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Lösungsacrylatharze 62 Unter Berücksichtigung der Klassifizierung und den jeweils geltenden VOC- Regelungen können diese Lösemittel verwendet werden. Aus der Untersuchung abgeleitet, sollen polarere Lösemittel aufgrund ihrer Verdünnungswirkung bei der Lackformulierung berücksichtigt werden, dies ist längst Stand der Technik. Eigentlich hat in den beschriebenen Untersuchungen das Methylisobutylketon als bestes abgeschnitten, weil es eine effektive Regelwirkung mit guter Verdün- nungswirkung verbindet. In den USA sind aus diesem Grunde über einen längeren Zeitraum Ketone als Prozesslösemittel und ebenso als Bestanteile von Lackfor- mulierungen bevorzugt worden. In Europa konnte man, aufgrund des auffallenden Geruchs dieser Ketone, Lacke, die diese Lösemittel enthielten, nicht platzieren. Inzwischen sind auch einige α-Ketone als gesundheitlich bedenklich eingestuft worden und werden durch andere Lösemittel ersetzt, auch in den USA. 3.5 Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze Das größte Anwendungsgebiet für Acrylatharze als Lösungspolymerisate sind naturgemäß lösemittelhaltige Lacke. Nach dem Verfahren der Lösungspolymeri- sation hergestellte Produkte bilden auch die Basis für die Herstellung von wässri- gen Sekundärdispersionen bzw. für Lacke daraus und auch für Pulverlacke. 3.5.1 Acrylatharze für lösemittelhaltige Lacke Lösemittelhaltige Lacke auf Basis von Acrylatharzen, hergestellt nach dem Ver- fahren der Lösungspolymerisation, sind heute fast ausschließlich Reaktivlacke, d.h. die Filmbildung enthält eine Vernetzungsreaktion. Die wichtigsten Ver- netzungsreaktionen laufen ab über Methylolamide (Selbstvernetzung) und die Reaktion von OH-Gruppen enthaltenden Acrylatharzen mit Aminoharzen oder Polyisocyanaten, mit freien oder verkappten Isocyanatgruppen. Andere Vernet- zungsreaktionen spielen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Am Anfang der Entwicklung wurden Acrylatharzlösungen (thermoplastische Acrylatharze) für Lacke verwendet, die nur durch physikalische Trocknung verfilmen. Solche Pro- dukte werden heute noch in speziellen Fällen verwendet. 3.5.1.1 Thermoplastische Acrylatharze: Anwendung früher und heute Seit Mitte der 1920er Jahre enthielten die industriell verarbeiteten Lacke vor allem Cellulosenitrat als Bindemittel, die mit Weichmachern oder – später – Alkydhar- zen kombiniert wurde. Diese Lacke zeichneten sich durch unproblematisches

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Unter Berücksichtigung der Klassifizierung und den jeweils geltenden VOC-Regelungen können diese Lösemittel verwendet werden.

Aus der Untersuchung abgeleitet, sollen polarere Lösemittel aufgrund ihrer Verdünnungswirkung bei der Lackformulierung berücksichtigt werden, dies ist längst Stand der Technik.

Eigentlich hat in den beschriebenen Untersuchungen das Methylisobutylketon als bestes abgeschnitten, weil es eine effektive Regelwirkung mit guter Verdün-nungswirkung verbindet. In den USA sind aus diesem Grunde über einen längeren Zeitraum Ketone als Prozesslösemittel und ebenso als Bestanteile von Lackfor-mulierungen bevorzugt worden. In Europa konnte man, aufgrund des auffallenden Geruchs dieser Ketone, Lacke, die diese Lösemittel enthielten, nicht platzieren. Inzwischen sind auch einige α-Ketone als gesundheitlich bedenklich eingestuft worden und werden durch andere Lösemittel ersetzt, auch in den USA.

3.5 Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze

Das größte Anwendungsgebiet für Acrylatharze als Lösungspolymerisate sind naturgemäß lösemittelhaltige Lacke. Nach dem Verfahren der Lösungspolymeri-sation hergestellte Produkte bilden auch die Basis für die Herstellung von wässri-gen Sekundärdispersionen bzw. für Lacke daraus und auch für Pulverlacke.

3.5.1 Acrylatharze für lösemittelhaltige LackeLösemittelhaltige Lacke auf Basis von Acrylatharzen, hergestellt nach dem Ver-fahren der Lösungspolymerisation, sind heute fast ausschließlich Reaktivlacke, d.h. die Filmbildung enthält eine Vernetzungsreaktion. Die wichtigsten Ver-netzungsreaktionen laufen ab über Methylolamide (Selbstvernetzung) und die Reaktion von OH-Gruppen enthaltenden Acrylatharzen mit Aminoharzen oder Polyisocyanaten, mit freien oder verkappten Isocyanatgruppen. Andere Vernet-zungsreaktionen spielen bisher nur eine untergeordnete Rolle. Am Anfang der Entwicklung wurden Acrylatharzlösungen (thermoplastische Acrylatharze) für Lacke verwendet, die nur durch physikalische Trocknung verfilmen. Solche Pro-dukte werden heute noch in speziellen Fällen verwendet.

3.5.1.1 Thermoplastische Acrylatharze: Anwendung früher und heute

Seit Mitte der 1920er Jahre enthielten die industriell verarbeiteten Lacke vor allem Cellulosenitrat als Bindemittel, die mit Weichmachern oder – später – Alkydhar-zen kombiniert wurde. Diese Lacke zeichneten sich durch unproblematisches

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Applikationsverhalten (Spritzlackierung), schnelle physikalische Trocknung bei Umgebungstemperaturen und gute Pigmentierbarkeit aus. Nachteile sind die geringe Wetterbeständigkeit, Vergilbung und die relativ geringe Beständigkeit gegen Lösemittel und Chemikalien. Für die Automobil-Serienlackierung wurden daher seit Mitte der 1930er Jahre Einbrennlacke verwendet, auf Basis Alkydhar-zen und Aminoharzen, die bessere Beständigkeiten hatten. Für die Lacktrocknung bei Raumtemperatur wurden in den 1940er Jahren thermoplastische Acrylatharze (TPA) entwickelt. Sie können nach dem Verfahren der Lösungspolymerisation hergestellt werden, und ebenso als Perlpolymerisate. Es sind Polyacrylatharze meistens auf Basis Methylmethacrylat, das allein oder mit unterschiedlichen Anteilen anderer Methacrylatester copolymerisiert wird (Einstellung der Glas-übergangstemperaturen). Die Lacke können auch Weichmacher enthalten und trocknen ausschließlich physikalisch. Sie zeichnen sich durch schnelle Antrock-nung bei Umgebungstemperatur und relativ gute Wetterbeständigkeit aus, sie zeigen keine Vergilbung. Aufgrund dieser Eigenschaften wurden diese Lacke für die Automobil-Reparaturlackierung verwendet, vor allem in den USA. Die Lacke erreichen nicht die Applikationssicherheit und das hohe Pigmenttragevermögen (Farbbrillanz) der Cellulosenitrat-Kombinationen (Nitrokombilacke). Sie werden daher hauptsächlich für physikalisch trocknende Klarlacke verwendet.

Ein weiterer Nachteil besteht zunächst in der geringen Haftfestigkeit. Eine deut-lich bessere Haftung wurde erzielt, wenn die Copolymere neben den kurzkettigen Methacrylaten bestimmte Anteile an Methacrylsäure enthalten, oder – noch besser wirksam – Anteile von Aminoalkylacrylaten (siehe Kapitel 2.2.3.3), Acrylamid oder Acrylnitril [13]. Lacke auf Basis solcher Copolymere werden für Metallbe-schichtungen, und sogar für Can Coating-Lacke [14] verwendet (z.B. Haftlacke auf Kronkorken).

Ein anderes Einsatzgebiet für physikalisch trocknende Acrylatharzlacke ist die Imprägnierung von mineralischen Untergründen. Sie werden als Einlassgrund appliziert auf Beton und auf verputztem Mauerwerk vor dem Aufbringen der Wand- bzw. Fassadenfarbe.

Thermoplastische Acrylatharze bilden auch die Basis für Abziehlacke, die als temporärer Schutz vor allem für Metalloberflächen fungieren.

Außerdem gibt es noch Anwendungen solcher Produkte für die Papier- und Leder-beschichtung und für Überdruckfarben.

Es wird auch empfohlen thermoplastische Acrylatharze aus höheren Methacryl-säureestern Alkydharzen zuzumischen, um deren Antrocknungsgeschwindigkeit zu verbessern.

