Februar 2005, Wien
VON GLASNER, Egon-Christian – Wahre Sicherheit von Fahrerassistenzsystemen Seite 21
AKTIVITÄTEN ZU FAHRERASSISTENZSYSTEMEN WELTWEIT
• Elektronisches Bremssystem (EBS, als Plattform für Fahrerassistenzsysteme) mit Integration von ABS und ASR sowie Retarder- und/oder Motorbremssystem als Minimalausstattung,
• Stabilitätssystem (ESP/FDR) mit Überschlagverhinderung (ROP),
• Koppelkraftregelung zwischen Zug- und Anhängefahrzeug,
• Anfahrregelung am Berg,
• Bremsbelagverschleißregelung,
• Bremsassistent,
• Radar/Laser Abstandsregeltempomat,
• Spurassistent,
• Aktiver Fahrersitz,
• Kraftschlussermittlung zwischen Reifen und Fahrbahn,
• Regensensor,
• Reifendruckkontrolle,
• Warnhinweise basierend auf Informationen des Navigationssystems,
• Systeme zur Verbesserung der Sicht (kurven- und kreuzungsabhängige Beleuchtung, Nachtsichthilfen),
• Fußgänger-, Radfahrer- und Verkehrszeichenerkennung,
• Parkassistent (Einparken und Rangieren),
• Stabilitätssystem (ESP/FDR) und Spurassistent mit Lenkeingriff,
• Intelligenter Abstandsregeltempomat mit Stop-and-Go-Automatisierung,
• Informationsaufnahme durch Kommunikation der Fahrzeuge untereinander,
• Überwachung des Fahrzeugumfelds (Kreuzungs- und Abbiegeassistent, Rückwärtsfahr- und Totwinkelüberwachung),
• Autonomes Fahren mit elektronischer Deichsel („Platooning“), Autopilot, X-by-Wire Systemen (Power-by-Wire, Shift-by-Wire, Steer-by-Wire, Suspension-by-Wire und Brake-by-Wire), etc.
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26. Februar 2005, Wien
VON GLASNER, Egon-Christian – Wahre Sicherheit von Fahrerassistenzsystemen Seite 22
FAZIT ZU FAHRERASSISTENZSYSTEMEN
• Mechatronische (= mechanische + elektronische) Fahrerassistenzsysteme
können die heutigen Unfallzahlen noch einmal erheblich mindern.
• Der Schlüssel zur Unfallminderung liegt in der Elektronik, da die
Reaktionszeiten mechatronischer Systeme deutlich kürzer als die
konventioneller, mechanischer Systeme sind.
• Ein unkonzentrierter, übermüdeter Fahrer kann durch Fahrerassistenzsysteme
rechtzeitig vor einer möglichen Unfallsituation gewarnt werden. Notfalls
kompensiert das System die fehlerhafte Reaktion des Fahrers durch
selbständigen Regeleingriff.
• Die sichere Erkennung bei Tag und Nacht vor allem von Fußgängern und
Radfahrern, aber auch von Verkehrszeichen, ist für zukünftige Fahrer-
assistenzsysteme besonders wichtig, um rechtzeitig reagieren und Unfälle
verhindern zu können.
• Stabilitätsregelungen, Spurhaltesysteme und Abstandsregelungen in
Kombination mit der “Elektronischen Knautschzone“ können Unfallzahlen
dramatisch verringern.
Dies würde den Forderungen der EU, bis 2010 die Anzahl der Toten auf
unseren Straßen zu halbieren, stark entgegenkommen.
• Der Fahrer muss von allen Aufgaben, die ihn ablenken oder stark
belasten, entlastet werden. Vernetzte Fahrerassistenzsysteme werden ihm
dabei helfen.
Prof. Dr. Egon-Christian VON GLASNER
Präsidialratsvorsitzender des EVU-Dachverbandes Senior Manager Daimler Chrysler AG (i.R.) D - 73650 Winterbach, Vogelsangweg 13 +49 (0718) 17 18 82 oder +49 (0162) 903 55 66 E-Mail: [email protected]
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26. Februar 2005, Wien
LUGNER, Peter – Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ Seite 23
Univ.-Prof. DI Dr. Peter LUGNER Technische Universität Wien
Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ
Einleitung
Für die Analyse der Fahrdynamik eines Kfz ist es wichtig zu wissen, welche Möglichkeiten
heute gegeben sind um das Verhalten rechnerisch zu rekonstruieren. Dabei werden hier
nicht der Kollisionsvorgang und dessen Rekonstruktion betrachtet, sondern es soll
aufgezeigt werden, wie und mit welchen Mitteln eine Fahr- oder auch Auslaufbewegung
eines Fahrzeugs simuliert werden kann. Wie detailliert muss ein Rechenmodell sein um eine
beweiskräftige Aussage über das dynamische Verhalten des Fahrzeugs oder einzelner
Komponenten zu erhalten? Für den Sachverständigen (SV) ergibt sich daraus die
Notwendigkeit zu beurteilen, ob die ihm zur Verfügung stehenden Mittel (und auch Daten)
ausreichen, um eine gegebene Aufgabenstellung sinnvoll lösen und brauchbare Ergebnisse
erhalten zu können.
Systemmodelle
Mit der Betonung auf die Quer- und Längsdynamik des Fahrzeugs werden Modelle für die
mathematische Simulation vorgestellt, deren unterschiedliche Komplexität die möglichen
Anwendungsgebiete charakterisieren.
Reifenmodelle
Bedenkt man, dass abgesehen von den Luftkräften auf das Fahrzeug, alle das dynamische
Fahrverhalten bestimmenden Kräfte über den Reifen bzw. dessen Aufstandsfläche auf das
Fahrzeug übertragen werden, ist es offensichtlich, dass die mathematisch-mechanische
Beschreibung dieser Kraftübertragung besonders wichtig ist. Allerdings muss auch hier
erwähnt werden, dass oft nur dürftige Informationen über die Kontaktpaarung Reifen-
Fahrbahn zur Verfügung stehen.
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26. Februar 2005, Wien
LUGNER, Peter – Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ Seite 24
Die für eine Simulation des Fahrverhaltens einsetzbaren Reifenmodelle lassen sich in etwa
wie folgt einteilen:
a.) linearisierte Beschreibung, mit oder ohne Sättigung der maximal übertragbaren
Umfangs- und/oder Seitenkräfte
b.) nichtlineare Approximationen gemessener Kennfelder oder Kennlinien
c.) einfache Deformationsmodelle nur Berücksichtigung der Bewegung des Gürtels
gegen die Felge sowie des globalen Lasch-Fahrbahn Kontaktes
d.) Strukturmodelle mit Darstellung der lokalen Reifen- und Latschstrukturen.
Oft wird es ausreichen die einfacheren Modelle a.) b.) zu verwenden, für die im Allgemeinen
mit wenigen Parametern eine brauchbare Anpassung für die Untersuchung von aktuellen
Bedingungen möglich ist.
Umfasst jedoch eine Fragestellung auch Auswirkungen auf Radaufhängungskomponenten
wobei die lokale Fahrbahnbedingungen maßgeblich sind, wird sich der Einsatz der
komplexeren Modelle (mit dem Nachteil der größeren Anzahl benötigter Kennwerte) kaum
vermeiden lassen.
Fahrzeugmodelle
Für das einfachste Modell eines Pkw werden die Räder einer Achse zu einem „Ersatzrad“ in
Fahrzeugmitte zusammengesetzt, Abb. 1. Das System hat damit keine Aufbaubewegung,
sondern nur eine Quer- und Gierbewegung. Eine Längsdynamik (mit Radlastverlagerung
vorne-hinten) kann mit einem um ein Antriebsystem erweitertes Modell berücksichtigt
werden.
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26. Februar 2005, Wien
LUGNER, Peter – Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ Seite 25
Abb. 1: „2-Rad Ersatzmodell“
In Kombination mit einem Reifenmodell der Art a.) können mit diesem Model Fahr-
bewegungen des Gesamtfahrzeugs mit nicht zu großer Querbeschleunigung (ca. bis 0,4 g
für Pkw auf trockener Fahrbahn) simuliert werden. Es ist auch ein wesentlicher Bestandteil
von Fahrdynamik Regelsystemen wie z.B. dem ESP.
Ein 4-Rad-Fahrzeugmodell siehe z.B. Abb. 2 zusammen mit einem Reifenmodell nach b.)
oder c.) erlaubt die Erfassung der Bedingungen an jedem einzelnen Rad (z.B. blockiertes
Rad, wechselnde Kraftschlussbedingungen). Da über die Aufbaubewegung die möglichen
Lastverlagerungen vorne-hinten, links-rechts erfasst werden können, ergeben sich keine
Beschränkungen für die Dynamik des Gesamtfahrzeugs. Modelle dieser Art werden häufig
in Unfallrekonstruktionsprogrammen eingesetzt (z.B. PC-Crash)
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
LUGNER, Peter – Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ Seite 26
Abb. 2: „4-Rad Ersatzmodell“
Detaillierte 3D-Fahrzeugmodelle werden heute im Allgemeinen über Mehrkörpersystem-
Programme erstellt und mit diesen (oder etwa auch Simlink) die Simulationen durchgeführt.
Das Modell beinhaltet dabei eine detaillierte Beschreibung der Einzelkomponenten z.B.
Dämpfer von Radaufhängungen, Lenksystem mit Dämpfungseigenschaften und
Elastizitäten, wobei auch die Flexibilität von Teilstrukturen (z.B. Lkw-Rahmen) berücksichtigt
werden kann. Mit Reifenmodellen der Art d.) (aber auch noch c.)) können Analysen lokaler
Bauteile oder auch Einflüsse von lokalen Fahrbahnstrukturen wie Schlaglöcher erfasst
werden. Allerdings ist der nötige Aufwand zur Daten – und Parameterbeschaffung
beträchtlich.
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26. Februar 2005, Wien
LUGNER, Peter – Möglichkeiten der Simulation des dynamischen Verhaltens von KFZ Seite 27
3. Schlussfolgerungen
Das in Abb. 3 aufgezeigte Schema will kurz charakterisieren, welche Möglichkeiten bzw.
Notwendigkeiten sich bei der Beurteilung eines Unfalls ergeben können.
Besondere Kapazitäten Personal, Programme
nötig
Spezialauswertung
Unfallbe- urteilung
Systemanalyse ohne Spezialinformationen
möglich
Erweiterte Auswertung
Details zum Verhalten von Systemkomponenten
Routine Standardauswertung Unfall ja
ja
ja
nein
nein
nein
Abb. 3: Auswahlschema zur Unfallanalyse
Bezüglich der Simulation und Analyse des Fahrzeugverhaltens vor aber auch nach der
Kollision wollen die vorgestellten Fahrzeug- und Reifenmodelle helfen eine passende
Auswahl zu treffen.
