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Thomas Grüter

Freimaurer, Illuminatenund andere VerschwörerWie Verschwörungstheorienfunktionieren

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Hat es die mysteriösen Illuminatenwirklich gegeben? Welche Geheimnissehüten die Freimaurer? Warum fasziniertuns die Vorstellung von machtvollen ver-borgenen Gemeinschaften? Diesen undweiteren Fragen rund um Ver-schwörungen und ihre Theorien gehtThomas Grüter auf den Grund. Nach derLektüre dieses Buches werden Sie wis-sen, warum sich manche Verschwörung-stheorien hartnäckig halten, welcheRolle Vorurteile spielen und wie sie gez-ielt für bestimmte Zwecke ausgenutztwerden. Darüber hinaus werden dieTricks von Autoren wie Dan Brown oderErich von Däniken enthüllt, und es wirdIhnen gezeigt, wie Sie selbst eine erfol-greiche Verschwörungstheorie schreibenkönnen.

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Ein spannend und lebendig ges-chriebenes Buch mit einer Fülle von In-formationen für all diejenigen, die solcheTheorien durchschauen wollen.

Thomas Grüter wurde im Jahre 1957 inMünster geboren. Nach seinem Medizin-studium arbeitete er fünf Jahre lang inOsnabrück, Paderborn und Münster alsArzt, bevor er ein eigenes Softwareun-ternehmen gründete. Seit einigen Jahrenschreibt er populärwissenschaftlicheArtikel, die inzwischen in sechs Sprac-hen übersetzt sind. Er lebt und arbeitetin Münster.

Unsere Adresse im Internet: www.fisc-herverlage.de

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Vorwort

»Vertraue keinem Bruder, kennekeinen Freund. Schaffe dir keinenVertrauten – das führt zu nichts …Der meine Speisen gegessen hatte,zog Truppen zusammen und dem ichgeholfen hatte, der nutzte das zumAufstand … Es war am Abend, nachdem Nachtmahl. Mein Herz begann,dem Schlaf nachzugeben. Da wur-den die Waffen, die mich schützensollten, gegen mich geschwungen …«

Am 1.Februar 1962 v. Chr., also vor fastviertausend Jahren, starb der ägyptische

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Pharao Amenemhet I., der Begründerder zwölften Dynastie des mittlerenReiches und Errichter des glanzvollenAmun-Tempels von Karnak. Eine Ver-schwörung von Höflingen machteseinem Leben ein Ende – die früheste inihren Einzelheiten überlieferte Ver-schwörung der Welt. Das Zitat stammtaus einem Unterweisungsbuch, das derWeise Cheti aus der Sicht des ermorde-ten Pharao für Amenemhets Sohn undThronfolger Sesostris geschrieben hat.

Wir dürfen annehmen, dass Menschensich verschworen haben, seit sie das Mit-tel der Sprache hinreichend beherrscht-en, um gemeinsam Pläne zu schmieden.Clanchefs, Stammesfürsten, Dorfälteste,Häuptlinge und Könige starben zu allen

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Zeiten durch den hinterrücks geführtenDolch heimlich verbündeter Mörder.

Doch auch wenn nichts geschah, wennalles ruhig schien, machten sich dieMenschen ihre Gedanken und mut-maßten, wer sich zu einem heimlichenBund zusammengeschlossen haben kön-nte. Gerüchte kochten hoch, Verdächti-gungen machten die Runde. Namen wur-den geflüstert, Absichten unterstellt, An-zeichen beobachtet, Orakel befragt,Omen erkannt. Die Gerüchte begannensich zu verdichten, ein Umsturz schienunmittelbar bevorzustehen, unabwend-bar die Entladung von Gewalt … odergab es keine Verschwörung und alle Ger-üchte waren nur das Abbild der Angstvor einer unsichtbaren Gefahr?

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Zwei Arten von heimlichen Bündenlassen sich unterscheiden: Solche, dievom Herrscher ausgehen, um seineMacht auszuweiten, und solche, die ge-gen ihn, also gegen seine Herrschaftoder sein Leben gerichtet sind. Kaum einbedeutender Herrscher, der nicht Mord-anschläge überstehen musste. SeinLeben hing daran, dass er Ver-schwörungen rechtzeitig erkannte undzerschlug. Die Untertanen wiederummisstrauten ihren Herrschern, sahensich von Steuern und Pflichten erdrücktund unterstellten dem Herrscher, unterfalschen Vorwänden den Druck zu er-höhen, zu seinen Gunsten zuwirtschaften und das Volk in die Ab-hängigkeit zu zwingen. Und nicht zuletztmisstraut das Volk anderen Völkern und

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anderen Herrschern. Am schlimmstentraf es immer die Völker ohne Heimatoder solche außerhalb der Heimat wieJuden, Roma, Vaganten, Ausland-schinesen oder afrikanische Inder.

Diese Art des Denkens, das ich Ver-schwörungsdenken nenne, hat Millionenvon Menschen das Leben gekostet. DasVerschwörungsdenken hat sich vonseinem ursprünglichen Zweck, demlebenswichtigen Aufdecken realer Ge-heimbünde, gelöst und eine eigene Dy-namik entwickelt.

Mit den Ursachen, Folgen undAuswüchsen dieser Entwicklung wirddieses Buch sich beschäftigen. Es wirddie Formen des Verschwörungsdenkensdiskutieren und ihre Herkunft unter-suchen, die Abhängigkeit von wirklichen

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Ereignissen analysieren und den Zusam-menhang mit wahnhaften Vorstellungenbeleuchten. Schließlich wird es dieFrage beantworten, wer solches Denkenfördert und wer davon profitiert.

Sie sehen: das Phänomen der Ver-schwörungstheorien ist geradezu verwir-rend vielschichtig. Selbst die Definitionin verschiedenen Lexika ist widersprüch-lich. In diesem Buch möchte ich ver-suchen, dem Phänomen Verschwörung-stheorie etwas näher zu kommen, ja esüberhaupt einmal sinnvoll zu definieren.

Wenn Sie dies alles gelesen haben,werden Sie mir sicherlich gerne auf demWeg zu einer eigenen Verschwörung-stheorie folgen. Ich empfehle Ihnen, siemir nicht zu glauben, denn sie ist nichtsweiter als ein Beispiel, mit dem ich

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Ihnen den Aufbau von Verschwörung-stheorien erklären möchte.

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1: EchteVerschwörungen und ihreProblemeCaesar, Guy Fawkes, die Illuminatenund was Machiavelli dazu schreibt

Eine Verschwörung kann auf ein einzel-nes Ziel ausgerichtet sein wie zum Beis-piel die Ermordung eines Prominenten,oder sie verfolgt ein allgemeines, and-auerndes Ziel wie den illegalen Gelder-werb oder den Ausbau der eigenenMacht. Beispiele für die zweite Art vonVerschwörungen sind Verbrecherorgan-isationen wie die Mafia, die chinesischenTriaden oder die japanischen Yakuza.Auch die politischen

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Geheimgesellschaften wie die »Schwar-ze Hand« in Serbien Anfang des zwan-zigsten Jahrhunderts oder die undurch-sichtigen Terrorgruppen im Irak der Ge-genwart zählen zu dieser Art derVerschwörung.

Ideale Verschwörungen erreichen ihreZiele, ohne dass die Verschwörer her-vortreten. Die handelnden Personenbleiben im Verborgenen, sie ziehen un-sichtbar die Fäden des sichtbarenSchauspiels, treten aber niemals selberauf. Überspitzt formuliert nehmen wireine erfolgreiche Verschwörung niemalsals solche wahr, denn das Drama auf derBühne nimmt einen scheinbar fol-gerichtigen Verlauf, während in Wirk-lichkeit die Akteure an den unsichtbarenFäden mächtiger Puppenspieler hängen.

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Wirkliche Verschwörungen aberleiden unter den Zerwürfnissen der Ver-schwörer, unter den Fehlern ihrer Pläne,unter den menschlichen Unzulänglich-keiten der Beteiligten und unter zufälligauftretenden Widrigkeiten. Kaum einKomplott läuft so ab, wie es dieBeteiligten geplant haben. Können Ver-schwörer sich vielleicht dadurch absich-ern, dass sie aus den vielen Ver-schwörungen, Attentaten und Putschver-suchen der Geschichte einen typischenVerlauf rekonstruieren und danach han-deln? Die Antwort ist nein, es gibtebenso wenig einen typischen Ablauf vonVerschwörungsplänen, wie es den typis-chen Verlauf eines Schachspiels gibt.Keine zwei Schachspiele sind gleich,trotz immer gleicher Ausgangsstellung.

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Komplotte aber entstehen aus vollkom-men verschiedenen, miteinander nichtvergleichbaren Situationen. AllgemeineRatschläge für Verschwörer lassen sichjedoch durchaus ableiten (ebenso wieallgemeine Richtlinien für gutes Schach-spielen). Niccolò Machiavelli, berühmterTheoretiker der Macht und des Machter-halts, hat auch das Thema der Ver-schwörungen ausführlich behandelt.

Ich werde noch auf ihnzurückkommen.

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Caesars Ermordung oder dieplanlose Verschwörung

Die wohl berühmteste Verschwörung derWeltgeschichte führte am 15.März 44 v.Chr. zur Ermordung Julius Caesars. Siezeigt beispielhaft das Scheitern einesRechtsbruchs, der aus moralischerVerblendung heraus unternommenwurde. Nicht zuletzt das fatale Ausein-anderklaffen von moralischem Anspruchund profaner Wirklichkeit wurde denVerschwörern zum Verhängnis. Obwohldie dramatischen Vorgänge am Ende derrömischen Republik bereits mehr als2000 Jahre zurückliegen, sind sie doch in

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fast allen Einzelheiten bekannt. DieGeschichtsschreibung kennt zwanzig deretwa sechzig Beteiligten mit Namen undweiß von den Wichtigsten auch dieLebensdaten. So lassen sich Motive,Ablauf und Folgen des Komplottsrekonstruieren.

Julius Caesar wurde vermutlich im Jahre100 v. Chr. (oder nach römischerZeitrechnung im Jahre 653 nachGründung Roms) geboren. Er entstam-mte einer ehrwürdigen, aber ein-flusslosen und verarmten Adelsfamilie.Er schlug die Ämterlaufbahn ein, wieman es von ehrgeizigen römischen Adeli-gen damals erwartete. Sie bestand auseiner vorgeschriebenen Abfolge vonÄmtern und führte mit Glück und

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Geschick bis an die Spitze des Staates.Caesars Karriere verlief dank großzü-giger Volksbelustigungen und freigebi-ger Bestechungen fast reibungslos,lediglich seine Schulden wuchsen ihmlangsam über den Kopf. Im Jahre 61 v.Chr. wollte er eine Statthalterschaft inSpanien antreten. Aber er konnte Romzunächst nicht verlassen, da seine Gläu-biger erst ihr Geld sehen wollten. Nureine Bürgschaft von Crassus, dem reich-sten Mann Roms, erlaubte Caesar dieÜberfahrt nach Spanien. Dort trieb er soviel Geld ein, dass er schuldenfrei nachRom zurückkehrte und sich nun um dashöchste Staatsamt bewerben konnte: dasKonsulat.

Caesar hatte sich in seiner Laufbahnin Rom viele Feinde geschaffen, die ihm

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den Weg zum Amt des Konsuls gerneverstellt hätten. Er schaffte den Sprungan die Spitze des Staates letztlich nurdurch ein Bündnis mit Pompeius, demmächtigsten Militärbefehlshaber, undmit Crassus, dem reichsten Mann Roms.Die beiden verband eine innige Feind-schaft, und es ist wohl Caesars beson-derem Charisma und ihrem gemein-samen Willen zur Macht zu verdanken,dass die drei sich verbündeten. Caesarsollte, so die Absprache, als Konsul nichtnur seine eigenen, sondern auch die In-teressen des Pompeius und des Crassusdurchsetzen. Diese Verschwörung ist alsdas erste Triumvirat in die Geschichteeingegangen.

Rom war zu dieser Zeit eine Republik,aber keine Demokratie. Die hohen

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Staatsämter verteilte der Stadtadel (diePatrizier) unter sich. Ebenso stand derSenat als oberstes Entscheidungsgremi-um nur dem Adel und dem Ritterstandoffen. Den Volkstribunen, den Vertreterndes nicht adeligen Volkes, stand es nichtzu, im Senat mitzusprechen. Sie durftendie Curia, den Senatssaal, nicht betretenund hörten den Beratungen von ihremPlatz vor der Tür zu. Sie konnten ledig-lich ihren Einspruch (»Veto!«) gegenBeschlüsse des Senats in den Saal rufen.Das letzte Wort zu allen Gesetzen hattendie Volksversammlungen, die Komitien.Sie konnten Senatsgesetze ändern oderkassieren und natürlich auch eigene Ge-setze beschließen – und sie wählten dieKonsuln.

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Caesars Feinde hatten seiner Be-liebtheit im Volk nichts Adäquates entge-genzusetzen. Crassus’ großzügigeSpenden und Pompeius’ Veteranen, diein den Komitien fleißig mitstimmten,taten ein Übriges. Im Jahre 59 v. Chr.wurde Caesar also planmäßig zum Kon-sul (einem von zweien) gewählt. Erpeitschte die Vorhaben des Triumviratesrücksichtslos und nicht immer ganzrechtmäßig durch den Senat oder, wennder nicht mitspielte, durch die Komitien.Sein Kollege, der zweite Konsul, zog sichbald zurück; er war Caesar nicht ge-wachsen und begnügte sich fortan mitverbissener Obstruktion. WährendCaesar im Volk je nach Stimmung unter-schiedlich beliebt war, schaffte er sich

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im adeligen Senat konsequent immermehr Feinde.

Das Amt des Konsuls endete nacheinem Jahr, und Caesars Situationbegann kritisch zu werden. Bis zumAblauf seiner Amtszeit genoss er Im-munität gegen Strafverfolgung, aberdanach würden seine Gegner alles ver-suchen, um ihn für seine zahlreichenRechtsverstöße zur Rechenschaft zuziehen. Außerdem hatte er bereitswieder Schulden in erstaunlicher Höheangesammelt und brauchte eine sichereEinnahmequelle für die Zeit nach seinemKonsulat.

Normalerweise wurde ein Konsul nachAblauf seiner Amtszeit mit der Statthal-terschaft einer lukrativen Provinz

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betraut und verließ damit den Macht-bereich der römischen Justiz.

Aber die Senatoren hatten noch vorCaesars Amtsantritt beschlossen, dass ersich nach seinem Konsulat um die Ver-messung eines Waldstücks in Italien zukümmern hätte. Mit dieser lächerlichenAufgabe wollten sie Caesar ihre Verach-tung zeigen, zugleich aber hielten sie ihndamit im Bereich der römischen Justiz.

Caesar konnte diesen Beschluss alsounmöglich akzeptieren, wenn er sichnicht nach Ende seiner Amtszeit ineinem römischen Kerker (oder bettelarmim Exil) wiederfinden wollte. Nach eini-gen Intrigen gelang es ihm schließlich,sich das Imperium (den Oberbefehl)über die Provinzen Gallia cisalpina, Gal-lia narbonnensis und Illyrica für fünf

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Jahre übertragen zu lassen. Das brachteihn aus der Reichweite seiner Verfolger,lag aber so nahe bei Rom, dass er seineehrgeizigen Pläne weiter verfolgenkonnte.

Während seiner Zeit in Gallien zeigtesich Caesars wahres Talent: Er erwiessich als überragender Heerführer. Er or-ganisierte kampfstarke Legionen undblieb stets bei seinen Männern, die ihndafür vergötterten. Er marschierte mitihnen, er kämpfte mit ihnen, er hungertemit ihnen. Zehn Jahre dauerte der gallis-che Krieg, und Caesar gewann durchgeniale Manöver selbst aussichtslos er-scheinende Schlachten.

Verdüstert wird das Bild allerdingsdurch seine Grausamkeit: Nach seineneigenen Angaben tötete oder versklavte

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er mehr als ein Viertel der keltischenBevölkerung Galliens. Auch Frauen undKinder schonte er nicht. Die Zahlenstammen allerdings aus Caesars Bericht-en an den Senat und sind deshalb ver-mutlich grob übertrieben. Diese»Berichte« waren Propagandaschriften,mit denen Caesar in Rom für sich warb.Je höher die Zahl der getöteten Feinde,desto größer sein Ruhm.

Am Ende seiner zehn Jahre dauerndenStatthalterschaft wollten Caesars Gegn-er in Rom endlich mit ihm abrechnen.Pompeius, sein ehemaliger Bundesgen-osse, hatte sich auf ihre Seite geschla-gen. Nach den Gesetzen der Republikhätte Caesar seine treuen Legionen inder Provinz lassen müssen, denn erdurfte sie nicht über den Rubikon nach

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Italien mitnehmen. Ohne seine Männerwäre er aber machtlos gewesen. Am7.Januar 49 v. Chr. forderte der SenatCaesar ultimativ zur Abgabe seinesAmtes und seiner Truppen auf. Daraufh-in entschied sich Caesar für den Krieg:Er überschritt mit seinen Truppen denGrenzfluss Rubikon und marschierte aufRom. In Norditalien traf er kaum aufWiderstand und nahm mit seinen Legion-en bereits drei Monate später Rom ein.Damit hatte er aber keineswegs ge-wonnen: Seine Gegner waren nachGriechenland ausgewichen, und dieKämpfe um die Vorherrschaft über dasReich sollten erst beginnen.

Drei Jahre dauerte der Bürgerkrieg,den Caesar gegen die Senatspartei inSpanien, Italien, Griechenland und

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Tunesien ausfocht. Am Ende siegtenCaesars kampferprobte Legionen.Nebenbei stellte er noch Ägypten unterrömischen »Schutz« und heiratete dieägyptische Königin Cleopatra. Ganz imGegensatz zu seinem grausamen Vorge-hen in Gallien zeigte sich Caesar seinenGegnern im Bürgerkrieg als großmütigerSieger. Er verschonte die Städte, diesich seinen Gegnern angeschlossen hat-ten. Selbst auf die Bestrafung der gegn-erischen Senatoren und Adeligen ver-zichtete er. Von da an waren sie Caesarfür seine Großmut verpflichtet, ihre Ehreaber hatten sie verloren. Also gaben siesich noch hochmütiger als vorher undhassten Caesar mit der müdenKraftlosigkeit entehrter Aristokraten.

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Im Jahre 45 v. Chr. kehrte Caesarnach Rom zurück. Die Jahre der Ent-behrungen im Feld hatten ihre Spurenhinterlassen: Seine Büsten aus dieserZeit zeigen ein hageres, vorzeitig geal-tertes Gesicht. Er war jetzt 55 Jahre altund seine Gesundheit war angeschlagen.Dennoch entwickelte er eine geradezuhektische Aktivität. Er reformierte denhoffnungslos verworrenen römischenKalender und entwarf Dutzende weitererVorhaben. Er plante eine Rechtsreformund hatte Visionen von riesigen Bauten.So sollte auf dem Marsfeld der größteTempel der Welt entstehen. CaesarsPläne kamen jedoch kaum voran, dennder Adel sperrte sich und seine altenKampfgenossen wollten in erster Linieihren Sieg genießen. Caesars Reformen

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waren ihnen gleichgültig, aber sie er-warteten Pfründe für ihre treuen Dien-ste. Um ihnen entgegenzukommen undden Widerstand des Senatsniederzuzwingen, ernannte Caesar 300seiner Günstlinge zu Senatoren. DerSenat war danach weniger handlungs-fähig als je zuvor, aber Caesar regierteohnehin mit Verfügungen, denen er dieangebliche Zustimmung des Senatsgleich mit auf den Weg gab. Sein Wortwar Gesetz geworden.

Der Senat und das Volk von Rom über-häuften Caesar derweil mit Ehrungen.Bereits im Jahre 46 v. Chr. war er zumDiktator auf zehn Jahre ernannt wordenund ab Februar 44 v. Chr führte er denTitel »Andauernder Diktator«. Erst jetztbegann eine ernsthafte Verschwörung

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gegen Caesars Leben. Eine heterogeneGruppe von Adeligen, von ehemaligenGefolgsleuten Caesars, die sich bei derÄmtervergabe übergangen fühlten, undvon jungen Idealisten fand sich zusam-men, um den »Tyrannen« zu ermorden.Caesar lieferte ihnen Munition, indem erauch solche Ehren annahm, die ihn beiLebzeiten schon in die Sphäre der Götteraufrücken ließen. Gleichzeitig mehrtensich die Anzeichen, dass er die König-swürde anstrebte. Er wäre dann, nachdem Muster der orientalischen Könige,ein König und Gott mit unbegrenzterMacht geworden. Einem traditionsbe-wussten Römer musste diese Idee alsVerrat aller römischen Tugendenerscheinen.

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Die Römer hatten ihren letzten KönigTarquinius Superbus (Tarquinius, derÜberhebliche) mehr als 450 Jahre zuvoraus der Stadt verjagt. Seitdem war einKönig für die Römer allenfalls einKinderschreck oder eine Witzfigur.Caesar aber verfolgte seine Herrschafts-pläne weiter, so schien es seinen Gegn-ern jedenfalls. Ein Zwischenfall zu Be-ginn des Jahres 44 bestätigte ihreschlimmsten Befürchtungen. Am15.Februar 44 v. Chr. versuchte Caesarsengster Mitstreiter Marcus Antonius,Caesar das Königsdiadem aufzusetzen,das altrömische Symbol der absolutenHerrschaft. Er hatte dafür einen denkbargünstigen Zeitpunkt gewählt: Das Festder Lupercalien, ein fröhliches, fast orgi-astisches Reinigungs- und

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Fruchtbarkeitsfest. Caesar saß auf derRednertribüne des Festplatzes im vollenOrnat, der die göttlichen, aber auch an-nähernd königlichen Ehren wider-spiegelte, die der Senat ihm verliehenhatte. Während dieses Festes versuchteMarcus Antonius Caesar mit demKönigsdiadem zu krönen. Doch die fröh-liche Stimmung verflog schlagartig, dasVolk protestierte, und Caesar wies dieKönigswürde geistesgegenwärtigzurück.

In der politischen Szene Roms glaubteniemand, dass Marcus Junius Antoniusohne Caesars Wissen und Zustimmunggehandelt hatte. Von da an, so darf manaus den zeitgenössischen Quellenschließen, begannen die Verschwörermit konkreten Vorbereitungen für den

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Mord. Treibende Kräfte waren zweiGünstlinge Caesars: Marcus Brutus undGaius Cassius Longinus. Die Ver-schwörer sahen sich im Recht, denn einTyrannenmord war nach der Moral derAntike nicht strafbar, ja er war sogar einsittliches Gebot. Darum verzichteten dieVerschwörer ausdrücklich auf einen Sch-wur der Geheimhaltung oder des Zusam-menhaltes. Nach ihrer Vorstellung unter-nahmen sie lediglich einen notwendigenAkt zur Rettung der Republik, begingenalso kein Verbrechen.

Am 18.März 44 v. Chr. wollte Caesarzu einem Feldzug gegen die Parther auf-brechen, Roms ständige Gegner weit imOsten des Reiches. Das war nicht zwin-gend notwendig, aber man darf anneh-men, dass der unwürdige Schacher um

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Ämter und Pfründe, die ständigen An-feindungen des Senats und die Un-fähigkeit seiner Untergebenen CaesarsNerven ernsthaft angegriffen hatten.Das karge Leben im Feld, umgeben vontreuen Soldaten, entsprach sicherlicheher seiner Natur. Die Senatssitzungvom 15.März war also die letzte Gele-genheit für die Verschwörer, ihre Tatdurchzuführen. Sie waren entschlossen,Caesar im Sitzungssaal des Senats öf-fentlich hinzurichten. Die Verschwörerglaubten, Caesars Tod wie ein Theater-stück inszenieren zu können, mit demTod des Tyrannen auf offener Bühne alsHöhepunkt und einer großen Rede nachder Tat als krönendem Abschluss. Aberes sollte anders kommen.

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Als Caesar am Morgen des 15.Märzunerwartet der Senatssitzung fernblieb,ging Decimus Brutus, Mitverschwörerund langjähriger Vertrauter Caesars, zuseinem Haus und überredete ihn, trotzeiner Unpässlichkeit doch noch an derSenatssitzung teilzunehmen. Caesarahnte nichts, denn er war einsam ge-worden: Obwohl Hunderte vonMenschen, darunter auch viele seinerGünstlinge, über die Attentatspläne Bes-cheid wussten, warnte ihn niemand. Erstauf dem Weg zu der verhängnisvollenSenatssitzung steckte man ihm einekonkrete Anzeige zu. Er hatte jedochkeine Gelegenheit mehr, sie zu lesen.

Unmittelbar zu Beginn der Senats-sitzung umstellten ihn rund dreißig Ver-schwörer und stachen sofort mit

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Messern und Dolchen auf ihn ein. Caesarwehrte sich entschlossen. Die Ver-schwörer, ungeübt im Umgang mit demDolch, stachen planlos auf ihn ein, wobeisie sich auch gegenseitig verletzten. AlsCaesar schließlich sah, dass er gegen dieÜbermacht keine Chance hatte, verhüll-te er sein Gesicht und zog seine Togazurecht, um würdig zu sterben. Keinerder etwa 300 anwesenden Senatorenkam ihm zu Hilfe. Den amtierenden Kon-sul und Caesarvertrauten Marcus An-tonius hatten die Verschwörer von derSenatssitzung ferngehalten, weil siefürchteten, dass er Caesar verteidigenwürde. Nach der blutigen Tat brach imSenat Panik aus. Niemand wusste, aufwen von ihnen es die Mörder abgesehen

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hatten, und so drängten alle zu denAusgängen.

Die Verschwörer hatten ursprünglichvorgehabt, Caesars Leiche feierlichdurch die Stadt zu schleifen und in denTiber zu werfen, wie es einem Tyrannenzukam. Alle seine Handlungen, Dekreteund Erlasse sollten für nichtig erklärtwerden und die Republik sozusagen inden Zustand vor Caesar zurückversetztwerden. Aber die Verschwörer ließensich von der Panik der Senatoren an-stecken und flohen mit ihnen aus demSaal. Die große Rede zur Rechtfertigungdes Tyrannenmordes fiel aus, ebenso dieöffentliche Leichenschändung.

Der Ermordete blieb für einige Zeit al-lein in der Curia zurück, dann bargen

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drei Sklaven die Leiche und brachten siein einer Sänfte in sein Haus, wo sie fürein feierliches Staatsbegräbnisvorbereitet wurde. Von gekauften Gladi-atoren bewacht, verbrachten die Ver-schwörer eine ungemütliche Nacht aufdem Capitol. Das Volk war ihnen nichtdankbar, sondern es war entsetzt, derSenat war geflohen und Caesars Sold-aten sannen auf Rache. Jetzt machte sichbemerkbar, dass die Verschwörer nichtdarüber nachgedacht hatten, wie sienach Caesars Tod ihre Macht sichernwollten. Sie hatten seine Diktatur alsAusnahmezustand betrachtet und erwar-tet, dass die Republik nach seiner Erm-ordung quasi von selbst in ihrenNormalzustand zurückkehren werde. Siehatten es nicht einmal für nötig

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gehalten, sich über die Stimmung imVolk zu informieren oder Szenarien fürihr weiteres Vorgehen durchzuspielen.Das wäre aber geboten gewesen, dennamtierender Konsul, und damit höchsterVertreter der erneuerten Republik, warniemand anders als Marcus Antonius,Caesars engster Verbündeter.

Er machte den Senatoren am näch-sten Tag klar, dass man Caesar nichteinfach zum Tyrannen erklären konnte.Denn die damit verbundene Rücknahmealler seiner Erlasse würde unter ander-em 300 der 900 Senatoren ihre Amt-swürde kosten und die Landverteilungan Caesars Veteranen rückgängigmachen. Letzteres musste die ohnehinprekäre Situation in Rom bis zum Bür-gerkrieg eskalieren lassen. Cicero, der

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wohl nicht seinen besten Tag hatte,schlug einen Kompromiss vor, der dendrohenden Bürgerkrieg abwendete, aberden späteren Konflikt bereits vorzeich-nete: Caesar sollte nicht zum Tyrannenerklärt, aber seine Attentäter solltenbegnadigt werden. Der Senat, hin- undhergerissen zwischen Moral und Entset-zen, stimmte schließlich zu. Damit gin-gen die Verschwörer straffrei aus, wieCicero es vorgesehen hatte, aberCaesars Herrschaft war im nachhineinlegitimiert. Rechtlich gesehen waren dieVerschwörer also nicht die Helden derwiedererstandenen Republik, sondernamnestierte Verbrecher. Marcus An-tonius inszenierte ein pompöses Staats-begräbnis für Caesar und brachte damitdas Volk endgültig auf seine Seite. Die

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Häuser einiger Verschwörer gingen inFlammen auf. Die Anführer Brutus undCassius zogen es vor, Rom zu verlassen,und vermieden damit den offenenMachtkampf. Ihre Ziele waren unerr-eichbar geworden.

Die wohl berühmteste Verschwörung derWeltgeschichte scheiterte nicht etwa anden Mängeln in der Durchführung, son-dern am weitgehenden Fehlen einerrealistischen Planung für die Machtüber-nahme. Die Beteiligten hatten ihrVorhaben stattdessen als Theaterstückaufgezogen, mit dem Tod des Tyrannenals dramatischem Höhepunkt imSchlussakt.

Hatten die Verschwörer wirklich dasmoralische Recht, Caesar als Tyrannen

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zu brandmarken und zu ermorden? Imantiken Verständnis war ein Tyrann einunrechtmäßiger Alleinherrscher. Trafdas auf Caesar zu? Rein formal hatteCaesar alle seine Ehren vom Senat unddem Volk von Rom verliehen bekommen.Und zwar nicht unter Zwang, sondernfreiwillig. Mehrere von Caesars Titeln,Befugnissen und Ehrungen hatte derSenat durchaus nicht einstimmig verab-schiedet, ohne dass aber den abtrünni-gen Senatoren irgendein Leid geschehenwäre. Caesar setzte die Senatoren alsonicht ungebührlich unter Druck. Cicero,seinen rhetorisch geschicktesten Gegn-er, behandelte er sogar mit gewissemRespekt. Rein formal war Caesar de-shalb nach antikem Verständnis kein

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Tyrann, sondern ein rechtmäßiger, weilkorrekt ernannter Alleinherrscher.

De facto hatte Caesar allerdings denSenat vollkommen lahmgelegt. Er erließEdikte im Namen des Senats, dieniemals dort beschlossen worden waren.Wenn man nicht die Form, sondern dieWirklichkeit der Macht als Maßstab nim-mt, war Caesar ohne Zweifel ein Allein-herrscher von eigenen Gnaden. Allerd-ings hatten bereits andere vor ihm denSenat entmachtet, Caesar setzte die Tra-dition lediglich fort. Formal hatte Caesaralso die Regeln der Republik nicht soweit gebrochen, dass er als Tyrann gel-ten konnte, und er hatte auch keine Ge-waltherrschaft errichtet. Faktisch hatteer die Herrschaft des Senats nicht been-det, weil der Senat bereits seit

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Jahrzehnten nur noch von der Gnade derFeldherren lebte und keine echteHerrschaft mehr ausübte. Damit stehtfest: Weder formalrechtlich noch fakt-isch hatte Caesar eine Tyranneierrichtet, die einen Tyrannenmord recht-fertigen würde.

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Die Theorie der Verschwörung

Haben Verschwörungen überhaupt einenennenswerte Aussicht, die Verhältnissein ihrem Sinne zu verändern, oder sinddie Verhältnisse stets mächtiger als dieMenschen? Niccolò Machiavelli, derwohl berühmteste Theoretiker derMachtausübung, hat diesem Thema inseinem Buch Discorsi (Erörterungen) einganzes Kapitel gewidmet. »Viele Ver-schwörungen werden unternommen,aber nur wenige gelingen«, schreibt erdarin. Aber er schreibt auch: »Durch sie[die Verschwörungen] haben mehr Für-sten Leben und Herrschaft verloren als

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durch offenen Krieg; denn offenen Kriegkönnen nur wenige mit einem Fürstenführen, sich gegen ihn verschwören je-doch jeder.«

Machiavelli wusste, wovon er schrieb.Mit 23 Jahren trat er 1492 in die Staat-skanzlei seiner Heimatstadt Florenz ein.Italien war zu dieser Zeit von einemFlickenteppich aus Stadtstaaten be-deckt, die miteinander und gegenein-ander Krieg führten, Bündnisse mitFrankreich und dem Deutschen Reicheingingen und lösten, Intrigen und Ver-schwörungen gegeneinander anzetteltenund vereitelten. Es war die große Zeitder Condottieri, der Söldnerführer,meist abenteuerliche Gestalten, derenLoyalität dem Meistbietenden gehörteund die sich oft genug gegen ihre

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Arbeitgeber wandten. Machiavelli wurdeGesandter in Poimbino und Forli, späterdann in Paris. Nach verschiedenen Wir-ren wurde er 1513 fälschlichbeschuldigt, an einer Verschwörung ge-gen die Medici beteiligt zu sein. Erwurde verhaftet und gefoltert. Erst nacheiner Intervention des Kardinals Guiliode Medici ließ man ihn wieder frei.Desillusioniert zog er sich auf seinLandgut zurück und begann zuschreiben, denn eine weitere diplomat-ische Tätigkeit war ihm vorerstverschlossen.

In seinen Schriften deckt er die Mech-anismen der Macht auf, ohne zu moralis-ieren oder zu beschönigen. Er empfiehltbeispielsweise einem Fürsten, alle dieumzubringen, von denen er die Macht

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erobert hat. Denn, so schreibt er, sie sei-en durch keine freundlichen Gestenmehr zufriedenzustellen. Im sechstenKapitel des dritten Buches der Discorsibefasst er sich ausführlich mit Ver-schwörungen. Er nennt nicht nur die Kri-terien für eine erfolgreiche Ver-schwörung, sondern gibt auchRatschläge für die Zerschlagung vonKomplotten.

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Nie vergessen – diePulververschwörung

Am 4.November 1605 fand einSuchtrupp unter Führung des Friedens-richters Sir Thomas Knevett in einemKellerraum unter dem Sitzungssaal desLondoner Oberhauses eine große MengeSchießpulver, verborgen in einemHaufen Kohle und Feuerholz. Sie nah-men einen Mann fest, der das Pulver of-fenbar bewachte. Er nannte sich Johnsonund gab an, Diener von Sir ThomasPercy zu sein, dem Edelmann, der denKeller als Lagerhaus gemietet hatte. ImSitzungssaal des Oberhauses sollte am

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nächsten Tag die feierliche Parlament-seröffnung stattfinden. Traditionell nah-men daran der englische König, seineRegierung sowie die Mitglieder desOberhauses und des Unterhauses teil.Wer immer das Schießpulver im Kellerversteckt hatte, wollte offenbar miteinem Schlag den Monarchen, die Re-gierung und das Parlament beseitigen –und damit den ersten Terroranschlagder europäischen Geschichte ausführen.Es zeigte sich rasch, dass eine Ver-schwörung von fanatischen Katholikenden Anschlag vorbereitet hatte.

Wie konnte es dazu kommen?Für die Erklärung müssen wir einige

Jahrzehnte zurückgreifen.Heinrich VIII. hatte im Jahre 1532 die

anglikanische Kirche von Rom

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abgespalten. Ihn trieben nicht etwaGlaubensfragen zu diesem Schritt. Nein,er wollte sich lediglich von seiner FrauKatharina von Aragonien scheidenlassen, was nach katholischem Recht un-möglich war. Als Oberhaupt seiner ei-genen Kirche war die Scheidung jedochkein Problem mehr. Erst später nähertesich die so etablierte anglikanischeKirche der Reformation und dem Calvin-ismus. Im Jahre 1559 bestätigte Hein-richs Nachfolgerin Elisabeth I. im sogenannten Elisabethan Settlement nocheinmal die Los-lösung ihrer Kirche vonRom. Sie ernannte sich mit diesem Dok-ument zum »Supreme Governor of theChurch«. Das unter Heinrich VIII. einge-führte anglikanische Book of CommonPrayer (Allgemeines Gebetbuch) wurde

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für verbindlich erklärt. Öffentliche kath-olische Gottesdienste wurden verboten,Katholiken durften nicht katholisch heir-aten und ihre Kinder nicht katholischtaufen lassen. Bei Androhung hoherGeldstrafen waren sie verpflichtet, ang-likanische Gottesdienste zu besuchen.Ab 1563 mussten Beamte und Geistlicheeinen Eid auf die Königin als Oberhauptdes Staates und der Kirche ablegen.Eine besondere Verfolgungsbehörde, dieHigh Commission, sollte gegen heimlichoperierende katholische Priester undLaien vorgehen.

Die Katholiken stellten zu dieser Zeitbereits eine kleine Minderheit in Eng-land dar. Im Jahre 1570 exkommuniz-ierte der Papst die englische Königin El-isabeth I. Nach katholischer

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Interpretation schuldeten die englischenKatholiken ihrer Königin von da an keineUntertanentreue mehr. Damit wiederumgalten alle Katholiken Englands als po-tenzielle Verräter.

Die Regierung reagierte mit Härte:1581 erklärte das Parlament den Vollzugdes katholischen Glaubens, also denGottesdienst, zum Hochverrat gegen dieKrone. Von 600 bekannten katholischenPriestern warf man 300 ins Gefängnis,130 von ihnen wurden auf grausameWeise hingerichtet, ebenso sechzigGläubige.

Der politische Gegensatz zum kathol-ischen Spanien und der Versuch desPapstes, das katholische Irland zum Auf-stand anzustacheln, verstärkte die anti-katholischen Ressentiments breiter

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Bevölkerungsschichten noch weiter. ImJahre 1603 starb Elisabeth, und derschottische König James VI. bestieg alsJames I. den englischen Thron. DieKönigreiche waren damals nochgetrennt; James herrschte in Person-alunion über beide. Noch von Edinburghaus hatte er den Katholiken vageHoffnungen auf eine Erleichterung ihrerbedrückenden Lage gemacht. Nach sein-er Thronbesteigung wollte er davon abernichts mehr wissen, sondern bestätigteausdrücklich die Strafgesetze seinerVorgängerin Elisabeth.

Einige Katholiken sahen deshalb dieZeit für ein gewaltsames Vorgehengekommen. Am 20.Mai 1604 trafen sichRobert Catesby, Tom Wintour, JackWright, Thomas Percy und Guy Fawkes

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im Duck and Drake-Inn in London zu ein-er ersten Besprechung. Catesby war derunbestrittene Anführer, ein charismat-ischer, hochgebildeter Adeliger.Trotzdem ist er weitgehend vergessen,während der Sprengstoffexperte GuyFawkes, eher eine Randfigur, der Ver-schwörung bis zum heutigen Tag ihrenNamen gibt.

Irgendwann im Jahre 1604 müssen dieVerschwörer übereingekommen sein,dass sie ihrem Ziel am besten dienten,wenn sie zur Parlamentseröffnung imHerbst 1605 den König und das vollzäh-lig versammelte Parlament in die Luftsprengten.

Zu der langen Dauer der Verschwörung(fast 18 Monate zwischen Beschluss und

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Ausführung) schreibt Machiavelli: »Daseinzige Mittel, der Entdeckung zu entge-hen, ist es, den Mitverschwörern keineZeit zu lassen, den Komplott zu verraten,also die Zeit zwischen Beschluss undAusführung so kurz wie möglich zu hal-ten.« Gegen diese einfache Regel habendie Verschwörer um Catesby von Anfangan grob verstoßen. Trotzdem kamen siezunächst gut voran. Praktischerweisestellte sich heraus, dass man dieKellergewölbe unter dem Parlament alsLagerräume mieten konnte. ThomasPercy schloss im März 1605 einen ents-prechenden Vertrag ab. Nach und nachbrachten die Verschwörer 36 Fass Pul-ver dorthin und versteckten sie untereinem Brennholzstapel.

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Inzwischen versuchte Catesby, fürseine Verschwörung weitere Verbündeteunter den katholischen Adeligen zugewinnen. Er wollte unmittelbar nachder Explosion einen katholischen Auf-stand lostreten und Elisabeth, die kleineTochter des Königs, entführen.Angesichts der kleinen Zahl von Katho-liken in England war das allerdingsreines Wunschdenken. Dazu schreibtMachiavelli: »Vor der Entdeckung einerVerschwörung kann man sich nichtschützen, wenn die Anzahl der Mitwisserdrei oder vier übersteigt.« In der Tatbrachte die Ausweitung der Anzahl anMitwissern die Verschwörung bereits anden Rand des Scheiterns. Am 26.Oktober1605 erhielt der katholische Lord Mon-teagle einen seltsamen, schwer lesbaren

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Brief, der ihn davor warnte, an der Par-lamentseröffnung teilzunehmen. DasParlament solle einen furchtbaren Sch-lag erhalten, hieß es dort. Der Brief trugkeine Unterschrift. Lord Monteagle gabden Brief sofort an den Minister RobertCecil weiter. Aber erst in der Nacht vom4. auf den 5.November wurden dieRäume unter dem Parlament durch-sucht. Man fand dort zwar Guy Fawkes,aber keinen Sprengstoff. Erst bei derzweiten Durchsuchung stießen die Män-ner um den Friedensrichter Sir ThomasKnevett unter einem verdächtig großenHaufen Brennholz auf die 36Pulverfässer.

Fawkes, der sich als John Johnson aus-gab, wurde verhört und, als er hart-näckig schwieg, grausam gefoltert. Nach

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zwei Tagen brach er zusammen, gestanddie Verschwörung und nannte die Na-men seiner Mitverschwörer. Einige wur-den daraufhin in London ergriffen, dieÜbrigen konnten in die Midlands fliehen.In der Hoffnung, im heimatlichen War-wickshire Verbündete zu finden, ver-breiteten sie zunächst, der König sei tot.Doch ihre katholischen Freunde zeigtenkeine Neigung zum bewaffneten Auf-stand. Wenige Tage später stellte derSheriff von Worchestershire mit seinenLeuten die Flüchtenden in HolbeachHouse, dem Haus eines Unterstützers.Catesby, Percy und die Brüder Wrightstarben im Kugelhagel, vier weitere Ver-schwörer brachte man verletzt in denTower von London.

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13 Verschwörer hatten die Behördenzur Fahndung ausgeschrieben; im Januar1606 waren vier von ihnen tot, acht ge-fangen, einer, Tresham, im Tower an ein-er Krankheit gestorben. Von ihm wirdspäter noch die Rede sein. Die Regier-ung Seiner Majestät war entschlossen,die Verschwörung den Jesuiten und dam-it dem Papst anzuhängen. Catesby hattesich in der Beichte dem JesuitenpaterTesimond anvertraut, der es wiederumseinem Beichtvater, Pater Garnet,beichtete. Beide Priester hatten allesversucht, um Catesby die Tat auszure-den. Trotzdem zeigten sie Catesby nichtbei den Behörden an, da sie sich an dasBeichtgeheimnis gebunden fühlten.

Der Ankläger des Königs nutzte denProzess zu einer Philippika gegen die

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Jesuiten, denen er vorwarf, mit Kronenzu spielen und Könige zu erheben oderzu stürzen. Zur Aufklärung der wahrenHintergründe des Komplotts trug derProzess wenig bei. Das Urteil gegen dieVerschwörer stand bereits vor Prozess-beginn fest: Todesstrafe wegen Hochver-rats. Die vorgeschriebene Todesart warabschreckend grausam: Der Delinquentwurde gehängt und noch lebend vomStrick abgeschnitten. Seine Geschlecht-steile wurden abgeschnitten und vorseinen Augen verbrannt. Der Henker rissihm dann die Eingeweide heraus undschnitt ihm das Herz aus der Brust. An-schließend wurde seine Leiche zerstück-elt, der Kopf auf eine Stange gespießtzur Schau gestellt und die Überreste derLeiche den Vögeln zum Fraß überlassen.

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Am 30. und 31.Januar 1606 wurden dieUrteile vollstreckt.

Der Schauprozess gegen Pater Gar-net, den obersten Jesuiten Englands,fand erst nach dem Tod der Verschwörerstatt. Das Gericht (das keineswegs unab-hängig, sondern dem König direkt unter-stellt war) erkannte auf Hochverrat undbefahl die Hinrichtung des Angeklagten,die am 3.Mai 1606 vollstreckt wurde.

Die Weigerung der Regierung, die Vor-gänge aufzuklären, und die schnelle Hin-richtung der Verschwörer erregten denVerdacht, dass die Regierung bei derVerschwörung ihre Finger im Spielhatte. Hatte sie die Aufdeckung der Ver-schwörung bewusst dramatisch gestal-tet? Der Mitverschwörer Tresham war

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zwar angeblich im Tower gestorben,Gerüchte besagten aber, man habe ihnheimlich freigelassen, weil er inWahrheit ein Spitzel der Regierung war.Oder hatte man ihn als Mitwisser ver-giftet? Hatte Robert Cecil eventuell dieVerschwörung selbst initiiert, um dieKatholiken noch schärfer unterdrückenzu können?

Das Ansehen des Königs und seinerRegierung nahm durch die seltsameProzessführung gegen die Verschwörerdeutlichen Schaden.

Das bestätigt auch Machiavelli: »DemFürsten kann nichts Übleres als eineVerschwörung zustoßen, denn sie kostetihn entweder das Leben oder beschädigtseinen Ruf. Eine gelungene

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Verschwörung bringt ihn um. Deckt erdie Verschwörung auf und lässt die Ver-schwörer hinrichten, so glauben dieMenschen, er habe die Verschwörungnur erfunden, um seinen Gegnern zuschaden.«

Das Parlament verschärfte 1605 dieKatholikengesetze in der Folge des At-tentatsversuchs noch weiter. Katholikendurften in England keine Waffen tragen,keine akademischen Titel erwerben undhatten kein Wahlrecht. Der 5.Novemberwurde zum gesetzlichen Freudentagernannt. Bis heute wird er als Guy-Fawkes-Day mit einem Feuerwerk ge-feiert. Kinder bereiten Lumpenpuppen –Guys – vor, die am 5.November stellver-tretend für Guy Fawkes verbranntwerden.

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Während die Katholiken in Englandeine verschwindend kleine Minderheitdarstellten, bildeten sie in Irland, dasebenfalls zu England gehörte, dieMehrheit. Die Katholikengesetze trugenmaßgeblich zu den endlosen Wellen ir-ischer Aufstände bei, weil sie dieMehrheit der Iren aller Bürgerrechte be-raubten. Die wütenden Gegensätze inNordirland sind nicht zuletzt eine Folgeder jahrhundertelangen Entrechtung derKatholiken, die erst 1829 aufgehobenwurde. Bis ins zwanzigste Jahrhundert,ja bis in die Gegenwart hinein, bildetedie irrationale Ablehnung des Papismuseine Konstante des anglikanischen Selb-stverständnisses. Die Verschwörer umCatesby hätten ihrer Sache also keinenschlechteren Dienst erweisen können.

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Eine historische Fußnote: Das Pulverwar nicht mehr zündfähig, als man esfand. Es hatte sich durch die langeLagerung bereits entmischt.

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Die Illuminaten oder dasunsichtbare Böse

Die Geschichte der Illuminaten beginnt1776 mit der Gründung des so genan-nten Illuminatenordens im deutschen In-golstadt. Er war als Geheimgesellschaftkonzipiert, hatte zunächst beträchtlichenErfolg, begann aber nach inneren Quere-len zu zerfallen, noch bevor die bay-erische Landesregierung ihn 1785 ver-bot. Ihr Gründer war der Professor fürKirchenrecht Adam Weishaupt. Er wurde1748 in Ingolstadt geboren und dort aneinem Jesuitengymnasium ausgebildet.Das war zur damaligen Zeit nicht

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ungewöhnlich, denn die Jesuiten führteneinen beträchtlichen Teil der höherenSchulen in Europa. Aus dieser Zeit be-hielt Weishaupt eine starke Abneigunggegen die Inhalte der jesuitischen Ausb-ildung, aber eine Bewunderung für dieeffektive Organisation des Jesuitenor-dens. Mit 15 Jahren begann er ein Studi-um der Philosophie, der Geschichte, derStaatswissenschaft und der Rechte. 1772wurde er in Ingolstadt zum außerordent-lichen und 1774, mit 25 Jahren, zum or-dentlicher Professor des Natur- undKirchenrechts ernannt. Die Professurwar lange Zeit in den Händen der Kirchegewesen, und Weishaupt musste sichvon Anfang an gegen die Anfeindungenkatholischer Kleriker wehren. Er selbstwar, wie viele Akademiker damals, ein

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Anhänger der Aufklärung. DieAufklärung umfasst verschiedenegeistige und kulturelle Strömungen; al-len gemeinsam war die Kritik am abso-luten Wahrheitsanspruch der Religionund an der absoluten Monarchie.Rousseau, Locke und andere Philo-sophen der Aufklärung stellten die Legit-imität der absoluten Herrscher in Frage:Sie bestanden darauf, dass dieMenschen freie Verträge schließen dür-fen, und Herrscher sich nicht auf dieEinsetzung durch göttliche Gnadeberufen können. Ihre Herrschaft bedarfvielmehr eines Vertrages mit den Unter-tanen, sonst ist sie nicht rechtens. DieAufklärer betonen ferner die Rechte desEinzelnen gegenüber dem Staat undfordern eine Teilung der Staatsgewalt.

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Der freiheitliche, autonome Gebrauchder Vernunft sollte es möglich machen,ein menschenwürdiges und glücklichesDasein zu erreichen. Allerdings bedurftees der Anleitung durch entsprechend ge-bildete Menschen, ohne die diese neueGesellschaft nicht zu verwirklichen war.

Im Sinne dieser Lehren gründeteWeishaupt im Jahre 1776 einen Stu-dentenorden, die Perfectibilisten, umaufklärerische Ideen zu verbreiten. Stu-dentenorden waren damals weit ver-breitet, sie entsprachen demaufklärerischen Geist der Zeit. VielenUniversitäten gefiel das nicht; sie ver-boten die Orden, die daraufhin im Gehei-men weiterbestanden. WeishauptsOrden hatte große Pläne. Weishaupt (Or-densname: Spartacus) schrieb:

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»[Aufgabe des Ordens war,] selbstden-kende Menschen aus allen Weltteilen,von allen Ständen und Religionen, un-beschadet ihrer Denkfreiheit, trotz allerso verschiedenen Meinungen undLeidenschaften, durch ein gegebeneshöheres Interesse in ein einziges Bandzu vereinen …; eine solche Gesellschaftist das Meisterstück der menschlichenVernunft, in ihr und durch sie hat die Re-gierungskunst ihre höchste Vollkommen-heit erreicht.«

Weishaupt schwebte ein hierarchis-cher Orden vor. Minervale (dieNeulinge) sollten von den höherenKlassen ausgebildet werden, dann auf-steigen und selbst neue Minervalen aus-bilden. Ein striktes Kontroll-, Berichts-und Überwachungssystem kontrollierte

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den Werdegang der Ordensmitglieder.Die Gesellschaft nannte sich bald nichtmehr »Perfectibilisten«, sondern »Illu-minaten« und sammelte fleißig neue Mit-glieder. Weishaupt wurde 1777 Mitgliedder Freimaurer und begann auch dortMitglieder zu rekrutieren. DieFreimaurer waren eine Geheimgesell-schaft in dem Sinne, dass sie geheimeRiten kannten und sich zum Stillschwei-gen über Interna der Gesellschaft verpf-lichtet hatten. Die Existenz derFreimaurerlogen als solche wardurchaus bekannt. Die Illuminatenhingegen verbargen bereits ihre bloßeExistenz vor der Außenwelt. WeishauptsIdeen erwiesen sich zunächst als wenigerfolgreich: Bereits im Jahre 1779 standdie Gesellschaft kurz vor dem Zerfall.

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Viele der neu Angeworbenen konntenmit Weishaupts aufklärerischem Eifernicht mithalten und betrieben die Ausb-ildung, die sie zu den höheren Weihenbefähigen sollte, nicht sehr nachdrück-lich. So litt der Orden bald unterAuszehrung.

Ende 1779 traf der Marquis von Con-stanzo in Frankfurt den 27-jährigenFreiherrn von Knigge und überzeugteihn im Januar 1780, dem Orden beizutre-ten. Der Freiherr von Knigge war einMann wie aus einem historischen Ro-man: ein Lebenskünstler mit wenig Geld,aber bezwingendem Charme, geis-treichem Witz und perfekten Umgangs-formen. Mit seinem Buch Über denUmgang mit Menschen ging er als Syn-onym für gutes Benehmen in die

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Geschichte ein. Knigge gelang es mitseiner ansteckenden Begeisterung, einegroße Anzahl (nach seinen Angabenmehr als 500) neue Minervalen zu wer-ben, darunter hochrangige und ein-flussreiche Männer. Er (und andere)forderte jetzt, auch die höheren Klassenkennen zu lernen. Nur: es gab nochkeine höheren Klassen. Weishaupt warvon Knigges Erfolg völlig überraschtworden, seine Ordensklassen existiertennur als Entwurf. Im November 1781 re-iste Knigge nach München. Es gelangihm, den zerstrittenen Orden wieder zueinen, nicht zuletzt durch seinen persön-lichen Charme.

Der Areopag (das Leitungsgremiumunter Weishaupt) beauftragte ihn, dasSystem der höheren Grade

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auszuarbeiten. Dazu gaben sie Kniggedie Materialien von Weishaupt als Vor-lage. Knigge fügte einiges anfreimaurerischer Symbolik hinzu. DieFreimaurer hatten damals in Deutsch-land etwa 27 000 Mitglieder, und die Il-luminaten planten ausdrücklich, in ihreLogen einzudringen und sie zu überneh-men. Die jesuitische Struktur des Ordensmit dem strikten Gebot des Gehorsamsgegenüber den Oberen und letztlich demOrdensgeneral Weishaupt blieb dabeiunangetastet und führte zu ständigemleisen Rumoren im Orden.

Knigge und von Ditfurth nahmen alsGesandte der Illuminaten am Wilhelms-badener Freimaurerkonvent von 1782teil und warben dort eine ganze Reihevon neuen Mitgliedern, etwa den

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Schriftsteller Johann Joachim ChristophBode, Herzog Ferdinand von Braunsch-weig und Prinz Karl von Hessen Kassel.Bode wiederum warb Herzog Ernst vonSachsen Gotha für den Orden. Von Dit-furth gelang es in Wetzlar, Mitgliederdes Reichskammergerichts zum Eintrittin den Orden zu bewegen. DasReichskammergericht entsprach inseinem Rang etwa dem heutigenBundesverfassungsgericht.

Der Illuminatenorden hatte in denJahren 1782/1783 den Höhepunkt seinerMitgliederzahl und seines Einflusses er-reicht. Der Orden gliederte sich damalsin drei Klassen mit zwei bis drei Unter-klassen. Sie hatten folgende Namen:

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A. Pflanzschule oderVorbereitungsklasse

1. Novize2. Minerval3. Kleiner Illuminat

B. . Maurerklasse1. Lehrling – Geselle – Meister2. Illuminatus maior (Schot-

tischer Novize)3. Illuminatus dirigens (Schot-

tischer Ritter)

C. . Mysterienklasse1. Kleine Mysterien: a) Priester,

b) Regent2. Große Mysterien: a) Magus, b)

Rex

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Von den unteren Klassen wurde un-bedingter Gehorsam erwartet, ständigeBerichte über das eigene Fortkommenund über andere Ordensmitglieder. Esgab geheime Erkennungszeichen, Kenn-worte, Ordensnamen und sogar eine ei-gene Zeitrechnung. Die unteren Klassenkannten weder das System des Ordensnoch die wirklichen Namen der Oberen.Die Novizen hatten eine umfangreicheLektüre philosophischer Schriften zuleisten und darüber zu berichten. Wersich würdig erwies, konnte in der Hier-archie aufsteigen und in jeder Stufemehr über Methoden und Ziele des Or-dens erfahren. Er hatte aber stets dieExistenz des Ordens geheim zu halten.

Weishaupt schrieb dazu: »Der Ordenhat ein doppeltes Geheimnis zu

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beobachten; ein äußeres, wodurch denProfanen nicht nur unser Zweck, Opera-tionen und Personale, sondern auch sog-ar unser Daseyn unbekannt bleiben soll… ein inneres, wodurch einem jeden Mit-gliede gerade soviel von Ordenssachenund Personen eröffnet wird, als der Gradseiner Zuverlässigkeit, die Ausdehnungseines Wirkungskreises, die Erhaltungseines Zutrauens und Eifers fordert.«

Weishaupt wollte die Mitglieder desOrdens im Sinne der Aufklärungerziehen. Weil Erziehung nach seinerAuffassung ein strenges Regimentvoraussetzte, geschah das mit einer denJesuiten nachempfundenen Organisa-tion. Mit jeder Stufe sollten die Mit-glieder von ihren Oberen näher an dasLicht der aufklärerischen Vernunft

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herangeführt werden. In zahlreichenSchriften entwarf Weishaupt eine wirreSynthese verschiedener aufklärerischerSysteme mit einem eigenwillig inter-pretierten Christentum.

In einem Zeitalter, das die Legitima-tion der Fürstenherrschaft erstmals krit-isch hinterfragte und die Vernunft alswesentliches Merkmal der Philosophieentdeckte, übte der Illuminatenorden aufdie gebildeten Mitglieder vonUniversitäten, Verwaltungen und Institu-tionen eine enorme Anziehungskraft aus.Der Orden hatte in seiner kurzenBlütezeit mindestens 1200 Mitglieder.Weishaupt träumte von einer sittlich,philosophisch und moralisch ausgebilde-ten, in strenger Disziplin erzogenen El-ite, die zum Besten der Menschen eine

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legitime Herrschaft ausüben sollte. Vonder Demokratie hielt er nichts. »Siegtdas Volk, so steht ein Zustand bevor, dernun ärger als aller Despotismus, und derAufklärung noch viel gefährlicher ist:Wir laufen Gefahr, in einen anarchischenZustand zu verfallen.« Es lag Weishauptfern, eine persönliche Despotie aus-zuüben, also seinerseits über seine zumGehorsam verpflichteten Ordensmit-glieder eine Art internationale Geheim-regierung aufzubauen. Bei Lichte be-trachtet wäre das auch gar nicht mög-lich gewesen: Die Ordensmitglieder hät-ten jederzeit austreten können, Sank-tionsmöglichkeiten hatte Weishauptnicht.

Der Illuminatenorden kam allerdingsnicht mehr dazu, seine Ziele zu

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verwirklichen: Weishaupt zerstritt sichmit Knigge über die Frage der Ordensor-ganisation und Knigge verließ den Orden1783. Er war mit der hierarchischenFührung nach jesuitischem Vorbild nichtmehr einverstanden, aber seine Reform-vorschläge fanden bei Weishaupt keinGehör. Auch andere Mitglieder verließenden Orden. Einige davon erhoben in derFolge öffentlich Vorwürfe gegen die Illu-minaten. Der Münchner HofkammerratUtzschneider beispielsweise bezichtigtedie Illuminaten, geheime Dokumente desbayerischen Hofes gestohlen zu habenund sich aktiv in die Außenpolitik Bay-erns einzumischen. Das konnte sichKurfürst Karl Theodor unmöglich ge-fallen lassen: Am 22.Juni 1784 verbot eralle geheimen Verbrüderungen, ohne sie

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jedoch ausdrücklich beim Namen zunennen. Am 2.März 1785 schob er einausdrückliches Verbot der Illuminatenund Freimaurer nach. Bereits am11.Februar hatte Weishaupt aus ander-em Grund seine Professorenstelleverloren.

In Bayern begann eine regelrechte Il-luminatenhatz mit Hausdurchsuchun-gen, Verhaftungen und Landesverweis-en. Die anderen deutschen und europäis-chen Länder hingegen ergriffen keineMaßnahmen gegen die Illuminaten, ob-wohl die bayerische Regierung allen Re-gierungen »belastendes« Materialzuschickte, das sie sichergestellt hatteund später veröffentlichen ließ.Weishaupt, dem die Verhaftung drohte,floh nach Regensburg und im Herbst

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1787 weiter nach Gotha. Dort lebte erbis zu seinem Tod am 18.November1830. Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha war selbst Illuminat gewesen undgab seinem ehemaligen Ordensgeneraleine Stelle als Hofrat auf Lebenszeit. EinVersuch von Knigge, Bode und HerzogErnst II., den Orden weiterzuführen undin andere europäische Länder zu expor-tieren, blieb erfolglos. Offiziell galt derOrden ab 1785 als erloschen, seit 1787war er auch faktisch am Ende. EinigeReste scheinen noch bis nach 1790 ex-istiert zu haben.

Den absolutistisch eingestellten Mon-archen der damaligen Zeit musste eineüberstaatliche, geheime Gesellschaft zurVerbreitung aufklärerischer Ideen alsBedrohung erscheinen. Wer im

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Geheimen versuchte, möglichst vieleFunktionsträger der Höfe und desReiches im Sinne der Aufklärung zuerziehen, stellte die Legitimität absolut-istischer Monarchen unmittelbar inFrage. Zwar sahen sich nicht alleHerrscher davon bedroht: Einige warenaufklärerischen Ideen gegenüberdurchaus aufgeschlossen, wie das Beis-piel Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha zeigt, der selbst Mitglied im Illu-minatenorden wurde. Der erzkatholischebayerische Kurfürst und seine Berateraber hielten nichts von aufklärerischenIdeen, so dass es nur eine Frage der Zeitwar, wann sie auf den Illuminatenordenaufmerksam werden würden. Dabeihatte Weishaupt keineswegs vor, dieFürsten zu stürzen oder umzubringen.

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Er ging vielmehr davon aus, dass dieFürstenherrschaft durch den gesell-schaftlichen Fortschritt und die moralis-che Reifung der Menschen überflüssigwerden würde und von selbst zerfallenmüsse, weil sittlich und moralisch aus-reichend gebildete Menschen keinerFürstenherrschaft mehr bedürfen undsie auch nicht dulden würden. Seine Ge-heimgesellschaft sollte helfen, diesenUmbruch friedlich zu gestalten. SeineGegner sahen das natürlich sehr viel ein-facher: Weishaupts Geheimgesellschaft,so argumentierten sie, wolle die Höfeunterwandern und die Fürsten vomThron stoßen, um selbst im Namen derAufklärung die Weltherrschaft zuübernehmen.

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Bis heute müssen die Illuminaten als dä-monische Gegner von Tradition und Reli-gion herhalten. Noch im Jahre 1991machte der US-amerikanischeFernsehprediger Pat Robertson inseinem einflussreichen Buch New WorldOrder die Illuminaten für allerlei finstereMachenschaften verantwortlich. PatRobertson hat in den USA eine beträcht-liche Anhängerschaft und versuchte1988 vergeblich, Präsidentschaftskandid-at der republikanischen Partei zu wer-den. Der englische Schriftsteller DavidIcke glaubt sogar, dass die Illuminateninsgeheim die Welt beherrschen undfürchterliche Untaten verüben. Ickessonstige Ansichten (außerdimensionaleReptilienmenschen beherrschen dieWelt, jüdische Bankiers plündern die

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Welt aus, er selbst sei ein Sohn desdreieinigen Gottes) trugen ihm allerd-ings eher den Ruf ein, geisteskrank zusein. Seine schriftstellerischenFähigkeiten sind deutlich besser als dieder meisten anderen Verschwörungsthe-oretiker, und so haben seine abstrusenThesen besonders unter Rechtsex-tremisten in aller Welt beträchtlichenEinfluss.

In Deutschland verbreitet der Autor JanUdo Holey unter dem Pseudonym Janvan Helsing die These, die Illuminaten,eine zionistisch-freimaurerische Elite,bildeten eine geheime Weltregierung.Dabei verweist der Autor unter anderemauf die Protokolle der Weisen von Zion,

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eine üble antisemitische Fälschung ausder Zeit um 1900 (siehe Kapitel 9).

Wie kommen die Illuminaten zu solchenposthumen »Ehren«? Dazu sollte manbedenken, dass das ausgehende18. Jahrhundert eine Zeit des radikalenUmbruchs war. Die Philosophen derAufklärung stellten das überkommenechristliche Weltbild in Frage und bestrit-ten die göttliche Legitimation weltlicherMonarchen. Die neugegründeten Verein-igten Staaten von Amerika übernahmenaufklärerisches Gedankengut in ihre Un-abhängigkeitserklärung und organisier-ten sich als Republik und parlamentar-ische Demokratie. Die Französische Re-volution vernichtete die Monarchie undden Adel eines der mächtigsten Staaten

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Europas. Vor diesem Hintergrundgediehen Verschwörungstheorien dam-als ebenso prächtig wie heute.

Für die deutschen Konservativenbedeutete der Illuminaten-skandal eineGelegenheit, die verhassten Aufklärerendlich einmal festzunageln. Sie hattenFreimaurer und Liberale schon lange imVerdacht, staatliche Autorität unterg-raben zu wollen, und das radikal-aufklärerische Programm der Illumin-aten lieferte ihnen endlich einen konkre-ten Ansatzpunkt.