Aus heutiger Sicht ist der größte Nachteil dieser Produktklasse der niedrige Fest-körper der daraus hergestellten Lacke. Thermoplastische Acrylatharze ergeben

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nur dann akzeptable Filmeigenschaften bezüglich Trocknungsgeschwindigkeit, Haftung, Flexibilität und eine gewisse Beständigkeit, wenn sie hohe Molmassen und höhere Glasübergangstemperaturen haben. Die mittleren Molmassen lie-gen bei diesen Bindemitteln meistens zwischen 30.000 und 100.000 g/mol, die Glasübergangstemperaturen etwa zwischen 60 und 95 °C. Beide Bedingungen bedeuten natürlich hohe Lösungsviskositäten bzw. niedrige Festkörper bei Ver-arbeitungsviskosität. Wenn Klarlacke aus solchen Bindemitteln Applikationsfest-köper von ca. 20 bis 25 m-% haben, können die aktuellen VOC-Regelungen nicht erfüllt werden. In solchen Fällen müssen diese Lacke durch wässrige Systeme oder festkörperreiche Reaktionslacke ersetzt werden.

Beispiele für Handelsprodukte: Plexisol (Roehm GmbH), Paraloid F (Rhöm & Haas bei Dow), Neocryl (DSM).Viacryl-Typen (Cytec-Vianova), Synocryl-Typen (Cray Valley)

Es gibt auch viele Produkte, die nicht nach dem Verfahren der Lösungspolymeri-sation hergestellt werden, sondern nach dem Verfahren der Perlpolymerisation. Die Eigenschaften und die Anwendungsfelder solcher Acrylatharze sind ähnlich. Perlpo-lymerisate haben im Trend breitere Molmassenverteilungen (siehe Kapitel 2.3.2).

Beispiele für Handelsprodukte: Neocryl B (DSM)

Nichtreaktive Polyacrylatharze aus Acrylsäureestern sind – wegen der niedrigen Glasübergangstemperatur – Weichharze und nicht als Alleinbindemittel zu verwen-den. Sie sind trotz hoher Molmasse meistens bei Raumtemperatur flüssig. Sie die-nen als Zusätze zu verschiedenen Lacksystemen, z.B. als Polymerweichmacher.

Beispiele für Handelsprodukte: Acronal L-Typen (BASF SE)

3.5.1.2 Acrylatharze mit Methylolamiden

Es ist bereits seit den 1940er Jahren bekannt, aus Acrylamid und Methacrylamid gut wasserlösliche Polymere herzustellen, die mit Formaldehyd vernetzt werden können [15].

In den 1950er Jahren wurden Lackbindemittel entwickelt, die dieses Vernet-zungsprinzip verfolgten. Zunächst wurden Copolymere von Acrylamid und Methacrylamid (oder Mischungen beider) hergestellt, die dann polymeranalog mit Formaldehyd methyloliert wurden [16]. Die Methylolether sind nicht sehr sta-bil, sondern reagieren miteinander. Ähnlich wie bei den Aminoharzen wurden die Prozesse so geführt, dass die Methylolacrylamide bzw. -methacrylamide mit Monoalkoholen verethert wurden [17]. Dabei waren die Veretherungsalkohole vor allem Butanole, die bereits als Prozesslösemittel genutzt wurden. Das Resultat ist ein Acrylatcopolymer, das Butoxymethylacrylamid (siehe Kapitel 2.2.3.4) als Baustein enthält. Später wurde das komplexe Monomer als solches aus dem

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Halbformal des Butanols und Acrylamid bzw. Methacrylamid hergestellt und dann mit weiteren Acrylestern bzw. Methacrylestern und Comonomeren wie Styrol in Lösung copolymerisiert. Die ersten Acrylamid-Copolymere entstanden als wässrige Lösungen. Für die Lackanwendungen wählte man dann ausreichende Anteile an hydrophoberen Comonomeren. Es wurde vorzugsweise in Mischungen aus aromatischen Lösemitteln (Xylol) mit Butanolen polymerisiert.

Selbstvernetzende Acrylatharze

Acrylatharze, die Alkoxymethylacrylamide als Bausteine enthalten, können bei höheren Temperaturen selbst vernetzen. Aus den Literaturhinweisen, aufgeführt in der allgemeinen Literatur, wird davon ausgegangen, dass vor allem Methylol-ether miteinander und mit veretherten Methylolether zunächst unter Abspaltung von Wasser und Alkohol reagieren. Aufgrund der bei den Aminoharzen beobach-ten vergleichbaren Reaktionen wird hier gefolgert, dass die Vernetzungsreaktio-nen an den Iminwasserstoffen startet und Methylenbrücken ausbildet. Allerdings reagieren später sicher auch die Methylolether und schließlich wird auch – je nach Vernetzungsbedingungen – Formaldehyd abgespalten (siehe Formel 3.7).

N

NCH2O

C

C

O

OR

CO

C

OR C

O

O

O

OR

CH2O

N

NCH2 O

HCO

OR

CO

C

ORC

C

O

O

O

O

R

CH2 OH

Isobutoxymethylmethacrylamid -Copolymer

Formel 3.7: Vernetzungsreaktionen an Alkoxymethylacrylamid-Copolymeren

Die Reaktionen laufen bei höheren Temperaturen ab, bei 150 bis 180 °C. Sie werden durch Säuren beschleunigt. Es ist nicht notwendig, externe Säurekataly-

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satoren zu verwenden, wenn durch Anteile an Acrylsäure oder Methacrylsäure im Copolymeren höhere Säurezahlen (30 bis 40 mg KOH/g) eingestellt werden. Ähnlich wie bei den Reaktionen von Aminoharzen ist eine signifikante Beteili-gung der Carboxylgruppen an der Vernetzungsreaktion unwahrscheinlich, auch wenn die allgemeine Literatur das seit Längerem postuliert. Hingegen kann man in solche Bindemittel auch OH-Gruppen enthaltende Monomere einbauen, die dann mit den Alkoxymethylacrylamiden reagieren und Methyloletherbrücken erzeugen unter Abspaltung von Monoalkohol.

Haftung und Beständigkeit

Die vernetzten Filme aus Alkoxymethylacrylamid-Copolymeren zeichnen sich aus durch sehr gute Metallhaftung und hohe Beständigkeit gegenüber Chemikalien und Lösemitteln. Die hohe Chemikalienbeständigkeit – auch gegen Säuren – ist ein Indiz dafür, dass das Netzwerk vor allem Methylenbrücken enthält. Die zusätzlich OH-Gruppen enthaltenden Copolymere ergeben nicht so beständige Filme.

Die Filmeigenschaften prädestinieren diesen Bindemitteltyp für die Herstellung von Can Coating-Lacken. Solche Lacke sind ausgezeichnet beständig gegen die Inhaltstoffe aller möglichen Füllgüter. Sie werden zum Beispiel gegen den Ein-fluss kochender Milchsäure getestet (Sterilisationsteste).

Die Beständigkeit gegen Alkalien und Tenside ist sehr gut, deshalb kommen Lacksysteme mit Alkoxymethylacrylamid-Copolymeren für Haushaltsgeräte zum Einsatz, vor allem für Waschmaschinen und Kühlschränke (sogenannte „Weiße Ware“). Ein klassischer Waschmaschinenlack ist ein Einschichtlack auf Basis eines Alkoxymethylacrylamid-Copolymeren. Ein Nachteil dieser Lacke ist der relativ hohe Lösemittelgehalt, die weißpigmentierten Einschichtlacke haben bei Verarbei-tungsviskosität (zum Spritzen) nur Festkörper von ca. 40 bis 50 m-%. Es wurden daraufhin niedrigmolekulare Bindemittel hergestellt und auf den Markt gebracht. Letztlich wird diese Stoffklasse in dem beschriebenen Anwendungsgebiet ver-drängt. Beschichtungssysteme für die sogenannte „Weiße Ware“ sind heute Pulver-lacke mit aromatischen Epoxidharzen und deren Vernetzer (z.B. Carbonsäuren oder Carboxylgruppen enthaltende Polyester) als Bindemittelbasis.

