34458797 Viktor Suworow DER EISBRECHER Hitler in Stalins Kalkul

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  • Die Aufdeckung der militrischenVorgnge in Ruland von 1939 bis1941 war bisher durch ein doppeltesTabu erschwert. Auf sowjetischerSeite besagte die offizielle Geschichtedes Groen VaterlndischenKrieges, Stalin habe 1939 denNichtangriffspakt mit Deutschlandaus friedenspolitischen Absichtengeschlossen und das friedliebendeRuland sei dann von Hitler ruchlosberfallen worden, habe sich aberheldenmtig und erfolgreich verteidigt.- Auf westlicher Seite gerietjede Vermutung, es htten sich vor1941 auf sowjetischer Seite enormemilitrische Vorbereitungen abgespielt,die nicht nur defensiv geplantwaren, in den Verdacht, Hitlers Pro-pagandalge vom PrventivkriegWiederaufleben zu lassen.Jetzt hat ein russischer Autor- selbst ehemals hochrangiger Offizierdes sowjetischen militrischenGeheimdienstes GRU - das Geschehenrekonstruiert. Im Zentrum stehenStalins Geheimplne, Europa zuerobern. Hitler war in dieser Strategie- bereits in den 30er Jahren erdacht - einntzlicher Eisbrecher der Revolution:Der Nichtangriffspakt sollte ihn nachWesten lenken; und wenn diewesteuropischen Staaten und Deutschlandsich in Kriegen gegenseitig geschwchthtten, kme die Stunde der sowjetischenOffensive auf Kontinentaleuropa.Sie war auf den Sommer 1941 geplant.Hitlers berraschend frher berfallund seine Auffassung, in einemBlitzkrieg und vor dem WintereinbruchRuland niederringen zuknnen: diese Entwicklungen warenin Stalins Kalkl, weil zu realittsfern,nicht vorgesehen. Sie gaben

    dem Geschehen eine Wende undVerzgerung. Am Ende aber hatte Stalin immerhin dieHlfte Europas erobert, und Hitler warOpfer seiner blinden Aggressivittgeworden. Hitler und Stalin hatten unabhngig voneinander und parallelzueinander - Eroberungsabsichten, dereine in Richtung Osten, der andere inRichtung Westen. Bei ganz verschiedenerideologischer Begrndungwaren ihre Strategien und derenkriminelle Implikationen verblffendgleich.Der AutorViktor Suworow wurde kurz nachdem Zweiten Weltkrieg in derSowjetunion geboren. Er absolvierte zweimilitrische Lehranstalten und dieDiplomatische Militrakademie inMoskau. 1968 nahm er mit seinerTruppeneinheit an der Befreiungder Tschechoslowakei teil. NachAbschlu der DiplomatischenMilitrakademie arbeitete er imGeneralstab der Streitkrfte der UdSSR.Als Offizier des sowjetischen militrischenGeheimdienstes GRU war er alssowjetischer Diplomat in Westeuropattig. 1978 erbat er politisches Asyl inEngland. Er widmet sich intensivzeitgeschichtlicher und militr-historischer Forschungarbeit und hatbisher fnf Bcher und vieleAufstze verffentlicht. Das vorliegendeBuch ist fr ihn die wichtigstePublikation seines Lebens und derentscheidende Grund fr das Verlassender UdSSR. Aus persnlichenGrnden bedient sich der Autor einesPseudonyms.

  • Viktor Suworow

    DER EISBRECHERHitler in Stalins Kalkl

    Aus dem Russischenvon Hans Jaeger

    Mit 3 Kartenund 30 Abbildungen

    Klett-Cotta

  • Der Verlag dankt Professor Dr. Lothar Zeidler, DEM BRUDEReinem Teilnehmer am Rulandfeldzug,

    fr die Durchsicht des deutschen Manuskriptes.Die Karten zeichnete Ulf Balke.

    Gescannt von cOyOte.Titel des russischen Originals:

    Viktor Suvorov: LEDOKOL. Istorija tak nazyvaemoj>velikoj otecestvennoj vojnygroen vaterlndischen Krieges

  • INHALT

    An meine Leser 11

    Der Weg zum Glck 15

    Der Hauptfeind 24

    Wozu brauchen Kommunisten Waffen? 31

    Weshalb hat Stalin Polen geteilt? 43

    Der Pakt und seine Folgen 50

    Wann ist die Sowjetunion in den Zweiten Weltkriegeingetreten? 56

    Die Ausweitung der Kriegsbasis 68

    Wozu brauchen Tschekisten Haubitzen? 80

    Weshalb wurde der Sicherungsstreifen am Vorabenddes Krieges beseitigt? 90

    Weshalb hat Stalin die Stalin-Linie abgebaut? 109

    Partisanen oder Diversanten? 121

    Wozu hatte Stalin zehn Luftlandekorps ntig? 129

    Der flugfhige Panzer 138

    Bis nach Berlin! 145

    Marineinfanterie in den Wldern Belorulands 157

    Was ist eine Sicherungsarmee? 161

    Gebirgsjgerdivisionen in den Steppen der Ukraine 182Wozu war die Erste Strategische Staffel bestimmt? 197

    Stalin im Mai 1941 201

  • Wort und Tat 221

    Zhnefletschende Friedensliebe 228

    Noch einmal zurck zum TASS-Kommunique 236

    Die verwaisten Militrbezirke 280

    Weshalb hat Stalin Churchill nicht getraut? 289

    Weshalb hat Stalin Richard Sorge nicht getraut? 304

    Weshalb wurde die Zweite Strategische Staffelgebildet? 320

    Die schwarzen Divisionen 341

    Zwei parallele Systeme militrischer Dienstgrade 350

    Der nichterklrte Krieg 357

    Warum Stalin Fronten bildete 369

    Wie Hitler Stalins Krieg vereitelte 406

    Hat Stalin einen Kriegsplan gehabt? 419

    Der Krieg, zu dem es nicht kam 429

    Abkrzungen 433

    Literatur 455

    Die militrischen Offiziersdienstgrade in der Sowjetunionund in der Bundesrepublik Deutschland 446

    Personenregister 449

    Geographisches Register 458

    Karten und Abbildungen Buchmitte

    Der Westen mit seinen imperialisti-schen Kannibalen hat sich in eine

    Brutsttte der Finsternis undSklaverei verwandelt. Unsere

    Aufgabe ist es, diese Brutsttte zumGlck und zur Freude der

    Werkttigen aller Lnder zuzerschlagen.

    Stalin, 15.12.1918 (Werke IV,S. 182)

  • AN MEINE LESER

    Wer hat den Zweiten Weltkrieg begonnen?Auf diese Frage hrt man verschiedene Antworten. Eine ein-

    heitliche Meinung gibt es nicht. Die Sowjetregierung beispiels-weise hat ihre offizielle Meinung zu dieser Frage wiederholtgendert.

    Am 18. September 1939 erklrte die Sowjetregierung ineiner offiziellen Note, da die Schuld an dem Krieg die RegierungPolens treffe.

    Am 30. November 1939 bezichtigte Stalin in der Prawdaandere als Schuldige: England und Frankreich haben Deutsch-land angegriffen und damit die Verantwortung fr den gegen-wrtigen Krieg auf sich genommen.

    Am 5. Mai 1941 benennt Stalin in seiner Geheimrede vorden Absolventen der Militrakademien noch einen Urheber:Deutschland.

    Nach Beendigung des Krieges hat sich der Kreis der Schul-digen ausgeweitet. Stalin erklrt, den Zweiten Weltkrieg ht-ten alle kapitalistischen Staaten der Welt begonnen. Bis zumZweiten Weltkrieg galten nach Stalinscher Definition smtlichesouvernen Staaten der Welt mit Ausnahme der Sowjetunion alskapitalistische Staaten. Folgt man dieser Auffassung von Stalin,dann haben den blutigsten Krieg in der Geschichte der Mensch-heit die Regierungen smtlicher Lnder einschlielich Schwe-dens und der Schweiz mit Ausnahme der Sowjetunion begonnen.

    Stalins Standpunkt, da alle mit Ausnahme der UdSSRschuldig seien, hat sich offenbar auf lange Sicht in der kommu-nistischen Mythologie stabilisiert. Unter Chrutschtschow undBreschnew ebenso wie unter Andropow und Tschernenko sinddiese Anschuldigungen gegen die ganze Welt mehr als einmalwiederholt worden. Unter Gorbatschow hat sich vieles in derSowjetunion gendert, nicht aber die Gltigkeit von StalinsStandpunkt hinsichtlich der Urheberschaft des Krieges. So hatzum Beispiel in der ra Gorbatschows der Chefhistoriker der

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  • Sowjetischen Armee Generalleutnant P. A. Schilin wiederholt:Schuld am Krieg waren nicht nur die Imperialisten Deutsch-lands, sondern auch die der ganzen Welt. (Roter Stern,24. September 1985)

    Ich wage zu behaupten, da die sowjetischen Kommunistennur deshalb alle Staaten der Welt der Urheberschaft fr denZweiten Weltkrieg bezichtigen, weil sie so ihre eigene schmh-liche Rolle als Kriegshetzer vertuschen wollen.

    Erinnern wir uns, da nach dem Ersten Weltkrieg im Versail-ler Vertrag Deutschland das Recht entzogen wurde, eine starkeArmee und Angriffswaffen einschlielich Panzer, Kampfflug-zeuge, schwere Artillerie, U-Boote zu unterhalten. Auf deut-schem Boden hatten deutsche Kommandeure keine Mglich-keit, die Fhrung von Angriffskriegen vorzubereiten, und soverlegten sie ihre Vorbereitungen... in die Sowjetunion. AufStalins Befehl wurden fr die deutschen Kommandeure alle Vor-aussetzungen zur Gefechtsausbildung geschaffen. Man stellteihnen Unterrichtsrume zur Verfgung, Truppenbungspltze,Schiepltze und alles das, was sie nicht besitzen durften: Pan-zer, schwere Artillerie, Kampfflugzeuge. Auf Stalins Befehl er-hielten deutsche Kommandeure Zutritt zu den sowjetischengrten Panzerproduktionssttten in der Welt: Seht es euch an,merkt es euch, bernehmt, was ihr wollt! Seit den zwanzigerJahren scheute Stalin keine Mittel, Mhen und Zeit, um dieSchlagkraft des deutschen Militarismus wiedererstehen zu las-sen. Gegen wen sollte sie sich richten? Natrlich nicht gegen ihnselbst. Wer war es dann? Es gibt nur eine Antwort: das ganzerestliche Europa.

    Stalin hatte begriffen, da eine starke Offensivarmee vonsich aus noch keinen Krieg beginnt, sie bedarf dazu auch einesfanatischen, wahnwitzigen Fhrers. Und Stalin hat sehr vieldazu beigetragen, da an der Spitze Deutschlands ein solcherFhrer stehen sollte. Als die Faschisten an die Macht gelangtwaren, hat Stalin sie beharrlich und nachdrcklich in den Krieggehetzt. Den Gipfel dieser Bemhungen stellt der Molotow-Rib-bentrop-Pakt 1939 dar. Mit diesem Pakt garantierte Stalin Hit-ler Handlungsfreiheit in Europa und ffnete im Grunde genom-

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    men die Schleusen fr den Zweiten Weltkrieg. Doch wenn wiruns schon voll Abscheu des tollwtigen Hundes erinnern, dersich in halb Europa festgebissen hatte, dann sollten wir auchStalin nicht vergessen, der diesen Hund herangezogen unddann von der Kette gelassen hat.

    Noch bevor die Nationalsozialisten in Deutschland an dieMacht gelangt waren, hatten die sowjetischen Fhrer fr Hitlerbereits die inoffizielle Bezeichnung eines Eisbrechers derRevolution geprgt. Es ist eine treffende und vielsagende Be-zeichnung. Die Kommunisten hatten begriffen, da Europa nurim Falle eines Krieges aufzubrechen war, und der Eisbrecherder Revolution konnte dies bewirken. Adolf Hitler hatte, ohnesich dessen bewut zu werden, durch seine Aktionen dem Welt-kommunismus den Weg bereitet. Mit seinen Blitzkriegen hatteer die westlichen Demokratien zerschlagen und gleichzeitigseine eigenen Streitkrfte von Norwegen bis Nordafrika zer-splittert und verausgabt. Fr Stalin konnte das nur von Vorteilsein. Der Eisbrecher der Revolution hatte ungeheuerliche Ver-brechen begangen und durch seine Taten Stalin das moralischeRecht gegeben, jederzeit als Befreier Europas auftreten zu kn-nen und damit die braunen durch die roten Konzentrations-lager zu ersetzen.

    Stalin hatte besser als Hitler begriffen, da den Krieg nichtderjenige gewinnt, der als erster beginnt, sondern derjenige,der zuletzt in diesen Krieg eintritt. Stalin hatte Hitler bereitwil-lig den zweifelhaften Vortritt gelassen und sich auf den unausbleiblichen Kriegseintritt zu dem Zeitpunkt vorbereitet, wennalle Kapitalisten sich untereinander in die Haare geraten sind.(Stalin unter Berufung auf Lenin am 3. 12. 1927. Werke X,S. 288)

    Fr mich ist Hitler ein Verbrecher, die europische Versioneines Kannibalen. Aber auch wenn Hitler ein Kannibale war, sofolgt daraus doch keineswegs, da Stalin Vegetarier gewesensein mu. Man hat groe Anstrengungen unternommen, um dieVerbrechen des Nationalsozialismus zu entlarven und die Hen-ker aufzuspren, die ihre Untaten unter seinem Banner began-gen haben. Entlarvt man aber die deutschen Faschisten, dann

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  • mu man auch die sowjetischen Kommunisten entlarven, diedie Nazis zu ihren Verbrechen ermunterten, weil sie daraufhofften, sich die Resultate dieser Verbrechen zunutze zumachen.