Univ.-Prof. DI Dr. Peter LUGNER
TU Wien, Institut für Mechanik und Mechatronik 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 8 / 325 01 / 588 01 - 32 511 E-Mail: [email protected]
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 28
Univ.-Prof. DI Dr. Hermann STEFFAN DSD Linz, Technische Universität Graz – Institut für Fahrzeugsicherheit
Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision
Unfallstatistik EU - Jährliche Unfälle und Folgekosten:
- 40.000 Unfalltote
- 1,6 Millionen Verletzte
- wirtschaftliche Gesamtkosten: 160 Mrd. €
- jede 80. Person in der EU stirbt an einem Verkehrsunfall
Unfallstatistik weltweit - Jährliche Unfälle und Folgekosten:
- >1.000.000 Unfalltote
- Asien: +20% Unfalltote / Jahr
Vergleich Wien Neu Dehli
Fahrzeuge 1 300 000 2 000 000
Tote/Jahr 40 4000
Todesursachen
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 29
Entwicklung der Unfälle Österreich
Getötete Unfälle VerletzteGetötete Unfälle Verletzte
Häufigkeit verschiedener Kollisionstypen
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 30
Problematik USA
- Mehr als 50% der Neuzulassungen sind SUV oder Pickup
- 51% der tödlichen Verletzungen in einem PKW werden durch einen
Seitenanprall verursacht (31% im Jahr 1980)
- In den USA sitzen zirka 60% der beim Seitenanprall tödlich Verletzten in
einem PKW, der von einem SUV oder Pickup getroffen wird
- Im SUV/ Pickup deutlich geringeres Risiko beim Seitenanprall
Beispiel einer Seitenkollision
Testverfahren - Bsp.: EURONCAP
(“New Car Assessment Program” – Unabhängiges Unternehmen)
Testgeschwindigkeit: 50+/-1 km/h
Schlittenmasse: 950 +/- 20 kg
Aufprallwinkel: 90°
Barriere: wie ECE R95
Kriterien:
- Insassenbelastung
- Struktur des Fahrzeuges
- Intrusionen
Bewertung erfolgt nur zusammen mit Frontalaufprall (50/50)
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 31
Testverfahren - Bsp.: FMVSS
(“Motor Vehicle Safety Standard” ~Gesetzgebung in den USA)
FMVSS 214:
Testgeschwindigkeit: 53.9+/- 0.8 km/h
Schlittenmasse: 1367 kg
Aufprallwinkel: 27°
Kriterien:
- Insassenbelastung
- Bergeverhalten
- Struktur des Fahrzeuges
Konventioneller Seitencrash (ECE R 95)
Höhenvergleich der Fahrzeugfronten
Problem: Intrusion Entfaltung Airbag
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26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 32
Problem: Kopfkontakt
Barrierentest in Nordamerika
IIHS Beurteilung
Insassen:
- Kopf
- Nacken
- Thorax/ Abdomen
- Becken, Bein
Fahrzeug:
- Struktur
IIHS Seitenanprall - Verwendete Dummies
• ECE R95 (EuroSID)
• LINCAP (USSID)
• IIHS (SID2S) - deutlich kleiner
• World SID noch nicht in Verwendung
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26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 33
Notwendige Versteifungen der Struktur
- Dachstruktur für Kraftpfad
- Bodenstruktur für Kraftpfad
- B-Säule für Biegemoment
Zu imitierende Pulse Simulation Schlitten
Kurvenbeispiel: Testverfahren LINCAP
Türschlitten
Sitzschlitten
Startverriegelung
Zylinder zurSitzpulserzeugung
KolbenstangedervorhandenenAnlage
Ersatzpuls: Beschleunigung Sitz Ersatzpuls: Intrusion
0 0.05 0.1 0.15 0.2 0.25 0.3
0
5
10
15
20
25
30
Originale SitzbeschleunigungBeschleunigung durch Zylinder bei p
vor= 96[bar], Vorsp.weg=280[mm]
-0.02 0 0.02 0.04 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 0.18-50
0
50
100
150
200OriginalintrusionErsatzintrusionDifferenz der Intrusionen
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
STEFFAN, Hermann – Probleme durch den SUV bei der Seitenkollision Seite 34
MADYMO® Simulation
Originalpuls
simulierter Puls
Zusammenfassung:
• Vor allem in den USA deutliche Zunahme von AIS3+ beim Seitencrash
• Hauptursachen: höhere Kontaktzone, steifere Front, höhere Fahrzeugmasse
• Alle 3 Kriterien treffen auf SUV zu
• IIHS Seitencrash trägt diesem Umstand Rechnung
Notwendige Eingriffe für IIHS
• Erhöhung der Struktursteifigkeit insbesondere der B-Säule
• Kopfabstützung über Airbag für fast alle Fahrzeuge notwendig
• Separate Abstimmung des Rückhaltesystems
• Triggerung des Airbags kritisch durch langsameren Anstieg der
Beschleunigungen im Querträger
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hermann Steffan
DSD – Dr. Steffan Datentechnik Ges.m.b.H., Linz 4020 Linz, Salzburger Straße 34 0732 / 34 32 00 E-Mail: [email protected]
Technische Universität Graz Institut für Fahrzeugsicherheit (Vehicle Safety Institute) 8010 Graz, Inffeldgasse 21B/II 0316 / 873 - 9400 E-Mail: [email protected]
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 35
Mag. Dr. Werner GRATZER DWG Sachverständigenbüro Gratzer
Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen – Tunnelunfall in St. Gotthard u.a.
Konsequenzen aus den Unfällen zur Prävention und zur Bewältigung
Einleitung .......................................................................................................................... 36
Spezielle Probleme bei Unfällen mit LKW – Beteiligung .................................................... 36 Zum Massenproblem ................................................................................................. 36 Beispiel 1 ........................................................................................................... 36 Beispiel 2 ........................................................................................................... 37 Zum Formgebungsproblem ........................................................................................ 37 Zum Anhängerproblem .............................................................................................. 37 Zu den Reifenkräften ................................................................................................. 38 Zu berücksichtigende Umstände ............................................................................... 38
Unfälle in Alpen – Tunnel .................................................................................................. 39 Untersuchungen vor Ort .................................................................................................... 40 Vermessung der Deformationen ................................................................................ 41 Untersuchung von Kontaktspuren .............................................................................. 42 Spuren ....................................................................................................................... 44 Mehrbildfotogrammetrie (RolleiMetric) und Computerauswertung ..................................... 46 Grundlagen ....................................................................................................................... 48 Struktursteifigkeiten von LKWs .................................................................................. 49 Struktursteifigkeiten von LKWs (derzeitiger Stand: Mai 2002) .................................... 50
Unfallrekonstruktion am Beispiel des „Tauerntunnel-Unfalles“ Kollisionsreihenfolge .................................................................................................. 50 Kollisionsgeschwindigkeit des auffahrenden Fahrzeuges .......................................... 51 Unfallrekonstruktion am Beispiel des „St. Gotthard–Tunnel – Unfalles“ ............................. 53 Zusammenfassung ............................................................................................................ 54
Konsequenzen aus den Unfällen zur Prävention und zur Bewältigung .............................. 56 Präventive Maßnahmen umfassen die folgenden Gebiete: ............................................... 56 Verkehrsregelung ...................................................................................................... 56 Signalisation .............................................................................................................. 57 Verbesserungen an den Fahrzeugen ......................................................................... 57 Maßnahmen zur Schadensbewältigung umfassen die folgenden Gebiete: ........................ 57 Fluchtwege ................................................................................................................ 57 Information der Verkehrsteilnehmer ........................................................................... 57 Zusammenfassung ............................................................................................................ 58
DWG Dr. Werner Gratzer
Sachverständigen-Büro für Unfallrekonstruktionen
Softwareentwicklung für Unfallrekonstruktionen
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26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 36
Einleitung
Unfälle mit LKWs zeichnen sich auf Grund ihrer großen Masse dadurch aus, dass sie
wesentlich energiereicher ablaufen als solche mit PKWs.
In den meisten Fällen stehen als Hilfsmittel zur Rekonstruktion die Auswertung der
Tachografenscheibe zur Verfügung. Wenn eine Auswertung nicht möglich ist, weil das
Fahrzeug etwa einem Brand zum Opfer fiel, oder weil sie vorsätzlich vernichtet wurde, so
müssen andere rekonstruktive Methoden gefunden werden.
Für die Ermittlung der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung kann die Fahrzeug-
deformation herangezogen werden.
Spezielle Probleme bei Unfällen mit LKW - Beteiligung
Aufgrund seiner großen Masse und steifen offenen Bauweise bringt das Nutzfahrzeug
Probleme beim Kollisionsablauf und auch bei dessen Rekonstruktion. Probleme, die etwa
bei einer PKW – PKW –Kollision nicht oder nicht in diesem Ausmaß auftreten.
• Massenproblem
• Steifigkeitsproblem
• Formgebungsproblem
• Anhängerproblem
• Reifenkräfte
Zum Massenproblem
Der Einfluss der großen Masse eines Nutzfahrzeuges lässt sich an den beiden folgenden
Rechenbeispielen aufzeigen (Anm.: Berücksichtigt wurde bei den Berechnungen eine Reifenreibung):
Beispiel 1
Die Geschwindigkeitsänderung eines LKWs mit der Masse von 34.000 kg bei einer Kollision
gegen einen stehenden PKW mit 1.300 kg errechnet sich bei einer Kollisions-
geschwindigkeit von 50 km/h zu rund 3 km/h. Die Auslaufgeschwindigkeit wäre etwa
47 km/h gewesen. Für den PKW würde sich unter Berücksichtigung einer Geschwindig-
keitsdifferenz von 4 km/h nach der Kollision eine Auslaufgeschwindigkeit von knapp 51 km/h
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 37
und ein EES-Wert von etwas über 47 km/h errechnen. Hingegen berechnet sich der EES-
Wert für den LKW nur zu rund 2 km/h.
Bei einer Struktursteifigkeit des PKWs von 700 kN/m und des LKWs von 16000 kN/m
errechnet sich die Deformation des PKWs zu über 56 cm und die des LKWs zu 2,5 cm.
Beispiel 2
Bei einer Kollision mit 50 km/h gegen einen stehenden gleich schweren LKW wäre die
Geschwindigkeitsänderung knapp 28 km/h. Bei einer Struktursteifigkeit an der Front von
16000 kN/m und am Heck von 35000 kN/m errechnet sich für die Deformation an der Front
ein Wert von 37 cm (EES-Wert 29 km/h) und am Heck 17 cm (EES-Wert 19,5 km/h).
Zum Formgebungsproblem
Abbildung 1
Zum Anhängerproblem
Auf Grund seiner großen Masse hat der Anhänger einen sehr großen Einfluss auf das
Kollisionsgeschehen. Bereits kleine Änderungen des Winkels zwischen Zugmaschine und
Anhänger bewirken einen mitunter ganz anderen Ablauf. Dies schafft vor allem bei der
Rekonstruktion Probleme, wenn keine Auslaufspuren vorhanden sind. Wird die „Vorwärts-
analyse“ das Impulsverfahren in Vorwärtsrechnung („Vorwärtsanalyse“) angewendet, so
müssen noch zusätzliche anhängerspezifische Parameter berücksichtigt werden. Das heißt
die Zahl der Parameter, die innerhalb einer zulässigen Bandbreite geändert werden können
und müssen, vergrößert sich. Die Änderung der Anhängerwinkelstellung um z.B. 1° kann
rechnerisch bereits zu einem völlig anderen Auslauf der Fahrzeuge führen.