Beispiele für Handelsprodukte: Synthalat A 600, A 645 (Synthopol Chemie), Uracron CS-Typen (DSM), Viacryl SC-Typen (Cytec-Vianova), Synocryl 836, 839 (Cray Valley)

3.5.1.3 Acrylatharze mit Hydroxylgruppen für die Aminoharzvernetzung

Erstaunlicherweise wurde erst in den 1950er Jahren gefunden, dass die Kom-binationsbindemittel für Aminoharze nicht nur eine plastifizierende Wirkung

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haben, sondern auch mit diesen reagieren können (Covernetzung) wenn sie überschüssige OH-Gruppen enthalten. Diese OH-Gruppen-haltigen Bindemittel waren zunächst Alkydharze. Ebenfalls in den 1950er Jahren wurde die groß-technische Herstellung von Acrylatmonomeren mit freien OH-Gruppen durch Umsetzung von Acrylsäure bzw. Methacrylsäure mit Ethylenoxid oder Propy-lenoxid entwickelt [18]. Copolymere aus solchen OH-Gruppen-tragenden Mono-meren (siehe Kapitel 2.2.3.1) mit anderen Acrylestern bzw. Methacrylestern und sonstigen Comonomeren, die man vereinfachend OH-Acrylatharze nennt, entwickelten sich seit den 1960er Jahren zur wichtigsten Bindemittelgruppe der Lösungsacrylatharze.

Charakterisierung der OH-Acrylatharze

OH-Acrylatharze werden zunächst mit Aminoharzen kombiniert. Aminoharze reagieren mit ihren funktionellen Gruppen (Methylol- und Methylolethergrup-pen) mit den OH-Gruppen der OH-Acrylatharze. Diese Reaktion findet bei höheren Temperaturen statt. Die effektiven Vernetzungstemperaturen liegen – in Abhängigkeit vom Typ des Aminoharzes – zwischen 125 und 200 °C. Die Reak-tionen werden durch Säuren katalysiert. Höhere Anteile starker Säuren (z.B. Salzsäure) können die effektiven Vernetzungstemperaturen auf Umgebungstem-peratur senken. Mit kleineren Anteilen organischer Säuren (z.B. p-Toluolsulfon-säure) kann man z.B. die effektive Vernetzungstemperatur einer Kombination eines OH-Acrylatharzes mit einem typischen Aminoharz von 130 auf 80 °C sen-ken. Das ist wichtig, wenn temperaturempfindliche Substrate (z.B. Kunststoffe) beschichtet werden sollen. Weiterhin gibt es eine sogenannte interne Säureka-talyse. OH-Acrylatharze enthalten stets kleinere Anteile freier Acrylsäure bzw. Methacrylsäure als Bestandteile der Herstellung der Estermonomere. Es werden zu den Formulierungen der OH-Acrylatharze bewusst bestimmte Mengen der freien Säuren zugesetzt und copolymerisiert, um einen katalytischen Effekt auf die Vernetzung mit Aminoharzen zu erzeugen. Damit eine ausreichende Lager-stabilität der Lacke mit Kombinationen aus OH-Acrylatharz und Aminoharz erreicht wird, enthalten die Lackformulierungen Monoalkohole, die mit ihren OH-Gruppen das Reaktionsgleichgewicht zugunsten der Edukte beeinflussen. Aus dem gleichen Grund werden statt der freien Säurekatalysatoren, Salze der Säuren mit flüchtigen Aminen verwendet.

Vernetzung der OH-Acrylatharze durch Aminoharze

Die für eine Vernetzung zur Verfügung stehenden Aminoharze sind die Harn-stoffharze, Melaminharze, Benzoguanaminharze und einige Carbamidharze. Die wichtigsten Vernetzungspartner für OH-Acrylatharze sind die Melaminharze. Formel 3.8 zeigt die möglichen Vernetzungsreaktionen von OH-Acrylatharzen mit Melaminharzen.

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Aminoharze – so auch die Melaminharze – vernetzen auch mit sich selbst. Man unterscheidet in den Lacksystemen Covernetzung und Selbstvernetzung.

1

MelaminharzOH-Acrylatharz

OH-Acrylate - Melaminharzvernetzung

N

N

N

N

N NCH2

CH2

O

OH

C4H9

O

C O R OH

OC O R OH

Formel 3.8: Vernetzungsreaktionen von OH-Acrylatharzen mit Melaminharzen

Anmerkung: Das in dieser Formel, als auch – bewusst wiederholend – in den folgenden Formeln dargestellte Segment eines Acrylatharzmoleküle soll als Modell gelten; es stellt nur ein typisches Beispiel der vielen Möglichkeiten der Zusammensetzung von Acrylathar-zen dar.

Lacktechnische Eigenschaften

Die beiden Vernetzungsreaktionen fördern unterschiedliche Eigenschaften der gebildeten Lackfilme. Die Covernetzung unterstützt die Flexibilität, die Wet-terbeständigkeit und die Chemikalienbeständigkeit. Die Selbstvernetzung der Melaminharze unterstützt Härte, Glanz und Lösemittelbeständigkeit. Prinzipi-ell laufen beide Reaktionsmechanismen nebeneinander ab. Es ist aber möglich die Anteile der Covernetzung gegenüber der Selbstvernetzung zu beeinflussen. Der Anteil der Covernetzung wird begünstigt durch hohe Massenanteile des OH-Acrylatharzes, durch hohe Anteile an OH-Gruppen darin und durch die Auswahl geringer reaktiver Melaminharze (stöchiometrische Wirkung), durch niedrigere Temperaturen, geringere Säurekatalyse und längere Reaktionszeiten (Wirkung der Filmbildungsbedingungen). Umgekehrt wird die Selbstvernetzung forciert durch hohe Anteile an Melaminharz, durch die Auswahl sehr reaktiver

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Melaminharze, durch eine stärkere Säurekatalyse und durch hohe Temperaturen bei kurzen Einbrennzeiten.

Typische konventionelle OH-Acrylatharze für die Vernetzung mit Melamin-harzen haben mittlere Molmassen (Zahlenmittel) von 3000 bis 8000 g/mol; OH-Zahlen von 60 bis 130 mg KOH/g, das sind bei einer mittleren Molmasse von 5000 g/mol 5,3 bis 11,6 OH-Gruppen pro Molekül; Säurezahlen von 10 bis 25 g/mol. Die Glasübergangstemperaturen der unvernetzten OH-Acrylatharze liegen bevorzugt zwischen –10 und +50 °C. Die Lieferformen sind meistens 50 bis 70 %-ig in aromatischen Lösemitteln (Xylol, Aromatic 100) manchmal mit Anteilen polarer Lösemittel, wie Alkoholen (z.B. Butanole).

Die Tabelle 3.1 zeigt ein typisches Beispiel für ein OH-Acrylatharz [19] für die Vernetzung mit Melaminharzen in Einbrennlacken:

Solche OH-Acrylatharze werden für Industrieeinbrennlacke (für Maschi-nen und Geräte) und vor allem für Einbrennlacke in der Automobil-Serienlackierung (OEM-Lacke, original equipment manufacturing), und dort hauptsächlich für Deck-lacke, Basislacke und Klarlacke [20] verwendet.

Beispiele für Handelsprodukte: Lioptal A-Typen (Synthopol Che-mie) Setalux (Nuplex), Syntha-cryl (Cytec Vianova), Uracron CR-Typen (DSM), Synocryl-Typen (Cray Valley)

Weitere Entwicklungen

Seit den 1970er Jahren gibt es verschie-dene Restriktionen für den Ausstoß von Lösemitteln bei der Applikation von Lacken. Zunächst wurden Lösemittel nach ihren photolytischen Eigenschaf-ten bewertet und der Gebrauch photo-lytisch aktiver Lösemittel beschränkt. Das führte – angefangen in den USA [21] – zu der Entwicklung von sogenannten NAD-Acrylatharzen.

