30 Jahre nach dem Tod von Jacob Taubes widmete … · wo sie sich mit Persönlichkeiten wie Hannah...

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20 tachles | 27. Oktober 2017 FOTO: VIVIANNE BERG, PRO LITTERIS 30 Jahre nach dem Tod von Jacob Taubes widmete das Collegium Helveticum gemeinsam mit dem Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung dem Religionssoziologen eine Tagung in der Limmatstadt Philosophie, Theologie, Literatur und Liebe VIVIANNE BERG Obwohl Jacob Taubes (1923–1987) in der Ein- ladung als kontroverse und polarisierende Per- sönlichkeit bezeichnet wurde, bestri in der kleinen Runde von Fachleuten niemand seine he- rausragende Bedeutung. Auf seine eigene Weise, hielt Elera Stimilli von der Universität Rom fest, habe Taubes' Denken die Grenzen innerhalb der jüdisch-deutschen Nachkriegskultur bewegt. Nun traf man sich im Collegium Helveticum, um über sein Denken «zwischen Philosophie, Politik und Religion» nachzudenken, ohne dabei die Lebens- umstände und das Private des Philosophen auszu- klammern, angefangen bei den chassidischen Vorfahren bis hin zum Vater Zwi Taubes, der in Wien das private Institut für die Wissenschaft des Judentums gegründet hae. Die Familie konnte sich vor dem Nationalsozialismus 1935 in Zürich in Sicherheit bringen; der Vater amtete als Rabbi- ner und Oberrabbiner der Israelitischen Cultusge- meinde Zürich (ICZ). Wenn Sohn Jacob in Zürich und Basel studierte, die Rabbinerausbildung in Montreux absolvierte und später das Jewish Theo- logical Seminary in New York besuchte, tat er das nicht nur, um dem väterlichen Wunsch zu genü- gen. Martin Treml, Dozent am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL), belegte das religiöse Engagement des Sohnes anhand eines Briefes, in dem sich der Schreiber über die spirituelle Nachlässigkeit von Kommilitonen aus- liess, die auf das Morgengebet und Talmuddiskus- sionen verzichteten, um Karten zu spielen. Privates und Berufliches Untrennbar verwoben wird Privates und Berufli- ches 1949 mit der Heirat von Susan Friedman (1928–1969). Ihre Familie entkam 1939 der NS- Verfolgung in Ungarn, indem sie in die USA emigrierte. Friedman studierte erst Philosophie, wechselte zum Theater, um sich später wieder der Philosophie zuzuwenden. Ihre Hinterlassen- schaft wird heute am Berliner Literaturinstitut archiviert und erforscht. Christina Pareigis, Dozentin an diesem Institut, hat den Nachlass erschlossen. Derzeit bereitet die Referentin eine intellektuelle Biographie über Susan Taubes vor. Pareigis berichtete von den Konflikten des Paa- res, etwa damals, als Jacob nach Jerusalem über- siedelte, während Susan 1951 entschied, ihre Studien an der Pariser Sorbonne fortzusetzen, wo sie sich mit Persönlichkeiten wie Hannah Arendt oder Emmanuel Lévinas austauschen konnte. Fast jeder Brief der 24-Jährigen, be- merkte Pareigis, sei Liebes- und Philosophen- brief in einem, in denen sich die Konflikte zwi- schen seiner traditionstreuen und ihrer tradi- tionsfernen Auffassung des Judentums nach- lesen lassen. Zudem dokumentieren sie die An- fänge mehrerer ihrer theoretischen Arbeiten über die philosophischen Schriften von Martin Heidegger, Albert Camus und Simone Weil, über deren Werk sie Mie der 1950er Jahre, kurz bevor sie sich von ihrem Mann trennte, in ihrer Disser- tation «The absent God» an der Harvard-Univer- sität beschäftigte. Susan Taubes lehrte an der Columbia University, doch ab Ende der 1950er Jahre veröffentlichte sie Dramen, Gedichte und Prosa. Ende 1969 wählte sie den Freitod, kurz darauf erschien ihr autobiographischer Roman «Divorcing». Sigrid Weigel las ihn Mie der 1990er Jahre und war davon tief beeindruckt; sie konnte die Nachkommen davon überzeugen, die Hinterlassenschaft dem Berliner Literatur- institut anzuvertrauen. Bedauerlicherweise musste Weigel, inzwischen ehemalige Leiterin ebendieses Instituts, kurzfristig ihren Vortrag an der Taubes-Tagung absagen. Zwischen Religion und Nihilismus Von Jacob Taubes liegt eine einzige Monographie vor; seine Zürcher Doktorarbeit über die abend- ländische Eschatologie. Ein Meisterwerk, wie Agata Bielik-Robson, Professorin für Jüdische Studien an der Universität Noingham, meint, das sie dem sogenannten jüdischen Hegelianis- mus zuordnet. Wenn sich Taubes auf der dünnen Linie zwischen Religion und Nihilismus bewegt, deutet sie dies nicht als Widerspruch, sondern als interessante Fallstudie. Taubes, ist Bielik-Robson überzeugt, plädiere dafür, die moderne Sprache zu erneuern, die zu rigide zwischen Atheismus und Theologie unterscheide. So gelesen, meinte die Vortragende, folge Taubes Hegel, trotz all sei- ner kritischen Überlegungen. Aus New York war Jacob Taubes voller Hoff- nung nach Jerusalem umgezogen, um, wie in den Jahren zuvor, bei Gerschom Scholem an der Hebräischen Universität in Jerusalem eine An- stellung zu erhalten. Doch ein früheres Zerwürf- nis der beiden wirkte noch 1951 nach, sodass Taubes wieder in die USA zurückging. Dort gelang es ihm, an den prestigeträchtigen Univer- sitäten Harvard und Princeton zu lehren, und auch, sich einzubürgern. Nach Jahren des Pen- delns zwischen Europa und Amerika dozierte er in Berlin, wo er sich an der Freien Universität als Professor für Religionssoziologie und Jüdische Studien Anerkennung verschaffte, bis er 1979 die Leitung des Instituts für Hermeneutik über- nahm. Längst empfahl er Siegfried Unseld vom Suhrkamp Verlag Autorinnen und Autoren für die «Reihe Theorie». Herbert Kopp-Oberstebrink, «Taubes plädierte dafür, die moderne Sprache zu erneuern, die zu rigide zwischen Atheismus und Theologie unterscheidet.»