Das erklärte Vorhaben der Illumin-aten, zur Durchsetzung aufklärerischerZiele heimlich Männer in hohen Position-en zu rekrutieren, machte sie natürlichzum Ziel von Verdächtigungen, und zwarnach ihrer Aufhebung noch mehr als

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vorher. Antiaufklärerische Schriftstellerwie der Gießener RegierungsdirektorLudwig Adolf Christian von Grolman tru-gen in besonderem Maße dazu bei, denOrden nachträglich zu dämonisieren.Der französische Ex-Jesuit Abbé Barruelunterstellte (u.a. mit Bezug auf Grol-manns Schriften) den Illuminaten inseinem vierbändigen langatmigen WerkMémoirs pour servir à l’histoire du Ja-cobinisme von 1797/98, sie seien zusam-men mit den Freimaurern und den Philo-sophen der Aufklärung für die Französis-che Revolution verantwortlich. Mehrnoch: Barruel behauptete, diese Grup-pen seien nur Teil einer uralten Ver-schwörung, die sich nicht nur gegen diekatholische Kirche und den französis-chen König richtete, sondern gegen

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Religion, Regierung und Privatbesitzüberhaupt. Er traf den Nerv seiner Zeit:Das monumentale Werk verkaufte sichausgezeichnet und erschien bis 1812 in10 europäischen Sprachen, darunterDeutsch, Englisch, Russisch und Italien-isch. Es beeinflusste weitere ver-schwörungstheoretische Werke bis weitins 20. Jahrhundert hinein.

Der angesehene schottische Philo-sophieprofessor John Robison schriebzur etwa gleichen Zeit (1797) ein Buchmit dem pompösen Titel Proofs of a Con-spiracy Against All Religions andGovernments of Europe carried on in theSecret. Darin brandmarkte er die Illu-minaten als eine Perversion derFreimaurerei und unterstellte ihnenebenfalls eine Reihe von finsteren

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Absichten und Taten. Auch dieses Bucherlebte zahlreiche Auflagen und dientenglischen und amerikanischen Autorenbis heute als Vorlage für ihre Ver-schwörungstheorien. Es ist sowohl inEnglisch als auch in Deutsch immer nochlieferbar.

Beide Autoren gingen mit Zahlen, Datenund Fakten recht großzügig um, wasaber der Verbreitung ihrer Bücher kein-en Abbruch tat. So sahen sie beispiels-weise darüber hinweg, dass die Illumin-aten Deutsche waren und keine Fran-zosen zu ihren Mitgliedern zählten. Daslässt an ihrer Verantwortung für dieFranzösische Revolution doch ernsteZweifel aufkommen.

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Während Abbé Barruel aus kathol-ischer Sicht schrieb, verurteilte Robisondie Illuminaten aus der Perspektive desProtestanten. Damit bereiteten sie denWeg für Verschwörungstheorien ausbeiden christlichen Lagern. Das Buchvon Robison fand sehr schnell seinenWeg in die USA. Dort sahen die Kirchennach der Unabhängigkeit von 1776 ihrenEinfluss schwinden. Die in der Verfas-sung der Vereinigten Staaten verordneteTrennung von Kirche und Staat machteihnen schwer zu schaffen. In Neu-Eng-land mussten Prediger wie der wortge-waltige Jedidiah Morse ihr Eingreifen indie Politik immer häufiger rechtfertigen.Für Morse war Robisons Buch deshalbein Glücksfall: Es verschaffte ihm einenausgezeichneten Vorwand für weitere

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politische Betätigung. Und so begann er1798 gegen die Illuminaten (Morse nan-nte sie »Illuminated«) zu wettern, jenegottlosen Verschwörer, die er in allerHeimlichkeit gegen »Throne und Altäre«weltweit zu Felde ziehen sah. Im Jahre1799 behauptete er sogar, er verfügeüber eine Liste mit Namen, Alter undGeburtsdaten von 100 Illuminaten, dieder freimaurerische Grand Orient vonFrankreich in Virginia angesiedelt habe.Es seien Franzosen aus Frankreich oderSt. Domingo, so führte er weiter aus.

Offenbar wusste er nicht, dass die Illu-minaten Deutsche waren. Wegen desVerdachts, sie hätten die FranzösischeRevolution angezettelt, nahm er einfachan, sie seien Franzosen. Diese kleinen Ir-rtümer schmälerten aber nicht die

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Wirkung seiner Predigten: Sie löstenzusammen mit den Büchern von Barruelund Robison in den USA eineregelrechte Illuminaten-Hysterie aus. Sieebbte bald wieder ab, weil bei nüchtern-er Betrachtung keine Spuren von ir-gendwelchen Illuminaten in den USAfestzustellen waren.

Trotzdem haben die Illuminaten unterdem lateinisch klingenden Namen Illu-minati bis heute in Amerika als wohlfeileSchreckgespenster herhalten müssen. Inden Schriften der Verschwörungstheor-etiker verloren sie mit zunehmendemAbstand von den wirklichen Ereignissenimmer mehr den Status einer realen Ge-heimgesellschaft. Stattdessen nahmensie einen geradezu dämonischen Charak-ter an und wurden schließlich zum

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Fluchtpunkt aller Ängste vor dem Bösenhinter der Welt.

Alle drei hier vorgestellten Ver-schwörungen scheiterten letztlich anihren eigenen Fehlern. Den republikanis-chen Verschwörern um Brutus gelang eszwar, Caesar zu ermorden, aber die Re-publik konnten sie nicht retten. Die kath-olischen Verschwörer gegen die Eng-lische Krone hätten vielleicht den Königund einen Teil der Parlamentarier um-bringen können, aber gegen den Katho-likenhass des Volkes wären sie am Endemachtlos gewesen. Hätte ihr AnschlagErfolg gehabt, wären die Katholiken inEngland wahrscheinlich noch grausamerunterdrückt worden. Die Illuminatenschließlich wollten die Fürstenhöfe mit

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Aufklärern unterwandern – und brachenunter der Last ihrer schnellen Expansionbereits nach wenigen Jahren zusammen.Sie hatten den Trend der Zeit erkanntund die richtige Richtung eingeschlagen.Aber die Idee, die Freiheit des Einzelnenmit den Mitteln der Geheimgesellschaftdurchzusetzen, belastete den Illumin-atenorden von Anfang an mit einem un-auflöslichen Widerspruch. Echte Ver-schwörungen, selbst solche, dieGeschichte schreiben, unterliegen ebenallen menschlichen Schwächen. Wieschrieb doch der kühl kalkulierende Ma-chiavelli: »Viele

Verschwörungen werden unternom-men, aber nur wenige gelingen.«

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2: Die Systematik desVerschwörungsdenkensVerschwörungsglauben, Ver-schwörungslegenden,Verschwörungstheorien

Das letzte Kapitel hat drei historischeVerschwörungen vorgestellt, ihre Sch-wachstellen aufgezeigt und ihr Scheiternanalysiert. Jede dieser Verschwörungenhat einen einzigartigen Verlauf genom-men, und doch lassen sich einige allge-mein gültige Regeln ableiten, wie Ma-chiavelli bereits vor mehr als 500 Jahrengezeigt hat. Wie steht es aber mit Ver-schwörungen, die erdacht sind? DieGedanken der Menschen sind

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unabhängig von den Gesetzen der Naturund dem Walten des Zufalls. Man kannWesenheiten hinzudenken, die niemandje gesehen hat: Außerirdische, Nat-urgeister, Götter. Damit sind diese er-dachten Verschwörungen untereinandernoch weniger ähnlich als die wirklichenVerschwörungen. Trotzdem lassen sichauch für sie Gesetzmäßigkeiten ableiten.Dazu stelle ich zunächst eine der äl-testen, einflussreichsten und zugleichschlimmsten erfundenen Ver-schwörungen vor: die Ritualmordvor-würfe gegen die Juden.

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Die unheilige Legende desThomas von Monmouth

Die Anklage lautete auf Mord, vorgeb-racht von der jüdischen Gemeinde zuNorwich vor König Stefan von England.Wir schreiben das Jahr 1149. Nach demdamals geltenden traditionellen Rechtverfolgte der Staat keine Kapitalver-brechen, soweit sie nur Privatleute be-trafen. Die Sippe des Geschädigten hattedie Klage vor ihren Landesherren zubringen, und die jüdische Gemeinde zuNorwich unterstand unmittelbar demKönig, wie alle jüdischen Gemeinden inEngland. Sie klagten gegen den Ritter

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Simon von Novers, Lehnsmann des Bis-chofs William Turbe von Norwich. SeineKnappen hatten den angesehenen JudenEleazar erschlagen, dem der Ritter vielGeld schuldete. An der Tat selbst best-anden kaum Zweifel, und die Judenforderten Genugtuung.

Im Prozess übernahm der Bischof dieVerteidigung des Ritters. Was er vor-brachte, ließ die Ankläger ob seiner Un-verschämtheit erblassen. Er stritt die Tatrundweg ab und beschuldigte seinerseitsden hoch angesehenen Eleazar, denChristenjungen Willelm ermordet zuhaben, dessen Tod fünf Jahre zuvor un-geklärt zu den Akten gelegt worden war.Er habe den Jungen mit anderen Judenzusammen in einem geheimen Ritus ausHass und zum Hohn der Christenheit

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gemartert und ermordet, behauptete derBischof weiter. Weil der König die Vor-würfe an Ort und Stelle nicht klären kon-nte, vertagte er die Entscheidung überdie beiden Mordvorwürfe bis zum näch-sten Hoftag in London.

Bei den jüdischen Gelehrten und Ge-meindevorstehern in England begann dieAngst umzugehen. Sie erwarteten Über-griffe in ganz England, sollte der Bischofden Vorwurf des Ritualmordes in Londonöffentlich wiederholen. Gegen eine hoheGeldzahlung wollten sie das Verfahreneinstellen lassen, aber der Bischof best-and darauf, es weiterzuführen. DerKönig ließ den Termin daraufhin ein wei-teres Mal vertagen. Weiteres verratendie Quellen nicht, der Prozess wird alsoim Sande verlaufen sein, denn von einem

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Verfahren vor dem Hofgericht in Londonist nichts verzeichnet.

Welchen Mord versuchte der Bischofüberhaupt den Juden anzuhängen, undwarum war er sich seines Erfolges sosicher? Am Karfreitag des Jahres 1144wird der Kürschnerlehrling Willelm ineinem Wald bei Norwich tot aufgefun-den. Seine Mutter verbreitet in derStadt, nur die Juden könnten dafür ver-antwortlich sein. Der Grund dafür bleibtunklar. Der Chronist spricht von einem»Traumgesicht«, einem Wahrtraum,welcher der Mutter die Schuld der Judenoffenbart habe. Der Priester Godwin,Onkel des Jungen, klagt die Judenwenige Tage später auf der Diözesansyn-ode vor Bischof Eborard des Mordes anund verlangt eine Schuldprobe durch

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Gottesurteil. Der Bischof erklärt dieSchuld der Juden für nicht erwiesen undlässt sie vorladen. Doch damit übers-chreitet er seine Kompetenz: Alle jüdis-chen Gemeinden Englands stehen unterdem unmittelbaren Schutz und derGerichtsbarkeit des Königs. Der Sheriffals Vertreter des Königs rät deshalb denJuden, der Vorladung nicht Folge zuleisten. Der Streit zwischen Bischof undSheriff spitzt sich zu: Eborard lässt dieVorladung dreimal überbringen und dro-ht mit einer peremptoria sententia, einerVerurteilung ohne Anhörung der Betrof-fenen. Inzwischen kocht der Volkszornhoch, und der Sheriff nimmt die Juden insein befestigtes Kastell auf, bis ein ei-gens angefordertes Edikt des Königsihre Sicherheit garantiert.

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Letztlich blieb der Mord ungeklärt. FünfJahre später, als die Juden der GemeindeNorwich den Ritter Simon anklagten,war die ganze Angelegenheit bereitsweitgehend vergessen. Das erklärt dieBestürzung der Juden, als EborardsNachfolger William Turbe die Anklagewieder aufnahm, um den Ritter Simon zuentlasten. Der einzige Chronist desMordes und der folgenden Ereignisse,der Benediktinermönch Thomas vonMonmouth, kannte die Geschichte nurvom Hörensagen, und er war keineswegsunparteiisch. In seiner Chronik De Vitaet Passione Sancti Willelmi martyris Nor-wicensis, über Leben und Leiden desheiligen Märtyrers Willelm von Norwich,lässt er keinen rhetorischen Trick aus,

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um den Juden den Mord un-terzuschieben. Sein wahrscheinlichesMotiv: Der ermordete Junge sollte zueinem Heiligen gemacht werden. Dazumusste er um seines Glaubens willen einMartyrium, also einen qualvollen Tod,erlitten haben.

Eine Kirchengemeinde profitiertegleich in zweifacher Hinsicht von einemeigenen Ortsheiligen: Zum einen gewannsie an Ansehen und zum anderen konntesie eventuell Pilger anziehen, die aufWunder am Grab des Heiligen hofften.Die Pilger hinterließen Geld in denSchenken der Stadt und mussten natür-lich für die Kirchengemeinde des Heili-gen großzügig spenden. Ein Ortsheiligerwar im Mittelalter so etwas wie ein Geni-us Loci, ein an den Ort gebundener

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Geist, der seine Interessen und die sein-er Anhänger durchzusetzen wusste, mi-tunter auf rabiate Weise. So soll Wil-lelms Geist den Konventualen Richardvon Lynne erst geohrfeigt und dann zuTode gebracht haben, weil dieser ihmeine Kerzenspende verweigert habe.Wer hingegen eifrig zu ihm betete undnicht mit Geld oder Sachspenden geizte,durfte auf Erhörung seiner Gebete oderHeilung seiner Krankheiten hoffen.

Thomas von Monmouth kam erst nachWillelms Tod nach Norwich und war ab1150 damit betraut, den Heiligenkult inGang zu bringen. Thomas muss ein un-gewöhnlich gelehrter Mann gewesensein, denn er schrieb ein elegantesLatein und argumentierte gekonnt. Auf-grund der dünnen Beweislage blieb ihm

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nichts anderes übrig, als Gerüchte, Be-hauptungen, Träume und Vermutungenzu einer abenteuerlichen Verschwörung-stheorie zusammenzurühren. In seinerChronik finden wir zum ersten Mal dieschriftliche Niederlegung der unseligenund frei erfundenen Behauptung, dassJuden in einem religiösen Ritual Christenmartern und ermorden. Aus Rache fürihre Verbannung und zum Schimpf desChristentums, so behauptete er, opfer-ten die Juden jedes Jahr einen Christen.Thomas will das von dem Mönch Theo-bald von Canterbury erfahren haben,einem zum Christentum konvertiertenJuden. Jedes Jahr, so soll Theobald ihmberichtet haben, losten die Juden in Nar-bonne aus, welche Gemeinde ein Blutop-fer zu bringen habe. Im Jahre 1144 sei

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die Reihe an Norwich gewesen. DemKult um Willelm half die bemüht klin-gende Beweisführung nur für kurze Zeit:In den fünfziger und sechziger Jahrendes zwölften Jahrhunderts pilgerten ver-gleichsweise viele Menschen in derHoffnung auf Hilfe oder auf Wunder zuseinem Grab. Der Bischof machte ihnzum Schutzheiligen des Bistums. Dannaber ließ die Heiligenverehrung nachund war wenige Jahrzehnte später fasterloschen. Hinzu kam, dass alle Päpstedieser Zeit die Ritualmord-Beschuldigun-gen gegen die Juden ausdrücklichzurückwiesen. In Willelms Fall verwei-gerte der Papst die Heiligsprechung.Trotzdem hat Thomas von Monmouthmit seiner Chronik eine der fürchterlich-sten und langlebigsten falschen

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Beschuldigungen in die Welt gesetzt, diein Europa gegen die Juden erhoben wur-den: Die Legende vom Ritualmord. DerBeschuldigung in Norwich folgten ähn-liche Fälle in Pontoise (1163), inGloucester (1168) und im französischenBlois (1171), wo Graf Theobald von Blois32 Juden wegen des Ritualmordvorwurfsverbrennen ließ. Er hatte für einen Fre-ispruch unverschämt viel Geld gefordert,das Angebot der jüdischen Gemeindewar ihm zu niedrig. Ende des zwölftenJahrhunderts kam es in mehreren eng-lischen Städten, darunter Lynn, Lincoln,Stanford, Norwich, Colchester und York,zu Judenmassakern. Auch wenn sie nichtin unmittelbarem Zusammenhang mitdem Ritualmordvorwurf standen, so

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dürfte diese Beschuldigung doch denWeg dazu geebnet haben.

Auch in Deutschland führten Ritualmord-beschuldigungen zu Massakern an derjüdischen Bevölkerung. Am ersten Weih-nachtstag 1235 starben bei Fulda diefünf Söhne eines Müllers, als ihre Mühleabbrannte. Zwei Juden sollen unter Fol-ter gestanden haben, die Jungen für einBlutritual umgebracht zu haben. Darauf-hin massakrierten »Kreuznehmer« am28.Dezember die gesamte jüdische Ge-meinde der Stadt Fulda. 32 Menschen,vorwiegend Frauen und Kinder, fielendieser Raserei zum Opfer. AlsKreuznehmer bezeichneten die Schriftendieser Zeit Kreuzfahrer auf dem Weg insheilige Land, aber auch solche Männer,

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die sich bereit gefunden hatten, einenKreuzzug zu unterstützen. Es könntesich also um durchreisende Kreuzfahreroder um Einwohner der Stadt gehandelthaben, die einen Kreuzzug finanzierenwollten. Es war nicht das einzige Mal,dass Kreuzfahrer schon am Beginn ihresWegs eine blutige Spur zogen.

Auch in den folgenden Jahrhundertenführte der Ritualmordvorwurf in ganzEuropa immer wieder zu Juden-Pogro-men. Noch im neunzehnten und zwanzig-sten Jahrhundert wurden Juden des Ritu-almordes angeklagt und erst nachJahren freigesprochen: 1911 wurde derJude Mendel Beilis des Ritualmordes aneinem Jungen namens Andriuscha Just-schinsky angeklagt und zwei Jahre lang

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unter unmenschlichen Bedingungen imGefängnis festgehalten, bevor die – aus-schließlich christlichen – Geschworenenihn endlich freisprachen. In Kielce inPolen starben 1946 bei einem Pogrom 42Juden, als dort das Gerücht entstand,Juden hätten ein verschwundenes Kindermordet. Nationalsozialistische Het-zblätter nahmen den vielfach wider-legten Ritualmordvorwurf in den dreißi-ger Jahren des zwanzigsten Jahrhun-derts wieder auf, um den Boden für dieAusrottung der Juden in Europa zubereiten. Die Hetzschriften geisternnoch heute durchs Internet.

Der ehemalige syrische Verteidigungs-minister Mustafa Tlas veröffentlichte1983 ein Buch, das den

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Ritualmordvorwurf gegen die Juden nocheinmal bekräftigte. In den meisten ar-abischen Ländern finden sich bis heuteimmer wieder solche Schriften, Artikeloder Fernsehsendungen. Erst im März2002 veröffentlichte die regierungsamt-liche saudische Tageszeitung Al-Riyadheinen Artikel von Dr.Umayma Ahmad Al-Jalahma von der King Faysal Universityin Al-Dammam unter dem Titel: »Judenverwenden das Blut von Jugendlichen imPurimgebäck.« Der Artikel beschreibt in– frei erfundenen – blutrünstigen Einzel-heiten angebliche Ritualmorde an christ-lichen und moslemischen Jugendlichenals notwendige Bestandteile jüdischerFeste. Der Herausgeber der Zeitungentschuldigte sich hinterher – aber derSchaden war natürlich angerichtet.

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Verschwörungen: Glauben,Legende und Theorie

Manche Verschwörungstheorien findenkeine Resonanz, während andere auffruchtbaren Boden fallen. So entwickel-ten die frei erfundenen Ritualmord-beschuldigungen gegen die Juden einmörderisches Eigenleben, während an-dere, ähnlich realitätsferne Behauptun-gen (z.B. US-Präsident Bush sei ein get-arnter außerirdischer Reptilienmensch)lediglich Kopfschütteln und Gelächterhervorrufen. Die Grundlage einer erfol-greichen Verschwörungstheorie lautet:Es muss ein Verschwörungsglauben

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vorgeprägt sein, ein latentes Misstrauengegen eine andere soziale, ethnischeoder religiöse Gruppe. Viele Menschenglaubten der Behauptung von Thomasvon Monmouth, weil sie ihrem unter-gründigen Misstrauen gegen Juden ein-en konkreten Anhaltspunkt gab. Auchandere Beispiele lassen sich leicht find-en: Im England des siebzehnten Jahrhun-derts waren viele Menschen davonüberzeugt, dass die Katholiken ein Mas-saker an der englischen Bevölkerungplanten. In der Gegenwart gehen vieleMenschen davon aus, dass die amerikan-ische Regierung über Leichen geht, umihre finsteren Ziele durchzusetzen.

Ein Verschwörungsglauben ist nochkeine Theorie. Es geht hier nur um Ge-fühle, dumpfe Ahnungen, geflüsterte

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Vermutungen, Marktklatsch, Stammt-ischreden. Erst wenn jemand auf diesemmorastigen Fundament ein in sichgeschlossenes Gedankengebäudeerrichtet, können wir von einer Ver-schwörungstheorie sprechen. Die Logikdieser Theorie muss nicht besonderszwingend sein. Wenn die Aussage einerVerschwörungstheorie mit dem eigenenWeltbild übereinstimmt, akzeptieren dieMenschen auch widersprüchliche oderoffensichtlich unwahre Behauptungen.

Verschwörungsglauben und Ver-schwörungstheorie treffen sich an gewis-sen Ereignissen, die auf der einen Seiteden Verschwörungsglauben bestärkenund auf der anderen Seite als Fixpunktefür Verschwörungstheorien dienen. Ichmöchte diese Ereignisse als

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Verschwörungslegenden bezeichnen, inAnlehnung an die so genannten mod-ernen Legenden (Urban Legends), dieauch urbane Mythen oder Wanderanek-doten genannt werden. In Deutschlandist dieses Phänomen moderner Mythen-bildung besonders durch die Bücher DieSpinne in der Juccapalme und Die Mausim Jumbojet des Volkskundlers Rolf Wil-helm Brednich bekannt geworden. Dazugehört zum Beispiel die Geschichte vonder Vogelspinne, die mit einer Juccap-alme den weiten Weg von Südamerikaangetreten hat, um einen harmlosen Mit-teleuropäer in seinem Wohnzimmer zuerschrecken oder gar zu beißen. Eben-falls zu den urbanen Mythen gehört dieGeschichte von den Umkleidekabinen inModeboutiquen in Marseille, die in

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Wirklichkeit getarnte Mädchenfallensein sollen. Blonde Frauen aus Mittel-und Nordeuropa sollen dort gefangenund in die Harems reicher Araberverkauft werden.

Alle urbanen Mythen sind mit den Am-men- oder Schauermärchen verwandt.Der Ritualmord der Juden an christ-lichen Kindern ist ein solches Schauer-märchen. Wir dürfen annehmen, dasssolche und ähnliche Geschichten überdie Juden im mittelalterlichen und früh-modernen Europa weit verbreitet warenund dass Ammen, Köchinnen und Kin-dermädchen sie tatsächlich den Kindernerzählt haben, zusammen mit Geschicht-en über Friedhofsgeister, Moorgespen-ster, Wiedergänger, Teufelsmarken, Höl-lenlöcher oder nächtliche Geisterhunde.

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Eine Verschwörungslegende entstehtalso aus der Umdeutung von Ereignissenoder Schauergeschichten im Sinne einesVerschwörungsglaubens. Thomas vonMonmouth beispielsweise hat den Ver-schwörungsglauben der Bevölkerungausgenutzt, um aus dem unbestrittenenMord eine Verschwörungslegende zustricken (den Ritualmord), und setztegleich eine Verschwörungstheorie obendrauf (die Lügengeschichte des MönchsTheobald von Cambridge).

Diese begriffliche Dreiteilung erlaubtnun eine Einordnung der erdachtenVerschwörungen:

Ein Verschwörungsglauben ist die un-bestimmte, nicht näher definierte Vor-stellung, eine Gruppe habe sich

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verabredet, böse oder verbrecherischeTaten zu vollbringen. Juden, Illuminaten,Kommunisten, Kapitalisten, das FBI oderder Verfassungsschutz sind Beispiele fürGruppen, denen solche Absichten undgeheime Aktionen unterstellt werden.Grundlage des Verschwörungsglaubensist das Misstrauen gegen alles Fremde.

Eine Verschwörungslegende ist dieUmdeutung eines tatsächlichen Ereign-isses im Sinne eines Ver-schwörungsglaubens. Das Ereignis kanndabei mehr oder weniger aus-geschmückt sein, um die Glaubwür-digkeit der Legende zu erhöhen.

Eine Verschwörungstheorie schaffteine zusammenhängende Begründungfür eine oder mehrere Verschwörungsle-genden im Sinne eines

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Verschwörungsglaubens. Die Ver-schwörungstheorie behauptet, dass ge-heime Organisationen über längereZeiträume die Geschicke der Welt beein-flussen und zugleich imstande sind, dieÖffentlichkeit darüber im Unklaren zuhalten. Damit erklärt sie entweder eineeinzelne Verschwörungslegende oderverbindet mehrere davon zu einer logis-chen Einheit. Sie schafft ein in-tellektuelles, pseudowissenschaftlichesGedankengebäude, auf das sich wieder-um der zugrunde liegende Ver-schwörungsglauben beruft.

Klassisches Beispiel sind die Hexen-jagden der Frühen Neuzeit. Die Existenzvon Hexen war im Volksglauben fest ver-ankert. Auf der Grundlage diesesGlaubens und der daraus abgeleiteten

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Schauermärchen verfassten damaligeGelehrte ihre pseudowissenschaftlichenSchriften zum Thema Hexerei. DieseWerke begründeten wiederum die Hex-enprozesse, welche den Hexenglaubenin der Bevölkerung weiter vertieften.

Die Dreiteilung des bisher viel zu dif-fusen Begriffs Verschwörungstheoriemacht die Mechanismen der Entstehungdieses Phänomens unmittelbar deutlich.Zwei Beispiele:

Die vielen Spekulationen zum Tod vonLady Diana sind in erster Linie Ver-schwörungslegenden. Sie verknüpfen einbestimmtes Ereignis mit einer Ver-schwörung. Zum Beispiel behaupten sie,der britische Geheimdienst MI6 habeLady Diana ermorden lassen. Darauf

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baut die Theorie auf, der MI6 habe LadyDiana umgebracht, weil ihre Liaison mitdem Moslem Dodi al Fayed für dasKönigshaus unerträglich war. Diese The-orie fand besonders in Dodis HeimatlandÄgypten viele Anhänger, weil sie mitdem Weltbild vieler Ägypter gut verein-bar ist.

In England glaubten viele Menschen dieBehauptungen des Betrüger Titus Oates,dass Katholiken im Jahre 1678 einenMassenmord an der protestantischenBevölkerung planten. Große Teile derBevölkerung trauten den Katholikendamals jedes Verbrechen zu. Auf derGrundlage dieses Ver-schwörungsglaubens konnte Oates eineVerschwörungslegende aufbauen, die er

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frei erfunden hatte. Er deutete nicht et-wa ein bestehendes Ereignis um, son-dern erfand gleich die gesamteGeschichte. Die Verschwörungstheoriedazu besagte, dass die Jesuiten heimlichin England tätig waren, um auf Befehldes Papstes Böses zu tun. Der zugrundeliegende Verschwörungsglauben war fürlange Zeit unausrottbar und machte esden englischen Regierungen bis insneunzehnte Jahrhundert hinein unmög-lich, die restriktiven Katholikengesetzeaufzuheben.

Die hier vorgestellte Definition behebtdie Schwächen der bisherigen Defini-tionsversuche. Sie erklärt, warum sichein Verschwörungsthema ohne äußereBestätigung, allein durch die

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Wechselwirkung der drei Erscheinungs-formen, weiterentwickeln und ausbreit-en kann: Der Verschwörungsglaubenbegünstigt die Entstehung von Ver-schwörungslegenden, die wiederum alsAnschauungs- und Beweismaterial fürpseudogelehrte Verschwörungstheoriendienen. Die scheinbare wissenschaftlicheBestätigung verfestigt wiederum denVerschwörungsglauben und bewirkt,dass weitere Legenden entstehen. DieseKlassifikation des Verschwörungsden-kens ist rein formeller Natur, sie erlaubtkeine Aussage über den Wahrheitsgehalteines Verschwörungsglaubens, einerVerschwörungslegende oder einerVerschwörungstheorie.

Vollkommen unbegründet war zumBeispiel die im England des siebzehnten

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Jahrhunderts weit verbreitete Furcht,die Katholiken planten Massaker an derenglischen Bevölkerung. Der aktuelleVerschwörungsglauben, dass islamischeTerrorkommandos Anschläge auf dieZivilbevölkerung in Europa und Amerikavorbereiten, hat sich dagegen als wahrerwiesen.

Der Wahrheitsgehalt einer Ver-schwörungslegende ist oft noch schwer-er zu ergründen als der eines Ver-schwörungsglaubens. Ist ein Ereigniseinmal im Sinne eines Ver-schwörungsglaubens umgedeutet,tauchen auf wundersame Weise immerneue Bestätigungen dafür auf. So begin-nt die so genannte Roswell-Legende mitdem Bericht von William »Mac« Brazel,dem Vorarbeiter der Foster Ranch in der

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Nähe der amerikanischen KleinstadtRoswell im Bundesstaat New Mexico. Erfand Mitte Juni 1947 Trümmer auf demGelände der Ranch, die offenbar vomHimmel gefallen waren, aber nicht voneinem Flugzeug stammten. In der Ge-gend hatte es vorher des öfteren »UFO-Sichtungen« gegeben, runde, sehr helleFlecken am nächtlichen Himmel.Trotzdem dachte Brazel sich nicht vieldabei.

Erst am 7.Juli 1947 fuhr er nachRoswell und meldete seinen Fund demSheriff. Daraufhin kam die US-Luftwaffe,beanspruchte den Fund für sich undnahm die insgesamt etwa 3 KilogrammTrümmer mit. Man sei in den Besitz ein-er fliegenden Untertasse gelangt,erklärte am nächsten Tag der

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Nachrichtenoffizier der 509ten Bomber-gruppe, die am Roswell Amry Air Fieldstationiert war. Der Kommandeur desStützpunkts, Oberst William Blanchard,dementierte umgehend: Ein Wetterbal-lon sei es gewesen, nichts weiter.

Im Jahre 1980, als die Angelegenheitschon fast vergessen war, erschien einBuch mit dem Titel The Roswell-Incidentvon Charles Berlitz und William Moore.Darin behaupteten die Autoren, dieÜberreste auf der Ranch stammten voneinem außerirdischen Flugobjekt. DasBuch verkaufte sich gut und erregte be-trächtliches Aufsehen. Immer mehr ver-meintliche Zeugen meldeten sich undweitere Bücher zum Thema erschienen.Im Dickicht der sich widersprechendenAussagen war eine Klärung des

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Zwischenfalls inzwischen beinahe un-möglich geworden. Ufologen in der gan-zen Welt betrachteten den Vorfall baldals Beweis, dass die Regierung der USAmit außerirdischen Wesen Kontakt habeund diese Tatsache verheimliche. ImJahre 1995 veröffentlichte die Luftwaffeschließlich den Grund ihres damals soverdächtigen Interesses: Die gefundenenTrümmer gehörten zu einem neuartigenSpionageballon (Codename: ProjektMOGUL), dessen Existenz die Luftwaffedamals nicht zugeben durfte.

Die Anhänger der UFO-Theorie warennatürlich nicht überzeugt. Sie glaubennach wie vor, dass die Luftwaffe auchdiese Erklärung nur erfunden habe, umden Fund eines außerirdischen Flugob-jekts zu vertuschen. Man kann sicherlich

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denken, was man will, aber wenn wirk-lich Außerirdische bei Roswellabgestürzt sind, muss ihr Gefährt einUltraleicht-Raumschiff gewesen sein:Die Trümmer wogen keine dreiKilogramm …

Bei der Definition des Wortes Ver-schwörungstheorie habe ich von einerpseudowissenschaftlichen Theorie ge-sprochen. Viele Verschwörungstheorienkommen zwar im wissenschaftlichen Ge-wand daher: Mit Verweisen, Zitaten, Ta-bellen, Fotos und Diagrammen. Doch dieäußere Form allein begründet nicht denAnspruch der Wissenschaftlichkeit. Nachder allgemein anerkannten Definitiondes Wissenschaftstheoretikers Karl Pop-per ist das wichtigste Kriterium einer

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wissenschaftlichen Theorie ihre Falsifiz-ierbarkeit: Sie muss widerlegbar sein,andere Wissenschaftler müssen sie über-prüfen und gegebenenfalls verwerfenkönnen. Verschwörungstheorien lassensich niemals auf solche Fixpunkte festle-gen. Sie bilden ein in sich geschlossenesSystem mit Erklärungsmechanismen füralle Kritikpunkte. So behauptete Thomasvon Monmouth, der heilige Willelm seivon den Juden zur Verhöhnung desChristentums gekreuzigt worden. Esfehlten aber die passenden Wunden anseinem Körper – was Thomas wiederummit der besonderen Perfidie erklärte, mitder die Juden ihre Spuren verwischthätten.

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3: Wahrheit und LegendeDie Strukturen erfolgreicher Ver-schwörungslegenden und -theorien

»Die Wahrheit ist irgendwo dortdraußen.« Dieses Zitat aus der Fernseh-serie Akte X hat sich in den letztenJahren zu einem geflügelten Wort en-twickelt. Wenn man den englischen Satz»the truth is out there« im Internetsucht, gibt Google 198 000 Fundstellenaus. In der Serie jagen die FBI-AgentenDana Scully und Fox Mulder eine großangelegte Verschwörung von hochges-tellten amerikanischen Regierungs-beamten mit Außerirdischen. Aber in

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jeder Folge können sie nur einen Zipfelder Wahrheit fassen.

Es ist nicht einfach, Verschwörung-stheorien zu beweisen oder zu widerle-gen. Wenn Sie beispielsweise die Be-hauptung lesen, der Umfang derCheopspyramide geteilt durch die Höheergebe 2 x π, dann können Sie sich miteinem langen Maßband und einemTheodoliten bewaffnen, eine Pauschalre-ise zu den Pyramiden buchen undnachmessen. Weil die meisten Ver-schwörungstheorien aber Dutzende bisHunderte solcher Behauptungen enthal-ten, ist das Verfahren der direkten Über-prüfung nicht praktikabel. Ist vielleichtdie weltweite Verbreitung einer Theorieoder eines Buches ein ausreichenderGarant für die Richtigkeit seiner

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Behauptungen? Schließlich, so könnteman argumentieren, sollte die Wahrheitsich durchsetzen, wenn mehrere Million-en Menschen ein bestimmtes Buch lesenund kritisch beurteilen. Das ist leiderfalsch: Die Popularität eines Buches istkein Beweis, ja nicht einmal ein Anhalt-spunkt für den Wahrheitsgehalt der dar-in aufgestellten Behauptungen.

Wahrheit ist ein ausgesprochen nebel-haftes Gebilde. Die Philosophie kenntnicht einmal eine einheitliche Definitiondafür. Es gibt also nicht einmal einen»wahren« Begriff von der Wahrheit.

Selbst der »wahre« Verlauf einfacherEreignisse lässt sich oft genug nichtrekonstruieren. Bei einem Autounfallwidersprechen sich Zeugen undBeteiligte so regelmäßig, dass

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vollkommen übereinstimmende Aus-sagen bei der Polizei den Verdacht er-wecken, die Zeugen hätten sichabgesprochen.

Der »wahre« Ablauf historischerEreignisse ist noch schwerer nachzu-weisen. Warum hat Napoleon die Sch-lacht bei Waterloo verloren? Hat sichCaesars Ermordung wirklich soabgespielt wie überliefert? Für vielegeschichtliche Ereignisse haben wir nurwenige Quellen, manchmal nur eine ein-zige. Ein Beispiel: Der römische Schrifts-teller und Historiker Tacitus hat imJahre 98 n. Chr. die einzige überliefertevolkskundliche Darstellung der German-en geschrieben. Er wollte seinendekadenten Landsleuten die einfacheund unverdorbene Lebensweise der

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Germanen als Spiegel vorhalten. Heuteweiß niemand mehr, ob Tacitus korrektberichtet hat oder ob er die damaligenOriginalquellen im Sinne seinerBotschaft zurechtgebogen hat. Sicherist, dass er nicht aus eigener Erfahrungschrieb, denn er hat Germanien niemalsbereist. Vieles von dem, was wir über dieGermanen zu wissen glauben, stammtalso von einem Schriftsteller, der dieStämme im kalten und nebligen Nordennie besucht hat, keine ihrer Sprachenbeherrschte und der sein Werk durchausmit einer bestimmten Absicht verfassthat.

Für die neuere Zeit sieht es zwar et-was besser aus, aber gerade bei wichti-gen Ereignissen entzieht sich dieWahrheit oft genug der genauen

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Festlegung. Wie viele Schüsse wurden inDallas auf John F. Kennedy abgefeuert?Aus welcher Richtung kam der tödlicheSchuss? Hat ein Schütze die Kugelnabgefeuert oder waren zwei Täterbeteiligt? War es ein Auftragsmord?Tausende von Menschen sahen das At-tentat, es wurde sogar gefilmt, undtrotzdem bleiben Zweifel. Tatsächlichhat kaum ein Ereignis mehr Autoren in-spiriert als Kennedys Ermordung. Siealle ordnen die vielen bekannten Faktenund Gerüchte jeweils so, dass sie aufeine bestimmte Tätergruppe deuten, wiez.B. auf die CIA, die Mafia, den KGBoder den kubanischen Geheimdienst. DieGlaubwürdigkeit ihrer Verschwörung-stheorie hängt ganz wesentlich davonab, ob die Leser der angeschuldigten

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Tätergruppe eine Verschwörung zumPräsidentenmord überhaupt zutrauen.

Jede Verschwörungstheorie fußt aufeinem Verschwörungsglauben. Nurwenn eine genügend große Zahl vonMenschen die Grundthesen diesesGlaubens akzeptiert, kann daraus eineerfolgreiche Verschwörungstheorieentstehen.

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Glaubwürdigkeit einesVerschwörungsglaubens

Ein Verschwörungsglauben ist zunächsteinmal Ausdruck des Misstrauens gegeneine andere soziale oder ethnischeGruppe. Beispiel: »Die Katholiken planenein Massaker gegen die englische Zivil-bevölkerung.« – englischer Ver-schwörungsglauben des 17. Jahrhun-derts. Oder: »Die amerikanische Regier-ung geht heimlich mit verbrecherischenMitteln gegen alle vor, die ihnen imWege stehen« – ein aktueller Ver-schwörungsglauben, wie er im Internetvielfach nachzulesen ist.

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Ein von vielen Menschen geteiltesMisstrauen aus der Welt zu schaffen istfast unmöglich. Die deutsche Sprachekennt kein Wort für die völlige Auf-hebung von Misstrauen. Im Gegensatzzum Vertrauen, das vernichtet oder zer-stört werden kann, lässt sich Misstrauenlediglich zerstreuen, also quasi ver-dünnen. Es kann in Vergessenheit ger-aten oder als überholt belächelt werden,lebt aber schnell wieder auf, solange dieeigene und die fremde soziale Gruppewahrnehmbar und identitätsbildendbleiben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchtendie Regierungen Europas über umfan-greiche Jugendaustauschprogramme zuverhindern, dass sich unter den

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Jugendlichen eine nationale Gruppen-identität ausbildet. Die übertriebeneIdentifikation mit dem eigenen Land unddas Misstrauen gegen die Nach-barländer hatten im Abstand von nurzwei Jahrzehnten zwei verheerendeKriege ausgelöst. Die persönliche Bekan-ntschaft und Vertrautheit mit den Sprac-hen und Lebensweisen anderer europäis-cher Länder hat zum ZusammenwachsenEuropas sehr viel beigetragen. JungeMenschen in Westeuropa fühlen sich in-zwischen eher als Europäer und Welt-bürger, weniger als Angehörige einerbestimmten Nation.

Ein deutliches Misstrauen gegen allesFremde findet man aber noch immer innationalistischen Gruppen. Bei den eng-lischen Nationalisten beispielsweise

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richtet es sich speziell gegen dieEuropäische Union und die als Exponen-ten der EU empfundenen LänderDeutschland und Frankreich. Und immernoch vermischt es sich mit der altenFurcht vor den mutmaßlichenWeltherrschaftsplänen der katholischenKirche. In einem Artikel für das britischeMagazin ›The Spectator‹ am 30.August2003 schrieb der englische Reli-gionslehrer Adrian Hilton sinngemäß:»Die EU ist ein Mittel, um die Reforma-tion rückgängig zu machen und denHerrschaftsbereich des Vatikans aufGroßbritannien auszudehnen.« Hiltonwurde Anfang 2005 zum Kandidaten derKonservativen Partei des WahlkreisesSlough für die Unterhauswahl im Mainominiert. Sein bis dahin kaum

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beachteter Artikel erfreute sich daraufh-in nationaler Aufmerksamkeit, und es er-hob sich ein Proteststurm, nicht nur vonSeiten der Katholiken. Die Führung derKonservativen Partei sah sich daraufhinveranlasst, den Kandidaten Hiltonzurückzuziehen.

Der protestantische Glaube ist offen-bar für die große Mehrheit derEngländer nicht mehr identitätsbildend.Die meisten Engländer glauben auchnicht, dass der Papst mit Hilfe der EUEngland erobern will. Hiltons verbaleEntgleisungen wirken deshalb auf sieeher lächerlich. Auf der anderen Seitekann ein wenig verbreitetes Misstrauendurch ein als einschneidend em-pfundenes Ereignis anhaltend verstärktwerden. Ein Beispiel: In den USA halten

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es zwischen 25 Prozent und 50 Prozentder Schwarzen (je nach Umfrage) fürwahrscheinlich, dass die US-Regierungdas HI-Virus künstlich erzeugt hat, umdie schwarze Bevölkerung zu dezimier-en. Viele Schwarze halten die kostenlosverteilten Aids-Medikamente zudem fürGift oder lehnen die Benutzung von Kon-domen ab, weil sie glauben, die Regier-ung wolle auf diese Weise verhindern,dass sie sich fortpflanzen.

Woher speist sich dieser Glauben? Ver-schiedene Untersuchungen sehen einenZusammenhang mit der berüchtigtenTuskegee-Syphilis-Studie, dem wohl fin-stersten Kapitel des öffentlichen Gesund-heitswesens in den USA.

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Im Jahre 1932 startete in der StadtTuskegee in Macon County, Alabama,eine Studie des US Public Health Ser-vice zum »natürlichen« Verlauf derSyphilis bei Schwarzen. 399 Syph-iliskranke, die meisten davon bettelarmeTagelöhner und Kleinstbauern, wurdendafür angeworben. Man sagte ihnen, sielitten unter »schlechtem Blut«, ein dam-als gebräuchlicher Begriff für ver-schiedene chronische Krankheiten. Siemussten sich regelmäßig untersuchenlassen und erhielten dafür kostenloseHeilfürsorge, eine freie Mahlzeit nachder Untersuchung und ein kostenlosesBegräbnis. Man sagte ihnen nicht, dasssie unter Syphilis litten, und sie erfuhrenauch nicht, dass die Krankheit nicht be-handelt werden sollte. Nach einer

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initialen echten Syphilisbehandlung miteiner viel zu geringen Dosis (um denVerlauf der Krankheit nicht übermäßigzu stören) erhielten sie nur noch »PinkMedicine« – Aspirin. Ursprünglich solltedie Studie sechs Monate dauern, abersie lief einfach immer weiter – vierzigJahre lang.

Ziel der Studie war die Beobachtungder unbehandelten Syphilis bis zum Todeder Erkrankten. Die Initiatoren der Stud-ie und ihre Helfer vor Ort ließen die Pa-tienten darüber im Unklaren, dass beiden Versuchspersonen eine Obduktionnotwendig würde, denn unter den Sch-warzen dieser Gegend waren Obduktion-en äußerst unpopulär und vieleBeteiligte wären wohl abgesprungen.Auch nach der Einführung des

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Penicillins im Jahre 1947 brach derPublic Health Service das Experimentnicht ab, obwohl kaum wissenschaftlicheErkenntnisse zu erwarten waren. Erst imJahre 1972 deckte die Journalistin JeanHeller das unmenschliche Projekt auf.Am 25.Juli 1972 erschien ihr Artikelunter dem Titel »Syphilis-Patientenstarben unbehandelt« im WashingtonEvening Star. Alle großen Zeitungenberichteten ausführlich, und ein Aufs-chrei der Empörung ging durch dasLand. Der Public Health Service setzteim Juli 1972 einen beratenden Ausschussein, der entscheiden sollte, ob die Studieethisch zu rechtfertigen sei. Drei Monatespäter befand der Ausschuss die Studiefür unethisch und empfahl den Abbruch.Zu diesem Zeitpunkt waren 28

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Versuchsteilnehmer direkt an der Syphil-is gestorben, 100 weitere an Fol-gekrankheiten. Sie hatten 40 ihrerFrauen angesteckt, und 19 ihrer Kinderlitten an angeborener Syphilis.

Die Studie brachte keinerlei wis-senschaftliche Erkenntnisse. Sie sollteanfänglich die Frage klären, ob im Spät-stadium der Syphilis bei Schwarzen dieSchäden am Gefäßsystem stärker ausge-prägt waren als bei Weißen, währenddas Nervensystem weniger angegriffenwurde. Die Frage ist jedoch belanglos,weil die Antwort keine Auswirkungen aufdie Behandlung der Krankheit hat unddie späte Syphilis sich bei jedemMenschen anders auswirkt. Bei einerÜberprüfung erwies sich zudem, dassdie Mitarbeiter die

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Untersuchungsprotokolle zu schlampiggeführt hatten, um sichere Aussagen zuermöglichen.

Im Jahre 1973 zog die Bürgerrechtsor-ganisation NAACP (National Associationfor the Advancement of Colored People)vor Gericht und erstritt eine Entschädi-gung von neun Millionen US-Dollar sow-ie lebenslange freie Heilfürsorge für dieOpfer und ihre Familien. Zu diesemZweck gründete die US-Regierung dasTuskegee Health Benefit Program undbeauftragte die dem Gesundheitsminis-terium unterstellten Centers for DiseaseControl and Prevention (CDC) mit derDurchführung. Die CDC sind eine Da-chorganisation mit vielen Unterorganisa-tionen. Das Tuskegee Health BenefitProgram untersteht dem National Center

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for HIV, STD, and TB Prevention(NCHSTP) des CDC – der gleichen Insti-tution, die auch für die Aids-Bekämpfungzuständig ist.

Erst am 16.Mai 1997, 65 Jahre nachBeginn der Studie, entschuldigte sichPräsident Bill Clinton offiziell bei den let-zten acht überlebenden Opfern.Niemand wurde im Zusammenhang mitder Studie strafrechtlich belangt.

Kein anderes Ereignis hat das Verhält-nis der Schwarzen zum Public HealthService so vergiftet wie die Tuskegee-Studie. Wie konnte es sein, dass Ärzteund Krankenschwestern das langsameSterben ihrer Patienten lediglichaufzeichneten, ohne ihnen zu helfen?Und warum untersteht das TuskegeeHealth Benefit Program ausgerechnet

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der Aids-Bekämpfungsorganisation desCDC? Gerade auf diese Tatsache stützensich die meisten Verschwörungsle-genden, die Aids mit der Tuskegee-Stud-ie in Verbindung bringen.

Die Wissenschaftlerinnen ElisabethKlonoff und Hope Landrine von der Cali-fornia State University fragten im Jahre1999, also lange nach dem Ende derTuskegee-Studie, 520 Schwarze in SanBernadino County in Kalifornien, ob siedem Satz zustimmen: »HIV-Aids ist einkünstliches Virus, das die US-Bundes-regierung hergestellt hat, um Schwarzezu töten und auszurotten.«

26,5 Prozent der Befragten stimmtender These zu und 50,8 Prozent lehntensie ab. Im kühlen Licht der Logik be-trachtet, ist die Idee abwegig, dass die

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US-Regierung das HIV-Virus zur Ausrot-tung der Schwarzen produziert hat. DasHIV-Virus befällt alle Rassen. Es breitetesich zunächst unter vorwiegend weißenHomosexuellen aus, bevor es die Sch-warzen in den USA vergleichsweisestark traf. Die Aids-Prävention ist ein-fach, die Ansteckungsrate bei vorsichti-gem Verhalten verschwindend gering.So sehr die Tuskegee-Studie auch em-pört, sie beweist keine Beteiligung einerBundesbehörde an der absichtlichenAusbreitung von Aids. Sie kann allenfallseinen Analogieschluss anstoßen, der et-wa so lautet: Eine Regierung, die Sch-warzen die Behandlung einer tödlichenKrankheit verweigert, um ihr langsamesSterben zu studieren, ist auch imstande,Schwarze absichtlich mit einer tödlichen

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Krankheit zu infizieren, um die schwarzeBevölkerung auszurotten.

Allerdings ist ein Analogieschlussnoch kein Beweis. Formal logischschließt er aufgrund gewisser Ähnlich-keiten von einem vollständig bekanntenAusgangssystem auf die unbekanntenTeile eines unvollständig bekanntenZielsystems. Je ähnlicher die Systemesind und je mehr darüber bekannt ist,desto sicherer wird die Vermutung überdie unbekannten Teile des Zielsystems.Nur dann, wenn man die Gleichartigkeitbeider Systeme nachweist, wird der Ana-logieschluss zum Beweis. In unseremBeispiel sind die Systeme jedoch zu ver-schieden, um einen Analogieschlusszuzulassen. Die Tuskegee-Studie hat dasSyphilis-Bakterium nicht erzeugt. Sie

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hatte nicht die Ausrottung der Schwar-zen zum Ziel. Sie war nicht von der Re-gierung geplant worden. Und in derFolge wurden diverse Maßnahmen er-griffen, um eine Wiederholung zuverhindern.

Logisch gesehen, ist die Behauptungalso unhaltbar, die US-Regierung habedas HIV-Virus erzeugt, um die Schwar-zen auszurotten. Aber wenn einmalgrundsätzliches Misstrauen gegen eineandere Gruppe existiert, erhalten auchunsinnige Zuschreibungen eine be-stürzende Glaubwürdigkeit.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs,in der Zeit zwischen der Ermordung desösterreichischen Thronfolgers in Saraje-wo und dem Ausbruch des Krieges einenMonat danach, brach in allen

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europäischen Ländern eine gefährlicheKriegsbegeisterung auf. »Was man einstdie ›Gemeinschaftlichkeit von Europa‹genannt hatte, war zu einem Dschungeldes Misstrauens und einem die Rational-ität des Interessenhandelns zer-störenden Freund-Feind-Denken ge-worden«, schreibt der HistorikerTheodor Schieder dazu. Politiker, In-tellektuelle, Zeitungen und nicht zuletztbeträchtliche Teile der Völker unterstell-ten dem »Feind« die finstersten Motiveund betrachteten den Krieg alsberechtigte Verteidigung gegen einenäußeren Angriff. Der Krieg entstand alsonicht als unbeherrschbarer Reflex aufdas Attentat von Sarajewo, sondern alsKonsequenz der durch gegenseitiges

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Misstrauen immer geringer werdendenHandlungsfreiheit der Regierungen.

Die Glaubwürdigkeit eines Ver-schwörungsglaubens steigt mit dem Mis-strauen, das einer Gruppe entgegengeb-racht wird. Der Wahrheitsgehalt desVerschwörungsglaubens ist dabeiebenso unwichtig wie seine innere undäußere Logik. Entscheidend ist allein dieÜbereinstimmung mit den Vorurteilengegen die als feindlich oder böse em-pfundene Gruppe.

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Glaubwürdigkeit vonVerschwörungslegenden

Man sollte annehmen, die Wahrheit vonVerschwörungslegenden ließe sich bess-er überprüfen als die eines Ver-schwörungsglaubens. Die Legende gibtein definiertes Ereignis wieder. Sie nen-nt Ort, Zeit und Beteiligte. Man kannZeugen befragen, Orte besuchen oderdie Plausibilität der Zeitangaben feststel-len. Aber das ist nur auf den ersten Blickeinfach. Oft genug findet sich dieselbeGeschichte an verschiedenen Stellen mitunterschiedlichen Angaben zu Zeit undOrt. So gibt es beispielsweise viele

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angebliche Sichtungen von schwarzenHelikoptern in ländlichen Gegenden derUSA. Der amerikanische Verschwörung-stheoretiker Jim Keith verbreitete in denneunziger Jahren die These, die schwar-zen Helikopter seien die Vorhut vonUNO-Sturmtruppen, welche die USA imJahre 2000 besetzen sollten. PopuläreFernsehsendungen und Kinofilme wieDie Akte X oder Fletchers Visionenhaben dieses Motiv aufgegriffen. Sch-warze Helikopter gelten in den USA in-zwischen als Symbol für eine anonymeund bedrohliche Staatsmacht, obwohlsich keine einzige der angeblichen Sich-tungen bestätigen ließ.

Ein zweites Beispiel: Unmittelbar nachden Anschlägen auf das Pentagon und

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das World Trade Center wusste der inBeirut stehende Propaganda-Sender »al-Manar« der Hisbollah Erstaunliches zuberichten. Hier ein Zitat von der Websitedes Landesamtes für VerfassungsschutzBaden-Württemberg zum Thema»Islamismus«:

In die Schlagzeilen geriet »al-Manar« in der westlichen Welt, alsdie »Washington-Post« unmittelbarnach dem Anschlag auf das World-Trade-Center am 11.Septemberberichtete, der in Beirut ansässigeSender habe Gerüchte in Umlauf ge-bracht, die Israel für die Terroran-schläge verantwortlich machten.»Al-Manar« habe aus obskurenQuellen einer jordanischen Zeitungarabische Diplomaten zitiert, die

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bestätigten, dass 4000 Juden über-lebt hätten, da sie gewarnt wordenseien und an diesem Tag nicht zurArbeit in das World-Trade-Centerkamen.

Die Meldung verbreitete sich mit er-staunlicher Geschwindigkeit, obwohl sieoffensichtlich unsinnig war und selbstein arabischer Propaganda-Sender wieal-Manar sich hinter einer anonymenQuelle verschanzte. Die Falschmeldungvon den gewarnten Juden hält sich seit-dem hartnäckig.

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Verschwörungslegenden alsUntergruppe der Gerüchte

Verschwörungslegenden gehören zu denUrban Legends, also den Wanderanek-doten oder Modernen Legenden. Diesewiederum sind ihrer Natur nach Ger-üchte, kurze Erzählungen unbekanntenWahrheitsgehaltes. Der britische Psy-chologe Sir Frederic Bartlett unter-suchte bereits in den dreißiger Jahren,welche Teile einer unbekanntenGeschichte sich Menschen merken. Erstellte fest, dass Menschen dazu neigen,die Geschichte an ihr Vorwissen undWeltbild anzupassen, um sich danach

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nur an die angepasste Version zu erin-nern. 1947 veröffentlichten die amerik-anischen Psychologen Gordon WillardAllport und Leo Postman ihr Buch ThePsychology of Rumor. Sie beschreibendarin detailliert die Veränderung vonGerüchten während ihrer Ausbreitung.

Danach tendieren Gerüchte dazu, mitzunehmender Verbreitung kürzer zuwerden (Levelling) und in einzelnen Tei-len eine schärfere Form (Sharpening)anzunehmen. Ferner verändern dieMenschen ein Gerücht bei der Verbreit-ung so, dass es besser zu ihrem Vorwis-sen und ihrer Gefühlslage passt (Assimil-ation). Das erklärt aber noch nicht, war-um manche Gerüchte nicht einmal denRaum verlassen, in dem sie geboren wer-den, während andere in wenigen

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Stunden ganze Gebäudekomplexe durch-dringen. Erst in den siebziger Jahrenbrachten die Biologen die Vorstellungdes Überlebens von Ideen durch natür-liche Auslese auf.

Die Wissenschaftler gingen davon aus,dass Ideen, also auch Gerüchte, mitein-ander im Wettbewerb stehen. Sie ver-ändern und vermehren sich und unterlie-gen dabei ähnlichen Gesetzen, wie Dar-win sie für die Evolution von Lebewesenformuliert hat. Der Biologe RichardDawkins hat dafür den Begriff »Mem«geprägt, den er von »Gen« ableitet.Während das Gen die Grundeinheit fürdie Vermehrung und die Evolution vonLebewesen darstellt, ist ein Mem dieGrundeinheit einer Idee. Ein Mem ver-ändert sich so lange, bis es ausstirbt

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oder sich im Wettbewerb mit anderenMemen durchsetzen kann. Oder andersausgedrückt: Erfolgreiche Meme breitensich aus und setzen sich in den Köpfender Menschen fest. Welches sind nun dieBedingungen für den Erfolg vonGerüchten?

Ein Gerücht verbreitet sich immer dann,wenn

1. die Gelegenheit gegeben ist, alsoein ausreichend dichtes und von derArt her geeignetes Kommunikation-snetzwerk vorliegt, und

2. das Gerücht ausreichend glaubwür-dig ist, und

3. das Gerücht ausreichend interess-ant ist. Dabei entscheidet nicht dasInteresse des Einzelnen, sondern

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das Gruppeninteresse, also dieÜberlappung der Interessen derEinzelnen.

Alle drei Faktoren müssen zusammen-wirken. Wenn einer fehlt, verbreitet sichdas Gerücht nicht. Ein wirklich interess-antes Gerücht verbreitet sich auch dann,wenn das Kommunikationsnetz löchrigund die Glaubwürdigkeit des Inhaltseher gering ist. Ein sehr dichtes Kom-munikationsnetz transportiert auchmäßig interessante Gerüchte vonzweifelhafter Glaubwürdigkeit.

Die Glaubwürdigkeit wiederum hängtvon vier wesentlichen Faktoren ab. Diessind: die Genauigkeit der Darstellung,die Glaubwürdigkeit der Quelle, dieÜbereinstimmung mit dem Weltbild des

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Zuhörers und die Situation. In Stress-situationen oder in unsicherer undbeängstigender Lage, aber auch inZeiten der Langeweile liegt die Schwelleder Glaubwürdigkeit deutlich niedrigerals in einer entspannten Situation.Menschen neigen außerdem dazu, dieGlaubwürdigkeit auch danach ein-zuschätzen, wie oft sie ein Gerüchthören. Allein durch seine Verbreitunggewinnt ein Gerücht also bereits anGlaubwürdigkeit.

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Gerüchte und Internet

Das Internet hat der Verbreitung vonGerüchten eine neue Dimension ver-liehen. Entsprechend dem vorgestelltenModell bildet das Internet ein dichtes,für viele Arten von Gerüchten geeignetesNetzwerk mit Speicherfunktion. Andersals die flüchtigen mündlichen Gerüchtebleiben die Gerüchte im Internet mon-ate- oder jahrelang abrufbar. Ein direk-ter Kontakt zwischen den Menschen, diedas Gerücht verbreiten, ist nicht mehrnotwendig. Gerade auf privaten Web-sites bleiben Gerüchte oft jahrelang un-verändert stehen, selbst wenn sie lange

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überholt oder widerlegt sind. Auf dieseWeise sammeln sich im Internet immermehr Gerüchte an.

Die großen Suchmaschinen wieGoogle oder Yahoo verschaffen allen In-ternetbenutzern Zugriff zu beliebigen In-halten ohne Rücksicht auf denWahrheitsgehalt. Eine Google- oderYahoo-Anfrage liefert sogar bevorzugtGerüchte. Viele Zeitungen und Zeits-chriften schützen die sorgfältig recher-chierten Artikel auf ihren Websites vorden Robots der Suchmaschinen oderöffnen ihre Archive nur gegenBezahlung. Gleichzeitig schafft das In-ternet auch eine direkte weltweite Ver-bindung zwischen Menschen ähnlicherInteressen. In einem Forum, einem Chat-room, einer Mailingliste oder einer

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Newsgroup können sich Menschen ausden verschiedensten Winkeln der Welttreffen und miteinander unterhalten –und Gerüchte verbreiten. DieHemmschwelle der Weiterleitung istniedrig, weil die Mitglieder von Internet-gemeinschaften sich meist nur unterselbstgewählten Pseudonymen kennen.

Das Internet bildet also einen idealenNährboden für Meme aus der Klasse derGerüchte. Entsprechend viele Gerüchtehaben dort ihren Ursprung und ihreHeimat.

Verschwörungslegenden sind eine Un-tergruppe der Gerüchte. Sie verbreitensich wie Gerüchte, wobei der Wahrheits-gehalt für die Glaubwürdigkeit eine un-tergeordnete Rolle spielt. WichtigeFaktoren sind die Zuschreibung einer

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zuverlässigen Quelle, die Übereinstim-mung mit dem Weltbild des Zuhörersund eine für ihre Ausbreitung geeigneteUmgebung.

Wie beim Verschwörungsglauben gilt:Der Wahrheitsgehalt beeinflusst dieGlaubwürdigkeit einer Verschwörungsle-gende nur wenig. Sollte sie sich alsfalsch erweisen, geht die Verbreitungder Legende nur in dem Maße zurück,wie der Nachweis der Unwahrheit sein-erseits glaubwürdig erscheint.

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Erfolg und Wahrheitsgehalt vonVerschwörungstheorien

Verschwörungstheorien versuchen, ein-en Verschwörungsglauben quasiakademisch zu untermauern. Das Beken-ntnis eines Verschwörungsglaubenspasst in ein oder zwei Sätze, und eineVerschwörungslegende muss sich in ein-er Minute erzählen lassen, wenn sienicht langweilig werden soll. Eine Ver-schwörungstheorie umfasst meist jedochein ganzes Buch. Nur sehr wenige davonerklimmen den Olymp der Bestsellerl-isten, und eine kaum größere Anzahlsichert ihren Verfassern wenigstens den

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Lebensunterhalt. Die weitaus meistenAutoren von Verschwörungstheorienverdienen kein Geld mit ihren Büchern,sondern ruinieren lediglich ihren Ruf.Was unterscheidet die erfolgreichenTheorien von der Masse der übrigen?Sehen wir uns die Werke bekannter Ver-schwörungsautoren doch einmal näheran. Ich habe für die Analyse vier der er-folgreichsten Autoren ausgewählt:

Charles Berlitz, Erich von Däniken,Dan Brown und Mathias Bröckers.

Charles Berlitz wurde im Jahre 1974 mitdem Buch Das Bermuda Dreieck sch-lagartig weltbekannt. Im Bermudad-reieck zwischen den Bermudainseln,Florida und Costa Rica, so schrieb er,verschwänden Schiffe auf

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geheimnisvolle Weise oder sänken soplötzlich, als würden sie unter Wassergezogen. Flugzeuge kämen vom Kurs aboder stürzten ab, weil ihre Magnetkom-passe plötzlich verrückt spielten. Hattendort Außerirdische eine Kolonieerrichtet? Liegt auf dem Meeresgrunddas versunkene Atlantis? Oder gibt esdort eine Zone der Zeitverzerrung?Charles Berlitz jonglierte in seinem Buchmit allerlei phantasievollen Spekulation-en. Schon 1975 wies der amerikanischeAutor Lawrence Kusche nach, dass Berl-itz die von ihm zitierten Quellen mehr-fach ungenau oder falsch wiedergegebenhatte. So war die Anzahl an Schiffsunter-gängen im Bermudadreieck keineswegsungewöhnlich hoch, wenn man berück-sichtigt, dass es sich um eines der

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meistbefahrenen Seegebiete der Welthandelt. Berlitz’ Buch verkaufte sichtrotzdem hervorragend und wurde inviele Sprachen übersetzt.

Noch erfolgreicher ist der SchweizerAutor Erich von Däniken. Auf seinerWebsite gibt er an, 63 Millionen Bücherverkauft zu haben (Stand: Februar2006). Damit kommt er zwar noch nichtan Agatha Christie heran, deren Büchereine Gesamtauflage von zwei Milliardenerreicht haben, aber unter den Eso-terikern ist er sicherlich einer derMeistgelesenen. Seit seinem ersten BuchErinnerungen an die Zukunft im Jahre1968 vertritt er in einem ungebrochenenStrom von Publikationen die Auffassung,dass in prähistorischer und sogar noch

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in historischer Zeit außerirdische Astro-nauten die Erde besucht hätten. Die Göt-ter der Menschen, so behauptet er, seienin Wirklichkeit Besucher von anderenSternen gewesen. Fachwissenschaftler,die seine Theorien bezweifeln, magDäniken nicht sonderlich. Er wirft ihnenvor, seine Thesen entweder aus Dumm-heit oder mit Absicht zu ignorieren,wenn sie nicht ohnehin solche Fachidi-oten sind, dass sie Erkenntnisse außer-halb ihres eigenen Gebietes gar nichtwahrnehmen können. Es hat der Pop-ularität seiner Bücher nicht geschadet,dass ihm schon zu Anfang diverseFehler, Ungenauigkeiten, Fälschungenund entstellende Zitate nachgewiesenwurden.

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Der dritte Autor verfasst keine Sach-bücher, sondern höchst erfolgreicheRomane: Dan Brown, der unter anderemdie internationalen Bestseller Illuminatiund Sakrileg geschrieben hat. BeideBücher sind spannende Mystery-Krimismit einer großen Zahl von symbolischenRätseln und Anspielungen. Der Held derRomane ist der Symbolologe (eine er-fundene Berufsbezeichnung) RobertLangdon aus Harvard. Er ist allseits be-liebt, verfügt über unbegrenzte finanzi-elle Mittel und ist mit einem überra-genden Verstand ausgestattet. DanBrowns Thriller Illuminati geht davonaus, dass der Illuminatenorden nicht nurüberlebt hat, sondern eigentlich viel äl-ter war als angenommen wurde. Nachseiner scheinbaren Zerschlagung wurde

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er in Wahrheit immer mächtiger. SeineAnführer schrecken vor nichts zurück,um die verhasste katholische Kirche zubekämpfen. Darum, so scheint es,stehlen sie aus dem ForschungszentrumCERN in Genf eine Antimateriebombe,ermorden einen Wissenschaftler undbrennen ihm das Wort »Illuminati« aufdie Brust, um an ihrer Täterschaft erstgar keinen Zweifel aufkommen zulassen. Die Antimateriebombe, die prakt-ischerweise gut transportabel ist, sollden Vatikan pulverisieren, und zwardann, wenn alle Kardinäle zum Konk-lave, der Papstwahl, versammelt sind.