Tab 2.05

Rohstoff CAS-Nr. Molmasse [g/mol]

Schmelz-punkt [°C]

Siedepunkt [°C] (hPa)

Dichte [g/cm³] (°C)

Acrylnitril 107-13-1 53 -83,5 77,6 (1013) 0,806 (20)

Methacrylnitril 126-98-7 67,1 -35,8 90 bis 92 (1013)

0,80 (25)

Styrol 100-42-5 104,2 -31 145 bis 146 (1013)

0,909 (25)

p-Vinyltoluol 622-97-9 118,2 -34 170 bis 175 (1013)

0,897 (25)

α-Methylstyrol 98-83-9 118,2 -24 165 bis 169 (1013)

0,909 (25)

N-Vinylimidazol 1072-63-5 94,1 78 bis 79 192 bis 194 (1013)

1,039 (25)

N-Vinylpyrrolidon 88-12-0 111,1 13 bis 14 92 bis 95 (11) 1,04 (25)

N-Vinylcaprolactam 2235-00-9 139,2 35 bis 38 128 (21) 1,029 (25)

N-Vinylcarbazol 1484-13-5 193,2 66 bis 65 154 bis 155 (1013)

1,085 (25)

Tab 3.01

Bestandteil m-%

Xylol 37,3

vorlegen, auf 140 °C aufheizen, halten

2-Hydroxypropylmethacrylat 15,4

Methacrylsäure 1,2

2-Ethylhexylacrylat 40,0

Methylmethacrylat 23,5

n-Butylmethacrylat 19,9

Summe Monomere 100,0

mischen, in 4 h zudosieren

Di-tert.-butylperoxid 1,0

Xylol 4,0

mischen, parallel zudosieren, dann 0,5 h halten

Di-tert.-butylperoxid 0,4

Xylol 2,0

mischen, zugeben, 2 h halten, abkühlen

Gesamtsumme 144,7

Kennzahlen: nfA (60' 130 °C): 69,6 %Säurezahl (nfA): 9,8 mg KOH/gViskosität (50 %-ig in Xylol) 560 mPa · s

Tab 3.02

Bestandteil m-%

Solventnaphta 33,3

n-Butanol 33,3

vorlegen, auf 125 °C aufheizen, halten

2-Hydroxypropylacrylat 20,0

n-Butylacrylat 39,0

tert.-Butylacrylat 39,5

Acrylsäure 1,5

Summe Monomere 100,0

mischen, in 2 h zudosieren

tert.-Butylperbenzoat 1,5

parallel zudosieren, dann 0,5 h halten

tert.-Butylperbenzoat 1,0

zugeben, 2 h halten, abkühlen

Gesamtsumme 169,1

Kennzahlen: nfA (60' 130 °C): 60,8 %Säurezahl (nfA): 16,2 mg KOH/gOH-Zahl: 86 mg KOH/gk-Wert (Fikentscher): 15,0Glasübergangstemperatur (Fox): -4 °C

Tabelle 3.1: Beispielrezeptur, Acrylatharz für die Melaminharzvernetzung

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Dann wurden Maßnahmen und Regelungen getroffen, die Lösemittelmengen generell zu reduzieren. Es sollte der Verbrauch an erdölabhängigen Rohstof-fen verringert und die Umwelt besser geschützt werden. Das führte bei den Acrylatharzen zur Entwicklung sogenannter High Solid-Bindemittel, später zu den wasserverdünnbaren Systemen und schließlich zu den Pulverlacken auf der Basis von Acrylatharzen.

Nichtwässrige (NAD) Acrylatharz-Dispersionen

Mit den Regelungen Ende der 1960er Jahre in Teilen der USA wurde der Aus-stoß photolytisch wirkender Lösemittel begrenzt, nachdem analysiert wurde, dass photolytisch wirksame Substanzen in der Atmosphäre die Bildung von Smog und eine Reduktion der Ozonschicht verursachen. Die Regelungen standen im Zusam-menhang mit dem späteren Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) als Kühlmittel. Betroffen waren neben den Chlorkohlenwasserstoffen vor allem die aromatischen Kohlenwasserstoffe. Esterlösemittel, Alkohole, aliphatische Kohlen-wasserstoffe und Ketone waren von den Regelungen nicht betroffen. Heute gibt es aus anderen Gründen auch in Europa Einschränkungen für die Verwendung aroma-tischer Lösemittel, weil einige Bestandteile gesundheitsschädlich sind. Benzol und Toluol sind gänzlich verboten, für Xylole, Ethylbenzol, Cumol, 1,2,4-Trimethylben-zol gibt es Mengenbeschränkungen als Bestandteile von Lacksystemen.

Bis heute gelten aliphatische Kohlenwasserstoffe (Benzine) als die Lösemittel mit den geringsten Gesundheits- und Umweltrisiken. Aber aliphatische Kohlenwas-serstoffe sind keine geeigneten Löser für OH-Acrylatharze, die polarere Lösemit-tel benötigen. Daher wurden Acrylatharze entwickelt, die stabile Dispersionen in aliphatischen Kohlenwasserstoffen bilden. Im Unterschied zu den bekannten wässrigen Dispersionen wurden diese als nichtwässrige Dispersionen bezeich-net (non aqueous dispersions, NAD). Es gibt eine Reihe Möglichkeiten solche nichtwässrigen Dispersionen herzustellen, im Folgenden sind die bekanntesten Beispiele aufgeführt.

Stabilisierung von NAD-Acrylatharzen

Zur Stabilisierung von nichtwässrigen Dispersionen werden Tenside und Schutz-kolloide benötigt – wie auch bei wässrigen Dispersionen. Es gibt verschiedene solcher Stabilisatoren, die gut in aliphatischen Kohlenwasserstoffen löslich sein müssen und auch mit den OH-Acrylatharzen assoziieren können.

Beschrieben werden mit Wasser geöffnete Polycaprolactone deren Carboxyl-Enden mit Glycidylmethacrylat umgesetzt werden. Es entstehen in Aliphaten lösliche Makromonomere, die in bestimmten Anteilen mit insgesamt deutlich polareren Monomeren copolymerisiert werden und dann eine Trägerwirkung für die entste-henden Dispersionsteilchen in aliphatischen Kohlenwasserstoffen ausbilden [22].

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Andere Träger entstehen durch die Umsetzung von Hexahydrophthalsäureanhy-drid mit dem Glycidester der Neodecansäure, ebenfalls an der endständigen Carboxyl-gruppe mit Glycidylmetha-crylat umgesetzt und als in Aliphaten lösliches Makro-monomer in einem Polymer eingebaut [23].

Bei anderen Verfahren, bei denen ein nichtlösliches Saatpolymer in aliphatischen Kohlenwasserstoffen herge-stellt wird, nehmen dessen Teilchen weitere Polymeri-sationsprodukte auf [24].

Viskositätsverhalten und Festkörper

Die Verwendung solcher nichtwässriger Dispersionen haben, neben der Ver-meidung von aromatischen Lösemitteln unter Verwendung der relativ unbe-denklichen aliphatischen Kohlenwasserstoffe, einen weiteren Vorteil: Alle Polymerdispersionen zeigen ein von organischen Polymerlösungen unterschie-denes Viskositätsverhalten. Sie haben signifikant steilere Viskositätskurven über der Polymerkonzentration (Festköper). Damit werden bereits bei geringerer Ver-dünnung niedrige Viskositäten erreicht. Lacke aus nichtwässrigen Dispersionen haben also relativ höhere Festköper bei Verarbeitungsviskosität als Lacke aus vergleichbaren OH-Acrylatharzen in organischer Lösung. Die Abbildung 3.5 zeigt einen solchen Viskositätsvergleich.

Die Filmbildung von Lacken auf Basis der NAD-Acrylat-Dispersionen erfolgt durch Verdunsten der Lösemittel und Zusammenfließen der Dispersionsteilchen, meistens bei höheren Temperaturen (Einbrennlacke). Die Effektivität der Bil-dung geschlossener Filme kann durch Anteile höhersiedender polarer Lösemittel unterstützt werden, die nach Verdunsten der aliphatischen Kohlenwasserstoffe die Teilchen lösen, bevor sie auch verdunsten.

Vorteile durch NAD-Mikrogele

Ein besonderes Verfahren besteht in der Herstellung zunächst wässriger Disper-sionen (Primärdispersionen) von vernetzten Acrylatpolymeren (Mikrogele), die

Abbildung 3.5: Viskositätsvergleich von NAD und organischer OH-Acrylatharzlösung

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dann in eine nichtwässrige Dispersion überführt werden, indem weitere Binde-mittel und Lösemittel zugegeben werden, und das Wasser abgetrennt wird [25]. Die Polymerpartikel lösen sich aufgrund ihres vernetzten Zustands nicht. Es können hierbei auch verschiedene Lösemittel verwendet werden. Die Partikel dieser nichtwässrigen Dispersionen habe eine ausgeprägte rheologische Wirkung: ein strukturviskoses Verhalten. Sie entwickeln bei der physikalischen Trocknung einen deutlichen Viskositätsanstieg und unterbinden das Ablaufen an senkrech-ten Flächen. Im gleichen Sinne wirken diese NAD-Microgele stabilisierend auf die Orientierung von Effektpigmenten (Aluminiumflakes) und fördern damit eine optimale Ausbildung von Metalliceffekten in lösemittelhaltigen Automobil-Basislacken, auch dann, wenn diese relativ hohe Verarbeitungsfestkörper haben.

High Solid-Acrylatharze

Die weiteren Anforderungen an die Einsparungen der Lösemittelimmission bei der Lackverarbeitung führte zur Entwicklung von OH-Acrylatharzen für die Formulierung festkörperreicher Lackformulierungen, sogenannter High Solid-Acrylatharze. Gefordert wurden hohe Festkörper (high solid contents) bei Verar-beitungsviskosität, das heißt für industriell verarbeitete Spritzlacke ca. 25 bis 35” Auslaufviskosität nach DIN 53211 bei 23 °C, 4 mm Düse; das sind ca. 85 bis 110” Auslaufviskosität nach ISO 2431 bei 23 °C 4 mm Düse und ca. 120 bis 180 mPa·s gemessen im Rotationsviskosimeter bei 23 °C.