    Die Kommunisten haben schon lange und sorgsam ihreArchive durchforstet, und das, was dort erhalten blieb, ist derhistorischen Forschung kaum zugnglich. Ich hatte die Mglich-keit, in den Archiven des Verteidigungsministeriums der UdSSRzu arbeiten, doch werde ich ganz bewut nur sehr wenig Mate-rial aus diesen Geheimarchiven heranziehen. Meine Hauptquel-len sind offen zugngliche sowjetische Publikationen. Auch dieverffentlichten Daten reichen vollkommen aus, um die sowje-tischen Kommunisten an den Pranger zu stellen und sie auf einegemeinsame Anklagebank mit den deutschen Faschisten zusetzen.

    Meine Hauptzeugen sind Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Sta-lin, alle sowjetischen Marschlle aus den Tagen des ZweitenWeltkrieges und viele Generale in fhrender Position. Die Kom-munisten geben zu, da sie durch Hitlers Hnde den Krieg inEuropa entfesselt und einen berraschungsschlag gegen Hitlervorbereitet haben, um das von ihm zerstrte Europa zu er-obern. Der Wert meiner Quellen besteht gerade darin, da dieTter ber ihre Untaten selbst zu Worte kommen.

    Viktor Suworow, Dezember 1988

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    DER WEG ZUM GLCKWir sind die Partei einer Klasse, diezur Eroberung angetreten ist, zur

    Eroberung der Welt.General M. W. Frunse (1885-1925;

    Werke, Bd. 2, S. 96)

    l.Marx und Engels hatten einen Weltkrieg vorausgesagt undlange whrende internationale Konflikte von 15, 20, 50 Jahren.Diese Aussicht schreckte sie nicht. Die Autoren des Kommuni-stischen Manifests haben das Proletariat nicht zur Verhinde-rung des Krieges aufgerufen, ganz im Gegenteil, fr Marx undEngels war ein knftiger Weltkrieg geradezu wnschenswert.Der Krieg ist die Mutter der Revolution. Ein Weltkrieg ist dieMutter einer Weltrevolution. Das Ergebnis dieses Weltkriegeswird nach Engels' Worten die allgemeine Erschpfung und dieHerstellung der Bedingungen des schlielichen Sieges der Ar-beiterklasse bedeuten. (Einleitung zu Sigismund BorkheimsBroschre Zur Erinnerung fr die deutschen Mordspatrioten.1806-1807. In: Karl Marx, Friedrich Engels. Werke. Hrsg. In-stitut fr Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. 39 Bnde.Berlin 1961-1968. Bd. 21, S. 351)

    Marx und Engels haben den Weltkrieg nicht mehr erlebt,aber es fand sich ein Mann, der ihr Werk weiterfhrte - Lenin.Die Partei Lenins setzte sich von den ersten Tagen des Weltkrie-ges an fr eine Niederlage der Regierung ihres eigenen Landesein, um den imperialistischen Krieg in einen Brgerkrieg zuverwandeln. Lenin ging davon aus, da die linken Parteien deranderen Lnder sich ebenfalls gegen ihre Regierungen wendenund da der weltweite imperialistische Krieg in einen weltwei-ten Brgerkrieg mnden wrde. Das trat nicht ein. Doch hatteLenin mit der Absage an die Hoffnung auf eine Weltrevolutionbereits im Herbst 1914 die Aufstellung eines Minimalpro-gramms verbunden: Sollte es als Folge des Weltkrieges nicht zu

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  • einer Weltrevolution kommen, mute alles Erforderliche unter-nommen werden, damit die Revolution zumindest in einemLande ausbrach, ganz gleich wo. Hat das Proletariat in diesemLande gesiegt, wird es gegen die gesamte brige Welt antreten,Unruhen und Aufstnde in den anderen Lndern entfachenoder direkt zum Angriff mit bewaffneten Krften bergehen.(Lenin in dem am 23. 8. 1915 in der Zeitung Sozial-DemokratNr. 44 erschienenen Artikel Zur Losung von den VereinigtenStaaten von Europa. Vollstndige Werkausgabe, Bd. 26, S. 354)

    Whrend Lenin sein Minimalprogramm von der Eroberungder Macht in einem Lande aufstellt, verliert er nicht die gre-ren Perspektiven aus den Augen. Fr Lenin bleibt - wie frMarx - die Weltrevolution der Leitstern. Wenn aber nach demMinimalprogramm als Ergebnis des Ersten Weltkrieges die Re-volution nur in einem Lande mglich ist, wie soll es dann mit derWeltrevolution weitergehen? Aufgrund welcher auslsendenUmstnde? 1916 gibt Lenin eine przise Antwort auf dieseFrage: als Resultat eines zweiten Weltkrieges.

    Ich mag mich irren, doch unter dem vielen, was ich von Hit-ler gelesen habe, ist mir nichts begegnet, was darauf hinwiese,da dieser Adolf Hitler 1916 an einen zweiten Weltkrieg dachte.Lenin tat es. Nicht genug damit, formulierte Lenin bereits zujener Zeit die theoretische Begrndung fr die Notwendigkeiteines solchen Krieges zur Errichtung des Sozialismus in derganzen Welt.

    Die Entwicklung der Ereignisse nimmt einen strmischenVerlauf. Im folgenden Jahre bricht die Revolution in Rulandaus. Lenin eilt nach Ruland. Hier reien er und seine kleine,aber militrisch organisierte Partei im Wirbel des allgemeinenDurcheinanders, in dem alles erlaubt ist, mit einem pltzlichenUmsturz die Staatsgewalt an sich. Lenins Schachzge sind ein-fach, aber verschlagen. Im Augenblick der Bildung eines kom-munistischen Staates erlt Lenin das Dekret ber den Frie-den (Oktober 1917). Das macht sich nicht bel fr Propaganda-zwecke. Doch den Frieden braucht Lenin nicht um des Friedenswillen, sondern um sich an der Macht zu halten. Nach diesemDekret fluteten Millionen bewaffneter Soldaten von der Front

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    nach Hause. Mit dem Dekret ber den Frieden verwandelteLenin den imperialistischen Krieg in einen Brgerkrieg, strzteer das Land in ein tiefes Chaos, whrend er zugleich die Machtder Kommunisten konsolidierte und sich weiteres Territoriumerkmpfte und unterwarf. Die von der Front zurckstrmendenSoldaten spielten die Rolle eines Brecheisens, das Ruland aus-einanderfallen lie. Das Ergebnis des Brgerkrieges war dieallgemeine Erschpfung, die es Lenin erlaubte, die gewonneneMacht zu behaupten und weiter zu festigen.

    Lenins auenpolitische Schachzge sind nicht weniger ver-schlagen. Auch hier handelt er nach demselben Prinzip: Dieweilihr euch rauft, stehe ich abseits und beobachte, aber habt ihreinander erst hinreichend geschwcht ...

    Im Mrz 1918 schliet Lenin mit Deutschland und seinenVerbndeten den Frieden von Brest-Litowsk. Zu dieser Zeit istdie Lage Deutschlands bereits hoffnungslos. Begreift Lenin das?Natrlich. Eben deshalb unterzeichnet er den Frieden, dera) Lenin den Kampf um die Festigung der kommunistischen

    Diktatur im Lande ermglicht,b) Deutschland beachtliche Ressourcen und Reserven fr die

    Fortsetzung des Krieges im Westen freigibt, der sowohlDeutschland wie auch die westlichen Verbndeten zermrbt.

    Durch den Abschlu eines separaten Abkommens mit demGegner verriet Lenin die Verbndeten Rulands. Aber er verrietauch Ruland. Anfang 1918 lag ein Sieg Frankreichs, Gro-britanniens, Rulands, der USA und der brigen Lnder berDeutschland und seine Verbndeten bereits nahe und war un-ausbleiblich. Ruland hatte im Kriege Millionen Soldaten ver-loren und besa ein volles Recht darauf, gemeinsam mit seinenwestlichen Bundesgenossen zu den Siegern zu zhlen. Einensolchen Sieg hatte Lenin indessen nicht ntig; er brauchte dieWeltrevolution. Lenin gibt zu, da der Friede von Brest nichtim Interesse Rulands geschlossen wurde, sondern im Inter-esse der Weltrevolution, im Interesse der Errichtung des Kom-munismus in Ruland und in den brigen Lndern. Lenin gibt ineiner Rede zur Auenpolitik am 14. 5. 1918 zu, da er die welt-weite Diktatur des Proletariats und die weltweite Revolution

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  • ber alle nationalen Opfer stellte. (Vollstndige Werkausgabe,Bd. 36, S. 341 f.) Die Niederlage Deutschlands war bereits greif-bar, aber Lenin schliet einen Frieden, in dem Ruland sei-nen Anspruch auf die Rolle des Siegers aufgibt und im GegenteilDeutschland kampflos eine Million Quadratkilometer fruchtbar-sten Bodens und die reichsten Industrieregionen des Landesberlt, ja er zahlt obendrein eine Kriegskontribution in Gold.Wofr ?!

    Er tat es aus folgendem Grund: Der Friede von Brest machteMillionen russischer Soldaten berflssig, und diese fhrer-losen Menschenmassen zogen nach Hause und zerstrten aufihrem Wege das Grundgefge des Staatswesens und der ebenerst geborenen Demokratie. Diese Millionen bewaffneter Solda-ten bernahmen in Ruland die Rolle eines Brecheisens, indemsie eine jahrhundertealte Ordnung vernichteten und ebenso dieGrundlagen, auf denen das Land ruhte. Der Brester Friedewurde zum Auslser eines ungemein grausamen Brgerkrie-ges, weit blutiger und grausamer als der Erste Weltkrieg. Durchden Brester Frieden erreichte Lenin sein Ziel: Er verwandelteden imperialistischen Krieg in einen Brgerkrieg. Whrendjeder gegen jeden kmpfte, festigten die Kommunisten ihrenMachtbereich, bauten ihn aus und unterwarfen anschlieendim Laufe weniger Jahre das ganze Land.

    Der Friede von Brest widersprach nicht nur den nationa-len Interessen Rulands, sondern er richtete sich auch gegenDeutschland. Gemessen an seinem Zweck und Geist ist derFriede von Brest ein Urbild des Molotow-Ribbentrop-Paktes.Lenins Absichten 1918 und Stalins Absichten 1939 sind ein unddieselben: Mag Deutschland seinen Krieg im Westen fhren,mag es sich ruhig auszehren und zugleich auch die westlichenBundesgenossen bis zur Erschpfung schwchen. Wir werdenum jeden beliebigen Preis Deutschland behilflich sein, bis zureigenen uersten Auszehrung weiterzukmpfen, und dann..

    Zur gleichen Zeit, als auf Lenins Gehei in Brest derFriede mit Deutschland unterzeichnet wird, arbeitet man inPetrograd intensiv an den Vorbereitungen zum Sturz der deut-schen Regierung. In Petrograd wird in einer Auflage von einer

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    halben Million Exemplaren die kommunistische deutschspra-chige Zeitung Die Fackel herausgebracht, und noch vor derUnterzeichnung des Friedensvertrages von Brest wird imJanuar 1918 in Petrograd die deutsche kommunistische Spar-takus-Gruppe gegrndet. Auch die Zeitungen Die Weltrevolu-tion und Die Rote Fahne erleben ihre Geburtsstunde nicht inDeutschland, sondern im kommunistischen Ruland, auf Wei-sung Lenins, der den Frieden mit Deutschland unterzeichnethat. In den zwanziger Jahren schlgt der Kommunismus inDeutschland tiefe Wurzeln, Vergessen wir nicht, da Leninhierzu seinen Beitrag leistete, und zwar gerade in einem Au-genblick, da Deutschland einen zermrbenden, hoffnungslosenKampf im Westen fhrte und Lenin mit der deutschen Regierungein Friedensabkommen geschlossen hatte.

    2.Lenins Rechnung ging auf: Das vom Krieg erschpfte DeutscheReich war der ungeheuren Anspannung des Zermrbungskrie-ges nicht gewachsen. Der Krieg endet mit dem Kollaps desReiches und dem Ausbruch der Revolution. Unverzglich annul-liert Lenin den Vertrag. In dem vom Kriege zerstrten Europaentstehen auf den Trmmern der Reiche kommunistische Staa-ten von erstaunlicher hnlichkeit mit dem Leninschen bolsche-wistischen Regime. In seiner Schlurede auf dem 8. Parteikon-gre am 23.3.1919 sieht sich Lenin jubelnd an der Schwelle zurWeltrevolution. (Vollstndige Werkausgabe, Bd. 38, S. 215) Zudieser Zeit trennt er sich von seinem Minimalprogramm. Erspricht nicht lnger von der Notwendigkeit eines zweiten Welt-krieges, weil er jetzt glaubt, die Weltrevolution knne bereits imGefolge des Ersten Weltkrieges verwirklicht werden.