Noch erfolgreicher war Dan Brownmit seinem Roman Sakrileg. Im Louvre,so beginnt die Geschichte, wird derChefkurator Jacques Saunière ermordet.

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Bevor er stirbt, hinterlässt er eine ver-schlüsselte Nachricht an seine EnkelinSophie Neveu. Der zufällig in Paris wei-lende Symbolologe Robert Langdon ger-ät unter Mordverdacht und muss zusam-men mit der schönen Sophie seine Un-schuld beweisen, der Polizei entwischenund vor einem Mörder von der finsterenkatholischen Organisation »Opus Dei«fliehen. Zu diesem Zweck entschlüsselndie beiden jede Menge Symbole in altenBildern, Reliefs und Kirchen. Fernernehmen sie mit der altehrwürdigen Or-ganisation »Prieuré de Sion« Kontaktauf, der schon Leonardo da Vinci undIsaak Newton angehörten, und findenschließlich den heiligen Gral. Auch derMörder des Chefkurators entgeht nichtseiner gerechten Strafe.

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Dan Brown erhebt den Anspruch:»Sämtliche in diesem Roman erwähntenWerke der Kunst und Architektur undalle Dokumente sind wirklichkeits- bzw.wahrheitsgetreu.«

Inzwischen hat im Louvre sowie in derkleinen Kirche St. Sulpice in Paris eineArt Dan-Brown-Tourismus eingesetzt.Mit dem Buch in der Hand suchen dieMenschen das Da-Vinci-Bild »Das letzteAbendmahl« (das in Mailand hängt), dieToilette, in der Robert Langdon sich ver-steckt hat (existiert dort nicht) oder denalten Pariser Nullmeridian (den dasBuch um eine Kleinigkeit verlegt hat).Sie versuchen, die seltsamen Wegenachzuvollziehen, die Robert Langdon inParis nimmt, als er von seinem Hotel inden Louvre gefahren wird (zu Fuß wäre

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er schneller) oder zählen nach, ob dieGlaspyramide am Eingang des Louvrewirklich die teuflische Zahl von 666Glasscheiben hat (es sind 698). Vielleichtfühlen sie sich sogar versucht, das eineoder andere Ausstellungsstück mitgehenzu lassen, denn Dan Brown erklärt aus-drücklich, dass die Überwachungskam-eras im Louvre nur Attrappen sind (sindsie nicht, also besser nichts dergleichenversuchen).

Dan Brown beschreibt ein fiktives Par-is, nicht das wirkliche. Das ist selbstver-ständlich seine dichterische Freiheit –wäre da nicht sein ausdrücklicher Ans-pruch, dass alles genau stimmt. Die vor-getäuschte Wirklichkeitsnähe macht ein-en beträchtlichen Teil der Spannung ausund ist sicherlich ein bewusstes

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Stilmittel, aber sie ist eben nur –vorgetäuscht.

Mathias Bröckers, der vierte Autor,passt auf den ersten Blick nicht recht insBild. Seine Themen sind die Terroran-schläge auf das World Trade Center unddas Pentagon am 11.September 2001. Inseinen Büchern und Artikeln theoretis-iert er nicht, er polemisiert. Die Regier-ung der USA, so steht für ihn fest, hatdie Terroranschläge geduldet oder selbstinszeniert. Mathias Bröckers erfährt dasim Wesentlichen durch seine beständigeSpurensuche im Internet und schreibtdie Ergebnisse seiner Recherchen in ein-er eigenen, 57 Folgen umfassenden Ser-ie im Internet-Magazin Telepolis zusam-men. Diese Artikel hat er zusammen mit

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einem theoretischen Vorspann zu seinemBuch »Verschwörungen, Verschwörung-stheorien und die Geheimnisse des11.9.« verarbeitet, dem kurze Zeit später»Fakten, Fälschungen und die unter-drückten Beweise des 11.9.« folgte. Daserste Buch hat inzwischen 35 Auflagenerlebt, das zweite acht. Die deutsche,amerikanische und internationalePresse, so sie seinen Ausführungen nichtfolgen will, bezeichnet er gerne alsMedienbordell, um ihre Käuflichkeit zubetonen. Nicht Islamisten, sondern dieamerikanische Regierung in Verbindungmit Drogenhändlern, der CIA oder derisraelischen Regierung hat die An-schläge inszeniert, um sie dann ihrenGegnern in die Schuhe zu schieben, istseine stets wiederholte Überzeugung.

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Das hört man gerne in islamischenLändern, und so ist es kein Wunder, dasser Übersetzungsrechte unter anderemins Indonesische (Indonesien ist dasvolkreichste islamische Land der Welt)und ins Arabische verkauft hat.

Mathias Bröckers kennt nur Gute,Böse und Dumme – von den Medien malabgesehen, die, wie er in seinem Weblogschreibt, noch verkommener sind, als erohnehin schon gedacht hat. Die Gutensind die Wenigen, die in den USA trotzdes »Gestapo-ähnlichen« Ministeriumsfür Homeland Security noch Kritischeszu berichten wagen – wie MichaelMoore, Daniel Hopsicker und einige an-dere. Die Bösen sind die »Bushisten«,ein »Regime verrückter Petronazis«, ge-führt von einem »Halbintelligenzler«.

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Ihre wirtschaftlichen Ideen sind»kriminell, korrupt und asozial«. DerRest der Menschheit sind die Dummen,die den Bösen glauben oder sie sogarwählen.

Bröckers entwirft eine holzschnit-tartige Welt ohne Zwischentöne. Dabeiliegt sein Schwerpunkt darauf, mit In-formationsfetzen, Gerüchten und Le-genden jedes stimmige Bild der Ereign-isse zu zerstören. Er greift dafür sogardie Berichterstattung der von ihm als be-stechlich, willfährig und unzuverlässigkritisierten »Mainstream«-Medien auf.Es war alles nicht so, wie offiziell be-hauptet, die US-Regierung hat Schuldund die Israelis profitieren, lautet Bröck-ers vielfach wiederholtes Fazit.

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Charles Berlitz, Erich von Däniken, DanBrown, Mathias Bröckers: vier ver-schiedene Autoren, vier verschiedeneThemen aus dem Reich der Ver-schwörungen, Rätsel und Geheimnisse.Was verbindet sie, außer ihrem Erfolg?Alle versprechen, wirkliche Ereignisseaus einem neuen Blickwinkel zu zeigen,geheime Zusammenhänge aufzudeckenund verborgene Drahtzieher ans Licht zuzerren. Alle vier Erfolgsautorenschreiben im Stil des Kriminalromans.Erst stellen sie Fragen, um das Weltbildder Leser zu erschüttern, dann lassensie den Leser bei der Aufklärung mitzit-tern. Charles Berlitz verzichtet auf fer-tige Antworten, er präsentiert einegekonnte Gruselgeschichte und über-lässt es der Phantasie des Lesers,

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welche natürlichen, übernatürlichenoder außerirdischen Kräfte am Werksind. Die anderen Autoren gehen nachdem bekannten Schema guter Romanevor: Sie bauen ein vertrautes Bild auf,dann säen sie Zweifel, stellen Fragen,konstruieren Widersprüche. Das Bildbekommt Risse, ein anderes Bild beginntdurchzuschimmern …

Jede spannende Erzählung ist so aufge-baut. Doch das alleine reicht nicht, umden Lesern den Eindruck eines neuenund tieferen Einblicks in die Wirklichkeitzu vermitteln. Es muss noch ein weitererAspekt hinzukommen: die Genauigkeit.Zahlen, Daten, Fakten, Orte, Zeiten, Na-men – nichts davon darf fehlen.

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Allerdings müssen die Angaben nicht un-bedingt stimmen.

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Genauigkeit als Täuschung

Schon das Einhalten der äußeren Formeiner Zeitungsmeldung oder einesSachartikels reicht aus, um denEindruck der Genauigkeit zu erwecken.Ein Beispiel: »Iwan Grosny, der Privat-sekretär des russischen PräsidentenChruschtschow, berichtet in seinen 1972geschriebenen und heimlich in denWesten geschmuggelten Memoiren, dassChruschtschow am Tag der Ermordungvon Präsident Kennedy die Fernsehüber-tragung der Fahrt des Präsidenten durchHouston live verfolgt hat und mehrfachauf die Uhr sah, bis um 15.14 Uhr die

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tödlichen Schüsse fielen. Dann stellte erohne erkennbare Gemütsregung denFernseher ab und unterzeichnete einebereits vorbereitete Beileidserklärung.«

Der vorangegangene Absatz klingt aufden ersten Blick einigermaßen plausibel– aber der gesamte Inhalt ist von vornebis hinten erfunden. Iwan Grosny ist derrussische Namen des Zaren Iwan IV.,der übrigens keine Memoiren ges-chrieben hat. Kennedys letzte Fahrtwurde nicht im Fernsehen übertragenund der Kreml hatte 1963 keinen Live-Zugang zum amerikanischen TV-Netz.Präsident Kennedy starb in Dallas, nichtin Houston, und nicht um 15.14 Uhr,sondern um 12.30 Uhr Ortszeit.

Dieses fiktive Bespiel enthält kaummehr Fehler als die für wahr

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ausgegebenen Geschichten andererAutoren. So berichtet Erich von Dänikenvon einem Bündel geheimnisvollerLandkarten, die Anfang des achtzehntenJahrhunderts im Topkapi-Palast in Istan-bul gefunden wurden und dem AdmiralPiri Reis, einem Offizier der türkischenMarine, gehört haben sollen. DiesesKartenbündel stelle exakt die Erde dar,wie sie ein Raumschiff in großer Höheüber Kairo sieht, sogar die Antarktis unddie Gebirge dort seien exakt eingezeich-net, schreibt Däniken. Er sieht darin deneindeutigen Beweis, dass außerirdischeWesen den Menschen bereits vor vielenhundert Jahren Informationen zukom-men ließen.

Das klingt bestechend, weist aber eineganze Reihe von inneren Widersprüchen

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auf. Es kann vor der Gründung derTürkei im Jahre 1923 keine türkischeMarine und keinen türkischen Admiralgegeben haben. Für ein Raumschiff überKairo (30 ° nördlicher Breite) liegt dieAntarktis hinter dem Horizont. Solltealso ein Südkontinent eingezeichnetsein, ist er zu weit nach Norden ger-utscht und kann nicht exaktwiedergegeben sein.

Jetzt zu den Fakten: Es gibt kein Karten-bündel, sondern nur ein einzelnesKartenfragment. Es wurde nicht imachtzehnten Jahrhundert gefunden, son-dern im Jahre 1929. Piri Reis, der Admir-al der osmanischen Marine, hat es nichtnur besessen, sondern im Jahre 1513gezeichnet. Das behauptet jedenfalls

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eine Randnotiz auf der Karte. DieKüstenlinien sind keineswegs exaktwiedergegeben, sondern entsprechendem Wissensstand des sechzehntenJahrhunderts. Steven Dutch von derUniversity of Wisconsin in Green Bay hatdie Karte ins Internet gestellt und dietatsächlichen Küstenlinien nachgetra-gen. Die Abweichungen sind enorm. InDänikens Buch fehlt übrigens eine Ab-bildung des Kartenfragments. Doch auchohne außerirdische Beteiligung ist diePiri-Reis-Karte durchaus be-merkenswert: Wenn sie wirklich imJahre 1513 gezeichnet wurde, zeigt sieeine der ältesten erhaltenen Darstel-lungen des amerikanischen Kontinents.

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Ein weiteres Beispiel für täuschendeGenauigkeit: Mathias Bröckers behaup-tet am 12., 14. und 17.Juni 2004 in einemdreiteiligen Artikel für das Online-Magazin Telepolis, am Morgen des11.September 2001 hätten Militärübun-gen, er nennt sie »Wargames«, stattge-funden, in denen übungshalber Flug-zeuge als entführte Linienmaschinenmitgespielt hätten. Das hätte die Luft-verteidigung daran gehindert, die ent-führten Maschinen abzuschießen, dievon islamistischen Terroristen ins WorldTrade Center und das Pentagon gelenktwurden. Die Islamisten wurden, wieBröckers weiter ausführt, »höchstwahr-scheinlich« von den Initiatoren der War-games eingeschleust, um Terroristen zuspielen. Die Ermittlung ihrer »wahren«

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Identitäten würde demzufolge offenbar-en, dass sie als Sündenböcke »gehijackt«wurden. Eine – vorsichtig ausgedrückt –unkonventionelle Darstellung derEreignisse.

Als Beleg verlinkt Bröckers auf Mi-chael Rupperts Website, dessen News-letter From the Wilderness eine wichtigeQuelle für eine Reihe von Mathias Bröck-ers’ Artikeln darstellt. Rupperts Websiteenthält viel Eigenwerbung, einen Shopund dutzende »sensationeller« Enthül-lungsartikel. Sie befassen sich vorwie-gend mit der amerikanischen Regierungund ihren Verwicklungen in die At-tentate auf das World Trade Center,ihren angeblichen Öl- und Drogen-geschäften und ihren Verbindungen zurisraelischen Regierung. Mit Datum vom

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5.Juni 2004 schreibt Ruppert, er habeeinen geheimen Tipp von »jemandem beiNORAD«, dem strategischen Luftvertei-digungssystem der USA, bekommen. Am11.September soll, so bestätigte ihmdieser Unbekannte, ein »Wargame« stat-tgefunden haben mit echten Verkehrs-flugzeugen als Übungsobjekten. Einenoffiziellen Befehl habe es bei NORADnicht gegeben, das wäre zu auffälliggewesen. Seine Ermittlungen seien abernoch im Gange, schreibt Ruppert weiter,und mehr könne er noch nicht sagen.Genaueres werde man in seinem neuenBuch nachlesen, das im August 2004»sicher« erscheinen werde. Bis Februar2006 hat er es jedoch noch immer nichtveröffentlicht. Welche Beweise liefertder Link also? Einen geheimnisvollen

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Informanten, einen verkaufsförderndenHinweis auf ein noch nicht erschienenesEnthüllungsbuch – und weiter nichts. ImÜbrigen steht dort keineswegs, dass diearabischen Terroristen als Übungsteil-nehmer angeheuert wurden. Diesenweitreichenden Schluss hat MathiasBröckers wohl selber gezogen, jedenfallsgibt er keine weiteren Belege dafür an.

So geheim, wie Bröckers behauptet,können die Übungen nicht gewesen sein,denn auf der offiziellen Website derNORAD kann man zu der Übung »North-ern Vigilance« eine Pressemitteilunglesen. Eine Tabelle mit gleich sechs»Wargames« hat Bröckers im englischenOriginal von der Website Oilempire.uskopiert. Der Autor dieser Seiten verweistals Beweis seiner Wargamesthesen

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wiederum auf Michael Ruppert, womitder Kreis sich schließt. Das ebenfalls alsBeleg angeführte Buch Against allEnemies von Richard Clarke bestätigtkeineswegs Bröckers These von der ab-sichtlichen Behinderung der Luftabwehr.Im Gegenteil: Die Luftabwehr startetedie ersten beiden Abfangjäger nursieben Minuten nach dem Einschlag desersten Flugzeugs in das World TradeCenter. Schneller hätte sie kaum re-agieren können.

Natürlich war die Luftabwehr nichtdarauf vorbereitet, dass TerroristenVerkehrsflugzeuge als Bomben einsetzenwürden. Ihre Aufgabe ist die Verteidi-gung der USA gegen militärische Luftan-griffe von außen, derzeit eine eher theor-etische Bedrohung. So standen am

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Morgen des 11.September 2001 nur 14alarmbereite Maschinen für den ges-amten US-Luftraum bereit. Im Übrigenhatte die Luftwaffe keine Erlaubnis, ent-führte Verkehrsflugzeuge auf Verdachthin abzuschießen.

Wie Berlitz, Däniken und Brown schreibtBröckers eine spannende Geschichte mitvielen Einzelheiten. Ein Teil davon ents-pricht der Wahrheit, ein anderer Teilbleibt Spekulation oder ist erfunden. AlleAutoren beherrschen die Kunst, aus denechten und den imaginären Teilen einAufsehen erregendes Gesamtbild zusam-menzupuzzeln. Daraus lässt sich eineeinfache Regel ableiten: Der Erfolg einerVerschwörungstheorie hängt in ersterLinie davon ab, dass der Autor sie

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spannend vortragen kann. Zu diesemZweck verwebt er die Wahrheit sogeschickt mit Lügen und Vermutungen,dass eine stimmige Geschichte entsteht,die ihre Leser mitreißt.

»Die Wahrheit steht einer gutenGeschichte nie im Weg«, sagt der Ethno-loge Jan Harold Brunvand, der Erfinderdes Begriffs »Urban Legend«. Treffenderkann man das Erfolgsgeheimnis von Ver-schwörungstheorien nichtzusammenfassen.

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4: Zeichendeuter undHexenjägerEine Typologie derVerschwörungstheoretiker

In diesem Kapitel werde ich mehrereTypen von Verschwörungstheoretikernvorstellen. Natürlich hat jeder Einzelnevon ihnen gleich ein ganzes Bündel vonMotiven, geht auf seine ganz eigeneWeise vor und verfolgt eventuell auchmehrere Ziele. Diese Einteilung solllediglich eine etwas bessere Übersichtschaffen. Im Einzelfall kann ein Ver-schwörungstheoretiker auch zu mehrer-en Gruppen gehören, die meisten lassen

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sich aber einer der folgenden vier Grup-pen zuordnen:

• Der Verfolgte: Er fühlt sich ganzpersönlich von einer Verschwörungbedroht.

• Der besessene Aufklärer: Er hateine Verschwörung entdeckt undfühlt sich berufen, die Welt darüberzu unterrichten.

• Der Zeichendeuter: Er findet seineBestimmung darin, eine zentraleThese aufzustellen, immer neue Be-weise dafür zu suchen und in gan-zen Serien von Büchernauszubreiten.

• Der Hexenjäger: Er hat eine böseVerschwörung gefunden, dieSchuldigen ausgemacht und verfol-gt sie unnachsichtig. Wer nach

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seiner Meinung zu den Ver-schwörern gehört, muss bestraftwerden. Dafür arbeitet er jedewache Stunde des Tages.

Sehen wir uns die Gruppen einmalgenauer an:

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Der Verfolgte

Der Verfolgte ist der Schrecken derLokalredaktion seiner Heimatzeitung.Bei der Polizei ist er ebenfalls gut bekan-nt. Er weiß, dass er verfolgt wird, undkann nicht verstehen, dass die Polizeinichts unternimmt. Regelmäßig er-scheint er mit einem Bündel von Beweis-en in der Aktentasche beim Lokalredak-teur und beweist ihm in einer langenRede, dass er wirklich verfolgt wird. Jenach Temperament und Stimmung hörtder Redakteur zu, lässt sich verleugnenoder schickt einen Volontär, den ergerade entbehren kann. Denn der Mann

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hat viel zu erzählen – wenn man ihnlässt. Auch die Bundestags- undLandtagsabgeordneten hat der Ver-schwörungstheoretiker bereits anges-chrieben. Er leidet darunter, dassniemand ihm glauben will. Dabei kann eralles beweisen – und tut es ausgiebig beijeder passenden Gelegenheit.

Er weiß um die besondere Bedeutungdes Glockenschlags seiner Kirche. Er hatdas gesamte Sonntagsgeläut auf Bandaufgenommen und die Abstände zwis-chen den Glockentönen vermessen, umdie geheime Botschaft darin zuentschlüsseln. Er hat exakt bestimmt,um welche Uhrzeit die Straßenlampenseiner Straße aufflammen. Er hat mon-atelang den Kleinanzeigenteil der beidenHeimatzeitungen studiert, um den

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geheimen Unregelmäßigkeiten in denChiffre-Nummern auf die Spur zu kom-men. Sicher, so gibt er zu, das klingtalles sehr unwahrscheinlich, er würde esanderen auch nicht glauben, aber er hatviele Jahre Beweise gesammelt. Einüberquellender Schrank voller Aktenord-ner mit Berechnungen, Dokumenten,Zeitungsausschnitten und Briefen be-herrscht sein Arbeitszimmer, und aufseinem Schreibtisch türmen sichPapiere, die noch der Einordnungharren.

Jede Zeitung, jede Polizeistation, jederPolitiker kennt diese Menschen. Vielevon ihnen sind nach medizinischenMaßstäben krank, aber oft fehlt ihnendie Krankheitseinsicht. Wenn jemandüber Jahre ein Wahnsystem aufgebaut

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und kultiviert hat, findet auch ein er-fahrener Psychiater nur schwer Zugangzu ihm. Doch Wahnkranke ohne weitereErkrankungen wie Depression oderSchizophrenie meistern ihren Alltagmanchmal erstaunlich gut und sind de-shalb nicht unbedingt auf ärztliche Hilfeangewiesen. Außerhalb ihres Wahnsys-tems handeln sie durchaus rational undangemessen. Manche aber entwickelneine regelrechte Besessenheit. Siekönnen ihren Beruf nicht mehr ausübenund auch ihr Privatleben gerät völlig ausden Fugen. Viele finden erst dann, undoft auch nur auf Druck ihrer Angehöri-gen, den Weg zum Arzt.

Der Verfolgte fühlt sich eingeengt,beobachtet und bedrängt. Die Ver-schwörung, seine Verschwörung gehört

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zu seinem eigenen kleinen Mikrokosmos.Sie mag die Welt bedrohen, aber in er-ster Linie bedroht sie ihn.

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Der besessene Aufklärer

Er ist einer ganz großen Verschwörungauf der Spur. Er nervt seine Familie,seine Freunde und seine Kollegen solange damit, bis sie nichts mehr davonhören wollen. Er fährt zu den Orten, dieer als Brennpunkte identifiziert hat, undmacht dort heimlich Fotos. Er sammeltLiteratur, bis sich in seinem Arbeitszim-mer kein freier Raum mehr findet. Under schreibt ein Buch, in dem er mit Hun-derten von Zitaten akribisch dieRichtigkeit seiner Thesen nachweist.

Besessene Aufklärer tragen einen be-trächtlichen Teil zu den Stapeln

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unverlangter Manuskripte bei, die diePostboten Tag für Tag bei den großenBuchverlagen abliefern. Durch die höf-lichen vorgedruckten Ablehnungenlassen sie sich nicht entmutigen. Ent-weder finden sie schließlich einen ob-skuren Verleger, der ihre Bücher ver-treibt, oder sie gründen selbst einen Ver-lag. Die besessenen Aufklärer haben mitAufkommen des Internet natürlich eineeinfache Möglichkeit bekommen, ihreWerke der Welt zugänglich zu machen.Trotzdem stößt man im Netz kaum aufkostenlose Verschwörungsbücher.Besessene Aufklärer möchten nämlichmit ihren Büchern Geld verdienen.

Eine besondere Variante der be-sessenen Aufklärer sind die be-trügerischen Aufklärer. Der

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Spektakulärste unter ihnen ist sicherlichder Pariser Buchhändler und Schrifts-teller Gabriel Jogand-Pagès, der seineBücher unter dem Namen Leo Taxil ver-öffentlichte. Zunächst erfand er für eine»Liga der Antiklerikalen« frei erfundeneInsider-Berichte über die angeblichenLaster katholischer Geistlicher. 1885konvertierte er unerwartet zum Kathol-izismus und bekannte mit großer Gesteseine bisherigen Sünden. Noch im sel-ben Jahr veröffentlichte er ein Enthül-lungsbuch über die Freimaurer, derenMitglied er von 1881 bis 1884 gewesenwar. Möglicherweise wollte er sich dafürrächen, dass die Freimaurer ihn wegenehrenrührigen Benehmens vor die Türgesetzt hatten, vielleicht wollte er aberauch nur Geld verdienen.

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In jedem Fall hängte er denFreimaurern die blutigsten Untaten undnatürlich ausschweifende sexuelle Orgi-en an. Der Teufel persönlich sei bei densatanischen Riten der Freimaurer zuge-gen, so behauptete Taxil. Das Publikumwusste seine Erfindungen zu schätzen:Sein Buch erlebte binnen kurzer Zeit 40Auflagen. Papst Leo XIII. empfing Taxilin Privataudienz und bat ihn um dieFortsetzung seiner Aufklärungsarbeit.Taxil ließ sich nicht lange bitten undlegte nach: 1892 veröffentlichte er seinneues, phantasievoll bebildertes Buchunter dem Titel Die Geheimnisse derFreimaurer. Darin warf er denFreimaurern unter anderem Hostienfrev-el vor, ein ebenso alter wie unsinnigerVorwurf gegen die europäischen Juden.

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Die Antisemiten triumphierten, sie hat-ten Juden und Freimaurer immer schonim Verdacht gehabt, die Christen heim-lich vernichten zu wollen.

Am 19.April 1897 war dann plötzlichalles vorbei: Leo Taxil erklärte vor 400geladenen Gästen, seine Vorwürfe seienfrei erfunden und er habe nur die Leicht-gläubigkeit der Katholiken ausnutzenwollen. Doch wenn er geglaubt hatte,den Unsinn damit aus der Welt geschafftzu haben, so hatte er sich getäuscht: DieVorwürfe geisterten weiterhin durch dieWelt der Verschwörungsbücher, und ein-ige Hartgesottene verbreiteten sogar dieBehauptung, Juden und Freimaurer hät-ten Taxil zum Widerruf gezwungen.

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Der Zeichendeuter

Seit den frühesten Zeiten der Mensch-heit stehen Zeichendeuter in allerhöch-stem Ansehen. Aus ihren Reihen stam-men Schamanen, Medizinmänner,Druiden, Priester, Propheten, heiligeMänner, weise Frauen, Zauberer undWahrsager. Sie sind Mittler zwischenGeistern, Göttern, Dämonen undMenschen. Sie lesen und deuten die Er-scheinungen der Natur, erkennen denWillen der Götter aus dem Vogelflug,den Eingeweiden der Opfertiere, demRauch der Brandopfer. Auch Ärzte sindZeichendeuter. Aus wenigen äußeren

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Anzeichen, aus den Messwerten derBlutproben, aus den geheimnisvollenLinien des EKG und den hellen unddunklen Flächen ihrer Röntgenbildererkennen sie die Krankheiten einesMenschen. Die Zeichendeuter unter denVerschwörungstheoretikern sehenwahrhaft große, weltweite Ver-schwörungen und lesen aus wenigen ver-streuten Zeichen die Absichten derVerschwörer.

Erfolgreiche Zeichendeuter habenbegeisterte Anhänger und entschiedeneGegner. Ihre Anhänger legen ihnen im-mer neue Rätsel zur Deutung vor, ihreGegner machen keinen Hehl daraus,dass sie das ganze Gedankengebäude fürunsinnig halten.

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Von den besessenen Aufklärern unter-scheiden sich die Zeichendeuter durchihre Vielseitigkeit. Sie variieren ihrGrundthema immer neu; nicht dieAufklärung einer Verschwörung ist ihrZiel, sondern das Zusammenlegen im-mer neuer Mosaiksteinchen zu einemüberraschenden Muster. Erich vonDäniken erzeugt die Spannung in seinenBüchern durch die genaue Beschreibungvon exotischen Orten, das Aufwerfen vonRätseln und die Führung des Lesers zueiner Lösung der Probleme unter außeri-rdischer Beteiligung. Sein Grundmusterist ein fast religiöses Motiv: Machtvollewohlmeinende Außerirdische haben denMenschen die Zivilisation gebracht, siehaben sie an die Hand genommen undausgebildet – und sie verfolgen bis heute

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die Fortschritte ihrer Schützlinge, um abund zu helfend einzugreifen.

Mathias Bröckers stellt immer neueVerschwörungstheorien vor, mit denener die Unhaltbarkeit der Standardver-sion der Attentate auf das World TradeCenter am 11.9.2001 belegen will. Aucher wirft ständig neue Rätsel auf, um siedann im Rahmen seines Grundmotivs zulösen.

Für die Zeichendeuter gilt der alteSpruch: Der Weg ist das Ziel. Nicht derletzte Beweis einer bestimmten Ver-schwörung ist der Gegenstand ihrerBücher, sondern das Aufbauen von im-mer neuen Konstellationen geheim-nisvoller Hinweise.

So wird der Zeichendeuter zu einerArt hohem Priester seiner Anhänger und

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bleibt es auch, solange er die Deutung-shoheit behält, also seine Position alsoberste Autorität der Zeichendeutungbehauptet.

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Der Hexenjäger

Wheeling in West Virginia, direkt amOhio River gelegen, ist mit seinen 30 000Einwohnern eher eine unauffällige Klein-stadt. So muss es den Club Republikanis-cher Landfrauen gefreut haben, dass am9.Februar 1950 Joseph McCarthy, einveritabler Senator der VereinigtenStaaten, persönlich zu ihnen sprechenwollte. Seit 1946 vertrat McCarthy denStaat Wisconsin im Senat, war bis 1950aber relativ unbekannt geblieben. Ander-erseits, so werden sich die Damengedacht haben: Was will man verlangen?Ein wirklich großer Mann hätte sich

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wohl nicht die Zeit genommenn, vor denLandfrauen von Wheeling zu sprechen.

Es sollte ein denkwürdiger Abendwerden, denn der Senator hatte Erstaun-liches mitzuteilen. Am nächsten Tag ver-öffentlichte Frank Desmond in derOrtszeitung Wheeling Intelligencer fol-genden Auszug aus seiner Rede: »Ichhabe hier in meiner Hand eine Liste von205 Namen, die dem Außenminister alsMitglieder der Kommunistischen Parteibekannt waren und die trotzdem noch imAußenministerium arbeiten und seinePolitik gestalten.«

Die Landfrauen hatten keinen Grund,McCarthy nicht zu glauben. Der Senatorwirkte durchaus ehrlich und er schwen-kte tatsächlich ein Papier, auf dem dieNamen hätten stehen können.

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Verschiedene Zeitungen berichtetenin den nächsten Tagen über die angeb-liche kommunistische Unterwanderungdes Außenministeriums, eine wirklicheSensation sah aber wohl niemand darin.Das Ministerium bat McCarthy, die Listezur Verfügung zu stellen, denn demAußenminister war nichts über die Kom-munisten unter seinen Angestelltenbekannt. McCarthy antwortete, er habenicht gesagt, dass 205 Mitarbeiter desMinisteriums Kommunisten seien, erhabe lediglich von »205 schweren Sich-erheitsrisiken« gesprochen. Eine Listekam im Außenministerium nie an. EinigeTage später erklärte McCarthy in SaltLake City, er verfüge über die Namenvon 57 Mitarbeitern des Außenministeri-ums mit gültigen Mitgliedsausweisen der

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kommunistischen Partei. Im Außenminis-terium war man nunmehr ernstlich irrit-iert. Einer der leitenden Beamten kom-mentierte: »Wir wissen nichts von Mit-gliedern der kommunistischen Partei imMinisterium, und sollten wir welche ent-decken, werden wir sie sofortentlassen.«

Der Kommunismus sowjetischer Prä-gung galt in den USA Anfang der fünfzi-ger Jahre als schlimmste Bedrohung deramerikanischen Sicherheit, wenn nichtsogar der Sicherheit der gesamten freienWelt. Die Sowjetunion hatte den Amerik-anern die Baupläne für die Atombombegestohlen und baute seit 1949 eigeneNuklearwaffen. Im gleichen Jahr hatteMao mit sowjetischer Waffenhilfe Chinaerobert und die von den USA

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unterstützten Truppen Tschiang Kai-scheks nach Taiwan vertrieben. Schonvorher hatte die Sowjetunion die StaatenOst- und Mitteleuropas unter ihreHerrschaft gezwungen und überall kom-munistische Marionettenregimeinstalliert.

Der hoffnungsvolle Frieden nach derNiederringung Nazi-Deutschlands warnur fünf Jahre später dem Kalten Krieggewichen. Die kommunistische Sowje-tunion, im Zweiten Weltkrieg noch Ver-bündeter, war zum schlimmsten Feindder USA geworden. Wie konnte es alsosein, dass 57 oder 205 Kommunisten imAußenministerium Dienst taten?

Der Senat forderte McCarthy auf,seine Anschuldigungen zu belegen. Miteiner zum Bersten gefüllten Aktentasche

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erschien er vor den Senatoren undkündigte 81 Fälle an, die er anonym vor-stellen werde.

81? Richtig: 81, er hatte zu seinen 57Fällen bereits 24 neue gefunden. Unddie ursprüngliche Zahl von 205? »Ichglaube nicht, dass ich die Zahl 205 er-wähnt habe«, antwortete McCarthyglatt, »Ich glaube, ich habe gesagt:›Mehr als zweihundert‹».

Er werde Fälle vorlegen, sagteMcCarthy, die eine deutliche Verbindungzum Kommunismus hätten, nicht un-bedingt ein Parteibuch der Kommun-istischen Partei. Auch wollte er nicht be-haupten, dass alle 81 zur Zeit im Auße-namt beschäftigt waren.

Nach diesem vielversprechenden Be-ginn löste sich die Vorstellung der

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Einzelfälle in völlige Konfusion auf. DieNummern 15, 27, 37 und 59 fehlten, 3und 4 bezeichneten die gleiche Person,ebenso 9 und 77.

Im weiteren Verlauf wurde das Ver-wirrspiel zur Posse. McCarthy bewiesnichts, aber er hielt seine Beschuldigun-gen aufrecht. Er gab auf die Fragen an-derer Senatoren lange, polemische undsinnlose Antworten. McCarthy nahmniemals etwas zurück. Er veränderte Be-hauptungen unter dem Vorwand, sie zubekräftigen, oder stritt ab, bestimmteDinge jemals gesagt zu haben. Nicht sel-ten erhob er seinerseits wilde Beschuldi-gungen gegen seine Kritiker. Unter kein-en Umständen aber gab er einen Fehlerzu.

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Nach der für ihn blamablen Senatsan-hörung hätte seine Karriere zu Ende seinkönnen, aber jetzt geschah ein polit-isches Wunder: Die Berichte über seinenAuftritt vor dem Senat hatten bei vielenAmerikanern den Eindruck geweckt, hiergehe endlich ein Senator entschlossengegen den kommunistisch-intellektuellenFilz in den Bundesbehörden vor. Sie hiel-ten Universitäten für Horte des Kom-munismus und sahen mit Misstrauen,dass ein guter Abschluss in Geschichteoder Politik der Universitäten Harvard,Princeton oder Yale eine Freikarte füreine Karriere in den Ministerien zu seinschien.

Tatsächlich hatte der Kommunismusauf viele Studenten in den dreißigerJahren eine enorme Anziehungskraft

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ausgeübt. Die Idee einer Überwindungder Unterdrückung des Menschen durchden Menschen auf der Grundlage einerhistorisch notwendigen Entwicklungfaszinierte sie. Natürlich irritierte es sie,dass Stalin die Unterdrückung un-menschlich verschärfte, um ihre Ab-schaffung voranzutreiben. Viele glaubtenzunächst der kommunistischen Propa-ganda, dass damit die Kräfte der Reak-tion, des Faschismus und desTrotzkismus ausgerottet werden sollten.Doch als die Exzesse stalinistischerSäuberungen unübersehbar wurden unddie Aufhebung der Unterdrückung in ne-belhafte Ferne rückte, beendeten diemeisten Intellektuellen ihren Flirt mitdem Kommunismus und heirateten ihre

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Arbeit in den Universitäten oderMinisterien.

Unter konservativen Amerikanern wardie Meinung verbreitet, dass die Kom-munisten in Amerika ein gewaltiges kon-spiratives Netzwerk bildeten, um dieBürger der USA unter die Herrschaftder Sowjetunion zu zwingen. Viele vonihnen fanden es absolut richtig, dassendlich jemand mit diesem Spukaufräumte. McCarthy erhielt in den Mon-aten nach der Anhörung Tausende vonzustimmenden Briefen. Viele davon en-thielten Geld, zuerst nur wenige Dollar,später aber auch größere Summen.McCarthy begann daraufhin, zu Spendenaufzurufen, um seinen einsamen Kampfgegen die Kommunisten in der Regier-ung zu finanzieren. Er bekam jetzt auch

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vorsichtige Unterstützung von einigenrepublikanischen Senatoren, denen allesrecht war, was der demokratischen Re-gierung von Präsident Truman schadenkonnte.

Der Senat setzte einen nicht-öffentlichtagenden Ausschuss ein, um McCarthysAnschuldigungen in Ruhe zu überprüfen.Jetzt, hinter verschlossenen Türen, nan-nte McCarthy auch Namen. Das Außen-ministerium übergab dem Ausschuss diePersonalakten der Beschuldigten, waseigentlich unzulässig war. Keine derBeschuldigungen ließ sich daraus er-härten. Langsam benötigte McCarthyeinen echten Spion, sonst würde seinStern ebenso schnell sinken, wie eraufgestiegen war.

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Im März 1950 beschuldigte er plötzlichOwen Lattimore, den damalsbekanntesten China-Experten der USA.McCarthy präsentierte eine Reihe vonZeugen, die nebelhafte Anschuldigungenerhoben. Wieder konnte er nichts be-weisen, aber Lattimore musste jahrelangum seinen guten Ruf kämpfen. Der dam-als Fünfzigjährige konnte auf eine bisdahin glänzende Karriere zurückblicken.Er war in China geboren, sprachfließend Chinesisch und Mongolisch undkannte Nordostchina von vielen Reisen.Im Jahre 1938 verpflichtete ihn der Rekt-or der Johns-Hopkins-Universität in Bal-timore als Dozent. Er unterrichtete ander zur Universität gehörenden PageSchool of International Relations undwurde später ihr Direktor. Und jetzt

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sollte er plötzlich ein russischer Spionsein. McCarthys Zeugen redeten viel undbewiesen nichts. McCarthy konnte seinevollmundigen Beschuldigungen nicht be-weisen, aber wie gewohnt nahm er sienicht zurück. Auch wenn Lattimore keinSpion der Russen sei, argumentierte er,so sei er doch ein »kriminelles Risiko«.

Owen Lattimore wurde 1952 tatsäch-lich wegen Meineids angeklagt und ver-urteilt, weil er angeblich vor einem Un-terausschuss des Senats die Unwahrheitgesagt hatte. 1955 wurde das Urteil je-doch vollständig aufgehoben und Lat-timore rehabilitiert. Viele der vonMcCarthy Beschuldigten waren wenigerprominent, und für eine Reihe von ihnenbedeuteten die Anschuldigungen dasEnde ihrer Karriere.

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Bis Mitte 1950 perfektionierteMcCarthy seine Methode. Er hielt einständiges Verwirrspiel in Gang, bei demdie einzige Konstante seine Vorwürfewaren. Und die blieben immer gleich:Das Außenministerium und andere Be-hörden, ja sogar die Armee, waren Sch-langennester voller Kommunisten.McCarthy sah »eine Verschwörung vonso immenser Größenordnung, dass siejedes andere derartige Unternehmen inder menschlichen Geschichte in denSchatten stellt«, wie er am 14.Juni 1951im Senat behauptete. Und er, so schärfteer den Journalisten und seinen Wählernein, war angetreten, damit gründlichaufzuräumen.

1952 wurde er für weitere sechs Jahreerneut in den Senat gewählt.

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Gleichzeitig wechselte auch die Regier-ung: Im Januar 1953 trat der Republikan-er Dwight D. Eisenhower die Nachfolgedes Demokraten Harry Truman an.McCarthy übernahm im neuen Senat denVorsitz im Regierungskontrollausschussund dem ständigen Unterausschuss fürErmittlungen. Diese Ausschüsse solltendie Effektivität der Regierungsarbeitüberprüfen. Es war die Arbeit für einenBuchhalter, nicht für einen Demagogen.Offenbar hoffte der Senat, dassMcCarthy entweder gute, aber stilleArbeit leisten werde, oder so schlechte,dass man ihn irgendwann mit ruhigemGewissen abschieben konnte. Sie solltensich irren.

McCarthy erhielt mit dem Amt desAusschussvorsitzenden die Macht,

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Regierungsmitglieder und hohe Beamtevorzuladen. Davon machte er in den fol-genden Monaten ausgiebig Gebrauchund zitierte ranghohe Regierungsmit-arbeiter vor den Ausschuss, um ihnendie absurdesten Verfehlungen vorzuwer-fen. Die Arbeit begann ihm über denKopf zu wachsen, und er stellte zwei Mit-arbeiter ein, die ihm helfen sollten: RoyCohn und David Schine.

Cohn war ein junger Anwalt, der sichbereits im Prozess gegen die angeb-lichen Atomspione Julius und EthelRosenberg durch seinen strammenAntikommunismus hervorgetan hatte.David Schine, ebenso jung, war Sohneines Hotel- und Kinokettenbesitzers.Seine Qualifikation bestand aus einemsechsseitigen Pamphlet gegen den

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Kommunismus, das er in der Hotelketteseines Vaters auszulegen pflegte, sowieseiner Freundschaft mit Roy Cohn.

Mit der Autorität des Ausschusses imRücken begannen McCarthy und seinebeiden Helfer eine gnadenlose Kommun-istenjagd in verschiedenen Regierungs-behörden, dem konservativen Rundfunk-sender Voice of America sowie ver-schiedenen amerikanischen Einrichtun-gen in Europa. McCarthy stand jetzt aufdem Höhepunkt seiner Macht. Die re-publikanische Regierung bemühte sich,so wenig Angriffspunkte wie möglich zuliefern, und ließ die von McCarthyherausgepickten Mitarbeiter meist un-auffällig aus dem Dienst entfernen undauf unbedeutende Posten versetzen.

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Im Herbst 1953 nahm sich McCarthydie Armee vor. Ein Armeezahnarzt seiMitglied der kommunistischen Parteiund die Armeeführung habe davongewusst, so sagte er. Monatelang verfol-gte er den Fall mit aller Verbissenheit,lud den Zahnarzt vor und dessen kom-mandierenden General RalphW. Zwicker.

Dann begann sich das Blatt aus einembanalen Grund zu wenden: David Schinesollte zur Armee eingezogen werden.Cohn wollte das verhindern und setztedafür alle Hebel in Bewegung. Eralarmierte den Verteidigungsminister,den Heeresminister, den Geheimdienst-chef. Umsonst: Die Armee ließ sich nichterweichen, Schine rückte ein. Nach weit-eren hektischen Aktionen gelang es

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Cohn, Schine von der Grundausbildungweitgehend zu befreien und zuMcCarthys Ausschuss abkommandierenzu lassen. Die in Washington schonlänger umgehenden Gerüchte einer sehrspeziellen Freundschaft zwischen Cohnund Schine gewannen an Glaubwür-digkeit, McCarthys Kampagne gegen Ho-mosexuelle hingegen geriet an den Randder Lächerlichkeit.

Zu Beginn des Jahres 1954 warf dieArmee McCarthy vor, im Fall DavidSchine unzulässigen Druck ausgeübt zuhaben.

McCarthy musste sich ab April 1954vor einem eigens eingerichteten Unter-suchungssausschuss des Senats recht-fertigen. Die Anhörung wurde erstmalsim Fernsehen übertragen. Joseph Welch,

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Rechtsanwalt und Sonderberater desHeeres, nutzte die Gelegenheit undnahm McCarthy nach allen Regeln derRedekunst öffentlich auseinander. In dieAnnalen der amerikanischen Geschichtegingen seine folgenden Sätze ein: »Siehaben genug angerichtet. Haben Sieüberhaupt keinen Sinn für Anstand? IstIhnen denn kein Sinn für Anstandgeblieben?« McCarthy schwitzte, brüllte,wich aus, berief sich auf Erinner-ungslücken, beklagte sich, unterbrachandere Zeugen, aber es half ihm nichts:Sein Nimbus war gebrochen.

Am 2.August 1954 beschloss der Sen-at, dass McCarthys Verhalten für einenSenator ungehörig sei und geeignet sei,den Senat in Verruf zu bringen. Unterdiesen Schlägen brach das System

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McCarthy zusammen. Er trat zwar nichtzurück, er behielt sogar den Vorsitz inseinem Ausschuss, aber er verbreitetekeinen Schrecken mehr. Roy Cohnkündigte und ging nach New Yorkzurück, um seine Anwaltskarriere fortzu-setzen. David Schine hatte sich schonvorher zurückgezogen.

McCarthy erhob weiterhin ungeheuer-liche Anschuldigungen gegen alles undjeden, aber er überzeugte nicht mehr.Und er wurde krank. Immer mehr Zeitverbrachte er im Krankenhaus. ZumAlkoholentzug – wie viele Journalistenspekulierten. Er hatte immer schon vielgetrunken, und nach seinem Absturz, someinten viele, hing er wohl endgültig ander Flasche. Das ist jedoch keineswegssicher. Vermutlich hätte er wegen einer

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nie auskurierten Leberentzündung über-haupt keinen Alkohol trinken dürfen,brachte aber nicht die notwendige Selb-stbeherrschung auf. Joseph McCarthystarb am 2.Mai 1957 in Bethesda, Mary-land, an einem akuten Leberversagen.Er wurde nur 49 Jahre alt.

Parallel zu McCarthys Kommunistenhatztagte der Ausschuss für unamerikanis-che Aktivitäten des Repräsentanten-hauses. Er suchte nach kommunistischenSympathisanten besonders unter In-tellektuellen und in der Filmindustrie.Der Ausschuss verdächtigte Regisseure,Autoren und Schauspieler, in ihren Fil-men Sympathien für den Kommunismuszu verbreiten. Mehr als 200 von ihnenfanden sich auf schwarzen Listen wieder

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und bekamen keine Arbeit mehr. Diegroßen Studios bemühten sich, in ihrenFilmen nicht die kleinste Spur von Kom-munistenfreundlichkeit erkennen zulassen. Einige Intellektuelle landeten imGefängnis, weil sie nicht aussagen woll-ten. Andere, wie der Schauspieler undspätere Präsident Ronald Reagan,sagten freiwillig aus und nannten aufVerdacht hin die Namen angeblicherSympathisanten kommunistischer Ideen.

Der Antikommunismus war bis zumEnde der fünfziger Jahre in den USA einMassenphänomen, McCarthy aber wares, der dieser Zeit ihren Namen gab. DieNamen der Vorsitzenden desAusschusses für unamerikanische Aktiv-itäten sind vergessen, aber der NameMcCarthy hat als Synonym für eine

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politische Hexenjagd seinen Eingang inalle Weltsprachen gefunden. Schon imJahre 1950 schufen amerikanische Journ-alisten das Wort McCarthyismus.

Wie kein anderer verkörperteMcCarthy die politische Grundströmungseiner Zeit – und er war stolz darauf. Erschrieb ein Buch mit dem TitelMcCarthyismus: Der Kampf um Amerika,in dem er seine Position vehementverteidigte.

Seinen Anhängern galt er als unbe-stechlicher Kämpfer gegen die kommun-istische Unterwanderung der Bundesbe-hörden. Seine Kritiker warfen ihm vor,er habe mit einer populistischen Kam-pagne gegen angebliche Staatsfeindelediglich seine Wiederwahl in den Senatsichern wollen.

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In jedem Fall fand McCarthy seineBestimmung darin, immer ausge-dehntere Verschwörungen zu be-haupten, ohne sie jemals beweisen zukönnen. Irgendwann musste diese Blaseplatzen, und als sie es tat, verlorMcCarthy seine Macht über dieMenschen.

Hexenjäger wie McCarthy gehen mitder Gewissheit des wahren Glaubens ge-gen die von ihnen ausgemachten Ver-schwörer vor. Sie halten sich nicht damitauf, die bloße Existenz der Ver-schwörung zu beweisen, sondern zielenauf die Vernichtung der daranBeteiligten. Hexenjäger sind deshalbeine wirkliche Gefahr für ihre Mit-menschen. McCarthy hat im Laufe seiner

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Kampagne den Ruf und die Karrierenvon Dutzenden von Menschen ruiniert.

Noch schlimmer als McCarthy wütetegegen Ende des fünfzehnten Jahrhun-derts der Dominikanerpater HeinrichKramer (ca. 1430–1505). Aus seinerFeder stammt das berüchtigte Buch Mal-leus Maleficarum, zu deutsch: »Der Hex-enhammer«. Schon in jungen Jahrenjagte Kramer mit fanatischem EiferFeinde der Kirche – oder wen immer erdafür hielt. Wenigstens seit 1460 reisteer des Öfteren nach Rom und präsen-tierte sich dort, offenbar mit einigem Er-folg, als entschlossener Verteidiger desGlaubens gegen alle Formen derHäresie.

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Im Jahre 1478 ernannte ihn der Papstzum Inquisitor für ganz Oberdeutsch-land. Anders als in Spanien bedeutetedas im Deutschen Reich nicht viel. EinInquisitor durfte Verdächtige verhörenund Verhaftungen vorschlagen, abernicht selbst vornehmen. Die an-schließenden Prozesse führten immerweltliche Gerichte. Kirchenvertreterdurften als Zeugen oder Sachver-ständige auftreten, aber keine Urteilesprechen. Im Jahre 1484 gab Papst In-nozenz VIII. die so genannte Hexenbulleheraus. Darin äußerte er seine Besorgnisüber das Hexenunwesen in Deutschland,besonders in den Gegenden, in denen erHeinrich Kramer (latinisiert Henricus In-stitoris) und Jakobus Sprenger als In-quisitoren eingesetzt hatte. Nach dem

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heutigen Forschungsstand hat HeinrichKramer die Bulle vorformuliert und vomPapst lediglich abzeichnen lassen, umdann mit päpstlicher Billigung auf Hex-enjagd zu gehen.

Im Jahre 1485 ließ er die Bulle in derTiroler Hauptstadt Innsbruck an dieKirchentüren anschlagen und fordertedie Einwohner auf, ihm alle Vorkommn-isse zu melden, die zur Anklage der Hex-erei führen könnten. Es gingenzahlreiche Denunziationen ein, undKramer ließ schließlich sieben Frauenverhaften. Sein rabiates Vorgehen ver-stimmte den Tiroler Landesherrn,Erzherzog Sigmund von Österreich, undden Bischof Georg von Brixen, in dessenDiözese die Stadt Innsbruck liegt. Diebeiden besorgten den angeklagten

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Frauen erst einmal einen angemessenenanwaltlichen Beistand. Der VerteidigerDr.Johann Merwais von Wendingen er-wirkte binnen weniger Tage einen Freis-pruch. Auf seinen Antrag hin erklärteder Vertreter des Bischofs den ganzenProzess für nichtig, weil er nicht nachRecht und Gesetz geführt worden war.Ferner erklärte er die Ermächtigung desInquisitors für das Bistum Brixen für er-loschen. Kramer hätte damit nicht nurden Prozess verloren, sondern auch dieProzesskosten tragen müssen. Wohlhauptsächlich deshalb sträubte er sichdagegen, seine Ermächtigungsurkundeabzugeben und das Urteil anzuerkennen.Kurzerhand übernahm Erzherzog Sig-mund die Kosten und verhalf demProzess damit zu einem schnellen Ende.

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Obwohl man den fanatischen Inquisit-or möglichst schnell loswerden wollte,dachte der nicht daran, Innsbruck zuverlassen, sondern verlangte dieWiederaufnahme des Verfahrens. DerBischof forderte ihn im Novembernachdrücklich auf, das Bistum zu ver-lassen. Kramer blieb, ja mehr noch: An-fang 1486 trat er vor den Bischof undtrug ihm seine Ideen zur Fortsetzung derHexenverfolgungen vor. Da riss dem Bis-chof endgültig der Geduldsfaden. Erbeauftragte brieflich einen Freund,Kramer zum Verlassen der Diözese zubewegen. Der Brief ist erhalten und wirftein bemerkenswertes Licht auf den In-quisitor. Der Bischof schreibt, Kramerbenehme sich für sein Alter reichlichkindisch. »Mihi delirare videtur« [ich

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halte ihn für verrückt], setzt er hinzuund fährt fort, Kramer solle in seinKloster zurückkehren und aufhören, an-dere Menschen zu belästigen.

Der Bischof ließ Kramer weiterhinausrichten, dass ihn niemand mehr vorden Angriffen der Verwandten der zuUnrecht beschuldigten Frauen schützenwerde, wenn er nicht sofort abreise. Erstjetzt verließ Kramer das Bistumtatsächlich.

Diese demütigende Niederlage musswohl als Anstoß für sein wenige Monatespäter erscheinendes Buch MalleusMaleficarum betrachtet werden, dasunter den zahlreichen Zeugnissengelehrten Schwachsinns selbst heutenoch einen unehrenhaften Spitzenplatzeinnimmt. Es richtete sich praktisch

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ausschließlich gegen Frauen. NachKramers Auffassung waren sie schwachim Glauben und deshalb viel anfälligerfür die Einflüsterungen des Teufels. Inseinem Buch versucht er zunächstnachzuweisen, dass Hexerei real sei.Viele Rechtsgelehrte und Theologenseiner Zeit bezweifelten das. Sie hieltenHexerei für eine heidnische Irrlehre undWetter- oder Schadenszauber für Aber-glauben. Heinrich Kramer behauptete,dass es Häresie sei, nicht an die Realitätder Hexerei zu glauben. Die Macht (derfast ausschließlich weiblichen) Hexenkäme vom Teufel. Sie hätten einen Paktmit dem Teufel geschlossen, denn nur erkönne die Macht zum Schadenszaubernverleihen. Die Rituale der Hexen batenden Teufel lediglich um seine Mithilfe,

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direkte Wirkung hatten sie nicht. Natür-lich musste Gott das erlaubt haben, dennohne die Erlaubnis des allmächtigenGottes könnte auch der Teufel keineUntaten wirken.

Einen Teufelspakt sah Kramer bereitsgeschlossen, wenn jemand mit magis-chen Hilfsmitteln etwas bewirken wollte.Eine Hexe wusste, so lautete seine Argu-mentation, dass Magie nur mit Hilfe desTeufels bewirkt werden könne. Alsoreiche schon der Wille zum Einsatz vonMagie aus, um mit dem Teufel einenPakt zu schließen. Kramer berief sichdabei auf die anerkannten Religion-sphilosophen Augustinus und Thomasvon Aquin. Breiten Raum nimmt im Mal-leus der Impotenzzauber ein. DassKramer gerade auf diesem Gebiet den

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Hexen außerordentliche Leistungen zut-raute, ist aus psychologischer Sichtsicherlich bemerkenswert.

Gegen alle Arten der Zauberei lässtKramer nur die Mittel der Kirche gelten.Wer magische Amulette, Gegenzauber,Zauberzettel oder Ähnliches verwende,habe bereits selbst einen Teufelspaktgeschlossen. Kramer garnierte sein Buchmit rund 250 Beispielen, darunter vieleaus seiner eigenen Erfahrung. Dabei ver-drehte er die tatsächlichen Ereignisseoft bis zur Unkenntlichkeit in seinemSinne. Als Strafe für überführte Hexenempfahl Kramer grundsätzlich den Toddurch Verbrennen. Es war zu seiner Zeitkeineswegs üblich, überführte Hexengleich auf den Scheiterhaufen zu bring-en. Aber Kramer wollte die Feinde des

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Glaubens nicht bekehren, sondern aus-rotten. Im Aufkommen von Häretikernund der Zunahme des Hexenwesens(man sprach damals durchaus von einerHexensekte) sah er Anzeichen einer un-mittelbar bevorstehenden Endzeit. Mög-licherweise glaubte er sich sogar selbstin einen apokalyptischen Kampf mit denMächten des Bösen verstrickt.

Damit sein Buch auch ausreichendeResonanz fand, nahm Kramer, ohne zufragen, seinen Ordensbruder JakobSprenger als Zweitautor mit auf denTitel. Sprenger war Prior des KölnerKonvents und Dekan der TheologischenFakultät der Universität Köln. Er warzwar vom Papst zum Inquisitor ernannt,aber als Hexenjäger war er nie aufge-fallen. In seinem Orden und unter

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deutschen Theologen genoss er einenhervorragenden Ruf. Seine Co-Autorenschaft wider Willen scheint ihmnicht gefallen zu haben, jedenfalls ginger später mehrfach gegen Kramer vor.

Kramer fälschte auch ein positivesGutachten der theologischen Fakultätder Universität Köln und stellte esseinem Buch voran. Trotzdem durfte derHexenhammer kaum auf eine große Ver-breitung hoffen. Kramer hatte das Buchin umständlichem, schwer lesbaremLatein geschrieben und damit denLeserkreis auf Theologen und Juristenbeschränkt. Um Platz zu sparen, setzteder Drucker den Text ohne Absätze. Dasmachte den Druck billiger, erschwerteaber das Lesen. Zudem strotzte der Text

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vor Fehlern und war verwirrend unlo-gisch aufgebaut.

Wider Erwarten aber wurde das Buchpraktisch sofort ein Erfolg. Von 1486(dem Jahr der Erstauflage) bis 1523 er-schienen 13 Auflagen, bis 1669 waren esetwa dreißig. Dabei enthielt der Hexen-hammer bis auf die grotesken Beschuldi-gungen gegen Frauen nichts wirklichNeues. Den größten Teil des Inhaltshatte Kramer entweder aus eigenenälteren Schriften übernommen oder vonanderen Autoren abgeschrieben. Wieaber lässt sich dieser außerordentlicheErfolg erklären? Zum einen setzteKramer für die Verbreitung seinesBuches auf die damals modernste Tech-nik: den rund 40 Jahre vorher erfunden-en Buchdruck. Wer vor der Erfindung

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des Buchdrucks ein Buch kaufen wollte,musste oft jahrelang darauf warten undsehr viel Geld mitbringen. Jedes Buchwurde auf Bestellung in einem Skriptori-um in teurer Handarbeit abgeschrieben.Der Buchdruck sorgte dafür, dass Büch-er sehr schnell und für einen Bruchteildes bisherigen Preises lieferbar waren.Die Kosten für die Vervielfältigung fielenaber gleich am Anfang an. Jeder Autormusste sich überlegen, ob er genugBücher verkaufen konnte, um die Druck-kosten einzuspielen und eventuell Geldzu verdienen. Kramer ging dieses Risikoein. Der Hexenhammer war die ersteund für einige Jahre die einzigegedruckte Dämonologie und ließ sichauch deshalb gut verkaufen.

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Zum anderen fand Kramer genau denTon, der damals ankam. Immer mehrMenschen machten sich Sorgen um einegeheimnisvolle Hexensekte, die angeb-lich die Christenheit zu unterwandernbegonnen hatte. Viele Menschen derFrühen Neuzeit trieb die Furcht um,dass die Hexen eine Weltverschwörungvorbereitet hatten, die mit Hilfe desTeufels das Christentum und die christ-lichen Herrscher vernichten wollte. DerHexenhammer bot ihnen zum ersten Maleine theologische Begründung der Hex-enverfolgung, eine Anleitung zumErkennen von Hexen, kirchlich anerkan-nte Mittel zum Schutz vor Zauberei undEmpfehlungen zur Prozessführung. Erwar also eine Art umfassendes Hand-buch für ambitionierte Hexenverfolger

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und solche, die es werden wollten. VieleGelehrte erkannten durchaus, dassKramers Argumentation keiner Logikstandhielt und eher auf einer persön-lichen Besessenheit beruhte. Die ber-üchtigte spanische Inquisition beispiels-weise prüfte den Hexenhammer underklärte ihn für ungeeignet. Aber viel zuviele Menschen, darunter Theologen,Rechtsgelehrte, Landesherren undRichter, benutzten das Buch als Anlei-tung für Hexenprozesse. Wie groß derEinfluss des Hexenhammers wirklichwar, lässt sich heute kaum feststellen.Das Buch erschien für die erste Welleder Hexenprozesse zu spät. Es hat aberdie Abläufe der späteren Gerichtsver-fahren mitbestimmt. Ob es entscheidenddazu beigetragen hat, dass von den

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Hexenverbrennungen in Deutschlandhauptsächlich Frauen betroffen wurden,lässt sich nicht nachweisen, es wäreaber möglich.

Heinrich Kramer jagte nach der Veröf-fentlichung seines Buches weiterhin mitaller Verbissenheit Ketzer und Hexen.Am 2.Oktober 1491 schrieb er in einemBrief, dass durch seinen Einsatz bereitsmehr als 200 Hexen aufgespürt und hin-gerichtet worden seien. Sein Co-Autorwider Willen Jakob Sprenger war in derHierarchie des Dominikanerordens in-zwischen genügend weit aufgestiegen,um gegen Heinrich Kramer wirksamvorgehen zu können. Kramer floh nachSalzburg. Doch Sprenger erwirkte einMandat des Ordensgenerals, das Kramerschließlich zwang, seine Predigerstelle

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dort aufzugeben. Selbst nach SprengersTod scheint man Kramer in derdeutschen Provinz des Dominikaneror-dens nicht gerne gesehen zu haben.Kramer ging nach Venedig und späternach Böhmen. Bis zu seinem Tod imJahre 1505 verfasste er weitere Schriftengegen vermeintliche Glaubensfeinde undversuchte, Prozesse gegen sie in Gangzu bringen.

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5: Der Glaube an dasBöse hinter der WeltWarum so viele Menschen an Ver-schwörungen glauben

Verschwörungstheorien können nur aufdem Boden eines ausreichend verbreit-eten Verschwörungsglaubens gedeihen.Im Mittelalter hätten sich niemals dieGerüchte über die Ritualmorde derJuden verbreiten können, wenn diebreite Volksmasse Derartiges für unmög-lich gehalten hätte. Millionen vonMenschen glauben noch immer, dass dieIlluminaten heimlich die Welt lenken, ob-wohl seit mehr als 200 Jahren kein Illu-minat mehr gesehen wurde. Leo Taxils

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phantastische Erzählungen über die Unt-aten der Freimaurer fanden bereitwilligeZuhörer und Anhänger, obwohl seinephantastischen Behauptungen of-fensichtlich erlogen waren.

Mich hat immer erstaunt, mit wel-chem Gleichmut auch intelligenteMenschen pauschale Verdächtigungenvon sich geben. So kann man ganznebenbei im Gespräch Aussagen hörenwie »Die Welt wird von jüdischen Banki-ers gelenkt« oder »Alle westlichen Re-gierungen werden in Wahrheit von inter-nationalen Spekulanten beherrscht undWahlen ändern gar nichts daran« oder»Die Bush-Regierung hat bei dem Ter-roranschlag auf das World Trade Centersicher irgendwie die Hände im Spielgehabt«.

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Sie sagen das so selbstverständlich,als sprächen sie vom Wetter. Sie habendie Idee von der umfassenden Ver-schwörung, vom Bösen hinter der Welt,als selbstverständliche Tatsache in ihrWeltbild eingebaut. Das heißt aberkeineswegs, dass sie auch an Ver-schwörungs theorien glauben.

Nach einer Umfrage im Auftrag derZeitschrift Chrismon (der evangelischenMonatszeitschrift, die unter anderem derWochenzeitung Die Zeit kostenlosbeiliegt) erklärten im Juli 2003 immerhin22 Prozent der 1003 Befragten, dass»eine Hand voll Banken und Konzerne«den größten Einfluss auf das Schicksalder Welt ausüben. Nur zwei Prozentglaubten, dass Geheimbünde die Weltam stärksten beeinflussen. Das Ergebnis

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mag allerdings irreführend sein, weil je-weils nur eine Antwort zugelassen war,und weil der Glaube an Geheimbünde inunserer Gesellschaft als Zeichen für Ver-folgungswahn gilt. Bei einer anderenUmfrage des Chrismon im April 2001zeigten sich 19 Prozent überzeugt, dasses UFOs gibt, »mit denen Außerirdischeunsere Welt besuchen oder besuchthaben«. Bei den Befragten zwischen 14und 29 Jahren glaubten das sogar dreivon zehn Befragten. 42 Prozent glaub-ten, dass es geheime magische Kräftegibt, die auf den Menschen einwirken,und jeder Dritte stimmte der Aussage zu,dass Flüche reale Auswirkungen habenkönnen. Beides sind klassische Zutatendes Hexenglaubens. Während also aus-gefeilte Verschwörungstheorien wenig

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Zulauf haben, glauben sehr vieleMenschen an übersinnliche Kräfte, ge-heime Magie, UFOs oder die unter-gründige Macht von Banken undKonzernen.

Umfragen in den USA ergeben regel-mäßig ähnliche Resultate wie inDeutschland. Bei einer Umfrage desMarktforschungsinstituts Yankelovichfür das Magazin Life im Januar 2000gaben 30 Prozent von 1546 befragtenAmerikanern an, dass sie glaubten, intel-ligente Wesen von anderen Planeten hät-ten die Erde besucht. 49 Prozent stim-mten der These zu, dass die amerikanis-che Regierung Informationen über UFOszurückhält. Der Nährboden für Ver-schwörungstheorien und -legenden ist

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also stets fruchtbar. Die bisherigen Un-tersuchungen über das Phänomen derVerschwörungstheorien widmen den Ur-sachen des Verschwörungsglaubensleider nur wenig Raum und stellenwidersprüchliche Thesen dazu auf.