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26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 38
Abbildung 2
Für die Rekonstruktion bedeutet dies, dass einerseits die Bandbreite des Ergebnisses
gegenüber Solofahrzeuge vergrößert werden muss. Andererseits wird es notwendig sein,
der Deformationsenergie als Kontrollgröße verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen.
Zu den Reifenkräften
Erfolgt die Kollision bei gebremsten Fahrzeugen, so wird vor allem bei länger andauernden
Kollisionen und bei kleinen Relativgeschwindigkeiten die Reifenreibung sowohl als Impuls-
änderung (Reibungskraft * Stoßdauer) als auch als Reibarbeit (Reibungskraft * Weg
während der Kollision) nicht mehr vernachlässigbar klein und muss bei genauen
Berechnungen daher berücksichtigt werden.
Zu berücksichtigende Umstände
Daraus resultieren bei der Unfallanalyse zu berücksichtigende Umstände:
• Oft lange Stoßdauer
• Reifenkräfte können oft groß werden
• Die Auslaufbewegung kann durch Ladungsverschiebung, Bruch von Teilen der
Radaufhängung u.s.w. beeinflusst werden
• Stoßpunkt und Stoßkräfte sind oft schwer abschätzbar
• Winkelstellung eines vorhandenen Anhängers oft nicht exakt bestimmbar.
• Bewegung des Unfallgegners ist vielfach nicht eben. Ein PKW kann unter den
LKW gedrückt werden. Dabei treten große Reibungskräfte auf.
In vielen Fällen stehen als Hilfsmittel zur Rekonstruktion die Auswertung der
Tachografenscheibe zur Verfügung. Wenn eine Auswertung nicht möglich ist, weil das
Fahrzeug etwa einem Brand zum Opfer fiel, oder weil die Tachoscheibe vorsätzlich
vernichtet wurde, so müssen andere rekonstruktive Methoden gefunden werden.
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26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 39
Unfälle in Alpen – Tunnel
In den letzten Jahren ereigneten sich in Tunnel der Alpen einige schwere Verkehrsunfälle.
Zu den beiden schwersten und folgenreichsten gehören der „Tauerntunnel-Unfall“ (Mai
1999) und der Unfall im St. Gotthard – Tunnel (Oktober 2001). Bei beiden Unfällen brach ein
verheerender Brand aus, obwohl bei beiden Fällen kein Gefahrengut transportiert wurde.
Im Mai 1999 ereignete sich in Österreich im nicht richtungsgetrennten, sogenannten
Tauerntunnel ein folgenschwerer Auffahrunfall, dem 12 Personen und 41 Fahrzeuge zum
Opfer fielen. Ein sich rasch ausbreitender Brand vernichtete sowohl alle Tachografen-
scheiben als auch alle Spuren.
Dieser Unfall war ein charakteristischer Serienunfall, an welchem ein LKW, vier PKWs und
2 Sattelkraftfahrzeuge beteiligt waren.
Der Unfall ereignete sich in einem Abschnitt mit Gegenverkehr rund 600 m vor dem Ende
des mehrere Kilometer langen Tunnels. Wegen einer Bautätigkeit musste eine Signal-
lichtanlage eingerichtet werden. Vor der Rotlicht zeigenden Ampel hielten Fahrzeuge an.
Am Ende der stehenden Kolonne kam es zu einem folgenschweren Auffahrunfall.
Eine zentrale Frage war die Kollisionsgeschwindigkeit des letzten Fahrzeuges. Es handelte
sich dabei um einen 34 t schweren Sattelzug. Dieser kollidierte zunächst mit vier PKWs, von
denen zwei zur Seite geschoben und zwei unter das Heck eines davor befindlichen weiteren
Sattelzuges gedrückt wurden. Dieser zweite Sattelzug wurde noch auf einen davor
befindlichen LKW geschoben.
An objektiven Unterlagen waren nur die Endlagen der beiden Sattelzüge und der vier PKWs
sowie deren Deformationen vorhanden. Der LKW wurde nach der Kollision vom Lenker
etwas nach vorne gefahren, sodass seine ursprüngliche Endlage nicht mehr festgestellt
werden konnte.
Anhaltspunkte für die Rekonstruktion lieferten die Aussagen des LKW-Lenkers und des
Lenkers des vorderen Sattelzuges über die kollisionsbedingte Verschiebestrecke bzw. über
den ursprünglichen Tiefenabstand.
Da die Kollisionspositionen der Fahrzeuge nicht objektivierbar waren, konnten die Auslauf-
geschwindigkeiten nicht berechnet werden und es versagt daher die klassische
Kollisionsanalyse (Rückwärtsanalyse). Eine Vorwärtssimulation konnte auch nicht
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 40
angewendet werden, da mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass viele Sekundär-
kollisionen der Fahrzeuge untereinander und auch mit der Tunnelwand stattgefunden
haben. Auch wird bei den zur Verfügung stehenden Rekonstruktionsprogrammen die
Kollisionsdauer vernachlässigt. Diese wird im konkreten Fall aber einen wesentlichen
Einfluss gehabt haben, da vermutlich teilweise Kollisionen zeitlich einander überlappten. Die
Berechnung der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung musste daher aus den
Deformationen erfolgen.
Im Oktober 2001 ereignete sich in der Schweiz im nicht richtungsgetrennten St. Gotthard –
Tunnel ein ähnlich schwerer Unfall. Auch hier gerieten die Fahrzeuge in Brand. Insgesamt
kamen elf Personen ums Leben.
Die Charakteristik dieses Unfalls war ganz anders. Ein in Richtung Norden fahrender
Sattelzug kam auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einem in Richtung Süden
fahrenden Sattelfahrzeug. Der Lenker dieses Fahrzeugs versuchte noch die Kollision durch
ein Ausweichen nach links zu vermeiden. Dennoch kam es zu einer Kollision jeweils
zwischen den rechten vorderen Ecken der Zugfahrzeuge.
Auch bei diesen Fahrzeugen wurden durch Brand die Tachografenscheiben vernichtet.
Die Problematik bei der Rekonstruktion war der große Einfluss den die Auflieger auf Grund
ihrer großen Masse auf das Unfallgeschehen hatten.
Untersuchungen vor Ort
In vielen Fällen stehen als Hilfsmittel zur Rekonstruktion die Auswertungen der Tacho-
grafenscheiben zur Verfügung. Auf die Problematik der Auswertung soll hier nicht im Detail
eingegangen werden. Es darf jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Genauigkeit nur
bei ± einigen km/h und ± 1 s liegt. Wenn im Geschwindigkeitsaufschrieb die berühmte
Rüttelmarke aufscheint, so kann nicht einfach der Schluss gezogen werden, dass die
betreffende Geschwindigkeit auch mit der Kollisionsgeschwindigkeit übereinstimmt.
Wenn eine Auswertung nicht möglich ist, weil das Fahrzeug etwa einem Brand zum Opfer
fiel oder weil die Tachoscheibe unbrauchbar ist (z.B. mehrmals überschrieben) oder
vorsätzlich vernichtet wurde, so müssen andere rekonstruktive Methoden gefunden werden.
3. EVU – Verkehrssicherheitsseminar in Österreich
26. Februar 2005, Wien
GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 41
Um aus der Deformation die Deformationsenergie bestimmen zu können, muss die
Struktursteifigkeit des deformierten Bereiches ermittelt / abgeschätzt werden. Zu diesem
Zweck mussten mehrere Verkehrsunfälle und Crashtests ausgewertet werden.
Es soll hier das Verfahren aufgezeigt werden, wie die Deformationsenergie berechnet
werden kann.
Vermessung der Deformationen
Verformungen der gesamten Karosserie können sehr gut dadurch ermittelt werden, dass am
Boden eine Umrisslinie und die Radaufstandspunkte mit einem Markierungsspray
aufgebracht werden. Mit Hilfe eines Lotes kann eine höhere Genauigkeit erzielt werden.
Nachdem dann das Fahrzeug entfernt wurde, sind Referenzpunkte zu vermessen und
Lichtbilder zur fotogrammetrischen Auswertung anzufertigen. Die Deformation lässt sich
dann grafisch ermitteln (Abbildung 3).
Abbildung 3
Weniger starke Verformungen lassen sich durch Vergleichsmessungen ermitteln. Liegt z.B.
eine Deformation an der Front vor, so wird der Abstand von ausgewählten Punkten zu nicht
durch die Kollision beeinflussten Punkten der Karosserie oder Achsteilen vermessen. Die
analogen Punkte sind an einem unbeschädigten typengleichen Fahrzeug zu vermessen.
Aus dem Unterschied der Maße ergibt sich dann die Deformation.
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Die besten aber auch aufwendigsten Methoden sind:
• dreidimensionale Vermessung mittels eines Messrahmens (Abbildung 4) oder
Abbildung 4: Messrahmen
• Aufbringung von Messpunkten und Anfertigung von Fotos aus verschiedenen
Richtungen und Bearbeitung mittels geeigneter Software zur Anfertigung von
dreidimensionalen Abbildungen (z.B. Fotomodeller, Abbildung 5)
3 D Bild des links abgebildeten Fahrzeuges
Abbildung 5
Untersuchung von Kontaktspuren
Sind mehrere Fahrzeuge in die Kollision verwickelt und bewegten sie sich im Auslauf in
unterschiedliche Richtungen, so ist die Ermittlung der Reihenfolge, in welcher sich die
Fahrzeuge der Unfallstelle näherten, aus der Endlage oft nicht möglich.
Um prüfen zu können, welches Fahrzeug mit welchem in Kontakt kam, müssen Kontakt-
spuren gesucht werden.
• Die einfachste Möglichkeit bieten Auftragspuren. Es muss aber berücksichtigt
werden, dass unter dem Decklack auch andere Farbschichten sein können, das
heißt ein zunächst augenscheinlicher Farbunterschied darf nicht sofort interpretiert
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werden. Auch muss berücksichtigt werden, dass auf Hochglanz polierte Farben
einen anderen Farbton haben können als die meist matte Abriebspur. Zur
eindeutigen Identifizierung müssen im Zweifelsfall Proben genommen und
chemisch untersucht werden.
• Die nächste Möglichkeit bieten die Form der Deformation. An vielen Fahrzeugen
gibt es charakteristische Formen, die bestimmte Abdrücke hinterlassen. Dazu
gehören Anhängekupplungen, Abschleppösen, Auspuffendrohre, Türgriffe,
Bullgitter und dergleichen mehr.
Im Fall des „Tauerntunnel-Unfalles“ etwa wurde an einem Fahrzeug eine Anhängekupplung
vorgefunden und dann von dieser entsprechende Kontaktspuren an zwei anderen
Fahrzeugen gefunden (Abbildung 6).
Abbildung 6: Kontakt mit PKW Mazda 626 (links) bzw. LKW Scania (rechts)
Eine wichtige Kontrolle ist der Höhenvergleich der Kontaktspuren.
Zu berücksichtigen ist, dass Fahrzeuge auf Grund einer Bremsung an der Front eingefedert
und am Heck ausgefedert sein können.