    Lenin grndet die Komintern, die sich selbst als Kommu-nistische Weltpartei deklariert und die Schaffung einer Sowje-tischen Sozialistischen Weltrepublik zum Ziele setzt.

    Doch die Weltrevolution blieb aus. Die kommunistischen Re-gime in Bayern, Bremen, in der Slowakei, in Ungarn erwiesensich als brchig und nicht lebensfhig, die linken Parteien der

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  • westlichen Lnder zeigten Schwche und Unentschlossenheitbei der Ergreifung und Bewahrung der Macht, und Leninkonnte ihnen zu der Zeit lediglich moralische Untersttzung ge-whren: Alle Krfte der Bolschewiken waren an die innerenFronten geworfen, in den Kampf mit den Vlkern Rulands, dieden Kommunismus nicht wollten.

    Erst 1920 hat Lenin seine Position in Zentralruland hinrei-chend gefestigt und kann starke Krfte nach Europa entsenden,um die Revolution voranzutreiben.

    Zwar ist der gnstigste Augenblick in Deutschland bereitsversumt, und dennoch ist es im Jahre 1920 ein hchst geeignetesFeld fr den Klassenkampf. Deutschland ist entwaffnet und gede-mtigt. Smtliche Ideale sind beschimpft und besudelt. Im Landeherrscht eine extreme wirtschaftliche Krise, im Mrz 1920 wirdes von einem Generalstreik erschttert, an dem einigen Berich-ten zufolge ber 12 Millionen Menschen beteiligt waren. Deutsch-land ist ein Pulverfa, und es bedarf nur noch eines einzigen Fun-kens ... Im Text des offiziellen Marschliedes der Roten Armee(Budjonny-Marsch) heit es: Erst her mit Warschau, dann hermit Berlin! Nikolai Bucharin, der Theoretiker der sowjetischenKommunisten, gibt in der Prawda eine noch entschiedenereLosung aus: Direkt vor die Mauern von Paris und London!

    Doch auf dem Wege der roten Legionen liegt Polen. Sowjet-ruland und Deutschland besitzen keine gemeinsame Grenze.Um das Feuer der Revolution zu entfachen, gilt es, die tren-nende Barriere niederzureien - das freie, unabhngige Polen.Zum Unglck der Kommunisten befand sich an der Spitze dersowjetischen Truppen ein Befehlshaber, der nichts vom Wesender Strategie verstand: Tuchatschewski. Seine Armeen wurden1920 vor Warschau geschlagen und ergriffen schmhlich dieFlucht. Im kritischen Augenblick standen Tuchatschewski keinestrategischen Reserven zur Verfgung, das entschied den Aus-gang der grandiosen Schlacht. Die Niederlage Tuchatschewskiswar kein Zufall: Ein halbes Jahr vor Beginn des sowjetischenBefreiungsfeldzuges nach Warschau und Berlin hatte Tucha-tschewski die mangelnde Notwendigkeit strategischer Reservenim Kriege theoretisch begrndet.

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    Die militrische Strategie folgt einfachen, aber unerbittlichenGesetzen. Ein Grundprinzip der Strategie ist die Konzentration.Ein Grund-Geheimnis der Strategie besteht darin, im ent-scheidenden Augenblick, am entscheidenden Ort seine geballteKraft auf den empfindlichsten Punkt des Gegners zu konzentrie-ren. Um die eigenen Krfte konzentrieren zu knnen, mu mansie in der Reserve halten. Tuchatschewski hatte das nicht begrif-fen und nun fr dieses mangelnde Verstndnis bezahlt. Die Revo-lution in Deutschland aber mute auf 1923 verschoben werden.

    3.Die Zerschlagung von Tuchatschewskis Truppen in Polen zog frdie Bolschewiken uerst unangenehme Folgen nach sich. Ru-land, das sie in ein Blutbad getaucht und scheinbar vllig ihrerKontrolle unterjocht hatten, bumte sich pltzlich in einem ver-zweifelten Versuch auf, die kommunistische Diktatur abzuwer-fen. Das werkttige Petrograd, die Wiege der Revolution, trat inden Streik. Zwar erstickten die Bolschewiken die Arbeiterkund-gebungen, doch nun stand pltzlich das Geschwader der Ostsee-flotte an der Seite der Arbeiter. Die Matrosen von Kronstadt, die-selben, denen Lenin und Trotzki die Macht zu verdanken hatten,forderten jetzt die Suberung der Rte von den Kommunisten.Durch das Land rollte eine Woge von Bauernprotesten. In denWldern um Tambow stellten die Bauern eine starke, gut orga-nisierte, aber schlecht ausgerstete antikommunistische Armeeauf.

    Nun, Tuchatschewski, sieh zu, wie du damit fertig wirst! Undnun wscht Tuchatschewski mit fremdem Blut seine eigene stra-tegische Schande ab. Tuchatschewskis Greueltaten in Kronstadtsind legendr. Die ungeheuerliche Vernichtung der Bauern imGouvernement Tambow ist eine der schrecklichsten Seiten inder Geschichte Rulands. Der Autor dieser Seite aber heit Tu-chatschewski. Das zwanzigste Jahrhundert kennt einige groeVerbrecher: Jeschow, Himmler, Pol Pot u. a. Gemessen an derMenge vergossenen Blutes hat sich Tuchatschewski durchauseinen Platz an ihrer Seite verdient, in zeitlicher Hinsicht jedoch

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  • war Tuchatschewski ein Vorlufer fr die meisten dieser Ver-brecher.

    4.1921 fhrt Lenin die Neue konomische Politik (NP) ein. In-dessen war an dieser Politik nichts neu - es war der gute alteKapitalismus. Die Kommunisten mssen sich an der Machtbehaupten, und dafr lassen sie sich auf jede beliebige Ab-schwchung in ihrem Programm ein bis hin zur Einfhrung vonElementen eines freien Marktes. Man sieht gewhnlich in Kron-stadt und Tambow die Hauptbeweggrnde fr Lenins Einfh-rung von Elementen der freien Marktwirtschaft und die Milde-rung des ideologischen Wrgegriffs am Halse der Gesellschaft.Ich meine, da man die Ursachen hierfr tiefer suchen mu:1921 hatte Lenin begriffen, da der Erste Weltkrieg nicht dieWeltrevolution ausgelst hatte. Trotzkis Rat folgend, mute manzu einer permanenten Revolution bergehen, Schlag um Schlagden schwachen Kettengliedern der freien Gesellschaft verset-zen und zugleich einen zweiten Weltkrieg vorbereiten, der dieendgltige Befreiung bringen wrde. Noch vor der Einfh-rung der NP im Dezember 1920 uerte sich Lenin zumThema Weltkrieg: Ein neuer derartiger Krieg ist unausbleib-lich. (Rede vor dem Moskauer Stadtsowjet zum Jahrestag derIII. Internationale am 6. 3. 1920. Vollstndige Werkausgabe,Bd. 40, S. 211)

    Und wieder mu ich auf Hitler zurckkommen. Ich ver-teidige ihn nicht, sondern stelle blo fest, da er 1920 nichtffentlich von der Unausbleiblichkeit und Erwnschtheit eineszweiten Weltkrieges redete. Hier dagegen eine Erklrung Leninsaus dieser Zeit: Einen Teilabschnitt des Krieges haben wirbeendet, nun mssen wir uns auf einen zweiten vorbereiten.Eben dafr wird die NP eingefhrt. Friede bedeutet ein Atem-holen fr den Krieg. Das sagt Lenin, das sagt Stalin, das sagt diePrawda. Die NP ist eine kurze Atempause vor den kommen-den Kriegen. Die Kommunisten mssen ihr Land in Ordnungbringen, ihre Macht strken und konsolidieren, eine gewaltigeRstungsindustrie aufbauen, die Bevlkerung auf die knftigen

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    Kriege, Schlachten, Befreiungsfeldzge vorbereiten. Undgenau damit befassen sie sich.

    Die Einfhrung von Elementen einer freien Marktwirtschaftbedeutet keineswegs eine Absage an die Vorbereitung der Welt-revolution und eines zweiten Weltkrieges, der diese Revolutionbewirken soll. Bereits im folgenden Jahr wurde die Union derSozialistischen Sowjetrepubliken, die UdSSR, geschaffen. DieGrndungsdeklaration der UdSSR besagte, da die UdSSR nurder erste entschlossene Schritt zur Schaffung einer WeltweitenSozialistischen Sowjetrepublik, WSSR, sei. Zum Zeitpunkt ihrerGrndung umfate die UdSSR vier Republiken. Diese Zahl sollteso lange vergrert werden, bis sie die ganze Welt einschlieenwrde.

    Die Grndungsdeklaration der UdSSR war eine ehrliche undoffene Kriegserklrung an die gesamte restliche Welt. Die De-klaration besitzt Gltigkeit bis auf den heutigen Tag, niemandhat sie zurckgenommen. Zwischen Hitlers Mein Kampf undder Deklaration besteht ein Unterschied. Hitler schrieb seinBuch spter, und es stellt den Standpunkt eines Mannes dar:Mein Kampf. Die Grndungsdeklaration der UdSSR ist einoffizielles Dokument ber das Hauptziel eines riesigen Staats-gebildes: smtliche anderen Staaten der Welt zu liquidieren, umsie sich selbst unterzuordnen.

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  • DER HAUPTFEINDWenn irgendwo die revolutionre

    Erschtterung Europas beginnt, sowird dies von Deutschland ausgeschehen ... und der Sieg derRevolution in Deutschland ist

    gleichbedeutend mit der Gewhrlei-stung des Sieges der internationa-

    len Revolution.Stalin auf der Sitzung der PolnischenKommission der Komintern am 3. 7.

    1924 (Werke VI, S. 267)

    l.1923 steht Deutschland erneut am Rande einer Revolution.Lenin nimmt an der Fhrung des Landes und der Kominternbereits nicht mehr teil.

    Die Zgel der Regierung hat Stalin nahezu vollstndig ansich gerissen, obwohl weder das Land noch die Welt, ja nichteinmal seine Konkurrenten dies zu der Zeit begreifen.

    Seine Rolle bei der Vorbereitung der deutschen Revolutionvon 1923 beschreibt Stalin folgendermaen: Die deutscheKommission in der Komintern, bestehend aus Sinowjew, Bucha-rin, Stalin, Trotzki, Radek und einer Reihe deutscher Genossen,fate eine Anzahl konkreter Beschlsse zur direkten Unterstt-zung der deutschen Genossen bei der Machtergreifung. (Redeauf dem vereinigten Plenum des ZK und der Zentralen Kontroll-kommission der KPdSU am 5. 8. 1927. Werke X, S. 63)

    Stalins persnlicher Sekretr Baschanow hat diese Vorberei-tung ausfhrlicher geschildert. Er sagt, riesige Geldmengenseien angewiesen worden, und das sowjetische Politbro habein geheimer Beratung den Beschlu gefat, keine Ausgaben zuscheuen. In der Sowjetunion wurden smtliche Kommunistendeutscher Abstammung mobilisiert sowie alle Kommunisten,die des Deutschen mchtig waren. Sie wurden nach Deutschland

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    zur Untergrundarbeit geschickt. Aber nicht nur gewhnlicheKommunisten wurden nach Deutschland transferiert, sondernauch hherrangige sowjetische Fhrer, darunter der sowjetische Volkskommissar W. Schmidt, der Stellvertreter des Vorsit-zenden der GPU (und knftige Chef des militrischen Geheim-dienstes) Unschlicht, die Mitglieder des Zentralkomitees Radekund Pjatakow Der sowjetische Bevollmchtigte (Botschafter) inDeutschland Krestinski entfaltete eine fieberhafte Aktivitt. Diesowjetische Botschaft verwandelte sich in eine Organisations-zentrale der Revolution. ber die Botschaft liefen die Anweisun-gen aus Moskau, flssen aber auch die Geldstrme sowie Waffenund Munition. Auf Unschlicht entfiel die Organisation von Ab-teilungen des bewaffneten Aufstandes fr den Umsturz, ihrerRekrutierung und Versorgung mit Waffen. Auerdem sollte ereine deutsche Tscheka zur Vernichtung der Bourgeoisie und derRevolutionsgegner nach dem Umsturz aufstellen. (B. Bascha-now, Ich war Stalins Sekretr. Frankfurt/Berlin/Wien 1977,S. 58)

    Vom sowjetischen Politbro wurde ein detaillierter Plan frden Umsturz ausgearbeitet und besttigt, als Zeitpunkt war der9. November 1923 festgesetzt worden.

    Doch die Revolution fand nicht statt.Es gibt viele Grnde dafr.Erstens: Die groe Masse der deutschen Bevlkerung

    whlte die goldene Mitte und entschied sich fr die Sozialdemo-kratie. Die Kommunistische Partei besa nicht die notwendigeUntersttzung bei den Massen und war obendrein in zwei Frak-tionen aufgespalten. Die Fhrer der Partei zeigten keine hin-reichende Entschlossenheit, wie sie seinerzeit Trotzki und Leninaufgebracht hatten.

    Zweitens: Die Sowjetunion und Deutschland hatten keinegemeinsame Grenze. Wie schon vier Jahre zuvor trennte Polendie beiden Lnder. Wre eine gemeinsame Grenze vorhandengewesen, htte die Rote Armee der Deutschen Kommunisti-schen Partei und ihren unentschlossenen Fhrern zu Hilfe kom-men knnen.