In seinem sorgfältig recherchiertenBuch Enemies within erklärt der amerik-anische Historiker Robert Alan Goldbergdie Neigung zum Verschwörungsglaubenin seinem Land zu einer Art amerikanis-cher Tradition und führt den Glauben andie »allumfassende Verschwörung« aufpolitische Propaganda zurück. Auch derReligion weist er einen großen Einflusszu. In Amerika gab und gibt es immernoch eine erstaunliche Anzahl von Predi-gern, die gegen den Antichristen undseine Verbündeten wettern und

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apokalyptische Visionen vom Untergangder Welt beschwören.

Diese Erklärungen könnten aber nurgreifen, wenn das Phänomen des Ver-schwörungsglaubens auf die USA be-grenzt wäre. Tatsächlich aber glaubenweltweit sehr viele Menschen aus allenKulturen an die abstrusesten Ver-schwörungen. Die Erklärung des Ver-schwörungsglaubens muss also tiefer lie-gen. Der gelernte Historiker und jetzigeDirektor des US-amerikanischen MiddleEast Forums, Daniel Pipes, bezeichnet inseinem Buch Verschwörung alleMenschen, die an eine Verschwörung-stheorie glauben, ausdrücklich als Ver-schwörungstheoretiker. Pipes unter-scheidet dabei nicht zwischen einer aus-gearbeiteten Verschwörungstheorie und

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einem dumpfen Verschwörungsglauben,und auch nicht zwischen den glühendenAnhängern einer Theorie und denbeiläufig Gläubigen. Er geht davon aus,dass ein Mensch, der an eine Ver-schwörungstheorie glaubt, auch fürmehrere empfänglich ist, weil ergrundsätzlich dazu neigt, Derartiges zuglauben.

Demnach wäre der Ver-schwörungsglauben (Pipes spricht auchvon Verschwörungsdenken) eine Art in-dividuelle, also im einzelnen Menschenliegende Wahrnehmungsstörung oderUrteilsschwäche. Das erklärt aber nicht,warum Verschwörungslegenden und -theorien sich manchmal epidemieartigausbreiten und auch Menschen

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infizieren, die bisher keine Neigung zuVerschwörungsideen zeigten.

Das Buch A Culture of Conspiracy –Apocalyptic Visions in ContemporaryAmerica des amerikanischen Politikwis-senschaftlers Michael Barkun widmetder Natur des Verschwörungsglaubensein ganzes Kapitel. Barkun kommt zudem Schluss, dass ein Ver-schwörungsglauben seinen Anhängerndie Erklärung der Welt in mehrererHinsicht vereinfacht. Viele scheinbarzufällige Ereignisse in der Welt erhaltenplötzlich eine Bedeutung. Die Rollen derGuten und der Bösen sind klar verteilt:Die Bösen sind die unsichtbaren Ver-schwörer, die Guten sind sie selbst.Barkun hat zweifellos Recht mit seinerAnalyse, aber sie greift zu kurz. Wie die

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beiden anderen Autoren übersieht er,dass die Meinung eines Menschen in ho-hem Maße von seiner Umgebung ab-hängt. Die Menschen stammen von einerlangen Reihe von sozial lebenden Vor-fahren ab. Unser Instinkt und der In-stinkt unserer Vorfahren ist seit Million-en Jahren darauf ausgerichtet, die ei-gene Gruppe zusammenzuhalten und zustärken. Und dieses Motiv bestimmtnoch immer unser Verhalten – und unserDenken.

Die meisten Menschen unseres Kul-turkreises legen Wert auf die Feststel-lung, dass sie sich ihre Meinung selbstbilden, und zwar auf der Grundlageeines vernünftigen, auf Logik und Tat-sachen beruhenden Urteils. Das ist

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jedoch nur sehr eingeschränkt richtig,denn sobald Instinkte und Gefühle mit-mischen, setzen sich auch kluge undmaßvolle Menschen über jede Logik hin-weg. Einige Beispiele: Der PhilosophVoltaire, der vehement für religiöse Tol-eranz eintrat, hielt die Juden für »das ab-scheulichste Volk der Erde«. Kurz nachBeginn des Ersten Weltkriegs, am 4.Ok-tober 1914, unterschrieben 93 deutscheIntellektuelle, unter ihnen ausgewieseneLiberale, einen öffentlichen, in 14 Sprac-hen übersetzten »Aufruf an die Kultur-welt«, um das Vorgehen des DeutschenReiches zu rechtfertigen. Unter anderemheißt es darin zum Vorwurf derKriegsschuld: »Erst als eine schon langean den Grenzen lauernde Übermacht vondrei Seiten über unser Volk herfiel, hat

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es sich erhoben wie ein Mann.« ZumÜberfall auf das neutrale Belgienschrieben sie, Deutschland sei lediglichdem von Belgien genehmigten Ein-marsch durch England und Frankreichzuvorgekommen, und zum Militarismus:»Ohne den deutschen Militarismus wäredie deutsche Kultur längst vom Erd-boden getilgt.«

Dieses seltsame Bekenntnis trug unteranderem die Unterschrift von MaxPlanck, Wilhelm Konrad Röntgen, ErnstHaeckel, Max Reinhard und GerhardHauptmann.

Wie lassen sich solche kollektivengeistigen Fehlleistungen erklären? Diesaufzuklären, bemüht sich seit einigenJahrzehnten die Sozialpsychologie , eineinterdisziplinäre Wissenschaft zur

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Erforschung der Wechselwirkung zwis-chen dem Verhalten und Denken desEinzelnen und dem Verhalten seinersozialen Gruppe. Mit ganzen Serien vonExperimenten haben Sozialpsychologeninzwischen nachgewiesen, dass mensch-liches Denken immer dann den Pfad derLogik und Vernunft verlässt, wenn Ge-fühle ins Spiel kommen. Menschen beur-teilen sich selbst und ihre Mitmenschenvornehmlich emotional und suchen erstim Nachhinein eine rationaleBegründung dafür. Mag ich meinenNachbarn nicht, weil er seinen Vor-garten verkommen lässt, oder sticht mirdas Unkraut dort ins Auge, weil ich ihnnicht ausstehen kann? Nach den Erken-ntnissen der Sozialpsychologen ist diezweite Variante die weitaus häufigere.

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Dies gilt in noch stärkerem Maße fürsoziale Gruppen. Kaum etwas prägt dasmenschliche Sozialverhalten stärker alsder Gegensatz zwischen IHNEN undUNS.

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WIR und SIE

WIR – das kann eine Frühmenschen-horde sein, ein steinzeitlicher Stamm,ein Volk, eine Firma, eine Partei, eine In-teressengruppe, eine Religionsge-meinschaft, ein Sportverein, ein Kegel-club. Heutzutage kann ein Mensch sichje nach Situation als Mitglied von mehr-eren sozialen Gruppen fühlen. Er iststolzer Familienvater, vorbildlicher Mit-arbeiter seiner Firma und beimFußballländerspiel begeisterter An-hänger der Nationalmannschaft. Allediese Gruppen erwarten Loyalität – undbekommen sie auch. Die Gefolgschaft

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gegenüber der eigenen Gruppe ist immenschlichen Sozialverhalten fest ver-ankert. Deshalb erleben wir den Verrat,also das geheime Wirken gegen die ei-gene Gruppe, als besonders schändlicheTat.

Menschen neigen dazu, sich selbstund ihre Gruppe deutlich besser zu beur-teilen als andere Menschen oder andereGruppen. Das entspricht der Alltagser-fahrung. Die Sozialpychologie versuchtzu klären, welche Denkmuster zumVorschein kommen, wenn man das Phä-momen in seine Bestandteile zerlegt.Woher stammen die vielen Vorurteile ge-gen andere Gruppen? Warum sprechenMenschen den Angehörigen andererGruppen ganz bestimmte Eigenschaftenzu? Warum sehen sie den Juden, den

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Farbigen, den Polen, den Bayern, denPreußen? Die Sozialpsychologie sprichthier von Stereotypen, Kollektivzuweisun-gen von meist schlechten Eigenschaften.Die Liste solcher Stereotypen ist lang:Deutschen fehlt es an Eleganz und Hu-mor, Iren sind strohdumm und kathol-isch, Engländer steif, Blondinen herzzer-reißend naiv. Diese Vorurteile weisenMenschen allein aufgrund von Sprache,Herkunft, Geschlecht oder Religionbestimmte Merkmale zu, ohne näher zudifferenzieren. Die Sozialpsychologieverwendet dafür das Fachwort Attribu-tion. Die Vernunft des Menschen hat aufdieses Denkmuster einen vergleichs-weise geringen Einfluss. Unter anderemfolgende Faktoren bestimmen und

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verzerren das Bild von uns selbst undunseren Mitmenschen:

• Menschen tendieren dazu, sich Er-folge selbst zuzuschreiben, Misser-folge hingegen auf äußere Faktorenzurückzuführen(Sündenbockprinzip).

• Menschen versuchen oft, ihr Ver-halten vor sich selbst zu rechtferti-gen, auch und gerade dann, wennes nach ihren eigenen Maßstäbenfalsch war. Dazu interpretieren siees im Nachhinein um oder verzer-ren ihre Erinnerung.

• Menschen sehen ihr eigenes Verhal-ten und Denken positiver und weni-ger von der Umgebung geprägt alsdas ihrer Mitmenschen.

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• Menschen versuchen, mit ihrerUmgebung zu harmonieren undpassen auch ihre Meinungen denenihrer Umgebung an.

• Menschen eifern Vorbildern nachund übernehmen auch derenAnsichten.

• Menschen lassen sich von Autor-itäten beeinflussen, also solchenMenschen (oder auch Zeitungen,Nachrichtensendungen oder Ähn-liches), die ihnen kompetent undvertrauenswürdig erscheinen.

• Menschen rechtfertigen das Verhal-ten ihrer eigenen Gruppe und un-terstellen ihrer Gruppe gute Ab-sichten, anderen Gruppen aberböse Absichten. Die Unterstellungböser Absichten ist oft von

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negativen Gefühlen (Wut, Angst,Ekel, Verachtung) begleitet.

• Menschen glauben von ver-schiedenen alternativenErklärungen für ein Phänomen oderEreignis am ehesten diejenige, dieihrem bisherigen Weltbild amgenauesten entspricht. Das giltauch dann, wenn diese Erklärungdeutlich komplizierter und unwahr-scheinlicher als andere Erklärungenist.

Damit sind nur die wichtigsten Faktorenaufgezählt, die Liste ist keineswegs voll-ständig. Elliot Aronson, der Autor einesStandardwerks über Sozialpsychologie,schreibt dazu: »Für mich liegt eine derfaszinierendsten Eigenarten des

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menschlichen Wesens in seinemrührenden Bedürfnis, sich selbst als gutund vernünftig wahrzunehmen – unddarin, dass er aus diesem Bedürfnisheraus oft gerade nicht gut und vernün-ftig handelt.«

Ein Verschwörungsglauben lässt sichin diesem Sinne definieren als die Zu-weisung (Attribution) von heimlichenbösen oder verbrecherischen Handlun-gen oder Zielen an andere soziale Grup-pen. Im Extremfall unterstellt der Ver-schwörungsglauben der anderen Gruppeein solches Ziel, ohne dass irgendwelcheAnhaltspunkte dafür erkennbar sind. Eskann also vorkommen, dass eine Gruppesich von einer anderen Gruppe angegrif-fen oder verfolgt fühlt, ohne dass dieseirgend etwas unternommen hätte, was

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den Verdacht rechtfertigen würde. DieAngeschuldigten mögen den Verdachtempört zurückweisen; es hilft ihnennichts. Wer mir heimlich an den Kragenwill, wird doch wohl bis zur Ausführungseiner Tat alles bestreiten, oder etwanicht?

Jahrhundertelang glaubten etwa vieleMenschen, dass Juden aus rituellenGründen christliche Kinder ermorden.Dieser Glauben speiste sich allein ausdem Misstrauen gegen die Juden, in derWirklichkeit fehlte ihm jede Grundlage.Im sechzehnten und siebzehntenJahrhundert glaubten viele Menschen inEngland, der Vatikan und die Katholikenplanten Massenmorde an der englischenBevölkerung. Das war aber niemals derFall. Im Ersten Weltkrieg glaubten alle

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beteiligten Völker, einen Verteidigung-skrieg zu führen. In Deutschland warendie meisten Menschen davon überzeugt,dass die Deutschen mit dem Überfall aufBelgien lediglich dem Einmarsch fran-zösischer und englischer Truppen zu-vorkamen. Dafür gibt es aber bis heutekeine Belege.

In seinem Buch Masse und Machtkommt der Philosoph und SchriftstellerElias Canetti zum gleichen Ergebnis. Erschreibt:

»Zu den auffallendsten Zügen imLeben der Masse gehört etwas, wasman als ein Gefühl von Verfolgtheitbezeichnen könnte, eine besondere,zornige Empfindlichkeit undReizbarkeit gegen ein für allemal alssolche designierte Feinde. Diese

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können unternehmen, was immersie wollen, … alles wird ihnen soausgelegt, als ob es einer unerschüt-terlichen Böswilligkeit entspringe,… einer vorgefassten Absicht, sie[die Masse] offen oder heimtückischzu zerstören.«

Canetti beschreibt damit – bewusst oderunbewusst – das buchstäblich mör-derische Misstrauen zwischen denVölkern Europas am Vorabend des Er-sten Weltkriegs. Leider musste noch einzweiter Weltkrieg ausbrechen, bevor dieRegierungen Westeuropas begriffen,dass noch mehr Blut fließen würde,wenn dieses Misstrauen nicht abgebautwürde.

Die entsetzlichen Auswüchse des na-tionalsozialistischen Rassenwahns haben

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in Europa und der gesamten westlichenWelt die Lehre von der Überlegenheitoder Unterlegenheit von Rassen, Nation-en oder Völkern dauerhaft in Verruf geb-racht. Andere Menschen wegen ihrerRasse, Staatsangehörigkeit oder Haut-farbe als unterlegen, als degeneriertoder moralisch verkommen zubezeichnen ist in Deutschland gesell-schaftlich geächtet, in den meisten an-deren westlichen und mitteleuropäis-chen Ländern mindestens anrüchig. Dierücksichtslose Durchsetzung eigenerGruppen- oder Staatsinteressen gilt alsunzivilisiert und gefährlich. In dereuropäischen Kultur hat das Individuumgegenüber der Gruppe oder dem Staatnatürliche Rechte, die Menschenrechte,welche die Gemeinschaft zu respektieren

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hat. Dies ist ein besonderes Verdienstder Aufklärungsphilosophen wie JohnLocke, Jean-Jacques Rousseau undCharles Montesquieu.

Diese Philosophie teilen allerdingsnicht alle Kulturen. In seinem Buch DieVerschwörung: Das Trauma arabischerPolitik weist der in Syrien aufgewach-sene deutsche Politologe Bassam Tibidarauf hin, dass die traditionellearabisch-islamische Denkweise eine an-dere ist. Er schreibt dazu: »In derWahrnehmung der Muslime gibt es nurdas eigene Kollektiv und das der Feinde.Und das Feindbild hängt mit der Vorstel-lung von der Verschwörung zusammen.«Für die Araber sind der Stamm im engenSinne, die Bruderschaft aller arabischenStämme in weiteren Sinne und die

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Umma, die Gemeinschaft des Islam, imweitesten Sinne die eigene Gruppe, derdas Individuum unbedingte Loyalitätschuldet, der gegenüber es selbst aberkeine natürlichen Rechte hat. Der Kampfum die Vorherrschaft der eigenenGruppe gegenüber anderen Gruppen isteine selbstverständliche Pflicht jedeseinzelnen Mannes. Eine öffentliche, fürandere vernehmbare Kritik an der eigen-en Gruppe, sei es der Stamm oder auchder Islam, verletzt die Ehre der Ge-meinschaft. Die vielfachen Brüche in ihr-er Gemeinschaft führen viele Araber auf»Agenten« der Feinde zurück, die sich inihr Lager eingeschlichen hätten, um dieGemeinschaft zu schwächen. BassamTibi weiß, wovon er schreibt: Er ist alsSyrer aufgewachsen und ist sunnitischer

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Moslem. Wie kaum ein zweiter bemühter sich um den Dialog der Religionenund Kulturen. Er ist Mitbegründer der»Arabischen Organisation für Menschen-rechte«. Darüber hinaus ist er Mitträgerdes »Islamisch-Jüdischen Dialogs« unddes »Cordoba-Trialogs« für den jüdisch-islamisch-christlichen Austausch.

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Die Elimination des Zufallsoder:Das Wirken der Dämonen

Nichts ist den Menschen so unheimlichwie der Zufall. In jeder Wochenendbeil-age von Tageszeitungen, jeder Frauen-zeitschrift und jeder Klatschzeitung sagtein Horoskop, nach Sternzeichen geord-net, die Zukunft voraus. Das ist erstaun-lich, wo doch niemand daran glaubt,jedenfalls niemand, den man danachfragt. Dennoch: Im tiefsten Inneren stel-len wir uns die Zukunft lenkbar vor, denZufall besiegbar, die Natur beseelt undvon einem Willen gesteuert. Dies ist ein

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generelles Merkmal menschlichenDenkens.

Alle Völker, ausnahmslos alle, betenGötter an, die den Lauf der Welt lenken.Die Götter der Naturvölker bestimmendas Wetter, das Jagdglück, den Verlaufvon Kriegen, die Ernte und die Gesund-heit. Bei den Kulturvölkern zogen sichdie Götter schon vor Jahrtausenden inhöhere Gefilde zurück und überließenHalbgöttern und niederen Geistern diedirekten Eingriffe in die Welt derMenschen. Im antiken Griechenlandschützten Nymphen die Flüsse und Quel-len, Dämonen sprachen zu denMenschen als innere Stimmen, undErinnyen jagten die Frevler gegen dasheilige Recht, um sie in den Wahnsinn zutreiben.

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Die moderne Religionswissenschaftbeschreibt einen Dämon als über-menschliches, meist bedrohliches oderböses Geistwesen. Dämonen kommen inallen Kulturen vor. Aus der jüdischenMythologie beispielsweise stammt dieunheimliche Lilith, die erste FrauAdams. Der Legende nach wollte sie ihmnicht untertan sein und verließ ihn imStreit, um unter die Nachtdämonen zugehen. Mit ihnen verkehrt sie und ge-biert in jeder Nacht tausend neue Quäl-geister. Des Nachts fliegt sie auf schwar-zen Flügeln in die Welt der Menschen,verführt Männer, gefährdet Schwangereund tötet männliche Säuglinge. Ein Amu-lett mit den Namen der drei Engel San-vai, Sansanvi und Semangloph schützt

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die Babys, wenn man es ihnen um denHals legt.

Dieser Mythos beleuchtet gleichmehrere Seiten der Dämonenlegenden.Er beschreibt Lilith als ein von mensch-lichen Gefühlen getriebenes Wesen. Siefühlt sich von Adam ungerecht behandeltund rächt sich dafür an allen Männern.Sie leidet darunter, dass sie nur Dämon-en gebären kann, und löst darum beiSchwangeren Fehlgeburten aus. Auf ihrböses Wirken führten abergläubischeMenschen vor der Zeit der modernenMedizin auch den plötzlichen Tod vonSäuglingen zurück. Mit dieser Erklärungzogen die Menschen die unbegreiflichenNaturkräfte auf die Ebene des Zwischen-menschlichen herab und gaben ihnen ein

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Gesicht. Jetzt konnte man sie begreifenund berechnen, bitten und bannen.

Viele aktuelle Verschwörungsthementragen alle Kennzeichen eines Dämon-englaubens. So kursierte ab den fünfzi-ger Jahren des zwanzigsten Jahrhun-derts in der amerikanischen UFO-Ge-meinde die Geschichte von den »Män-nern in Schwarz ». Wer der Wahrheitüber die UFOs zu nahe kam, so lautetedie Legende, werde von Männern inschwarzen Anzügen aufgesucht,eingeschüchtert oder sogar getötet. Siekommen allein, zu zweit oder zu dritt,bewegen sich eigentümlich undsprechen akzentuiert, aber fremdartig.Ebenso dämonische Züge trägt die Le-gende von den schwarzen Hubs-chraubern ohne jede Kennzeichnung, die

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angeblich nachts die ländlichen Ge-genden Amerikas heimsuchen. Hat derGlauben an schwarze Helikopter nocheinen gewissermaßen greifbaren Gegen-stand, so ist der ebenfalls weit verbreit-ete Glauben an eine geheime Weltver-schwörung vollkommen mystisch. Seitrund 200 Jahren behaupten Ver-schwörungstheoretiker immer wieder,der Illuminatenorden sei nicht aufgelöstworden, sondern habe sich über die gan-ze Erde verbreitet und übe einen ver-derblichen Einfluss auf das Weltges-chehen aus. Dabei sehen die Ver-schwörungsgläubigen die Illuminaten alstreibende Kraft ihrer jeweiligen Gegneran.

Die englische Verschwörungstheor-etikerin Nesta Webster sah 1924 die

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Illuminaten nicht nur als Exponentenvon Tempelrittern, Kabbalisten undRosenkreuzern, sondern behauptete, siehätten auch die Russische Revolution an-gestiftet. Die Illuminaten, so fuhr siefort, seien vermutlich im Bunde mit ein-er »Alldeutschen Macht« und einer»jüdischen Macht«. Sie wollte sich nichtfestlegen, wer von den dreien den Tonangab.

In den sechziger Jahren erkanntenauch radikale protestantische Gruppenin den USA die Illuminaten als den ver-borgenen Erzfeind. Großen Einfluss inder rechten Szene in den USA hatte das1991 erschienene Buch The New WorldOrder des Fernsehpredigers PatRobertson. Es macht die Illuminaten fürdie Französische und die Russische

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Revolution verantwortlich – und in derFolge auch für den internationalen Kom-munismus. Wie etliche seiner Vorgängerbehauptete auch Robertson, dass jüdis-che Bankiers die ruchlosen Aktionen derIlluminaten finanzierten. Besonders dieBankhäuser Rothschild und Warburg sol-len beteiligt gewesen sein.

Robertsons Buch erreichte eine Au-flage von mehreren hunderttausend Ex-emplaren. Der Begriff »New WorldOrder«, neue Weltordnung, stieg in denneunziger Jahren zum Schlagwort derrechten Szene in Europa und Amerikaauf. Er steht für angebliche Welt-ver-schwörungen von Geheimgesellschaftengegen die westliche Lebensweise, dieFreiheit, den evangelischen Glauben unddie amerikanische Verfassung, wobei die

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Drahtzieher immer im Hintergrundbleiben. Milton William Coopers BuchDie apokalyptischen Reiter von 1991ging noch einen Schritt weiter: Seine Il-luminaten haben nicht nur so unter-schiedliche Frontorganisationen wie denVatikan, die Freimaurer, die Kommun-isten und die Nazis hervorgebracht, son-dern arbeiten auch mit Außerirdischenzusammen, um eine diktatorische neueWeltordnung durchzusetzen.

In all diesen Büchern schimmert ural-ter Dämonenglauben durch. Der amerik-anische Prediger Texe Marrs sprichtsogar direkt von der dämonischen Reli-gion der Illuminaten. Der AmerikanerDes Griffin sieht den Ursprung der Illu-minaten gar in Luzifers Erhebung gegenGott. Der Deutsche Jan Udo Holey

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behauptet, die Illuminaten hätten bereitsdie Macht übernommen und dirigierteneine geheime Weltregierung. Er sieht sieals zionistisch-freimaurerische Elite undverlegt ihren Ursprung auf eine angeb-lich 300 000 v. Chr. gegründete Ge-heimgesellschaft, die seitdem versucht,die Menschheit zu versklaven. »ReicheJuden« unter Führung der Familie Roth-schild, so behauptet Holey, finanziertenund unterstützten dieses Unternehmen.Interessant ist hierbei die Frage, warumdas absolute Böse für die Übernahmeder Weltherrschaft Bankkredite braucht.Der Blick auf real existierende Verbrech-ersyndikate zeigt, dass diese Organisa-tionen vorwiegend das Problem haben,ihr illegales Geld in Umlauf zu bringen.Kredite brauchen sie nicht.

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David Icke verbreitet in seinen Büch-ern die Behauptung, dass PräsidentBush, Prinz Philip von England und vieleandere Berühmtheiten in Wirklichkeitaußerirdische Echsenwesen seien, diesich als Menschen tarnen. Auch hierbegegnet uns der klassische, unver-fälschte Dämonenglauben, verpackt ineine moderne Schauergeschichte.

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Das Dämonenstereotyp

Ein Verschwörungsglauben unterstellteiner Gruppe, heimlich gegen eine an-dere Gruppe vorzugehen. Das Opfer istdabei entweder die eigene Gruppe odereine andere Gruppe, mit der sich die ei-gene Gruppe verbunden fühlt. DenGegnern werden geradezu übermensch-liche Eigenschaften angedichtet: Siebegehen überall und zu jeder Zeit ver-deckte Verbrechen mit perfekterTarnung. Sie verfügen über dieFähigkeit, Berichte über ihre Taten zubeeinflussen oder zu unterdrücken. Siebewegen sich unerkannt in jeder

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Umgebung. Und sie werden zum bösenSpiegelbild der eigenen Gruppe:

Wenn man sich selbst als ehrlich be-greift, sind die Gegner verlogen, siehtman sich als selbstlos und tugendhaft, sosind die Gegner egoistisch und grausam.In Gesellschaften mit einer strengenSexualmoral gelten die Gegner als sit-tenlos. Ihre politischen Ziele sind denender eigenen Gruppen entgegengesetzt.

Der Verschwörungsglauben schafftsich so sein eigenes Gegnerprofil, dasDämonenstereotyp. Es verzerrt dasGruppenstereotyp der Gegner oft bis zurUnkenntlichkeit. Die Fiktion kann soweit gehen, dass vollkommen ver-schiedene Gruppen zu einem einzigenStereotyp zusammenwachsen.

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Der amerikanische Historiker DavidBrion Davis hat die Stereotypen inamerikanisch-evangelikalen, anti-freimaurerischen, antikatholischen undantimormonischen Schriften untersuchtund kam zu dem Ergebnis: »WährendFreimaurer, Katholiken und Mormonenin der Wirklichkeit wenig Ähnlichkeitenaufwiesen, verschmolzen sie als Feindb-ild zu einem einheitlichen Stereotyp.«

Die wichtigsten Eigenschaften des Dä-monenstereotyps sind: allgegenwärtig,mächtig, böse, unsichtbar, verschlagen.Je mehr dieser Eigenschaften das Ste-reotyp einer Gruppe aufweist, umsowahrscheinlicher wird sie zum Ziel einesVerschwörungsglaubens. Das Bildgroßer Geheimdienstorganisationen wieCIA, KGB oder Mossad entspricht dem

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Dämonenstereotyp nahezu vollständig.Deshalb ist es kein Wunder, dass dieseOrganisationen regelmäßig in Ver-schwörungslegenden und -theorien allerArt die Hauptrolle spielen. Dagegen magder Bundesnachrichtendienst vielleichtunsichtbar sein, aber kaum jemand hältihn für mächtig, allgegenwärtig oderverschlagen. In den aktuellen Ver-schwörungstheorien kommt er deshalbnicht vor.

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Reduktive Hypothesen oder:Das unverstandeneWirkungsgeflecht

Die Dämonenhypothese leistet zweierleifür die Vereinfachung der Welt: Sie teiltalles in Gute und Böse auf und ver-schiebt die Sphäre der zufälligen undnatürlichen Ereignisse in das Bez-iehungsgeflecht zwischen Menschen-gruppen. Diese wiederum sind alseindeutig gut oder eindeutig bösefestgelegt. Vor diesem Hintergrundgewinnen auch unsinnig komplizierteVerschwörungstheorien eine erstaun-liche Glaubwürdigkeit.

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Unsere Welt besteht aber nicht nuraus zufälligen Ereignissen. Viele Dingesind auf komplexe Weise miteinanderverknüpft. Nicht die Ungerechtigkeit desZufalls, sondern die Probleme beimÜberblicken eines vielfach vernetztenWirkungsgeflechts lassen die Menschendann einen Willen hinter der Welt ver-muten. Ein fiktives Beispiel dazu:

Bürgermeister Müller möchte in sein-er kleinen Stadt seine Wiederwahl sich-ern. Dazu muss er die Finanzen derStadt in Ordnung halten, die öffentlichenEinrichtungen ausbauen, die Steuernniedrig halten und die Wohngebietelebenswert gestalten, damit die Bürgerihn wählen.

Zwei Jahre vor der Wahl hat er fol-gende Alternativen: Er kann eine neue

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Mehrzweckhalle errichten lassen (das istteuer, aber populär), eine Stahlbaufirmamit günstigen Bedingungen zur Ansied-lung bewegen (das bringt Arbeitsplätzeund Steuern, ruft aber die Um-weltschützer auf den Plan), dasStadtzentrum attraktiver gestalten (daslockt mehr Käufer in die Stadt, machtaber kurzfristig Dreck und verärgert soden Einzelhandel) oder er ergreift kein-erlei Initiative, besucht aber jede Vere-insversammlung und wirbt dort für seineWiederwahl (das macht sein Konkurrentallerdings auch).

Aus dem schmalen Stadtsäckel kanner nur eines der Projekte bezahlen. Bür-germeister Müller muss also eineEntscheidung treffen, obwohl er die Fol-gen nicht recht übersieht.

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Politiker, Manager und in geringeremMaße alle Menschen befinden sich regel-mäßig in dieser Situation. Mitten ineinem Labyrinth, an einer Kreuzung mitvielen Wegen, sollen sie entscheiden,wohin sie gehen. Psychologen sprechenin diesem Fall von einer komplexenEntscheidungssituation.

Kommen wir auf BürgermeisterMüller zurück: Er entscheidet sich fürdie Mehrzweckhalle und leitet alles indie Wege, um aus seinem Projekt einenErfolg zu machen. Im Einvernehmen mitdem Rat der Stadt beauftragt er ein ört-liches Architekturbüro, einen wegweis-enden Entwurf auszuarbeiten. Die Stadtbesitzt glücklicherweise bereits einpassendes Grundstück. Es liegt schonlange brach, und die Kinder der

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Nachbarschaft spielen dort Fußball.Müller spricht nun mit seinem Parteifre-und Meier, dem größten Bauun-ternehmer der Stadt. »Der Bau musszum Wahltermin fertig sein!«, schärftMüller ihm ein. »Schaffst du das?«

»Wenn nichts dazwischenkommt«, an-twortet Meier etwas unbestimmt.

»Was soll denn dazwischenkommen?«,fragt Müller, aber darauf erhält er nurein Achselzucken. Kurz darauf kommtschon die erste schlechte Nachricht: DasArchitekturbüro hat nach den Vorstel-lungen des Bürgermeisters Plänegezeichnet und eine Kostenrechnung er-stellt. Die Stadt müsste danach für dieHalle doppelt so viel bezahlen wie einge-plant. Die Anlieger der Halle habenaußerdem eine Bürgerinitiative

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gegründet, um die Spielplätze für ihreKinder auf dem Brachgrundstück zu er-halten. Die Lokalzeitung spricht spöt-tisch vom Größenwahn desBürgermeisters.

»Das können wir auch billiger!«, sagtsich der Bürgermeister und setzt sichnoch einmal mit dem Bauunternehmerzusammen. Sie einigen sich darauf, dasseine kleinere Halle mit eher konvention-eller Architektur den Finanzrahmen nurgeringfügig übersteigen würde. Meiererklärt sich bereit, ein besonders gün-stiges Angebot abzugeben, um seinemParteifreund aus der Patsche zu helfen.Die Bürgerinitiative jedoch droht weitermit Einsprüchen.

Zähneknirschend sagt der Bürger-meister eine großzügige Entschädigung

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und einen Abenteuerspielplatz für dieKinder zu. Das macht die Halle natürlichwieder teurer. Nach vielen Einzelge-sprächen mit widerwilligen Ratsmit-gliedern bekommt er den aufgestocktenEtat für die Halle durch den Rat. DieStadt muss dafür neue Schulden aufneh-men und die lästige Lokalzeitung sprichtvon einem überdimensioniertenPrestigeprojekt.

Wie erwartet, gibt BauunternehmerMeier das günstigste Angebot ab, undein Jahr vor seiner geplanten Wieder-wahl tut Bürgermeister Müller vollerStolz den ersten Spatenstich.

Kaum ist die Baugrube ausgehoben,steht Bauunternehmer Meier schon imAmtszimmer des Bürgermeisters undteilt ihm mit, dass das Grundwasser

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höher steht als erwartet. Er wird dieBaugrube abpumpen müssen. Und derKeller braucht eine wasserdichte Hülle.Das Abpumpen ist nicht billig und senktden Grundwasserspiegel der Nach-barschaft. Damit steigt die Gefahr vonSetzrissen in den Häusern der Nach-barschaft. Für deren Beseitigung müsstewiederum die Stadt aufkommen. »Kon-ntest du mir das nicht vorher sagen?«,fragt Müller gequält und gibt schließlichdie Genehmigung. Fast wöchentlichbringt Meier dem Bürgermeister nunneue, kostentreibende Hiobsbotschaften.Er hat sein Angebot für den günstigstenmöglichen Bauverlauf abgegeben. Komp-likationen kann er nicht auffangen. Sch-ließlich muss er Geld verdienen. Esdauert nicht lange, bis sich die beiden

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hoffnungslos zerstreiten. Meier ziehtseine Leute und seine Geräte ab undfordert erst einmal Geld.

Die Wahl rückt unterdessen näher.Die Halle ist nicht einmal halb fertig.Der Etat ist überzogen. Die noch un-bezahlten Handwerkerrechnungen fülleneinen ganzen Aktenordner. DerStadtkämmerer weigert sich, weitereAusgaben mitzutragen, und mit dem Rathat sich Müller längst überworfen. DerBürgermeister kann seine Partei nichtüberreden, ihn für eine weitere Amtszeitzu nominieren. Der Stadtkämmerer, denjetzt auch der Bauunternehmer Meierunterstützt, tritt an und übernimmt dasAmt. Von seinem Vorgänger erbt er zer-rüttete Stadtfinanzen und eine teureBauruine. Um die Halle fertig zu bauen,

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müsste er sie abermals verkleinern.Dann wäre sie aber überflüssig, dennHallen und Säle von annähernd solcherGröße gibt es in der Stadt schon …

»Ich bin Opfer einer Verschwörung«,wettert Ex-Bürgermeister Müller zuHause zum wiederholten Mal (seine Frauhört schon gar nicht mehr hin). »DieserMeier und seine Bande wollten mich vonAnfang an weghaben, damit sie denRuhm kassieren können!«

Müller scheiterte an der Komplexitätdes Hallenprojektes. Ihm selber er-scheint es jedoch so, als hätte ihm je-mand ständig und absichtlich Steine inden Weg gelegt. Deshalb glaubt er festan eine Verschwörung seiner Gegner.

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Der Psychologieprofessor DietrichDörner hat unter dem Titel Die Logik desMißlingens ein unterhaltsames Buchüber die häufigsten Ursachen fürfalsches Handeln in komplexenEntscheidungssituationen geschrieben.Das Buch beruht zum großen Teil aufVersuchen, die er und seine Mitarbeiterin den siebziger und achtziger Jahrenselber durchgeführt haben. In Experi-menten und Planspielen ließ er seineVersuchspersonen beispielsweise einevirtuelle Kleinstadt regieren oder einrealistisch erfundenes Entwicklungshil-feprojekt leiten. Er stellte dabei fest,dass viele Menschen mit komplexenSystemen nicht umgehen können. Inihnen treten ständig Zielkonflikte undunerwünschte Nebenwirkungen auf.

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Unter einem Zielkonflikt versteht manden Wunsch, mehrere Ziele zu er-reichen, die nicht gleichzeitig verwirk-licht werden können.

In unserem Beispiel befindet sich Bür-germeister Müller in einem ständigenZielkonflikt, weil er die Finanzen derStadt in Ordnung halten muss, aber dieöffentlichen Einrichtungen ausbauenwill, um sich beliebt zu machen. SeinScheitern schiebt er einer Verschwörungvon Neidern in die Schuhe und reduziertdamit die komplexen Zusammenhängeauf eine einzige Ursache. DietrichDörner spricht in diesem Zusammen-hang von einer reduktiven Hypothese.

Wenn die gescheiterten Konzepte aufGrundüberzeugungen, Lebenseinstel-lungen oder Ideologien beruhen, ist die

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Annahme einer Verschwörung geradezuvorprogrammiert. Die Argumentationlautet dann: Mein Konzept konnte über-haupt nicht scheitern, weil es richtigsein musste. Also hat es jemand sa-botiert. Weltanschaulich begründeteDiktaturen betreiben deshalb eineständige Hatz nach vermeintlichenSaboteuren.

Plötzliche unverständliche Umbrücheoder von Menschen hervorgerufeneKatastrophen provozieren nahezu immereinen Verschwörungsglauben als redukt-ive Hypothese. Beispiele dafür sind dieFranzösische Revolution, die ErmordungKennedys oder die Zerstörung des WorldTrade Centers. Der Zerfall Jugoslawienserzeugte in Serbien eine erstaunlicheMenge an abstrusen

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Verschwörungstheorien. Die Auflösungdes Ostblocks und der Zerfall des Kom-munismus hingegen produzierten keineVerschwörungstheorien. Der Umbruchkam zwar plötzlich, war aber nicht un-verständlich. Der Sozialismus als Staats-doktrin hatte schon vorher seine Glaub-würdigkeit verloren, und viele Menschensahen den Umbruch als unvermeidlichan.

Wenn eine Regierung bestimmten Grup-pen aufgrund reduktiver Hypothesen dieSchuld an Niederlagen, Fehlschlägenoder Katastrophen zuweist, kann dasfürchterliche Folgen für die angeblichen»Volksfeinde« haben.

Stalin schob die Fehler seiner Indus-trialisierung »Saboteuren«,

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»Trotzkisten« und »Faschistischen Agen-ten« in die Schuhe. Zur Zeit des großenTerrors konnte jeder unter dieserBeschuldigung verhaftet und umgeb-racht werden. Deutsche Nationalistenmachten Juden und Bolschewisten fürdie Niederlage des Ersten Weltkriegsverantwortlich. Nero schob den BrandRoms den Christen in die Schuhe.

Blickt man in der Geschichte zurück,bleiben so extreme Übergriffe derHerrscher auf ihr Volk aber die Aus-nahme. Kein Herrscher und keine Re-gierung kann auf Dauer ein Interessedaran haben, die Menschen in ihremHerrschaftsbereich aufeinander zu het-zen. Zu groß ist die Gefahr, dass derdamit verbundene Zerfall staatlicher

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Ordnung auch die Regierung oder denHerrscher in den Abgrund reißt.

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Verschwörungsglauben alsEigenschaftnormalen menschlichenDenkens

Menschen richten ihr Denken viel weni-ger an den Maßstäben der Logik und derVernunft aus, als ihnen selbst bewusstist. Der Glauben an den grundsätzlichenVorrang der eigenen sozialen Gruppenist eine Vorgabe unseres Unterbewusst-seins. Daraus leitet sich die Bereitschaftab, anderen Gruppen schlechte Ei-genschaften zu unterstellen, bis hin zuroffenen oder verdeckten Feindschaft undder Vermutung, dass andere Gruppen

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sich gegen die eigene Gruppe ver-schworen hätten. Gegnerischen Gruppenwerden nicht selten Eigenschaften böserGeistwesen zugeschrieben (Dämonenste-reotyp). Ebenfalls eine grundlegende Ei-genschaft menschlichen Denkens ist dieSuche nach Regelmäßigkeiten, Ab-hängigkeiten und Gesetzen in unsererUmwelt. Daraus entsteht oft eine un-zulässige Vereinfachung, die Annahmeeines zentralen Hebels, der die Welt be-wegt. Oder wissenschaftlich aus-gedrückt: Die reduktive Hypothese.

Kombinieren wir die beiden Denks-chemata, dann können wir einen Ver-schwörungsglauben als reduktive Hypo-these ansehen, mit der eine Person oderGruppe eigene Fehler und Rückschlägeauf das unsichtbare und machtvolle

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Wirken anderer Personen oder Gruppenabzuschieben versucht.

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6: Wahn und WirklichkeitGeisteskrankheiten als Ursache vonVerschwörungstheorien

Als der Bojar und Stallmeister IwanFjodorow-Tscheljadnin am 11.September1568 den Befehl erhielt, sich im Zaren-Palast, dem Kreml, einzufinden, mussteer gewusst haben, dass sein Ende be-siegelt war. Der inzwischensechzigjährige Fürst hatte die Un-berechenbarkeit des Zaren Iwan IV. undseine anhaltende Rachsucht über Jahrehinweg ertragen müssen. Fjodorow, ein-er der angesehensten und reichsten Bo-jaren (Fürsten) des russischen Reiches,stand seit Jahren in Ungnade. Er hatte

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die guten Jahre Iwans erlebt, seineKrönung als erster Zar Russlands, seineReformen, seine siegreichen Kriege. Under hatte die bösen Jahre erlebt, die demTod von Iwans erster Frau folgten, dieJahre, in denen der Zar seinerGrausamkeit freien Lauf ließ, währendsein Misstrauen gegen die Menschenständig wuchs. Er wusste, dass der Zarseinen Argwohn hinter einer perfektenMaske verbarg. Iwan vergaß keinen Ver-dacht, verzieh keinen Streit und über-hörte keine Beleidigung. Sein überra-gender, vom Misstrauen vergifteter Ver-stand, seine Grausamkeit und seinSchauspieltalent sorgten dafür, dassniemand ihn wirklich einschätzenkonnte.

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Immer wieder schickte Zar Iwan seineLeibgarde, die Opritschniki, aus, umwirkliche oder vermeintliche Gegnerunter den Edlen des Landes umbringenzu lassen. Die Opritschniki ermordetennicht nur ihre Opfer, sondern auch derenFamilien, ihren Hofstaat, ihre Wächterund ihr Gesinde. Es war eine unheim-liche Truppe. Sie ritten oft in einerschwarzen Kutte über ihren Panzerhem-den. Am Sattel trugen sie einen Besenund einen Hundskopf. Ihre Waffen war-en die Axt und das Schwert.

Um den Terror zu beenden, hatten dieBojaren deshalb überlegt, ob sie nichteinem Vetter des Zaren, Wladimir Andre-jewitsch, auf den Thron helfen sollten.Aber Wladimir zitterte vor demgrausamen Zaren und erzählte ihm von

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den Gerüchten. Iwan IV. fand jedochkeine Beweise für eine Verschwörung.Allein aufgrund von Gerüchten konnte erniemanden festnehmen, und er wagte esnicht, die einflussreichsten Bojaren ein-fach ermorden zu lassen. Also schickteer den unglücklichen Wladimir miteinem besonderen Auftrag zum Stall-meister Iwan Fjodorow-Tscheljadnin,dem anerkannten Führer der Bojaren.Wladimir fragte Fjodorow, wer ihn dennunterstützen würde, wenn er wirklichZar werden wollte. Auf diese Weiseentstand eine Liste mit dreißig Person-en, die Wladimir an den Zaren weiter-gab. Iwan IV. machte eine Todeslistedaraus.

Iwan Fjodorow-Tscheljadnin selbstwar immer noch zu mächtig, als dass der

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Zar ihn direkt hätte angreifen können.Er belegte ihn nur mit einer ungeheuer-lichen Geldstrafe und verbannte ihn aufeines seiner Güter. Viele andere Adeligehatten weniger Glück: Der Zar ließ sieohne Gerichtsverfahren hinrichten. DieOpritschniki begannen jetzt, FjorodowsLand mit Terror zu überziehen. Sieplünderten seine Dörfer, erschlugenseine Wachen und folterten seine Dien-er. Der Zar persönlich führte eine Straf-expedition in die Hauptbesitzungen vonFjodorow in Beschizki Werch, an derGrenze zum Nowgoroder Land. Dort ließer nach Verschwörern suchen. Er fandsie auf einfache Weise: Er verdächtigteeinfach irgendwen und ließ ihn foltern,um die Namen von »Mitverschworenen«zu erfahren. Die Opritschniki waren

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einfallsreiche Folterknechte und er-fuhren von ihren Opfern sehr schnellneue Namen. Wenn die Verhöre beendetwaren, wurden die Opfer zum Tode ver-urteilt und hingerichtet, nachdem ihnendie Opritschniki vorher ihr gesamtesVermögen abgenommen hatten. InMoskau ließ Iwan IV. die Vertrauten undBerater Fjodorows erschlagen, häufigmit ihrer gesamten Familie.

Der Hochverratsprozess gegenFjodorow selbst jedoch kam nicht voran.Es fehlte an Beweisen, und der Metro-polit Filip, der Erzbischof von Moskau,stellte sich vor den Angeklagten. Aberauch Filips Einfluss begann zuschwinden. Im Herbst 1568 war klar,dass niemand mehr den ehemals ein-flussreichen und wohlhabenden Bojaren

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vor dem Zorn des Zaren schützen kon-nte. So verabschiedete sich IwanFjodorow-Tscheljadnin an jenem Morgendes 11.September 1568 feierlich vonseiner Frau und seinen besten Freunden,bevor er in den Kreml ging. Nicht nurihn, sondern auch viele andere hatte derZar an diesem Morgen in den Kreml be-fohlen. Wie sich herausstellte, hatteIwan nicht geplant, über seine Gegnerzu Gericht zu sitzen. Stattdessen befahler dem Bojaren, ein Zarengewand an-zulegen und sich auf den Thron zu set-zen. Dann zog er seinen Hut vor ihm,beugte sein Knie und sagte: »Nun hastdu bekommen, was du gesucht und er-strebt hast, bist Großfürst von Moskauan meiner Statt. Jetzt bist du derGroßfürst, also freue dich und genieße

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deine Macht, die du dir gewünschthast.« Dann ließ er Fjodorow erstechen.Nach anderen Quellen stach er selbermehrfach mit einem Dolch auf ihn einund ließ ihn von seinen Wachen en-dgültig töten. Seinen Leichnamschleppten die Opritschniki aus demPalast und warfen ihn auf einen HaufenUnrat.

Diese Tat war der Anfang einer weit-eren grausigen Mordserie an russischenAdeligen, kirchlichen Würdenträgernund allen, die mit ihnen in Verbindungstanden. Tausende kamen ums Lebenwegen einer Verschwörung, die es viel-leicht nie gegeben hatte, an der sie abersicher keinen Anteil hatten. Selbst ihrTod aber war dem Zaren nicht Strafegenug. Er verweigerte ihnen Beichte und

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Kommunion vor dem Tode. Ihre Leichendurften nicht in geweihter Erde ruhen.Ihre Namen durften nicht mehr genanntwerden. Selbst Seelenmessen ließ Iwanverbieten, denn seine Gegner solltenewig in der Hölle schmoren.

»Grosny«, der Gestrenge, der Dro-hende, der Grausame, war der Beiname,den das Volk Iwan IV. gab. Im Deutschenheißt er Iwan der Schreckliche.

Ob Iwan tatsächlich unter einem Ver-folgungswahn im medizinischen Sinnelitt, ist heute, mehr als 420 Jahre nachseinem Tod, schwer nachzuweisen.Schon bei lebenden Patienten ist die Dia-gnose mitunter nicht einfach.

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Was ist Wahn?

Das Diagnostic and Statistical Manual ofMental Disorders (4. Auflage, 1994,abgekürzt DSM-IV) der American Psy-chiatric Association grenztGeisteskrankheiten gegeneinander abund enthält kurze Definitionen der ein-zelnen Begriffe.

Ein Wahn ist demnach ein falscherGlaube, der auf der Grundlage einer un-richtigen Schlussfolgerung über die ex-terne Realität zustande kommt. DieserGlaube wird unbeirrbar aufrecht erhal-ten, obwohl nahezu alle anderenMenschen etwas anderes glauben und es

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unbestreitbare und offensichtliche An-haltspunkte oder Beweise für das Gegen-teil gibt.

Wichtig daran ist zunächst, dass einWahn ein falscher Glaube ist, an demder Patient unbeirrbar festhält. Diesebeiden Kriterien unterschreibt jeder Psy-chiater. Dann aber wird es schwierig:

Die DSM-IV-Definition sieht vor, dassdem Inhalt des Wahns unbestreitbareund offensichtliche Anhaltspunkte oderBeweise entgegenstehen sollen. Ein Psy-chiater ist aber kein Polizist oder Detekt-iv. Wie soll er überprüfen, ob der Patientverfolgt wird, seine Ehefrau ihn betrügtoder sein Arbeitgeber ihn unbedingt vordie Tür setzen will? Viele Wahninhaltesind unmöglich. Beispielsweise darf mansicher einen Wahn annehmen, wenn eine

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Patientin sich von Außerirdischen verfol-gt fühlt, aber was ist, wenn sie glaubt,ihr geschiedener Mann lasse sie über-wachen und sabotiere heimlich ihre Kar-riere? Darf ein Psychiater diese Vorstel-lung zum Wahn erklären, ohne sie über-prüft zu haben?

Und wie passt eine religiöse Überzeu-gung in dieses Bild? Die Inhalte vielerreligiöser Überzeugungen erscheinenanderen Menschen bizarr, dennochlassen sich die Gläubigen nicht davonabbringen. Trotzdem wird man nicht voneinem Wahn sprechen. Andererseits gibtes auch einen Wahn mit religiösem In-halt. Wenn beispielsweise jemand un-beirrbar glaubt, der Teufel habe seinenNachbarn geholt und sei selbst in dessenGestalt geschlüpft, handelt es sich nicht

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mehr um den Ausdruck des Glaubens,sondern um einen Wahn.

Die DSM-Definition besteht darauf,dass ein Wahn unbeirrbar aufrecht er-halten wird, obwohl nahezu alle anderenMenschen etwas anderes glauben.Dieser Nebensatz ist wichtig, dennMenschen sind im Allgemeinen beirrbar,das heißt, sie lassen sich vom Glaubenund Denken ihrer Umgebung beein-flussen. Die geforderte Einsamkeit derWahnidee ist also ein Anzeichen der Abs-chottung gegen äußeren Einfluss undzugleich ein Hinweis, dass derWahnkranke die Idee nicht aus seinerUmgebung übernommen hat. Gerade inder Zeit des Internet hat diese Forder-ung aber ihre Tücken: Für vieleWahnideen finden sich im Internet

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Gleichgesinnte, die ihre Wahnsystemegemeinsam ausbauen. Damit verschwim-mt wieder die Grenze zwischen Normal-ität und Wahn. Wer kann schonvorhersagen, ob jedes Mitglied einer sol-chen Gemeinschaft auch allein »unbeir-rbar« an seinem falschen Glaubenfesthalten würde?

Wie man sieht, hat die DSM-IV-Defini-tion also durchaus ihre Schwächen. Einegrundlegende Frage lässt sie sogar ganzaus: Wo verläuft die Grenze zwischen ge-sunden und kranken (oder krankmachenden) Ideen? Darf man die Hart-näckigkeit, die Unbeirrbarkeit, dieUnüberzeugbarkeit zum Maßstabmachen? Oder soll der Gesamteindruckentscheiden? Dann müssten wir die Intu-ition des behandelnden Psychiaters als

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Entscheidungskriterium akzeptieren.Leider entzieht sich die Intuition jederNachprüfung, und verschiedene Psy-chiater können durchaus zu verschieden-en Diagnosen kommen.

Der Psychologe A. S. David steht de-shalb auf dem Standpunkt, dass einevollständige Definition des Wahns un-möglich ist. Diese Meinung ist nicht soerschütternd, wie sie auf den erstenBlick erscheint. Bei genauem Hinsehensind viele Begriffe des täglichen Lebensauf ähnliche Weise unscharf. Zum Beis-piel ist ein Wald eine Anhäufung vonBäumen. Aber wie viele Bäume müssenes mindestens sein und wie müssen sieangeordnet sein, damit man von einemWald spricht? Reichen zehn Bäume füreinen Wald, oder müssen es hundert

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sein? Wäre eine Situation denkbar, inder ein einziger Baum, den wir hinzufü-gen, eine Baumgruppe zum Wald macht?Beim Begriff Wahn kommt erschwerendhinzu, dass er sich lediglich auf einGedankenkonstrukt in einem anderenGehirn bezieht. Einen Wahn kann mannicht sehen, er ist eine Schlussfolgerungaus dem Bericht des Wahnkranken, deroft heftig bestreitet, krank zu sein. Wirmüssen deshalb eine breite Grauzonezwischen geistiger Gesundheit undWahn akzeptieren, eine feste undeindeutige Grenzziehung ist unmöglich.

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Wahn als Symptom eineranderen Erkrankung

Der Wahn ist eine so genannte inhalt-liche Denkstörung. Nicht der Vorgangdes Denkens an sich ist gestört (hierspricht man von einer formalen Denk-störung), sondern das Ergebnis istfalsch. Irgendwo reißt sich ein Denkin-halt, eine Vorstellung, eine Idee von derWirklichkeit los und führt ein unkontrol-lierbares Eigenleben. Diese Wahnideekann um sich greifen und den Alltag desPatienten überschatten. Dann stört sieseine Beziehungen zu anderenMenschen, beherrscht sein Denken und

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verändert sein Gefühlsleben. Ein Wahnkann vielerlei Ursachen haben.Wahnideen treten regelmäßig als Beg-leiterscheinung von anderen Psychosen,zum Beispiel von Schizophrenien undDepressionen auf. Diese Psychosen sinddurch eine formale Denkstörung odereine Störung des Gefühlslebens geken-nzeichnet. Die inhaltliche Denkstörungstellt sich erst als Reaktion darauf ein.

Eine Depression bewirkt eine allesverfinsternde, niedergedrückte Stim-mung mit gleichzeitiger Antriebsarmut.Ein depressiver Patient fühlt sich inner-lich abgestorben, im Extremfall kann ersogar überzeugt sein, er existiere garnicht mehr (das so genannte Cotard-Syn-drom). Oftmals hindert nur die Antrieb-sarmut den Depressiven daran, sich

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umzubringen; er möchte sterben, aberer bringt nicht die Energie auf, Hand ansich zu legen. Bei einer Schizophreniegeraten die höheren Funktionen des Ge-hirns noch stärker aus demGleichgewicht als bei einer Depression.Das Gefühlsleben, die Wahrnehmungund der Vorgang des Denkens selbst ver-lieren ihre Ordnung und ihren Zusam-menhang. Bei der Schizophrenie tretenSinnestäuschungen (Halluzinationen)auf, das Gefühl für die eigene Person istbeeinträchtigt, und das Denken ist en-tweder verlangsamt oder im Gegenteilauf chaotische Art und Weisebeschleunigt. Der Denkzusammenhanggeht verloren, die Gedanken lassen sichnicht mehr steuern, kreisen um einbestimmtes Thema, wiederholen sich

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ständig oder reißen plötzlich ab. DemErkrankten kann diese Störung durchausbewusst sein; er leidet darunter, aber erkann nichts dagegen unternehmen. DieGrenze zwischen dem Ich und derAußenwelt wird durchlässig, die Außen-welt beginnt die Innenwelt zu durchdrin-gen und zu bestimmen. Gleichzeitigwechselt die Stimmung ohne an-gemessene äußere Ursache, Misstrauenstellt sich ein und Wahnideen kommenauf. Das Interesse an der Außenweltlässt nach oder erlischt, der Kontakt zuanderen Menschen reißt ab. DieWahnideen der Schizophrenen sind oftbizarr, schnell wechselnd, logisch nichtnachvollziehbar und uneinfühlbar.

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Nicht alle diese Symptome müssengleichzeitig auftreten, deshalb kann dieDiagnose im Einzelfall schwierig sein.Wahnsymptome, Störungen des Ge-fühlslebens und des Antriebs, formaleDenkstörungen und Störungen des Ich-Empfindens treten in unterschiedlichenKombinationen auf. Fast immer quälendie Erscheinungen den Patienten undmachen ihm Angst. Auch körperlicheLeiden oder Vergiftungen können dieFunktion des Gehirns so sehr stören,dass die Symptome einer Schizophrenieauftreten. Mit der erfolgreichen Behand-lung der Grundkrankheit verschwindenjedoch meist auch die Gefühls- undDenkstörungen.

An diesem kurzen Exkurs lässt sichbereits ablesen, wie heikel das

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Gleichgewicht im menschlichen Gehirnausbalanciert ist. Es muss sinnlichesWahrnehmen, Fühlen, Denken und Han-deln störungsfrei zusammenführen, umdaraus ein sicheres Abbild der Wirklich-keit konstruieren zu können. Der Kyber-netiker Heinz von Foerster stellt dazufest: »Das Nervensystem ist so organis-iert (bzw. organisiert sich selber so),dass es eine stabile Realität errechnet.«

Wenn ein Teilbereich des Gehirnsfehlerhaft arbeitet, versucht das Gesamt-system immer noch, eine stabile Realitätzu errechnen – mit teilweise bizarrenErgebnissen.

Im Zuge einer Schizophrenie odernach einer Hirnverletzung gelangenmanche Menschen zu der Überzeugung,Doppelgänger, Roboter oder Aliens

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hätten ihre Angehörigen beseitigt undunbemerkt deren Platz eingenommen.Diese bizarre Wahnvorstellung ist alsCapgras-Syndrom bekannt. Namensge-ber ist der französische Psychiater JeanMarie Joseph Capgras, der diesen Wahnzusammen mit seinem Kollegen JeanReboul-Lachaux im Jahre 1923 erstmalswissenschaftlich beschrieben hat. Seit-dem hat man diese Wahnvorstellung im-mer wieder gefunden. Seit einigenJahren gibt es Hinweise darauf, dass ihrein Abriss der Verbindung zwischenErinnerung und Gefühl zugrunde liegt.Normalerweise erkennen wir eine Per-son, weil wir das von den Augengelieferte Bild mit dem Bild in der Erin-nerung vergleichen. Mit der Erkennungverbinden wir bestimmte Gefühle. Bei

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guten Freunden und nahen Verwandtenstellt sich ein Gefühl der Vertrautheitund Zugehörigkeit ein. Bei einigenMenschen mit Capgras-Syndrom kon-nten Forscher zeigen, dass trotz sichererErkennung das Vertrautheitsgefühl nichtaufkommt. Die sonst enge Verbindungzwischen diesen beiden Gehirnleistun-gen ist bei ihnen zerrissen.

Der Patient sieht und erkennt seineAngehörigen, aber sie erscheinen ihmnicht vertraut. Sein Gehirn errechnet jet-zt eine widersprüchliche, instabile Real-ität. Sein Bild von der Außenwelt gerätins Wanken. Die Vorstellung, seine Ange-hörigen seien durch genau gleich ausse-hende Fremde ersetzt worden, stabilis-iert seine innere Abbildung der Realitätwieder – auf Kosten einer bizarren

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Annahme über die Außenwelt. BeiCapgras-Patienten wäre also der Wahnnicht Ausdruck einer »unrichtigenSchlussfolgerung über die externe Real-ität« (DSM-IV), sondern der verzweifelteVersuch des Gehirns, die Stabilität sein-er errechneten Realität zu wahren.

Ähnliches beobachtet man bei Depres-sionen. Anders als die Melancholie istdie echte Depression eine schwereErkrankung mit einer tief herabgedrück-ten Stimmung, aber der Unfähigkeit,Trauer oder Freude zu empfinden.Gleichzeitig bemerken die Patienten,dass der Gang ihrer Gedanken gehemmtist und sie sich zu nichts mehrentschließen können. Daraus entsprin-gen Wahnideen, mit denen die Krankenihre Stimmung zu erklären versuchen.

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Sie sehen sich von Verarmung bedroht(Verarmungswahn), glauben todkrank zusein (hypochondrischer Wahn) oder be-trachten alles Handeln und Streben alshoffnungslos und sinnlos (nihilistischerWahn). Hier steht die depressive Stim-mung am Anfang, die wahnhafteErklärung ist die Folge derGrundkrankheit. Am Anfang des Wahnsmuss also nicht unbedingt eine falscheBewertung der externen Realität stehen,sondern es kann ebenso gut ein Versuchdes Gehirns sein, eine innere Störungauszugleichen.

Ein Verfolgungswahn entsteht alsozum Beispiel aus dem unbestimmten Ge-fühl, beobachtet, abgehört oder manip-uliert zu werden. Im Rahmen einerSchizophrenie leiden die Patienten oft

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unter dem Gefühl, ihre Gedankenwürden ihnen aus dem Kopf gesogenoder abgehört; was sie denken, werdelaut und sei allen zugänglich, ohne dasssie sich dagegen wehren können. ImLaufe der Erkrankung bauen die Patien-ten ihr zunächst unbestimmtes Missem-pfinden zu einem mehr oder wenigerbizarren Wahnsystem aus. Hatte einKranker zum Beispiel zu Beginn seinerKrankheit nur das unbestimmte Gefühl,abgehört und mit krank machendenStrahlen beschossen zu werden, kann ernach einigen Wochen bereits genauerklären, dass die NASA ihn mit unsicht-baren Mikrophonen abhört und ihn ver-nichten will, weil er gesehen hat, dassaußerirdische Wesen die Stadtverwal-tung von Stuttgart übernommen haben.

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Mit der Behandlung derGrundkrankheit verschwinden auch dieWahnsysteme. Sie leben nicht aus ei-genem Recht, und sobald das Gehirn desKranken sein Gleichgewicht wieder er-reicht, haben sie ihre Rolle ausgespielt.

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Der reine Wahn

Wahnideen können auch auftreten, ohnedass eine andere Störung des Seelen-lebens erkennbar wäre. In diesem Fallwirkt der Patient durchaus klar und ori-entiert. Oft versteht er es sogar, vernün-ftig klingende Beweisketten zur Unter-mauerung seines Wahns anzuführen.Alle Urteile und Wahrnehmungen außer-halb des Wahnsystems können vollkom-men normal sein. Der VerfolgungswahnIwans des Schrecklichen ist vermutlicheine Folge der buchstäblich mör-derischen Verhältnisse am Zarenhofwährend seiner Jugend. Er neigte

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ohnehin zum Misstrauen gegen seineUmwelt und die ständige, durchaus be-gründete Angst vor Angriffen auf seinLeben verstärkten diesen Zug seinerPersönlichkeit immer weiter. Woheraber stammt der – viel häufigere – Ver-folgungswahn bei Menschen, die niemalswirklich verfolgt wurden?

Das ist oft schwer festzustellen, denndie meisten Wahnkranken suchen erstdann einen Arzt auf, wenn ihr Wahn un-erträglich wird – für sie selbst oder fürihre Umgebung. Sicher ist, dass mancheMenschen ihren Mitmenschen vonvornherein misstrauen. Wenn dieser Zugdie Persönlichkeit extrem dominiert,sprechen Mediziner und Psychologenvon einer paranoidenPersönlichkeitsstörung.

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Es ist schwer, mit solchen Menschenumzugehen. In jeder Bemerkung suchensie nach einer Kränkung, in jeder Hand-lung nach einer Zurückweisung. Siewirken nach außen hin oft gefühlsarm,abweisend, streitsüchtig und humorlos.In ihrem Inneren aber fühlen sie sichfortwährend von der Außenwelt verletzt.Sie neigen zu übersteigerter Eifersucht,denn sie trauen auch ihren Ehepartnernnicht mehr.

Menschen mit dieser Persönlich-keitsstörung neigen dazu, alle Arten vonVerschwörungstheorien zu erfinden, zuübernehmen oder auszugestalten. DieDefinition der Weltgesundheitsorganisa-tion für die paranoide Persönlich-keitsstörung nennt dieses Verhalten aus-drücklich als eines der

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Krankheitszeichen: »Inanspruchnahmedurch Gedanken an Verschwörungen alsErklärung für Ereignisse in der näherenUmgebung und in aller Welt.«

Noch ein Wort zu der Definition einerPersönlichkeitsstörung: Jede Persönlich-keit bestimmt sich erst durch ihre beson-deren Charakterzüge. Von einer Störungsollte man erst sprechen, wenn die be-herrschenden Charakterzüge dasZusammenleben mit anderen Menschenerheblich stören und wenn der Betref-fende oder seine Umgebung darunterleiden. Nicht jeder misstrauischeMensch muss gleich eine Charakter-störung haben. Erst wenn das Mis-strauen seine Beziehung zu anderenMenschen ernsthaft beeinträchtigt,

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spricht man von einer paranoiden Per-sönlichkeitsstörung. Wenn ein solcherMensch sich in eine Idee verrennt (Med-iziner sprechen von einer überwertigenIdee), entsteht eine so genannte fanat-ische Persönlichkeit. Der Kampf gegenein wirkliches oder vermeintliches Un-recht ist das Kennzeichen einer queru-latorischen Persönlichkeit.

Erst wenn die überwertige Idee un-korrigierbar wird, von Argumenten undGegenbeweisen nicht mehr erreicht wer-den kann, spricht man von einem Wahn.Je länger der Wahn anhält, destogenauere Gestalt nimmt er an, und destoschwerer ist er von außen zu beein-flussen. Mit der Zeit bauen vieleWahnkranke ihren Wahn zu einem

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Wahnsystem aus, in das sie alle Ereign-isse ihrer Umgebung einbeziehen.

Mediziner nennen diese chronische, an-haltende Wahnerkrankung eine Para-noia. Hat man den Patienten erst einmaldazu gebracht, über seinen Wahn zusprechen (das ist nicht einfach, denn erbringt auch seinem Arzt zunächst Mis-strauen entgegen), dann weiß er oftmalslange und mit vielen Einzelheiten undBeweisen vom anhaltenden Kampf gegenseine Verfolger zu erzählen. Ein unbe-darfter Zuhörer – und sogar der behan-delnde Arzt – kann oft genug kaum fests-tellen, wo die Wirklichkeit endet und derWahn anfängt. Wahnsysteme könneneine erstaunliche innere Logik entwick-eln, mit der sie jedes Ereignis der

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äußeren Welt fugenlos in ihrGedankengebäude einpassen.