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Spuren
Beim Unfall im St. Gotthard – Tunnel konnten
verschiedene Spurenkomplexe gefunden und ausge-
wertet werden:
Vom Richtung Norden fahrenden Sattelschlepper
waren vorkollisionäre Spuren verursacht worden, die
es erlaubten, seine Fahrt unmittelbar vor der Kollision
spurenkundlich sehr genau zu rekonstruieren. Auf-
grund einer Felgenanprallspur am rechten Randstein,
einer Reifenspur am Straßenrand, der Kollision mit der
„1 km“ Signalisation, der Schleuderspuren nach links
und der heftigen Kollision mit der linken Tunnelwand
war die Fahrlinie festgelegt.
Abbildung 7: Vorkollisionäre Spuren auf der rechten Tunnelseite
Aus den Lampen am Heck des unfallverursachenden Sattelschleppers konnten die Rück-
lichter und die Bremslampen sichergestellt werden. Die Untersuchung der Glühwendeln der
Bremslampen ergab kalte Brüche, sodass geschlossen werden konnte, dass an diesem
Sattelschlepper die Bremslampen bei beiden Kollisionen nicht aktiviert gewesen waren.
Abbildung 8: Kalt gebrochene Glühwendel der Bremslampe des unfallverursachenden Fahrzeuges
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 45
Unter den Felgen der ausgebrannten Fahrzeuge waren noch Fragmente von Reifen
vorhanden. Das rechte Vorderrad des in Richtung Norden fahrenden Sattelkraftfahrzeuges
stand noch auf so einem Fragment. Interessant dabei war, dass die Felge gegenüber der
Lauffläche in Richtung Norden verschoben war.
Abbildung 9: Rechtes Vorderrad und Reifenrest eines beteiligten Fahrzeugs
Daraus kann die Vermutung abgeleitet werden, dass sich dieses Fahrzeug über die
Kollisionsstelle etwas hinaus in Richtung Norden, also in die ursprüngliche Fahrtrichtung
weiter bewegt hat.
Richtung Norden
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 46
Mehrbildfotogrammetrie (RolleiMetric) und Computerauswertung (Dipl.-Ing. Jörg Arnold)
Zur maßtechnischen Ermittlung der Unfallsituation und der Kollisionskonfiguration, setzten
wir die Mehrbildfotogrammetrie ein. Unter dem Begriff Mehrbildfotogrammetrie wird ein
fotografisches bzw. fotogrammetrisches Aufnahme- und Auswerteverfahren bezeichnet, das
kaum einschränkende Bedingungen an die Aufnahmekonfiguration stellt und dadurch sehr
flexibel einsetzbar ist.
Eine aufzunehmende Situation mit verschiedenen Objekten in einer räumlichen Umgebung
wird von mehreren Standorten und aus verschiedenen Blickrichtungen fotografiert.
Dabei kam eine kalibrierte Digitalkamera zur Anwendung, deren Fokussierung in diskreten
Schritten (gerastert) eingestellt werden kann. Da durch den CCD-Chip eine sehr genau
definierte Rasterung des Bildes erfolgt (Pixels), sind die Positionen der einzelnen Bildpunkte
sind sehr genau bekannt. Da sich der CCD-Chip hinter dem Objektiv befindet, sind diese
Positionen nicht durch die Objektivverzeichnungen verzerrt.
Durch die Pixel wird ein Referenzsystem definiert, welches der Vermessung der
verschiedenen Bildpunkte dient. Die Lage des Projektionszentrums ist im Referenzsystem
bekannt, ebenso die benutzte Brennweite des Objektivs.
ZZ
Abbildung 10: Prinzip der Mehrbildfotogrammetrie
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 47
Fotografiert man nun ein genau bekanntes Objekt (z.B. ein Referenzmessfeld) unter genau
bestimmten Bedingungen mit den verschiedenen Objektiven, so kann aus den Positionen
der Gitterpunkte und den Positionen des abgebildeten Referenzfeldes die Verzeichnung
jedes Objektives bzw. seine Abbildungscharakteristik sehr genau berechnet werden.
Mit einer solchen Messkamera können alle Möglichkeiten der Fototechnik genutzt werden.
Anschließend erfolgt die Verzeichnungskorrektur. Diese Korrektur erfolgt im
Auswertesystem "RolleiMetric" automatisch, sobald die Kalibrierwerte des verwendeten
Kamerasystems in die Tabelle der Kameradaten eingetragen sind.
Die Aufnahme einer Unfallsituation erfolgt nach einem Rasterschema, wobei pro Raster
mindestens vier Fotografien aus vier verschiedenen Richtungen üblich sind.
Durch überlappende Raster können auch sehr ausgedehnte Unfallsituationen - im
vorliegenden Fall über eine Strecke von über 1,5 km - durch Zusammensetzen dieser
Raster erfasst werden. In Bereichen, wo keine Identifikationspunkte vorhanden sind,
müssen zusätzliche Markierungen angebracht werden.
Für die Skalierung der Unfallsituation (Festlegung des Maßstabes) wird die exakte Länge
von mindestens einer Strecke mit einer Länge von etwa einem Drittel der Unfallsituation
benötigt. Eine oder mehrere weitere Strecken dienen der Kontrolle der Skalierung.
Durch das Markieren von korrespondierenden Objekt- oder Markierungspunkten
(Identifikationspunkten) auf den verschiedenen Fotografien der Unfallsituation, kann die
Unfallsituation nun rechnerisch rekonstruiert und die Genauigkeit der Rekonstruktion
ermittelt werden.
Die Anordnung der verschiedenen Objekte in der Unfallsituation kann somit durch
Vermessung von wenigen Identifikationspunkten rechnerisch rekonstruiert werden.
Messungen in den Bildern können nun mit hoher Genauigkeit zur Bestimmung der Position
und Größe der Objekte verwendet werden.
Die Unfallsituation kann aus den so berechneten Daten als maßstäbliche Planskizze oder
als 3D-Bild aus den verschiedensten Blickwinkeln dargestellt werden.
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Abbildung 11: Auswertung mittels der Mehrbildfotogrammetrie
Mit diesem System werden auf den Bildern sehr hohe Messgenauigkeiten erzielt.
Grundlagen
Für die rechnerische Berücksichtigung der bei einer Kollision zwischen zwei Fahrzeugen
aufgetretenen Deformationsenergie wird der kollisionsbedingte Schaden anhand der
bleibenden Deformationen beurteilt und eingestuft. Der Schaden an einem Fahrzeug kann
mit einem der Deformationsenergie äquivalenten EES-Wert beschrieben werden
(EnergyEquivalentSpeed). Dieser Wert ist die Geschwindigkeit deren kinetische Energie der
Deformationsenergie entspricht. Ungefähr entspricht der EES-Wert der Geschwindigkeit, mit
der das Fahrzeug gegen eine starre Barriere fahren müsste, um einen vergleichbaren
Schaden zu erhalten. Gewonnen wird der EES-Wert aus dem Vergleich eines vorliegenden
Schadens mit in Katalogen zusammengestellten Schadenbildern von Crashversuchen,
Unfallversuchen und Auswertungen realer Verkehrsunfälle, bei denen der jeweilige EES-
Wert mit Hilfe bekannter Randbedingungen berechnet werden konnte.
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 49
Der EES-Wert kann auch aus der Deformation und der Struktursteifigkeit berechnet werden.
Die Methode dieser Berechnungen wurde vom Verfasser in mehreren Artikel und Vorträgen
bereits erläutert (1 und 2). Es wird daher an dieser Stelle auf eine ausführliche Erläuterung
verzichtet und der Zusammenhang nur kurz dargelegt.
Wird ein linearer Kraft-Weg-Zusammenhang angenommen, so gilt:
2
21
21 EESmlscED ==
ED.........Deformationsenergie c ........Struktursteifigkeit s........ dynamische Deformation l .........bleibende Deformation m ...... Masse EES...EES-Wert
Die dynamische Deformation wird erreicht am Ende der Kompressionsphase ehe sich das
Fahrzeug etwas rückverformt. Näherungsweise gilt, dass die dynamische Deformation etwa
5% größer als die bleibende Deformation ist.
Zwischen der Struktursteifigkeit, der Deformation und dem EES-Wert gilt für den Fall, dass
die Fahrzeuge ein von der Masse abhängiges, vergleichbares Rückverformungsverhalten
aufweisen näherungsweise:
))(()(
21
221
222
21
411
221
1 EESmmvmlEESmmmc
⋅++∆⋅
⋅⋅+=
′
Als Struktursteifigkeit wird also der linearisierte Zusammenhang zwischen Kraft und
Deformation verstanden.
Struktursteifigkeiten von LKWs
Um aus der Deformation die Verformungsenergie berechnen zu können, muss die
Struktursteifigkeit bekannt sein.
Während für PKWs EES-Wert-Kataloge vorhanden sind, existieren solche Hilfsmittel für
LKWs nicht. Literaturrecherchen ergaben, dass zwar eine Reihe von Crash-Test mit LKWs
1 Gratzer, W. und Burg, H.: Analyse von Serienkollisionen und Berechnung der Insassenbeschleunigung im gestoßenen Fahrzeug, Artikel in: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 1994, Heft 4, 1995, Heft 10.
2 Gratzer, W. Kontrollparameter bei der Kollisionsanalyse, Vortrag gehalten anlässlich der 1. Europäische Fachtagung Unfallrekonstruktion Wildhaus 1999, Artikel in: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 2000, Heft 2
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 50
gefahren wurden, jedoch unterblieben Berechnungen von Steifigkeitswerten. Aus diesem
Grunde mussten nachträglich aus in der Vergangenheit durchgeführten Crash-Versuchen
und aus rekonstruierbaren realen Unfällen Werte ermittelt werden.
Struktursteifigkeiten von LKWs (derzeitiger Stand: Mai 2002)
Einen wesentlichen Einfluss auf die Struktursteifigkeit hat die Anstoßposition, wobei bei
LKWs auch die Lage in Bezug auf die Höhe eine Rolle spielt.
Es zeigte sich, dass im Bereich der Frontbeplankung oberhalb der Stoßstange Werte von
4000 bis 7000 kN/m resultierten. Bei leichten Kollisionen mit kleinen und lokal begrenzten
Deformationen können auch deutlich kleinere Werte etwa im Bereich um 1300 kN/m
auftreten.
Erfolgte die Kollision gegen Stoßstange und Längsträger, so ergaben die Berechnungen
wesentlich größere Struktursteifigkeitswerte von über 16000 kN/m.
Noch größere Werte ergaben sich für den Heckbereich, wo auch Struktursteifigkeiten über
50.000 kN/m und mehr ermittelt werden konnten.
Im Vergleich zu PKWs liegt die Steifigkeit also um Faktor 10 - 15 darüber. Dies erscheint in
Hinblick auf die entsprechend größere Masse auch einleuchtend.
Unfallrekonstruktion am Beispiel des „Tauerntunnel-Unfalles“
Beim Tauerntunnelunfalle waren auf Grund des Brandes weder Spuren noch Tachografen-
scheiben vorhanden. So konnten sonst übliche Methoden nicht angewendet werden.