Viskositätsverhalten und Festkörper

Viskositäten von Polymerlösungen sind abhängig von der Konzentration (Fest-körper, der hier natürlich möglichst hoch sein soll), der Temperatur, der mittleren Molmasse und der Molmassenverteilung des Polymers, der Löslichkeit des Poly-mers und der Wirkung des Lösemittels. Der erste Schritt höhere Verarbeitungs-festkörper zu erreichen, ist die Absenkung der mittleren Molmassen der Polymere. Dazu werden die oben beschriebenen Einflussgrößen berücksichtigt und Bedin-gungen gewählt, bei denen niedrigmolekularere OH-Acrylatharze entstehen; vor allem höhere Initiatorkonzentrationen, höhere Polymerisationstemperaturen. Längere Zulaufzeiten wirken nur gering und verringern die Produktausbeute über die Zeit. Niedrigere Prozessfestkörper stehen dem Ziel möglichst hohe Festkörper zu erreichen im Widerspruch.

Die alleinige Maßnahme einer Absenkung der mittleren Molmassen ergibt auch Nachteile für die Lackeigenschaften. Weil der Weg vom gelösten Bindemittel-molekül bis zu vernetzten Großmolekülen bei der Filmbildung länger geworden ist, ergeben sich geringer effektiv vernetzte Lackfilme. Es ist daher notwendig, die Anzahl der funktionellen Gruppen zu erhöhen, um vergleichbare molekulare Netzwerke zu erzielen. Die OH-Zahlen der Bindemittel für High Solid-Lacke sind daher durchweg höher als die der konventionellen Bindemittel. Es werden

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73Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze

auch Monomere mit besonders reaktiven OH-Gruppen ausgewählt (zum Beispiel 4-Hydroxybutylacrylat [26]). Bei der Vernetzung der OH-Acrylatharze mit beson-ders reaktiven OH-Gruppen und höheren OH-Zahlen entstehen bei der Film-bildung weniger ausgedehnte molekulare Netzwerke und damit eine geringere Flexibilität der Lackfilme. Außerdem wird die Löslichkeit solcher Bindemittel schwächer – im lacktechnischen Sinne, durch die Polarität der funktionellen Gruppen; es resultieren wieder vergleichbar höhere Viskositäten. Der zweite Schritt zur Herstellung brauchbarer OH-Acrylatharze für High Solid-Lacke ist daher eine Optimierung der Löslichkeit. Zwar werden die Lösungsviskositäten von OH-Acrylatharzen deutlich gesenkt, wenn man Monomere mit längeren aliphatischen Seitenketten verwendet und auch die Flexibilität wird verbessert, aber solche Monomere mit niedrigen Glasübergangstemperaturen senken die Filmhärte und die Beständigkeiten gegen Lösemittel und Chemikalien. Daher werden Monomere ausgewählt, die zwar relative hohe Glasübergangstemperatu-ren haben, aber – im lacktechnischen Sinne – eine gute Löslichkeit vermitteln.

Gängige OH-Acrylatharze für High Solid-Lacke

Solche Monomere sind: tert.-Butylacrylat, Cyclohexylacrylat, 4-tert.-Butylcyclohexylacrylat, 3,3,5-Trimethylcyclohexylacrylat, Isobonylacrylat und Dihydrodi-cyclopentadienylacrylat bzw. die entsprechenden Methacrylate aus-gewählt [27]. Diese Monomere sind meistens relativ kostspielig und einige zeigen Vergilbung bei höhe-rer Temperatur und Bewitterung.

Letztlich ist die Zusammensetzung der OH-Acrylatharze für High Solid-Lacke ein Kompromiss und richtet sich nach dem jeweiligen Anwendungsfall bezogen sowohl auf die geforderten Applikati-onsbedingungen und Filmeigen-schaften als auch bezogen auf die VOC-Regelungen.

Gängige OH-Acrylatharze für High Solid-Lacke haben meistens Mol-

Tab 2.05

Rohstoff CAS-Nr. Molmasse [g/mol]

Schmelz-punkt [°C]

Siedepunkt [°C] (hPa)

Dichte [g/cm³] (°C)

Acrylnitril 107-13-1 53 -83,5 77,6 (1013) 0,806 (20)

Methacrylnitril 126-98-7 67,1 -35,8 90 bis 92 (1013)

0,80 (25)

Styrol 100-42-5 104,2 -31 145 bis 146 (1013)

0,909 (25)

p-Vinyltoluol 622-97-9 118,2 -34 170 bis 175 (1013)

0,897 (25)

α-Methylstyrol 98-83-9 118,2 -24 165 bis 169 (1013)

0,909 (25)

N-Vinylimidazol 1072-63-5 94,1 78 bis 79 192 bis 194 (1013)

1,039 (25)

N-Vinylpyrrolidon 88-12-0 111,1 13 bis 14 92 bis 95 (11) 1,04 (25)

N-Vinylcaprolactam 2235-00-9 139,2 35 bis 38 128 (21) 1,029 (25)

N-Vinylcarbazol 1484-13-5 193,2 66 bis 65 154 bis 155 (1013)

1,085 (25)

Tab 3.01

Bestandteil m-%

Xylol 37,3

vorlegen, auf 140 °C aufheizen, halten

2-Hydroxypropylmethacrylat 15,4

Methacrylsäure 1,2

2-Ethylhexylacrylat 40,0

Methylmethacrylat 23,5

n-Butylmethacrylat 19,9

Summe Monomere 100,0

mischen, in 4 h zudosieren

Di-tert.-butylperoxid 1,0

Xylol 4,0

mischen, parallel zudosieren, dann 0,5 h halten

Di-tert.-butylperoxid 0,4

Xylol 2,0

mischen, zugeben, 2 h halten, abkühlen

Gesamtsumme 144,7

Kennzahlen: nfA (60' 130 °C): 69,6 %Säurezahl (nfA): 9,8 mg KOH/gViskosität (50 %-ig in Xylol) 560 mPa · s

Tab 3.02

Bestandteil m-%

Solventnaphta 33,3

n-Butanol 33,3

vorlegen, auf 125 °C aufheizen, halten

2-Hydroxypropylacrylat 20,0

n-Butylacrylat 39,0

tert.-Butylacrylat 39,5

Acrylsäure 1,5

Summe Monomere 100,0

mischen, in 2 h zudosieren

tert.-Butylperbenzoat 1,5

parallel zudosieren, dann 0,5 h halten

tert.-Butylperbenzoat 1,0

zugeben, 2 h halten, abkühlen

Gesamtsumme 169,1

Kennzahlen: nfA (60' 130 °C): 60,8 %Säurezahl (nfA): 16,2 mg KOH/gOH-Zahl: 86 mg KOH/gk-Wert (Fikentscher): 15,0Glasübergangstemperatur (Fox): -4 °C

Tabelle 3.2: Beispiel eines OH-Acrylatharzes für festkörperreiche Lacke

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Lösungsacrylatharze74

massen zwischen 1500 und 3000 g/mol; OH-Zahlen von 120 bis 160 mg KOH/g, das sind bei einer mittleren Molmasse von 2000 g/mol 4,3 bis 5,7 OH-Gruppen pro Molekül. Für die Vernetzung mit Melaminharzen haben diese Bindemittel Säurezahlen von 10 bis 25 mg KOH/g.

Die Tabelle 3.2 beschreibt die Zusammensetzung eines Acrylatharzes für fest-körperreiche Lacke [28].

Mit dem Beispiel aus Tabelle 3.2 wird herausgestellt, dass nicht allein die Ernie-drigung der Molmassen der OH-Acrylatharze (Initiatorkonzentration und Poly-merisationstemperatur sind hier relativ niedrig), sondern die Löslichkeit der Monomere eine Rolle spielen kann. Mit diesem Beispiel wird in Kombination mit einem teilverethertem Melaminharz ein Verarbeitungsfestköper (Klarlack) von 50 m-% erreicht [29].

Klarlacke auf Basis von OH-Acrylatharzen

Das wichtigste Einsatzgebiet von OH-Acrylatharzen sind die Automobil-Serien-klarlacke [20].