    Der dritte Grund ist vielleicht der wichtigste: Lenin liegt be-

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  • reits im Sterben und leitet schon lange weder die Sowjetunionnoch die Weltrevolution. Er hat viele Thronfolger: Trotzki, Sino-wjew, Kamenew, Rykow, Bucharin. Neben den offenen Konkur-renten arbeitet der bescheidene Stalin, in dem niemand einenPrtendenten auf die Macht sieht, der aber Lenins Worten zu-folge bereits eine enorme Macht in seinen Hnden konzen-triert hatte.

    Die deutsche Revolution von 1923 wurde zwar vom Kremlaus gelenkt, doch gleichzeitig spielte sich am Ruder der Welt-revolution ein erbitterter Kampf ab. Keiner der offenen Kron-prtendenten wollte seinen Gegner in der Rolle eines Fhrersder deutschen und folglich auch der europischen Revolutionsehen. Die Fhrer stieen und drngten sich am Ruder und er-teilten ihren Untergebenen widersprchliche Anweisungen.Das konnte auf keinen Fall mit einem Sieg enden.

    Der weise Stalin mischte sich in dieser Situation nicht unterdie Mnner am Ruder. Er beschlo, zunchst seine ganze Auf-merksamkeit den Fragen der endgltigen Konsolidierung sei-ner Alleinherrschaft zu widmen und sich erst hernach mit allenbrigen Problemen zu befassen, unter anderem auch mit derWeltrevolution.

    In den nchstfolgenden Jahren schickt Stalin alle Prten-denten auf den Platz des Fhrers um eine Etage tiefer, dannaber lt er sie immer weiter und weiter absinken, bis hinunterin die Keller des Lubjanka-Gefngnisses. Kaum hat Stalin dieMacht ergriffen, beseitigt er alle Barrieren, die der deutschenRevolution im Wege stehen:

    Er bringt Ordnung in die Deutsche Kommunistische Parteiund erreicht von ihr die bedingungslose Erfllung der Weisun-gen aus Moskau;

    er sorgt fr eine gemeinsame Grenze mit Deutschland;er vernichtet die deutsche Sozialdemokratie. Natrlich nicht

    mit eigenen Hnden. Hat Stalin jemals irgendjemanden eigen-hndig umgebracht?

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    2.Marx und Lenin zufolge entsteht die Revolution als Ergebniseines Krieges. Der Krieg verschrft die vorhandenen Widersprche, ruiniert die Wirtschaft, rckt die Revolution nher.Stalins Position ist einfach und von prinzipieller Natur: Sozialdemokraten und Pazifisten mssen bekmpft werden, weil sie dasProletariat von Revolution und Krieg ablenken. Am 7. Novem-ber 1927 gibt Stalin die Losung aus: Der Kapitalismus ist nichtzu beseitigen ohne vorherige Beseitigung der Sozialdemokratiein der Arbeiterbewegung. (Prawda, 6./7. 11. 1927, Werke X,S. 250) Im folgenden Jahr erklrt Stalin den Kampf gegen dieSozialdemokratie zur Hauptaufgabe der Kommunisten: Er-stens, Kampf gegen die Sozialdemokratie auf allen Linien . . .einschlielich der zugehrigen Entlarvung des brgerlichenPazifismus. (Rede vor dem Leningrader Parteiaktiv am 13. 7.1928, Werke XI, S. 202) Bezglich derjenigen, die offen fr denKrieg eintreten, der deutschen Faschisten beispielsweise, istStalins Position ebenso einfach und verstndlich: Sie sind zuuntersttzen. Lat die Faschisten ruhig Sozialdemokraten undPazifisten vernichten. Lat die Faschisten einen neuen Kriegbeginnen. Lat die Faschisten in Europa alle Staaten, alle poli-tischen Parteien, die Parlamente, Armeen, Gewerkschaftenzerschlagen. 1927 sieht Stalin die Machtergreifung durch dieFaschisten voraus, und er hlt dies fr ein positives Phnomen:Gerade diese Tatsache fhrt zur Verschrfung der innerenLage in den Lndern des Kapitalismus und zu revolutionrenAktionen der Arbeiter. (Rede auf dem vereinigten Plenum desZK und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU am 1. 8.1927. Werke X, S. 49)

    Und Stalin frdert die Faschisten. Eifrige Stalinisten, wiezum Beispiel das Mitglied des Politbros der Deutschen Kommunistischen Partei Hermann Remmele, untersttzen ganz offendie an die Macht drngenden deutschen Faschisten. StalinsRolle bei der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land ist beachtlich. Ich hoffe, darber einmal ein ganzes Buchschreiben zu knnen. Hier beschrnke ich mich darauf, TrotzkisAuffassung zu dieser Frage anzufhren, die er 1936 uerte:

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  • Ohne Stalin htte es keinen Hitler gegeben und keine Ge-stapo! (Bulletin der Opposition Nr. 52-53, Oktober 1936)Von Trotzkis Scharfblick und Kenntnis dieser Problematik zeugtauch eine andere Bemerkung vom November 1938: Stalin hatendgltig sowohl Hitler wie auch seinen Gegnern die Hnde ent-fesselt und Europa in den Krieg getrieben. (Bulletin der Oppo-sition Nr. 71, November 1938) Das wird in einem Augenblickgesagt, da Chamberlain sich freut, da es keinen Krieg gebenwird, da Mussolini sich fr einen Friedensstifter hlt und Hitlernoch nicht daran denkt, die Direktive fr den Angriff auf Polen,geschweige denn auf Frankreich zu geben. Zu einem Zeitpunkt,da Europa erleichtert aufatmete und glaubte, da die Gefahreines Krieges gebannt sei, wute Trotzki um seinen baldigenAusbruch, und er wute auch, wen die Schuld daran traf. UmTrotzki endgltig Glauben zu schenken, lassen Sie uns nocheine weitere, am 21. Juni 1939 geuerte Voraussage hren. Zuder Zeit werden intensive, gegen Deutschland gerichtete Ver-handlungen zwischen Grobritannien, Frankreich und derUdSSR gefhrt. Nichts deutet auf die Mglichkeit irgendwelcherunerwarteter Ereignisse und Komplikationen hin. Aber Trotzkisagt in diesem Augenblick: Die UdSSR wird sich in geballterMasse in Richtung auf die Grenzen Deutschlands zu einem Zeit-punkt bewegen, wenn das Dritte Reich in einen Kampf um dieNeuordnung der Welt verwickelt ist. (Bulletin der OppositionNr. 79-80, S. 14) Und genau so wird es geschehen! Deutschlandwird in Frankreich kmpfen, und Stalin wird in geballterMasse die neutralen Staaten an seinen Westgrenzen liquidie-ren und sich damit in Richtung auf die Grenzen Deutschlandsbewegen. An demselben 21. Juni 1939 stellte Trotzki eine nochverblffendere Vorhersage auf: Im Herbst 1939 wird PolenGegenstand einer Okkupation, im Herbst 1941 beabsichtigtDeutschland, zur Offensive auf die Sowjetunion berzugehen.

    Trotzki ist nur ein minimaler Fehler von wenigen Monatenhinsichtlich des Termins fr den Beginn des Krieges gegen dieUdSSR unterlaufen. Wir werden im weiteren sehen, da den-selben Fehler auch Stalin beging.

    Liest man heute, fnfzig Jahre spter, Trotzkis Folgerungen

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    und Voraussagen unter Wrdigung der Treffsicherheit seinerUrteile, mssen wir uns die Frage stellen, woher er dies alleswissen konnte. Trotzki machte kein Geheimnis daraus. Er ist einehemaliger Fhrer des kommunistischen Umsturzes, Begrn-der der Roten Armee, Vertreter der Sowjets bei den Verhandlun-gen in Brest-Litowsk, er war der erste Leiter der sowjetischenDiplomatie und der erste Chef der Roten Armee, ein anerkann-ter Fhrer der UdSSR an der Seite Lenins und ein Fhrer derWeltrevolution. Wer sonst, wenn nicht er, mute wissen, was derKommunismus bedeutet, was die Rote Armee und wer dieserStalin ist. Trotzki sagt, alle seine Vorhersagen beruhen auf offenzugnglichen sowjetischen Publikationen, insbesondere aufden Erklrungen des Sekretrs der Komintern Dimitrow

    Trotzki hatte als erster in der Welt Stalins Spiel durchschaut,das die westlichen Fhrer nicht begriffen und das zunchstauch Hitler nicht verstand.

    Stalins Spielregeln aber waren einfach. Trotzki ist selbst einOpfer dieses Spiels, und deshalb versteht er es. Stalin hatteTrotzki mit Hilfe von Sinowjew und Kamenew aus der Machtentfernt, anschlieend entledigte sich Stalin Sinowjews undKamenews mit Hilfe Bucharins, spter beseitigte Stalin auchBucharin. Die Generation von Dserschinskis Tschekaleuten lieStalin durch die Hnde Genrich Jagodas entmachten, dannwurde Genrich Jagoda und seine Generation auf Stalins Geheidurch die Hnde Jeschows beseitigt, schlielich lie StalinJeschow und dessen Generation durch die Hnde Berijas besei-tigen usw. Stalin setzt sein Spiel in der internationalen Arenafort, und Trotzki verfolgt diese Vorgnge. Der deutsche Faschis-mus bedeutet fr Stalin ein Instrument. Der deutsche Faschis-mus ist ein Feind, aber gem Komintern-Definition ist er auchder Eisbrecher der Revolution. Der deutsche Faschismus kannden Krieg auslsen, und ein Krieg fhrt zur Revolution. Latden Eisbrecher Europa aufbrechen! Hitler ist fr Stalin ein reini-gendes Gewitter in Europa. Hitler kann das bewirken, wasStalin selbst nicht besorgen mag. 1927 hatte Stalin erklrt, daein zweiter imperialistischer Krieg vllig unvermeidbar sei, sowie auch der Eintritt der Sowjetunion in diesen Krieg. Aber der

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  • weise Stalin will diesen Krieg nicht beginnen und nicht vomersten Tage an beteiligt sein: Wir werden eingreifen, aber wirgreifen als letzte ein, wir greifen ein, um das entscheidende Ge-wicht in die Waagschale zu werfen, das Gewicht, das den Aus-schlag geben drfte. (Rede auf der Plenarsitzung des ZK am19. 1. 1925, Werke VII, S. 14)

    Stalin braucht in Europa Krisen, Kriege, Hunger, Destruk-tion. Das alles kann Hitler fr ihn erledigen. Je mehr Verbre-chen Hitler in Europa anhuft, um so besser fr Stalin, um soviel mehr Grnde fr Stalin, die Rote Armee eines Tages als Be-freierin nach Europa zu entsenden. Trotzki erfat das alles nochvor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, ja sogar noch ehe Hitleran die Macht gelangt ist. 1932 erlutert Trotzki Stalins Ver-halten gegenber den deutschen Faschisten: Lat sie ruhig andie Macht kommen, mgen sie sich kompromittieren, dannaber ...

    Seit 1927 untersttzt Stalin energisch (ohne dies indessenffentlich zu zeigen) die Faschisten, die zur Macht drngen.Sobald die Faschisten die Macht erlangt haben, wird Stalin siezielstrebig in den Krieg treiben. Haben sie erst den Krieg begon-nen, wird Stalin die Kommunisten in den demokratischen Ln-dern anweisen, vorbergehend Pazifisten zu werden, die Ar-meen der westlichen Lnder zu zersetzen, den Faschisten denWeg mit der Forderung nach Beendigung des imperialisti-schen Krieges zu ebnen, vor ihnen zu kapitulieren und diemilitrischen Anstrengungen ihrer Regierungen und Lnder zuuntergraben.

    Aber indem Stalin den Eisbrecher auf das demokratischeEuropa ansetzte, sprach er ihm zugleich das Todesurteil. FnfJahre vor der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land plant Stalin bereits ihre Vernichtung: Zerschlagung desFaschismus, Beseitigung des Kapitalismus, Errichtung derSowjetmacht, Befreiung der Kolonien aus der Sklaverei.

    Der Faschismus ist der Henker Europas. Stalin untersttztdiesen Henker, aber noch ehe der Henker seine blutige Arbeitbeginnt, hat Stalin fr den Henker das gleiche Schicksal wie frseine Opfer vorgesehen.

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    WOZU BRAUCHEN KOMMUNISTEN WAFFEN?

    Menschen sterben fr Metall.(aus dem russischen Libretto zu

    Ch. Gounods Faust)

    l.1933 besuchte der deutsche Generaloberst Heinz Guderian diesowjetische Lokomotivenfabrik in Charkow. Guderian berichtet,da das Werk auer Lokomotiven in einem Nebenproduktions-zweig Panzer herstelle. Der Aussto an Panzern betrug 22Stck pro Tag.

    Um die Neben-Produktion eines einzigen sowjetischen Un-ternehmens in Friedenszeiten richtig zu bewerten, mu mansich ins Gedchtnis rufen, da im Jahre 1933 Deutschland ber-haupt keine Panzer produzierte. Als Hitler 1939 den ZweitenWeltkrieg begann, besa er 3195 Stck, d. h. weniger, als dieCharkower Lokomotivenfabrik in einem halben Jahr unter Frie-densbedingungen produzieren konnte.