Dieser Unfall ereignete sich in einem Abschnitt mit Gegenverkehr rund 600 m vor dem Ende
des mehrere Kilometer langen Tunnels. Wegen einer Bautätigkeit musste eine Signal-
lichtanlage eingerichtet werden. Vor der Rotlicht zeigenden Ampel hielten Fahrzeuge an.
Am Ende der stehenden Kolonne kam es zu einem folgenschweren Auffahrunfall.
Eine zentrale Frage war die Kollisionsgeschwindigkeit des letzten Fahrzeuges. Es handelte
sich dabei um einen 34 t schweren Sattelzug. Dieser kollidierte zunächst mit vier PKWs, von
denen zwei zur Seite geschoben und zwei unter das Heck eines davor befindlichen weiteren
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 51
Sattelzuges gedrückt wurden. Dieser zweite Sattelzug wurde noch auf einen davor
befindlichen LKW geschoben.
An objektiven Unterlagen waren nur die Endlagen der beiden Sattelzüge und der vier PKWs
sowie deren Deformationen vorhanden. Der LKW wurde nach der Kollision vom Lenker
etwas nach vorne gefahren, sodass seine ursprüngliche Endlage nicht mehr festgestellt
werden konnte. Anhaltspunkte lieferten die Aussagen des LKW-Lenkers und des Lenkers
des vorderen Sattelzuges über die kollisionsbedingte Verschiebestrecke bzw. über den
ursprünglichen Tiefenabstand.
Da die Kollisionspositionen der Fahrzeuge nicht objektivierbar waren, können auch die
Auslaufgeschwindigkeiten nicht berechnet werden und es versagt daher die klassische
Kollisionsanalyse. Eine Vorwärtssimulation kann auch nicht angewendet werden, da mit
Sicherheit davon auszugehen ist, dass viele Sekundärkollisionen der Fahrzeuge
untereinander und auch mit der Tunnelwand stattgefunden haben. Auch werden bei den zur
Verfügung stehenden Rekonstruktionsprogrammen die Kollisionsdauer vernachlässigt.
Diese wird im konkreten Fall aber einen wesentlichen Einfluss gehabt haben, da vermutlich
teilweise Kollisionen einander zeitlich überlappten. Die Berechnung der kollisionsbedingten
Geschwindigkeitsänderung musste daher aus den Deformationen erfolgen.
Kollisionsreihenfolge
Abbildung 12: Übersichtsskizze
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 52
Es ließ sich bereits an Ort und Stelle feststellen, dass eine Hauptunfallstelle vorhanden war.
In der Übersichtskizze sind das die Fahrzeuge 28, 29, 30, 31, 32a, 32b und 33. Die
Fahrzeuge 32a und 32 b waren so zusammengedrückt unter dem Heck von Fahrzeug 29,
dass es zunächst auch wegen der schlechten Sicht (Ruß, Staub und schlechte
Beleuchtung) den Anschein hatte, es wäre nur ein Fahrzeug, dem dann die Nummer 32
zugewiesen wurde. So musste schließlich diese Nummer aufgeteilt werden.
Abbildung 13: Endlage der Fahrzeuge 29, 32b, 32a und 33
Abbildung 14: objektiviert Endpositionen (Ausschnitt der Fotogrammetrie)
29
Bordwand
32 b
Heck
32 a
Front
33
Front
Hauptunfallstelle
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 53
Aus den Schäden ließ sich daher folgende Reihenfolge der Kollisionen der Hauptkollisions-
stelle herleiten:
Fahrzeug Nr. 33 stößt gegen Nr. 31, dieses wurde gegen das stehende Fahrzeug 30
geschoben, welches dann gegen Fahrzeug 32a prallte.
30 und 31 werden nach rechts abgedrängt.
In weiterer Folge stößt 33 gegen 32a und schiebt dieses gegen 32b.
Die Front von 32a und das Heck von 32b bewegen sich nach links, wobei sich Fahrzeug
32b im Uhrzeigersinn dreht und 32a entgegen dazu. Dadurch klatschen die Karosserien mit
den Seiten zusammen und werden durch das nachkommende Fahrzeug Nr. 33 unter das
Heck von Nr. 29 gedrückt.
Durch die Kollision von 30 gegen 32a wird das Heck von Fahrzeug 30 und die Front von
Fahrzeug 31 hochgehoben. 30 überschlägt sich, fliegt nach rechts in den Zwischenraum
zwischen Nr. 29 und der Tunnelwand und landet auf der Fahrertüre, die Front in Richtung
Villach zeigend (nach rechts in der Skizze) also entgegengesetzt zur ursprünglichen
Fahrtrichtung. Schließlich gerät 31 mit der Front gegen die Tunnelwand und mit dem Heck
gegen die rechte Seite von 33. Die dadurch entstehende Verkeilung bewirkt einerseits eine
massive Stauchung des Fahrzeugs in Längsrichtung, andererseits kommt es zu einem
seitlichen Druck gegen Fahrzeug 33, die eine Ablenkung der Fahrtrichtung nach links
bewirkt.
Kollisionsgeschwindigkeit des auffahrenden Fahrzeuges
Einen wesentlichen Einfluss auf den Ablauf der Kollision hatte die große Masse des
Fahrzeuges 33.
Bei der Analyse der Kollisionen ist zu berücksichtigen, dass Fahrzeug 33 die beiden
Fahrzeuge 32a uns 32 b gegen und in weiterer Folge unter Fahrzeug 29 schob. Das
bedeutet, dass diese Fahrzeuge sozusagen "im Paket" gegen 29 prallten. Rechnerisch kann
dies dadurch berücksichtigt werden, dass die Fahrzeuge 32a, 32b und 33 zu einem einzigen
Fahrzeug mit einer Masse, die der Summe der Einzelmassen entspricht, zusammengefasst
werden.
In die Kollisionsanalyse geht dann der aus der Summe der einzelnen Deformationsenergien
berechnete EES-Wert von 39 km/h ein.
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 54
Das heißt also, man definiert ein Fahrzeug mit der Gesamtmasse der drei Fahrzeuge 32a,
32b und 33. Dann werden die Deformationsenergien dieser Fahrzeuge addiert und daraus
der EES-Wert für dieses fiktive Fahrzeug berechnet. Mit diesen Werten wird die Kollision
gegen Fahrzeug 29 berechnet und weiter Fahrzeug 29 gegen Fahrzeug 28.
Es resultierte dann eine Kollisionsgeschwindigkeit von Fahrzeug 33 (eigentlich des fiktiven
Fahrzeugs) gegen Fahrzeug 29 von 41 km/h. Bei der Berechnung wurde eine Bremsung
während dieser Kollision mit 4,5 m/s² berücksichtigt.
Die Kollisionsgeschwindigkeit bei der ersten Kollision von Fahrzeug 33 gegen Fahrzeug 31
lässt sich aus der kinetischen Energie der Kollisionsgeschwindigkeit von 41 km/h plus der
Deformationsenergie von Fahrzeug 30 und 31 plus der Deformationsenergie der seitlichen
Deformation von Fahrzeug 33 berechnen. Daraus berechnet sich eine Geschwindigkeits-
untergrenze von 50 km/h.
Unbestimmt bleibt der Geschwindigkeitsabbau durch eine mögliche Bremsung des
Fahrzeuges 33. Auf Grund der Zeugenaussagen, könnte davon ausgegangen werden, dass
zumindest ein Teil der Strecke von der ersten Kollision bis zur letzten Kollision gegen
Fahrzeug 29 bremsend zurückgelegt wurde. In der berechneten Kollisionsgeschwindigkeit
von 41 km/h (Kollision gegen 29) ist eine Bremsstrecke von rund 3 m und eine Bremsdauer
von 0,5 s berücksichtigt.
Unfallrekonstruktion am Beispiel des „St. Gotthard–Tunnel – Unfalles“
Bei Kollisionen von Sattelkraftfahrzeugen kommt erschwerend die große Masse des
Aufliegers dazu. Abweichungen von wenigen Graden verändern beträchtlich das Ergebnis.
Da im vorliegenden Fall weder Vorkollisionsspuren noch Auslaufspuren vorhanden waren,
konnten die Einlaufs- und die Auslaufsrichtung nicht ermittelt, sondern nur vermutet werden.
Bei beiden Fahrzeugen kann (und wird dies auch vermutet) vor der Kollision bereits ein von
Null abweichender Winkel zwischen Zugfahrzeug und Auflieger vorhanden gewesen sein.
Diese Winkelabweichung bewirkt, dass das Zugfahrzeug eine andere Richtung des
Impulses hatte als der Auflieger. Die große Gesamtmasse des Aufliegers hat nun zur Folge,
dass bereits kleine Winkeländerungen große Auswirkung auf das berechnete Ergebnis
haben.
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 55
Das bedeutete, dass grundsätzlich größere Toleranzen im Ergebnis (vermutlich ± 5 km/h)
akzeptiert werden müssen.
Abbildung 15
Abbildung 16
Aus der Verschiebung der Felge des rechten Vorderrades von Fahrzeug 1 relativ zum
Reifenfragment nach Norden ist abzuleiten, dass sich das Fahrzeug nach der Kollision noch
weiter in Richtung Norden also in die ursprüngliche Fahrtrichtung bewegte.
Daraus ergibt sich, dass Fahrzeug 1 gegenüber Fahrzeug 2 einen erheblichen
Geschwindigkeitsüberhang gehabt haben muss.
Die Kollisionsanalyse lieferte als Kollisionsgeschwindigkeit für Fahrzeug 1 einen Wert im
Bereich von 40 km/h bis 45 km/h und für Fahrzeuge 2 einen Wert im Bereich um 10 km/h.
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Zusammenfassung
Ist bei einem Unfall mit LKW-Beteiligung die Tachografenscheibe nicht auswertbar, so
ergeben sich für den Unfallanalytiker erhöhte Anforderungen.
Zusätzlich zur unumgänglich notwendigen technischen Untersuchung sind sämtliche
vorhandenen Spurenkomplexe von Bedeutung und insbesondere auch die Deformationen
zu vermessen. Als Hilfsmittel für die Berechnung der Deformationsenergien dienen die
Struktursteifigkeiten.
In Zukunft wäre es wünschenswert, auch für LKWs mehr Daten zu ermitteln und zu
sammeln.
Konsequenzen aus den Unfällen zur Prävention und zur Bewältigung
Das Hauptrisiko im Verkehr und insbesondere in Tunnelsituationen ist der Mensch als
Fahrzeuglenker. Kommen hohes Verkehrsaufkommen und dichter Schwerverkehr dazu,
potenzieren sich die Risiken und das resultierende Gefährdungspotenzial bei einem
Zwischenfall nimmt sehr stark zu.
Oberste Priorität muss also die Prävention haben, damit sich gar keine solchen
Zwischenfälle ereignen. Die allgemein gültige Regel, dass durch eine den Verhältnissen
angepasste Geschwindigkeit, genügend Abstand und Konzentration auf den Verkehr die
oftmals entscheidenden zusätzlichen Sicherheitsreserven geschaffen werden können, tönt
wie eine Binsenwahrheit, kann aber unter Umständen über Leben oder Tod entscheiden!