Seit der Einführung der thermoplastischen Acrylatharze gegenüber den Cellu-losenitrat-Kombinationen gelten Acrylatharze als besonders wetterbeständig. Als am Ende der 1960er Jahre die Zweischicht-Metalliclacksysteme für die Automobillackierung eingeführt wurde, bestanden in den USA die Klarlacke aus OH-Acrylatharzen und Melaminharzen. In Europa enthielten die Klarlacke Alkydharze auf der Basis gesättigter Fettsäuren und Melaminharzen. Diese Bindemittelkombination wurde aufgrund der hohen Applikationssicherheit gewählt und bevorzugt, weil damit besonders glatte und glänzende Klarlack-filme mit hoher Füllkraft (optisches Erscheinungsbild einer guten Abdeckung des Untergrundes) erreicht wurde. Diese Klarlacke zeigten auch ein geringes Wiederanlösen des Basislackes. Mit Wiederanlösen ist eine Wechselwirkung der im sogenannten Naß-in-Naß-Verfahren aufgetragenen Klarlackschicht mit dem nur physikalisch getrocknetem Basislack gemeint, die dort zu einer Des-orientierung der Aluminiumpigmente führt und einen Verlust des Effekts verur-sacht. Allerdings gab es Anfang der 1970er Jahre einige Reklamationen wegen schlechter Wetterbeständigkeit. Daher wurden auch in Europa Automobilklar-lacke auf der Basis von OH-Acrylatharzen formuliert. In der Folgezeit wurden OH-Acrylatharze speziell für das Anwendungsgebiet Automobilklarlacke weiter entwickelt. Zunächst galt das Hauptaugenmerk der Bindemittelentwicklung der Verbesserung des Applikationsverhaltens (keine Kocher, kein Wiederanlösen) und der Wetterbeständigkeit.

Dann galt es, Acrylatharze für festköperreiche Klarlacke (High Solid-Klarlacke) bereit zu stellen. Wie beschrieben haben solche High Solid-Acrylatharze für Klarla-

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cke niedrigere Molmassen, meistens eine höhere Anzahl funktioneller Gruppen pro Masse (nicht pro Molekül) und Monomerbausteine, die die Löslichkeit im lacktech-nischen Sinne verbessern, ohne die Härte und Beständigkeit zu beeinflussen.

Typischer High Solid-Klarlack

Bei der Formulierung von High Solid-Klarlacken aus OH-Acrylatharzen und Melaminharzen, trägt auch der Typ der Melaminharze zur Anhebung des Festkör-pers bei. Ein konventioneller Klarlack aus einem OH-Acrylatharz mit mittleren Molmassen von 5000 g/mol und einem teilverethertem Melaminharz (Abmi-schungsverhältnis 65 : 35) hat bei Verarbeitungsviskosität einen Festkörper von ca. 41 m-%. Ein Klarlack aus einem High Solid-Acrylatharz mit einer mittleren Molmasse (Zahlenmittel) von 2000 g/mol und einem niedrigmolekularem Imino-gruppen enthaltenem Melaminharz (Abmischungsverhältnis 70 : 30) erreicht bei Verarbeitungsviskosität einen Festkörper von ca. 49 m-%. Wird ein solches High Solid-Acrylatharz kombiniert mit einem HMMM-Harz (Hexamethoxymethyl-melamin, mittlere Anzahl der Melamine pro Molekül 1,3; Mischungsverhältnis 80 : 20) ist der Festkörper ca. 57 m-%.

Viskositätsverhalten und Festkörper

Die genannten Mischungsverhältnisse sind Optima bezogen auf die Filmeigen-schaften, ermittelt aus praktischen Formulierungsversuchen. Es wird deutlich, dass der Typ des Melaminharzes deutlichen Einfluss auf die Viskosität hat und dass das besonders niedrigmolekulare HMMM-Harz eine stark senkende Wirkung auf die Viskosität hat. Wenn man HMMM-Harze in höheren Anteilen verwendet, können Verarbeitungsfestkörper von über 60 m-% erreicht werden, allerdings gibt es gewisse Beeinträchtigungen bei den Filmeigenschaften. HMMM-Harze sind voll mit Monoalkohol (hier Methanol) veretherte Melaminharze. Für eine effektive Vernetzung bei für die Automobil-Serienlackierung üblichen Einbrenn-temperaturen (125 bis 150 °C) ist eine Säurekatalyse erforderlich, die für einige Anwendungen qualitative Nachteile ergeben kann.

In den 1980er Jahren wurden OH-Acrylatharze für Zweikomponentenklarlacke entwickelt (siehe Kapitel 3.5.1.4), dann mussten die Klarlacke für die Kombina-tion mit wässrigen Basislacken optimiert werden.

Seit Ende der 1980er Jahre gibt es auch wässrige Automobilklarlacke, seit den 1990er Jahre Pulverklarlacke.

Umfangreiche Versuche beschäftigen sich mit der Entwicklung von UV-Klarla-cken für die Automobil-Serienlackierung (siehe Kapitel 5).

Aktuell beherrschen lösemittelhaltige Klarlacke auf der Basis von OH-Acrylathar-zen noch den Markt der Automobil-Serienlackierung.

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Lösungsacrylatharze76

Immer noch aktuelle Fragestellungen sind die Optimierung der Kratzbeständig-keit und der Applikationssicherheit.

Wetterbeständigkeit von Klarlacken

Die Schadensbilder der Reklamationen bezogen auf Automobilklarlacke auf Basis von Alkydharzen zeigen mehr oder weniger ausgedehnte Rissstrukturen (Krakelee), die bei den damals verfügbaren Acrylatharzen nicht oder deutlich später auftraten. Die Schadensbilder traten vor allem nach Belastungstesten bei Probeauslegungen in Florida auf.

Florida-Tests

Florida-Tests berücksichtigen die dort vorhandenen hohen UV-Anteile im Son-nenlicht und die hohe bzw. stark wechselnde Luftfeuchtigkeit, dazu auch an einigen Plätzen noch einen Fall-out aus Industrieanlagen (Jacksonville). Ein zweijähriger Florida-Test ist auch heute noch das entscheidende Kriterium für die Wetterbeständigkeit von neu entwickelten Klarlacken. Es gibt eine Menge von alternativen Auslageplätzen und eine ganze Reihe von Kurztesten, aber die Automobilindustrie erwartet immer noch Florida-Testergebnisse. Die verschie-denen Kurzteste ergeben zwar wichtige Entwicklungshinweise, aber die dabei gewählten Forcierungen der Belastungen erzeugen oft andere Abbaureaktionen als die bei der natürlichen Bewitterung.

Typische Schadensbilder

Die Schadensbilder von Klarlacken auf der Basis von Alkydharzen wurden zuerst mit der schlechteren Verseifungsstabilität von Alkydharzen und Polyestern inter-pretiert. Des Weiteren ist man von einer sogenannten „Nachvernetzung“ der Filme durch UV-Licht ausgegangen, die zu einer Versprödung führen würde.

Da in der Folgezeit auch die dann ausschließlich verwendeten OH-Acrylatharze bezüglich ihrer Bewitterungsfestigkeit optimiert werden mussten, wurde hier das Verhalten bei Bewitterung intensiv untersucht. Neben der Beobachtung des Verhaltens der Klarlackschicht als solcher, bei der die Belastungszeit bis zur Rissbildung, Glanzabfall und Abbau der Schichtdicken beurteilt werden, gibt es auch vergleichende IR-Analysen und Bestimmung der Änderung der Glasüber-gangstemperaturen, die stärker auf die Änderungen des molekularen Aufbaus bei Bewitterungen ausgerichtet sind.

Zusammenfassend gibt es folgende Erkenntnisse: Entscheidend für das Scha-densbild mit Rissen sind die Anteile aromatischer Bausteine in den Klarlackbe-standteilen und in zweiter Linie die Glasübergangstemperaturen. Hohe Anteile aromatischer Bausteine ergeben frühzeitig Risse. Bei gleichen Aromatenanteilen bilden sich bei höheren Glasübergangstemperaturen zeitlich früher Risse bei

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77Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze

Bewitterung. Bei hohen Glasübergangstemperaturen von Bindemitteln ohne Aro-matenanteile erst sehr spät, wenn überhaupt.

Styrol-reiche Acrylatharze bilden bei Bewitterung prinzipiell das gleiche Scha-densbild wie konventionelle Alkydharze, die bekanntlich auf Basis aromatischer Polycarbonsäuren (fast ausschließlich aus Phthalsäureanhydrid) aufgebaut sind – auch nach gleicher Belastungszeit. Stellt man Alkydharze auf Basis nichtaro-matischer Bausteine her, z.B. aus Hexahydrophthalsäure, Trimethylolpropan und synthetischer Fettsäure, ergeben Klarlacke daraus keine Risse auch nicht nach langer Bewitterung, genauso wenig wie OH-Acrylatharze ohne Styrol.