Leiden Autoren von Verschwörung-stheorien im medizinischen Sinne untereinem Wahn?

David Icke behauptet, die Welt werdevon außerirdischen intelligenten, mehrals drei Meter großen Reptilien be-herrscht. Wir können sie aber nicht se-hen, weil sie ihre Gestalt ändern könnenund zum Zwecke der Weltherrschaft dieäußere Form von Königen und Präsiden-ten angenommen haben. Jan Udo Holeyerklärt in seinem Buch Wer hat Angstvorm schwarzen Mann?, er habe durchein Medium mit dem Tod selbst ge-sprochen. Der erwies sich als sehr aus-kunftsfreudig und hat ihm mehr als 200Fragen beantwortet.

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Zuvorkommenderweise hat er dabei,sozusagen letztinstanzlich, viele bish-erige Thesen von Holey bestätigt. HatJan Udo Holey Halluzinationen oder ister auf einen Betrüger hereingefallen?Hat er am Ende alles erfunden, weil erannehmen durfte, dass die Auskünftedes lebendigen Todes einer aus-reichenden Anzahl von Menschen denBuchpreis von 19,70 € wert sind?

Wenn Sie einen verantwortungsvollenArzt danach fragen, wird er Ihnen sagen,dass er den Patienten selbst untersuchenmuss, um eine Diagnose zu stellen. Unddarüber darf er nur mit dem Patientenselbst sprechen. Krankheit istPrivatsache.

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Der Martha-Mitchell-Effekt

Wie schwer es sein kann, Wirklichkeitund Wahn sicher auseinander zu halten,zeigt die Geschichte von MarthaMitchell, der Frau des ehemaligenamerikanischen Justizministers JohnMitchell. Er war ihr zweiter Ehemann,sie hatte ihn mit 38 Jahren im Jahre 1957geheiratet, als er noch ein gut verdien-ender Anwalt in New York war. JohnMitchell wurde in den folgenden Jahreneiner der engsten Mitarbeiter vonRichard Nixon. Die beiden hatten sichkennen gelernt, als ihre Anwaltskanzlei-en sich zusammenschlossen. Nach seiner

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Wahl zum Präsidenten ernannte Nixonseinen Vertrauten John Mitchell zum Jus-tizminister, und die Familie Mitchell zognach Washington. Bei den Journalistenim Umfeld der Regierung machte sichMartha Mitchell bald einen Namen.Während die meisten Ehefrauen von ho-hen Regierungsbeamten sich an die un-geschriebene Regel hielten, die Politikihren Männern zu überlassen und sichauf Wohltätigkeitsveranstaltungen undSpendengalas zu beschränken, sagteMartha Mitchell der Presse unverblümtihre Meinung. Sie wartete nicht, bis siegefragt wurde, sondern rief die Reporterselbst an, vorzugsweise zwischen Mitter-nacht und Morgendämmerung. Ihrepolitischen Ansichten waren überwie-gend unterhaltsam und immer stramm

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republikanisch. Sie erklärte ihren Ge-sprächspartnern beispielsweise: »Er-wachsene möchten geführt werden. Siereagieren eben auf Disziplin.« Demon-stranten gegen den Vietnamkriegbezeichnete sie als »sehr liberale Kom-munisten«. Sie telefonierte vorwiegendvom blauen Wandtelefon ihres Badezim-mers aus, »damit John nichts merkt«. Soerfuhr John Mitchell die politischenKommentare seiner Frau oft genug erstaus der Zeitung.

In Marthas Geburtsstadt Pine Bluff imtiefsten Arkansas wären ihre Ansichtenvielleicht nicht ungewöhnlich gewesen,in Washington aber gerieten ihreAuftritte zur Peinlichkeit. Einer ihrerehemaligen Lehrer sagte einem Time-Re-porter: »Martha hatte einen guten

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Intellekt, wenn sie davon Gebrauchmachte. Das tat sie aber nie. Sie war einhübsches, fröhliches kleines Mädchenohne Verstand.«

Ihre Anhänger liebten ihreGeradlinigkeit, und sie bekam stapel-weise Fanpost. Die Presse attestierte ihreinen gewissen »unterbelichtetenCharme«. Man munkelte auch, ihrenächtlichen Telefonate seien oft genugvon einer übergroßen Anzahl abendlich-er Drinks beflügelt gewesen. Niemandnahm ihre Ansichten wirklich ernst. JohnMitchell nannte seine Frau nachsichtigein »unguided missile«.

Dann kam das Jahr 1972. Die ersteAmtszeit von Präsident Nixon endete mitAblauf des Jahres und im Novemberstanden Präsidentschaftswahlen an. Die

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Republikaner nominierten Nixon für einezweite Amtszeit, und John Mitchell tratvom Amt des Justizministers zurück, umDirektor des Wiederwahlkomitees zuwerden. Am 17.Juni 1972 verhaftete diePolizei in Washington fünf Einbrecherbeim Versuch, im Wahlhauptquartier derdemokratischen Partei Abhöranlagen an-zubringen. Die Demokraten hatten ihreWahlkampfzentrale im vornehmenWatergate-Hotel eingerichtet.

John Mitchell war zu dieser Zeit mitseiner Frau in Kalifornien unterwegs, umfür Nixons Wiederwahl Geldaufzutreiben. Er flog sofort nach Wash-ington und ließ Martha unter der Obhutdes Sicherheitsoffiziers Steve King ineinem Gästehaus der Regierung zurück.Als sie annahm, dass er schlief, rief sie

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bei der UPI-Reporterin Helen Thomas anund schüttete ihr Herz aus. Sie drohte,dass sie ihren Mann verlassen werde,wenn er sich nicht aus dem »dreckigenGeschäft« der Politik zurückziehe. Weit-er kam sie jedoch nicht. Helen Thomashörte plötzlich Geräusche einesKampfes, dann war die Leitung tot. DerSicherheitsoffizier hatte die Telefon-schnur aus der Wand gerissen. Dann ließer Martha Mitchell gewaltsam ein Ber-uhigungsmittel spritzen und schloss siein ihr Zimmer ein, wie sie spätererzählte. Wollte er verhindern, dass sieetwas ausplauderte? Bis heute ist dieserZwischenfall nicht geklärt.

John Mitchell trat im Juli als obersterWahlkampfmanager zurück, versöhntesich mit seiner Frau und lebte mit ihr für

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einige Monate in einem luxuriösenApartment in Manhattan. Nixon gewanndie Präsidentschaftswahl im Novembermit großem Vorsprung. Im März 1973kochte der Watergate-Skandal hoch, alseiner der Einbrecher erklärte, die Ab-höraktion sei von John Mitchell und demPräsidentenberater John Dean in Auftraggegeben worden.

Während Nixon zunächst die Fassadedes von seinen Beratern hintergangenenEhrenmannes wahren konnte, zog sichdie Schlinge um John Mitchell unerbitt-lich zusammen. Das ließ Martha keineRuhe, und in einem ihrer berühmtenNachtanrufe erklärte sie der UPI-Repor-terin Helen Thomas: »Wenn mein Mannirgendetwas über den Einbruch wusste,dann wusste Mr.Nixon auch darüber

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Bescheid.« Sie forderte, Nixon sollezurücktreten. Martha Mitchell wieder-holte die Vorwürfe in weiteren Tele-fongesprächen. Sie sprach oft mitschleppender Stimme, was ihrem Süd-staatenakzent, ihrem Alkoholkonsumoder einer Kombination davon zuges-chrieben wurde. Sie sah eine riesige Ver-schwörung unter Einschluss des Präsid-enten, für die ihr Mann den Südenbockspielen sollte. Außer Helen Thomas woll-te ihr niemand glauben. Schließlich ver-ließ ihr Mann sie. Ihre beiden Kinderstellten sich auf seine Seite.

Im Laufe des Jahres 1973 stellte sichheraus, dass Richard Nixon nicht nurden Watergate-Einbruch, sondern eineganze Reihe weiterer illegaler Aktionenangestoßen oder gutgeheißen hatte. Im

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Mai 1974 beschloss der Kongress, einAmtsenthebungsverfahren gegen denPräsidenten einzuleiten. Nixon trat am8.August 1974 als Präsident der Verein-igten Staaten von Amerika zurück, umseiner Absetzung zuvorzukommen.

Knapp zwei Jahre später, am 18.Juni1976, starb Martha Mitchell in einemWashingtoner Krankenhaus an Knochen-markkrebs. Ihr geschiedener Mann undihre Tochter weigerten sich bis zumSchluss, sie zu besuchen, erkundigtensich aber bei den Ärzten immer wieder,wie es ihr ging.

Im Jahre 1975 wurde John Mitchell fürseine Verbrechen im Zusammenhang mitder Watergate-Affäre zu 2½ bis 8 JahrenGefängnis verurteilt. Von 1977 bis 1979

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verbrachte er 19 Monate im Gefängnisund wurde dann auf Bewährungentlassen.

Richard Nixon entging einer Anklage.Sein Nachfolger im Amt, Gerald Ford,unterschrieb am 8.September 1974 ein-en Erlass, mit dem er den ehemaligenPräsidenten von jeder Strafverfolgungim Zusammenhang mit der Watergate-Affäre ausnahm.

Martha Mitchells Vorwürfe gegenRichard Nixon waren, entgegen derAnsicht vieler Journalisten und Politiker,keine Anzeichen einer Geisteskrankheit,sondern entsprachen der Wahrheit.Martha Mitchell litt nicht unterWahnideen, sondern hatte auf ihre ganzbesondere Art intuitiv die richtigenSchlüsse gezogen.

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Seit Ende der achtziger Jahre nenntman die Fehldiagnose einer rational be-gründeten Überzeugung als Wahnideedeshalb den Martha-Mitchell-Effekt.

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7: Der heimliche Kampfum die MachtVerschwörungen und Verschwörung-stheorien als Elemente staatlicherMacht

Wissen Sie, warum Sie verhaftet wordensind?« Mit dieser Frage pflegten in derZeit der großen Säuberung in derUdSSR die Untersuchungsbeamten derpolitischen Polizei ihr Verhör zu eröffn-en. Die meisten Gefangenen verneinten,ohnehin zu erschüttert, um einen klarenGedanken zu fassen. »Nun, dann nennenSie mir die Hypothese, die Sie sich fürden Grund Ihrer Verhaftung aufgestellthaben«, fuhr der Untersuchungsbeamte

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fort. Damit brachte er den Gefangenenin ein Dilemma. Sollte er eine Antwortverweigern? Damit würde er eine feind-liche Haltung gegenüber der PolitischenPolizei und natürlich gegenüber derPartei zeigen. Was sollte er also sagen?Jetzt begann der Untersuchungsbeamte,Andeutungen zu machen. Man habe er-fahren, dass es in dem Werk, in dem erarbeite, ein Sabotagekomplott gegebenhabe. Der Fünfjahresplan sei hinter-trieben worden. Ob der Gefangene viel-leicht davon wusste? Vielleicht sagte derUntersuchungsbeamte auch, dassgewisse Anzeichen darauf hindeuteten,dass es in der Umgebung des Häftlingseine Verschwörung gegen die Spitze derPartei gegeben habe. Ob er denn garnichts davon mitbekommen habe?

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In den Spätzeiten der großen Säuber-ung, also in den Jahren 1937 und 1938,konnten erfahrene Gefangene in den völ-lig überfüllten Zellen den Neulingenbereits vor dem ersten Verhör erzählen,was die Verhörspezialisten erwarteten,welches Verbrechen oder Komplott siegestehen mussten, um der schlimmstenBehandlung zu entgehen. Wer nichtgestand, musste mit Folter rechnen.Man ließ ihn über Wochen stundenlangin einer engen Zelle unbeweglich aufeiner Stelle stehen, bis seine Füße unför-mig anschwollen, man verprügelte ihn,ließ ihn mehrere Nächte hintereinandernicht schlafen oder verweigerte ihm dieNahrung. Die Untersuchungsbeamtenwaren auf Geständnisse angewiesen,

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denn es gab keine Indizien, keine Be-weismittel und keine verwertbaren Zeu-genaussagen. Dennoch gab es ein Soll,das erfüllt werden musste. Ein Soll anVerhaftungen, ein Soll an Verurteilun-gen, ein Soll an Erschießungen. Wennein Untersuchungsbeamter nicht fleißiggenug Geständnisse erpresste, fand ersich sehr schnell unter den Gefangenenwieder. Der große Terror war eine In-dustrie, die Geständnisse herstellte. Ererzeugte ein Paralleluniversum von Ver-schwörungen und Mordkomplotten, dasmit der wirklichen Welt nichts gemein-sam hatte.

Die unmittelbare Vorgeschichte dergroßen Säuberungen begann 1933. Stal-ins eiserner Zugriff auf das Land und die

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Partei begann sich zu lockern. Der ersteFünfjahresplan war gescheitert. DieZwangskollektivierung sowie die Deport-ationen und Erschießungen der Kulaken,der selbstständigen Bauern, hatte dasLand 1932/33 in eine Hungersnot vonunvorstellbarem Ausmaß gestürzt. Mehr-ere Millionen Menschen waren verhun-gert. Stalin verschanzte sich im Kremloder in seiner Datscha und ließ sich voneiner mehr als 1000 Mann starkenLeibgarde abschirmen. Auch seineAußenpolitik blieb erfolglos: Der Ver-such, in Deutschland einen kommun-istischen Umsturz herbeizuführen oderwenigstens tatkräftig zu unterstützen,schlug fehl. Stattdessen hatten dort dieNationalsozialisten die Macht ergriffen.Angesichts dieser Misserfolge ließ

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Stalins Rückhalt in der Partei deutlichnach.

In dieser Situation entwickelte sichder Leningrader Parteichef Kirow immermehr zum innerparteilichen Rivalen. Erverkörperte alle Eigenschaften, die Stal-in fehlten. Er war noch jung (Stalin hatte1929 seinen 50. Geburtstag gefeiert),wirkte fröhlich, warmherzig, offen undvolksnah. Stalin hingegen zeigte sichmeist misstrauisch, verschlossen und ab-weisend. Kirow trat für die Versöhnungder Parteiflügel ein, Stalin hatte stetsversucht, Gegner und Rivalen zu ver-nichten. Jede Versöhnung betrachtete erals Machtverlust. Die Delegierten desXVII. Parteitags der KPdSU wähltenKirow mit nur drei Gegenstimmen in dasZentralkomitee, Stalin hingegen fehlten

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270 Stimmen. In den Jahren 1933 und1934 baute Kirow seine Position stetigaus, gestützt auf die mächtige Lenin-grader Parteiorganisation. Offizielldeckte der Personenkult um Stalin alleDifferenzen zu. Trotzdem hatte Kirowgute Chancen, dem Diktator seine abso-lute Macht zu entreißen. Da geschah et-was Unerhörtes: Am 1.Dezember 1934wurde Kirow von einem Attentäter imLeningrader Parteigebäude erschossen.Der Mörder wurde noch am Tatort ver-haftet, ein Wirrkopf namens LeonidNikolajew. Irgendjemand, eventuellStalins Geheimdienst-Chef Jagoda, hatteihm eine Waffe verschafft und ihn aufKirow angesetzt. Seltsamerweise fehltenin Kirows Amtssitz am 1.Dezember diesonst obligaten Wachen. Ob Kirows

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Ermordung auf Stalins Befehl oder mitseinem Einverständnis in Szene gesetztwurde, ist immer noch unklar. Sicher istallerdings, dass Stalin den Tod seines Ri-valen entschlossen ausnutzte. Er nahmihn zum Anlass für die so genannteGroße Tschistka (Säuberung), auchGroßer Terror genannt.

Noch am Abend des Mordtages gabStalin einen Notstandserlass heraus, indem er sich selbst mit weitgehendenVollmachten ausstattete. Er versprachdem Attentäter Nikolajew Gnade, wenner gestand, den Mord an Kirow imAuftrag eines Leningrader undMoskauer »konspirativen Zentrums«verübt zu haben. Nikolajew gestand undwurde mit 13 angeblichen Komplizenhingerichtet. Wenige Wochen später ließ

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Stalin Grigori Sinowjew, Lew Kamenewund 17 weitere Männer der »moralis-chen Verantwortung« für das Attentatanklagen. Sinowjew und Kamenew hat-ten mit Stalin zusammen nach LeninsTod die Partei angeführt, aber Stalinhatte sie in den zwanziger Jahren ent-machtet und ihrer Posten enthoben. Jetztsah er die Gelegenheit, sie endgültig zuvernichten. Die Anklage der »moralis-chen Verantwortung« war an den Haar-en herbeigezogen, aber sie führte erwar-tungsgemäß zu Schuldsprüchen für alleAngeklagten. Die Leningrader Parteior-ganisation ließ Stalin 1935 ebenfallsgründlich »säubern«. Hunderte vonKirows Gefolgsleuten verschwanden imGefängnis. In Moskau und im übrigenLand herrschte dagegen weitgehend

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Ruhe. Man hatte den Bauern nach derKatastrophe der Zwangskollektivierunggestattet, ein Stück Land für sich selbstzu bearbeiten und die Erträge zuverkaufen. Die Massenverhaftungen derpolitischen Gegner hörten erst einmalauf. Die bürgerlichen Intellektuellen ließman einigermaßen in Ruhe. Insgeheimaber bereitete Stalin den großen und en-dgültigen Schlag gegen seine Gegnervor. Dazu gehörte auch, dass er seinenentmachteten Gegner Leo Trotzki zueinem dämonischen Widersacher miteiner gigantischen subversiven Organ-isation aufbaute.

Leo Trotzki war einer der führendenKöpfe der Bolschewiki zur Zeit der Re-volution. Ihm verdankten die

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Bolschewiki den militärischen Sieg imrussischen Bürgerkrieg. Stalin hatteTrotzki im Jahre 1925 entmachtet, 1928nach Kasachstan verbannt und 1929schließlich außer Landes bringen lassen,wo er ihn weiter verfolgen ließ. TrotzkisAufrufe an die russischen Kommunistenverhallten ungehört. Er hatte nie einegroße Gefolgschaft gehabt; trotz seinerunbestrittenen Erfolge im Bürgerkriegund seiner intellektuellen Brillianz warer einsam geblieben. Ihm fehlte dieFähigkeit, Menschen zu begeistern; erwirkte arrogant, unduldsam und besser-wisserisch. Gleichzeitig war er dogmat-isch bis zur Engstirnigkeit und unfähigzum Kompromiss. Während Stalin seineMachtposition abseits jeder Ideologiezielstrebig ausbaute, gefiel sich Trotzki

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in ideologischen Volten und griff jedenan, der ihm eventuell hätte helfenkönnen. Als Stalin ihn endlich verjagte,hatte er bereits mit den Exponenten al-ler wesentlichen Machtströmungen inder Partei gebrochen. Seine eigene Ge-folgschaft erwies sich als zu schwach.Von Stalin unter massiven Druck geset-zt, löste sie sich bis zu Trotzkis Aus-weisung weitgehend auf.

Trotzkis These von der »permanentenRevolution« aber hatte im Auslanddurchaus Anhänger. Sie halfen ihm ersteinmal, sich im Exil einzurichten. In derTürkei, später dann in Frankreich, Nor-wegen und Mexiko entwickelte Trotzkieine unermüdliche schriftstellerischeTätigkeit. Er verfasste Streitschriften,Analysen, Verteidigungen und

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Polemiken. Er schuf eine Unzahl vonmarxistisch-leninistischenLuftschlössern, an denen er unbelehrbarfesthielt und über die er jede fruchtbareDiskussion verweigerte. Auf diese Weiseverprellte er immer mehr seiner An-hänger. Er sah sich als Wissenschaftlerund Analytiker, als einsamen Prophetenund als einzigen Leuchtturm der wahrenLehre. In der gesamten Zeit seines Exilszählte Trotzkis aktive Anhängerschafteher nach Hunderten als nachTausenden. In der UdSSR unterstützteihn kaum noch jemand.

Trotzki führte also eindeutig nicht jeneriesige subversive Organisation an, dieihm die stalinistische Propaganda unter-stellte – und Stalin wusste das. Er hatte

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Trotzki in ein dichtes Netz von sowjet-ischen Agenten eingehüllt und verfolgtejede seiner Bewegungen. Aber nach derLogik der Propaganda musste dem»Genie Stalin« ein teuflischer Wider-sacher entgegengestellt werden, demman alle Fehlschläge des Systems an-lasten konnte. Also baute Stalin Trotzkiplanmäßig als eine Art dämonischen Ge-genpol auf.

Die Vorhut des gesellschaftlichenFortschritts unter der Führung des»Genies Stalin« machte keine Fehler, solautete ein Glaubenssatz der Kommun-istischen Partei. Trotzdem wurdenständig und überall Produktionszahlenverfehlt oder entstanden Versorgungsen-gpässe. An der Partei konnte es nicht lie-gen, also musste ein tausendarmiger,

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über das ganze Land verbreiteter, teu-flischer Gegner daran schuld sein: derTrotzkismus. Ihn galt es mit allen Mit-teln zu bekämpfen. Denunziation wurdePflicht, wer nicht denunzierte, machtesich mitschuldig. Das galt auch für engeFamilienmitglieder. Seit 1935 erlaubteStalin die Todesstrafe bereits für Kinderab zwölf Jahren.

Stalin wusste zwar, dass Trotzki ihmnicht gefährlich werden konnte, aber erwar sicher, dass von allen Seiten Ränkegegen ihn geschmiedet wurden. Sein ei-gener Weg an die Spitze der Partei warmit Lügen, Intrigen und Ver-schwörungen gepflastert. Er hatte sein-en Aufstieg und die Festigung seinerMacht nach einem immer gleichenMuster betrieben: Er umgab sich

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zunächst mit Menschen, die ihm etwasschuldeten und die gefährliche oderschmutzige Arbeiten zuverlässig für ihnerledigten. Dann baute er eine Organisa-tion auf, die ihn mit Informationen ver-sorgte und seine Weisungen ausführte.Gleichzeitig betrieb er zielstrebig dieVernichtung seiner Gegner und Rivalen.Er schmiedete Bündnisse und brach sie,wann immer es ihm sinnvoll erschien.Nichts anderes erwartete er von seinenGegnern. Aus seinen Äußerungen kannman schließen, dass sein Machtverständ-nis sich auf die Regel »Fressen oder ge-fressen werden« gründete. Stalin kanntekein Miteinander, nur den brüchigenWaffenstillstand im ewigen Stellung-skrieg um die überlegene Position, diedem Sieger den entscheidenden Schlag

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ermöglichte. Er verfolgte seine Gegnergrundsätzlich bis zu ihrem Tod. SeinSicherheitsbedürftnis erlaubte keineKompromisse, es gab nur das ICH oderSIE, bis zur letzten Konsequenz. Dazukam eine andere Facette seiner Persön-lichkeit: Stalin war außerordentlich in-telligent, hatte aber nie einen Berufsab-schluss gemacht. Seit er mit 19 Jahrenaus dem Priesterseminar geworfenworden war, betrieb er hauptberuflichdie Revolution. Wie viele intelligenteMenschen ohne Ausbildung neigte erdazu, seine Fähigkeiten zu über-schätzen. Wenn er also nach ausgiebi-gem Aktenstudium, der Befragung vonExperten und eigenen Überlegungeneine Anweisung gab, dann hielt er sie fürunbedingt richtig und durchführbar.

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Nach dieser Logik mussten alleRückschläge auf böser Absicht beruhen.Diese Selbstüberschätzung, verbundenmit seinem beständigen Misstrauen undseiner skrupellosen Tatkraft, legteschließlich das Fundament für seinTerrorregime.

Er vergaß nie, dass die Partei Kirowmehr geliebt hatte als ihn. Deshalbbereitete er im Geheimen den ganzgroßen Schlag gegen die eigene Parteivor. Im Sommer 1936 begann der erstevon drei Schauprozessen, die sich biszum März 1938 hinzogen. Stalin hattesie ausdrücklich so arrangieren lassen,dass sie Aufsehen erregten: Sie solltenbeweisen, dass auch in höchstenParteikreisen Verräter, Spione,Trotzkisten, Saboteure, Abweichler,

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Oppositionelle und Terroristen Ver-schwörungen gegen die Partei angez-ettelt hatten. In Wahrheit existierte keineinziges dieser Komplotte, die Vorwürfewaren allesamt frei erfunden.

Mit den Schauprozessen begann dieZeit des großen Terrors, beschönigendauch »große Säuberung« genannt. Stalinließ erst die Altkommunisten verhaften,dann die Kader, dann einfache Parteimit-glieder und zum Schluss fast wahllos alleMenschen, die irgendwie aufgefallenwaren. Von 139 Mitgliedern und Kandid-aten des Zentralkomitees von 1934 wur-den 98 hingerichtet. Gleichzeitig »en-thauptete« Stalin die von Trotzki aufge-baute Rote Armee, um sie als Machtzen-trum auszuschalten. Von 1937 bis 1941verlor das Militär 43 000 Offiziere. Im

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günstigen Fall wurden sie einfachentlassen, meist aber deportiert oder er-schossen. Die Prozesse gegen die Armeeließ Stalin meist geheim führen; die Zer-störung des Offizierskorps sollte nichtöffentlich bekannt werden.

Auch die dem Volkskommissariat desInneren (NKWD) unterstellte Geheimpol-izei GPU, also die Vollstreckerin des Ter-rors, blieb nicht verschont. In den Jahren1937 und 1938 wurde gleich mehrfachfast das gesamte Personal verhaftet. Innur zwei Jahren dienten bis zu zehn Gen-erationen von Geheimpolizisten in derGPU-Zentrale, bis schließlich die Folter-knechte ebenso viel Angst um ihr Lebenhatten wie ihre Opfer.

Mehr als 2,5 Millionen Menschen wur-den in den Jahren 1937/1938 verhaftet

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und zu den absurdesten Geständnissengezwungen. Immer ging es um Ver-schwörungen, um geheime trotzkistischeoder antisowjetische Organisationen,oder um Spionage. Den Geständnissennach hatten beispielsweise unzähligeMenschen vorgehabt, Stalin und andereParteiführer umzubringen. Tatsächlichstarb Stalin im Jahre 1953 eines natür-lichen Todes, ohne dass je ein Anschlagauf sein Leben verübt wurde. Es wirktwie eine bittere Ironie, dass Stalin seineUntertanen zwang, ihn als Über-menschen zu verehren, während er siegleichzeitig zu Hunderttausenden inseinen Gefängnissen foltern ließ, damitsie zugaben, wie sehr sie ihn hassten.

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Das Ausmaß des Terrors

Im Jahre 1963, 10 Jahre nach StalinsTod, legte der KGB einenBericht vor, nach dem im Zuge dergroßen Säuberung der Jahre1935–1938 etwa 1,5 Millionen Menschenverhaftet,1,3 Millionen durch Sondergerichte ver-urteilt und 681 692 erschossenworden waren. Diese Zahlen sind sicher-lich als untersteGrenze zu betrachten. Bis 1990 ließenStalins Nachfolger mehrals 2 Millionen Urteile aufheben undden Betroffenen »ihrenguten Namen wiedergeben«.

Stalins Vorgehen wirft ein grelles Lichtauf den Einsatz von Verschwörungen

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und Verschwörungstheorien im Umfeldder Macht.

Folgende Punkte fallen dabei beson-ders auf:

• Stalin zettelte während seines Auf-stiegs zur alleinigen Macht immerwieder Verschwörungen an.

• Er nutzte den Vorwurf der Ver-schwörung als Waffe gegen seineRivalen. Er warf ihnen dabei denVerrat an der gemeinsamen Sachevor, nicht etwa den Versuch, ihn zustürzen.

• Er baute Trotzki als dämonischenGegner auf, um den so hervor-gerufenen Verschwörungsglaubenfür eine Unzahl von Ver-schwörungslegenden und Ver-schwörungstheorien zu nutzen. Das

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ermöglichte es ihm, Fehler seinesRegimes als Sabotageakte einerfeindlichen Macht darzustellen.

• Die Geständnisse von mehrerenMillionen Menschen, Ver-schwörungen gegen Stalin und diePartei geplant zu haben, sindfalsch. Sie sind das Ergebnis der in-dustriellen Produktion falscherGeständnisse.

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Verschwörungen im Umkreisder Macht

Die Zentren staatlicher Macht sind derideale Nährboden für Intrigen und Ver-schwörungen aller Art. Als Ver-schwörung möchte ich dabei eine Intrigebezeichnen, die den üblichen Rahmensprengt, also nach Ziel oder Methode dieungeschriebenen Regeln der Machtintri-gen verletzt oder vorsätzlich Gesetzemissachtet. Je größer die Macht, destogrößer die Versuchung, sie auf illegale,unmoralische oder nicht regelrechteWeise zu erreichen oder zu erhalten.

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Dabei lassen sich zwei gegensätzlicheZiele unterscheiden:

1. Die Erlangung der Macht durchVerschwörung: Die Verschwörerhaben dabei keinen oder nur be-grenzten Zugang zu staatlichen Ein-richtungen, der Justiz oder denZwangsmitteln der ausführendenGewalt. Sie müssen also versuchen,die Machthaber auszuschalten, be-vor diese die staatlichen Machtmit-tel gegen sie anwenden können. Ineiner Demokratie mit Regeln fürden geordneten Übergang derMacht reicht es aus, die bisherigenInhaber der Macht zu diskreditier-en, also ihren Ruf soweit zubeschädigen, dass sie die nächsteWahl verlieren. In einem

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diktatorischen oder monarchischenRegime bedeutet eine Ver-schwörung zur Erlangung derStaatsmacht immer einenStaatsstreich. Natürlich müssen dieVerschwörer auch imstande sein,die Macht tatsächlich zu überneh-men. So wären die Initiatoren derPulververschwörung selbst beieinem Erfolg ihres Sprengstoffan-schlags kaum an die Regierunggekommen, sehr viel wahrschein-licher hätten sie ein Massaker anden Katholiken in England aus-gelöst. So findet man Ver-schwörungen zur Erlangung derMacht vorwiegend im Vorhof derMacht, also bei denen, die amehesten die Regierung übernehmen

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können, wenn die gegenwärtigenMachthaber fallen.

2. Die Erhaltung oder Erweiterung derMacht durch Verschwörung: Ver-schwörer, die bereits an der Regier-ung sind, können die staatlichenMachtmittel für ihre Ver-schwörungen einsetzen, und zwargegen die jeweils anerkannten Re-geln und Gesetze des Machtwech-sels. Dazu zählt auch der Versuch,zusätzliche Machtmittel unter Kon-trolle zu bringen. Die Machthabergehen dabei ein beträchtlichesRisiko ein: Richard Nixon und seineBerater haben mit illegalen Mittelnseine Wiederwahl betrieben undhatten damit zunächst Erfolg. DieReporter Woodward und Bernstein

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deckten aber die Machenschaftender Verschwörer auf und erzwan-gen Nixons Rücktritt. Mehrere sein-er Berater erhielten empfindlicheGefängnisstrafen.

In der Praxis gehen die beiden Arten derVerschwörung oft ineinander über, weildie tatsächliche Macht nur selten in ein-er Hand vereint ist. Ein starker Staatbegünstigt Verschwörungen zumMachterhalt, ein schwacher Staat solchezur Erlangung der Macht.

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Verschwörungen der Staatengegeneinander

Dieses Thema führt uns in die schatten-hafte Welt der Geheimdienste und derGeheimdiplomatie. Täuschungen, ge-heime Absprachen, Spionage, Falschin-formationen und Kriegslisten sind so altwie die Menschheit. Im Jahre 9 plante et-wa der Römische Kaiser, die germanis-chen Stämme zwischen Rhein und Elbemit Abgaben zu belegen und in ihremHerrschaftsbereich das römische Rechteinzuführen. Der Cheruskerfürst Armini-us, offiziell ein Verbündeter Roms, bra-chte heimlich eine Koalition von

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germanischen Stämmen zusammen, umgegen die römische Vorherrschaft zukämpfen. Arminius lockte die Truppendes römischen Statthalters Varus mit derFalschmeldung über einen Aufstand inunbekanntes Gelände und griff sie dortmit den Truppen seiner Koalition über-raschend an. Vorher hatte er einen Teilder germanischen Hilfstruppen derRömer heimlich auf seine Seite gezogen.Sie marschierten zwar mit den Römern,stellten sich aber in der Schlacht gegensie. Mit dieser Kriegslist gelang es dengermanischen Stämmen, die taktischund waffentechnisch weit überlegenenrömischen Legionen nicht nur zu besie-gen, sondern fast vollständig zuvernichten.

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In der heutigen Zeit unterhält prakt-isch jedes Land der Welt seine eigenenNachrichtendienste, um Staatsgeheimn-isse zu schützen und die Geheimnisseanderer auszuforschen. Sie heuern In-formanten, Verräter und Spione an, plat-zieren »Maulwürfe« und »Schläfer«,brechen in Panzerschränke und Daten-banken ein, sabotieren Industrieanlagenund ermorden gelegentlich auchMenschen. Sie produzieren gefälschteDokumente und decken Fälschungen an-derer Staaten auf. Nichts prägt die öf-fentliche Vorstellung einer immer-währenden Verschwörung so sehr wiedieses stille und verbissene Ringen.

Politiker und Regierungen machensich unbeliebt, wenn sie Gesetze odermoralische Grundsätze absichtlich

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verletzen. Ein Geheimdienst dagegenbaut seinen Ruf gerade auf illegalenHandlungen auf. Der israelische Geheim-dienst Mossad verdankt seinen Nimbusals bester Geheimdienst der Welt nichtzuletzt den zahlreichen Morden anGegnern Israels. Aber auch für Geheim-dienste gibt es einen informellen Rah-men geduldeter Gesetzesübertretungen.Wer sich darüber hinwegsetzt, schadetseinem Land. Die politischen Morde desiranischen Geheimdienstes an iranisch-kurdischen Oppositionspolitikern am17.September 1992 im Berliner Lokal»Mykonos« belasteten die deutsch-iran-ischen Beziehungen mehr als einJahrzehnt lang und schadeten dem inter-nationalen Ruf des Irans.

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Auch der französische Geheimdienst darfmorden, wenn die Morde nicht inFrankreich stattfinden und keine fran-zösischen Staatsbürger treffen. Am10.Juli 1985 versenkten Agenten desfranzösischen Geheimdienstes im Hafenvon Auckland in Neuseeland dasGreenpeace-Schiff »Rainbow Warrior«mit zwei Sprengladungen. Sie verhinder-ten damit, dass Greenpeace die französ-ischen Atomwaffenversuche auf demMururoa-Atoll störte. Ein portugiesis-cher Fotograf an Bord des Schiffes starbbei dieser Aktion. Die neuseeländischePolizei verhaftete zwei von sechs unmit-telbar Beteiligten, die Übrigen konntenflüchten. Daraufhin schaltete sich diefranzösische Regierung ein und ver-langte, dass die beiden Attentäter nicht

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vor Gericht gestellt werden dürften, weilsie lediglich Befehle ausgeführt hätten.Die neuseeländische Regierung jedochbetrachtete das Vorgehen der Franzosenals Akt des Terrorismus und lehnte eineFreilassung ab. Nachdem die Attentäterin Neuseeland verurteilt worden waren,übte die französische Regierungmassiven wirtschaftlichen und polit-ischen Druck auf Neuseeland aus, umeine Überstellung der beiden nachFrankreich zu bewirken. Nach einerSchamfrist von einigen Monaten gabNeuseeland nach und schob die beidenAttentäter nach Frankreich ab.

Für die französische Regierung en-twickelte sich die Aktion zu einer polit-ischen Katastrophe. Nachdem die Ver-antwortlichen monatelang jede Kenntnis

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der Aktion geleugnet hatten, brachtendie französischen Zeitungen im Laufedes Jahres 1985 immer mehr Beweise füreine direkte Beteiligung der Regierungans Licht. Ende September 1985 mussteder Verteidigungsminister Hernuzurücktreten. Trotzdem hatte die Aktionin Frankreich keine juristischen Folgen:Keiner der Beteiligten, weder die Be-fehlshaber noch die Ausführenden, wur-den je vor Gericht gestellt.

Überhaupt kommen Exzesse geheimdi-enstlicher Verbrechen kaum jemals zurAnklage. Die CIA verschleppt Terrorver-dächtige (sofern sie nicht amerikanischeStaatsbürger sind) in befreundeteStaaten wie Syrien, Jordanien, Ägyptenoder Afghanistan, um sie dort foltern zu

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lassen. Das ist selbstverständlich vonamerikanischen Gesetzen nicht gedeckt,aber die Regierung stützt diese Praxis,und die Kontrollorgane haben bisher (bisFebruar 2006) nicht eingegriffen. DerBuchautor und ehemalige CIA-Mitarbeit-er Michael Scheuer erklärte dazu demJournalisten Stephen Grey: »Menschen-rechte – das ist doch ein sehr flexiblerBegriff. Das hängt doch auch irgendwiedavon ab, nach wie viel Heuchelei dirgerade zumute ist.«

Nur in einem einzigen Fall ist es bish-er gelungen, einen hochrangigen Ge-heimdienstbeamten wegen seiner Ver-brechen zu belangen, und dies auch nurdurch besondere Umstände: Zwischen1949 und 1964 verschleppte der Aus-landsgeheimdienst HVA der DDR etwa

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400 namentlich bekannte Personen ge-gen ihren Willen in die DDR. In manchenFällen wollte die DDR-Spitze missliebigeRegimekritiker ausschalten, in anderenFällen Geflüchtete zurückholen und ein-sperren oder die Verschleppten zu Aus-sagen zwingen, die sich propagand-istisch ausnutzen ließen. Menschenraubwar nach dem Buchstaben des DDR-Strafgesetzbuches strafbar, allerdingsstanden die Staatsspitze und die SEDüber dem Gesetz. Das änderte sich je-doch mit dem Zusammenbruch der DDRund der Wiedervereinigung.

Im Jahre 1997 klagte die Bundesan-waltschaft den langjährigen Chef desDDR-Auslandsgeheimdienstes MarkusWolf in vier ausgewählten Fällen wegenFreiheitsberaubung an, die in zwei

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Fällen zusätzlich mit vorsätzlicherKörperverletzung und Nötigung ver-bunden war. Am 28.Mai 1997 verurteiltedas Oberlandesgericht Düsseldorf denAngeklagten zu zwei Jahren Haft aufBewährung; ein mildes, eher symbol-isches Urteil. Markus Wolf sah das al-lerdings nicht so. Er habe sich als Bür-ger und Funktionsträger des anderendeutschen Staates streng an Auftrag,Verfassung und Gesetze gehalten,erklärte er nach der Urteilsverkündungindigniert.

Geheimdienste verstoßen zweifelsfreigegen Gesetze, aber deshalb müssen sienicht an einer bestimmten Stelle einbestimmtes, ungeklärtes Verbrechenverübt haben. Die CIA würde einen

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Staatspräsidenten ermorden, wenn dieRegierung der Vereinigten Staates es ihrbefiehlt. Deshalb muss sie aber nichtPräsident Kennedy erschossen haben.Der britische Auslandsgeheimdienst MI6kann sicherlich einen tödlichen Autoun-fall arrangieren. Das beweist aber nichtseine Beteiligung am Tod von LadyDiana.

In erstaunlich vielen Fällen erfährt dieÖffentlichkeit nach vielen Jahren dochnoch von »erfolgreichen« Verbrechender Geheimdienste. Entweder rühmensich die Beteiligten in ihren Memoirenihrer früheren Taten oder eine spätereRegierung möchte Klarheit über die Ver-gangenheit schaffen. In vielen anderenFällen jedoch lässt sich keine Gewissheitmehr schaffen. Der angebliche

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Selbstmord von Uwe Barschel (derehemalige Ministerpräsident vonSchleswig-Holstein wurde unter ver-dächtigen Umständen in einem GenferHotel tot aufgefunden) ist nur ein Beis-piel von vielen. Bei den kriminellen Ak-tionen der Geheimdienste berühren sichalso echte Verschwörungen und Ver-schwörungstheorien. Das gilt für fastalle Dienste weltweit. Trotzdem kommenin den meisten Verschwörungstheoriennur zwei Geheimdienste vor: Der Mossadund die CIA. Die meisten Menschen inEuropa und in den USA haben dagegenvon den Abkürzungen FSK und DGSEnie etwas gehört (Der FSK ist der russis-che, der DGSE der französische Aus-landsgeheimdienst), obwohl diese Dien-ste keineswegs weniger aktiv sind.

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Das Misstrauen der Mächtigen

Im Umfeld der Macht entstehen ständigVerschwörungen – und zerfallen wieder,meist ohne Spuren zu hinterlassen oderFolgen nach sich zu ziehen. Je stärkerdie Machtkonzentration an einer Stelleist, desto sicherer sind die Menschendort davon überzeugt, dass sie einständiges Ziel von Verschwörungen sind.Der Verschwörungsglauben ist geradezudie Religion der Mächtigen. Sie witternhinter jedem Ereignis, sei es auch nochso klein, eine Verschwörung und setzendie so gewonnenen Verschwörungsle-genden zu ständig aktualisierten

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Verschwörungstheorien zusammen. Sol-che Theorien sind fließende Gedanken-konstrukte, vage Planungen von Zügenund Gegenzügen wie bei einem Schach-spiel, virtuelle Landkarten mit Wegen,Umleitungen und Nebenwegen.

Jeder Abgeordnete, Minister, Minister-präsident, Kanzler oder Präsident en-twickelt und verwirft in nahezu jederwachen Minute Szenarien für Ver-schwörungstheorien. Oder konkret for-muliert: Alle Mächtigen überlegenständig, wer sich mit wem gegen sie ver-bündet haben könnte, und wie sie dage-gen vorgehen.

Im Grunde ist das nichts anderes alseine verfeinerte Variante der Rangkäm-pfe, wie sie bei Primaten allgemein üb-lich sind. Nur verlagern die Teilnehmer

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einen Teil der Auseinandersetzung inihren Kopf.

Um eine Verwechslung mit den eherauf Vorurteilen basierenden »klassis-chen« Verschwörungstheorien zu ver-meiden, möchte ich hier lieber von Ver-schwörungsplanspielen sprechen.

»Ein Abgeordneter verbringt mindestensein Drittel seiner Zeit damit, Intrigenabzuwehren, ein weiteres Drittel damit,selber welche zu spinnen und den Restder Zeit mit sinnvoller Arbeit«, erklärtemir einmal ein Abgeordneter desDeutschen Bundestages. Das meinte ernicht etwa scherzhaft oder ironisch.

Die vorgezogenen Wahlen zumDeutschen Bundestag im September

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2005 entsprangen möglicherweise einerVerschwörungstheorie des Bundeskanz-lers Gerhard Schröder und des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Sie er-warteten Bündnisse von SPD-Abgeord-neten gegen die durch die verloreneLandtagswahl in Nordrhein-Westfalengeschwächte Bundesregierung. Es be-stehe, so wurde Gerhard Schröder imNachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert,»ein erhöhtes Erpressungspotenzial«.

Je gewaltsamer ein Regime ist und jeweniger ein regelmäßiger Machtwechselvorgesehen ist, desto erbitterter und ge-fährlicher werden die Rangkämpfe in derHierarchie und umso tödlicher wird esfür diejenigen, die der Alleinherrscheroder die herrschende Gruppe einer Ver-schwörung verdächtigt. Ein übermäßig

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misstrauischer Alleinherrscher wirdfrüher oder später die Bevölkerungdrangsalieren. Wenn er, wie Stalin,zugleich als Genie verehrt werden will,erzeugt er einen unauflöslichen Wider-spruch. Das Volk kann auf die zun-ehmende Unterdrückung nur mit Passiv-ität reagieren, was den Herrscher nochmisstrauischer macht. Dieser Teufelskre-is endet entweder mit einem erfol-greichen Aufstand oder mit einem Mas-saker des Alleinherrschers an allen, dieihm eventuell gefährlich werden können.Diese Gesetzmäßigkeit lässt sich bereitsbei den römischen Kaisern Caligula,Nero oder Commodus nachweisen.Anders als Stalin wurden sie allerdingstatsächlich Opfer eines Komplotts. Nach-dem sie eine ganze Reihe von Adeligen

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wegen vorgeblicher Verschwörungenhingerichtet oder zum Selbstmordgezwungen hatten, entschied derverbliebene Rest, dass er mit einer echt-en Verschwörung weniger zu verlierenhätte.

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Das Misstrauen gegen dieMächtigen

Verschwörungstheorien gegen dieMächtigen befassen sich mit dem Ver-dacht des organisierten Missbrauchsstaatlicher Macht. Die Gegner desamerikanischen Präsidenten GeorgeW. Bush haben ihm und seiner Parteivorgeworfen, heimlich die Präsid-entschaftswahlen der Jahre 2000 und2004 verfälscht zu haben. Im Jahre 2000ging es dabei um das wahlentscheidendeErgebnis im Bundesstaat Florida, bei derWahl 2004 galt der Verdacht dem Her-steller der Wahlcomputer. Er soll die

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Ergebnisse massiv zugunsten der Repub-likaner beeinflusst haben. Beide Vor-würfe sind unbewiesen, aber sie spiegelndas weit verbreitete Misstrauen vielerAmerikaner gegen die Regierung Bushund ihr konservatives Umfeld wider.

Der vorhergehenden liberalen Regier-ung von Bill Clinton hingegen warfen dieKonservativen, Teile der strenggläubi-gen protestantischen Kirchen und dierechtsextremen Milizen vor, dem Landdie Freiheit nehmen zu wollen, es derUNO auszuliefern, das Recht auf dasTragen von Waffen einschränken zuwollen oder christliche Werte zu ver-raten. Darin zeigt sich, dass es in denUSA zwei Kulturen gibt: Die urbane, kos-mopolitische der Liberalen und diestreng an protestantisch-christlichen

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Werten ausgerichtete, gegen eine starkeZentralherrschaft gerichtete Lebens-weise der Konservativen. Beide Gruppenbelauern sich misstrauisch und unter-stellen der jeweils anderen Seite, dieamerikanischen Grundwerte zu verraten.

Das Misstrauen gegen die Mächtigenist immer dort besonders stark, wo dieMacht einer anderen Gruppe gehört, derman sich selbst nicht zugehörig fühlt. InStaaten mit mehreren Staatsvölkernoder mit mehreren, deutlich unter-schiedenen Kulturen und Lebensweisenist dieses Misstrauen deshalb allgegen-wärtig. Die Verschwörungstheorien undVerschwörungslegenden, die sich dortentwickeln, verraten mehr über dasWeltbild derer, die daran glauben, alsüber die tatsächlichen Ziele derer,

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denen sie den unredlichen Umgang mitder Macht vorwerfen.

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Verschwörungstheorien in derinternationalen Politik

Hier sollte man zwei Begriffe sorgfältigtrennen: Zum einen die Verschwörungs-planspiele der Geheimdienste und zumanderen die Verschwörungstheorien, dieMachthaber und Regierungen gegenäußere Feinde in Stellung bringen. DiePlanspiele der Geheimdienste gelten derAbwehr einer realen Gefahr oder derDurchführung aktiver illegaler Maßnah-men gegen andere Staaten. DiesePlanspiele dürfen den Boden der Realitätnicht verlassen, sonst ist die Arbeit desGeheimdienstes wertlos.

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Verschwörungstheorien dienen dage-gen der Disziplinierung des Volkes, dasangesichts einer erfundenen oderüberzeichneten äußeren Bedrohung zurUnterstützung der Regierung genötigtwird. Mit dem Kampf gegen den heim-lich vorgehenden, alles zersetzendenFeind begründete Stalin seinen Terror,und auch spätere sozialistische Regimekonstruierten einen von äußeren Kräftenunterstützten Gegner, der »ständigeWachsamkeit« erforderte. In der DDRlautete die Parole: »Der Klassenfeindschläft nicht!«

Eine Regierung betreibt ein riskantesSpiel, wenn sie das Volk gegen einenvorgeblichen Feind aufhetzt. Sie kannihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn inWahrheit keine Bedrohung vorgelegen

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hat. Andererseits löst sie natürlich eineGegenreaktion aus, was den Konfliktweiter aufheizen kann. Im Extremfallprovoziert die Regierung einen Krieg,um die äußere Bedrohung glaubhaft zumachen und das Volk hinter sich zu brin-gen. Ein Beispiel dafür aus neuerer Zeitist der Falklandkrieg. Zur Ablenkung vonden wachsenden Problemen im eigenenLand besetzte die argentinische Militär-junta unter General Galtieri im April1982 die britischen Falklandinseln. Diesekleine Inselgruppe liegt etwa 600 km vorder argentinischen Küste im Atlantik undbesitzt den Status einer britischenKronkolonie. Argentinien hat die brit-ische Oberhoheit nie anerkannt und er-hebt historisch begründete, völkerrecht-lich jedoch aussichtslose

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Besitzansprüche. Die Militärjuntamachte daraus ein Thema der nationalenEhre und ließ die Inselgruppe militärisch»erobern«.

Das führte, wie die Junta erwartethatte, zu einer Aufwallung des argentin-ischen Nationalstolzes. Nicht erwartethatte die Junta die harte Reaktion derBriten. Sie zeigten keine Bereitschaft zuVerhandlungen und eroberten die Inselbis Mitte Juni 1982 zurück. Die argentin-ischen Militärs hatten damit auf ihremureigensten Gebiet, dem derKriegführung, so offensichtlich versagt,dass ihre Stellung unhaltbar wurde. Gen-eral Galtieri trat als Staatspräsidentzurück. Das Regime ebnete den Weg fürdemokratische Wahlen im Oktober 1983.Die vielfachen

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Menschenrechtsverletzungen und mehrals 10 000 politischen Morde unter derMilitärdiktatur beschäftigten das Landjedoch noch mehrere Jahrzehnte lang.

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Verschwörungstheorien alsGrundlagepolitischer Entscheidungen

Es ist keineswegs so, dass Machthaberund Regierungen Verschwörungstheori-en nur absichtlich unter das Volkstreuen. Sie können, genau wie alle an-deren Menschen auch, selbst von einemVerschwörungsglauben, einer Ver-schwörungslegende oder einer Ver-schwörungstheorie überzeugt sein unddanach handeln. In einer Demokratiewacht die unabhängige Presse darüber,dass die Regierung den Kontakt zurWirklichkeit nicht verliert – jedenfalls in

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der Theorie. Was aber geschieht, wennTeile der Presse und ein großer Teil derBevölkerung dem gleichen Ver-schwörungsglauben anhängt wie die Re-gierung? Präsident George W. Bush be-gründete die Besetzung des Irak imJahre 2003 unter anderem mit SaddamHusseins Unterstützung der islam-istischen Terroristen und dem Verdacht,das irakische Regime verstecke atomare,biologische oder chemische Massenver-nichtungswaffen. Die US-Regierung kon-nte keine Nachweise für diese An-schuldigung erbringen, trotzdem teiltedie Mehrheit der konservativen Presseund etwa die Hälfte der Bevölkerung denVerschwörungsglauben der Regierung.

US-Experten haben ihre intensiveSuche nach Massenvernichtungswaffen

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im Irak inzwischen erfolglos beendet.Die vor der Besetzung des Irak mitgroßer Geste vorgelegten »Beweise« derCIA erwiesen sich als falsch. Auch kon-nten die Amerikaner nicht nachweisen,dass Saddam Hussein islamistische Ter-roristen unterstützt oder gar angeführthat. In seinem Buch Against all Enemiesberichtet Richard A. Clarke, ehemaligerCheforganisator der US-Antiterror-politik, dass Präsident Bush und seineMitarbeiter von Anfang an fest davonüberzeugt waren, dass vom Irak terror-istische Aktionen gegen die USA ausgin-gen, obwohl die Geheimdienste keinerleiErkenntnisse darüber vorlegen konnten.Colin Powell, US-Außenminister zur Zeitder Besetzung des Irak, erklärte am8.September 2005 dem Fernsehsender

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ABC, er habe nie Beweise gesehen, dieSaddam Hussein mit den Anschlägen aufdas World Trade Center und dasPentagon am 11.September 2001 in Ver-bindung brachten.

Osama Bin Laden und Saddam Hus-sein leiteten gemeinsam den Terrork-ampf gegen die USA, so lautete der Ver-schwörungsglauben der US-Regierung.Die Politikwissenschaftlerin und Nahos-texpertin Laurie Mylroie hat diesenGlauben zu einer Verschwörungstheorieausgebaut. In ihrem Buch Study ofRevenge: Saddam Hussein’s UnfinishedWar Against America beschuldigte sieSaddam Hussein, hinter allen großenTerroranschlägen gegen US-Einrichtun-gen zu stecken – angefangen vom Spren-gstoffanschlag auf das World Trade

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Center im Jahre 1993 bis zu den verheer-enden Attacken vom 11.September 2001.

Das Buch erschien zuerst im Jahre2000 und dann erneut im Oktober 2001im Verlag des American Enterprise Insti-tute, einer konservativen Einrichtungmit starkem Einfluss auf die Bush-Re-gierung. Richard A. Clarke bezeichnetMylroies Theorie als »vollkommen un-wahr«, dennoch hat sie die US-Politikerkennbar beeinflusst, weil sie den zu-grunde liegenden Ver-schwörungsglauben scheinbar wis-senschaftlich absicherte.

Die USA hat die Entscheidung, denIrak zu besetzen, teuer bezahlt. Die an-haltende Stationierung der Truppenkostet viel Geld, viele Menschenlebenund viel internationales Ansehen. Die

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erhoffte Schwächung des Terrorismus istausgeblieben.

Die Regierung der USA unter GeorgeW. Bush begann die Besetzung des Iraksauch aufgrund eines Ver-schwörungsglaubens. In den Berichtender Geheimdienste nahm sie nur das zus-timmende Material wahr, während siealle widersprechenden Fakten ignor-ierte. Diese Art der selektivenWahrnehmung führt zuverlässig zu polit-ischen Fehlschlägen und im schlimmstenFall zur Katastrophe. Das deutlichsteMahnmal für eine solche Katastrophesind der Fall der ersten deutschen Re-publik und Hitlers vorsätzlich aus-gelöster Weltkrieg. Beide Ereignissesind untrennbar mit einer der folgen-reichsten Verschwörungslegende des

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20. Jahrhunderts verknüpft: DerDolchstoßlegende.

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Die Dolchstoßlegende

Das Ende kam nicht plötzlich, aber den-noch unerwartet. Am 29.September 1918forderte General Ludendorff von der Re-gierung des Deutschen Reiches die so-fortige Aufnahme von Waffenstillstands-verhandlungen, weil er eine Fortführungdes Krieges für aussichtslos hielt.Ludendorff war sicher, dass seine er-schöpften Truppen die nächste Offensiveder Franzosen, Engländer und Amerik-aner nicht mehr würden zurückschlagenkönnen. Außerdem verlangte er aus-drücklich, dass die demokratischenMehrheitsparteien des Reichstages

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(Zentrum, SPD, Fortschrittspartei undNationalliberale) in die Reichsregierungaufgenommen würden.

Die Meldung von der Bitte um Waffen-stillstandsverhandlungen ohne Vorbedin-gungen zerschlug im Deutschen Reichdie letzten Hoffnungen auf einenSiegfrieden oder wenigstens einen Ver-ständigungsfrieden. Große Teile derBevölkerung glaubten bis dahin noch im-mer, dass der Sieg oder ein»ehrenvoller« Frieden noch erreichbarwar. Hatte man nicht mit Russland zuhervorragenden Bedingungen einen Se-paratfrieden geschlossen? HattenDeutsche und Österreicher nicht die it-alienischen Truppen am Alpenrand be-siegt, mehrere hunderttausend Soldaten

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gefangen genommen und waren bis weitin die Poebene vorgerückt?

Im Oktober und November 1918 brachin Deutschland mehr zusammen als dieHoffnung auf einen Sieg im blutigsteneuropäischen Krieg seitMenschengedenken. Die gesamte alteOrdnung zerfiel. Auftände erschüttertendas Reich. Der Kaiser dankte ab. Am9.November rief Philipp Scheidemann inBerlin die Republik aus.

Auch den Alliierten war klar, dass dieDeutschen den Krieg verloren gegebenhatten. Sie stellten harte Forderungen:Deutschland musste Elsass-Lothringenaufgeben, seine Armeen sofort ausFrankreich und Belgien zurückziehen,alle linksrheinischen Gebiete demilitaris-ieren, alle U-Boote abliefern und große

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Mengen Kriegs- und Transportmaterialübergeben. Alle alliierten Kriegsgefan-genen waren sofort freizulassen,deutsche Kriegsgefangene blieben zun-ächst in Gewahrsam. Die britische Block-ade der deutschen Seehäfen blieb be-stehen. Alle diese Bedingungen warennicht verhandelbar.

Der Zentrumspolitiker MatthiasErzberger setzte als Vertreter der ebengeborenen Republik am 11.November1918 seine Unterschrift unter den Waf-fenstillstandsvertrag. Angesichts derAufstände im Reich und der Meutereider Marine blieb ihm keine Wahl. Es istbemerkenswert, dass die beiden ober-sten Militärs, Feldmarschall Hindenburgund General Ludendorff, nicht

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gezwungen wurden, das Dokument ihresScheiterns zu unterschreiben.

Bereits unmittelbar nach dem Endedes Ersten Weltkriegs am 11.November1918 verbreitete sich in Deutschland dieThese, dass die deutschen Truppenniemals militärisch besiegt worden sei-en, sondern wegen der mangelnden Un-terstützung der zivilen Kräfte inDeutschland kapitulieren mussten. BisEnde 1918 kam das Wort vom »Dolch-stoß in den Rücken der kämpfendenTruppe« auf. Der sozialdemokratischeReichspräsident Friedrich Ebert be-grüßte die heimkehrenden Soldaten am10.Dezember 1918 in Berlin mit denWorten: »Kein Feind hat euch überwun-den! Erst als die Übermacht der Gegneran Menschen und Material immer

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drückender wurde, haben wir den Kampfaufgegeben.«

In Wahrheit aber konnte Deutschlandden Krieg bereits nach der Marnesch-lacht im September 1914 militärischnicht mehr gewinnen.

Bei Kriegsbeginn mobilisierten die Mit-telmächte Deutschland und Österreich3,8 Millionen Soldaten, die Alliierten 5,8Millionen. Ferner mussten die Mit-telmächte sowohl im Osten als auch imWesten kämpfen. Um diesen Nachteilauszugleichen, planten die deutschenMilitärs, durch das neutrale Belgien zumarschieren, um die starken französis-chen Festungen an der deutschen Gren-ze zu umgehen. Auf diese Weise wolltensie in wenigen Wochen Paris einnehmen

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und Frankreich zum Waffenstillstandzwingen. Danach sollten alle Truppengegen Russland geführt werden, denndie russische Kriegsmaschinerie lief solangsam an, dass sie in den erstenKriegswochen kaum handlungsfähigwar. Der Plan musste ohne Abstrichegelingen, denn schon ein teilweiser Mis-serfolg führte zwangsläufig in den Un-tergang. Wenn es dem Deutschen Reichnicht gelang, Frankreich vollständig zubesiegen, bevor Russland angriff, konnteDeutschland weder an der einen noch ander anderen Front genügend Truppenaufbieten, um den Gegnerniederzuwerfen.

Der Überfall auf das neutrale Belgienzog England in den Krieg. Die Regierungin London wollte unter keinen

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Umständen zulassen, dass die Schel-demündung in die Hand einerGroßmacht fiel. Die deutsche Offensiveim Westen blieb bereits an der Marnestecken, weit vor Paris. England ver-schiffte Truppen und Material nach Bel-gien und Frankreich und blockierte dendeutschen Seehandel durch denÄrmelkanal. Russische Truppen griffenOstpreussen an. Damit war das DeutscheReich in einen Zweifrontenkrieg ver-wickelt. Die Militärführung konnte ankeiner Front eine ausreichende Über-macht für einen durchschlagenden An-griff aufbauen, ohne andere Fronten ge-fährlich zu entblößen.

Als Lenin am 3.März 1918 mit demReich einen Separatfrieden schloss, umseine innenpolitischen Gegner besser

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bekämpfen zu können, waren die USAbereits in den Krieg eingetreten. DieEntlastung der deutschen Truppendurch die Aufhebung der Ostfront kamzu spät. Eine letzte große Offensive derdeutschen Truppen im März 1918 durch-brach zwar die gegnerischen Linien, liefsich aber unter ungeheuren Verlustennach 60 Kilometern fest. Ab dem Früh-jahr landeten die USA jeden Monat250 000 Mann frische Truppen inFrankreich, um die erschöpften SoldatenFrankreichs und Englands zu unter-stützen. Die englische Seeblockadestrangulierte die Wirtschaft desDeutschen Reiches und machte sowohldie Versorgung der Bevölkerung alsauch die Kriegsproduktion immer schwi-eriger. Ab Mitte 1918 begann

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Österreich-Ungarn ausein-anderzubrechen. Die militärische Lagedes Deutschen Reichs war aussichtslosgeworden.

Während des gesamten Krieges erwar-teten große Teile der deutschenBevölkerung einen militärischen Siegoder wenigstens einen ehrenvollenFrieden mit beträchtlichen Annektionen.Die Oberste Heeresleitung unterLudendorff und Hindenburg leistete tat-sächlich Erstaunliches. Die Stärke derdeutschen Truppen reichte aber niemalsaus, um Niederlagen eines Gegners aus-zunutzen und entscheidende Schläge zuführen. Ludendorff war ein exzellenterHandwerker des Krieges, aber er führteden Krieg um des Krieges willen. Er sah

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seine Aufgabe darin, auf dem Schlacht-feld zu siegen. Die Regierung und dieWirtschaft hatten ihm dazu die Mittelbereitzustellen. Von den Politikern ließer sich nicht in sein Handwerk hineinre-den. Nach der Reichsverfassung war dasMilitär dem Kaiser als oberstem Kriegsh-errn direkt unterstellt. Es wäre aus-schließlich Sache des Kaisers gewesen,den Krieg zu stoppen, denn der Kaiserwar auch Oberhaupt der Regierung undernannte höchstpersönlich ohneMitwirkung des Reichstages denReichskanzler, der zugleich der einzigeMinister der Regierung war. Kaiser Wil-helm II. aber war dieser Verantwortungnicht gewachsen. Ab 1916 schlug er sichimmer mehr auf die Seite vonLudendorff und ließ es zu, dass die

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Oberste Heeresleitung die Politik desDeutschen Reiches bestimmte und diezaghaften Versuche eines Verständi-gungsfriedens sabotierte.

Für die Militärführung gab es nurSieg oder Niederlage, auch zu einemZeitpunkt, als ein Sieg kaum noch er-reichbar war.

In der Heimat hatte die schlechte Ver-sorgungslage bis Anfang 1918 zu einergaloppierenden Inflation mit einer zun-ehmenden Verarmung besonders derArbeiter, kleinen Selbstständigen undStaatsbediensteten geführt. DieMenschen hungerten, in den Städtenmehr als auf dem Land. Ein umfan-greicher Schwarzhandel war entstanden.Einige wenige »Kriegsgewinnler« hattensich ungeheuer bereichert, während alle

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anderen verarmten. Die Russische Re-volution drohte auf das Deutsche Reichüberzugreifen. Trotzdem schürte die na-tionalistische Presse immer noch dieHoffnung auf einen »ehrenvollen«Frieden. Viele Menschen im DeutschenReich klammerten sich daran, dass diefürchterlichen Opfer der letzten vierJahre nicht vollständig umsonst gewesenwaren.

Mit der Unterzeichnung des Waffen-stillstands brach für sie eine Welt zusam-men. Was lag näher, als den ANDERENdie Verantwortung aufzudrücken? DieANDEREN, das war die frühere Opposi-tion und jetzige demokratische Regier-ung. Die Deutschnationalen Parteienverwiesen darauf, dass Teile derBevölkerung und der jetzt

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staatstragenden Parteien die Soldatenan der Front im Stich gelassen, oder sog-ar ihre Niederlage betrieben hatten.

Ihre Kronzeugen waren Ludendorffund Hindenburg. Bereits wenige Monatenach dem von ihm erzwungenen Waffen-stillstand wies Ludendorff jede Verant-wortung für die Niederlage weit vonsich. Zusammen mit Hindenburg best-and er darauf, dass Flotte und Heerplanmäßig sabotiert worden seien.Hindenburg erklärte unter Berufung aufeinen britischen General, das deutscheHeer sei »von hinten erdolcht worden«.Damit gab er den Deutschnationalen ihrStichwort. Die deutsche Armee, solautete ihre von nun an ständig wieder-holte Parole, sei »im Felde unbesiegt«gewesen. Teile der Zivilbevölkerung

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aber hätten sie »von hinten erdolcht«.Der Vorwurf richtete sich gegen dieSPD, die Fortschrittliche Volkspartei,teilweise auch die katholische Zentrums-partei und auf breiter Front gegen dieJuden. Ihnen wurde gleichzeitig unter-stellt, sie hätten sich als »Kriegs-gewinnler« am Leiden des Volkesbereichert und vor dem Militärdienstgedrückt. Der Vorwurf gegen die Judenentbehrte jeder Grundlage, sie hattenebenso gekämpft und gelitten wie alleanderen Deutschen auch. Teile derradikalen Linken brüsteten sich zudemdamit, ihre revolutionären Aktionen hät-ten das Kriegsende erzwungen, undstützten damit gewollt oder ungewolltdie Behauptungen derDeutschnationalen.