    Um diese 22 Panzer pro Tag richtig zu bewerten, mu mansich bewutmachen, da die Vereinigten Staaten immerhinschon nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahre1940 erst ber insgesamt etwa 400 Panzer verfgten.

    Und nun zur Qualitt der Panzer, die Guderian in der Char-kower Lokomotivenfabrik gesehen hat. Es waren Panzer, diedas amerikanische Panzergenie J.W. Christie entworfen hatte.Christies Errungenschaften wute niemand zu schtzen, mitAusnahme der sowjetischen Konstrukteure. Der amerikanischePanzer wurde gekauft und mit falschen Papieren, in denen erals Traktor fr landwirtschaftliche Zwecke deklariert war, in dieSowjetunion gebracht. Dort wurde der Traktor in riesigenMengen unter der Typenbezeichnung BT (Bystrochodny Tank -Schnellpanzer) produziert. Die ersten BTs besaen eineMarschgeschwindigkeit von 100km/h. Sechzig Jahre spterblickt jeder Panzersoldat neidvoll auf diese Geschwindigkeitzurck.

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  • Die Form der Panzerwanne des BT war einfach und rationellkonstruiert. Kein einziger Panzer der Welt zu jener Zeit ein-schlielich der fr die US-Army produzierten besa eine gleich-wertige Panzerung. Der beste Panzer des Zweiten Weltkrieges,der russische T-34, ist ein unmittelbarer Abkmmling des BT.Die Form seiner Panzerwanne ist eine Weiterentwicklung derIdeen des genialen amerikanischen Panzerkonstrukteurs. DasPrinzip der schrgen Anordnung der Frontpanzerplatten istspter bei dem deutschen Panther angewendet worden undanschlieend bei allen brigen Panzern auf der ganzen Welt.

    In den dreiiger Jahren wurden praktisch alle Panzer welt-weit nach dem Schema Antriebsaggregat im Heck, Kraftber-tragung im Bugteil hergestellt. Der BT bildet die Ausnahme vondieser Regel: Motor und Getriebe waren im Heck unterge-bracht. Fnfundzwanzig Jahre spter begreift die ganze Weltdie Vorzge dieser Anordnung im BT. Der BT-Panzer wurdestndig verbessert, sein Aktionsradius bis auf 700 km ausge-dehnt. Auch fnfzig Jahre spter bleibt das noch immer einTraum fr die Mehrzahl der Panzerfahrer. 1936 waren dieserienmig produzierten BT-Panzer in der Lage, tiefe Flulufequer durch das Flubett unter Wasser zu berwinden. Ende derachtziger Jahre verfgen nicht alle Panzer der prsumtivenGegner der Sowjetunion ber diese Mglichkeit. 1938 begannman, die BT-Panzer mit Dieselmotoren auszursten. Die brigeWelt geht erst zehn bis zwanzig Jahre spter dazu ber. Schlie-lich besa der BT eine fr die damalige Zeit eindrucksvolleBewaffnung.

    Nach so vielen positiven Worten ber Quantitt und Qualittder sowjetischen Panzer sei, um der Gerechtigkeit Genge zutun, auch ein ganz geringfgiger Mangel erwhnt: Diese BT-Panzer waren auf sowjetischem Territorium nicht einsetzbar.

    2.Der entscheidende Vorzug des BT-Panzers ist seine Schnellig-keit. Diese Qualitt war so dominierend, da sie sogar in derBezeichnung des Panzers zum Ausdruck kam: Schnellpanzer.

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    Der BT ist ein Angriffspanzer. In allen Einzelheiten seinerCharakteristik lt er sich voll und ganz mit einem der kleinen,aber ausnehmend mobilen berittenen Krieger aus den zahl-losen Horden Dschingis-Khans vergleichen. Dieser groe Welt-eroberer besiegte alle Feinde durch berraschende Vorsteder gewaltigen Massen seiner ungemein wendigen Krieger.Dschingis-Khan vernichtete seine Gegner in der Hauptsachenicht durch die Strke seiner Waffen, sondern durch tief an-gelegte, ungestm vorangetragene Attacken. Dschingis-Khanbrauchte keine schwerflligen Ritter, sondern Horden leichter,flinker, beweglicher Krieger, die in der Lage waren, riesigeRume zu bewltigen, Flsse zu berwinden und tief in dasHinterland des Gegners einzudringen.

    Genauso war der BT-Panzer beschaffen. Davon hatte manmehr produziert als smtliche Panzer aller Typen in allenLndern der Welt am 1. September 1939 zusammengenommen.Wendigkeit, Geschwindigkeit und Aktionsradius des BT warenauf Kosten einer rationellen, aber sehr leichten und dnnenPanzerung erreicht worden. Der BT konnte nur in einem An-griffskrieg eingesetzt werden, nur im Hinterland des Gegners,nur in einer zgig vorangetragenen Angriffsoperation, bei derdie Panzerhorden berraschend in das Territorium des Gegnerseindringen, die Sttzpunkte des Widerstandes umgehen, ineinem in die Tiefe gerichteten Vorsto, dorthin, wo die Truppendes Gegners nicht stehen, wo jedoch seine Stdte liegen, dieBrcken, Produktionssttten, Flugpltze, Hfen, Vorratslager,Kommandostellen und Verkehrsknotenpunkte.

    Der verblffend offensive Charakter des BT war allerdingsauch durch Verwendung eines einzigartigen Fahrgestells er-reicht worden. Der BT bewegte sich auf Feldwegen mit Hilfe vonKetten voran, sobald er jedoch auf gute Straen stie, warf erdie schweren Ketten ab und drang weiter wie ein schnellesKraftfahrzeug auf Rdern vor. Indessen ist wohlbekannt, daGeschwindigkeit und Gelndegngigkeit einander ausschlie-en: Man mu sich demnach entweder fr ein schnelles Autoentscheiden, das nur auf guten Straen fhrt, oder fr einenlangsamen Traktor, der sich berall einen Weg bahnt. Dieses

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  • Dilemma lsten die sowjetischen Marschlle zugunsten desschnellen Autos: Die Panzer vom Typ BT waren auf sowjeti-schem Boden vllig hilflos. Als Hitler das Unternehmen Bar-barossa begann, muten praktisch alle BT-Panzer aufgegebenwerden. Selbst mit Panzerketten war ihre Benutzung abseitsder Straen so gut wie unmglich. Auf Rdern aber wurden sieniemals benutzt. Das Potential an diesen groartigen BT-Pan-zern wurde nicht realisiert, aber es konnte auch auf sowjeti-schem Territorium nicht realisiert werden. Der BT war aus-schlielich fr Aktionen auf fremden Territorien konzipiertworden, und zwar nur auf solchen, die gute Straen besaen.Werfen wir einen Blick auf die sowjetischen Nachbarn: Die Tr-kei, Iran, Afghanistan, China, die Mongolei, die Mandschureiund Nordkorea verfgten damals so wenig wie heute ber guteStraen. Schukow hat BT-Panzer in der Mongolei eingesetzt, wodas Gelnde eben wie ein Tisch ist, aber er verwendete sie nurmit Panzerketten und war mit ihnen uerst unzufrieden: Ab-seits der Straen lsten sich oft genug die Ketten, und wegendes relativ starken Druckes der Rder auf nicht befestigtem Un-tergrund und selbst auf Feldwegen brachen die Panzer ein, unddie Rder drehten durch.

    Auf die Frage nach einer erfolgversprechenden Einsatzmg-lichkeit des gewaltigen Potentials an BT-Panzern bleibt eineeinzige Antwort: Mittel- und Sdeuropa. Sobald der BT seineKetten abgeworfen hatte, war er mit Erfolg nur noch auf demTerritorium Deutschlands, Frankreichs und Belgiens zu ver-wenden.

    Auf die Frage, was das Wesentliche fr die Fortbewegungdes BT war, Rder oder Ketten, geben die Lehrbcher jenerJahre eine przise Antwort: die Rder. Die entscheidende Qua-litt des BT war seine Marschgeschwindigkeit, und diese wirdnur mit Hilfe der Rder realisiert. Die Ketten waren lediglich alsMittel zur Erreichung des fremden Territoriums gedacht - umbeispielsweise auf Ketten Polen zu durchqueren; hatte man je-doch erst die deutschen Autobahnen erreicht, sollten die Kettenabgeworfen und weiterhin auf Rdern vorgerckt werden. DieKetten waren als Hilfsmittel vorgesehen, das im Krieg ein einzi-

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    ges Mal Verwendung fand, anschlieend konnte man sich ihrerentledigen und sie vergessen, so wie der Fallschirmspringer sei-nen Fallschirm nur benutzt, um auf das Territorium des Geg-ners zu gelangen: Dort lt er seinen Fallschirm zurck undoperiert im Hinterland, ohne sich weiter mit der schweren undknftig nicht mehr bentigten Brde zu belasten. Die gleicheFinstellung galt auch hinsichtlich der Panzerketten. Die mitBT-Panzern ausgersteten sowjetischen Divisionen und Korpsverfgten nicht einmal ber Lkws, die zum Aufsammeln undTransport der abgeworfenen Panzerketten bestimmt gewesenwren: Die BT-Panzer sollten nach dem Abwerfen der Kettenden Krieg auf Rdern beenden, indem sie auf den hervorragen-den Straen tief in das Hinterland des Gegners vorstieen.

    3.Finige sowjetische Panzertypen haben ihre Bezeichnung zuEhren kommunistischer Fhrer erhalten: KW - Klim Woroschi-low, IS - Iossif Stalin, doch die Mehrzahl der sowjetischenPanzertypen fhrte Bezeichnungen, die den Index T enthalten.Bisweilen trat zu diesem T ein weiterer Buchstabe hinzu, wie0 (von ognemjotny = Flammenwerfer-), B (von bystro-chodny = Schnell-), P (von plawajuschtschi = Schwimm-).brigens war die Sowjetunion das einzige Land der Welt, dasSchwimmpanzer in Massen produzierte. In einem Verteidi-gungskrieg braucht ein Panzer nirgendwohin zu schwimmen,weshalb die sowjetischen Schwimmpanzer, als Hitler das Un-ternehmen Barbarossa begann, mangels Verwendungsfhig-keit in einem Verteidigungskrieg aufgegeben werden muten;ihre Produktion wurde ebenso unverzglich gestoppt wie diedes BT.

    Doch ich schweife ab. Die Hauptsache besteht in etwasanderem. 1938 wurden in der Sowjetunion intensive Anstren-gungen zur Schaffung eines Panzer-Typs mit der ganz unge-whnlichen Bezeichnung A-20 unternommen. Was bedeutetdieses A? Kein einziges sowjetisches Handbuch gibt eine Ant-wort auf diese Frage. Vielleicht werden die Kommunisten nach

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  • dem Erscheinen meines Buches im nachhinein eine Erklrungdieser Bezeichnung erfinden, aber vorerst gilt fr viele Exper-ten in der Welt dieser Index als nicht entziffert. Ich habe langenach einer Antwort auf diese Frage gesucht und fand sie in demBetrieb Nr. 183. Es ist dieselbe bereits erwhnte Lokomotiven-fabrik, die, wie auch frher schon, eine Nebenproduktion be-treibt. Ich wei nicht, ob die Erklrung stimmt, aber Veteranenbehaupten, der ursprngliche Sinn des A sei Awtostradny(Autobahn-). Mir persnlich scheint diese Erklrung berzeu-gend. Der Panzer A-20 ist eine Weiterentwicklung aus der BT-Familie. Wenn beim BT die entscheidende Charakteristik in derBezeichnung zum Ausdruck kommt, warum sollte dann beimA-20 dessen Hauptcharakteristik nicht in die Bezeichnung ein-gehen? Die Aufgabe des A-20 bestand darin, auf Panzerkettenbis zu den Autobahnen vorzudringen, dort aber unter Zurck-lassung der Ketten sich in einen Geschwindigkeits-Champion zuverwandeln.

    Rufen wir uns jetzt ins Gedchtnis, da selbst Ende der acht-ziger Jahre die Sowjetunion nur ganz wenige Straenkilometer(auf ehemaligem ostpreuischem Territorium) besitzt, die dieBezeichnung Autobahn verdienen. Natrlich gab es erst rechtfnfzig Jahre zuvor auf sowjetischem Boden keine Autobahnen.Und kein einziges angrenzendes Land hatte 1938 Autobahnenaufzuweisen. Aber im darauffolgenden Jahr 1939 teilte Stalindurch den Molotow-Ribbentrop-Pakt Polen auf und schuf damiteine gemeinsame Grenze mit jenem Staat, der ber Autobahnenverfgte, und dieser Staat hie Deutschland.

    Man sagt, Stalins Panzer seien auf den Krieg nicht vorberei-tet gewesen. Das trifft nicht zu. Sie waren nicht fr einen Vertei-digungskrieg auf eigenem Territorium vorbereitet. Man hattesie einfach fr einen Krieg auf fremden Territorien prpariert.

    4.Der Quantitt und Qualitt der sowjetischen Panzer entsprachenQuantitt und Qualitt der sowjetischen Flugzeuge. Kommuni-stische Geschichtsflscher sagen heute: Gewi, es gab viele

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    Flugzeuge, doch das sind schlechte Flugzeuge gewesen. Eswaren veraltete Maschinen, die man nicht zu bercksichtigenbraucht. Wir sollten uns lieber auf die neuesten sowjetischenFlugzeuge beschrnken: die Mig-3, Jak-1, Pe-2, I1-2 und an-dere, aber die in den Vorkriegsjahren produzierten knnen wirvernachlssigen - das war veralteter Schrott.