Glanzverhalten und Abbau

Es ist allerdings nicht richtig, aus diesen Ergebnissen zu schließen, dass aromati-sche Bausteine nicht stabil genug gegenüber UV-Licht sind. Es ist bekannt, dass aromatische Verbindungen UV-Licht absorbieren und in Wärmeenergie umset-zen. Das sollte für eine Lackschicht ein Vorteil sein. Im physikalischen Sinne ist das auch richtig. Styrolfreie Acrylatharze in Klarlacken ergeben einen frühen Verlust bei den Glanzwerten und stärkeren Abbau der Schichtdicken über die Zeit im Vergleich zu Klarlacken, die Acrylatharze mit signifikanten Anteilen an Styrol enthalten. Es ist also nicht die Abbaubeständigkeit im physikalischen Sinne, die bei den Styrol-reicheren Acrylatharzen sogar besser sein kann, sondern das Scha-densbild, das natürlich nicht akzeptiert werden kann. Ein Abbau der Schichtdicke und frühzeitiger Verlust von Glanz wird von den Automobilkunden natürlich eher akzeptiert als das Auftreten von Rissen in der Klarlackschicht, zumal Automo-biloberflächen zum Teil recht häufig gewaschen und sogar poliert werden.

Sprödigkeit und Netzdichte

Für eine stoffliche Optimierung ist es sehr wichtig, die eigentlichen Ursachen und Bedingungen aufzuklären. Dazu gehört auch die Tatsache, dass UV-Licht nicht durch Nachvernetzung zu Versprödungen führt. Diese Vorstellung rührt natürlich von der immer noch verbreiteten Meinung, dass höher vernetzte Filme spröde sein müssen. Nun gibt es eine ganze Reihe von Beispielen von recht hochver-netzten Beschichtungen, die trotzdem flexibel sind. Das Problem der Sprödigkeit bei hohen Netzdichten liegt nicht an der Netzdichte, sondern an der geringen Ausdehnung der molekularen Netzwerke, die oft – aber nicht immer – entstehen, wenn man hochfunktionelle reaktive Komponenten zur Reaktion bringt. Zu den positiven Beispielen gehören auch UV-vernetzte Acrylatharze (siehe Kapitel 5), die hohe Vernetzungsdichten und dennoch gute Flexibilitäten haben können.

Auf jeden Fall wird festgestellt, dass die Filmmatrizes der in Florida belasteten Klarlacken Abbaureaktionen erfahren haben. Wirksam sind das UV-Licht, das eine Radikalbildung auslöst und das Wasser der Luftfeuchtigkeit, das Radikale

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Lösungsacrylatharze78

und Ionen bildet. Der größte Schwachpunkt eines molekularen Netzwerks aus OH-Acrylatharz und Melaminharz sind die Melaminharze, besonders deren Methylolethergruppen und nicht die Estergruppen von Polyestern oder auch Acrylatharzen. Bei den komplexen Abbaureaktionen entstehen Carbonyl-, Car-boxyl- und Amidgruppen. Dadurch steigt die Glasübergangstemperatur, die man über eine DMTA-Analyse ermitteln kann. Dabei wird auch ein Rückgang der Vernetzung gefunden. Der Abbau des Netzwerkes und der Anstieg der Glas-übergangstemperatur können zu Versprödungen führen. Auch das Schadens-bild der Rissbildung resultiert aus einem Zusammenfallen von Spannungen im molekularen Netzwerk, ausgelöst durch Abbaureaktionen, die zuerst molekulare Lücken ergeben, die sich schließlich zu makroskopischen Rissen vereinigen bzw. auslösen.

Bedingungen für die Wetterbeständigkeit

Ein möglichst hoher Anteil der Covernetzung ist positiv für die Wetterbestän-digkeit, denn eine weitgehende Covernetzung erzeugt Netzwerke, die stabiler gegen Abbaureaktionen sind als Cluster aus selbstvernetztem Melaminharz. Je effektiver ein Netzwerk aufgebaut ist, desto weniger wirken sich einzelne Abbau-reaktionen auf die Eigenschaften der gesamten Filmmatrix aus. OH-Acrylatharze mit ausreichend guter Wetterbeständigkeit enthalten Monomerkombinationen, die nicht zu hohe Glasübergangstemperaturen ergeben und ausreichend hohe OH-Zahlen für eine effektive Covernetzung. Im Übrigen verhält sich ein begrenzter Anteil an Styrol durchaus positiv.

Zusatz von UV-Absorbern und Radikalfängern

Aufgrund der dargestellten Ergebnisse wird deutlich, dass es weiterer Maßnah-men bedarf um die Klarlackschichten gegen Abbaureaktionen bei Bewitte-rung zu schützen. Daher werden seit Ende der 1970er Jahre in Klarlacken Lichtschutzmittel verwendet. Lichtschutzmittel bestehen aus der Kombi-nation von UV-Absorbern mit Radikalfängern. UV-Absorber bestehen aus Oxaniliden, Hydroxyphenylbenzotriazolen oder Hydroxyphenyltriazinen [30]. Optimierte Typen sind mit längeren Alkylketten ausgestattet, die gute Ver-träglichkeit mit der Bindemittelmatrix aus Acrylatharzen ergeben und eine geringere Neigung zur Migration haben. Sie wirken ähnlich wie Pigmente, nur liegen ihre Absorptionseigenschaften im Bereich des Lichts mit Wellenlängen von 250 bis 400 nm, d.h. sie sind visuell farblos und absorbieren UV-Licht. Radikalfänger sind sterisch gehinderte Amine bzw. auch deren Derivate wie Amide und Aminoxide. Es handelt sich um verschieden substituierte – auch N-substituierte – 2,2,6,6-Tetramethylpiperidine [31]. Das sterisch beeinflusste Stickstoffatom nimmt Sauerstoff und OH-Radikale auf und bindet sie che-misch ein. Auch hier gibt es komplexe Substitutionsverbindungen mit dem

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79Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze

Ziel, die Verträglichkeit mit den Acrylatharzen zu verbessern und Flüchtigkeit zu vermeiden. Heute enthalten alle Automobilklarlacke die Kombination von UV-Absorber und Radikalfänger. Die Zugabemengen liegen bei ca. je 0,5 bis 2 m-% bezogen auf die Filmmatrix.

Pigmentierte Acrylatharz-Systeme

Übrigens gelten für pigmentierte Lacksysteme andere Bedingungen als für Klar-lacke. Die Pigmente absorbieren – wenn auch sehr unterschiedlich – auch das UV-Licht. Außerdem wird das Licht an den Pigmentpartikeln gestreut und reflek-tiert. Die Zusammensetzung der OH-Acrylatharze ist nicht so wirksam wie bei den Klarlacken. Es gibt gute Ergebnisse der Wetterbeständigkeit auch für pig-mentierte Lacke aus relativ styrolreichen OH-Acrylatharzen. Die Hauptrolle der Wirkung auf die Wetterbeständigkeit spielen die Eigenschaften der Pigmente und die Reaktionen an den Grenzflächen.

SCA-ModifikationvonKlarlacken

Ein wichtiges Entwicklungsziel für die Applikationssicherheit ist es, zu vermei-den, dass der Lack (besonders der Klarlack) bei der Applikation (Spritzappli-kation) an senkrechten Flächen der zu beschichteten Objekte nicht abläuft. Beim Ablaufen entstehen Läufer aus Tropfenspuren oder Schichten sacken flächig nach unten (Schieben). Das Verhalten gilt als besonders kritisch, wenn bei automatischen Spritzverfahren in kurzer Zeit relativ viel Lackmaterial auf-gebracht wird und bei der Applikation höherer Schichtdicken, die besonders an Kanten und in Falzen auftreten können. Das Problem wird verstärkt, wenn High Solid-Lacke appliziert werden. Es ist meistens eine zu niedrige Viskosität der Filmschicht, zunächst bevor die Lösemittel weitgehend verdampft sind und dann bei der Temperaturerhöhung am Anfang des Einbrennprozesses, bevor die Vernetzungsreaktion die Viskosität wieder deutlich erhöht. Dem Problem begegnen Additive, die eine Strukturviskosität in das Lacksystem einbringen. Dabei ist eine Voraussetzung, dass sich die Strukturviskosität erst dann aufbaut, wenn die Lösemittel verdunsten. Denn sonst müsste der Verarbeitungsfestkör-per wieder gesenkt werden, um die vorgegebene Verarbeitungsviskosität zu erreichen. Außerdem dürfen die Additive die übrigen Lackeigenschaften nicht negativ beeinflussen. Effektive Rheologieadditive sind die, die den Verlauf, die Oberflächenglätte und den Glanz nicht beeinträchtigen. Besonders für Klarlacke müssen sie in der Filmschicht völlig transparent sein. Stofflich sind Rheologieadditive kolloidale Kieselsäuren, sehr feinteilige Bentonite, mikrokristalline Polyethylen-Wachse, Polyamid-Dispersionen und kristalline Harnstoffe. Kristalline Harnstoffe eignen sich als Ablauf verhindernde Addi-tive (SCA = sag control agents) besonders für Einbrennklarlacke. Zum einen sind sie farblos und haben Brechungsindices nahe bei denen der Acrylatharze.