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Die Demokraten wehrten sich gegendie Dolchstoßlegende so gut sie konnten.Es gelang ihnen, die These vom »Dolch-stoß in den Rücken« schlüssig zu wider-legen, aber sie erreichten mit ihren Ar-gumenten nur einen Teil der Bevölker-ung. Im Laufe der zwanziger Jahre ver-festigte sich bei den Deutschnationalender Glaube an die Dolchstoßlegende,während sie bei den demokratischenParteien der Weimarer Republik alswiderlegt galt. Anfang der dreißigerJahre waren die Argumente ausget-auscht und die Emotionen abgekühlt. Alsunmittelbarer Anlass für den Siegeszugder NSDAP und die MachtergreifungHitlers im Jahre 1933 taugt die Dolch-stoßlegende deshalb nicht.

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Unter zwei Aspekten trug sie dennochentscheidend zum Ende der WeimarerRepublik und zum Zweiten Weltkriegbei:

• Sie schädigte das Ansehen der de-mokratischen Politiker von Anfangan. Auf allen Regierungen der Wei-marer Republik lastete das Stigma,als Handlanger ausländischerMächte die Niederlage im ErstenWeltkrieg absichtlich herbeigeführtzu haben.

• Hitler glaubte fest daran, dass derdeutschen Armee der Sieg»gestohlen« worden war. Er strebteeinen neuen Krieg an und wolltediesmal sicherstellen, dass dieHeimat den Soldaten nicht in denRücken fiel.

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Die Spitze des Naziregimes war davonüberzeugt, dass Deutschland einenneuen Krieg gewinnen würde, wenn dasVolk die Soldaten einmütig unterstützte.Deshalb begann Hitler unmittelbar nachder Machtergreifung mit der Aufrüstungfür einen Revisionskrieg und derVorbereitung der zivilen Kriegsstruk-turen. Der ehemalige GeneralLudendorff verlangte in seinem 1935 er-schienenen Buch Der totale Krieg zurAufrechterhaltung der Moral unter an-derem: … Sperrung des Grenzverkehrsgegen neutrale Staaten, Versammlungs-verbote, Festnahmen wenigstens derHäupter der ›Unzufriedenen‹, Über-wachung des Eisenbahnverkehrs und

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des Rundfunkwesens und natürlich einescharfe Pressezensur.

Damit nahm er vorweg, was die Na-tionalsozialisten im Zweiten Weltkriegtatsächlich umsetzten.

Die Dolchstoßlegende hat HitlersMachtergreifung gefördert und damitzum Zweiten Weltkrieg und zumMassenmord an den Juden beigetragen;als alleinige oder auch nur maßgeblicheUrsache taugt sie aber nicht. Sie hat dasGrauen nicht allein verschuldet, aber siehat ihm den Weg gebahnt. Der Vorwurftrifft damit auch diejenigen, die die Le-gende unbedacht oder wider besseresWissen verbreitet haben.

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8: Wir bauen eineVerschwörungstheorieEine praktische Anleitung zumSchreiben vonVerschwörungstheorien

In diesem Kapitel möchte ich Ihnen zei-gen, wie einfach es ist, eine Ver-schwörungstheorie zusammenzubauen.Sie hat vermutlich keine Aussicht aufVerbreitung, weil sie nicht auf gängigenVorurteilen oder einem bestehendenVerschwörungsglauben fußt, dafür istsie aber durchaus nicht abstruser als an-dere Theorien (nun ja, sie ist eigentlichvöllig abstrus).

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Zunächst brauchen wir einenpassenden Verschwörungsglauben. Dasgeht schnell, denn ein Ver-schwörungsglauben ist eine recht vageAngelegenheit. Fangen wir mit einerpassenden Geheimgesellschaft an. Ichmöchte sie Obskuraten nennen, dieDunkelmänner (vom Lateinischen viriobscuri). Damit bilden sie einen hüb-schen Gegensatz zu den Illuminaten, denErleuchteten.

Es ist eine alte Regel der Spannungs-literatur, dass ein Buch eine Prämissehaben sollte, die es beweist. DiesePrämisse steht im Hintergrund, wirschreiben sie nicht in das Buch. Sie istder Leitfaden, an dem wir uns beimSchreiben orientieren. In unserem Fallelautet die Prämisse: Dunkelmänner als

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Nachfahren der Neandertaler be-herrschen die Welt, jedenfalls beinahe.

Sie halten sich, wie ihr Name schonsagt, vorwiegend im Dunkeln auf undsind deshalb schwer zu finden. So weitder Verschwörungsglauben. Jetztmüssen wir noch einige Ereignisse um-deuten, damit sie zu diesem Glaubenpassen, also Verschwörungslegendenbasteln.

Und schließlich entwickeln wir darausunsere Theorie.

Wenn wir dabei einige einfache Re-geln berücksichtigen, kommt am Endeeine sehr lesbare Geschichte heraus.Dabei müssen wir uns nicht an dieWahrheit halten, wir wollen schließlichetwas beweisen, nicht etwas unter-suchen. Also sammeln wir alles auf, was

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unsere These stützt, und lassen allesunter den Tisch fallen, was ihr wider-spricht. Schließlich sind nicht wenigeTheorien mit wissenschaftlichem Ans-pruch genauso entstanden.

1. Regel: Prämisse der Verschwörung-stheorie ist ein einfach formulierterVerschwörungsglauben.

Jetzt wollen wir erst einmal Interessewecken. Dazu werfen wir Fragen auf undversprechen, sie im Zuge des weiterenAusbaus der Theorie zu beantworten.Wenn Sie zunächst die Theorie auf sichwirken lassen wollen, lesen Sie nur dieZeilen zwischen den Linien.

Warum sind die Neandertalerausgestorben? Oder sind sie

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überhaupt nicht ausgestorben?Schließlich hat niemandnachgewiesen, dass es sie nichtmehr gibt. Wo kommen die Sa-gen von den ungeheuer starken,klugen und zauberkräftigenZwergen her? Und woher dasWort Zwerge? Es existiert in al-len germanischen Sprachen,aber sein Ursprung ist dunkel.

Das hört sich nicht schlecht an.Definieren wir also die zweite Regel:

2. Regel: Tragen Sie Unerklärtes zusam-men, werfen Sie Fragen auf, bezweifelnSie bisherige Erklärungen.

Als Nächstes müssen wir unsereNeandertaler etwas aufbauen.

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Schließlich glaubt uns noch niemand,dass unsere Politiker ihre Anweisungenvon grunzenden, flachköpfigen Ur-menschen entgegennehmen.

Neandertaler haben mindestens150 000 Jahre lang überlebt, dieältesten Fossilien sind180 000 Jahre alt, die jüngstengefundenen 28 000 Jahre. Siewaren vital und lebenskräftig,verbreiteten sich über ganzEuropa, Westasien und denvorderen Orient. Sie sind indieser langen Zeit nicht etwa de-generiert, im Gegenteil, die Ske-lettfunde zeigen eindeutig, dasssie sich immer weiter entwickelthaben. Ihre Gehirne wurden

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immer größer, und sie verfügtenüber ungeheure Körperkräfte.Als die Wissenschaftler darangingen, die Hirnschädel derNeandertaler mit denen modern-er Menschen zu vergleichen, er-lebten sie eine Überraschung:Schon vor 100 000 Jahren warendie Gehirne der Neandertalergrößer als die der heutigenMenschen! Mehr noch: Es sindim Verhältnis zur Körpergrößedie größten Gehirne, die manjemals bei irgendwelchen Le-bewesen unseres Planeten ge-funden hat!Wie groß wären ihre Gehirneheute? Die Gehirne der mod-ernen Menschen sind seit dieser

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Zeit um fast 20 Prozent gewach-sen, heutige Neandertalermüssten demnach deutlich intel-ligenter sein als jeder moderneMensch.

Der Großteil der Informationen istnachprüfbar richtig, wenn auch für un-sere Zwecke etwas zurechtgeschnitzt.Nur die Schlussfolgerung ist falsch: DieGröße des Gehirns ist kein Beweis für In-telligenz. Aber die meisten Menschenwürden das anstandslos akzeptieren. Da-raus können wir die dritte Regelableiten:

3. Regel: Bei der Wahrheit bleiben undnachprüfbare Zahlen verwenden, wo im-mer es geht. Gewagte Schlussfolger-ungen möglichst unauffällig einflechten.

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Jetzt müssen wir etwas improvisieren.Wir wollen schließlich nachweisen, dassdie Neandertaler nicht ausgestorbensind, sondern heimlich die Welt be-herrschen. Also säen wir zunächstZweifel an den Erkenntnissen derWissenschaftler:

Die Geschichte der Neander-talerbeschreibungen ist eineGeschichte der Irrtümer. Dasbegann bereits bei den Knochenaus dem Neandertal. Der BonnerAnatom und MedizinprofessorAugust Mayer hielt in groteskerVerkennung aller anatomischenDetails die Knochen für dieÜberreste eines Deserteurs derKosakenarmee, die 1814 am

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Rhein gelagert hatte! Der berüh-mte Pathologe Rudolf Virchowstimmte ihm zu. Der englischeGeologe William King meinte,die »Dumpfheit« eines Schim-pansen müsse in dem gefunden-en Schädel gesteckt haben. Derfranzösische Anthropologe Mar-cellin Boule erklärte dieNeandertaler zu verkrümmtenDummköpfen mit gebeugtenKnien und schiefem Hals. Späterdichtete man ihnen einen Bären-kult an und machte sie zuMenschenfressern.

Bis hierher stimmt alles. Der Boden istbereitet, und wir können unsere Inter-pretation hinzufügen und gegen die Wis-senschaft polemisieren.

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Alles das war falsch, wie wir in-zwischen wissen, geboren ausder Arroganz »etablierter« Wis-senschaftler. Wenn uns die heut-igen Wissenschaftler sagen, dieNeandertaler seien aus-gestorben, dann halten wir ihnenentgegen, dass sie genausofalsch liegen wie ihre früherenKollegen – und wir werden es be-weisen. Wie früher übersehendie Wissenschaftler auch heutealle Tatsachen, die ihr Weltbildgefährden könnten.Wenn die Neandertaler wirklichvor 28 000 Jahren von den »über-legenen« modernen Menschenausgerottet wurden, wie erklärtman sich einen

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Neandertalerschädel aus Spani-en mit vielen modernen Merk-malen, der erst 24 500 Jahre altist? Und überhaupt: DieNeandertaler waren optimal andas kalte Leben im eiszeitlichenEuropa angepasst und dann sol-len sie ganz plötzlich aus-gestorben sein? Will man unswirklich weismachen, sie solltendem jämmerlich frierendenHomo sapiens unterlegengewesen sein, auf ihrem eigenenTerrain? In Israel, in der Höhlevon Jebel Qafzeh, lebten Homosapiens und Neandertaler mehrals 20 000 Jahre Tür an Tür,ohne sich gegenseitig zu stören.Und da sollen eingewanderte

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Homo sapiens den Neandertalerausgerechnet in seinem heimat-lichen Europa in wenigen1000 Jahren ausgerottet haben?Da kann etwas nicht stimmen –und es stimmt auch nicht.

Man könnte das natürlich noch weiterausführen. Eine echte Verschwörung-stheorie würde jetzt vielleicht nochspannende Berichte von Ausgrabungeneinflechten. Vergessen Sie bitte nicht,der letzte Absatz ist Polemik und Speku-lation. Wissenschaft hat immer mit offen-en Fragen zu kämpfen. Aber das mussuns nicht kümmern, denn wir benutzendie Wissenschaft nur als Steinbruch.

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Machen wir also weiter und begeben wiruns vom Reich der Spekulation ins Reichder Sage:

Die Neandertaler sindkeineswegs verschwunden, undunsere Vorfahren wussten dasgenau. Wenn wir vor 2000 Jahreneinem Bewohner Mitteleuropas,einem Germanen oder einemKelten, gesagt hätten, wirsuchen kleine Wesen, vielleichteinen Kopf kleiner alsMenschen, mit großem Kopf,breiter Nase, vermutlich sehrklug und von erstaunlicherKörperkraft, was hätte er wohlgesagt? Er hätte wahrscheinlichgeantwortet: »Sie suchen einenZwerg!« Die Mythologie aller

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mitteleuropäischen Völker kenntZwerge, und sie entsprechengenau dem Bild vom Neander-taler! Aber lassen wir noch ein-mal unsere Vorfahren sprechen:»Zwerge, ja klar, die gibt es!Aber sicher doch! Sie wohnen inden Bergen, sie graben nachErzen, nach Gold, nach Edel-steinen. Unglaublich geschickteHandwerker sind das! Niemandbaut bessere Waffen! Haben Siedas Schwert unseres Königsgesehen? Es soll von Zwergen-handwerkern stammen. Nein, ichhabe noch nie einen gesehen, siezeigen sich nicht. Ich bin auchnicht scharf drauf, ehrlichgesagt.«

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Unser Vorfahr senkt an dieserStelle die Stimme und sagt leise:»Sie sind zauberkräftig, wissenSie! Und ungeheuer stark! Mansagt, sie sollen manchemBetrüger den Kopf abgerissenhaben! Mit bloßen Händen!Wenn Sie mich fragen: das sindAmmenmärchen. Aber bitte! Werweiß das schon.« Dann sieht ersich um, als könne einer derZwerge zuhören, beugt sich vorund flüstert: »Sie sollen uner-messliche Schätze hüten! Gold!Edelsteine! Ihre Berghöhlenglitzern davon, sagt man! FragenSie den Priester, der weiß mehrdarüber!«

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Das Wort »Zwerg« gibt es in al-len germanischen Sprachen,aber es lässt sich von keiner ind-oeuropäischen Wurzel ableiten.Was schließen wir daraus? Of-fenbar stammt es nicht aus demIndogermanischen. Die Urein-wohner Nordeuropas kannten es,und die Germanen haben esübernommen. Wohin man auchkommt: Die Legenden europäis-cher Völker schreiben den Zwer-gen eine erstaunliche Menge vongemeinsamen Eigenschaften zu:Sie sind muskelstark, klug, kleinund geschickte Handwerker. Sietreiben Bergbau. Sie könnensich unsichtbar machen. Siehaben einen großen Schädel mit

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groben Zügen, breiter Nase undeinem wuchernden Bart.Ihre Frauen sind dagegen ver-gleichsweise schmal gebaut mitdurchaus feingeschnittenenGesichtszügen. In der Tat habenArchäologen vor einiger Zeit denSchädel einer Neandertalerfrauausgegraben und festgestellt,dass ihr Schädel bedeutend zier-licher war!Ist das nicht erstaunlich? Wirhängen den Steckbrief einesNeandertalers aus und stellenfest: Die Menschen kennen ihn!So verschieden die Legenden derVölker auch sind, im Bezug aufZwerge sind sie sich einig. Dabeitrieben die Germanen selber

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keinen Bergbau. Sie gewannenweder Silber noch Buntmetalle,aber alle ihre Legenden kennenden Beruf des Bergmanns unddas Zwergenvolk, das ihnausübt!Kann das Zufall sein?

Halten wir hier einen Moment an.Zwerge als Neandertaler? Ist das nichtetwas weit hergeholt? Nicht unbedingt,diese Idee wird tatsächlich diskutiertund bezieht auch die skandinavischenTrolle mit ein. Das passt natürlich nichtin unsere Theorie, denn wir wollen dieNeandertaler als hoch intelligentdarstellen. Trolle stolpern durch dieWelt der nordischen Sagen aber als mus-kelbepackte menschenfressende

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Dumpfbacken. Also erwähnen wir siebesser gar nicht erst.

Machen wir weiter und prügeln noch et-was auf die Wissenschaft ein, das machtsich immer gut:

Die etablierten Wissenschaftlerschauen offenbar nur seltenüber ihren Tellerrand. Als derHobbyarchäologe SchliemannHomer ernst nahm und Trojaausgrub, schlug ihm die geballteAblehnung der Fachwis-senschaftler entgegen – bis er siealle widerlegte.

Diese wiederholten Angriffe auf die Wis-senschaft stimmen das Publikum aufThesen ein, die einer wissenschaftlichen

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Analyse oder einer genauen Recherchenicht standhalten.

4. Regel: Stellen Sie etablierte Methodenund Erkenntnisse immer wieder neu inFrage. Greifen Sie die Wissenschaftler(bei politischen Verschwörungstheorien:die Journalisten) pauschal und scharf an.Lehnen Sie ihre Schriften als parteiischoder borniert ab.

Wir sollten persönliche Angriffe mög-lichst vermeiden, weil sich der Betrof-fene womöglich zur Wehr setzen würde,und das könnte teuer werden. PauschaleAngriffe hingegen sind bei kluger For-mulierung rechtlich nicht angreifbar. Jet-zt transferieren wir die Neandertalererst in die geschichtliche Zeit und dann

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in die Gegenwart. Dazu müssen wir dieRegeln der Logik etwas dehnen:

Auch darin sind sich alle Sageneinig: Die Höhlen der Zwergeglänzten vor Gold und Edelstein-en. Wir dürfen also annehmen,dass die Neandertaler es gelernthaben, Höhlen in die Berge zugraben, um sich dort Wohnun-gen einzurichten, Bodenschätzeabzubauen und Metalle zu ver-hütten. Aber waren die Neander-taler nicht längst verschwunden,als der Bergbau erfundenwurde? Nichts da! Was glaubenSie, wie alt sind die ältestenSpuren von Bergwerken inEuropa? 5000 Jahre? Falsch!10 000 Jahre? Auch falsch!

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20 000 Jahre? Nein: Die ältestenBergwerke und Tagebaue sind35 000 Jahre alt! Die bären-starken Neandertaler wärenideale Arbeiter dafür gewesen.So spezialisierten sie sich: Siewurden außerordentlichgeschickte Bergleute undSchmiede.Die Menschen werden für dieüberlegenen Waffen undWerkzeuge sicherlich gute Pre-ise bezahlt haben, so dass dieNeandertaler tatsächlich wohl-habend wurden. Aber sie warenoffenbar stets in der Minderheitgegenüber den Menschen undzogen es vor, in ihren unangreif-baren Behausungen zu bleiben

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und, wenn eben möglich, ihreSpuren zu verwischen. Und dastun sie noch immer, denn eskann kein Zweifel bestehen, dasssie nach wie vor existieren.

5. Regel: Verbinden Sie scheinbar (odertatsächlich) nicht zusammenhängendeEreignisse, Indizien oder Aussagen zueinem neuen Sinnzusammenhang.

Dies ist eine der wichtigsten Regeln fürVerschwörungstheorien, wie übrigensauch für Spannungsromane. Gute Thrill-er verändern durch überraschende neueErkenntnisse ständig den Fortgang derGeschichte. So gewinnt das Bild im Kopfder Leser ständig neue, schillerndeFacetten. Das größte Rätsel sollte amSchluss stehen, und die Lösung sollte die

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Leser möglichst atemlos und doch zu-frieden zurücklassen. Wenn Sie dasschaffen, haben Sie eine Chance, dassIhr Buch ein Bestseller wird, ganzgleich, ob Sie einen Spannungsromanschreiben oder eine Verschwörungsthe-orie spinnen.

Wir werden jetzt eine Reihe vonEreignissen zusammenstellen, mit denenwir belegen, dass Neandertaler immernoch existieren:

»Folgen Sie der Spur desGeldes!«, sagte die geheim-nisvolle Nachrichtenquelle DeepThroat den beiden Reportern,die den Watergateskandal auf-deckten. Das war ein guterRatschlag, und deshalb werdenwir das auch tun. Nehmen wir

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einmal an, die Neandertalerhaben wirklich riesige Schätzeangehäuft. Bei ihrerHandwerkskunst und ihrenbergmännischen Fähigkeitenwäre das durchaus wahrschein-lich. Dann sollte doch ihrReichtum irgendwo wiederauftauchen. Folgen wir der Spurdes Geldes und sehen wir nach,ob irgendjemand plötzlich uner-messlich reich geworden ist inden Gebieten der Neandertaler,also in Nordeuropa, in denPyrenäen oder in den Alpen.Wir brauchen nicht lange zusuchen: Julius Caesar war nichtnur ein genialer Feldherr, son-dern auch ein großer

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Bankrotteur. Es war ihm gelun-gen, bis 61 v. Chr. in seiner Amt-szeit als Konsul so vieleSchulden anzuhäufen, dass seineGläubiger ihn nicht aus Rom ab-reisen lassen wollten, um seineStatthalterschaft in Spanien an-zutreten. Erst als Crassus, derreichste Mann Roms, für einDrittel seiner Schulden dieBürgschaft übernahm, konnteCaesar sein Amt antreten. Hal-ten wir fest: Selbst der reichsteMann Roms konnte CaesarsSchulden nicht mehr bezahlen,sie überstiegen tatsächlich jedesdamals vorstellbare Maß.Crassus, der kühle Geschäfts-mann, muss aber gewusst haben,

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dass Caesar seine Schuldenbezahlen würde, sonst hätte erniemals riskiert, für ihn zu bür-gen. Innerhalb eines Jahres inSpanien (in der Provinz Iberia)war Caesar nicht nur schulden-frei, sondern auch noch reich. Ermuss in Spanien auf eine gi-gantische Geldquelle gestoßensein! Zeit seines Lebens warCaesar danach von eineriberischen Leibgarde umgeben,die er erst kurz vor seinem Todentließ. Es sollen seltsame,gedrungene und breitnasigeGestalten von ungeheurerKörperkraft gewesen sein. Wo-her hatte Caesar so plötzlich dasGeld? Es ging nicht um ein

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Taschengeld, sondern nach heut-igem Wert um einen zweistelli-gen Millionenbetrag. Auchspäter warf Caesar mit Geld nurso um sich. Es ist etwa belegt,dass er während seiner Zeit inGallien seinem erklärten GegnerCicero großzügig ein Darlehenvon zweihunderttausend Denar-en (etwa hunderttausend Euro)gab (Propyläen Weltgeschichte,Band 4, Seite 265). BeträchtlicheTeile seiner Armee bezahlte erselber. In Rom beklagten sichseine Gegner derweil, dass sichCaesar mit Barbaren umgab undauch noch von ihnen beratenließ! Auch hier lesen wir wiedervon gedrungenen, breitnasigen

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Gestalten, die mit Kelten oderGermanen so gar keine Ähnlich-keit haben.

Der Text über Caesar ist eine Mischungzwischen Wahrheit, Halbwahrheit undErfindung. Caesars Ausgaben undSchulden waren in der Tat legendär,seine Geldquellen aber sind durchausbekannt. Die reichen Silberminen inSüdspanien sorgten für seine Entschul-dung, mehr aber auch nicht. Reich warer nie. Und später schaffte er es immerwieder, Mäzene für seine politischenAmbitionen zu finden. Während der Gal-lischen Feldzüge plünderte er dieeroberten Städte und die unterworfenenVölker schamlos aus und verwendete dasGeld für seine Zwecke. Die gedrungenenBerater sind frei erfunden. Die

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Spanische (Iberische) Leibgarde isthingegen historisch belegt, nicht aber,wie ihre Mitglieder aussahen. Darauslässt sich eine weitere Regel aufstellen:

6. Regel: Verdrillen Sie Wahres, Halb-wahres und Erfundenes zu einem un-entwirrbaren Knäuel. Der Aufwand fürdie Nachrecherche wird dadurch sogroß, dass sich kaum jemand die Mühemacht.

Praktisch alle Verschwörungstheoriennutzen diese Technik. Das macht esenorm aufwendig, sie zu widerlegen.Man muss nicht nur beweisen, dass ein-zelne Tatsachen falsch sind, sondernauch noch, dass sie den Gesamteindruckhoffnungslos verzerren.

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Jetzt ziehen wir unser Indiziennetz weit-er zusammen:

Gleichzeitig begann in Rom eineunglaubliche unterirdischeBautätigkeit. Es entstand eineganze Stadt unter der Erde, get-arnt als Wasserleitungen, Ab-wassersysteme oder Nekropolen(unterirdische Begräbnisstät-ten). Sie haben sicher schon vonden berühmten Katakomben ge-hört?Vom zweiten bis zum fün-ften Jahrhundert wurden sie vonden ersten Christen als Begräbn-isstätten und geheimeTreffpunkte angelegt, sagen dieLehrbücher. Schaut man abergenauer hin, steht da verschämt:

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Sie bauten dafür vorchristlicheunterirdische Gangsysteme aus.Jetzt entsteht langsam das Bilddes tatsächlichen Geschehens:Caesar hat sein Geld, diese un-zähligen Millionen, die er nach-weislich ausgegeben hat, vonden »Zwergen«, den »bären-starken Barbaren«, erhalten.Dafür hat er ihnen Wohnung undSchutz in Rom zugesagt. Sie hat-ten sich mit einem kleinen Teilihres Goldes in das Zentrum derdamaligen Welt eingekauft.»Barbaren« fielen in Rom damalsnicht besonders auf, Rom wareine Weltstadt. Aber sie wolltenkommen und gehen, wie esihnen beliebte, und so bauten sie

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ihre Behausungen unter derErde, wie sie es gewohnt waren.Im Laufe der Zeit entstandenüber sechzigKatakombensysteme mit mehrals hundert KilometerAudehnung. Allein dieKatakomben des Kallixtus habeneine Gesamtlänge von überzwanzig Kilometern! Viele davonsind so hervorragend gebaut undbelüftet, dass sie nach fast2000 Jahren immer noch began-gen werden können! Sie müssenvon exzellenten Bergleuten ge-baut worden sein. Angeblich sol-len sie aber von frühen Christenheimlich und ohne besonderenSachverstand vorangetrieben

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worden sein. Es kommt abernoch sonderbarer:In den Katakomben sollen dieToten der frühen christlichenGemeinden liegen, insgesamtmehr als 500 000! Aber: Warumsollten die Menschen solche gi-gantischen Gangsysteme bauen,nur um dort in Wandnischenihre Toten zu beerdigen? Es gabin Rom schließlich auch Fried-höfe. Mit ungeheurem Aufwandbis zu 30 Meter tiefe Tun-nelsysteme zu graben, nur umTote zu beerdigen, macht ein-fach keinen Sinn. Nein: Die ein-fachste und zugleich beunruhi-gendste Erklärung ist tatsäch-lich, dass es eine Wohnstätte

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war. Die römischen Machthabermüssen beschlossen haben, dasses eine exzellente Tarnung ist,die unterirdische Stadt mit ihrenreichen, kraftvollen und klugenBewohnern zu einer Totenstadtzu erklären. Das hält Neugierigesehr wirksam fern. Übrigens dür-fen Touristen nur einen sehrkleinen Teil der Katakomben be-sichtigen, die größten Bereichesind hingegen gesperrt. Was istdort? Die offiziellen Antwortendarauf sind äußerst vage, undwer zu neugierig ist, macht sichverdächtig.Auch andere Städte haben gi-gantische Unterstädte, riesigeKatakombensysteme, die immer

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noch gangbar sind. Unter Parisgibt es uralte Katakomben miteiner Gesamtlänge von über 300Kilometern Länge! Einen Teildavon hat die Stadt zur Besichti-gung freigegeben. Sie könnensich also gerne selbst davonüberzeugen. Unter dem Oper-nhaus gibt es einen wirklichenunterirdischen See (der wahreKern des Buches und MusicalsDas Phantom der Oper). Hinzukommen über 200 Kilometer U-Bahntunnel. In Berlin gibt es un-gezählte Tunnel, Hohlräume undVerbindungsgänge, von denenviele für die Öffentlichkeit ges-perrt sind. In Montreal existierteine hochmoderne Stadt

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(Underground City) unter derErde mit 1600 Geschäften, 200Restaurants, 1600 Wohnungenund zehn U-Bahnstationen. DieGesamtlänge der Tunnels be-trägt fast dreißig Kilometer.Auch in kleineren Städten ex-istieren Tunnelsysteme. So gibtes unter der Stadt Bayreuth alteTunnelsysteme unbekannten Ur-sprungs von mehreren Kilomet-ern Länge.Seltsamerweise macht niemandwirklich ein Thema daraus.Haben die Herrscher frühererZeiten den Nachfahren derNeandertaler ein Wohnrechteingeräumt, damit sie Gold vonihnen bekamen? Oder Hinweise

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auf Bodenschätze? Fürstenbrauchen immer Geld, und es istihnen gleichgültig, woher sie esbekommen. So konnten die Ob-skuraten, die Dunkelmänner, im-mer mehr Einfluss auf den Laufder Welt gewinnen, immer mehrHerrschaft an sich reißen.

Wie alle guten Erzählungen muss aucheine Verschwörungstheorie die Leserüberraschen. Die vielen weitgehend un-bekannten Tatsachen zum Thema derunterirdischen Gänge, Tunnel und Höh-len unter Städten halten die Spannungin der Geschichte. Ansonsten folgt auchdieser Absatz wieder der Regel,Wahrheit und Erfindung miteinander zuverknäueln. Die Katakomben von Romwaren wirklich vorwiegend Nekropolen,

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Totenstädte. Ihre Entstehung ist gutdokumentiert. Die Katakomben unterParis sind Steinbrüche. Es war billiger,den reichlich vorhandenen Kalksteinunter der Stadt abzubauen als ihn vonweither heranzuschaffen. Imachtzehnten Jahrhundert sanken ganzeStraßenzüge ab, weil die darunter lie-genden Höhlen einstürzten. Daraufhinwurde der Abbau eingestellt. Die Höhlendienten auch zur Aufnahme von Leichen,als die Friedhöfe der Stadt schließlich zuklein wurden. Zwar haben die Ärmstender Armen zeitweise in den Kalkhöhlengehaust, reiche Neandertaler aber sinddort unbekannt. Die Tunnel unterBayreuth waren niemals bewohnt.

Die Underground City in Montreal be-steht zum beträchtlichen Teil aus

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Tunneln zwischen Gebäudekomplexender Innenstadt. Im harten kanadischenWinter können die Menschen dorteinkaufen oder bummeln, ohne den eis-igen Temperaturen ausgesetzt zu sein.

An dieser Stelle möchte ich noch ein-mal daran erinnern, dass es einer Ver-schwörungstheorie niemals darum geht,die Wahrheit herauszufinden, sonderndarum, einen Verschwörungsglauben zubeweisen. Dazu klaubt sich der Autorvon überall her Bruchstücke zusammenund verklebt sie zu einer Einheit. AlsKleber dienen ihm die Handlungsmotive,die er den angesprochenen Gruppen undEinzelpersonen unterstellt.

So haben wir den Neandertalernnachgesagt, sie wollten die Menschen

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beherrschen und sie wollten unter derErde wohnen.

Fast alle Verschwörungstheorienarbeiten so. Wenn ich behaupte, dasseine Organisation im Hintergrund beiden verschiedensten Anlässen die sicht-baren Akteure wie Marionetten tanzenlässt, muss ich ein passendes Motivdafür vorweisen können, sonst glaubtmir bald keiner mehr.

7. Regel: Eine Verschwörungstheorielebt davon, Motive für das Handeln vonPersonen und Gruppen zu erfinden.Über die Motive verbindet sie typischer-weise die einzelnen Verschwörungsle-genden miteinander.

Die Neandertaler legen großenWert darauf, sich unauffällig im

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Hintergrund zu halten. Aberwenn man genau hinsieht, gibtes doch Hinweise auf die»Dunkelmänner«. SpätrömischeSchriftsteller schreiben von sogenannten »viri obscuri«. Im16. Jahrhundert erschienen inDeutschland anonym die ge-heimnisvollen Dunkelmänner-briefe. Karl Marx erwähnt einen»vir obscurus« als Gegner seinerIdeen. Nicht umsonst wurde derAusdruck »Dunkelmänner« im-mer mehr zum Synonym für ge-heimnisvolle Drahtzieher imHintergrund.Aus dem 16. Jahrhundert stammtdie seltsame Voynich-Hands-chrift. Sie soll die medizinische

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und astronomische Weisheit des»Zwergenvolkes« enthalten. Derdeutsche Kaiser Rudolf II., einbekannter Förderer von Kunstund Wissenschaft, war deshalbbereit, den ungeheuren Preis von600 Dukaten dafür zu bezahlen.Die Handschrift ist mit einer un-bekannten Schrift in einer un-bekannten Sprache geschrieben.Kaiser Rudolf hat sie den bestenGelehrten seiner Zeit zurEntschlüsselung vorgelegt, aberniemand konnte auch nur eineZeile davon lesbar machen. Bisheute trotzt die Handschrift al-len Entschlüsselungsversuchen,obwohl sich bis ins 20. Jahrhun-dert hinein die besten Experten

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der Welt daran versucht haben.Erstaunlich ist das große In-teresse der amerikanischen Re-gierung am Inhalt desManuskripts: Sie setzte in denfünfziger Jahren ein Team derNational Security Agency (NSA)auf das Manuskript an. Es wurdevon William F. Friedmangeleitet, der als einer der bestenKryptologen (Geheimschriftex-perten) aller Zeiten gilt. DasTeam scheiterte. Selbst mit denbesten Computerprogrammenhat bis zum heutigen Tageniemand dem Manuskript seinGeheimnis entreißen können.Man fragt sich natürlich: Waruminteressiert sich die

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amerikanische Regierung sobrennend für den Inhalt einesmehr als 400 Jahre altenManuskripts? Was weiß siedarüber? Sie wird es uns wohlnicht sagen.Im Mittelalter und in der frühenNeuzeit verdingten sichgroßköpfige Zwerge als Beratervon Königen und Fürsten. Sietraten bald so häufig auf, dasssie zur Klischeefigur vonKomödien und zur Zielscheibevon Satiren wurden. Sie galtenals missgünstig, verschlagen undintrigant, gleichzeitig aber alsüberaus intelligent, als glän-zende Schachspieler und beg-abte Diplomaten. Da haben wir

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wieder unsere »Dunkelmänner«,wir müssen nur genau hinsehen.Etwa ab dem 19. Jahrhunderthaben sie sich immer mehr aufGeldgeschäfte verlegt. Der eng-lische Premierminister HaroldWilson beschuldigte im Jahre1956 die »Gnomen von Zürich«,gegen das englische Pfund zuspekulieren. Diesen Ausdruckhatte niemand vorher jemals be-nutzt. Was wusste HaroldWilson?

Dunkelmänner sind bis zum 19. Jahrhun-dert Feinde des Fortschritts, »Hinter-wäldler«. In diesem Sinne ist auch dieBemerkung von Karl Marx gemeint. Dieheutige Bedeutung »Drahtzieher im Hin-tergrund« ist erst im 19. Jahrhundert

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aufgekommen. Die Dunkelmännerbriefesind zwei berühmte satirische Schriftenaus dem 16. Jahrhundert. GroßköpfigeZwerge als Fürstenberater waren wederhäufig, noch waren sie eineKlischeefigur.

Die Voynich-Handschrift hingegengibt es wirklich. Sie ist um das Jahr 1600entstanden und im Stil ihrer Zeit reich-haltig farbig illustriert. Die Bilder zeigenallerlei unbekannte Pflanzen, badendeFrauen und astrologische Symbole.Sprache und Schrift sind vollkommenunbekannt. Es gibt weltweit kein zweitesDokument in dieser Schrift. Die Hands-chrift soll angeblich dem deutschenKaiser Rudolf II. für 600 Dukaten (mehrals 10 000 Euro nach heutigem Wert)verkauft worden sein. Einiges spricht

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dafür, dass sie extra zu diesem Zweckhergestellt wurde, also eine hervorra-gend ausgearbeitete Fälschung ist. An-dererseits ähnelt die Länge, Verteilungund statistische Häufigkeit der Wortedurchaus echten Sprachen. Es gibt eineganze Reihe von mehr oder weniger ab-strusen Übersetzungsversuchen, vondenen keiner auch nur im geringstenüberzeugen kann. Der weltbekannteKryptologe William F. Friedman hat sichaus privatem Interesse an dasManuskript gesetzt und hat es tatsäch-lich nicht entschlüsseln können. Es gibtjedoch keine Hinweise, dass die US-Re-gierung sich jemals für das Manuskriptund seinen Inhalt interessiert hat. In derGeschichte des Manuskripts ist nirgend-wo von einem Zwergenvolk die Rede.

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Diesen Zusammenhang habe ich er-funden, damit das Manuskript besser indie Theorie passt.

Und das Zitat von Harold Wilson? Nun,Harold Wilson war für seine Bonmotsberühmt. Die »Gnomen von Zürich« isteines der bekanntesten davon. Es zieltnicht auf die Körpergröße der SchweizerBankiers ab, sondern auf ihre Macht undVerschwiegenheit. Zitate wie die vonMarx und Harold Wilson verschaffen ein-er Verschwörungstheorie natürlichwesentlich mehr Glaubwürdigkeit.Einige Verschwörungstheoretiker be-mühen sich deshalb um einen Zitatstil,der eine wissenschaftliche Qualität ihrerArbeit vortäuschen soll. Hinter jedemzweiten Satz steht eine hochgestellte

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Zahl, die auf eine Fußnote verweist. DasNachverfolgen der Quellen führt dannfast immer zur Ernüchterung: Entwederist die Quelle nicht aussagekräftig (etwaein Lexikoneintrag mit einer bloßenDefinition) oder sie ist selber eine wenigfundierte Spekulation.

Neuerdings verwenden Autoren vonVerschwörungstheorien auch gerne In-ternetquellen. Mathias Bröckers zitiertin seinem Buch Verschwörungen, Ver-schwörungstheorien und Geheimnissedes 11.September zum allergrößten TeilInternetlinks als Referenzen. Viele sein-er zentralen Aussagen belegt er mit Ver-weisen auf Internet-Adressen, die seineSchlussfolgerungen bestätigen, aberderen Autoren mit der Prämisse angetre-ten sind, zu beweisen, dass die US-

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Regierung an den Anschlägen auf dasWorld Trade Center beteiligt war. DieseSeiten sind untereinander ausgiebig ver-linkt. Versuche, die endgültige Herkunfteiner Aussage festzustellen, führten oftgenug auf eine einzige nicht mehr über-prüfbare Behauptung zurück, die dannin leicht abgewandelter Form an vielenStellen wieder auftaucht. Beliebt istauch folgende Vorgehensweise: DerAutor verwendet eine Quelle mit ähnlich-er Ausrichtung, zitiert sie aber nicht,sondern übernimmt deren Zitate. Dasspart Arbeit und wirkt trotzdem sehrbelesen.

Eindrucksvoll wirken Quellenangabenwie »Protokoll der Sitzung der Regier-ung Ihrer Majestät vom 2.Mai 1909«.Wer soll sich das beschaffen? Andere

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Beispiele: »New York Times, 2.Februar1923« oder »Winston Churchill, 1929«.Solche Zitate haben den Vorteil, nichtüberprüfbar zu sein.

Wenn man sich mit viel Mühe tatsäch-lich eine New York Times vom 2.Februar1923 beschafft und nach drei Stundenfeststellt, dass der zitierte Halbsatz inkeinem einzigen Artikel vorkommt, istnoch nicht bewiesen, dass die New YorkTimes ihn überhaupt nicht geschriebenhat. Er kann einen Tag früher oderspäter dort gestanden haben, oder am2.Februar eines anderen Jahres.

Tages- und Wochenzeitungen lebendavon, dass sie aktuelle Nachrichtenbringen. Dazu gehören auch Berichteüber Verschwörungslegenden, die in denArtikeln meist durchaus als Gerüchte

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gekennzeichnet sind. Darauf wird derAutor einer Verschwörungstheorie abernicht unbedingt eingehen, ihm hilft esschon, wenn er auf den Artikel verweis-en kann. Absolute Glücksfälle für dieAutoren von Verschwörungstheoriensind kommentarlose Wiedergaben vonVerschwörungslegenden in seriösen Zei-tungen oder in seriösen Fernsehsendun-gen. Die entsprechenden Beiträge habengute Chancen, immer wieder neu zitiertzu werden, auch wenn die Zeitungspäter davon abrückt.

Auch angebliche Zitate von berüh-mten Persönlichkeiten sind so gut wienicht zu widerlegen. Wie soll man nach-weisen, dass Winston Churchill einenbestimmten Satz nicht gesagt hat? Beider unendlichen Fülle von echten und

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falschen Zitaten wäre das eine unlösbareAufgabe. Daraus können wir eine Regelableiten:

8. Regel: Zitieren Sie! Zitieren Siehäufig, zitieren Sie Berühmtheiten, zit-ieren Sie bekannte Zeitungen! Zitatewirken eindrucksvoll, wissenschaftlichund belesen. Wenn Sie andere Ver-schwörungsbücher benutzen, zitierenSie direkt deren Quellen.

Warum verfälschen die Autoren von Ver-schwörungstheorien ihre Quellen in sounverschämter Weise? Dafür gibt eszwei wesentliche Ursachen: Zum einenbegreifen die Verschwörungstheoretikerihre Zitierweise nicht als Verfälschung.Aus ihrer Sicht versuchen sie lediglich,

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eine Verschwörung zu beweisen, vonderen Existenz sie fest überzeugt sind.Dafür suchen sie nach Belegen oderBruchstücken von Belegen. Ihre Zitategelten ihnen als Beweis, dass auch an-dere Menschen, Politiker, Journalisten,Wissenschaftler davon wissen, aberdaran gehindert werden, ihr Wissen of-fen zuzugeben, oder sogar mit der Ver-schwörung im Bunde sind.

Zum anderen ist die Technik desrichtigen Zitierens außerordentlichschwierig. Menschen neigen generelldazu, einer Bestätigung ihrer Meinungsehr viel mehr Aufmerksamkeit zu wid-men als einer Ablehnung. Ein GrammZustimmung wiegt eben mehr als eineTonne Kritik. Auch seriöse Wis-senschaftler schreiben den Arbeiten, die

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sie zitieren, gelegentlich eine falscheoder übertriebene Bedeutung zu. Dennauch sie wollen oft aus den zitiertenArbeiten eine Unterstützung für ihre ei-gene Meinung herauslesen. DieseWahrnehmungsverzerrung betrifft alleMenschen, nicht nur die Autoren vonVerschwörungstheorien.

Zurück zu unserem Beispiel:

In den fünfziger Jahren, parallelzum plötzlichen Interesse derUS-Regierung am Voynich-Manuskript, bekamen Erforscherdes UFO-Phänomens vielfach un-gebetenen Besuch von seltsamenMännern in schwarzen Anzügen,bald als »Men in Black« bekannt.Sie liefen seltsam, sprachen ein

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fremdartig klingendes, sehr ex-aktes Englisch und warnten Neu-gierige davor, weitere UFO-Nachforschungen anzustellen.Und sie verfügten über die selt-same Fähigkeit, plötzlichaufzutauchen und auf unmög-liche Art zu verschwinden. EinUFO-Forscher unter dem Pseud-onym Michael Elliot berichtet,dass ihn ein Man-in-Black in ein-er öffentlichen Bibliothek heim-suchte. Während er mit ihmsprach, schien die ganze Biblio-thek wie ausgestorben zu sein.Eindringlich erklärte der Man-in-Black, das UFO-Phänomen seidas wichtigste Ereignis desJahrhunderts. Dann legte er

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Elliot die Hand auf die Schulterund verschwand, und zwar buch-stäblich, denn er war von einemAugenblick auf den anderennicht mehr zu sehen.Elliot bekam panische Angst undsah sich nach Hilfe um, aber diegesamte Bibliothek schienmenschenleer, selbst die Auf-sicht war verschwunden. Er set-zte sich, um sich zu erholen, undals er sich nach einiger Zeitwieder umsah, war alles normal!Menschen suchten Bücher zwis-chen den Regalen, und die auf-sichtführenden Angestelltensaßen auf ihren Plätzen, als wärenichts geschehen. Andereberichten von ähnlichen

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Phänomenen. So sollen die Men-in-Black in schwarzen Limousin-en vorfahren, die später auf un-mögliche Weise in Sackgassenverschwinden.Offensichtlich verfügten dieMen-in-Black über die Macht,die Wahrnehmung vonMenschen direkt zu beein-flussen, also über telepathischeFähigkeiten. Die Zwerge derSage können sich ebenfalls un-sichtbar machen; nahezu alle Le-genden betonen dies ausdrück-lich. Wenn die Nachfahren derNeandertaler die enorme Größeihres Gehirns noch weitersteigern konnten, dann wäre eswahrscheinlich, dass sie eine

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Form der außersinnlichenWahrnehmung und Verständi-gung entwickelt haben. Siehaben gelernt, uns Bilderaufzuzwingen, die wir sehen sol-len. Wie sehen sie wirklich aus?Warum erscheinen sie in derForm von Männern in schwarzenAnzügen? Warum versuchen siedie Erforschung der UFOs zu un-terbinden? Manchmal erschien-en sie mit dem Symbol einer un-bekannten, vermutlich geheimenUS-Bundesbehörde am Revers.Was weiß die US-Regierungdarüber? Sie hat sich nie dazugeäußert.Die Menschen können in den Au-gen der Dunkelmänner nicht

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mehr als sprechende Affen sein,die sich ungeheuer vermehrthaben und ihnen die Welt weg-zunehmen drohen. Jahrhunder-telang haben sie uns, dieMenschen, gegeneinander gehet-zt, damit wir nicht einig gegensie vorgehen. Wollen sie jetzt mitden Außerirdischen zusammenüber die Menschen herrschen?Dann müssen wir bald handeln!In meinem nächsten Buch werdeich weitere aktuelle Begegnun-gen beschreiben und vom verz-weifelten Kampf der uns wohl-gesinnten Fraktion derDunkelmänner gegen dieWeltherrschaft der Aliensberichten, ein Kampf, der alle

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uns bekannten Dimensionensprengt.

Die Dämonisierung des Gegners gehörtselbstverständlich in jede Ver-schwörungstheorie. Der Konflikt zwis-chen uns und den anderen bestimmt diePrämisse der Verschwörungstheorie. DieVorwürfe gegen die anderen in real ex-istierenden, einflussreichen Ver-schwörungstheorien sind meist wesent-lich brutaler als in unserem Beispiel.

9. Regel: Dämonisieren Sie den Gegner!Unterstellen Sie ihm finsterste Absicht-en, unfairste Methoden, entsetzlichsteVerbrechen und eine ungeheuerlicheMacht! Und vergessen Sie nicht, eineSchwäche zu erfinden! Jeder anständigeDämon hat eine Achillesferse.

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In Ihrem eigenen Interesse sollten Sienicht vergessen, einen Aufruf ans EndeIhres Buches zu setzen. Das kann einSpendenappell sein, ein Anstoß zurGründung einer Interessengruppe oderdie Ankündigung eines weiteren Buchesmit noch grässlicheren Enthüllungen.Schließlich wollen Sie mit Ihrer Theorieauch Geld verdienen.

10. Regel: Eine gute Verschwörungsthe-orie enthält mindestens einen Aufrufzum Mitmachen oder einen Ausblick aufweitere Enthüllungen.

Zum Schluss noch einmal eine deutlicheKlarstellung: Die Theorie, die ich hier alsBeispiel ausgebreitet habe, ist

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vollständig erfunden. Sie ist garantiertwahrheitsfrei und soll lediglich zeigen,wie einfach es ist, aus einer Reihe unver-bundener Tatsachen eine beliebige Ver-schwörungstheorie zu konstruieren. DieRegeln sind dabei als Erfolgsrezepte zusehen, nicht als unverrückbare Naturge-setze. Sie werden lediglich mit Ihrer Ver-schwörungstheorie mehr Erfolg haben,wenn Sie sich daran halten.

Übrigens: Wenn Sie wirklich wissenwollen, ob es heute noch Neandertalergeben könnte, wenden Sie sich bitte aneinen Experten.

Ich weiß es nämlich nicht. Ehrlich.

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9: Die Protokolle derWeisen von ZionDie einflussreichste Verschwörung-stheorie des zwanzigstenJahrhunderts

In der ersten Hälfte des neunzehntenJahrhunderts kam es in Deutschland undÖsterreich zu einer langsamen Auf-hebung der gesetzlichen Restriktionengegen Juden. Ziel war die völlige recht-liche Gleichstellung (Emanzipation derJuden), denn im Zeitalter der Aufklärungerschien eine Diskriminierung nach Reli-gionszugehörigkeit nicht mehr zeit-gemäß. Das revolutionäre Frankreichhatte die rechtliche Gleichstellung

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bereits 1791 beschlossen. Die alten Vor-würfe der Brunnenvergiftung, des Ritu-almords und des Hostienfrevels gegendie Juden betrachteten die Gelehrtenund Staatstheoretiker des neunzehntenJahrhunderts in ihrer überwiegendenMehrheit als Auswüchse des finsterenMittelalters.

Doch jetzt kamen neue Vorwürfe auf.Juden drängten in die Berufe, die ihnenvorher verschlossen waren, sie wurdenÄrzte, Rechtsanwälte und Journalisten.Sie hatten auch gute Erfolge in ihremtraditionellen Tätigkeitsbereich, demHandel und dem Bankwesen sowie inder zunehmenden Industrialisierung.Konservative und klerikale Kreise inganz Europa beobachteten dieseEntwicklung mit Misstrauen. Schriften

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gegen die Juden und die Judenemanzipa-tion begannen zu kursieren. Sie warfenden Juden vor, die Revolutionen inFrankreich und Russland ausgelöst zuhaben, Geheimgesellschaften zu fördernoder selbst zu bilden, durch interna-tionale Geldspekulation ganze Völker zuruinieren, Kriege auszulösen und denKommunismus zu unterstützen.

Besonders in den christlich begrün-deten Schriften mischte sich die Polemikgegen die Juden mit der gegen dieFreimaurer. Das Bindestrichattribut»jüdisch-freimaurerisch« tauchte immerhäufiger auf. Außer dass klerikale Kreisesie als Gegner auserkoren hatten, verb-and die beiden Gruppen sehr wenig. DieFreimaurer waren eine von England aus-gehende Gemeinschaft, die für ihre auf

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Toleranz und Humanität aufbauendeGeisteshaltung bekannt war. Imachtzehnten Jahrhundert verbreitetensie sich über ganz Europa, von den staat-lichen und kirchlichen Autoritäten mis-strauisch beobachtet. Die Symbolik ihrerinneren Rituale ist für Außenstehendegeheim und soll die Gesetzmäßigkeitendes Universums widerspiegeln. Vielejunge Adelige und Bürgerliche wurdenMitglieder von Freimaurerlogen, dar-unter auch der Kronprinz von Preußenund spätere König Friedrich II. Inner-halb der Logen gab es keine Standesun-terschiede, es galt nur die innere Hier-archie. Private übernationale Organisa-tionen mit hochrangigen und ein-flussreichen Mitgliedern hatte es vorherin diesem Ausmaß nicht gegeben. Die

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Freimaurerbewegung löste deshalbheftige Reaktionen aus. Bis heute gilt dieMitgliedschaft in einer Freimaurerlogeals unvereinbar mit der Mitgliedschaft inder katholischen Kirche. Auch staatlicheStellen und konservative Kreise be-trachteten die Logen mit Misstrauen. Esentstand eine lebhafte Literatur über dieFreimaurer mit teilweise abenteuer-lichen Spekulationen über ihre Ritualeund Absichten.

Sowohl die katholische Kirche alsauch die russisch-orthodoxe Kirchegaben sich im neunzehnten Jahrhundertausgesprochen fortschrittsfeindlich undantiliberal. Dazu gehörte auch die Ver-dammung des Freimaurertums und einkaum verhüllter, in Russland sogar aus-gesprochen aggressiver Antisemitismus.

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Das Misstrauen gegen die Juden warauch in der evangelischen Kirche weitverbreitet, in Deutschland beispielsweisetat sich besonders der Berliner Hofpredi-ger Adolf Stoecker hervor.

Der neu aufkommende wirtschaftlicheWettbewerb mit jüdischen Konkurrentenbelebte auch im Bürgertum denAntisemitismus. In Russland begann mitder Ermordung des Zaren Alexander II.,eines vorsichtigen Modernisierers, imJahre 1881 das reaktionäre Regimeseines Sohns Alexander III. Unter denAttentätern seines Vaters war auch dieJüdin Gesja Helfman. Dies lieferte denVorwand für einen staatlich sanktionier-ten Antisemitismus. Die Regierung ließeinen großen Teil der Moskauer Juden(etwa 12 000) vertreiben. Der Rest blieb,

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jedoch unter äußerst schwierigenLebensbedingungen. In ganz Russlandhäuften sich die Pogrome. Die Polizeiging meist nicht dagegen vor oderbeteiligte sich sogar daran. Hetzs-chriften gegen Juden und Freimaurer er-schienen um die Jahrhundertwende innie gekannter Zahl. In dieser Situationerschien in Russland das bisher erfol-greichste antisemitische und anti-freimaurerische Pamphlet der jüngerenGeschichte: Die Protokolle der Weisenvon Zion.

Im Jahre 1903 veröffentlichte dierechtsradikale St. Petersburger ZeitungZnamja (Das Banner) in mehrerenFortsetzungen vom 28.August bis7.September eine Schrift unter dem TitelProgramm der Eroberung der Welt

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durch die Juden. Der Herausgeber PawelKruschewan war ein übler Antisemit, derbereits an der Anstiftung eines Pogromsin Kischinjow beteiligt war. Diese Schriftprotokollierte angeblich eine Sitzung des»Weltbundes der Freimaurer und Weis-en von Zion«, auf der die Teilnehmer dieÜbernahme der Weltherrschaftvorbereiteten und die Struktur einesjüdischen Weltstaates entwarfen. Derunbekannte Autor bediente alle anti-semitischen Stereotypen seiner Zeit. Erbrandmarkte die Juden als Kommun-istenfreunde, Lügner, Kapitalisten, Ter-roristen, Christenfeinde und Unterdrück-er. Allerdings hatte die Zeitung einegeringe Auflage, und die Schrift fandwenig Beachtung.

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Eine deutlich erweiterte Fassung er-schien zwei Jahre später unter dem TitelDie Protokolle der Weisen von Zion alsAnhang zur zweiten Auflage des BuchesDas Große im Kleinen des religiösenSchriftstellers Sergej Nilus. Dasapokalyptisch angehauchte Buch warntevor dem bald zu erwartenden Antichrist.Da passten die Protokolle als »Beleg« füreine jüdische Weltverschwörung natür-lich gut ins Bild. Um die Person desSergej Nilus haben sich eine ganzeReihe Legenden gebildet. So soll er einorthodoxer Priester oder ein Mönchgewesen sein, ein Wandermönch gar, einreligiöser Fanatiker. Neuere Forschun-gen, inbesondere von Michael Hage-meister, zeichnen ein anderes Bild. InWirklichkeit war Nilus als studierter

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Jurist kurze Zeit im Staatsdienst tätig,um sich dann auf sein Landgut zurück-zuziehen. Seine religiösen Traktatefanden in Russland eine große Leser-schaft. Heute sind sie wieder in kirch-lichen Buchhandlungen des Landes zuhaben. Mit seinem Gut hatte er nicht soviel Glück wie mit seinen Büchern: Erwirtschaftete es völlig herunter undlebte später als religiöser Schriftstellerin verschiedenen Klöstern.

Die Protokolle der Weisen im Anhangseines Buches Das Große im Kleinenmachten den russischen Zensoren ein-iges Kopfzerbrechen. Man konnte siedurchaus als Kritik an den zeitgenössis-chen Zuständen im Zarenreich lesen –und das hätten die Zensoren natürlichverbieten müssen. Doch Nilus gelang es

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schließlich, sein Buch mitsamt Anhangzu veröffentlichen und damit einiges Auf-sehen zu erregen. Die Protokolle in derFassung von Nilus verbreiteten sichnach der Russischen Revolution in nurwenigen Jahren über die ganze Welt.

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Vorlagen und Entstehung

Die Vorgeschichte der Protokolle liegtim Dunkeln. In weiten Teilen beruhen sieoffensichtlich auf dem Werk Dialogueaux enfers entre Machiavel et Mont-esquieu (Dialog in der Hölle zwischenMachiavelli und Montesquieu) des fran-zösischen Schriftstellers Maurice Joly.Darin erläutert Machiavelli dem staun-enden Montesquieu den amoralischenGebrauch der Macht in der modernenWelt. Joly hatte seinen Text als Satireauf die Regierung von Napoleon III. ges-chrieben. Er legte Machiavelli genau dieDinge in den Mund, die Napoleon III.

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tatsächlich tat. Vorsichtshalber ließ Jolysein Werk im Jahre 1864 anonym in Bel-gien veröffentlichen, aber die Polizei inFrankreich ermittelte ihn trotzdem sehrbald als Autor. Seine gelungene Satirewar der französischen Justiz 15 MonateGefängnis wert.

Der Autor der Protokolle passte dieSchrift von Joly den russischen Verhältn-issen an; etwa 40 Prozent der Protokollesind als direktes Plagiat anzusehen. Hin-zu kamen Motive aus dem 1868 er-schienenen Kolportageroman Biarritzdes deutschen Autors Hermann Goed-sche. Unter dem Pseudonym Sir JohnRetcliffe schrieb der erzkonservativepreußische Journalist Goedsche zwis-chen etwa 1835 und 1870 eine ganzeReihe von Kolportageromanen mit

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teilweise grausamen und pornographis-chen Inhalten. Er vertrat dabei eine kon-sequent antidemokratische und – schonfür seine Zeit – reaktionäre Linie.Trotzdem waren seine Romane populär.In Biarritz lässt er Vertreter der zwölfStämme Israels nachts auf dem jüdis-chen Friedhof in Prag zusammenkom-men und über ihre Fortschritte bei derErringung der Weltherrschaft berichten.Sie wissen nicht, dass zwei heimlicheZuschauer Zeuge der Sitzung werden.Die beiden hören entsetzt, dass dieJuden unter anderem vorhaben, dieBörsen zu beherrschen, den Adel inSchulden zu stürzen, die Industrie gegendas Handwerk zu stärken, Staat undKirche zu trennen, Revolutionen anzu-fachen, Juden den Zugang zum

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öffentlichen Dienst zu ermöglichen, sichmit Christen zu vermischen, um derenRasse zu verschlechtern, die Presse zuübernehmen und Kriege zu führen.

Die Szene ist völlig überzogen. Goed-sche legte den Juden verschiedene For-derungen der zeitgenössischen Liberalenin den Mund, die angeblich die Christen-heit unter die Herrschaft der Juden zwin-gen würden. Dazu kommen erste An-sätze der antisemitischen Rassenideolo-gie. Goedsche war in seinen Romanenübrigens schnell zur Hand, anderenGruppen böse Absichten zu unterstellen.Im Roman Biarritz waren es die Juden, inanderen Romanen die Engländer, dieFranzosen, die Freimaurer, die Jesuitenoder die Sozialdemokraten – solcheGruppen also, denen ein reaktionärer

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protestantischer Preuße äußerstes Mis-strauen entgegenbrachte.

Die Darstellung der Juden alsgrausam, verschlagen und zynisch wirktselbst im Rahmen eines Trivialromanslächerlich. Trotzdem wurde diese Szeneals angeblich wahrer Bericht ab densiebziger Jahren des neunzehntenJahrhunderts in ganz Europa veröffent-licht. Den Anfang machte ein russischesPamphlet im Jahre 1870. Die bei Goed-sche noch getrennten Reden der ein-zelnen Stämme wurden dabei zur »Rededes Rabbi« zusammengefasst, und Goed-sches Pseudonym »Sir John Retcliffe«mutierte zu »Readclif«, der entweder alsOberrabbiner oder als tragischer anti-semitischer Held auftrat.

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Aus einer französischen Satire undeinem deutschen Schauerroman alsomontierte der Autor der Protokolleknapp die Hälfte seines Textes.

Seine Identität kennen wir bis heutenicht, deshalb gibt es eine ganze Reihevon Theorien. Nach der gängigsten hatPjotr Ratschkowski, der Leiter des Russ-ischen Auslandsgeheimdienstes, die Pro-tokolle gefälscht oder fälschen lassen,um im Auftrag reaktionärer Kreise dieReformpolitik des russischen Finanzmin-isters Sergej Witte anzugreifen. Ratsch-kowski zog es vor, in Paris zu wohnen,und richtete auch seine Behörde dortein.

Eventuell hat auch der russischePublizist Elia de Cyon, ein erbitterterFeind Wittes, eine erste Fassung der

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Protokolle geschrieben, die Ratsch-kowski dann vollendete. Zwei Zeugenwollen eine französische Urschrift derProtokolle gesehen haben. Allerdingssind ihre Aussagen zweifelhaft.

Der italienische Slawist Cesare deMichelis kam nach einer akribischen Un-tersuchung der frühesten verfügbarenrussischen Ausgaben der Protokolle zudem Ergebnis, dass es wahrscheinlichkein französisches Original gegeben hat.Vielmehr wurde die Urschrift seinerAuffassung nach in russischer Spracheverfasst, und zwar wegen der auffälligenAusdrucksweise vermutlich von einemSüdrussen oder Ukrainer. Außerdemwären die Protokolle kaum geeignetgewesen, dem Finanzminister zuschaden. Dafür waren sie zu langatmig

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und zu verworren. Die Einführung desGoldstandards (Bindung der Währung anden Goldpreis), eines der zentralen Pro-jekte von Witte, erscheint zwar in denProtokollen als perfide Erfindung derJuden, aber an sehr unauffälliger Stelle.Hätte Ratschkowski Witte wirklich an-greifen wollen, hätten ihm bessere Mit-tel zu Gebote gestanden. Im Übrigenwar Ratschkowski ein Protegé von Witte,und Wittes Sturz hätte ihm sehr schadenkönnen. Angesichts der verschachteltenIntrigen in der russischen Regierungund am Zarenhof wäre es zwar denkbar,dass Ratschkowski heimlich die Seitengewechselt hatte, aber letztlich ist dasSzenario nicht unbedingt überzeugend.

Waren die Protokolle vielleicht aus-drücklich als Fortsetzungsgeschichte für

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die Zeitung Znamja geschrieben worden,um das kränkelnde Blättchen interess-anter zu machen? Möglich wäre es: DieProtokolle gliedern sich in 24 einzelneSitzungen, die inhaltlich abgeschlossensind. Ihrer Form nach sind die Protokolledurchaus als Fortsetzungsgeschichtegeeignet. Es gibt allerdings keinekonkreten Hinweise darauf, dass sie tat-sächlich vom Herausgeber der Zeitungin Auftrag gegeben wurden. Znamjaprofitierte auch nicht vom Abdruck derProtokolle: Die Zeitung blieb unbedeu-tend und wurde bald eingestellt.

Zwei Jahre später, im Dezember 1905,veröffentlichte Sergej Nilus eine erweit-erte und aktualisierte Version der Pro-tokolle. Es war weder die erste noch die

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einzige Ausgabe, aber die bekanntesteund am häufigsten übersetzte.

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Der Inhalt

Formal handelt es sich bei den Pro-tokollen um 24 einzelne »Sitzungen«, diewiederum in unterschiedlich viele Ab-schnitte gegliedert sind. Ein anonymerRedner stellt darin das Programm einerOrganisation vor, die er in einer kurzenVorrede »unser Bund« nennt, ohne sienäher zu beschreiben. Er gibt sich in-direkt als Jude zu erkennen, weil er zwis-chen »uns« und »den Gojim(Nichtjuden)« unterscheidet. Ein inhalt-licher Zusammenhang zwischen denSitzungen und selbst zwischen den Ab-schnitten fehlt in vielen Fällen, ein

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logischer Aufbau ist nicht auszumachen.Die Texte sind als Vortragsmanuskriptemit persönlicher Anrede der Zuhörergestaltet.

Der anonyme Vortragende lässt sichin den ersten zwölf Sitzungen imWesentlichen über den Niedergang derchristlichen Staaten aus, die Schwächedes Königtums und die Einführung derDemokratie. Er behauptet, die Juden hät-ten all dies zur Schwächung derNichtjuden absichtlich verursacht. Dage-gen lobt er die Zarenherrschaft: »Nureine von Jugend an zur Autokratie erzo-gene Persönlichkeit kann die Prinzipiender großen Richtlinien der Staatskunsterkennen und anwenden.« Der russischeZar war ein sogenannter Autokrat, einunumschränkter Alleinherrscher. Über

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die Demokraten sagt er dagegen: »Siewerden kein anderes Ziel erreichen, alsdas ganze Volk zu verderben.« Der Autorlässt den Vortragenden alle Schreckender Moderne aufzählen, genauer gesagt:alles, was ein reaktionärer russischerMonarchist zu Beginn des zwanzigstenJahrhunderts dafür hielt.

Dazu gehört unter anderem: dieHerrschaft der Massen, die Macht vonGewerbetreibenden und Industrie, derReichtum von Banken und Spekulanten,die Bestechlichkeit der Beamten, derNiedergang des Adels, die Schwäche desZaren, die zersetzende Wirkung vonMarx, Darwin und Nietzsche, die Presse-freiheit, der gewachsene Einfluss derLiberalen, das unverschämte Auftretenreicher Emporkömmlinge. Das alles

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schreibt er dem Einfluss der Juden zu,die damit die Nichtjuden schwächen undihre Weltherrschaft vorbereiten wollen.

Über die Methoden zur Erlangung derWeltherrschaft äußert er sichwidersprüchlich:

• In der dritten Sitzung sollen aufge-hetzte Massen allen Widerstandhinwegfegen, in der fünften Sitzungdagegen soll das Volk mittels end-loser Reden, dem Säen von Streitund der Erziehung zurEntschlusslosigkeit so lange ermü-det werden, bis es freiwillig dieHerrschaft an den Judenkönigabtritt.

• In der siebten Sitzung will der Vor-tragende Streit zwischen die

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Staaten Europas tragen und dieDiplomatie restlos verwirren. Wennein Staat den Juden Widerstandleistet, sollen die Juden seine Nach-barn zum Krieg gegen ihn auf-stacheln. Wenn alle Staaten Wider-stand leisten, sollen die Juden einenWeltkrieg entfesseln. Und wennalles nichts hilft, will der Vortra-gende »amerikanische, japanischeund chinesische Geschütze« zu Hil-fe rufen, um die nichtjüdischenStaaten Europas niederzuzwingen.