    Doch was hlt der Offizier der Royal Airforce Alfred Pricevon diesem veralteten Schrott, ein Mann, der in seinemLeben vierzig verschiedene Flugzeugtypen geflogen und ber4000 Stunden in der Luft zugebracht hat? Hier seine Meinungzu dem veralteten sowjetischen Jagdflugzeug: Die strksteBewaffnung unter allen einsatzbereiten Jagdflugzeugen derWelt besa im September 1939 die russische PolikarpowI-16 ... An Feuerkraft war die I-16 der Messerschmitt 109 E-1mehr als zweifach berlegen und fast um das Dreifache derSpitfire 1. Unter allen Vorkriegsjagdflugzeugen war die I-16 in-sofern einzigartig, als sie allein einen Panzerschutz fr den Pilo-ten besa. Wer da glaubt, die Russen seien vor dem ZweitenWeltkrieg rckstndige Bauern gewesen, die erst spter unterdem Einflu der Nutzung deutscher Erfahrungen vorankamen,sollte sich die Tatsachen ins Gedchtnis rufen. (A. Price, WorldWar II. Fighter Conflict. London 1975, S. 18, 21)

    Hier wre noch zu ergnzen, da im August 1939 die sowje-tischen Jagdflugzeuge als erste in der Welt Raketengeschosseunter Gefechtsbedingungen einsetzten. Zu ergnzen ist ferner,da die sowjetischen Konstrukteure bereits das einzige Flug-zeug in der Welt mit einem gepanzerten Rumpf entwarfen - ei-nen echten fliegenden Panzer, die I1-2, die in jeder Hinsicht bereine optimale Bewaffnung verfgte, einschlielich ihrer achtRaketen.

    Was liegt also vor? Weshalb hat die sowjetische Luftwaffevom ersten Kriegstag an die Luftherrschaft abgetreten? DieAntwort ist einfach: Der Groteil der sowjetischen Flieger - dieJagdflieger eingeschlossen - war nicht in der Fhrung von Luft-kmpfen ausgebildet. Was hatte man sie gelehrt? Sie hatten dieDurchfhrung von Angriffen auf Bodenziele gelernt. Die Dienst-vorschriften fr die sowjetischen Jagd- und Bomberflieger

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  • orientierten die sowjetischen Flieger auf die Durchfhrungeiner grandiosen berraschenden Angriffsoperation, in der diesowjetischen Luftstreitkrfte mit einem Schlag die gesamteLuftwaffe des Gegners ausschalten und die Luftherrschaft ansich reien sollten. Bereits 1929 zog die sowjetische ZeitschriftKrieg und Revolution in einem Grundsatzartikel ber DieAnfangsphase des Krieges einen Schlu, der spter von denFliegervorschriften, einschlielich der Dienstvorschriften ausden Jahren 1940 und 1941, wiederholt wird: Es ist von extre-mem Vorteil, die Initiative zu ergreifen und als erster den Geg-ner zu attackieren. Derjenige, der durch einen Angriff seinerLuftflotte auf die Flugpltze und Hangare des Feindes die Initia-tive ergriffen hat, kann anschlieend mit der Luftherrschaftrechnen. (Nr. 9, S. 7) Die Theoretiker der sowjetischen Luft-streitkrfte hatten nicht irgendeinen Feind allgemein vor Augen,sondern einen ganz bestimmten. Laptschinski, der fhrendeTheoretiker der sowjetischen Luftkriegsstrategie, versah seineBcher mit sehr detaillierten Karten der Standardobjekte frBombardierungen, darunter waren der EisenbahnknotenpunktLeipzig, der Bahnhof Friedrichstrae in Berlin. (A. N. Lap-tschinski, Das Luftheer. Moskau 1939, Abb. 24, 34) Laptschinskierluterte, wie das sowjetische Territorium zu verteidigen sei:Ein zielstrebiger Angriff auf dem Boden zieht wie ein Magnetdie feindlichen Luftstreitkrfte auf sich und ist das beste Mittelzur Verteidigung des Landes gegen den Gegner aus der Luft...Die Luftverteidigung des Landes erfolgt nicht durch ein Man-ver aus der Tiefe, sondern durch ein in die Tiefe gerichtetesManver. (Ebenda, S. 176, 177) Aus eben diesem Grundewaren die gesamten sowjetischen Luftstreitkrfte 1941 unmit-telbar an der Grenze zusammengezogen. Der Feldflugplatz desJagdgeschwaders 123 lag beispielsweise zwei Kilometer vonder deutschen Grenze entfernt. Unter Gefechtsbedingungenwrden die Flugzeuge, um Treibstoff zu sparen, in Richtung desGegners aufsteigen. Das Jagdgeschwader 123 sollte ebenso wieviele andere Geschwader seine Flughhe erreichen, wenn essich bereits ber deutschem Territorium befand.

    Die Sowjetunion hat vor dem Krieg und im Krieg selbst nicht

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    wenig ausgezeichnete und gleichzeitig erstaunlich einfacheFlugzeuge entwickelt. Aber die grten Errungenschaften dersowjetischen Luftstreitkrfte liegen nicht im Bereich der Kon-struktion von Flugzeugen, die die Maschinen des Gegners in derLuft vernichten, sondern in der Konstruktion von Flugzeugen,die die Flugzeuge und andere gegnerische Ziele am Boden zer-stren. Der grte sowjetische Erfolg auf dem Gebiet der Luft-waffentechnik jener Zeit ist die I1-2, und eben sie war dazu be-stimmt, den Gegner am Boden zu treffen. Die Flugpltze warenihr wichtigstes Ziel. Als ihr Konstrukteur Iljuschin dieses frden Angriff konzipierte Flugzeug entwarf, hatte er auch einkleines zur Verteidigung bestimmtes Detail vorgesehen. In derursprnglichen Version war die I1-2 als Zweisitzer konstruiert:Der Pilot fhrt das Flugzeug und vernichtet das Angriffsziel, inseinem Rcken aber deckt ein Schtze die hintere Halbsphregegen Attacken feindlicher Jagdflieger. Iljuschin wurde von Sta-lin persnlich angerufen, der ihm befahl, den Schtzen mit demMaschinengewehr wegzulassen und die I1-2 als Einsitzer her-zustellen. Stalin brauchte die I1-2 fr eine Situation, in derberhaupt kein einziges gegnerisches Flugzeug aufsteigenkonnte...

    Nach dem Beginn des Unternehmens Barbarossa tele-fonierte Stalin wieder mit Iljuschin und befahl, die I1-2 als Zwei-sitzer zu produzieren: In einem Verteidigungskrieg brauchtselbst ein fr den Angriff konzipiertes Flugzeug eine Verteidi-gungswaffe.

    5.1927 ist das Jahr, in dem Stalin endgltig die Machtspitze er-klommen und sich dort fest eingerichtet hat. Von diesem Augen-blick an richtet sich seine Aufmerksamkeit nicht nur auf dieFestigung seiner Diktatur, sie gilt vielmehr auch den Problemender ganzen kommunistischen Bewegung und der Weltrevolu-tion.

    1927 ist das Jahr, in dem Stalin endgltig feststellt, da einzweiter Weltkrieg unvermeidlich ist, in dem er den entschie-denen Kampf gegen den sozialdemokratischen Pazifismus be-

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  • schliet - der den Ausbruch eines Krieges hemmt -, aber auchdie Untersttzung der an die Macht drngenden Faschisten, dieman anschlieend vernichten wird.

    1927 ist das Jahr der beginnenden Industrialisierung derUdSSR. Einer extremen Industrialisierung. Einer Superindu-strialisierung. Diese Industrialisierung war in Fnfjahresab-schnitten geplant, und der erste Fnfjahrplan setzte in demnmlichen Jahr 1927 ein. Wozu diese Fnfjahrplne ntig wa-ren, kann man an der folgenden Tatsache ablesen: Zu Beginndes ersten Fnfjahrplanes besa die Rote Armee 92 Panzer, anseinem Ende ber 4000 Stck. Dennoch ist die militrische Aus-richtung im ersten Fnfjahrplan nicht so augenfllig. DasHauptinteresse gilt nicht der Rstungsproduktion, sondernzunchst der Schaffung einer industriellen Basis, die anschlie-end Waffen produzieren wird.

    Der zweite Fnfjahrplan dient dem weiteren Ausbau dieserindustriellen Basis. Das bedeutet die Errichtung von Kokereien,Martinfen, riesigen Elektrizittswerken und Sauerstoffabri-ken, Walzstraen und Blockwalzwerken sowie den Ausbau vonBergwerken und Erzgruben. Die Rstungsproduktion ist vor-erst nicht das Hauptanliegen, auch wenn sie von Stalin nichtvergessen wird: In den ersten beiden Fnfjahrplnen wurden24708 Kampfflugzeuge produziert.

    Doch nun kommt der dritte Fnfjahrplan, der 1942 auslau-fen sollte - und er bringt die Produktion. Kriegsproduktion. Ingigantischen Mengen von hoher Qualitt.

    Die Industrialisierung war um einen teuren Preis erkauftworden. Fr diese Industrialisierung zahlte Stalin mit dem Le-bensstandard der Bevlkerung, den er auf ein extrem niedrigesNiveau absinken lie. Stalin veruerte auf den Auenmrktenungeheure Vorrte an Gold, Platin, Diamanten. Stalin verkauftein wenigen Jahren, was die Nation in Jahrhunderten angesam-melt hatte. Stalin plnderte die Kirchen und Klster, die kai-serlichen Magazine und Schatzkammern. Ikonen und kostbareBcher verlieen das Land. Gemlde der groen Renaissance-meister gelangten in den Export, Brillantenkollektionen,Schtze aus Museen und Bibliotheken. Stalin forcierte den Ex- ]

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    port von Holz und Kohle, Nickel und Mangan, Erdl und Baum-wolle, Kaviar, Pelzwerk, Getreide und vielem, vielem anderen.Aber auch das reichte noch nicht aus. Und deshalb begann Sta-lin 1930 mit der blutigen Kollektivierung. Die Bauern wurdengewaltsam in die Kolchosen gezwungen, damit man hernachdas Getreide bei ihnen umsonst abholen konnte. Das gesamteGetreide. Im Jargon der Kommunisten hie das die Mittel ausder Landwirtschaft in die Schwerindustrie pumpen.

    Das Ergebnis der Kollektivierung und des darauffolgendenHungers waren 10 bis 16 Millionen Ermordeter, in den LagernUmgekommener, Verhungerter. Angaben ber eine noch hhereZahl von Opfern haben in jngster Zeit die sowjetische Zensurpassiert. (Fragen der Geschichte 1988, Nr. 6, S. 32)

    ber dem Land richtete sich das Gespenst des Kannibalis-mus in seiner ganzen riesigen Gre auf. Stalin aber verkauftein jenen furchtbaren Jahren jhrlich fnf Millionen TonnenGetreide ins Ausland.

    Wozu war die Kollektivierung ntig? Fr die Industrialisie-rung. Und wozu wurde die Industrialisierung gebraucht? Umden Lebensstandard der Bevlkerung anzuheben? Keineswegs.Bis zur Industrialisierung und Kollektivierung war das Lebenwhrend der NP durchaus ertrglich gewesen. Wenn dem Ge-nossen Stalin am Lebensstandard des Volkes gelegen war, dannbedurfte es weder der Industrialisierung noch der Kollektivie-rung - dann mute die NP beibehalten werden.

    Nun aber sank trotz Industrialisierung und Kollektivierungder Lebensstandard des Volkes auf einen bengstigenden Tief-stand ab. Vor kurzem hat Robert Conquest ein grauenhaftesBuch ber die damaligen Fnfjahrplne herausgebracht mitden schrecklichen Photographien der zu Skeletten abgemager-ten Kinder. (R. Conquest, The Harvest of Sorrow. Soviet Collecti-vization and the Terror-famine. London 1987)

    Industrialisierung und Kollektivierung wurden also nichtwegen der Hebung des Lebensstandards durchgefhrt, sondernum Waffen in gigantischen Mengen produzieren zu knnen.Wozu aber brauchen Kommunisten Waffen? Um die Menschenzu verteidigen? Auch dies kann der Grund nicht sein. Htte Stalin

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  • fr die Autobahn-Panzer, fr die Fallschirmseide, fr die west-liche Rstungstechnologie jhrlich nicht fnf, sondern nur vierMillionen Tonnen Getreide verkauft, dann wren Millionen Kin-der am Leben geblieben. In allen Lndern dienen Waffen dazu,die Bevlkerung zu verteidigen und vor allem die Kinder - dieZukunft der Nation - gegen schreckliche Leiden zu schtzen. Inder Sowjetunion verhielt es sich genau umgekehrt: Die Bevlke-rung, und damit auch ihre Kinder, wurde schrecklichen Leidenunterworfen, um Waffen zu schaffen.