Präventive Maßnahmen umfassen die folgenden Gebiete:
Verkehrsregelung
• Dosiersystem mit permanenter Videoüberwachung UND -aufzeichnung
• Kein Gegenverkehr in längeren Tunnels
• Minimalabstand 150 m für den Schwerverkehr
• (Halb-)Barrieren und Signalisation (Ampeln) zur Sperrung des Tunnels bei
Unfall/Brand/evtl. Stau
• Polizeibeamte vor Ort
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Signalisation
• Abstandsmarkierungen auf den Fahrbahnen alle 50 m
• Regelmäßige Anzeige der Distanzen bis zu den Tunnelenden
• Auffälligkeit der Leitlinien am Rand verstärken zur optischen Führung entlang des
Fahrbahnrandes, keine Überbetonung der Mittelleitlinien
• Akustische Warneinrichtung beim Be- und Überfahren der Leitlinien („Ratterlinien“,
Sicherheitslinien mit Stufenmarkierungen)
• Vermeiden von längeren monotonen Tunnelstrecken durch ändernde Beleuchtung,
Gestaltung
Verbesserungen an den Fahrzeugen
• Abstandsmanager und Spurmanager für Lastwagen und Cars (z.B. Mercedes
Actros)
• Batterietrennschalter bei Kollision oder Überschlag (Tiltschalter wie bei
Rallyefahrzeugen, Crashsensoren)
• Brandunterdrückungssysteme auf Lastwagen und Cars
• Unfalldatenschreiber für Schwerverkehr obligatorisch
Maßnahmen zur Schadensbewältigung umfassen die folgenden Gebiete:
Fluchtwege
• Pannenstreifen in allen Tunnels vorsehen (Zugang für Rettungskräfte und
Fluchtwege)
• Blitzlichter zur optischen Führung bei Brand resp. Evakuierung
• Beleuchtung der Bedienelemente der Türen
Information der Verkehrsteilnehmer
• RDS Tunnelradio mit Zwangseinschaltung des Autoradios
• Automatisches Stauende-Warnsystem mit dynamischer Signalisation
• Automatische Warndurchsagen durch Leitsystem ausgelöst (Brand, Evakuierung,
Stau etc.)
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GRATZER, Werner – Analyse von Kollisionen mit Nutzfahrzeugen Seite 58
Zusammenfassung
Das Hauptrisiko im Verkehr und insbesondere in Tunnelsituationen ist der Mensch als Fahr-
zeuglenker. Durch die Beeinflussung seines Verhaltens kann die beste Präventionswirkung
erzielt werden.
Daneben gilt es, alle möglichen technischen präventiven Maßnahmen zu ergreifen.
Schlussendlich sind die Maßnahmen zur Schadensbewältigung nach einem Ereignis zu
optimieren.
Dr. Werner Gratzer
DWG - Sachverständigenbüro Gratzer 5110 Oberndorf, Weitwörth 10 06272 / 77 363 oder 0664 / 34 22 155 E-Mail: [email protected]
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PFLEGER / GLASER – Blicktechnische und fahrdyn. Grenzbereiche bei Kurvenfahrten Seite 59
Univ.-Prof. DI Dr. Ernst PFLEGER / DI Hannes GLASER EPIGUS-Institut für ganzheitliche Unfall- und Sicherheitsforschung
Blicktechnische und fahrdynamische Grenzbereiche bei Kurvenfahrten zur Aufklärung von Abkommensunfällen
Allgemeines zur Navigation in Kurven ............................................................................... 59
Verbesserung der optischen Führung und
Blickuntersuchungen mit dem viewpointsystem ........................................................... 61
Simulationen zur Bestimmung der fahrdynamischen Grenzbereiche (Bsp. A2 - Wechsel) 65
Bestimmung der Grenzgeschwindigkeiten.................................................................. 65
Fahrstreifenwechselmanöver in Kurven ..................................................................... 68
Ergebnis der Untersuchungen mithilfe der Simulation ................................................ 72
Allgemeines zur Navigation in Kurven
Die Navigation in Kurven erfolgt über ständige Blicksprünge zwischen Fixationszielen, die
entscheidend sind, ob Fahrzeuglenker die Krümmungsverhältnisse im Streckenabschnitt
richtig erkennen können. Dabei zeigen sich typische sägezahnartige Blickfolgen, um den
Fahrraum und die weitere Linienführung zu erfassen (siehe Abbildung 1).
Es zeigen sich jedoch gerade in Bezug auf Kurvenfahrten immer wieder große Probleme,
die in weiterer Folge zu Abkommensunfällen führen können. Ursachen dafür sind nicht an
die lokalen Verhältnisse angepasste Geschwindigkeiten aber auch wahrnehmungs-
technische Mängel, die zu einer Fehleinschätzung der Situation führen. Dabei werden
einerseits die Krümmungsverhältnisse unterschätzt – d.h. es wird ein größerer Radius
erwartet – und andererseits der Krümmungsbeginn nicht richtig erkannt wird, sodass die
Einlenkung zu spät erfolgt.
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PFLEGER / GLASER – Blicktechnische und fahrdyn. Grenzbereiche bei Kurvenfahrten Seite 60
1
2
3
45
6
7
8
9
1011
12
13
14
15
16
17
18
19
Straße
Ausfahrt
Ausfahrt
Spiegel
Fahrbahn nahFahrbahn fernFahrbahn Scheitel-punkt
Legende:
11
10
9
8
7
6
4
5
2
3
1
12
13
14
15
FeldwegFeldweg
Feldweg
Leitschie
ne
Fahrbahn nahFahrbahn fernFahrbahn Scheitel-punkt
Legende:
Abbildung 1: typische Navigationsstrukturen in Kurven
Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen Kurvenradius, Grenzgeschwindigkeiten
und Einlenkverspätungen mithilfe der EDV-Simulation haben gezeigt, dass bereits sehr
kurze Einlenkverspätungen im Bereich von mehreren Zehntelsekunden ausreichen, die
Grenzgeschwindigkeit der sicheren Befahrbarkeit des Kurvenbereichs rapide herabzu-
setzen. Dies ergibt sich bei Einlenkverspätungen aufgrund des wesentlich engeren
Kurvenradius, der am Beginn der Bogenfahrt gewählt werden muss, um die gewollte
Fahrlinie zu halten.
In Abbildung 2 ist ein Beispiel dieser Simulationsreihen dargestellt, wobei folgende Grenz-
Fahrzustände betrachtet wurden:
1. Maximale Geschwindigkeit bei sicherer Kurvenfahrt (Kurvengrenzgeschwindigkeit) => Fahrzeug bleibt steuerbar und Fahrspur wird nicht verlassen
2. Mitbenützen des äußeren Fahrstreifens (Überfahren der Mittellinie) => Überragen der Mittellinie bis 0,5 m
3. Abkommen von der Straße (Überfahren des Banketts) => Hinausgetragenwerden über den Gegenfahrstreifen
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PFLEGER / GLASER – Blicktechnische und fahrdyn. Grenzbereiche bei Kurvenfahrten Seite 61
Grenzgeschwindigkeit für sicheres Fahren
80
85
90
95
100
105
110
115
120
125
130
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7Einlenkverspätung [s}
Ges
chw
ind
igke
it [k
m/h
]
R = 150 m R = 200 m R = 250 m
R = 150 m y = -25x + 103 Bestimmtheitsmaß R2 = 1 R = 200 m y = -25x + 112 Bestimmtheitsmaß R2 = 1 R = 250 m y = -25x + 121 Bestimmtheitsmaß R2 = 1
Abbildung 2: Grenzgeschwindigkeit für sichere Kurvenfahrt in Abhängigkeit von der
Einlenkverspätung für R = 150 m bis R = 250 m
Die grundsätzliche Frage in diesem Zusammenhang ist, wodurch diese Einlenk-
verspätungen entstehen können. Betrachtet man dabei den Zeit- und Wegbedarf zum
Erkennen einer Kurve, wird offensichtlich, dass die Krümmungsverhältnisse bei einer
Annäherungsgeschwindigkeit von 100 km/h spätestens 70 m vor dem Erreichen des
Bogenanfangs erkannt werden müssen.
1. Wahrnehmungsverzögerung 0,4 s 11 m
2. Reaktion 1,0 s 28 m
3. technische Aktion (Lenken) 1,0 s 28 m
Summe 2,4 s 67 m
Sind vor Ort unzureichende Informationen über die Krümmungsverhältnisse oder
Fehlführungen vorhanden, ist die gesicherte Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit der
Linienführung nicht mehr gegeben und Defizite entstehen, die im ungünstigsten Fall zu
einem Abkommensunfall führen.
Verbesserung der optischen Führung und Blickuntersuchungen mit dem
viewpointsystem
Die Gefahr der unzureichenden Informationsdarbietung ist besonders bei Dunkelheit
gegeben. Aufgrund des begrenzten ausgeleuchteten Bereichs vor dem Fahrzeug bei
Nutzung des Abblendlichts und des Fernlichts können viele Informationsträger – die bei Tag
zusätzliche Führungsmarken darstellen – nicht mehr erkannt werden. Speziell bei
R=250m
R=200m
R=150m
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Linksbögen ergeben sich durch die asymmetrische Ausleuchtung des Abblendlichts weite
Bereiche, die nicht eingesehen werden können (Abbildung 3).
Abbildung 3: Sicht unter Abblendlicht bei Kurvenfahrt sowie in der Annäherung am Beispiel R = 100 m und R = 150 m. Der eingetragene Winkel von 20° kennzeichnet
den Bereich, in dem die Leuchtdichte ausreicht, um retroreflektierende Flächen aufgrund ihrer Leuchtstärke sowie aufgrund ihrer Position im Sichtfeld wahrzunehmen.
Es zeigt sich bei Dunkelheit auch deutlich, dass die Entfernungen zu beachteten Punkten,
die die Navigation unterstützen, deutlich abnehmen. Die Ergebnisse einer Forschungsarbeit
verdeutlichen diese Verschiebung in den fahrzeugnahen Bereich, der vom Scheinwerfer-
kegel ausgeleuchtet wurde (siehe Abbildung 4).
A01
0%10%20%30%40%50%60%70%80%90%
100%
Tag Nacht
Pro
zent
uale
Ver
teilu
ng d
er
Fahr
bahn
fixat
ione
n [%
]
Fahrbahn_nahFahrbahn_SPFahrbahn_fern
Abbildung 4: Verschiebung der Fixationspunkte in den fahrzeugnahen Bereich bei Dunkelheit
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In den besonders ungünstigen Linkskurven mit engen Krümmungsradien besteht die
Möglichkeit der besseren Kennzeichnung nur mithilfe von selbstleuchtenden oder retro-
reflektierenden Elementen, die eine entsprechende optische Überschwelligkeit aufweisen.
Weiters wurde im Rahmen der Blickuntersuchungen erkannt, dass dem Fahrzeuglenker
mindestens 6 (besser noch 8) Führungselemente zur Verfügung stehen müssen, damit er
den Krümmungsverlauf eindeutig und rechtzeitig erkennen kann. Die daraus resultierende
Frage nach den optimalen Abständen wurde mithilfe eines grafischen Verfahrens gelöst und
ist in der folgenden Abbildung beispielhaft dargestellt.