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30 Jahre nach dem Tod von Jacob Taubes widmete das Collegium Helveticum gemeinsam mit dem Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung dem Religionssoziologen eine Tagung in der Limmatstadt

Philosophie, Theologie, Literatur und LiebeVIVIANNE BERG

Obwohl Jacob Taubes (1923–1987) in der Ein-ladung als kontroverse und polarisierende Per-sönlichkeit bezeichnet wurde, bestri� in der kleinen Runde von Fachleuten niemand seine he -rausragende Bedeutung. Auf seine eigene Weise, hielt Ele�ra Stimilli von der Universität Rom fest, habe Taubes' Denken die Grenzen innerhalb der jüdisch-deutschen Nachkriegskultur bewegt. Nun traf man sich im Collegium Helveticum, um über sein Denken «zwischen Philosophie, Politik und Religion» nachzudenken, ohne dabei die Lebens-umstände und das Private des Philosophen auszu-klammern, angefangen bei den chassidischen Vorfahren bis hin zum Vater Zwi Taubes, der in Wien das private Institut für die Wissenschaft des Judentums gegründet ha�e. Die Familie konnte sich vor dem Nationalsozialismus 1935 in Zürich in Sicherheit bringen; der Vater amtete als Rabbi-ner und Oberrabbiner der Israelitischen Cultusge-meinde Zürich (ICZ). Wenn Sohn Jacob in Zürich und Basel studierte, die Rabbinerausbildung in Montreux absolvierte und später das Jewish Theo-logical Seminary in New York besuchte, tat er das nicht nur, um dem väterlichen Wunsch zu genü-gen. Martin Treml, Dozent am Berliner Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL), belegte das religiöse Engagement des Sohnes anhand eines Briefes, in dem sich der Schreiber über die spirituelle Nachlässigkeit von Kommilitonen aus-liess, die auf das Morgengebet und Talmuddiskus-sionen verzichteten, um Karten zu spielen.

Privates und BeruflichesUntrennbar verwoben wird Privates und Berufli-ches 1949 mit der Heirat von Susan Friedman

(1928–1969). Ihre Familie entkam 1939 der NS-Verfolgung in Ungarn, indem sie in die USA emigrierte. Friedman studierte erst Philosophie, wechselte zum Theater, um sich später wieder der Philosophie zuzuwenden. Ihre Hinterlassen-schaft wird heute am Berliner Literaturinstitut archiviert und erforscht. Christina Pareigis, Dozentin an diesem Institut, hat den Nachlass erschlossen. Derzeit bereitet die Referentin eine intellektuelle Biographie über Susan Taubes vor. Pareigis berichtete von den Konflikten des Paa-res, etwa damals, als Jacob nach Jerusalem über-siedelte, während Susan 1951 entschied, ihre Studien an der Pariser Sorbonne fortzusetzen, wo sie sich mit Persönlichkeiten wie Hannah Arendt oder Emmanuel Lévinas austauschen konnte. Fast jeder Brief der 24-Jährigen, be - merk te Pareigis, sei Liebes- und Philosophen-brief in einem, in denen sich die Konflikte zwi-schen seiner traditionstreuen und ihrer tradi- tionsfernen Auffassung des Judentums nach-lesen lassen. Zudem dokumentieren sie die An -fänge mehrerer ihrer theoretischen Arbeiten über die philosophischen Schriften von Martin Heidegger, Albert Camus und Simone Weil, über deren Werk sie Mi�e der 1950er Jahre, kurz bevor sie sich von ihrem Mann trennte, in ihrer Disser-tation «The absent God» an der Harvard-Univer-sität beschäftigte. Susan Taubes lehrte an der Columbia University, doch ab Ende der 1950er Jahre veröffentlichte sie Dramen, Gedichte und Prosa. Ende 1969 wählte sie den Freitod, kurz da rauf erschien ihr autobiographischer Roman «Divorcing». Sigrid Weigel las ihn Mi�e der 1990er Jahre und war davon tief beeindruckt; sie konnte die Nachkommen davon überzeugen, die Hinterlassenschaft dem Berliner Literatur-institut anzuvertrauen. Bedauerlicherweise