    Der ganze Erste Weltkrieg war ein Spaziergang im Vergleichzu der Stalinschen Industrialisierung. In den vier Kriegsjahrenverloren auf den ersten Blick viele Menschen ihr Leben - zehnMillionen. Verteilt man jedoch diese zehn Millionen auf alle be-teiligten Lnder, dann erweisen sich diese Opfer als sehr gering.Ruland zum Beispiel hat whrend des Ersten Weltkriegesinsgesamt nur 2,3 Millionen Menschen verloren. Aber in Frie-denszeiten hat Stalin um seiner Autobahnpanzer und Angriffs-flugzeuge willen sehr viel mehr Menschen umgebracht. Derkommunistische Frieden war weitaus schrecklicher als derimperialistische Krieg.

    Die Steigerung des sowjetischen militrischen Potentials warkeineswegs durch uere Bedrohung diktiert, denn sie setzte be-reits ein, noch ehe Hitler an die Macht gelangte. Die Vernichtungvon Millionen Kindern um der Waffen willen war zugleich von in-tensiven Anstrengungen Stalins zur Bekmpfung der westlichenPazifisten und zur Frderung der Faschisten begleitet. Manknnte mir erwidern, Stalin habe Millionen Menschen geopfert,aber dafr Waffen geschaffen, um die brigen Menschen zuschtzen. Nein. Wir sahen bereits und werden im weiteren nochwiederholt sehen, da die produzierten Waffen zur Verteidigungdes eigenen Territoriums und zum Schtze der eigenen Men-schen vllig ungeeignet waren und da man sie hernach entwe-der nicht ihrer Bestimmung entsprechend einsetzen konnte oderberhaupt gnzlich auf ihre Anwendung verzichten mute.

    Wenn die Kommunisten die riesigen Waffenarsenale nichtzur Verteidigung ihres Territoriums und seiner Bevlkerunganlegten, wofr waren sie dann gedacht?

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    WESHALB HAT STALIN POLEN GETEILT?

    Wir haben eine Aufgabe bernom-men, die im Falle des Erfolges dieganze Welt aus den Angeln hebenwird und die gesamte Arbeiter-

    klasse befreit.Stalin am 4. 2. 1931 (Werke XIII, S. 40)

    l.Am 22. Juni 1941 hat das faschistische Deutschland berra-schend und in Vertragsbrchiger Weise die Sowjetunion berfal-len. Das ist eine historische Tatsache. Es ist indessen eine sehreigenartige Tatsache. Bis zum Zweiten Weltkrieg besaenDeutschland und die Sowjetunion keine gemeinsamen Grenzen,folglich konnte Deutschland die Sowjetunion nicht berfallen,geschweige denn berraschenderweise.

    Deutschland und die Sowjetunion waren durch eine ge-schlossene Barriere neutraler Staaten voneinander getrennt.Damit ein sowjetisch-deutscher Krieg stattfinden konnte, mu-ten vor allem die Voraussetzungen dafr geschaffen werden:Beseitigung der Barriere aus neutralen Staaten und Herstel-lung gemeinsamer sowjetisch-deutscher Grenzen. Ein jeder,der sich fr dieses Datum, den 22. Juni 1941, interessiert, mu,ehe er Hitler verdammt und ihn des Vertragsbruches bezichtigt,zumindest fr sich selbst die beiden folgenden Fragen klar be-antworten:1. Wer hat die trennende Barriere aus neutralen Staaten

    zwischen Deutschland und der Sowjetunion beseitigt?2. Warum?

    2.Die Barriere zwischen Deutschland und der UdSSR war mitAusnahme einer einzigen Stelle eine doppelte. Polen war daseinzige Land, das sowohl an die Sowjetunion wie auch an

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  • Deutschland grenzte. Polen ist die krzeste, direkteste, glat-teste, bequemste Verbindung zwischen der UdSSR und Deutsch-land. Polen bildet den schmlsten Teil dieser Trennmauer. Es istbegreiflich, da ein potentieller Angreifer, der am Ausbrucheines sowjetisch-deutschen Krieges interessiert war, versuchenmute, eben hier einen Korridor herzustellen. Dagegen mutediejenige Seite, die diesen sowjetisch-deutschen Krieg nichtwollte, mit ihrer geballten militrischen Macht, mit ihrer gan-zen Staatsklugheit, mit aller Kraft ihrer internationalen Auto-ritt den Gegner daran hindern, auf polnisches Territorium zugelangen, und im uersten Fall den Krieg gegen ihn bereits inPolen beginnen, um ihn von den eigenen Grenzen fernzuhalten.

    Hitler hatte seine Absichten vllig offen erklrt. Stalinnannte ihn in aller ffentlichkeit einen Kannibalen. Aber Hitlerkonnte Stalin nicht berfallen, weil es keine gemeinsameGrenze gab. Hitler wandte sich an Stalin mit dem Vorschlag,durch vereinte Anstrengungen einen Durchbruch in der Trenn-wand zu erreichen. Stalin griff diesen Vorschlag begeistert auf,ri mit gewaltigem Enthusiasmus die polnische Mauer niederund schlug einen Korridor zu Hitler hin. Hitlers Motive sindverstndlich. Wie aber ist Stalins Verhalten zu erklren?

    Die kommunistischen Geschichtsschreiber haben sich ver-schiedene Deutungen fr das Verhalten der Sowjetunion aus-gedacht.

    Erste Erklrung: Nachdem Polen zerfetzt und in Blut er-trnkt war, schoben wir unsere Grenzen nach Westen vor, d. h.wir strkten unsere eigene Sicherheit. Eine seltsame Erkl-rung. Die sowjetischen Grenzen wurden in der Tat um zweihun-dert bis dreihundert Kilometer weitergerckt, aber dabei schobauch Deutschland seine Grenzen um dreihundert bis vierhun-dert Kilometer nach Osten vor. Das bedeutete keine Erhhungder Sicherheit der Sowjetunion, sondern im Gegenteil ihre Re-duzierung. Obendrein entstand ein vollkommen neuer Faktor:eine gemeinsame sowjetisch-deutsche Grenze und als derenFolge die Mglichkeit eines Krieges, auch eines berraschungs-krieges.

    Zweite Erklrung: Als wir Polen whrend seines verzweifel-

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    ten Kampfes gegen die Faschisten in den Rcken fielen, warenwir bemht, den Augenblick des Ausbruches eines sowjetisch-deutschen Krieges hinauszuzgern. . . Das ist eine Erklrungnach dem Motto: Wir haben das Feuer im Hause des Nachbarngelegt, weil dann das Feuer unser Haus erst nach den anderenerreicht.

    Dritte Erklrung: Frankreich und Grobritannien wolltenmit uns keinen Vertrag abschlieen, folglich ... Was fr ein Un-sinn! Wieso sollten Frankreich und Grobritannien die Sowjet-union verteidigen, wenn doch die Sowjetunion den Sturz derDemokratien der ganzen Welt und damit auch in Frankreichund Grobritannien als ihr Hauptziel proklamiert hatte? DemWesten konnte es zumindest gleichgltig sein, ob Hitler genOsten zog oder nicht, den Lndern Osteuropas hingegen keines-wegs. Wenn Hitler sich nach Osten wendete, wrden sie dieersten Opfer sein. Insofern waren die Lnder Osteuropas dienatrlichen Bndnispartner der Sowjetunion. Bei ihnen htteman sich um ein Bndnis gegen Hitler bemhen mssen. AberStalin suchte ein solches Bndnis nicht, und da, wo entspre-chende Vertrge bestanden, ist die Sowjetunion der Erfllungihrer Pflichten aus dem Bndnis nicht nachgekommen. Stalinhtte seine Neutralitt wahren knnen, aber statt dessen fiel erdenjenigen in den Rcken, die gegen den Faschismus kmpften.

    Erklrungen fr Stalins Handlungsweisen haben sich diekommunistischen Historiker reichlich ausgedacht. Aber jededieser Erklrungen enthlt zwei Mngel:a) sie wurden nachtrglich ersonnen;b) sie ignorieren vllig die Position der sowjetischen Fhrer,

    obwohl diese Position klarer und verstndlicher dargelegtworden war als die Position Hitlers in seinen Werken undReden.

    3.Als die Bresche durch die trennende Mauer gebrochen war,begngte sich Hitler mit dem Erreichten und widmete sich zu-nchst seinen westeuropischen, afrikanischen, mediterranenund atlantischen Problemen. Was htte Stalin tun mssen, als

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  • vor ihm diese Bresche von 570 km Breite lag und ihm immerhineine gewisse Zeit zur Verfgung stand? Er htte umgehendseine Verteidigung gerade in diesem Abschnitt ausbauen ms-sen. Er htte sie zgig verstrken und vervollkommnen mssen.Auerdem mute eine zweite Verteidigungslinie angelegt wer-den, eine dritte,... eine fnfte. Er mute sofort die Straen,Brcken, das Gelnde verminen, Panzergrben ausheben las-sen, sie mit Pak-Artillerie decken .. Nur wenige Jahre spter,1943, bereitete sich die Rote Armee im Kursker Bogen daraufvor, die gegnerische Offensive aufzufangen. Binnen kurzer Fristlegten die sowjetischen Truppen an der riesigen Front sechskontinuierliche Verteidigungsstreifen in einer Gesamttiefe von250 bis 300 km an. Jeder Kilometer war gespickt mit Schtzen-grben, Schtzenlaufgrben, Verbindungswegen, Unterstn-den und Feuerstellungen. Die durchschnittliche Minendichtelag bei 7000 Panzer- und Infanterieminen pro Kilometer, unddie Panzerabwehrdichte war auf ein immenses Niveau angeho-ben - sie betrug 41 Geschtze pro Kilometer, Feldartillerie undFlak sowie die eingegrabenen Panzer nicht mitgerechnet. Aufdiese Weise war auf freiem Felde in krzester Zeit ein in der Tatundurchdringlicher Verteidigungsgrtel geschaffen worden.

    1939 wren die Voraussetzungen fr eine Verteidigung beiweitem besser gewesen: undurchdringliche Wlder, Flsse,Smpfe. Wenig Straen und viel Zeit. Die sowjetischen Truppenkonnten ein wirklich unpassierbares Gelnde an der neuensowjetisch-deutschen Grenze schaffen, und dies um so mehr,als der Durchbruch in der Mauer nicht sehr breit war.

    Aber in diesem Augenblick stellte die Sowjetunion die Pro-duktion von Panzer- und Fliegerabwehrgeschtzen ein. Stattdas Gelnde undurchdringlich zu machen, wurde es zielstrebigbesser passierbar gemacht. Da wurden Straen und Brckenangelegt, das Eisenbahnnetz erweitert, verstrkt und vervoll-kommnet. Die frheren Befestigungsanlagen wurden zerstrtund zugeschttet.

    Ein Teilnehmer jener Ereignisse, der Oberst in der militri-schen Aufklrung /. G. Starinow, beschreibt dies folgenderma-en: Es war eine dumme Situation. Als wir an relativ kleine

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    Staaten mit schwachen Armeen grenzten, hatten wir unsereGrenzen tatschlich dicht gemacht. Als jedoch das faschistischeDeutschland unser Nachbar wurde, stellte sich heraus, da dievon den Pionieren errichteten Verteidigungsanlagen entlangder frheren Grenze aufgegeben und teilweise sogar demon-tiert waren. (Die Minen warten auf ihre Stunde. Moskau 1964,S. 176) Die Fhrung der Pioniereinheiten der Roten Armee for-derte 120000 Eisenbahnminen mit Zeitznder an. Diese Mengehtte vollkommen ausgereicht, um im Falle eines Eindringensder deutschen Wehrmacht den gesamten Eisenbahnverkehr inihrem Rcken lahmzulegen, von dem sie vllig abhngig seinwrde. Aber anstelle der angeforderten Menge erhielt man ...ganze 120 Minen! (Die Minen warten auf ihre Stunde, S. 186)Dabei ist eine Mine die einfachste, billigste und dabei hchstwirkungsvolle Waffe. Die Minenproduktion in der Sowjetunionwar gewaltig, aber nachdem der Durchbruch in der Mauererfolgt war, wurde dieser Produktionszweig stillgelegt.

    Womit beschftigte sich Stalin, abgesehen von der Zerst-rung seiner eigenen Verteidigung? Er beschftigte sich mit derZerstrung der Barriere aus neutralen Staaten. Hitler begngtesich mit einer Bresche in der Mauer. Stalin reichte das nicht.Hitler hatte (mit Stalins Hilfe) die Souvernitt lediglich einesder Staaten, die diese trennende Barriere bildeten, beseitigt.Stalin besorgte dies (ohne fremde Hilfe) in drei Staaten (Est-land, Lettland, Litauen), er versuchte es in einem vierten Land(Finnland) und traf aktive Vorbereitungen dazu in einem fnftenLand (Rumnien), nachdem er sich vorsorglich bereits ein rie-siges Stck von dessen Territorium abgetrennt hatte. Hitler warnur bemht gewesen, einen Durchbruch in der Mauer zu erzie-len, Stalin wollte die ganze Mauer einreien. Und Stalin bekam,was er wollte. Nur zehn Monate nach der Unterzeichnung desNichtangriffs-Paktes war dank Stalins Bemhungen die tren-nende Barriere vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer restlosbeseitigt. Es gab keine neutralen Staaten mehr zwischen Stalinund Hitler, und genau dadurch waren die Voraussetzungen freinen Angriff geschaffen. Smtliche westlichen Nachbarn Sta-lins waren ihm in dieser kurzen Zeit zum Opfer gefallen. Auer

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  • den Lndern, die an die Sowjetunion grenzten, war auch Li-tauen in Stalins Sklaverei geraten, das zuvor berhaupt keinegemeinsame Grenze mit der Sowjetunion besa. Das Auftau-chen sowjetischer Truppen in Litauen bedeutete, da diese be-reits zu den echten deutschen Grenzen vorstieen. Frher wardie sowjetisch-deutsche Grenze durch erobertes polnisches Ter-ritorium verlaufen. Jetzt standen sowjetische Truppen an derGrenze von Ostpreuen. Hier kann nun wirklich nicht mehr dieRede davon sein, da Hitler gewaltsam einen Korridor nachOsten geschaffen habe und der dumme Stalin ihm dabei nochbehilflich gewesen sei. Nein, Stalin selbst hat den Korridor nachWesten, und zwar ohne fremde Hilfe, geffnet.