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Lösungsacrylatharze80

Zum anderen können sie bei höheren Temperaturen einschmelzen und aufgrund der Harnstoffgruppen mit den Melaminharzen reagie-ren, d.h. sie werden integra-ler Bestandteil des Films und haben dann ihren partikula-ren Charakter verloren. Das bekannteste SCA-Additiv besteht aus dem Reaktions-produkt von zwei Molen Benzylamin mit einem Mol Hexamethylendiiso-cyanat (HDI, [32]). Optimal wirksame SCA-Additive bestehen aus einheitlichen kleinen nadelförmigen Par-tikeln. Solche Harnstoff-partikel entstehen nur dann, wenn der Diharnstoff in relativ geringer Konzen-tration in einer Bindemit-tellösung unter sehr hoher Scherung gefällt wird. Die Abbildung 3.6 [33] zeigt eine mikroskopische Aufnahme solcher Partikel in einer Bindemittellösung.

Die Abbildung 3.7 zeigt schematisch das Viskosi-tätsverhalten während der Applikation, des Ablüftens und des Einbrennens von Klarlacken mit und ohne SCA-Modifikation.

Zusammenfassend ist in der Tabelle 3.3 ein Klarlack [34]

beschrieben, der OH-Acrylatharze, Melaminharz, Lichtschutzmittel und eine SCA-Modifikation enthält.

Abbildung 3.6: Mikroskopische Aufnahme von SCA-Partikeln

Abbildung 3.7: Viskositätsverlauf bei der Filmbildung von Lacken ohne und mit SCA-Modifikation

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81Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze

Tabelle 3.3: Klarlack auf der Basis von OH-Acrylatharz und Melaminharz, mit Licht-schutzmitteln und SCA-Modifikation Tab 3.03

Bestandteil Handelsprodukt nfA m-%

OH-Acrylatharz (65 % in Solventnaphtha/Butanol 97/3)

Setalux 1761 (Nuplex)

27,87 42,88

OH-Acrylatharz, SCA-modifi ziert (65 % in Solventnaphtha/Butanol)

Setalux 11761 (Nuplex)

8,730,62

15,59

Melaminharz (70 % in n-Butanol) Setamin US 138 (Nuplex)

15,61 22,30

Polyethermodifi ziertes Silikonöl (2 % in Xylol) Baysilon OL 17 (Borchers)

0,05 2,60

Radikalfänger (N-Methyl-2,2,6,6-Tetramethylpiperidinderivat

Tinuvin 292 (BASF Schweiz AG)

0,52 0,52

UV-Absorber (95 % in Methoxypropylacetat) (substituiertes Hydroxybenzotriazol)

Tinuvin 384 (BASF Schweiz AG)

0,49 0,52

Butyldiglykol (BASF SE) 0,52

Aromatisches Lösemittel (Sdb. 180 – 210 °C) Solvesso 150 (Exxon)

9,36

Xylol (Exxon) 5,71

Summen 53,89 100,00

Tab 3.04

Bestandteil m-%

Aromatisches Lösemittel Sdb.: 158 bis 170 °C

55,7

vorlegen, auf 140 °C aufheizen, halten

Styrol 10,0

n-Butylmethacrylat 62,3

4-Hydroxybutylacrylat 25,6

Acrylsäure 2,1

Summe Monomere 100,0

mischen, in 4 h zudosieren

tert.-Butylperethylhexanoat 4,3

Aromatisches Lösemittel Sdb.: 158 bis 170 °C

4,3

mischen, parallel zudosieren, 4,75 h, dann 2,0 h halten

Gesamtsumme 146,3

Kennzahlen: nfA (60' 130 °C): 59,1 %Säurezahl (nfA): 9,8 mg KOH/g OH-Zahl (nfA): 100 mg KOH/gViskosität (original, 23 °C) 660 mPa · sMolmasse (Zahlenmittel, GPC): 2241 g/molMolmasse (Massenmittel, GPC): 7211 g/mol

Kratzbeständigkeit von Klarlacken

Wenn ein Automobil mit einem dunklen Metallicbasislack und einem hochglänzendem Klarlack eine Waschstraße verlassen hat, erkennt man im Sonnenlicht ausgedehnte, oft kreisförmige, haarfeine Kratzstrukturen. Das ist auch bei ganz neuen Autos sichtbar.

Natürlich sind die Hersteller von Klarlacken aufgefordert, solche Qualitätsmän-gel zu beseitigen. Es wird dann zunächst eine umfangreiche Schadensanalyse vorgenommen: so entstehen die Kratzer vor allem dann, wenn Waschbürsten die Schmutzpartikel auf der Oberfläche einer Automobilkarosse bewegen, erst in zweiter Linie wird eine Beschädigung durch die Waschbürsten selbst hervorge-rufen. Ein Abrieb durch feine Sandpartikel oder durch Ähnliches während der Fahrt mit dem Automobil hat nur untergeordneten Einfluss. Die Schäden selbst sind sehr unterschiedlich. Es gibt abrasive Kratzer und plastische Kratzer.

Abrasive Kratzer entstehen, wenn aus relativ harten Oberflächen Material aus-getragen werden.

Plastische Krater entstehen, wenn relativ flexiblen Oberflächen durch Einwirkung des Kratzens Material deformiert werden.

Die Struktur der Kratzer ist in der Abbildung 3.8 schematisch dargestellt.

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Page 21: 3.5 Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze · Typen, Eigenschaften und Anwendung der Acrylatharze 63 Applikationsverhalten (Spritzlackierung), schnelle physikalische

Lösungsacrylatharze82

Abbildung 3.8: Modell der Struktur von Kratzern

Self-healing Effekt und Kratzfestigkeit

Bei Deformationskratzern ist es möglich, dass die Spuren wieder verfließen zum Beispiel bei Erwärmung (self-healing Effekt). Abrasive Kratzer bilden jeden-falls nachhaltige Schäden. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass möglichst flexible Materialien geeignet sind, Kratzer zu vermeiden bzw. nur temporäre Schadensbilder zulassen. Es gelingt tatsächlich durch Auswahl von Klarlacken, die OH-Acrylatharzen mit niedrigeren Glasübergangstemperaturen enthalten und eine geringe Vernetzungsdichte haben, die Schadensbilder der Kratzteste zu reduzieren. Solche Klarlacke entsprechen aber nicht den Anforderungen an die Chemikalienbeständigkeit. Letztlich erweitert sich die Aufgabe der Verbesserung der Kratzfestigkeit um die Forderung eine gute Chemikalienbeständigkeit min-destens zu erhalten. Es gibt dafür verschiedene Lösungsansätze.

Ein Ansatzpunkt ist die Verwendung von Nanopartikeln im Klarlack. Dabei werden sehr kleine transparente Partikel effektiv in die Polymermatrix eines Klarlackfilms eingebettet. Die Partikel wirken auf eine Verformungskraft durch Ausweichen und Rückstellung (Dissipation), dabei wird die verformende Kraft verbraucht. Das gilt auch für die Einwirkung von kratzenden Medien. Gleich-zeitig können diese Partikel die Härte des Films erhöhen und vor allem erhöhen sie die Diffusionsdichte, was der Chemikalienbeständigkeit zugutekommt. Ein Beispiel [35] für solche Teilchen sind sehr feinteilige kolloidale Kieselsäuren, deren Oberfläche mit funktionellen Siloxanen bedeckt ist, so dass diese Teilchen opti-mal in die Klarlackmatrix aus OH-Acrylatharz und Vernetzer eingebettet wird.

3.5.1.4 OH-Acrylatharze für die Isocyanatvernetzung

Reaktionen und Eigenschaften

Die OH-Gruppen von Acrylatharzen reagieren mit freien Isocyanaten in einer Additionsreaktion unter Bildung von Urethangruppen. Die Reaktion läuft bereits

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