musste Weigel, inzwischen ehemalige Leiterin eben dieses Instituts, kurzfristig ihren Vortrag an der Taubes-Tagung absagen.

Zwischen Religion und NihilismusVon Jacob Taubes liegt eine einzige Monographie vor; seine Zürcher Doktorarbeit über die abend-ländische Eschatologie. Ein Meisterwerk, wie Agata Bielik-Robson, Professorin für Jüdische Studien an der Universität No�ingham, meint, das sie dem sogenannten jüdischen Hegelianis-mus zuordnet. Wenn sich Taubes auf der dünnen Linie zwischen Religion und Nihilismus bewegt, deutet sie dies nicht als Widerspruch, sondern als inte ressante Fallstudie. Taubes, ist Bielik-Robson überzeugt, plädiere dafür, die moderne Sprache zu erneuern, die zu rigide zwischen Atheismus und Theologie unterscheide. So gelesen, meinte die Vortragende, folge Taubes Hegel, trotz all sei-ner kritischen Überlegungen.

Aus New York war Jacob Taubes voller Hoff-nung nach Jerusalem umgezogen, um, wie in den Jahren zuvor, bei Gerschom Scholem an der Hebräischen Universität in Jerusalem eine An -stellung zu erhalten. Doch ein früheres Zerwürf-nis der beiden wirkte noch 1951 nach, sodass Taubes wieder in die USA zurückging. Dort gelang es ihm, an den prestigeträchtigen Univer-sitäten Harvard und Princeton zu lehren, und auch, sich einzubürgern. Nach Jahren des Pen-delns zwischen Europa und Amerika dozierte er in Berlin, wo er sich an der Freien Universität als Professor für Religionssoziologie und Jüdische Studien Anerkennung verschaffte, bis er 1979 die Leitung des Instituts für Hermeneutik über-nahm. Längst empfahl er Siegfried Unseld vom Suhrkamp Verlag Autorinnen und Autoren für die «Reihe Theorie». Herbert Kopp-Oberstebrink,

«Taubes plädierte dafür, die moderne Sprache zu erneuern, die zu rigide zwischen Atheismus und Theologie unterscheidet.»

Page 2: 30 Jahre nach dem Tod von Jacob Taubes widmete … · wo sie sich mit Persönlichkeiten wie Hannah Arendt oder Emmanuel Lévinas austauschen konnte. Fast jeder Brief der 24-Jährigen,

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Erö�nungsapéro im Garten der Biblioteca Popolare, in der alle Vortragsveranstaltun-gen sta�fanden.

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DSC_Ins_Weltwoche_208x85_d.qxd 14.10.2014 14:56 Uhr Seite 1

Dozent am Zentrum für Literatur- und Kultur-forschung, stellte in seinem Vortrag fest, dass Taubes keine philosophischen Schriften auf-nahm, und er zitierte Taubes: «Reine Philosophie langweilt mich.» Nicht für die klassischen Fragen der Philosophie habe sich Taubes interessiert, sondern vielmehr dafür, wie und wo die philoso-phischen Themen andere Disziplinen durchdrin-gen. Der Referent bedauerte, dass Taubes frühes

Essay von 1952/53 über «Die Entwicklung der ontologischen Frage in der jüngeren deutschen Philosophie» zu wenig bekannt sei, wo Taubes den Philosophen Heidegger kritisch würdigte. So habe dieser die beiden Traditionen der deut-schen Philosophie des 20. Jahrhunderts, die phä-nomenologische und die neo-kantianische, zusammenführen wollen. Susan Taubes ha�e den Beitrag ins Englische übersetzt und nicht

mit Kritik gespart, sowohl hinsichtlich der Sprache wie des Inhalts. Kopp-Oberstebrink hingegen argumentierte, dass Taubes im Essay zahlreiche Lösungen für Probleme der klassi-schen Philosophie darlege. Während Taubes Heidegger kritisierte, dass dessen «Theologie-Abstinenz» nicht weiterführe, habe Taubes geglaubt, dass gerade die Theologie über die «reine Philosophie» hinausreiche.