Zweirichtungsverkehr: optimaler Abstand von Führungsmarken in Abhängigkeit vom Kurvenradius
(6 bzw. 8 Elemente sichtbar)
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600
Kurvenradius [m]
op
tim
aler
Ab
stan
d [
m]
optimaler Abstand 6 Elemente
optimaler Abstand 8 ElementeTrendlinie (Potenziell) 6 Elemente
Trendlinie (Potenziell) 8 Elemente
Trendlinie (Potenziell) 6 Elemente: y = 0,8781 x 0,5423 R² = 1,0000
Trendlinie (Potenziell) 8 Elemente: y = 0,6272 x 0,5423 R² = 1,0000
Abbildung 5: Optimaler Abstand der Führungsmarken in Abhängigkeit vom Kurvenradius
Im Rahmen einer weiteren Forschungsarbeit wurden die am Markt
erhältlichen Modelle sowie ein neu entwickelter Reflektor
(vps*DELTAmarker) getestet und bewertet (Abbildung 6), wobei besonderer
Wert auf die Erkennbarkeit von Elementen im hinteren Kurvenbereich gelegt
wurde. Aufgrund der großen Reflektorfläche und der Neigung der
Seitenflächen hat das neuentwickelte Element die mit Abstand besten
Ergebnisse erzielt. Die Anbringung dieses Reflektors kann
auf normalen Leitpflöcken erfolgen, es können jedoch auch
Betonleitwände ausgestattet werden.
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„„Gut sichtbarGut sichtbar““
•• vpsvps**DELTADELTAmarkermarker
•• 3M Reflektor gro3M Reflektor großß „„BLR 250BLR 250““
•• 3M Reflektor gro3M Reflektor großß, mit Pfeil , mit Pfeil „„BLR 250BLR 250--WinkelbakeWinkelbake““
„„Schlecht sichtbarSchlecht sichtbar““
•• 3M Reflektor klein, seitlich 3M Reflektor klein, seitlich „„BLR 150BLR 150““
•• Swareflex WallflexSwareflex Wallflex
•• SwareflexSwareflex Reflektor klein, seitlich Reflektor klein, seitlich „„33503350““
BodennBodennäägel und Markierungskngel und Markierungsknööpfe wurden aufgrund der pfe wurden aufgrund der schlechten Ergebnisse ausgenommen!schlechten Ergebnisse ausgenommen!
Abbildung 6: Bewertung der getesteten Reflektoren
Das folgende Beispiel zeigt die Wirkung dieser neuen Elemente anhand einer umgestalteten
Kurve auf der B 27 in Niederösterreich.
vor der Maßnahmensetzung nach der Maßnahmensetzungvor der Maßnahmensetzung nach der Maßnahmensetzung
Abbildung 7: Neuausstattung einer Kurve der B 27 mit vps*DELTAmarkern
in verdichteter Aufstellung
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Simulationen zur Bestimmung der fahrdynamischen Grenzbereiche
Aufgrund der großen Anzahl an Abkommensunfällen im Untersuchungsabschnitt wurden
Reihensimulationen mit dem Programm PC-Crash durchgeführt. Dabei sollten folgende
Fragestellungen geklärt werden:
• Ermittlung der Grenzgeschwindigkeiten bei unterschiedlichen Fahrbahnzuständen in Abhängigkeit von der Einlenkverspätung.
• Untersuchung des Einflusses geringer Ungenauigkeiten im Einlenkvorgang.
• Simulation von Fahrstreifenwechselvorgängen zur Herausarbeitung spezieller Problematiken.
In Summe wurden im Rahmen des Projekts 250 optimierte Simulationen auf einem
dreidimensionalen Geländemodell der ungünstigsten Kurve (R=450 m, Querneig. = 5,6%,
Längsneig. = -3,4%) durchgeführt!
Bestimmung der Grenzgeschwindigkeiten (Bsp. A2 - Wechsel)
Basierend auf den zulässigen Höchstgeschwindigkeiten von 130 km/h auf trockener
Fahrbahn und 80 km/h bei Nässe wurde die Geschwindigkeit eines durchschnittlichen Pkw-
Fahrzeuges in 10 km/h-Schritten erhöht und das Verhalten des Fahrzeugs untersucht. Als
Beurteilungskriterien wurden das sichere Halten der Fahrlinie ohne unkontrollierte
Bewegungsabläufe des Fahrzeuges und ohne Spurenabzeichnung (eingestellt auf 85% der
zur Verfügung stehenden Bodenhaftung (0,85*mü*Fs0)) herangezogen.
Als kritische Punkte, die zu einer negativen Bewertung der Fahrlinie führen, können die
Szenarien „Abkommen vom Fahrstreifen nach rechts“ und „Abkommen auf den linken
Fahrstreifen“ definiert werden. Bei beiden Grenzfällen wird ein geringes Überragen der
Fahrstreifenbegrenzung von 50 cm toleriert. Der Einlenkpunkt und der Lenkwinkel werden
vor der Berechnung manuell vorgegeben, in der Simulation wird dann programmintern
versucht, die Fahrlinie unter Berücksichtigung einer realistischen Fahrdynamik zu halten. Ist
dies aufgrund der vorgegebenen Parameter (Geschwindigkeit, Radius, Einlenkpunkt,...)
nicht möglich, führt die Bewegung des Fahrzeuges zu einem Verlassen der Fahrspur.
Das Einlenken in die Kurve erfolgt in der Weise, dass innerhalb einer Sekunde nach Beginn
des Einlenkvorganges der angestrebte Lenkwinkel (und damit der angestrebte Kurven-
radius) erreicht wird. Der Beginn des Einlenkens wird damit abhängig von der
Geschwindigkeit. Je schneller gefahren wird, desto früher muss mit dem Einlenken
begonnen werden, um richtig in die Kreisbahn einlenken zu können.
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Wie bereits ausgeführt, ist der Einlenkpunkt bei konstanter Einlenkzeit von 1 s für jede
Geschwindigkeit gesondert zu ermitteln. Dieser wird danach je nach Fahrgeschwindigkeit
und untersuchter Einlenkverspätung (in 0,1 s-Inkrementen) in Richtung Krümmungsbeginn
verschoben. Als Einlenkverspätung wird dabei jene Zeitspanne bezeichnet, die zwischen
dem optimalen und dem für die jeweilige Simulation kennzeichnenden Einlenkzeitpunkt
verstreicht.
Um nicht nur den Einfluss eines zu späten Lenkmanövers beurteilen zu können wurden
weitere Simulationsreihen gefahren, bei welchen der ermittelte optimale Lenkwinkel um 10%
erhöht wurde. In Anbetracht der geringen notwendigen Lenkraddrehungen ist diese
Ungenauigkeit beim Einlenkvorgang durchaus zu erwarten.
Die Simulationen wurden sowohl für trockene als auch für nasse Fahrbahn durchgeführt. Als
Grundlage für die Simulationen bei trockenen Verhältnissen wurde ein globaler Reibbeiwert
der Fahrbahn von 0,8 angenommen, bei Nässe 0,5. Lokale Störungszonen (z.B. Spur-
rinnen) wurden im Simulationsprogramm durch Reibungspolygone vorgegeben, die einen
anderen als den globalen Reibwert aufweisen. Für die Simulationen mit wassergefüllten
Spurrinnen wurde ein lokal begrenzter Wert von 0,1 angenommen.
Die Untersuchungen für trockene Fahrbahn brachten das in Abbildung 8 dargestellte
Ergebnis, auf nasser Fahrbahn wurden die Grenzgeschwindigkeiten der Abbildung 9
erhalten (+/- 5 km/h).
Grenzgeschwindigkeiten bei trockener Fahrbahn und unterschiedlichen Einlenkverspätungen
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
220
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Einlenkverspätung [s]
Gre
nzg
esch
win
dig
keit
[km
/h]
Trocken, optimierte LenkungTrocken, zu starke LenkungLinear (Trocken, optimierte Lenkung)Polynomisch (Trocken, zu starke Lenkung)
Trend Linear (Trocken, optimierte Lenkung): y = -100x + 205 R² = 1,000
Trend Polynomisch (Trocken, zu starke Lenkung): y = 40,793x3+1,7483x2-152,33x+208,43 R² = 0,9888
Abbildung 8: Vergleich der Grenzgeschwindigkeiten auf trockener Fahrbahn
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Grenzgeschwindigkeiten bei nasser Fahrbahn
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
200
220
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Einlenkverspätung [s]
Gre
nzg
esch
win
dig
keit
[km
/h]
Nass +10%NassNass mit SpurrinnePolynomisch (Nass +10%)Polynomisch (Nass)Polynomisch (Nass mit Spurrinne)
Trend Polynomisch (Nass): y = -39,627x2 - 27,646x + 166,33 R² = 0,9730
Trend Polynomisch (Nass +10%): y = -17,483x2 - 56,154x + 168,29 R² = 0,9836
Trend Polynomisch (Nass mit Spurrinnen): y = -29,138x2 + 4,5921x + 115,63 R² = 0,8990
Abbildung 9: Vergleich der Grenzgeschwindigkeiten auf nasser Fahrbahn
Als Ergebnis der Untersuchung der Grenzgeschwindigkeiten in Abhängigkeit von der
Einlenkverspätung konnte folgendes festgestellt werden:
• Unter Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf trockener Fahrbahn ist ein gefahrloses Durchfahren der Kurve mit optimal gewähltem Lenkeinschlag auch bei Einlenkverspätungen von 0,7-0,8 s möglich. Erfolgt eine geringfügig zu starke Einlenkbewegung, sinkt die maximal mögliche Einlenkverspätung auf einen Wert von 0,5-0,6 Sekunden.
• Unter Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ist ein sicheres Befahren der Kurve trotz Einlenkverspätungen von über 1,0 s möglich.
• In Zusammenhang mit den Spurrinnen wirken sich Einlenkverspätungen bis zu einer gewissen Größenordnung positiv aus, da dann der Bereich zwischen Fahrstreifenbegrenzung und Spurrinne befahren wird.
Es ist daher davon auszugehen, dass weniger die Geschwindigkeiten für die hohe
Anzahl an Abkommensunfällen verantwortlich sind, sondern dass andere
Grenzbereiche im fahrdynamischen Ablauf überschritten werden! Aus diesem Grund
wurden Fahrstreifenwechselvorgänge im Kurvenbereich im Detail untersucht!
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Fahrstreifenwechselmanöver in Kurven
Aufgrund der Ergebnisse der Grenzgeschwindigkeitsuntersuchung wurden weitere
Simulationen durchgeführt, um auch die fahrdynamischen Zusammenhänge bei Fahr-
streifenwechselvorgängen in Kurvenbereichen im Detail zu betrachten.
Ausgehend von den höchstzulässigen Geschwindigkeiten für die Fahrbahnzustände
„Trocken“ und „Nass“ wurden die Abhängigkeiten im Lenkverhalten bei der zulässigen und
bei leicht überhöhten Geschwindigkeiten ermittelt. Als Grundannahme wurde dabei
getroffen, dass der Fahrstreifenwechselvorgang erst im späteren Verlauf der Bogenfahrt
stattfindet, wenn der Lenkeinschlag und die Querbeschleunigung bereits konstant sind.