• In der zehnten Sitzung hingegensollen mit den Juden verbündeteFreimaurerlogen sowie das allge-meine Wahlrecht und »das Gift derLiberalität« die Staaten Europas soweit schwächen, dass der jüdische

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König sie kampflos übernehmenkann. Die Freimaurerlogen sollenalle Verfassungen beseitigen undheimlich die Alleinherrschaftübernehmen.

• In einer weiteren Variante schließ-lich sollen die Völker durch Un-ruhen, Streit, Seuchen und Kriegedazu gebracht werden, dieHerrschaft freiwillig in jüdischeHände zu legen (ebenfalls zehnteSitzung).

Der zweite Teil der Protokolle befasstsich mit dem Aufbau des künftigenKönigreichs Zion. Darin soll die Justizunbestechlich, die Beamten ehrlich undfleißig sein (bei strengen Strafen fürFehlverhalten). Die Presse ist

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gleichgeschaltet. Die Massen werden gutgefüttert und unterhalten, um sie ruhigzu stellen. Geheimbünde sind verboten,jede Opposition wird unterdrückt. DerGeldverkehr ist genau geregelt. DieArbeitslosigkeit wird beseitigt, dieTrunksucht verboten, der Luxus regle-mentiert, jeder hat seinen zugewiesenenPlatz. Schwache Könige müssen ab-danken, schwache Königssöhne aufThronansprüche verzichten. Der un-bekannte Autor der Protokolle breitethier das Idealbild eines paternalistisch-autokratischen Staates aus – so ideal,dass es bereits zur Karikatur wird. DerKönig und seine Berater regieren weiseund gerecht. Wer aufmuckt, wird strengbestraft, wer sich fügt, hat sein gutesAuskommen.

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Wollte der Autor dem Zaren den Auf-bau eines autokratisch-totalitären Wohl-fahrtsstaates empfehlen, um sein Reichzu stabilisieren? Oder zeichnet er dasJudenreich als Modell einer perfiden undfast unüberwindbaren Fremdherrschaft?Allein aus dem Text kann man das nichtentscheiden.

Insgesamt zeigen die Protokolle dieWelt aus der Sicht eines reaktionärenMonarchisten in Russland zu Beginn deszwanzigsten Jahrhunderts. Er klagt überden Niedergang alter Werte undHerrschaftsformen und über dieeklatante Charakterschwäche des ZarenNikolaus II. Daher stammt wohl die An-spielung auf den Ausschluss schwacherKönigssöhne von der Thronfolge. All daslastet der Autor den Juden an. Diese

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Schuldzuweisung war im antisemitischgeprägten Umfeld russischer National-isten zu dieser Zeit durchaus nicht un-gewöhnlich. Nun könnte man vielleichtannehmen, dass der Autor, aufbauendauf der Satire von Maurice Joly, einescharfe Kritik an den russischen Verhält-nissen schreiben wollte und die Judennur vorgeschoben hat. Davon könnte ersich versprochen haben, die russischeZensur zu umgehen, die eine direkteKritik vermutlich nicht genehmigt hätte.Jedoch enthalten die Protokolle einigewüste antisemitische Ausfälle in derForm von Selbstbezichtigungen desVortragenden.

»Von uns geht das Schreckgespenst,der allumfassende Terror aus« und »Wirverfügen über ungeheuren Ehrgeiz,

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brennende Habgier, unnachsichtigeRachsucht und unerbittlichen Hass«,heißt es in der neunten Sitzung. Und inder elften Sitzung: »Die Nichtjuden sindeine Schafherde, wir Juden aber sind dieWölfe.«

Die Darstellung der Juden in den Pro-tokollen als angebliche Verderber derChristenheit ist also nicht zur Umgehungder zaristischen Pressezensur gedacht,sondern sie entspringt der ausdrücklichantisemitischen Absicht des Autors: Erwill die Juden verleumden. Er nutzt nichtnur die antisemitischen Klischees seinerZeit, er führt sie sogar weiter aus alsviele seiner Zeitgenossen.

Die Protokolle sind so eng an die russ-ischen Verhältnisse um 1900 angelehnt,dass eine Entstehung in Frankreich

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nahezu ausgeschlossen ist. Nicht nur dieInhalte, sondern auch die Auslassungendeuten darauf hin. Es fehlen alle Hin-weise auf politische Ereignisse inFrankreich nach der Revolution. Der ver-lorene Krieg gegen Preußen 1870/71, dieDreyfusaffäre, die Furcht vor Jesuiten-verschwörungen, die Illuminaten als Ver-bündete der Juden – das alles erwähnendie Protokolle mit keinem Wort. Auch dieeuropäische Kolonisation Afrikas undAsiens kommt in den Protokollen nichtvor, obwohl sie für die angeblichenWeltherrschaftspläne der »Weisen vonZion« einen guten Hintergrundabgegeben hätte. Die Protokolle re-flektieren also nicht die Sicht eines Fran-zosen und auch nicht die eines weltläufi-gen Russen in Frankreich, sondern die

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eines russischen Reaktionärs in Russ-land mit geringen Verbindungen zumWesten. Der Mann war zudem kein ver-sierter Schriftsteller, denn den Pro-tokollen fehlt jede literarische Qualität.Die Sätze wirken schwerfällig, ein Span-nungsbogen oder ein Höhepunkt fehlt.Die Argumentation ist langatmig undwidersprüchlich.

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Weltweite Verbreitung

Die Protokolle waren von Anfang an vonMythen umrankt. Das begann bereits mitder ersten nachweisbaren Veröffent-lichung in der Znamja. Die Redaktionerklärte, dass die Protokolle Übersetzun-gen von Sitzungsmitschriften des inFrankreich ansässigen »Weltbundes derFreimaurer und Weisen von Zion« seien.Es sei nicht bekannt, wie und wo dieProtokolle kopiert worden seien, aberman hege keinerlei Zweifel an ihrer Ech-theit. Überhaupt seien die Juden wegendes neu aufgekommenen Zionismus, derberufen sei, alle Juden der Welt in einem

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Bund zu vereinigen, besonders gefähr-lich. In einem Nachwort wies der an-onyme »Übersetzer« darauf hin, dass dieProtokolle aus einem ganzen Buch vonProtokollen herauskopiert seien. Mehrhabe man in der Kürze nicht abs-chreiben können.

Zwischen 1905 und 1907 veröffent-lichte Georgi Butmi für den rechts-radikalen »Bund des russischen Volkes«die Protokolle mehrfach unter ver-schiedenen Titeln. Er schrieb dazu, dieProtokolle seien »in fragmentarischerForm« aus den in Frankreich beheimat-eten »Geheimarchiven der Zentralkan-zlei von Zion« (die es nicht gibt) entwen-det worden. Wo und wann die Reden ge-halten worden sein sollen, ließ er aus-drücklich im Dunkeln. 1905 erschienen

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gleich dutzendweise weitere Ausgabender Protokolle, jeweils mit kleinerenoder größeren Abweichungen. Meist ver-wiesen die Herausgeber auf einen fran-zösischen Urtext. Sergej Nilus gab an,ein Freund habe ihm im Jahre 1901 dasManuskript übergeben. Der wiederumhabe es von einem einflussreichenFreimaurer.

Selbst in reaktionären Kreisen fandendie Protokolle bis zur Oktoberrevolutionkaum Beachtung; sie gingen unter ineiner riesigen Welle von national-istischer, konspirativer und antisemit-ischer Schundliteratur, die damals denMarkt überschwemmte. Ab 1917 schriebNilus die Protokolle dem ZionistenführerTheodor Herzl zu. Dieser habe die dortaufgezeichneten Reden insgeheim auf

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dem Basler Zionistenkongress von 1897gehalten. Das war blanker Unsinn, aberes half offenbar: In den nächsten Jahrentraten die Protokolle ihren Weg um dieWelt an. Von Mai bis Oktober 1920 ließder Industrielle und Antisemit HenryFord in seiner eigenen Zeitung DearbornIndependant eine englische Übersetzungdrucken, die er 1921 in dem Buch TheInternational Jew: The World’s ForemostProblem zusammenfasste.

Die ehrwürdige Londoner Times veröf-fentlichte am 8.Mai 1920 unter dem TitelThe Jewish Peril einen Artikel über dieProtokolle. Darin zeigte sie sichbeeindruckt von der »unheimlichen An-mutung von Vorauswissen« und wies da-rauf hin, dass sich die Vorhersagen »zumTeil bereits erfüllt« hätten. Bis Ende

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1920 waren die Protokolle ins Englische,Französische, Deutsche, Polnische undItalienische übersetzt. Für die plötzlicheVerbreitung war aber nicht nur die an-gebliche Autorenschaft Theodor Herzlsverantwortlich. Zwischen 1905 und 1920hatte sich die Welt vollkommen ver-ändert: Der Erste Weltkrieg und dieRussische Revolution hatten die alteOrdnung unwiderruflich aus den Angelngehoben. Das Zarenreich existierte nichtmehr, die Zarenfamilie war ermordet,der deutsche und der österreichischeKaiser hatten abgedankt. Das mächtigehabsburgische Kaiserreich war in eineReihe von Kleinstaaten zerfallen. Mehrals acht Millionen tote Soldaten lagenauf den Schlachtfeldern in Frankreich,Russland und in den Alpen.

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Die Staaten Europas hatten sich ge-genseitig zerfleischt. Für viele Europäerdieser Epoche war das ein unbegreif-liches Ereignis, hielt sich Europa dochfür kulturell überlegen und berufen, al-ler Welt die Errungenschaften der Zivil-isation zu bringen. RussischeEmigranten, die nach der bols-chewistischen Machtergreifung geflohenwaren, trugen in ihrem Gepäck die Pro-tokolle in alle Länder Europas underklärten jedem, der es hören wollte,dass dort bereits alles vorhergesagtwurde, was in Europa tatsächlich ein-getreten war.

Stand nicht darin, dass die Juden diechristlichen Völker gegeneinander het-zen, ja, einen Weltkrieg entfesseln woll-ten? Dass sie die Massen gegen die

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Regierungen führen wollten, wie inRussland tatsächlich geschehen? Warennicht viele Bolschewiken Juden?

Juden und russische Revolution

Die Juden hatten unter dem staatlich ge-förderten Antisemitismus der späterenZarenzeit (ab 1881) sehr gelitten. De-shalb schlossen sich viele von ihnen denRevolutionskräften an. Im russischenBürgerkrieg nach der Oktoberrevolutionermordeten die Weißen, die Koalitionder antibolschewikischen Kräfte,Tausende von Juden, so dass die Judenallen Grund hatten, auf Seiten der Bols-chewiki zu bleiben. Der französischeHistoriker Léon Poliakov weist indiesem Zusammenhang darauf hin, dass

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Balten, insbesondere Letten, eineentscheidende Rolle beim Sieg der Bols-chewiki im Bürgerkrieg spielten. Davonspricht niemand mehr, während diejüdische Beteiligung immer wieder her-vorgehoben wird.

In Deutschland gingen zudem diefalschen Gerüchte um, dass die Judensich am Krieg bereichert und vor denKämpfen an der Front gedrückt hätten.In Wahrheit hatten Juden ebenso gekäm-pft wie alle anderen, es waren im Ver-hältnis ebenso viele gestorben, und eswaren sogar überproportional vieleJuden wegen ihrer Tapferkeit aus-gezeichnet worden. Aber die Gerüchtewollten nicht verstummen, und die

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Übersetzungen der Protokolle trugenihren Teil zum militanter werdendenAntisemitismus bei.

Tatsächlich waren die Protokollebereits sehr früh als Fälschung enttarntworden. Bereits im Jahre 1905 hatte dierussische Regierung herausgefunden,dass die Protokolle nicht der Wahrheitentsprachen, also kein tatsächlichesEreignis wiedergaben. Im Jahre 1921stellte Philip Graves, der Times-Korres-pondent in Konstantinopel fest, dass dieProtokolle zu einem beträchtlichen Teilaus dem Buch von Maurice Joly abges-chrieben waren. Die Times veröffent-lichte im August 1921 drei Artikel vonGraves, in denen er die Protokolle alsPlagiat entlarvte. Von da an waren dieProtokolle in England diskreditiert und

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nur noch ein Thema für unverbesserlicheVerschwörungstheoretiker wie beispiels-weise Nesta Webster.

Anders in den USA: Die im Jahre 1921erschienene Übersetzung erreichte inden folgenden Jahren eine Gesamtau-flage von 500 000 Exemplaren. Die erstedeutsche Übersetzung erreichte bisEnde des Erscheinungsjahres 1920bereits die sechste Auflage. Herausge-ber war der Antisemit Ludwig Müller,der sich mit den Pseudonymen Müllervon Hausen und Gottfried zur Beekgleich zwei falsche Adelstitel zugelegthatte (falsche Adelstitel erfreuten sich inrechtsradikalen Kreisen damals großerBeliebtheit). Der ebenfalls sehr aktiveAntisemit Theodor Fritsch übersetzte imgleichen Jahr die amerikanische Version

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und veröffentlichte sie unter dem Titel:Die zionistischen Protokolle. Das Pro-gramm der internationalen Geheimre-gierung. Diese Version erreichte bis1933 zwölf Auflagen. Bis Anfang derdreißiger Jahre dürften in Deutschlandsicherlich mehr als einhunderttausendExemplare der Übersetzungen in Umlaufgewesen sein. Selbst in Japan erschieneine Übersetzung, obwohl die Idee einerjüdischen Verschwörung dort völligbedeutungslos war. Die Protokolle wur-den stattdessen als ein Beleg einer vonChina ausgehenden Bedrohunginterpretiert.

In Deutschland bemächtigten sich dieNationalsozialisten der Protokolle undbauten sie in ihre antijüdische Propa-ganda ein. Im Jahre 1939 stellten sie

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allerdings die Verbreitung ein. Warihnen aufgefallen, dass die in den Pro-tokollen vorgestellte Utopie vom total-itären Wohlfahrtsstaat einige Aspekteder nationalsozialistischen Diktatur er-staunlich genau beschrieb? Wir wissenes nicht. Es gibt keine Dokumente überdie Gründe des plötzlichenUmschwenkens.

Mehrere Gerichtsprozesse bestätigtenin den dreißiger Jahren den Status derProtokolle als Fälschung. Der berühm-teste ging in der Schweiz 1934/1935 und1937 durch zwei Instanzen. Ein in der er-sten Instanz erlassenes Verbot der Ver-breitung hob die zweite Instanz aus for-malen Gründen wieder auf, doch ließendie Richter keinen Zweifel daran, dass

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sie die Protokolle für eine übleFälschung hielten.

Die Antisemiten störte das aber nicht.In seinem Buch Mein Kampf schriebAdolf Hitler im Jahre 1924: »Sie (die Pro-tokolle) sollen auf einer Fälschung ber-uhen, stöhnt immer wieder die Frank-furter Zeitung in die Welt hinaus: der be-ste Beweis dafür, dass sie echt sind.«Andere Antisemiten versuchten die Pro-tokolle den verschiedensten jüdischenOrganisationen anzuhängen, wirklichenoder eingebildeten, und wollten sogarbeweisen, dass der katholische MauriceJoly in Wahrheit ein Jude war. Eine weit-ere Argumentationslinie erklärte es fürunwesentlich, ob die Protokolle echtoder falsch seien, jedenfalls gäben siedie Ziele und Methoden der Juden

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richtig wieder. Warrant for Genocidebetitelte der britische Historiker Nor-man Cohn sein erstmals 1967 er-schienenes Buch über die Protokolle. Diefiktive Gefahr der jüdischen Weltver-schwörung, so schreibt er darin, gab denNationalsozialisten eines der wichtigstenStichworte für den Massenmord an denJuden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ver-schwanden die Protokolle in den west-lichen Staaten aus der öffentlichenDiskussion. Die meisten Menschen wis-sen nichts mehr von ihnen. In rechts-radikalen Kreisen wurden sie allerdingsnie vergessen. In Amerika hielten einigeradikal-christliche Splittergruppen wiedas »Christian Identity Movement« an

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der Echtheit der Protokolle fest. In denneunziger Jahren begannen einigeAutoren in Deutschland, England undAmerika, die Protokolle als illuminat-ische Schriften zu bezeichnen. Deramerikanische Verschwörungstheor-etiker Milton William Cooper nahm dieProtokolle im Jahre 1991 als Anhang insein Buch Behold a pale horse auf. Erschrieb dazu, die Juden seien gar nichtgemeint gewesen, vielmehr müsse man»Juden« durch »Illuminaten« ersetzen.Der englische Journalist David Icke, derdie Welt bekanntlich von außerirdischenReptilien regiert sieht, deutet das ganzähnlich und spricht deshalb gleich vonden Illuminaten-Protokollen.

In Deutschland brachte Jan Udo Holeydie Illuminaten, die er für eine jüdisch-

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freimaurerische Verschwörung hält, mitden Protokollen in Verbindung. Dabeihält er es für unwesentlich, ob die Pro-tokolle echt oder falsch sind. Die darinbeschriebenen Pläne, so Holey, würdenjedenfalls verfolgt. Holey legt übrigens,wie auch Cooper und Icke, Wert darauf,kein Antisemit zu sein. Seit derAntisemitismus gesellschaftlich geächtetist, findet man immer mehr Autoren, diejüdischen und israelischen Organisation-en alle möglichen finsteren Absichtenoder Verbrechen unterstellen, abergleichzeitig betonen, keine Antisemitenzu sein. Tatsächlich aber übernehmensie die mit den Juden verbundenen neg-ativen Stereotypen ebenso unkritischwie die bekannten antisemitischenFälschungen (zu denen neben den

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Protokollen unter anderem der Warburg-Bericht gehört, der eine Finanzierungder Nationalsozialisten durch die jüdis-che Privatbank Warburg behauptet undmit gefälschten Dokumenten zu belegenversucht).

In arabischen Ländern wurden dieProtokolle nach dem Zweiten Weltkriegfester Teil der antiisraelischen Propa-ganda. Sie werden dort vielfach nochheute für echt gehalten. Arabische Führ-er wie der ehemalige ägyptische Präsid-ent Nasser und König Faisal von Saudi-Arabien empfahlen sie zur Lektüre. Am3.Februar 2002 schrieb die ägyptischeZeitung Al-Akbar:

»Alle Übel, die gegenwärtig die Weltheimsuchen, sind die Werke des Zionis-mus. Das überrascht nicht, weil die

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Protokolle der Weisen von Zion, vonihren weisen Männern vor einemJahrhundert angelegt, nach einem ped-antischen und präzisen Schema undZeitplan ablaufen, und sie beweisen,dass, obwohl sie [die Juden] nur eineMinderheit sind, es ihr Ziel ist, die Weltund die gesamte menschliche Rasse zubeherrschen.«

Die Protokolle sind in Arabien nochimmer weit verbreitet. Erst am 17.Mai2005 forderte die amerikanische Anti De-famation League die palästinensischeSelbstverwaltung auf, die auf ihrem off-iziellen Webserver angebotene arabischeÜbersetzung der Protokolle vom Netz zunehmen. Dies geschah prompt am darauffolgenden Tag, aber damit war die ar-abische Übersetzung der Protokolle

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natürlich nicht aus dem Internetverschwunden.

In Russland, dem Ursprungsland derProtokolle, war die Schrift während derSowjetzeit verboten. Ihre Verbreitungkonnte mit Lagerhaft geahndet werden.Es gehört zu den vielen Widersprüchensowjetischer Herrschaft, dass SergejNilus, der bekannteste Propagandist derProtokolle, niemals ernsthaft belangtwurde. Die Behörden haben ihn wohlmehrfach verhaftet, aber niemalslängere Zeit festgehalten oder verurteilt.Er starb 1929 im Alter von 66 Jahren inder Sowjetunion eines natürlichenTodes. Mit der Perestroika und demEnde der Sowjetunion tauchte auch derrussische Nationalismus wieder auf –und mit ihm die Protokolle. Erstaunlich

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viele Intellektuelle und hohe Würden-träger der orthodoxen Kirche bis zurEbene der Bischöfe und Metropolitenhalten die Protokolle für authentisch,also für die Niederschrift einer tatsäch-lich gehaltenen Rede. Die Zeitung DieWelt berichtete am 16.September 2005,dass auf der Moskauer Buchmesse desJahres 2005 erschreckend viele anti-semitische und nationalistische Bücherausgestellt wurden. Ein gewisser OlegPlatonow versucht in seinem Buch Rät-sel der Protokolle von Zion deren Ech-theit nachzuweisen. Selbst der Bücher-stand im Foyer des russischen Parla-mentsgebäudes führt Bücher wie die vonder orthodoxen Kirche initiierteKriminelle Geschichte des Judentums

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(2005) oder Der Zionismus im Systemdes Antikommunismus (2003).

Davon sieht man allerdings inDeutschland kaum etwas. Die hiesigenVerschwörungstheorien stammengrößtenteils aus rechtsextremen KreisenAmerikas und tauchen, angereichert umverklausulierte Entschuldigungen derNazi-Herrschaft, vorwiegend in derrechts-esoterischen Literatur auf.

Auch die Verschwörungstheoretiker derextremen Linken bedienen sich gele-gentlich der Protokolle.

So schrieb Mathias Bröckers am2.März 2002 unter dem Titel »The Kosh-er Conspiracy« einen Artikel im Online-Magazin Telepolis des Heise Verlages.Der Artikel taucht in überarbeiteter

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Form auch in seinem Buch Ver-schwörungen, Verschwörungstheorienund die Geheimnisse des 11. 9. auf. Dar-in breitete er die Theorie aus, dass Is-raels Regierung mittels Erpressung dieamerikanische Regierung kontrolliert.Bröckers schreibt:

»Auf diesem Hintergrund wird aucheine Äußerung von Ariel Sharon ge-genüber seinem AußenministerPeres verständlich, der ihn AnfangOktober wegen seiner aggressivenPolitik kritisiert hatte: ›Jedes Mal,wenn wir etwas tun, erzählst du mir,Amerika wird dies oder das tun …Ich will dir etwas sehr klar sagen:Mach dir keine Sorgen über denamerikanischen Druck auf Israel.Wir, die Juden, kontrollieren

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Amerika, und die Amerikaner wissendas.‹ Dieses von Sharons Sprecherspäter im Wortlaut nicht bestätigteZitat, das in einer Radiodebatte am3.Oktober im Sender Kol Yisrael Ra-dio fiel, leitet Wasser auf die klassis-chen Mühlen der ›jüdischenWeltverschwörung‹ und der unterMuslimen wie bei den Rechts-radikalen im Westen nach wie vorgängigen Propaganda der Protokolleder Weisen von Zion. Docheingedenk des Hinweises von Han-nah Arendt, dass Hitler letztlich zueinem ›Schüler‹ der von ihm als Pro-pagandainstrument eingesetztenVerschwörungstheorie wurde (siehe›Die ›Weisen von Zion‹ … ‹) könnenwir Sharon unterstellen, dass seine

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Konsequenzen aus Auschwitz darinbestehen, Hitlers rassistischen Ver-folgungswahn »mehr oder weniger«unbewusst zu kopieren.«

Der Text verweist auf ein Zitat von Han-nah Arendt im Abschnitt »Die Weisenvon Zion« von Bröckers Buch: »DieNazis begannen mit einer ideologischenFiktion einer Weltverschwörung und or-ganisierten sich mehr oder weniger un-bewusst nach dem Modell der fiktivenGeheimgesellschaft der Weisen vonZion.«

Der Journalist Tobias Jaecker hat dengesamten Text von »The Kosher Conspir-acy« in seinem Buch Antisemitische Ver-schwörungstheorien nach dem11.September ausführlich analysiert. Hi-er möchte ich mich auf den Teil

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beschränken, der sich mit den Pro-tokollen befasst. Der zentrale Punkt vonBröckers’ Argumentation, dasangebliche Sharon-Zitat, ist eine Erfind-ung. Es stammt aus einer Pressemit-teilung der Islamic Association forPalestine (IAP) vom 3.Oktober 2001. DieIAP wiederum ist eine amerikanischeGruppe, die der palästinensischenHAMAS nahesteht. Bröckers verweistaber nicht dorthin, sondern auf eine an-dere israelkritische Seite, die ihrerseitsdie Quelle ihrer Information eindeutigidentifiziert (IAP news). Bröckers zitiertden amerikanischen Text falsch und ver-schärfend. Im Original heißt es, dasSharon-Zitat stamme aus einer Kabinett-ssitzung, über die der hebräischsprac-hige israelische Sender Kol Yisrael

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berichtet habe. Mathias Bröckersschreibt stattdessen, Sharon habe dieSätze während einer Radio-Debatte, alsoöffentlich, ausgesprochen. Der SenderKol Yisrael betonte gegenüber deramerikanischen Organisation CAMERA,niemals über eine solche ÄußerungSharons berichtet zu haben. Außer derIAP hat auch niemand davon gehört, ob-wohl viele Journalisten aus aller Weltständig in Israel Radio hören. Dasangebliche Sharon-Zitat ist also of-fensichtlich erfunden.

Um Hitler, Sharon und die Protokollezu verbinden, stützt sich Bröckers aufHannah Arendt. Die weltbekannte His-torikerin und Soziologin Hannah Arendtmusste 1933 als Jüdin aus Deutschlandund 1940 erneut aus Frankreich fliehen

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und lebte fortan in den USA. Mit demklassischen Werk Elemente und Ur-sprünge totaler Herrschaft gelang ihreine scharfsinnige Analyse totalitärerHerrschaft im zwanzigsten Jahrhundert.

Bröckers’ Arendt-Zitat stammt auseinem Textabschnitt, der sich mit demAufbau der Organisationen der Nation-alsozialisten und Bolschewisten nachdem Muster von Geheimgesellschaftenbefasst. Bröckers bezieht das Zitat je-doch eindeutig auf Sharons Methodenoder Ziele, nicht auf die Organisationseiner Partei. Zum Verhältnis der Na-tionalsozialisten zu den Zielen und Meth-oden der Protokolle vertritt HannahArendt aber die Auffassung, dass die Na-tionalsozialisten die Protokolle sehr

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bewusst als Zielvorgabe verwendeten.Sie schreibt:

»Die einzige positive Antwort, dieeine ganz außerordentliche Attrak-tion für die Massen hatte und wegenihrer offenbaren Abenteuerlichkeitdennoch so gut wie unbeachtetblieb, lag in der Art, wie sich diesePropaganda der so genannten Pro-tokolle der Weisen von Zion zu be-dienen wusste, nämlich als einesHausbuches für die künftige Organ-isation deutscher oder arischerMassen für die Errichtung einesWeltreiches.« (…) Die Fikton einergegenwärtigen jüdischenWeltherrschaft bildete dieGrundlage für die Illusion einer

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zukünftigen deutschenWeltherrschaft.«

Legt man also die passenden Zitate vonHannah Arendt zugrunde, so fällt dieVorstellung einer unbewussten Orien-tierung Sharons an den Protokollen weg.Vielmehr verdichtet sich die Aussagevon Bröckers dahin, dass Sharon nachdem Muster der Protokolle und alsSchüler Hitlers eine totalitäreWeltherrschaft anstrebt. Glaubt MathiasBröckers das tatsächlich oder überspitzter lediglich seinen Angriff auf Sharon?

Sein Artikel übernimmt den alten anti-semitischen Vorwurf, Juden hätten zwarvielleicht die Protokolle nicht ges-chrieben, aber sie handelten danach.Das belegt Bröckers, ganz in der Tradi-tion der Protokolle, mit zwei angeblichen

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Äußerungen von Juden, von denen dieeine erfunden und die andere in einenfalschen Zusammenhang gestellt ist.

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Mythos der Protokolle

Warum löst eine über hundert Jahre alte,längst als Plagiat entlarvte Schmähs-chrift gegen die Juden noch immer erbit-terte Auseinandersetzungen aus? Warumverrottet sie nicht längst, wie andere an-tisemitische Schriften ihrer Zeit, aufdem Müllhaufen der Geschichte? Derwohl wichtigste Grund ist die Mythifiz-ierung der Protokolle. Die fehlendeGewissheit über den Verfasser schafftRaum für diejenigen, die an eineWeltverschwörung glauben und deshalbdie Protokolle als Niederschrift einerwirklich gehaltenen Rede ansehen

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wollen. In den angeblich eingetroffenenProphezeiungen der Protokolle sehenVerschwörungsgläubige auch heute nochden Beweis dafür, dass eine wie auch im-mer zusammengesetzte Gruppe, mögenes Juden, Freimaurer, Illuminaten, dieUNO oder die Bilderberg-Gruppe sein,tatsächlich eine Weltregierung planenund die Machtübernahme betreiben.Diesem Irrtum erlag selbst die LondonerTimes, als sie anmerkte, dass sich einTeil der »unheimlichen« Prophezeiungenbereits erfüllt hätte.

Nun enthalten die Protokolle aberkeine eigentlichen Vorhersagen, sondernAnkündigungen böser Absichten, die er-wähnte Utopie einer Wohlfahrtsdiktaturund Klagen über den Niedergang desStaates durch die industrielle

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Modernisierung, den internationalenGeldverkehr, die Demokratie und dieSchwäche der Autokratie und des Adels.All diese Umwälzungen der Moderneschreiben die Protokolle dem verborgen-en Wirken der Juden zu. Ferner enthal-ten die Protokolle die ganze Palette derVorwürfe gegen Juden, sowohl dieklassischen als auch die modernen.Juden bilden eine einheitliche, ver-schworene Gemeinschaft, Juden be-herrschen den internationalen Handelund die Presse. Sie kontrollieren dieGoldvorräte. Sie sind rachsüchtig undhinterhältig. Juden wollen die christlicheReligion abschaffen. Sie wollen die Weltbeherrschen und alle anderen Völker un-terjochen. Das so geschaffene Stereotypsetzt sich aus dem Judenstereotyp seiner

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Zeit und dem allgemeinen Dämonenste-reotyp zusammen.

Alle Vorwürfe haben die Form einerSelbstbezichtigung, weshalb ver-schiedene antisemitische Autoren unterMißachtung jeglicher Logik zu beweisenversuchten, dass die Reden der Pro-tokolle tatsächlich so gehalten wurden.Gottfried zur Beek, der deutsche Über-setzer der Protokolle, schrieb 1920 sog-ar, der deutsche Außenminister WaltherRathenau sei einer der Weisen von Zion.

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Sozialpsychologie derProtokolle

Ihre globale Wirkung und den Eindruckder Prophetie erzielen die Protokolledurch einen anderen Effekt: Siebeschwören das gesamte Pandämoniummoderner Verschwörungstheorien. Einegeheime Macht, so suggerieren sie, nagtständig an den Wurzeln aller Gemeinsch-aften, um die Weltordnung zu stürzenund einen eigenen König alsWeltherrscher einzusetzen. Das allesgeschieht lautlos, schleichend, und unterstrikter Beachtung vollständiger Ge-heimhaltung. Die Protokolle behaupten,

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dass ein heimlicher Weltenplan existiert,ein PLAN, um die Menschheit zu verder-ben, ihren Willen zu schwächen, diePresse zu unterwandern, sinnlose Kriegeauszulösen und schließlich die Welt zuunterjochen.

Die Protokolle betonen zwei Dinge,die vom Standpunkt der Sozialpsycholo-gie betrachtet für die Menschen beson-ders bedrohlich erscheinen: Das eine istdie unbesiegbare Fremdherrschaft, dieVorstellung, SIE wollen über UNSherrschen, und zwar so perfekt, dassUNS keine Chance der Gegenwehrbleibt. Für das GemeinschaftswesenMensch eine erschreckende Vorstellung!In diesem Sinne ist es nicht verwunder-lich, dass moderne Verschwörungstheor-etiker wie Holey, Icke und andere noch

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einen Schritt weitergehen und be-haupten, die Verschwörer wollten dieErde an Fremdwesen ausliefern. Damiterscheinen SIE noch bedrohlicher. Nuram Rande sei bemerkt, dass in vielenScience-Fiction-Romanen die Vorstel-lung einer Weltregierung zur Abwehrvon Aliens als positive Utopie dargestelltwird.

Zum anderen sorgt die Vielzahl derunterstellten bösen Absichten dafür,dass jede Katastrophe, jede Seuche, jedeFinanzkrise, jeder Zeitungsskandal undjeder Krieg als Bestandteil des PLANSaufgefasst werden kann. Die »unheim-lich« erscheinende Vorhersage-genauigkeit entspringt diesem altenWahrsagertrick.

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Ein Beispiel: »In nächster Zeit werdenSie einen persönlichen Rückschlag er-leben, aber daraus entwickelt sich einunvorhergesehener Glücksfall für Sie.«Diese Vorhersage trifft immer ins Sch-warze. In nächster Zeit ist ein dehnbarerBegriff, er kann einen Tag oder ein Jahrumfassen. Ein persönlicher Rückschlagkann ein Streit mit dem Ehepartner, eineDelle am Auto oder eine nicht best-andene Prüfung sein. Glücksfälle sindper definitionem unvorhergesehen, dennwüßte man vorher von ihnen, wären eskeine Glücksfälle. Ähnlich ist es mit den»Vorhersagen« in den Protokollen. Siesind einfach eine Liste aller denkbarenKatastrophen. Vorsichtshalber schreibtder Autor der Protokolle, dass die Durch-führung des PLANS durchaus hundert

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Jahre dauern kann. Aids, Weltkriege,Ölkrise, alles gePLANT.

Die Bedeutung der Protokolle liegt inihrer zusammenhanglosen Vielfalt. Ähn-lich einem Legobaukasten enthalten siealle Elemente modernen Ver-schwörungsglaubens zur gefälligenBedienung. Deshalb steht zu befürchten,dass sie auch weiterhin wie ein böserGeist durch die Köpfe der Menschenspuken werden.

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10: UnterGeneralverdacht: Juden,Freimaurerund JesuitenEine vergleichende Analyse der Ver-schwörungstheorien gegen die amhäufigsten verdächtigten Gruppen

»Hast Du Angst, Erich? Bist dubange, Erich?

Klopft dein Herz, Erich? Läufst duweg?

Wolln die Maurer, Erich – und dieJesuiten, Erich,

dich erdolchen, Erich – welch einSchreck!

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Diese Juden werden immer rüder.Alles Unheil ist das Werk der ...

Brüder.Denn die Jesuiten, Erich – und die

Maurer, Erich –und die Radfahrer – die sind schuldan der Marne, Erich – und am Dol-

chstoß, Erich –ohne die gäbs keinen Welttumult.Jeden Freitag abend spielt ein

Kapuzinermit dem Papste Skat – dazu ein

Feldrabbiner;auf dem Tische liegt ein Grand mit

Vieren –dabei tun sie gegen Deutschland

konspirieren …Hindenburg wird älter und auch

müder …

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Alles Unheil ist das Werk der ...Brüder.«

Kurt Tucholsky Erich Ludendorffgewidmet (1928, zitiert nach DieterA. Binder, 1988)

Der Generalquartiermeister ErichLudendorff hatte sich im Verlauf des Er-sten Weltkriegs den Ruf eines herausra-genden Heerführers erworben, aberauch den eines gnadenlosenKriegstreibers, der Millionen von Sold-aten in einen sinnlosen Tod hetzte, weiler die unabwendbare Niederlage nichteinsehen wollte. Von der Weimarer Re-publik und der Demokratie überhaupthielt er nicht viel. Er bewegte sich nachdem Krieg in rechts-nationalen Kreisen,wo er hohes Ansehen genoss.

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Im März 1920 beteiligte er sich amKapp-Putsch, einem erfolg-losen Ums-turzversuch von Teilen des Militärs undrechtsradikalen Politikern.

Die Republik war nicht ausreichendgefestigt, um die Putschisten zu be-strafen, und so konnten sich die meistenins Ausland oder nach Bayern in Sicher-heit bringen. Ludendorff floh nachMünchen. Dort irrlichterte er durch dieSzene der antisemitischen deutsch-völkischen Parteien. Seine aktive Rollebeim vergeblichen Putsch-Versuch derNationalsozialisten am 8. und 9.Novem-ber 1923 in München brachte ihn vorGericht.

Während Hitler und weitere achtRädelsführer zur Festungshaft verurteiltwurden, sprachen die Richter

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Ludendorff wegen Unzurechnungs-fähigkeit zur Tatzeit frei. Das erbitterteihn aufs Äußerste, denn er hatte vorge-habt, seine Strafe mannhaft entgegen-zunehmen. Das Gericht aber degradierteihn zur Mitleid erregenden Figur desabgehalfterten, zeitweilig umnachtetenMilitärs. Ludendorff war zu diesem Zeit-punkt 59 Jahre alt.

Etwa ab Mitte der zwanziger Jahrebegann Ludendorff sonderbare Ver-schwörungstheorien zu verbreiten, indenen er Juden, Freimaurer und Jesuitenbeschuldigte, sich heimlich gegenDeutschland verbündet zu haben. DieIdeen dazu stammten von seiner zweitenFrau Mathilde, einer Nervenärztin, diebereits vor ihrer Hochzeit im Jahre 1926eine Reihe von nationalistisch-

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esoterischen Schriften veröffentlichthatte. In der zweiten Hälfte der zwanzi-ger Jahre reiste das Ehepaar Ludendorffdurch Deutschland und propagierteseine Heilslehren und Verschwörung-stheorien in einer Vielzahl vonVorträgen.

»Immer sichtbarer traten für mich alsSpaltpilze der Geschlossenheit desVolkes, aber auch als seine Beherrscher,die geheimen überstaatlichen Mächtehervor, d. h. das jüdische Volk und Romnebst ihren Werkzeugen, denFreimaurern, dem Jesuitenorden, okkul-ten und satanischen Gebilden«, schriebLudendorff. Nicht nur Kurt Tucholskyzweifelte damals an Ludendorffs Ver-stand, auch im völkischen Lager nahmman ihn nicht mehr ernst. Dennoch

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gingen die Auflagen der Schriften, die erund seine Frau verfassten, in die Hun-derttausende. Jesuiten, Juden undFreimaurer als Feinde des deutschenVolkes: Das war offenbar Balsam für dieverletzte Seele national gesinnterDeutscher.

Auch heute noch sind diese drei Grup-pen bevorzugte Ziele von Verschwörung-stheoretikern. Ist das Zufall oder habensie etwas gemeinsam?

Um bei der Unzahl von Ver-schwörungsvorwürfen überhaupt zueinem sinnvollen Ergebnis zu kommen,muss man die Fragestellung etwas eins-chränken: Welche einflussreichen Ver-schwörungstheorien gegen die drei

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Zielgruppen hat es gegeben? Wir suchenalso Verschwörungstheorien, die

• von Gruppen oder Organisationenmit großer Autorität verbreitet wur-den, und

• Verschwörungsschriften, die einegroße Verbreitung fanden, also inhoher Auflage und über längereZeit veröffentlicht wurden.

• Und wir suchen Theorien, die gravi-erende Folgen für die Betroffenenhatten, die also gerichtliche Unter-suchungen, gesetzliche Einsch-ränkungen, Verbote oder Pogromein größerem Maßstab auslösten.

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Vorwürfe gegen Juden

Im Mittelalter betrachtete die europäis-che Bevölkerung die Juden als ein frem-des, über die ganze bekannte Welt ver-teiltes Volk. In den meisten Regionenholten die Fürsten die ersten Juden insLand, um den Fernhandel zu fördern.Die Juden unterstanden direkt dem Für-sten, verwalteten ihre Gemeinden selbstund genossen den Schutz des Landesh-errn. Dafür mussten sie allerdings hoheAbgaben bezahlen. Das Volk kannteJuden vorher nur aus der Bibel – alsChristusmörder und Geldwechsler. Ausder Sicht der Sozialpsychologie haben

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die Fürsten damit eine für die Juden ex-trem ungünstige Situation geschaffen.Fremd, privilegiert, mit einem religiösenStigma belastet, vom Schutz desLandesherrn abhängig – schwerer kannman es einer Gruppe kaum machen.

Aus dieser Konstellation entstand frühdie Vorstellung einer jüdischen Weltver-schwörung gegen die Christenheit.Bereits Thomas von Monmouth, derChronist des frühesten überliefertenRitualmordvorwurfs, behauptete gegen1150, die Führer der Juden Europasträfen sich regelmäßig in Narbonne, umdurch Los zu bestimmen, in welchem Ortein christlicher Junge geopfert werdensolle. Diese Vorwürfe tauchten im Mit-telalter und in der Frühen Neuzeit im-mer wieder auf und mussten als

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Begründung für Pogrome herhalten,denen Tausende von Juden zum Opferfielen. Weil die Juden unter dem Schutzder Obrigkeit standen, konnte dieBevölkerung zudem ihrem Unmut überden Landesherrn Luft machen, indem siedie Schutzjuden angriff. Damit trafen siedie Obrigkeit, ohne sie direktherauszufordern und sich eventuellenVergeltungsmaßnahmen auszusetzen.

Andersherum konnte der Landesherrden Ärger seiner Untertanen dadurchbeschwichtigen, dass er die Juden ver-trieb oder ihnen seinen Schutz entzog.Aus den verschiedenen Regionen desDeutschen Reichs wurden die Judengleich mehrfach vertrieben, ausFrankreich 1306 und 1394, aus England1290, aus Spanien und Portugal 1492

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und 1496. Die Kirche forderte bereits aufdem zweiten Laterankonzil von 1215,Juden und Christen voneinander zutrennen. In den Städten wies man ihneneigene Wohnviertel zu, und sie musstenein besonderes Kennzeichen an derKleidung tragen (spitzer Hut oder gelberFleck). Die Kirche begründete das mitdem so genannten doppelten Schutzprin-zip. Die Absonderung sollte die Christenvor den Juden schützen, während dieKirche gleichzeitig die Aufgabe über-nahm, die Juden vor den Übergriffen derChristen zu schützen. Die Kirche wiesbis ins neunzehnte Jahrhundert die im-mer wieder aufkommenden Vorwürfeder Ritualmorde und des Hostienfrevelsgegen die Juden zurück.

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Im achtzehnten Jahrhundert lebten inWesteuropa trotzdem nur noch sehrwenige Juden. Sie stellten in Frankreich,England und Italien nur wenige Promilleder Bevölkerung. Die meisten mitteleur-opäischen Juden waren im Laufe derJahrhunderte nach Osten ausgewandertund wohnten in einem Streifen vomBaltikum über Polen bis zum SchwarzenMeer. In einigen Landstrichen warendort mehr als zehn Prozent der Bevölker-ung Juden. Mit der Auflösung der Ghet-tos und dem Beginn der Judenemanzipa-tion im neunzehnten Jahrhundertänderte sich das Bild: Waren die Judenvorher ein Volk unter den Völkern Euro-pas, so strebten viele Juden inWesteuropa jetzt an, innerhalb der Na-tionen zu normalen Bürgern jüdischen

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Glaubens zu werden. In Osteuropa, be-sonders in Russland, blieb dagegen derCharakter eines einheitlichen Volkesweitgehend erhalten, ebenso jedochauch die diskriminierenden Gesetze.Viele osteuropäische Juden wanderten indieser Zeit nach Amerika, Deutschlandund Österreich aus.

Bis ins neunzehnte Jahrhundert gab eskeine systematische Judenverfolgung.Erst mit der Judenemanzipation, als dieJuden West- und Mitteleuropas nach undnach normale Bürgerrechte bekamen,setzte ein gezielt betriebener Antisemit-ismus ein. Seine mächtigsten Propa-gandisten waren die katholische und dierussisch-orthodoxe Kirche sowie einigeeinflussreiche Vertreter der evangelis-chen Kirchen.

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Die Juden und die katholischeKirche

Bereits im achtzehnten Jahrhundert ließdie Macht der katholischen Kirche nach.Große Teile Europas hatten sich demprotestantischen Glauben zugewandt.Die Philosophen der Aufklärung propa-gierten den Deismus und griffen offendie Autorität der Kirche an. Die Französ-ische Revolution begründete einesäkuläre Republik und bestimmte unteranderem die völlige Gleichberechtigungder Juden. Diese Entwicklung machtedas doppelte Schutzprinzip zu einem An-achronismus. Dennoch hielt die

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katholische Kirche uneinsichtig daranfest.

Als Reaktion auf die Judenemanzipa-tion kam die neue Theorie auf, die Judenwollten zusammen mit den Freimaurerndie alte Ordnung Europas beseitigen.Konservative in Frankreich, Deutschlandund England sowie Teile des Klerussahen die Juden in einem internationalenGeheimbund mit Freimaurern, Liberalenund Sozialisten vereint. Zugleich er-hoben die Sozialisten den Vorwurf, dassdie Juden den Adel stabilisierten, indemsie ihm immer wieder Kredite gaben,und dass besonders das in Europa weitverzweigte Bankhaus Rothschild überseine Kreditbedingungen die Politik derNationalstaaten weitgehend diktierte.

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Erstaunlicherweise überlagerten sichdie alten und neuen Vorwürfe, sie lösteneinander keineswegs ab. Noch im Jahre1871 veröffentlichte der MünsteranerTheologe August Rohling das TraktatDer Talmudjude, in dem er versuchte,die Wahrheit des Ritualmordvorwurfsanhand einer verzerrten Talmud-Inter-pretation zu beweisen. Er löste damiteinen erbitterten und lang anhaltendenStreit aus, weil er nicht anerkennenwollte, dass seine Talmudauslegung (diezum Großteil aus einem älteren anti-semitischen Buch stammte) vollkommenunhaltbar war. Die Universität Münsterverweigerte Rohling eine Professur, undso ging er 1874 erst in die USA, dannnach Prag und schließlich nach Öster-reich. Trotz des unsinnigen Inhalts

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verkaufte sich sein Buch ausgezeichnetund wurde in mehrere Sprachenübersetzt.

Rohling war kein Sonderfall in derkatholischen Kirche: Mit Beginn der Res-tauration (der Neuordnung Europas aufdem Wiener Kongress 1814/15 nach derNiederringung Napoleons) hatten höch-ste katholische Kreise begonnen,bösartige Pamphlete gegen die Judenherauszugeben. Napoleon hatte denKirchenstaat 1798 aufgehoben unddurch die römische Republik ersetzt, ein-en französischen Vasallenstaat. Die im-mer noch bestehenden jüdischen Ghet-tos löste er auf, ebenso viele der Bes-chränkungen gegen die Juden.

Nach der Niederlage Napoleons stell-te der Wiener Kongress den

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Kirchenstaat im Jahre 1815 wieder her,und bald zeigte sich, dass der Papst alsweltlicher Herrscher nicht bereit war,der neuen Zeit Rechnung zu tragen. Erbestand auf absoluter Herrschaft, und1826 wies er die Juden in jene Ghettosein, die Napoleon 28 Jahre zuvoraufgelöst hatte. Das jüdische GhettoRoms beispielsweise lag dicht am Tiber,in feuchtem und ungesundem Klima.Dort pferchte man auf engem Raum et-wa 3500 Menschen zusammen. In jederNacht wurden die Tore des Ghettosgeschlossen.

Aber auch der Papst konnte die Zeitnicht zurückdrehen. Selbst im Kirchen-staat konnte er den Umzug der Juden indie Ghettos nicht mehr wirksam durch-setzen. Viele wohnten auch weiterhin

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außerhalb, wenn auch unter der ständi-gen Drohung eines erzwungenenUmzugs ins Ghetto.

In anderen europäischen Staaten fanddas Modell des Vatikanstaates keineNachahmer. Trotzdem bestand die Lei-tung der katholischen Kirche un-nachgiebig darauf, die Juden von denChristen zu trennen, und zeichnete einfinsteres Bild des jüdisches Charakters.Ferdinand Jabalot, der Generalprokurat-or der Dominikaner, schrieb im Jahre1825 in einem Beitrag für das Giornaleecclesiastico über die Juden: »Siewaschen ihre Hände in Christenblut, set-zen Kirchen in Brand, treten geweihteHostien mit Füßen … , entführen Kinderund nehmen ihnen das Blut, vergewalti-gen Jungfrauen … « Jabalot hat diese

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Schrift nicht geschadet; der Papst ernan-nte ihn kurz darauf zum Generalmeisterder Dominikaner. Im Mittelalter hattender Papst und der hohe Klerus die Judengegen die Ritualmordvorwürfe noch ver-teidigt (zuletzt im Jahre 1759 auf Bittender polnischen Juden). Die Kirche sahdies als Teil ihres Auftrages an, dieJuden vor den Übergriffen der Christenzu schützen. Doch das war jetzt vorbei.In den achtziger Jahren des neunzehntenJahrhunderts verstärkte die katholischeKirche ihre antijüdische Agitation. DieJesuiten-Zeitschrift Civiltà Cattolicabegann im Dezember 1880 mit einermehrjährigen scharfen antijüdischenKampagne. Die Zeitschrift stand unterdirekter Kontrolle des Papstes. Der Kar-dinalstaatssekretär musste jede Ausgabe

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vor dem Druck billigen. Die antisemit-ischen Artikel bestätigten die unhaltbar-en Thesen von Rohling und enthieltenunter anderem folgende Passagen: DieJuden beklagen sich, »sobald es jemandwagt, die Stimme gegen diese barbar-ische Invasion einer feindlichen Rasse zuerheben, die der Christenheit und derGesellschaft im Allgemeinen ablehnendgegenüber steht. (…) Denn die Judensind nicht nur aufgrund ihrer ReligionJuden … , sie sind Juden auch und beson-ders aufgrund ihrer Rasse.« (Zitiert nachKertzer, 2004)

Auch die These von der jüdischenWeltverschwörung findet sich in derArtikelserie. Johannes Rogalla vonBieberstein und David I. Kertzer habenin ihren Büchern die katholische

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Agitation gegen die Juden zwischen 1850und 1945 ausführlich untersucht undkommen unabhängig voneinander zudem Schluss, dass die katholische Kircheder Theorie der freimaurerisch-jüdischenWeltverschwörung ein wichtiges Forumund hohe Glaubwürdigkeit verschaffthat. Die Verschwörungsthese, schreibtRogalla von Bieberstein, sei keinePropaganda-Konstruktion nationalsozial-istischen Ursprungs. »Vielmehr ist sievon den deutschen Faschisten unmittel-bar aus dem Arsenal der klerikal-konter-revolutionären Agitation übernommenund lediglich aktualisiert worden.«

Diese These scheint mir etwas über-spitzt, denn die antisemitischen Ver-schwörungstheorien der Nazis best-anden aus den Anschuldigungen und

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Legenden der vergangenen zehnJahrhunderte, vermischt mit derWahnidee von der Überlegenheit der ar-ischen Rasse und einem vulgär her-untergebrochenen Sozialdarwinismus.Sicherlich haben ihnen die Agitatorender katholischen Kirche aber wichtigeStichworte geliefert und den fatalenEindruck erweckt, als könne die En-trechtung, Vertreibung und Ermordungder Juden mit der Zustimmung oderwenigstens der Duldung der kathol-ischen Kirche rechnen.

Noch im Januar 1933, kurz vor HitlersMachtergreifung, schrieb der Linzer Bis-chof Gföllner in einem Hirtenbrief: »Dasentartete Judentum im Bunde mit derFreimaurerei ist auch vorwiegendTräger des mammonistischen

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Hochkapitalismus und vorwiegendGründer und Apostel des Sozialismusund Kommunismus, des Vorboten undSchrittmachers des Bolschewismus.«

Die furchtbaren Massenmorde der Na-tionalsozialisten an den europäischenJuden drängten die antisemitischen Ver-schwörungstheorien nach dem ZweitenWeltkrieg für mehrere Jahrzehnte an dieäußersten Ränder des politischen Spek-trums ab. Sie hatten in dieser Zeit glück-licherweise keine Auswirkungen auf diePolitik.

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Vorwürfe gegen Freimaurer

Freimaurer sind kein Volk und auchkeine Religionsgemeinschaft. DieFreimaurerei ist eine internationaleBruderschaft, zu deren Grundsätzen dieToleranz und die Achtung derMenschenwürde gehören. Die Logenhaben keine feste internationale Organ-isation und können sehr unterschiedlichausgerichtet sein. Sie entstanden ausden mittelalterlichen Bauhütten, denBruderschaften der Baumeister an dengroßen Kirchenbauten. Damals kannteman noch keine Trennung in Architek-ten, Statiker und Bauunternehmer. Die

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Baumeister planten die Gebäude, rech-neten (oder schätzten) die Statik undüberwachten die Bauausführung. Sieachteten eifersüchtig darauf, die Ge-heimnisse ihrer Handwerkskunst ge-genüber Außenstehenden zu wahren;eine damals übliche und notwendigeVorsichtsmaßnahme. Weil die Maurerund Baumeister von einer Dombaustellezur anderen wanderten, entwickelten siegeheime Erkennungszeichen, um sicherzu sein, dass ein neuer Mitarbeiter aufeiner Baustelle wirklich Mitglied ihrerBruderschaft war. In England nannteman ihre Zusammenschlüsse Lodges, zudeutsch Logen.

Im siebzehnten Jahrhundert öffnetensich die englischen und schottischenMaurerlogen auch für Außenstehende

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und verloren den Charakter einerHandwerkerinnung. Warum sollten abergerade reiche Bürgerliche, neugierigeAdelige oder interessierte IntellektuelleMitglieder von Maurerlogen werden?Schon damals umgab die Logen eineAura des Geheimnisvollen. Manmunkelte von uralten Geheimnissen derBaukunst und anderen verborgenenWeisheiten. Außerdem ging das Gerücht,die Maurerlogen seien ein Hort derBrüderlichkeit und Toleranz jenseits vonReligionsstreitigkeiten und Standess-chranken. Das war für die damalige Zeitsehr ungewöhnlich, und viele Bürger-liche und Adelige traten in die Logenein, um genau diesen Prinzipien zu fol-gen. Obwohl es keine Berufsgeheimnissemehr zu verteidigen galt, mussten die

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Freimaurer dennoch bei ihrer Aufnahmein die Loge den Eid schwören, die Ge-heimnisse der Freimaurerei zu bewahrenund weder mündlich noch schriftlich zuverraten. Die Eidesformel enthielt amSchluss eine barock ausgemalteStrafandrohung.

Die Geheimhaltung provozierte sehrschnell allerlei Gerüchte. Bereits in derersten Hälfte des achtzehnten Jahrhun-derts gab es reichlich anti-freimaurerische Pamphlete. So genannteVerräterschriften veröffentlichten diegeheimen Rituale und machten dieFreimaurerei dadurch noch interess-anter. Die gefährlichsten und wirkungs-vollsten Verleumdungen kamen aber voneiner ganz anderen Seite – und werfenein grelles Schlaglicht auf die

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gesellschaftlichen Auseinandersetzun-gen des achtzehnten und neunzehntenJahrhunderts.

Am 24.Juni 1717 schlossen sich in Lon-don vier Logen zur ersten Großlogezusammen. Dieses Datum gilt im Allge-meinen als Anfang der weltum-spannenden Freimaurerei. Im Jahre 1723verfasste der presbytische GeistlicheJames Anderson eine Zusammenstellungder so genannten Alten Pflichten, einDokument über die Pflichten derFreimaurer untereinander und ge-genüber ihren Mitmenschen. Zur Reli-gion stand dort unter anderem: » …heute jedoch hält man es für ratsamer,sie [die Freimaurer] nur zu der Religionzu verpflichten, in der alle Menschenübereinstimmen, und jedem seine

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Überzeugungen selbst zu belassen.« Undweiter: »So wird die Freimaurerei zueiner Stätte der Einigung und zu einemMittel, wahre Freundschaft unterMenschen zu stiften, die einander sonstständig fremd geblieben wären.«DasVerhältnis zum Staat wird folgender-maßen beschrieben: »Der Maurer ist einfriedliebender Bürger des Staates, wo erauch wohne oder arbeite.«

Die Freimaurerei verbreitete sich vonEngland aus geradezu explosionsartigüber ganz Europa. Vielerorts wurde sievon der Obrigkeit mit Misstrauen be-trachtet, und es dauerte nicht lange, bisdie ersten Logenverbote erlassen wur-den, zum Beispiel 1735 in Holland undFriesland, 1736 in Genf, 1737 in Paris,im Kirchenstaat und der Toskana, 1738

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in Hamburg und Schweden. In Preußenund England durften die Logen dagegenunbehindert arbeiten. Friedrich II. vonPreußen war selbst Freimaurer.

Die katholische Kirche begann hingegeneinen verbissenen Kleinkrieg gegen dieFreimaurer. Papst Clemens XII. erließ1738 eine Bulle (In eminenti) gegen dieFreimaurerei, die sein Nachfolger Bene-dikt XIV. 1751 in ähnlicher Form be-stätigte (Providas). Darin warfen sie denLogen vor, Menschen aller Religionenund Sekten zu vereinigen. Für Katho-liken untersagten die Päpste die Mit-gliedschaft bei der Strafe derExkommunikation.

Im achtzehnten Jahrhundert geriet dieStellung des Papsttums ernsthaft in

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Gefahr. Die Naturwissenschaften bew-iesen die Gesetzlichkeiten der Erde unddes Himmels. Die Philosophen derAufklärung stellten die Kirche als Insti-tution in Frage, und auch viele Geist-liche zweifelten an der Kirchenautorität.Halb Europa war protestantisch geprägt.Dort fasste die Aufklärung Fuß, ohnedass die Kirche etwas dagegen un-ternehmen konnte. Der Jesuitenorden,die stärkste Stütze des Papstes, hattezunehmend mit inneren Problemen zukämpfen.

Die erste päpstliche Bulle von 1738zeigte jedoch keine Wirkung, die zweitevon 1751 nur in den iberischen Ländernund in Polen. In Deutschland und im vor-revolutionären Frankreich traten vielekatholische Priester und Mönche in

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Freimaurerlogen ein, einige Logen best-anden sogar fast vollständig aus Geist-lichen. In den protestantischen Ländernzeigten die frühen Verbote kaumWirkung und verschwanden wieder,während die katholische Kirche noch im-mer an der Unvereinbarkeit vonFreimaurerei und Mitgliedschaft in derkatholischen Kirche festhält. Bis heuteverurteilte die katholische Kirche dieFreimaurerei in insgesamt zwölf offiziel-len Stellungnahmen, von denen die En-zyklika Humanum Genus aus dem Jahre1885 wohl die bemerkenswerteste ist.Wir werden noch darauf zurückkommen.

Die Freimaurerei breitete sich in derzweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhun-derts über ganz Europa aus, und die

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Freimaurerlogen entwickelten eine er-staunliche Vielfalt. Es gab konservativeund liberale Logen, esoterische und ra-tionale, adelige, klerikale, überkonfes-sionelle, militärische und rein gesell-schaftliche Logen. Bald erschienen weit-ere Geheimgesellschaften nach Art derFreimaurer. Freiherr von Knigge lehntedas Organisationsschema für die ge-plante Entwicklung des Illuminatenor-dens an das Gradsystem derFreimaurerei an. Trotzdem war der Illu-minatenorden keine freimaurerische Or-ganisation. Das hinderte die deutschenGegner der Freimaurer jedoch nichtdaran, die Illuminaten nach ihrer Au-flösung als Speerspitze der Freimaurereizu denunzieren.

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Auf der antiaufklärerischen und reak-tionären Seite des politischen Spektrumsagierten die Gold- und Rosenkreuzer, diesich nach dem Muster der Freimaurerorganisierten und in Preußen und Bay-ern in den achtziger und neunzigerJahren beträchtlichen Einfluss errangen.Während die Logen in England und an-deren protestantischen Ländern vorwie-gend deistisch und unpolitisch blieben,trug die Freimaurerei in Frankreich,Italien und Belgien zunehmend antik-lerikale Züge. Dies war sowohl eineFolge der Französischen Revolution alsauch eine Reaktion auf die schroffeAblehnung durch die katholische Kirche.

Mit Beginn des achtzehnten Jahrhun-derts änderte sich das Bild wieder. Auf

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die Französische Revolution folgte dasZeitalter Napoleons, und als Ergebnisseiner Niederlage erstarkten die Kräfteder alten Ordnung. Das Zeitalter derRestauration brach an. Der Wiener Kon-gress, der im Jahre 1814 und 1815 überdie Neuordnung Europas entschied,wurde zum Sinnbild für den Versuch, dieUhr noch einmal zurückzudrehen. Unteranderem beschloss der Kongress, denvon Napoleon 1798 aufgehobenenKirchenstaat wieder herzustellen. DiePäpste agierten zu dieser Zeit, als habedie Französische Revolution nie stattge-funden, als gäbe es keine Aufklärungund als sei die Kirche noch Herrin derWissenschaften.

Aber bald stellte sich heraus, dasseine echte Restauration, eine Rückkehr

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zu den Zuständen vor der FranzösischenRevolution, nicht mehr möglich war. InItalien hatte sich eine Nationalbewegungformiert, die das Land wieder vereinenwollte. Angesichts der übermächtigenArmee Österreichs, die den Status Quosicherte, organisierten sich die National-isten in diversen Geheimgesellschaften,darunter auch solchen, die man heuteals Terrororganisationen bezeichnenwürde. Ihr Ziel war ein geeintes Italienmit Rom als Hauptstadt. Der Kirchen-staat sollte dafür ebenso verschwindenwie die übrigen kleinen Staaten auf itali-enischem Boden. Auch das unter öster-reichischer Herrschaft stehende Nordit-alien sollte selbstverständlich Best-andteil des neuen Nationalstaateswerden.

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Der zunehmend schrille Ton päpstlich-er Schriften gegen die Freimaurer undandere geheime Gesellschaften richtetesich deshalb auch gegen die italienischeNationalbewegung, die den weltlichenHerrschaftsanspruch des Papstesbedrohte.

Ab 1861 war der Kirchenstaat auf dieunmittelbare Umgebung Roms zurückge-worfen, umgeben von einem geeintenItalien. Alle italienischen Freiheitsheldender damaligen Zeit (Mazzini, Cavour,Garibaldi, die Könige Viktor Emanuel I.und II.) waren Freimaurer.

Im Dezember 1864 veröffentlichtePapst Pius IX. die berüchtigte EnzyklikaQuanta Cura, die in ihrem Anhangachtzig Irrtümer der Moderne aufzählte.

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Der Papst betrachtete unter anderem diefolgenden Ideen als Irrtum:

• »Es ist jedem Menschen freiges-tellt, jene Religion anzunehmen undzu bekennen, die er mit dem Lichteder Vernunft als die wahreerachtet.«

• »Die Kirche muss vom Staatgetrennt werden.«

• »Die Abschaffung der weltlichenMacht des heiligen Stuhls würdezur Freiheit und zum Glücke derKirche ungemein beitragen.«

• »Der Papst in Rom kann und sollsich mit dem Fortschritt, mit demLiberalismus und der modernenKultur versöhnen und befreunden.«

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Die Enzyklika rief heftige und kontrover-se Reaktionen hervor. Modern gesinnteKatholiken packte das Entsetzen, Kon-servative jubelten. Liberale und Antik-lerikale sahen sich in ihrer Ansicht be-stätigt, dass die katholische Kirchenichts als ein Fossil aus einer un-tergegangenen Epoche war. In Italiengewannen die Antiklerikalen unter denFreimaurern weiteren Zulauf. Auch inFrankreich und Belgien stellten sich dieFreimaurer zunehmend gegen dieKirche.

Im Jahre 1870 zogen italienische Trup-pen in Rom ein. Der Kirchenstaat hörteauf zu existieren und Rom wurde dieHauptstadt des italienischen National-staates. Der Papst erklärte sich zum Ge-fangenen im Vatikan und weigerte sich,

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das geeinte Italien anzuerkennen. Auchsein Nachfolger Leo XIII. blieb beidieser Strategie. Erst 1929 erkannte diekatholische Kirche den italienischenStaat offiziell an.

Im Jahre 1885 bezeichnete Leo XIII. inder Enzyklika Humanum Genus dieFreimaurer als Sekte und erklärte: »Wiees Unsere Vorgänger mehrfach bestim-mt haben, möge es niemand für erlaubthalten, aus welchem Grund auch immer,dem Freimaurerbund beizutreten, wenner auf sein Seelenheil den Wert legt, dener ihm beimessen muss.« Die Enzyklikawütete auch gegen den Liberalismus undalle Erscheinungen der modernen Zeit.Der gehässige Ton und die pauschalenAnschuldigungen lassen erkennen, wiesehr sich der Vatikan in seiner

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antiliberalen Einstellung eingemauerthatte.

Die Abneigung zwischen Liberalenund katholischer Kirche war gegenseitig.In Italien schloss der Staat 1879 fast5000 Klöster. Viele Nationalisten hattendem Papst nicht verziehen, dass er dieitalienische Einigung jahrzehntelang zuhintertreiben versucht hatte. Als derSarg des 1878 verstorbenen Papstes PiusIX. im Jahre 1881 aus seiner einstweili-gen Ruhestätte auf dem Gebiet desVatikanstaats nach San Lorenzo über-führt werden sollte, griff eine Gruppevon Antiklerikalen den Trauerzug an. DiePolizei konnte jedoch verhindern, dasssie die Leiche des Papstes in den Tiberwarfen, wie sie es ursprünglich vorge-habt hatten.

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In Frankreich regierten von 1879 bis1886 und noch einmal von 1899 bis 1907dezidiert antiklerikale Parteien mit einerstarken Beteiligung von Freimaurern.Frankreich verbot den Jesuitenordenund führte kostenlose staatliche Schulenein.