    Auf die Frage, weshalb Stalin bereit gewesen sei, Hitler beimDurchbruch und der Schaffung eines relativ schmalen Korri-dors durch Polen zu helfen, haben sich die kommunistischenHistoriker eine Antwort zu ersinnen bemht, wenn auch nichtrecht erfolgreich. Die Frage jedoch, weshalb Stalin die ganzeBarriere niedergerissen hat, wird von ihnen lieber erst garnicht gestellt. Auch wir wollen uns darber nicht den Kopf zer-brechen. Das Wort hat Stalin. Er selbst hat auf diese Frage eineprzise und klare Antwort gegeben: Die Geschichte sagt, wennein Staat gegen einen anderen Staat Krieg fhren will, dannwird er, selbst wenn dieser andere Staat nicht sein Nachbarwre, nach Grenzen suchen, ber die hinweg er an die Grenzenjenes Staates gelangen kann, den er angreifen will.(Prawda, 5. Mrz 1939)

    War die Rote Armee willens, an den erreichten Grenzenanzuhalten? Marschall der Sowjetunion S. K. Timoschenko: InLitauen, Lettland und Estland ist die den Werkttigen verhateMacht der Gutsbesitzer und Kapitalisten beseitigt. Die Sowjet-union hat sich beachtlich vergrert und ihre Grenzen nach We-sten vorgeschoben. Die kapitalistische Welt wurde gezwungen,zusammenzurcken und zurckzuweichen. Aber uns, denKmpfern der Roten Armee, kommt es nicht zu, berheblichzu werden und uns mit dem Erreichten zufrieden zu geben!(Befehl des Volkskommissars fr Verteidigung Nr. 400 vom7. November 1940)

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    Das ist weder ein Kommentar noch eine Meldung der sowje-tischen Nachrichtenagentur TASS. Es ist ein Befehl der RotenArmee. Aber westlich der sowjetischen Grenzen liegt nurDeutschland bzw. die mit ihm verbndeten Staaten. Sollen dieGrenzen weiter nach Westen verschoben werden? Auf KostenDeutschlands? Mit Deutschland wurde doch der Pakt unter-zeichnet!

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  • DER PAKT UND SEINE FOLGEN

    Stalin war gerissener als Hitler.Gerissener und hinterhltiger.

    A. Antonow-Owsejenko (Portrt einesTyrannen. New York 1980, S. 296)

    l.Rein uerlich scheint alles gut ausgewogen: ein Teil Polensfr Hitler, ein Teil Polens fr Stalin. Aber schon eine Woche nachder Unterzeichnung leistet sich Stalin seinen ersten blen Trick.Hitler begann den Polenkrieg, doch Stalin erklrte, seine Trup-pen seien noch nicht bereit. Er htte es Ribbentrop vor derUnterzeichnung des Vertrages sagen knnen, aber er tat esnicht. Hitler begann den Krieg und mute feststellen, da eralleingelassen war.

    Dies ist das erste Resultat fr Hitler: Er, und nur er allein,gilt als schuldig am Zweiten Weltkrieg.

    Kaum hatte Hitler den Krieg gegen Polen begonnen, bekamer auf der Stelle den Krieg gegen Frankreich hinzu, das heiteinen Krieg an zwei Fronten. Jeder deutsche Schuljunge wei,womit fr Deutschland Zweifrontenkriege letztlich enden.

    Umgehend erklrte auch Grobritannien Deutschland denKrieg. Mit Frankreich konnte man noch fertigwerden, aberGrobritannien ist ein Inselstaat. Um dahin zu gelangen, be-darf es langwieriger und ernsthafter Vorbereitungen, bedarfes einer Flotte, die annhernd der britischen Flotte ebenbrtigist, bedarf es der Luftherrschaft. Der Krieg versprach damitzu einem langwierigen Krieg zu werden. Jeder wei, womitlangwierige Kriege fr Lnder mit begrenzten Reservenenden.

    Hinter Grobritannien standen die Vereinigten Staaten, undsie konnten im dramatischsten Augenblick (wie schon im ErstenWeltkrieg) ihre tatschlich unerschpflichen Krfte in die Waag-schale werfen. Der ganze Westen war Hitlers Feind geworden.Auf Stalins Freundschaft aber konnte Hitler nur bauen, solange

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    er stark war. In einem langwierigen Krieg gegen den Westenmute er seine Krfte verausgaben, und dann . . .

    Hier dagegen Stalins Situation:Polen war nicht in der Reichskanzlei aufgeteilt worden, son-

    dern im Kreml. Hitler war nicht anwesend bei der Unterzeich-nung, wohl aber Stalin. Dennoch ist Hitler schuld am Ausbruchdes Krieges, nicht aber Stalin. Stalin ist das unschuldige Opfer.Stalin ist der Befreier Osteuropas.

    Stalins Truppen begingen auf dem Territorium Polens diegleichen, wenn nicht noch rgere Verbrechen, aber der Westenhat ihm aus diesem Anla nicht den Krieg erklrt.

    Stalin hatte den Krieg bekommen, den er wollte: Die Men-schen des Westens tteten einander und zerstrten gegenseitigihre Stdte und Fabriken; Stalin blieb dabei neutral und warteteauf einen gnstigen Augenblick.

    Als Stalin in eine schwierige Situation geriet, kam ihm derWesten umgehend zu Hilfe.

    Am Ende hat Polen, fr dessen Freiheit der Westen in denKrieg gezogen war, seine Freiheit nicht bekommen, sondernwurde der Sklaverei unter Stalin berlassen, zusammen mitganz Osteuropa und auch einem Teil von Deutschland. Dennochglauben einige Leute im Westen bis auf den heutigen Tag, ihreStaaten seien die Sieger im Zweiten Weltkrieg gewesen.

    Am Ende kam Hitler durch Selbstmord um, Stalin aberwurde zum uneingeschrnkten Herrscher in einem riesigenantiwestlichen Imperium, das mit Hilfe des Westens errichtetworden war. Bei alledem verstand es Stalin, die Reputation desnaiven, gutglubigen Einfaltspinsels zu wahren, whrend Hitlerin die Geschichte als blutrnstiger Verbrecher einging! Man hatim Westen eine Menge Bcher herausgebracht, die auf der Vor-stellung basieren, Stalin sei auf den Krieg nicht vorbereitet ge-wesen, whrend Hitler gerstet war. Meines Erachtens aber istnicht derjenige kriegsbereit, der dies laut proklamiert, sondernderjenige, der ihn gewinnt, nachdem er zuvor seine Feindegeteilt und mit den Kpfen zusammengestoen hat.

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  • 2.War Stalin gewillt, den Pakt einzuhalten?

    Das Wort hat Stalin: Die Frage des Kampfes ... darf mannicht aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit betrachten, son-dern man mu sie aus dem Blickwinkel der Forderungen despolitischen Augenblicks sehen, aus dem Blickwinkel der po-litischen Erfordernisse der Partei im jeweils gegebenen Au-genblick. (Rede auf der Sitzung des Exekutivkomitees derKomintern am 22. Januar 1926; Werke VIII, S. 1)

    Der Krieg kann alles und jegliche Vereinbarung auf denKopf stellen. (Stalin, Prawda, 15. September 1927)

    Die Partei hat auf den Kongressen, auf denen Stalin sprach,ihre Fhrer richtig verstanden und ihnen die entsprechendenVollmachten erteilt: Der Kongre betont insbesondere, dadas Zentralkomitee ermchtigt ist, zu jedem Zeitpunkt smt-liche Bndnisse und Friedensvertrge mit den imperialistischenund brgerlichen Staaten aufzukndigen, und ebenso, ihnenden Krieg zu erklren. (Resolution des 7. auerordentlichenParteikongresses im Mrz 1918) brigens wurde dieser Partei-beschlu bis heute nicht aufgehoben.

    Wann sollte dieser Zeitpunkt eintreten?Stalin (unter Zitierung von Lenin im Rechenschaftsbericht

    des ZK am 3.12. 1927): Sehr vieles hngt fr unseren Aufbaudavon ab, ob es uns gelingt, den Krieg mit der kapitalistischenWelt, der unvermeidlich ist..., bis zu dem Zeitpunkt hinauszu-zgern, in dem die Kapitalisten sich untereinander in die Haaregeraten... Werke X, S. 288) Man kann davon ausgehen, sagtLenin, da die entscheidende Schlacht voll herangereift ist,sobald sich die uns feindlichen Klassenkrfte hinreichend inVerwicklungen hineinmanvriert haben, sobald sie sich hinrei-chend untereinander in die Haare geraten sind, sobald sie sichhinreichend in einem Kampf, dem sie nicht gewachsen sind, ge-schwcht haben. (ber die Grundlagen des Leninismus. Vor-lesungen an der Swerdlow-Universitt. Anfang April 1924.Werke VI, S. 158)

    Stalin brauchte eine Situation, in der sich die Kapitalistenwie die Hunde beien. (Prawda, 14. Mai 1939) Gerade der

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    Molotow-Ribbentrop-Pakt schuf eine solche Situation. Und jetztbegannen auch in der Prawda die entsprechenden Zitateaufzutauchen: Karl Marx wird zitiert, der gefordert hatte, dieGegner nicht nur an der Kehle zu packen, sondern sie auch zutten. Die Prawda berschlgt sich vor Begeisterung: DieGrundpfeiler der Welt erbeben, der Boden entgleitet den Men-schen und Vlkern unter den Fen. Feuerschein lodert auf,und das Donnern der Geschtze erschttert Meere und Konti-nente. Wie ein Flaum zerstieben Mchte und Staaten ... Welchgroartiger Augenblick, wie erhebend, wenn die ganze Welt inihren Grundfesten erschttert wird, wenn die Mchtigen unter-gehen und die Erhabenen strzen. (Prawda, 4. August 1940)Jeder derartige Krieg bringt uns der glcklichen Periode n-her, in der es kein Tten mehr unter den Menschen gebenwird. (Prawda, 18. August 1940)

    Diese von der obersten Spitze ausgehende Stimmung wurdein der Roten Armee und in der Partei verbreitet. Generalleut-nant 5. Kriwoschejin schildert eine Unterhaltung mit seinemStellvertreter Latyschew. [Wegen der zum Teil differierendenEinordnung gleichlautender Dienstgrade in Bundeswehr undRoter Armee vgl. die bersicht der Offiziersdienstgrade, S. 446 f.- d. .] Zu der Zeit ist Kriwoschejin Kommandeur des 25. Me-chanisierten Korps. Erst kurz zuvor hatte er mit General H. Gu-derian die gemeinsame sowjetisch-faschistische Parade inBrest anllich der blutigen Teilung Polens kommandiert.

    >Mit den Deutschen haben wir einen Vertrag, aber das istohne Belang.Jetzt ist die beste Zeit fr eine endgltige und konstruktiveLsung aller Weltprobleme angebrochen... .

  • Leonid Breschnew selbst geuert. Er beschreibt eine Ver-sammlung von Parteiagitatoren in Dnjepropetrowsk im Jahr1940:

    >Genosse Breschnew, wir sollen den Leuten die Sache mitdem Nichtangriffspakt klarmachen, das heit, da alles ernstgemeint ist, und wer nicht daran glaubt, der fhrt provokato-rische Reden. Aber das Volk glaubt kaum daran. Wie sollen wiruns verhalten? Sollen wir es ihnen nun klarmachen odernicht? Unbedingt klarmachenWir werden es so langeklarmachen, bis im faschistischen Deutschland kein Stein mehrauf dem anderen steht.

  • WANN IST DIE SOWJETUNIONIN DEN ZWEITEN WELTKRIEG EINGETRETEN?

    Nur ein einziges Land - Sowjetru-land - kann im Falle eines

    allgemeinen Konfliktes gewinnen.Adolf Hitler in einem Gesprch mit Lord

    Halifax auf dem Obersalzberg am19. 11. 1937 (Dokumente und

    Materialien zum Vorabend des ZweitenWeltkriegs. Bd. 1. Moskau 1948, S. 48)

    l.Alles, was mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zusammen-hngt, ist in der Sowjetunion in das undurchdringliche Dunkeleines Staatsgeheimnisses gehllt. Unter den vielen schreck-lichen Geheimnissen des Krieges mu eines besonders gehtetwerden - das Datum des Eintritts der Sowjetunion in den ZweitenWeltkrieg.

    Um die Wahrheit zu vertuschen, hat die kommunistischePropaganda das irrefhrende Datum des Kriegsbeginns am22. Juni 1941 in Umlauf gebracht. Die kommunistischen Ge-schichtsklitterer haben sich eine Menge Legende