Als konstanter Wert für den Fahrstreifenwechsel wurde eine Zeitspanne von 3 Sekunden
angenommen, in welcher das Fahrzeug den Fahrstreifenwechsel praktisch beendet hat und
sich bereits vollständig auf dem kurvenäußeren Fahrstreifen befindet. Dieser Wert deckt sich
mit Angaben aus der Sachverständigenliteratur (z.B. 3) für normale, nicht abrupt
durchgeführte Fahrstreifenwechselmanöver und wurde mithilfe von Simulationen auf
gerader Strecke verifiziert. Die zeitliche Verteilung der Lenkmanöver (Auslenken und
Zurücklenken) wurde dabei gleichmäßig verteilt angenommen (1:1).
Bei den Erstversuchen der Umsetzung dieser Vorsimulationen auf ein Fahrmanöver im
Bogen hat sich gezeigt, dass eine gleichmäßige Verteilung der Lenkeinschläge und vor
allem der Zeiten, in welchen der Lenkeinschlag konstant gehalten wird, nicht sinnvoll ist.
Durch die bereits wirksame Querkraft darf der erste Lenkvorgang (Auslenken) nur verkürzt
ausgeführt werden, hingegen muss das folgende stärkere Einschlagen auch die noch
wirksame Querbeschleunigung überwinden und damit stärker ausfallen. Um diese
Zusammenhänge zu berücksichtigen, wurde die zeitliche Verteilung der Lenkeinschläge auf
1 s für das Auslenken und 2 s für das Zurücklenken geändert (1:2). Danach wird wieder ein
Lenkeinschlag gewählt, der eine konstante Fahrt auf der Kreisbahn ermöglicht. Die
Stellzeiten für die Lenkung wurden analog zu den Untersuchungen der Einlenkvorgänge mit
1 s konstant vorgegeben.
Es zeigen sich im Vergleich der unterschiedlichen zeitlichen Verteilungen von 1:1 und 1:2
deutliche Änderungen im Verlauf der Querbeschleunigungen bei ansonsten identen
Randbedingungen. So nimmt der Maximalwert der auftretenden Querbeschleunigung durch
das kürzere Auslenken um etwa 25% ab (siehe Abbildungen 10 und 11).
3 Danner, M., Halm, J.: „Technische Analyse von Verkehrsunfällen“, Eurotax AG, Pfäffikon (CH) 1994
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-0.50
-1.00
-1.50
-2.00
-2.50
-3.00
-3.50
-4.00
-4.50
-5.00
-5.50
m/s²
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18sec
2 - 1 AQ
2
Abbildung 10: Querbeschleunigungsverlauf des Fahrstreifenwechsels im Bogen mit gleichmäßig (1:1)
verteilten Lenkmanövern (130 km/h, Auslenkwinkel 0,00°; max. Querbeschleunigung -5,70 m/s²)
Abbildung 11: Querbeschleunigungsverlauf des Fahrstreifenwechsels im Bogen mit ungleichmäßig
(1:2) verteilten Lenkmanövern (130 km/h, Auslenkwinkel 0,00°; max. Querbeschleunigung -4,30 m/s²)
Anzumerken ist, dass bei dieser zeitlichen Verteilung das Zurücklenken bereits dann
beginnen muss, wenn das Fahrzeug noch nicht einmal die Leitlinie zwischen den
Fahrstreifen erreicht hat (Abbildung 12)!
Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass gerade auf trockener Fahrbahn bei höheren
Geschwindigkeiten nahezu keine Fahrstreifenwechselmanöver innerhalb von 3,0 s möglich
sind. Die stärkste Abhängigkeit ist in diesem Zusammenhang mit dem Lenkeinschlag
gegeben, der beim Auslenken am Beginn des Manövers gewählt wird. Ist dieser nur
geringfügig zu groß, muss der Folgeeinschlag so stark erfolgen, dass die Quer-
beschleunigung deutlich ansteigt und den vorgegebenen Grenzwert von 4,50 m/s²
übersteigt oder unkontrollierte Bewegungsabläufe beim Zurücklenken die Folge sind.
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konstante Bogenfahrt am rechten Fahrstreifen
Beginn Auslenkvorgang für 1 s, mit Stellzeit 1 s
Beginn Zurücklenken unmittelbar nach dem Erreichen des
Auslenkeinschlags für 2 s, mit einer Stellzeit von 1 s
Abgeschlossener Fahrstreifenwechsel nach 3 s
und Änderung des Lenkwinkels auf den notwendigen Korrektureinschlag
Abbildung 12: Aufteilung der Sequenzen im Fahrstreifenwechselmanöver (1:2)
In Tabelle 1 sind beispielsweise die Ergebnisse für ein Fahrstreifenwechselmanöver auf
trockener Fahrbahn mit 130 km/h dargestellt. (Anm.: Lenkwinkel bei konst. Bogenfahrt: -0,31)
Tabelle 1: Fahrstreifenwechselvorgänge mit 130 km/h auf trockener Fahrbahn mit Variation des Auslenkwinkels
Lenk
win
kel
Aus
lenk
en [°
] (S
tellz
eit 1
s)
Spu
rkre
isra
dius
A
usle
nken
[m]
Lenk
win
kel
Rüc
klen
ken
[°]
(Ste
llzei
t 1 s
)
Spu
rkre
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dius
R
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n [m
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daue
r R
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n [s
]
Folg
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ahrt
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Kre
isba
hn [°
]
max
imal
e Q
uer-
besc
hl. [
m/s
²]
Bew
ertu
ng
-0,25 Re R=619 m ---- ---- ---- ---- +/-
-0,20 Re R=774 m ---- ---- ---- ---- +/-
-0,15 Re R=1032 m ---- ---- ---- ---- +/-
-0,10 Re R=1567 m ---- ---- ---- ---- +/-
-0,05 Re R=3094 m -0,44 Re R=352 m 2,0 -0,32 -3,90 +
0,00 gerade -0,50 Re R=310 m 2,0 -0,25 -4,30 +
+0,05 Li R=3094 m -0,56 Re R=277 m 2,0 -0,20 -4,75 -
+0,10 Li R=1567 m -0,62 Re R=250 m 2,0 -0,15 -5,15 -
+0,15 Li R=1032 m -0,74 Re R=214 m 2,0 +0,25 -5,85 --
+0,20 Li R=774 m ---- ---- ---- ---- --
Bewertung: +/- ........Auslenken zu gering, Fahrstreifenwechsel in 3 s nicht möglich + ..........Fahrstreifenwechsel in 3 s ohne Gefährdung möglich - ...........Überschreiten der Grenze der Querbeschl. von 4,50 m/s² -- ..........starkes Gegenlenken notwendig - Gefahr der Überreaktion
In dieser Tabelle zeigt sich eindeutig, dass der mögliche Bereich der Lenkwinkeländerung
für ein Fahrstreifenwechselmanöver innerhalb von 3 s sehr eng begrenzt ist. Besonders
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auffällig ist, dass bereits bei 1 s dauernden Auslenkvorgängen mit einem Winkel von mehr
als +0,10° (Einschlag nach Links) ein sicherer Fahrstreifenwechsel unmöglich wird.
Zieht man als zusätzliches Bewertungskriterium die maximal auftretende Quer-
beschleunigung heran, wird der günstige Bereich noch weiter eingeschränkt. Selbst bei
geringen Auslenkwinkeln von +0,05° bzw. +0,10° treten maximale Fliehbeschleunigungen
größer 4,50 m/s² auf. Der günstige Bereich des Auslenkwinkels für den Fahrstreifenwechsel
bei 130 km/h innerhalb von 3,0 s umfasst nur noch Lenkbewegungen mit Winkeln von
-0,05°und 0,00° (geradeaus).
Dies verdeutlicht, dass für Fahrstreifenwechselvorgänge in Kurvenbereichen
vollkommen andere Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf die Lenkmanöver gelten, als in
geraden Streckenabschnitten. Durch die wesentlich größere Häufigkeit von
Fahrstreifenwechseln bzw. Überholvorgängen auf Geraden können somit die vom
Fahrzeuglenker eingelernten – auf gerade Bereiche optimierte – Handlungsabläufe zu
großen Problemen und Sicherheitsgefährdungen führen. Dies gilt in besonderem
Maße für unroutinierte Fahrzeuglenkern!
Als Ergebnis der Untersuchung der Fahrstreifenwechselmanöver können folgende
Schlussfolgerungen getroffen werden:
Trockene Fahrbahn - Untersuchte Geschwindigkeiten 130 / 140 / 150 km/h
• Bereich der Lenkwinkel für das Auslenken, um den Fahrstreifenwechsel innerhalb von 3,0 s abzuschließen, ist sehr klein.
• Bei 150 km/h ist kein sicherer Fahrstreifenwechsel innerhalb von 3,0 s möglich!
• Beschränkender Faktor ist in den meisten Fällen der Grenzwert der Querbeschleunigung von 4,50 m/s².
Nasse Fahrbahn - Untersuchte Geschwindigkeiten: 80 / 90 / 100 / 110 km/h
• Bereich der Lenkwinkel für das Auslenken ist im Vergleich zu trockener Fahrbahn deutlich größer.
• Beschränkender Faktor ist die sichere Einhaltung der Fahrlinie innerhalb des Fahrstreifens und nicht die auftretende Querbeschleunigung.
• Es zeigt sich eindeutig der große Einfluss der gefahrenen Geschwindigkeit!
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Ergebnis der Untersuchungen mithilfe der Simulation
• Weniger die hohen Geschwindigkeiten als die Lenkmanöver und
Fahrstreifenwechselvorgänge führen zu den größten Gefährdungen
im untersuchten Abschnitt der A2!
• Für Fahrstreifenwechselmanöver müssen von den Fahrzeuglenkern
neue Handlungsmuster erlernt werden, da die Erfahrungen auf
geraden Streckenabschnitten im Bogen zu höheren Gefährdungen
führen!
• Aus diesen Gründen sollten speziell die Fahrstreifenwechsel-
vorgänge in unfallträchtigen Kurvenabschnitten mit Radien < 500 m
unterbunden werden!
• Zu beachten ist, dass auch das Rechtsfahrgebot in einer engen
Linkskurve zu Gefährdungen führen kann! Dieser Fahrvorgang
entspricht fahrdynamisch dem Überholvorgang in Rechtskurven.
• Empfohlen wird daher die Anbringung einer Sperrlinie anstelle der
Leitlinie in den kritischen Bereichen!
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Ernst Pfleger
Vorsitzender der EVU-Ländergruppe Österreich Leiter des EPIGUS-Instituts für ganzheitliche Unfall- und Sicherheitsforschung 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 81 / Stiege 4 01 / 208 90 90 oder 0664 / 20 20 234 E-Mail: [email protected] bzw. [email protected]
Dipl.-Ing. Hannes Glaser
EPIGUS-Institut für ganzheitliche Unfall- und Sicherheitsforschung 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 81 / Stiege 4 01 / 208 90 90 E-Mail: [email protected]