Im neu gegründeten Deutschen Reichtobte seit 1872 der Kulturkampf, denBismarck gegen die katholische Kircheführte. Er hatte erst den Jesuitenorden,dann alle weiteren Orden verbietenlassen, soweit sie sich nicht ausschließ-lich der Krankenpflege widmeten. Mitdem Schulaufsichtsgesetz entzog Bis-marck den Kirchen die geistliche Auf-sicht über die Schulen. Kirchliche

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Eheschließungen wurden für ungültigerklärt, allein die standesamtlicheTrauung hatte vor dem Gesetz Bestand.Der Kanzelparagraph verbot Geistlichen,zu staatlichen Themen »in einer den öf-fentlichen Frieden gefährdenden Weise«Stellung zu nehmen. Die Liberalen undAntiklerikalen stießen bei ihrer Politikder Zurückdrängung des katholischenEinflusses jedoch auf eine überraschendstarke Volksfrömmigkeit. Die katholischeZentrumspartei im Deutschen Reich ver-doppelte zwischen 1871 und 1890 dieAnzahl ihrer Sitze im Reichstag undwurde bei den Wahlen 1881 stärksteFraktion. Bismarck sah sich gezwungen,die antiklerikalen Gesetze des Kul-turkampfes in großen Teilenzurückzunehmen.

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Aber nicht nur die katholische Kirche,sondern auch reaktionäre Politiker undkonservative protestantische Pfarrer undPrediger sahen die Ausbreitung derFreimaurerei von Anfang an mit Mis-strauen. Die Aufhebung von Standes-grenzen innerhalb der Freimaurerlogenerschien ihnen widernatürlich und alsAngriff auf die Ordnung des Staates.Nach der Aufhebung des Illuminatenor-dens 1786 und erst recht nach der Fran-zösischen Revolution erschienen inDeutschland eine große Zahl von gegen-revolutionären Schriften. Sie machtendie Freimaurer und die Illuminaten füralle Übel der modernen Zeit, insbeson-dere aber für die Exzesse der Französis-chen Revolution verantwortlich. Die

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Schriften der deutschen Reaktionärebeeinflussten sowohl die französischenals auch die britischen Antirevolu-tionäre. Damit lösten sie den bis heuteweitergetragenen Verdacht aus, die Illu-minaten hätten als Geheimgesellschaftüberlebt und übten hinter den Kulissender Welt beständig ihren verderblichenEinfluss aus.

In der zweiten Hälfte des neunzehntenJahrhunderts häuften sich die Schriften,in denen Freimaurer und Juden der ge-meinsamen Verschwörung verdächtigtwurden. Konservativ-klerikale Kräfte inFrankreich und die katholische Kirchehatten daran entscheidenden Anteil.Betrachtet man die wirklich bedeu-tenden Verbreiter dieser Verschwörung-stheorie, so sind es um die Wende zum

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zwanzigsten Jahrhundert drei großeGruppen:

• Teile der katholischen Kirche undkonservativ-katholische Autoren,

• die russisch-orthodoxe Kirche undkonservativ-orthodoxe Autoren,

• die antisemitisch eingestellte russ-ische Regierung ab 1881.

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Freimaurer und Juden alsVerderber der Menschheit

Im Jahre 1898 schrieb der OsservatoreRomano, das offizielle Sprachrohr desPapstes: »Freimaurerei und Judentum,die gemeinsam angetreten sind, dasChristentum auf der Welt zu bekämpfenund zu vernichten, müssen sich jetzt ge-meinsam gegen das christliche Er-wachen und den Zorn der Menschenverteidigen.«

Die Unterstellung, dass Freimaurerund Juden heimlich zusammenarbeiten,findet sich auch in den Protokollen derWeisen von Zion und vielen anderen

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antisemitischen Schriften der Zeit um1900. Die meisten davon sahen die Judenals Anstifter und die Freimaurer (wieauch Sozialisten) als ihre Gehilfen an.»Die Juden zogen ihren Nutzen aus derProklamierung der Religonsfreiheit undder Gewährung der Staatsbürgerschaft… , um unsere Herren zu werden … Wasregiert, ist die Freimaurerei, die gleich-falls von den Juden gesteuert wird«,schrieb der Jesuitenpater Saverio Rond-ina im Jahre 1893 in der JesuitenzeitungCiviltà Cattolica, die der direkten Auf-sicht des Papstes unterstand.

Dabei wollte Rondina ausdrücklichkein Antisemit sein. Er stellt deshalbfest: »Wir schreiben dies nicht in der Ab-sicht, in unserem Land irgendeine Formdes Antisemitismus zu entfachen oder zu

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fördern.« Offener Antisemitismus galtschon damals als pöbelhaft. In-tellektuelle wollten damit nichts zu tunhaben, ganz gleich, welche grausigenDinge sie den Juden unterstellten.

Hinter der kirchlichen Argumentationstand in etwa folgender Gedankengang:Wir haben euch immer gesagt, die Judenmüssten von den Christen getrenntbleiben und in Ghettos leben. Aber ihrwolltet ja nicht hören und habt die Judenherausgelassen – und schon schwingensie sich zu euren Herren auf. Juden sindverschlagen, betrügerisch und verlogen.Christen haben gegen sie keine Chance,also muss man sie wieder in Ghettossperren.

Die Kirche wollte im Sinne des doppel-ten Schutzprinzips die Kontrolle über die

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Juden zurückhaben, sie wollte sie nichtvertreiben oder umbringen. Den Päpstendes neunzehnten Jahrhunderts hätte esvermutlich gereicht, die Juden in mit-telalterlicher Rechtlosigkeit in den Ghet-tos zu wissen, ganz so wie es derKirchenstaat seit 1826 wieder gehandh-abt hatte. Die Freimaurer hingegen war-en Christen, aus der Sicht der Kirchealso verirrte Schafe, die man in dieHerde zurücktreiben konnte. Währenddie Kirche dem einzelnen Juden Versch-lagenheit, Bosheit und einen unheilbarenChristenhass unterstellte, fehlen de-rartige Zuweisungen an die Freimaurer.Den Liberalismus, den Sozialismus unddie Freimaurerei bekämpfte die Kircheals Idee, die Juden hingegen als Volk.Protestantische und säkulare

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Antisemiten sahen das nicht anders,doch die katholische Kirche verfügtegerade unter der katholischen Land-bevölkerung über eine unerreichteGlaubwürdigkeit. Die Juden als geheimeHerrscher über die Freimaurer, diePresse, die demokratischen Regierungenund die Industrie – an der Entstehungdieser bis heute virulenten Ver-schwörungstheorie hat die katholischeKirche ohne Zweifel einen maßgeblichenAnteil gehabt.

Aber auch die katholische Kirche undbesonders der Jesuitenorden als ihrwortgewaltigster Verteidiger warenständig Ziel von Verschwörungstheorien.

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Die Jesuiten

Bis zum neunzehnten Jahrhundert galtdie katholische Kirche als spirituelle undweltliche Macht. Viele Atheisten oderProtestanten unterstellten ihr, heimlichdie Macht in der Welt übernehmen zuwollen. Der Amerikaner Samuel FinleyBreeze Morse etwa erfand nicht nur denersten brauchbaren Telegraphen unddas Morsealphabet, sondern er war auchein überzeugter Protestant und Gegnerder katholischen Kirche. In seinem 1835erschienenen Buch Foreign Conspiraciesagainst the Liberties of the UnitedStates [Ausländische Verschwörungen

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gegen die Freiheiten der VereinigtenStaaten] schrieb er: »Österreich ist indiesem Land jetzt aktiv geworden. Eshat ein ganz großes Projekt entworfen.Es hat einen Plan organisiert, um hier et-was zu unternehmen … In seinemAuftrag reisen jesuitische Missionaredurchs Land; es hat sie mit Geld aus-gestattet und eine Quelle regelmäßigenNachschubs für sie eingerichtet.«

Sollte die Verschwörung Erfolg haben,so schrieb Morse, würde bald ein Sprossdes Hauses Habsburg als Kaiser derUSA eingesetzt werden. Die meisten Ös-terreicher wissen vermutlich bis heutenicht, dass Samuel Morse sie seinerzeitals ernste Bedrohung der Freiheit derUSA angesehen hat.

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Der spanische Ritter Ignatius von Loy-ola gründete die Societas Jesu, den Je-suitenorden, im Jahre 1540, als erbereits 49 Jahre alt war. Es war einOrden ganz neuen Typs: Die Mitgliedertrugen keine spezielle Ordenstracht undmussten an keinem gemeinsamenChorgebet teilnehmen. Ignatius wolltekeine ortsgebundenen frommenKlostergemeinschaften unterhalten, viel-mehr wollte er die Mitglieder seines Or-dens ihren Fähigkeiten gemäß überallauf der Welt einsetzen. In der Satzungdes Ordens heißt es: »Unsere Berufungist, in jedweder Gegend der Welt unter-wegs zu sein und das Leben zu führen,wo mehr Dienst für Gott und Hilfe fürdie Seelen erhofft wird.«

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Ignatius von Loyola hatte den Ordenausdrücklich direkt dem Papst unter-stellt. Die Jesuiten unterstützten deshalbeine starke Stellung des Papstes gegendie nationalen Kirchen. Das brachteihnen in Paris die Gegnerschaft des Bis-chofs von Paris und des Pariser Parla-ments ein, denn die französische kathol-ische Kirche betrachtete sich als weitge-hend unabhängig von Rom(Gallikanismus).

Bereits 1590, 50 Jahre nach seinerGründung, hatte der Orden etwa 6000Mitglieder, noch einmal 50 Jahre späterwaren es 15 000. Die Jesuiten gründeteneine Vielzahl von Kollegien (heute würdeman Gymnasien sagen), in denen sie kos-tenlos Unterricht erteilten. Die berüh-mte Universität Sorbonne in Paris

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fürchtete die Konkurrenz der Jesuitenund schloss sich deshalb schon frühihren Gegnern an. Die Jesuiten stelltenbald an vielen katholischen Höfen dieBeichtväter der Fürsten und gelangtenso zu großem politischem Einfluss. Siemissionierten in China und bauten in Sü-damerika Indianergemeinschaften auf.

Ignatius von Loyola hatte eine zu sein-er Zeit einzigartige Organisationgeschaffen: straff geführt, hervorragendorganisiert, strikt übernational. Das trugihm das Misstrauen der Protestantenein, die ihrerseits allenfalls national or-ganisiert waren. Sie sahen in den Je-suiten eine Art internationale Eingre-iftruppe des Papstes mit der Aufgabe,die Gegenreformation voranzutreiben.Schon bei dem Prozess gegen die

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Pulververschwörer in England im Jahre1605, nur 65 Jahre nach der Gründungdes Ordens, waren diese Verschwörung-stheorien voll ausgeprägt. Der General-staatsanwalt Sir Edward Pope warf inseinem Plädoyer den Jesuiten vor, mitKronen zu spielen, Könige zu erhebenund abzusetzen und die weltliche Gewaltihren Interessen unterzuordnen. PaterGarnet, der oberste Jesuit Englands,wurde in einem juristisch fragwürdigenProzess der Anstiftung zu dem Ver-brechen für schuldig befunden undspäter hingerichtet.

Nahezu alle bedeutenden Ver-schwörungsvorwürfe gegen den Ordenwaren politisch bedingt und wurden voninnerkirchlichen Widersachern genauso

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bereitwillig weitergetragen wie von denäußeren Gegnern der katholischenKirche. Im achtzehnten Jahrhundertschien der Orden schließlich seinenWidersachern endgültig unterlegen zusein. Paradoxerweise lag die Ursachenicht zuletzt in seinem anhaltenden Er-folg, der dazu führte, dass der einstmalshochmoderne Orden zunehmend ver-steinerte. Die innere Verwaltung nahmimmer mehr Zeit in Anspruch, der Ordenverzettelte sich in Kämpfen gegen dieAufklärer, gegen die Protestanten undgegen die streng moralischen Jansen-isten, eine nach dem holländischenTheologen Cornelius Jansen benanntekatholische Reformbewegung. Die Je-suitenkollegien lehrten nach einer mit-tlerweile als überholt angesehenen

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Methode. Mitte des achtzehntenJahrhunderts galten die Jesuiten deshalbals Fortschrittsfeinde und zugleich alsFeinde der Nationalstaaten. Es machtesich jetzt auch bemerkbar, dass die Je-suiten nicht so klug gewesen waren, sichVerbündete zu suchen.

Als Erstes verboten die Portugiesenden Orden. Die Jesuiten hatten inParaguay autonome Indiogemeinsch-aften gegründet, die so genannten Re-duktionen, die nach einem auch heutenoch modernen christlichen Sozialsys-tem organisiert waren. Aufgrund einesVertrages zwischen Spanien und Por-tugal von 1750 erhob Portugals Regier-ung, vertreten durch den mächtigenMinister de Carvalho, Anspruch auf jeneTeile des Jesuitengebietes, in denen er

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von Jesuiten betriebene Goldminen ver-mutete. Die portugiesische Regierungverlangte, dass sieben Reduktionen inunwirtliches Land umgesiedelt werdensollten. Die Indios widersetzten sich.Portugal und Spanien vertrieben sieschließlich mit militärischer Gewalt. Por-tugal machte die Jesuiten für den Wider-stand der Indios verantwortlich. Deraufklärerisch gesinnte de Carvalho sahdie Jesuiten ohnehin als Gegner an, dieer auszuschalten gedachte.

Er begann eine Verleumdungskam-pagne gegen den Orden und erreichtezunächst, dass die Jesuiten 1757 denportugiesischen Hof verlassen mussten.Ein Jahr später hängte er den Jesuiteneinen angeblichen Mordanschlag auf denKönig an und ließ unter diesem Vorwand

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die Güter des Ordens in Portugal und inSüdamerika beschlagnahmen. Die dortvermuteten Goldminen fand er allerd-ings nicht; sie hatten nie existiert. DeCarvalho befahl schließlich, alle Je-suiten, 1700 an der Zahl, aus Portugalund den Überseeprovinzen auszuweisen.250 von ihnen ließ er unter sograusamen Bedingungen einkerkern,dass ein Drittel die Haft nicht überlebte.

In Frankreich führte eine undurch-sichtige Finanzaffäre zur Auflösung desOrdens im Jahre 1764. Es folgten Ver-bote in Spanien und den von Spanien ab-hängigen Gebieten Neapel und Parma.Die Spanier befanden es nicht einmal fürnötig, die Aktion zu rechtfertigen. Nachdiesen Teilerfolgen verlangten

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Frankreich, Spanien und Portugal dieAuflösung des Ordens von Papst Cle-mens XIII., der dies entschieden zurück-wies. Aber der Papst war bereits ein al-ter Mann. Im Februar 1769 erlitt er ein-en Schlaganfall und starb. Die drei kath-olischen Mächte warfen jetzt ihren Ein-fluss zusammen, um einen nachgiebiger-en Papst wählen zu lassen. Der neuePapst, Clemens XIV., taktierte vier Jahrelang, bevor er den mittlerweile massivenDrohungen der katholischen Herrschernachgab und den Jesuitenorden 1773verbot. »Zur Herstellung eines dauer-haften Friedens«, wie er in demAuflösungs-Breve Dominus ac Redemp-tor schrieb. Kein Papst nahm jemalswieder den Namen Clemens an.

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Im protestantischen Preußen blieb derOrden drei weitere Jahre bestehen undim orthodoxen Russland überlebte ersogar bis zu seiner Wiederbegründungim Jahre 1814. Friedrich II. von Preußenund Zarin Katharina II. weigerten sich,das Auflösungsbreve zu verkünden. Esgehörte zu den Merkwürdigkeiten derdamaligen Machtverteilung, dass einepäpstliche Anordnung nur dort wirksamwerden durfte, wo der jeweiligeLandesherr sie verkünden ließ. Das galtselbst dann, wenn es sich wie hier umeine innerkirchliche Angelegenheithandelte.

Der nunmehr unübersehbare Machtver-lust des Papstes führte zu weiteren Tur-bulenzen. Im Zuge der Französischen

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Revolution beschloss die Nationalver-sammlung 1790 die Beschlagnahmungdes Kirchenbesitzes und die Nationalis-ierung der Kirche. Als Napoleon 1798den Kirchenstaat aufhob, Papst Pius VI.gefangen nahm und die römische Repub-lik ausrief, schien die zentrale Organisa-tion der katholischen Kirche am Ende zusein. Im Zuge der Restauration entstandjedoch der Kirchenstaat 1815 neu, undmit ihm, bereits ein Jahr früher, derJesuitenorden.

In den folgenden Jahren entwickeltesich der Orden zum wortgewaltigstenUnterstützer der reaktionären Politik derKirche. Allerdings stießen die Jesuitenbesonders in Spanien, Frankreich undItalien bei ihren Gegnern nicht nur aufAblehnung, sondern auf regelrechten

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Hass. Sie galten als Speerspitze derreaktionären und antirevolutionärenKräfte. Am 17.Juli 1834 stürmte eine fan-atische Menge das Ordenshaus in Mad-rid und ermordete 15 Jesuiten. Im Re-volutionsjahr 1848 musste der Ordens-general aus Rom fliehen und kehrte erstzwei Jahre später zurück. Die Schweizwies nach dem Sonderbundkrieg imJahre 1848 alle Jesuiten aus und erlaubteerst 1973 wieder die Tätigkeit desOrdens.

Mit der Gründung einer auf den Prin-zipien der Aufklärung beruhenden säku-laren Republik im Jahre 1776 hatten dieUSA bewiesen, dass ein solcher Staatmöglich war und stabil sein konnte. Bisdahin hatten die Vertreter des Absolutis-mus dies immer bezweifelt. Die

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Französische Revolution hatte dieBrüchigkeit der alten Einheit von Thronund Altar auch in Europa nachgewiesen.Die Monarchie von Gottes Gnaden warkeine Selbstverständlichkeit mehr. Aberdie Kräfte, die zu den alten Zuständenzurückkehren wollten, blieben stark undbegannen, ihre Ansichten aggressiv zuvertreten. Dazu gehörte auch die Ver-leumdung der Gegner – eine Disziplin, inder ihnen Liberale und Antiklerikale aufder anderen Seite in nichts nachstanden.Nach dem Wiener Kongress schienen dieKonservativen die Oberhand zugewinnen, aber ihr Sieg bröckeltezunehmend.

Der Jesuitenorden wuchs von 150 Mit-gliedern bei seiner Wiederbegründung

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1814 binnen 35 Jahren auf 6000 Mit-glieder an. Man darf vermuten, dass erdiesen Erfolg gerade der aggressivenVerteidigung alter Werte verdankte.Bereits Mitte des neunzehnten Jahrhun-derts waren die Jesuiten wieder einewichtige Stütze des Papstes geworden.Bei der Formulierung der bereits erwäh-nten Enzyklika Quanta Cura mit derAufzählung von achtzig Irrtümern derModerne haben Jesuiten aktiv mit-gewirkt. Sie vertraten auch eine starkeStellung des Papsttums innerhalb derkatholischen Kirche, den so genanntenUltramontanismus. Als internationalerOrden mussten sie schon im eigenen In-teresse darauf hinwirken, dass die na-tionalen Kirchen nicht zu stark wurden.

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Eine so entschieden vorgehende Or-ganisation wie der Jesuitenorden warnatürlich auch weiterhin ständigen An-feindungen ausgesetzt. Der JesuitBernhard Duhr hat 1902 in seinem Buch100 Jesuitenfabeln falsche Anschuldigun-gen aus mehreren Jahrhunderten zusam-mengetragen. In dieser Sammlunglassen sich mehrere Typen von Le-genden unterscheiden: Eine richtet sichgegen vermeintliches oder tatsächlichesFehlverhalten eines Ordensmitglieds, umdann daraus auf die moralische Verkom-menheit des ganzen Ordens zuschließen.

Ein weiterer Typ übertreibt angeb-liche Ordensregeln, um sie als Beweisfür jesuitische Spitzfindigkeit oder Verlo-genheit heranzuziehen. So schließen die

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Jesuiten einen Tyrannenmord nicht unterallen Umständen aus. Also streuten ihreGegner das Gerücht aus, dass protest-antische Fürsten um ihr Leben fürchtenmüssten, weil die Jesuiten sie als illegit-ime Herrscher, mithin als Tyrannen, ein-stufen könnten. Das ist jedoch schlichterUnsinn. Ein anderes Beispiel ist die an-gebliche jesuitische Verhaltensregel,dass der gute Zweck jedes Mittel heilige.Auch das ist nicht richtig: Im Jesuiten-orden sind keine Verbrechen oder un-moralische Methoden zur Förderung derZwecke des Ordens erlaubt.

Ein dritter Typ von Legenden schließ-lich beruft sich auf gefälschte Doku-mente oder Berichte, betrifft also voll-ständig erfundene Ereignisse. So zitiertDuhr aus dem Archiv für Strafrecht die

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Behauptung, dass noch 1877 mit Hilfeder Jesuiten in Mexiko an einem Tag fünfHexen verbrannt worden seien. Mexikohatte jedoch bereits 1873 alle Jesuitenausgewiesen.

Die Jesuitenfabeln in Duhrs Sammlungzeigen sehr gut, welches dievorherrschenden antijesuitischen Vorur-teile waren: Jesuiten lügen, erlauben Un-moral, begehen auf Befehl ihrer Oberenoder des Papstes Verbrechen, häufenReichtümer an, leben unmoralisch undgehen zur Erreichung ihrer Ziele überLeichen, natürlich immer mit einemfrommen Spruch auf den Lippen. Richtigist, dass Jesuiten national nicht ge-bunden, gut ausgebildet, streitbar,dialektisch geschult, politisch mächtigund stets unangenehm waren, selbst für

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ihre hochgestellten Gönner. MadamePompadour, der Mätresse Ludwigs XV.,verweigerte ihr jesuitischer Beichtvater– ihrer fortwährenden Sünden wegen –Absolution und Kommunion. Sie verziehihm das nie und gehörte fortan zu denentschiedensten Gegnern der Jesuiten.Heute ist der Jesuitenorden mit über20 000 Mitgliedern der größte Orden derkatholischen Kirche. Mit dem Machtver-lust der Kirche ist aber auch sein Ein-fluss zurückgegangen, und er erscheintkaum noch in den Nachrichten, wederim Guten noch im Bösen.

In zeitgenössischen Verschwörung-stheorien hat das Opus Dei den Jesuitendie Rolle des katholischen Schurken ab-genommen. Das Opus Dei ist kein Orden,sondern eine 1928 gegründete

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konservative katholische Gemeinschaft(offiziell: eine Personalprälatur), der et-wa 80 000 Laien und etwa 1800 Priesterangehören. In seinem Bestseller Sakrilegwies Dan Brown die Rolle desBösewichts einem Psychopathen aus denReihen des Opus Dei zu und zeichnetedabei ein finsteres Bild dieserOrganisation.

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Juden, Freimaurer, Jesuiten:Gemeinsamkeitenund Unterschiede

Alle drei Gruppen gelten bei ihren Gegn-ern als hoch organisiert und gegenäußere Einflüsse abgeschottet. Sie sindinternational ausgerichtet und entziehensich damit dem üblichen Schema vonStaats- und Volkszugehörigkeit. In derVorstellung ihrer Gegner geltenFreimaurer als Feinde der Religion ansich. Juden und Jesuiten wird vorgewor-fen, ihrer eigenen Religion dieVorherrschaft sichern zu wollen. Alledrei Gruppen sind weltweit verbreitet

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und ihre Mitglieder sind nicht unmittel-bar als solche zu erkennen. Die Stereo-type aller drei Gruppen enthalten alsowichtige Teile des allgemeinen Dämon-enstereotyps (mächtig, böse, unsichtbar,allgegenwärtig). Solche Gruppen sindimmer bevorzugte Ziele desVerschwörungsglaubens.

Das Argument, eine Minderheit wieJuden oder Freimaurer sei grundsätzlichdem Misstrauen der Mehrheit ausgesetztund deshalb Ziel von Verschwörungen,lässt sich hingegen nicht erhärten. Sohegen zum Beispiel in den USA erstaun-lich viele Schwarze den Verdacht, Aidssei von der amerikanischen Regierungvorsätzlich verbreitet worden, um sieauszurotten. Umgekehrt haben vieleWeiße in den USA zwar Angst, Opfer von

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schwarzen Gewalttätern zu werden, dieFurcht vor einer Verschwörung derschwarzen Minderheit ist aber gering.

Gegen alle drei Gruppen, Juden, Je-suiten und Freimaurer, wurde auch im-mer wieder der Vorwurf des organisier-ten Verbrechens erhoben. Bei denFreimaurern ging es um den Satanskult,bei den Juden um Hostienschändung,Ritualmord, Hochverrat und Finanzde-likte, bei den Jesuiten um Königsmord,Erbschleicherei, Bereicherung undBetrug. Trotzdem gab es kaum ern-sthafte Untersuchungen oder gar Ankla-gen. Fast alle Verfahren, Verhaftungenoder Hinrichtungen waren politisch be-gründet. Auch die Verbote des Jesuiten-ordens oder der Freimaurer hatten

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immer einen politischen, niemals einenkriminellen Hintergrund.

Die Verschwörungstheorien gegen dieFreimaurer und Jesuiten richteten sichhauptsächlich gegen die Organisation,nicht gegen die einzelnen Mitglieder.Die meisten Freimaurer waren und sindörtliche Honoratioren, denen natürlichniemand Teufelsanbetung oder sexuelleAusschweifungen unterstellen will. Je-suiten und katholische Priester genossenals Geistliche durchaus individuellenRespekt, auch bei Protestanten undEvangelikalen.

Hier unterscheiden sich die Ver-schwörungstheorien gegen Juden deut-lich von allen anderen. In der europäis-chen Verschwörungstradition gilt »derJude« als individuell hinterhältig,

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verschlagen und geldgierig. Die meistenAntisemiten geben großzügig zu, dass esauch gute Juden gibt, aber der durch-schnittliche Jude hat für sie negative Ei-genschaften. Auch dem einzelnen Judentrauen viele Menschen die Verbrechenzu, die den Juden insgesamt zuges-chrieben wurden. So gab es noch imspäten neunzehnten Jahrhundert inDeutschland Prozesse gegen Juden we-gen falscher Ritualmordvorwürfe, so1873 in Enniger und 1891 in Xanten.Beide Fälle endeten mit Freisprüchenwegen erwiesener Unschuld. Die Staat-sanwaltschaft glaubte aber tatsächlich,dass die angeklagten Juden aus rituellenGründen Christen umgebracht hatten.Die jahrhundertelange, von der Kircheerzwungene Trennung der Juden von

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den Christen und die Pflicht, bestimmteKennzeichen zu tragen, nahm den Judenin den Augen der Christen ihre Individu-alität. Dadurch wurden sie zugesichtslosen Vertretern des Kollektivsdegradiert – und jedem Einzelnen wur-den die negativen Eigenschaften derGruppe zugewiesen.

Mit der Öffnung der Ghettos im neun-zehnten Jahrhundert hätte diese Stig-matisierung langsam verschwindenkönnen. Der scharfe Antisemitismus kon-servativer Kreise und besonders derkatholischen Kirche aber hielt die Vorur-teile aufrecht und verstärkte sie erneut.In den USA, wo die Juden niemals inGhettos gezwungen wurden, ist dieserindividuelle Antisemitismus deutlichschwächer ausgeprägt. Er richtet sich

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vorwiegend gegen die Juden als an-onyme Manipulateure des Finan-zmarktes und der öffentlichen Meinung.Die europäische, auch im nahen Ostenverbreitete Variante antisemitischer Ver-schwörungstheorien hingegen siehtschon den einzelnen Juden als Gegner.Solche Theorien bedrohen Juden schonunmittelbar als Person. Die europäis-chen Staaten sind deshalb gut beraten,an der scharfen Bekämpfung desAntisemitismus festzuhalten.

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11: Verschwörer undDämonen dermodernen WeltVerschwörungen und Verschwörung-stheorien der Gegenwart

Die englische Sprache zeichnet sichdurch eine im Deutschen unbekannteFlexibilität aus. Durch das Anhängen derEndung -ism (im Deutschen -ismus)entstehen im Handumdrehen neueWeltanschauungen. Der Newsweek-Redakteur Jonathan Alter sieht die Geg-enwart als Zeitalter des »conspiracism«– ein unübersetzbares Wort, das die Nei-gung umschreibt, Politik und Kata-strophen grundsätzlich als Ergebnis

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einer Verschwörung zu betrachten. Deramerikanische Historiker Richard Hof-stadter schreibt eine solche Neigungdem »paranoiden Stil« bestimmter Grup-pen und Individuen an den Rändern despolitischen Spektrums zu, während erdie Bereitschaft zum Konsens als Ken-nzeichen der politischen Mitte be-trachtet. Diese Ansicht, die er im Jahre1964 in Harper’s Magazine veröffent-lichte, wurde zum Angelpunkt der Ver-schwörungsdiskussion unter amerikanis-chen Historikern. Daniel Pipes sieht dieNeigung zum Verschwörungsglaubenebenfalls als individuelles, von der Normabweichendes Denkschema.

Der amerikanische Jurist undBuchautor Mark Fenster hingegen kritis-iert, dass Hofstadters These eine

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Entschuldigung liefert, um politischenProtest jeder Art als Ausdruck einerkrankhaften Geisteshaltung zu brand-marken. Auch der amerikanische His-toriker Robert Alan Goldberg bezweifeltHofstadters Analyse. Er geht davon aus,dass Verschwörungstheorien auch in denHauptströmungen amerikanischerPolitik eine große Rolle spielen. In derTat zeigt die Sozialpsychologie, dass dieBereitschaft zum Verschwörungsglaubenals eine Grundkonstante menschlichenDenkens gelten muss. Lediglich die The-men wechseln und spiegeln die Ängsteund Befürchtungen der Menschen in ihr-em jeweiligen Zeitalter wider. Sehen wiruns einige Beispiele an:

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Ruanda

Am 6.April 1994 starb der ruandischeStaatschef Habyarimana, als seineMaschine in der Nähe des Flughafensder Hauptstadt Kigali abgeschossenwurde. Eine Gruppe von Offizieren ausder Volksgruppe der Hutu riss daraufhindie Macht an sich und begann einenMassenmord an der verfeindeten Volks-gruppe der Tutsi. Bei dieser Gelegenheitließen sie auch jeden Hutu ermorden,der ihnen politisch verdächtig erschien.Die Putschisten hatten vorsorglich einegroße Anzahl von Macheten importiert,und so erschlugen Milizen und

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aufgehetzte Zivilisten in den nächstendrei Monaten fast eine Million Menschenmit Haumessern, Hämmern und Äxten.Das Massaker war sorgfältig geplant.Teilweise gingen die Milizen nach vorhererstellten Mordlisten vor. Nach dreiMonaten gelang es einer bewaffnetenTutsi-Truppe aus Uganda unter demExil-Ruander Paul Kagame, diePutschisten abzusetzen. Zehntausendevon Hutus flüchteten vor der Rache derTutsi ins Nachbarland Kongo, wo vielenoch immer in Flüchtlingslagern hausen.

Dubios ist die Rolle Frankreichs beidiesem Massaker. Sicher ist, dassFrankreich die Hutus ausgerüstet undberaten hatte. Die Unterstützung derfrankophonen Hutus sollte den wach-senden amerikanischen Einfluss in

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Ruanda eindämmen. Ob Frankreich vondem geplanten Völkermord gewusst hat,ist nicht nachgewiesen. Sicher ist allerd-ings, dass der Kommandeur der UNO-Truppen in Ruanda, der kanadische Gen-eral Roméo Dallaire, bereits drei Monatevor Beginn des Völkermordes voneindeutigen Vorbereitungen berichtethatte. Es ist kaum denkbar, dass diefranzösischen Berater der ruandischenRegierung davon nichts wahrgenommenhaben. Eventuell waren sie sogar direktbeteiligt. In einem Artikel für Die Zeitvom 26.März 1998 schreibt Bartho-lomäus Grill: »Ein Zeuge beobachteteam Abend des 6.April 1994, wie zweiweiße Männer – angeblich Franzosen inbelgischen Uniformen – die Maschinevon Ruandas Präsident Juvénal

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Habyarimana mit einer Boden-Luft-Rakete abschossen. Der Staatschef kamum. Er wollte Frieden mit den Rebellenschließen, vorausgesetzt, die Franzosenwären aus Ruanda abgezogen. Hat Parisden Friedensprozess torpediert, um dasLand an sich zu ketten?«

Noch am 3.Mai 1994, als das Mas-saker bereits begonnen hatte, empfingPräsident Mitterrand den ruandischenAußenminister Jérôme Bicamumpaka zueinem Gespräch. Am 5.Mai bestellte einMilitärgesandter aus Ruanda bei derstaatlichen französischen Rüstungsagen-tur Sofremas für acht Millionen DollarWaffen. Französische Truppen griffenein, als den Hutus nach ihrer Niederlagedie Rache der Tutsis drohte, und sorgtendafür, dass die Massenmörder

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unbehelligt das Land verlassen konnten.François Mitterrand kommentierte denVölkermord so: »Ein Genozid ist inAfrika nicht so schlimm wie anderswo.«

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Lady Diana

Es war eine Traumhochzeit, die Hochzeitdes Jahrhunderts. Prinz Charles, Thron-folger des vereinten Königreichs vonEngland, Schottland und Wales, heirat-ete am 24.Februar 1981 die erst neun-zehnjährige Lady Diana Spencer. Mitihrer Schönheit und ihrem freundlichensowie hoheitsvollen Auftreten gab siedem verstaubten Königshaus der Wind-sors neuen Glanz, zumal sie sich oft undgerne in der Öffentlichkeit zeigte. Baldaber tauchten Gerüchte auf, sie fühlesich nicht wohl in ihrer Ehe, und spä-testens 1990 galt die Verbindung als

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gescheitert. Nach ihrer Trennung im Juli1996 führten Diana und Charles einengnadenlosen Medienkrieg gegenein-ander. Sie zerrten ihr Privatleben an dieÖffentlichkeit und warfen sich gegenseit-ig ihre Verfehlungen und Affären vor.

Im Juli 1996 wurde die Ehe vonCharles und Diana geschieden. Lady Di-ana trat von der Schirmherrschaft vielerkaritativer Vereinigungen zurück, abersie blieb weiterhin in der Öffentlichkeitpräsent. 1997 begann sie eine Beziehungmit Emad (»Dodi«) al-Fayad, dem Sohndes schwerreichen Ägypters Mohamedal-Fayad, dem unter anderem das Lon-doner Kaufhaus Harrods gehört. Am31.August 1997 starben Lady Diana,Dodi al-Fayad und ihr Fahrer bei einemnächtlichen Autounfall in Paris. Nur ihr

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Leibwächter überlebte schwer verletzt.Ihr Auto war in einem Seine-Tunnel mithoher Geschwindigkeit von der Fahr-bahn abgekommen, gegen einen Betonp-feiler geprallt und von dort gegen dieBetonwand des Tunnels geschleudert.Angeblich war der Fahrer so schnell ge-fahren, um den Klatschreportern zu en-tkommen, die dem prominenten Paarüberall nachstellten.

Der Abschlussbericht der französis-chen Polizei stellte klar, dass es keinenHinweis auf Fremdverschulden gab, undwies darauf hin, dass der Fahrer be-trunken war. Trotzdem schossen sofortnach dem Unfall Verschwörungstheorienauf. Der britische Secret Service, so hießes, habe Lady Diana umgebracht, um derköniglichen Familie einen Gefallen zu

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tun. Oder um Prinz Charles die Hochzeitmit seiner langjährigen Freundin Ca-milla zu ermöglichen. Oder aus anderenGründen. In Ägypten kursierte das Ger-ücht, der britische Geheimdienst habeverhindern wollen, dass Lady Diana ein-en Moslem heirate. Nach einer anderenVersion störte ihr Engagement für dasVerbot von Landminen die Geschäfte in-ternationaler Waffenhändler. Auch Dodihätte Ziel eines Anschlags sein können.Sein überaus reicher Vater hatte sich inseinem Leben zahlreiche Feindegemacht.

Aber: Sind Diana und Dodi überhaupttot? Die Särge der beiden bliebengeschlossen, und Dodi wurde bereits amTag nach dem Unfall beerdigt. Sospekulieren einige, dass die beiden den

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Unfall vorgetäuscht hätten, um unbe-helligt aus der Öffentlichkeit ver-schwinden zu können. Andererseitstauchten bereits Minuten nach dem Un-fall und noch vor dem Eintreffen der Pol-izei Journalisten am Unfallort auf undschossen Fotos vom Unfallwagen undden Opfern. Während der Fahrer undDodi al-Fayad sofort tot waren, über-lebte Lady Diana den Unfall mit schwer-sten Verletzungen. Im Pariser Kranken-haus La Salpêtrière bemühten sich dieÄrzte noch zwei Stunden lang um ihrLeben. Alles das lässt sich kaumvortäuschen.

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Yukos

Theoretisch ist Russland eine parlament-arische Demokratie mit unabhängigenGerichten. Praktisch ist Russland einautoritär regiertes Land mit ausufernderKorruption und einem vom Präsidentenabhängigen Rechtswesen. Das zeigtesich exemplarisch in dem Vorgehen derrussischen Justiz gegen den privatenÖlkonzern Yukos und dessen Chef Mi-chail Borissowitsch Chodorkowski.

Nach dem Untergang der Sowjetunionund dem Ende des Sozialismus kamen inRussland eine Handvoll Männer, die sogenannten Oligarchen, zu fabelhaftem

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Reichtum. Sie nutzten ihre guten Bez-iehungen, das Chaos der überstürztenPrivatisierungen und die russischen Ge-setzeslücken, um riesige Firmenimperi-en an sich zu ziehen. Zu ihnen gehörteauch Michail Chodorkowski. Er leiteteden Ölkonzern Yukos und führte dortwestliche Buchführungsund Controlling-standards ein. Der Konzern wirtschafteteextrem erfolgreich, und Chodorkowskiverfügte bald über ein Privatvermögenin Milliardenhöhe. Seine westlich-lib-eralen Ansichten führten jedoch zueinem erbitterten Konflikt mit der russis-chen Regierung unter Präsident Putin.Am 25.Februar 2003 verhafteten Sold-aten der Spezialeinheit AlfaChodorkowski auf einem Inlandsflug inNowosibirsk. Die Staatsanwaltschaft

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klagte ihn wegen Betrugs und Steuerhin-terziehung an. Kaum einer der Olig-archen hat sein Geld auf ganz durch-sichtige Weise angehäuft, undChodorkowski machte da keineAusnahme.

Die Prozessführung gegenChodorkowski ließ keinen Zweifel daranaufkommen, dass es hier nicht um Recht,sondern um Politik ging – und um dieerneute Verstaatlichung des Yukos-Konzerns. Die russischen Steuerbe-hörden forderten deshalb von Yukos eineSteuernachzahlung von mehr als 5,5 Mil-liarden Euro. Yukos konnte das Geldnicht aufbringen und musste seinen wer-tvollsten Konzernteil, den ÖlproduzentenYugansneftegas, versteigern. Die staat-liche russische Ölgesellschaft Rosneft

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übernahm Yugansneftegas für etwa dieHälfte des geschätzten Marktwertes.Bereits vorher hatten seltsame Auflagendes russischen Staates dafür gesorgt,dass der Marktwert von Yukos und sein-er Tochtergesellschaften deutlich sank.

Der Prozess gegen den Yukos-ChefChodorkowski und den MitangeklagtenPlaton Lebedew erinnerte an dieSchauprozesse aus Sowjetzeiten. DasGericht gab sich keine Mühe, die Rechteder Angeklagten zu beachten, und dieStaatsanwaltschaft gab sich keine Mühe,ihre Anklagen zu beweisen. Die Verle-sung des Urteils schließlich hätte auseinem Stück von Kafka stammenkönnen: Zehn Verhandlungstage lang lasdie Richterin mit monotoner Stimme dasmehr als tausendseitige Urteil vor.

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Große Teile davon stimmten wörtlich mitder Anklageschrift überein. Am 30.Mai2005 verurteilte das Gericht die beidenAngeklagten schließlich zu je neunJahren Straflager. Das Revisionsgerichtverringerte das Urteil am 22.September2005 auf acht Jahre Lagerhaft.

Inzwischen hat der russische Staateine Reihe weiterer Privatunternehmenin seinen Besitz gebracht, unauffälligund ohne großen Widerstand derBetroffenen.

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Die Attentate auf das Pentagonunddas World Trade Center vom11.September 2001

Die Fakten zu diesem Ereignis sindschnell aufgezählt: Am Morgen des11.September 2001 entführten islam-istische Terroristen vierVerkehrsmaschinen in den USA. Sieübernahmen die Steuerung derMaschinen und schalteten als Erstes dieTransponder ab, um die Erkennung derFlugzeuge zu erschweren. Dann lenktensie die Maschinen als riesige Bombenauf die vorher festgelegten Ziele. Um

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8.46 Uhr Ostküstenzeit schlug die ersteMaschine in den Nordturm des WorldTrade Center ein, um 9.03 Uhr diezweite in den Südturm. In beiden Tür-men brachen daraufhin schwere Brändeaus. Sie schwächten die Stahlträger-Strukturen der Gebäude so sehr, dassbeide Türme innerhalb von neunzigMinuten zusammenbrachen. Um 9.37Uhr steuerte einer der Terroristen dasdritte Flugzeug ins Pentagon, dasamerikanische Verteidigungsministeri-um. Die vierte Maschine stürzte um10.06 Uhr bei Shanksville inPennsylvania ab. Bei den Attentatenstarben insgeamt fast dreitausendMenschen.

In den nächsten Tagen identifiziertendie Behörden 19 Entführer, von denen

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15 aus Saudi-Arabien stammten, zweiaus den Vereinigten Arabischen Emir-aten, einer aus Ägypten und einer ausdem Libanon. Von Anfang an ver-dächtigten die amerikanischenErmittlungsbehörden die OrganisationAl-Quaida des Islamistenführers Osamabin Laden, die Attentate vorbereitet unddurchgeführt zu haben. Die Gruppehatte im August 1998 verheerende Auto-bombenanschläge auf die amerikanis-chen Botschaften in Nairobi und Dares-salam durchgeführt, die 224 Menschentöteten und die gesamte Umgebung derBotschaften verwüsteten. Im Oktober2000 steuerte ein Al-Quaida-Kommandoim Hafen von Aden ein mit Sprengstoffgefülltes Schnellboot gegen den

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amerikanischen Zerstörer Cole, der dortvor Anker lag. 17 Seeleute starben.

Osama bin Laden, der Anführer derGruppe, entstammt einer reichen saudi-arabischen Familie. Sein persönlichesVermögen wird auf einige hundert Mil-lionen Dollar geschätzt. Zu Beginn derneunziger Jahre agitierte er gegen dieAnwesenheit amerikanischer Streitkräftein Saudi-Arabien. 1991 verbannte ihn diesaudische Regierung und bürgerte ihn1994 aus. Seine Familie verstieß ihn undzahlte ihm sein Erbteil aus (etwa 300Millionen Dollar). 1996 ging er nachAfghanistan, in dem seit September 1996die fundamentalistischen Taliban denjahrelangen Bürgerkrieg für sichentschieden hatten. Dort baute binLaden unter dem persönlichen Schutz

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des geistlichen Führers Mullah Moha-mad Omar Achund die Al-Quaida-Organ-isation auf. Er ließ auch islamistischeSchulen für die Kinder wohlhabenderAraber und Trainingslager für islam-istische Terroristen errichten.

Osama bin Ladens persönliches Ver-mögen und ein weltweites Netz vonSpendenorganisationen und Finanzier-ungsunternehmen sicherten ihm dienötigen finanziellen Mittel. 1998proklamierte Al-Quaida dann die »Inter-nationale Islamische Front für den Heili-gen Krieg gegen Juden und Kreuzritter«und erklärte die »Tötung der Amerikan-er und ihrer Verbündeten« zur »persön-lichen Pflicht eines jeden Muslim«. Kurzdarauf begann die Serie von Terroran-schlägen, von denen die Attentate auf

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das World Trade Center und dasPentagon die spektakulärsten waren.

Die Verschwörungslegenden zu den At-tentaten des 11.September bezweifeltenpraktisch jedes Detail des Ablaufs. ZumBeispiel behaupten sie:

• Die angeschuldigten Araber seiennicht an Bord der Maschinegewesen. Mindestens fünf vonihnen seien noch am Leben.

• Die Entführer hätten dieVerkehrsmaschinen nicht fliegenkönnen.

• Die Flugzeuge hätten das WorldTrade Center nicht zum Einsturzbringen können. Es sei so konstru-iert gewesen, dass es einen Flug-zeugeinschlag aushalten musste.

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• Die Türme des World Trade Centersseien gesprengt worden.

• Die US-Luftwaffe hätte die ent-führten Flugzeuge abschießenkönnen, hat es aber nicht getan.

• Ins Pentagon sei kein Flugzeug,sondern ein Marschflugkörpereingeschlagen.

• Das Loch, das die bei Shanksvilleabgestürzte Maschine gerissen hat,sei zu klein für ein Verkehrsflug-zeug. Oder: Dort seien keine Resteeines Verkehrsflugzeuges gefundenworden.

• Alle großen Zeitungen und allegroßen Fernsehsender in den USAund Europa ignorieren alle Erkennt-nisse, die den offiziellen Mitteilun-gen widersprechen.

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Keines dieser Argumente ist unwider-sprochen geblieben. So brachte beis-pielsweise die BBC kurz nach dem At-tentat die Meldung, dass Waleed al-Shehri, einer der Flugzeugentführer,noch lebte. Diese Meldung war nochJahre später unkommentiert auf demBBC-Internetportal abrufbar. Dennochist sie nachweislich falsch. Der Artikelstützte sich nicht auf eigene Recher-chen, sondern auf einen anderen Artikel,der wiederum einen arabischen Artikelwiedergab. Die ursprüngliche Quelle derFalschmeldung ist nicht auffindbar.

Verschiedene Autoren, zum BeispielJohn Goetz für den WDR, haben dieAngelegenheit recherchiert und festges-tellt, dass alle Attentäter definitiv tot

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sind. Die endgültige Liste der Attentätermit Namen und Fotos, die das FBI am27.September 2001 veröffentlicht hat,erwies sich auch in den weiterenErmittlungen als korrekt. Auch alle an-deren Behauptungen lassen sichwiderlegen.

Trotzdem haben sich die Ver-schwörungslegenden zu den Attentateninzwischen verfestigt. Die Autoren, diesie vertreten, zitieren sich gegenseitigund bilden so ein Geflecht von einanderstützenden Aussagen. Wer beispiels-weise behauptet, bei Shanksville sei keinFlugzeug abgestürzt, sondern man habenur einige Bruchstücke verstreut undeine Sprengladung gezündet, kannDutzende von Referenzen dafür an-führen. Wer behauptet, ins Pentagon sei

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kein Flugzeug eingeschlagen, kann aufeinen ganzen Stapel Schriften verweis-en, die spitzfindig nachweisen, dass inden Luftbildern des Pentagon nach demEinschlag kein Flugzeug zu sehen ist. Dafällt es offenbar nicht sonderlich insGewicht, dass Augenzeugen beideEreignisse gesehen haben.

Warum aber bohren so vieleMenschen in den Einzelheiten der Kata-strophe herum? Suchen mit der LupeBilder ab, vergleichen Hunderte vonZeugenaussagen auf kleinste Unter-schiede? Warum behaupten sie, dass dieallermeisten Zeitungen und Fernseh-sender sich verabredet haben, falsch zuberichten? Es geht ihnen nicht etwa umdie Vollständigkeit der Rekonstruktion.Im Gegenteil: sie ignorieren bestimmte

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Tatsachen oder Aussagen ebenso auffäl-lig, wie sie andere hervorheben. Nein,sie versuchen zu beweisen, dass dieUrheber der Anschläge nicht etwa ar-abische Terroristen waren, sondern dieRegierung der USA.

Die Autoren argumentieren dabei so:Nur eine äußerst mächtige Organisationhätte die Mittel, die Öffentlichkeit um-fassend zu täuschen, ihre eigene Rollezu verheimlichen und die Aufdeckungihrer Verschwörung dauerhaft zuverhindern.

Diese Argumentation ist ein Ring-schluss, ein selbstbeweisender Satz nachder Logik des alten Kinderwitzes:

»Warum haben Elefanten roteAugen?«»Weiß ich nicht«

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»Damit sie sich besser imKirschbaum verstecken können!«»Aha.«»Hast du schon mal einen Elefantenim Kirschbaum gesehen?«»Nein.«»Da siehst du mal, wie gut sie sichverstecken!«

Im Fall der Attentate des 11.Septembergehen die meisten Verschwörungsle-genden davon aus, dass ein Elefant inden Kirschbaum geklettert sein muss,also die Regierung der USA beteiligtgewesen sein muss. Weil aber auch beigenauer Betrachtung kein Elefant zu se-hen ist, muss er einen besonders großenAufwand getrieben haben, um sich zuverstecken. Also ist es offenbar ein be-sonders großer und mächtiger Elefant.

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Diese Logik ist nicht sonderlich zwin-gend, dennoch findet sie erstaunlichviele Anhänger. Die Zeit veröffentlichteam 24.Juli 2003 eine Umfrage, nach deres drei von zehn jungen Menschen inDeutschland für möglich halten, dass dieRegierung der USA die Anschläge aufdas Pentagon und das World TradeCenter selbst in Auftrag gegeben hat.

Im Kapitel über Sozialpsychologie hat-ten wir als Faktor für die Verzerrung desrationalen Denkens unter anderemaufgeführt: Menschen glauben von ver-schiedenen alternativen Erklärungen fürein Phänomen oder Ereignis am ehestendiejenige, die ihrem bisherigen Weltbildam genauesten entspricht. Das gilt auchdann, wenn diese Erklärung deutlich

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komplizierter und unwahrscheinlicherals andere Erklärungen ist.

Weltweit glauben viele Menschen,dass Selbstmordanschläge ein zwarnicht legitimes, aber durch die Um-stände erzwungenes Verteidigungsmittelverzweifelter Palästinenser gegen die is-raelische Übermacht sind. Ein islam-istischer Terroranschlag mit der willkür-lichen Ermordung von 3000 Menschenpasst nicht in dieses Weltbild. Deramerikanischen Regierung unter GeorgeBush und den amerikanischen Geheimdi-ensten trauen viele Menschen dagegenjedes Verbrechen zu, sogar eine Ver-schwörung zur Zerstörung des WorldTrade Center durch entführteVerkehrsflugzeuge.

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Weil aber die Ermittlungen wenigRaum für diese Hypothese lassen,wirken viele Verschwörungslegenden biszur Lächerlichkeit konstruiert.

So behauptet Andreas von Bülow,dass die Flugzeuge ferngesteuert wur-den, dass die Türme des World TradeCenter zusätzlich gesprengt wurden unddass der israelische Geheimdienstvorher Bescheid wusste, weil angeblich»statistisch auffällig wenig« Israelisunter den Toten waren. Und natürlichsei alles perfekt vertuscht worden.

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Die Verschwörungstheorienzum 11.September

Die am häufigsten vorgetragenen Ver-schwörungslegenden legen nahe, dassamerikanische Nachrichtendienste dieAttentate begangen haben. Die meistenVerschwörungstheoretiker sagen das al-lerdings nicht offen. Im Klappentext desBuches Die CIA und der 11.Septembervon Andreas von Bülow wirbt der Verlagmit den Worten: »Ohne Geheimdienste,so Bülow, war eine derartige Operationnicht möglich – und die Spuren führenletztlich zu deren Netzwerk und zumCIA.« Dafür trägt von Bülow in seinem

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Buch fleißig Indizien zusammen – um amSchluss zu sagen: »Welche Tätergruppefür welche Tat in Frage kommt, bleibt of-fen.« Er zeigt mit dem langen Arm, nichtaber mit dem Finger.

Gerhard Wisnewski arbeitet ähnlich.Mathias Bröckers stellt lediglich fremdeVerschwörungstheorien vor, um sie dannmit eigenen Ideen auszubauen. Auch diemeisten Verschwörungsartikel im Inter-net häufen Indizien für eine Beteiligungder US-Regierung auf, halten aber un-mittelbar vor der Schlussfolgerung an.Warum legen sie alle ein Mosaik von Ind-izien zusammen und setzen den letztenStein nicht mehr ein? Der wahrschein-lichste Grund ist: Sie sehen sich nicht alsVerschwörungstheoretiker. Im allge-meinen Verständnis sind

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Verschwörungstheoretiker Menschenmit ungewisser geistiger Gesundheit,oder kurz ausgedrückt: Spinner. Wer dieletzte Schlussfolgerung nicht mehrniederschreibt, sondern nur zwischenden Zeilen durchscheinen lässt, ist inseinem Selbstverständnis kein Ver-schwörungstheoretiker. Er trägt schließ-lich nur Indizien zusammen und kannnichts dafür, wenn seine Leser eine Ver-schwörungstheorie daraus konstruieren.

Die gängigsten Verschwörungstheorien,also die pseudorationalen Untermauer-ungen der Attentatslegende, sind:

• Die US-Regierungen hätten bereitsmehrfach Angriffe auf die eigeneBevölkerung zugelassen, provoziertoder selbst durchgeführt, um

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gegenüber der eigenen Bevölker-ung einen Krieg durchzusetzen. Sohabe Präsident Roosevelt von demjapanischen Überfall auf Pearl Har-bor gewusst, ihn aber zugelassen,um Amerikas Kriegseintritt zuprovozieren.

• Die US-Regierung plane, unter demDeckmantel der Terrorbekämpfungdie Demokratie in Amerika zu be-seitigen und jeden zukünftigenMachtwechsel unmöglich zumachen.

• Die US-Regierung strebe ents-prechend der neokonservativenIdeologie nach der Weltherrschaft.Der Kampf gegen den Terror seinur ein Vorwand für weltweite mil-itärische Operationen zur Stärkung

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der amerikanischen Dominanz. Dasdient wiederum den Wirtschaftsin-teressen der großen US-Konzerne.

Die Argumente entstammen zwei ver-schiedenen Domänen: Die ersten beidenPunkte unterstellen der US-Regierungden Verrat am eigenen Volk. Die Konser-vativen, so lautet der Vorwurf, benutzendas Volk zynisch als Schlachtvieh für ei-gene Interessen. Sie wollen die De-mokratie aufheben, um das Volk unter-drücken zu können. Diese Argumenterichten sich an Amerikaner. Der letztePunkt spricht dagegen vorwiegend dieübrige Menschheit an, denn er würdeUS-Bürger nicht unbedingt erschrecken.Viele Amerikaner sind überzeugt, dasseine Vorherrschaft ihres Landes der

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Welt durchaus gut tun würde. Die imJahre 2000 veröffentlichte Studie Re-building America’s Defenses des regier-ungsnahen Project for the New Americ-an Century befürwortete ganz offen einePolitik zur Herstellung einer »wohl-wollenden« Vorherrschaft der USA überdie Welt.

Die übrigen Länder der Welt sollenalso nicht nur zähneknirschend die einz-igartige wirtschaftliche und militärischeMacht der USA anerkennen, sondernauch noch deren moralische Überlegen-heit zugeben. Die US-Regierung unterPräsident Bush führte ihre Außenpolitikin den ersten Jahren tatsächlich nachdieser Prämisse. Damit verlangt sie al-lerdings Unmögliches: Jede Gruppe hältsich selbst für besser als andere

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Gruppen. Wenn die USA also von ander-en Völkern erwarten, ihre wirtschaft-liche, moralische, militärische undgesellschaftliche Überlegenheit an-zuerkennen, muss sie auf vehementenWiderstand stoßen. Dieser Effekt erklärtsehr gut, warum Verschwörungstheoriengegen die US-Regierung in der übrigenWelt so populär sind.

Bei Lichte betrachtet gibt es bishernicht den geringsten Hinweis, dass dieUS-Regierung irgendwie an den At-tentaten des 11.September beteiligt war.Deshalb beschränkt sich die Argumenta-tion der Verschwörungstheoretiker da-rauf, den Ablauf der Ereignisse zu be-streiten und die Regierung der USA undihre Geheimdienste als Verbrecher dar-zustellen. Ihren Erfolg verdanken sie

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vorwiegend der schlichten Tatsache,dass viele Menschen ihnen glaubenwollen, ganz gleich, wie löchrig ihreThesen sind.

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Der moderne Antisemitismusundseine Verschwörungstheorien

In den letzten Jahren erleben wir einerneutes Aufkommen von antisemit-ischen und antizionistischen Ver-schwörungstheorien. Antizionistischheißen Verschwörungstheorien, die sichgegen das Land Israel oder gegen denZionismus richten. Unter Zionismus ver-steht man die Bewegung zur Errichtungeines eigenen jüdischen Staates inPalästina, auf dem Gebiet des histor-ischen Israel. Das Brockhauslexikondefiniert Antizionismus als Nebenform

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des Antisemitismus, der Feindschaft ge-genüber Juden.

In der Gegenwart haben wir es mitzwei Phänomenen zu tun: Dem direktenAntisemitismus in islamischen Staatenund dem indirekten Antisemitismus inwestlichen Staaten. Der direkteAntisemitismus hat seinen Ursprung inden arabischen Staaten und ist dasErgebnis verschiedener Niederlagen derarabischen Staaten gegen den Staat Is-rael zwischen 1948 und 1973. Er hat sichinzwischen in weiteren islamischenStaaten ausgebreitet. So erklärte Dr.Ma-hathir Mohamad, der PremierministerMalaysias, auf der zehnten IslamischenGipfelkonferenz am 16.Oktober 2003 inPutrajaya:

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»[Einige Muslime glauben,] dieMuslime werden von den Europäern undden Juden immer unterdrückt werden …Die Europäer haben sechs von zwölf Mil-lionen Juden getötet. Aber heute regier-en die Juden über Strohmänner. Sielassen andere für sich kämpfen und ster-ben … Sie haben den Sozialismus, Kom-munismus, die Menschenrechte und dieDemokratie erfunden und erfolgreichpropagiert … «

Mahathir trat zwei Wochen später inden Ruhestand. Nicht etwa wegen seinerRede, sondern weil er nach 22 JahrenRegierungszeit und mit 78 Lebensjahrendes Regierens müde war. Die Rede wareine Art Vermächtnis.

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Auf der Frankfurter Buchmesse 2005stellte der Iran in Halle 5 neben Werkeneigener Autoren auch die Protokolle derWeisen von Zion in englischer Spracheaus. Herausgeber des Buches ist das»International Relations Department«der Islamischen Republik Iran. Ein ei-genes Vorwort erläuterte die Weltsichtder Herausgeber. »Die Vereinten Na-tionen sind der Zionismus. Es ist dieSuper-Regierung, die vielfach in den›Protokolle der Weisen von Zion‹ erwäh-nt ist.« Man wolle »das wirkliche Antlitzdes satanischen Feindes offen legen«,schreiben die Herausgeber. In den ar-abischen Ländern ist es ein Reflex ge-worden, einer Verschwörung vonAmerikanern, Juden und Israelis alleÜbel der Welt zuzuschreiben. Ein

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Beispiel: Nach der Aufdeckung derBeteiligung des syrischen Geheimdien-stes an der Ermordung des ehemaligenlibanesischen Staatschefs Hariri sprac-hen syrische Zeitungen von einer»israelisch-amerikanischenVerschwörung«.

Eine schlimme Wendung nahm derSkandal um 426 Kinder, die im staat-lichen Krankenhaus von Bengasi in Liby-en zwischen 1997 und 1999 an Aidserkrankten. Am 9.November 1999 nahmdie Polizei zwei Dutzend Menschen fest,Libyer, Bulgaren, Palästinenser. DieLibyer wurden freigelassen, dieAusländer aber nicht. Libyens StaatschefGhaddafi mutmaßte, der CIA oder derMossad stecke vielleicht hinter einemPlan, die Kinder absichtlich zu infizieren.

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So stand es auch in der Anklageschriftdes Prozesses gegen fünf bulgarischeKrankenschwestern, einen bulgarischenund einen palästinensischen Arzt. DerProzess kam nur mit einiger Verzöger-ung zustande, weil das Gericht ihn zun-ächst mangels Tatverdachts nicht eröffn-en wollte. Als wirkliche Ursache derAids-Infektionen galten die kata-strophalen hygienischen Verhältnisse indem Krankenhaus, das dem libyschenStaat gehört. In diesem Sinne äußertensich auch hochrangige europäischeGutachter im Prozess. Doch damit wäreder libysche Staat als Krankenhaus-träger für die Infektionen verantwortlichgewesen. So ist es nicht verwunderlich,dass eine libysche Kommission vor

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Gericht erklärte, die Angeklagten hättendie Kinder absichtlich infiziert.

Nach einem quälend langen Prozessverurteilte das Gericht dieKrankenschwestern und den palästinen-sischen Arzt am 6.Mai 2004 zum Todedurch Erschießen. Der bulgarische Arzterhielt vier Jahre Haft wegen des illega-len Tauschs von Devisen.

Seitdem verhandeln Amerikaner, Bul-garen und die Europäische Union überdie Bedingungen für die Freilassung derVerurteilten. Am 25.Dezember 2005 hobder oberste Gerichtshof Libyens dieTodesurteile auf und verwies das Ver-fahren an ein Strafgericht in Bengasizurück. Bei Drucklegung waren dieAngeklagten noch immer in Haft.

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Für viele Araber ist der Staat Israelnur der winzige sichtbare Auswuchseines gigantischen unterirdischen Ge-flechts jüdischer Machtpositionen. Diesejüdisch-christliche Weltverschwörung, soargumentieren sie, steuert die Welt-politik, ja selbst die Politik der arabis-chen Staaten. Sie ist für die Schwächeder arabischen Armeen, die Stagnationder arabischen Wirtschaft und die Ohn-macht der arabischen Politik unmittelbarverantwortlich.

Einige arabische Kommentatoren ver-suchen, diese lähmende Argumentations-kette zu sprengen, weniger um denJuden oder Israelis Gerechtigkeit wider-fahren zu lassen, sondern mehr um dieAraber zu veranlassen, ihre eigenen Sch-wächen zu erkennen und zu beseitigen.

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Die palästinensische Wissenschaftler-in Ghada al-Karmi schrieb am 4.Novem-ber 2003 in einem Artikel für die in Lon-don erscheinende Zeitung Al-Hayat:

»Die Theorie von der Verschwörunggegen den Islam wächst parallel mit derIntensivierung des amerikanisch-israelis-chen Klammergriffs auf die arabischeWelt. Dennoch wäre es falsch ihr zu fol-gen – auch wenn sie plausibel erscheint.Besser wäre es vielmehr, diese Theorieim Kontext der Niederlage und Un-fähigkeit der Araber und – daraus res-ultierend – ihrer Abwendung von derrealen Welt zu verstehen. Aber solcheTheorien sind nicht nur falsch, sondernauch gefährlich. Denn sie lähmen dasanalytische Denken und verdecken diewirklichen Gründe für die Niederlage

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der Araber. Darüber hinaus fördern sieden Vorwurf des Antisemitismus gegendie Araber, den Israel immer aus-zunutzen wusste.«

(Zitiert nach der Übersetzung desMiddle East Media Research InstituteMEMRI)

Andere arabische Autoren weisen aufdas seltsame Paradox hin, dass sich dieIslamisten der Al-Qaida der Anschlägeauf das World Trade Center und dasPentagon rühmen, während gleichzeitigviele Menschen in der islamischen Weltjede Beteiligung von Muslimen bestreit-en und Amerikaner, Israelis, Russenoder Jugoslawen hinter den Anschlägenvermuten. Aber selbst dieser Wider-spruch lässt sich in einer

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Verschwörungstheorie auflösen. Am12.April 2005 erklärte die bekanntesaudische Frauenrechtlerin SuheilaHammad in einem Interview mit dem ar-abischen Fernsehsender Al-Arabiya, dassder »globale Zionismus« hinter dem11.September stecke. Osama bin Laden,so erklärte sie, arbeite für die Juden.

Der große Vorteil von Verschwörung-stheorien ist es, dass man einen beliebi-gen Teil der Wirklichkeit als vor-getäuscht definieren kann. Damit lässtsich alles beweisen.

Der europäische Antisemitismus lässtsich in zwei Teile teilen: den Antisemitis-mus rechtsextremer Gruppen, und denvom Bild des Nahostkonflikts geprägtenAntisemitismus, der Juden in aller Welt

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mit dem Umgang der Israelis mit denPalästinensern identifiziert. Die vorwie-gend esoterischen Verschwörungstheori-en aus dem rechtsextremen Lager sindoft eine abstruse und geschichtsfremdeMischung aus älteren Verschwörung-stheorien und -legenden, wie zum Beis-piel in den Büchern von Jan Udo Holey.Er sieht die Illuminaten, eine »jüdisch-freimaurerische Verschwörung«, alstreibende Kraft der Weltgeschichte. Sieseien für die Russische Revolution undbeide Weltkriege verantwortlich, be-hauptet Holey. Die Protokolle der Weis-en von Zion gelten in diesem Umfeldvielfach als authentische Dokumente.

Der europäische Antisemitismus, dersich aus der Auseinandersetzung zwis-chen Israelis und Palästinensern speist,

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existiert sowohl am rechten wie auch amlinken Rand des politischen Spektrums.Beide Seiten benutzen antisemitischeStereotype. Während aber die rechtsex-tremen Gruppen offen von einem »judeo-amerikanischen Weltbeherrschungsap-parat« sprechen, richten sich die An-griffe linker Gruppen nicht gegen dieJuden an sich, sondern gegen Israel. Fürsie übernimmt die israelische Regierungdie Eigenschaft eines absoluten Feindb-ildes, eines negativen Abziehbildes ihrereigenen Ideale. Israel ist demnach im-perialistisch, rassistisch, kriegslüstern,zionistisch und faschistisch, während siesich selbst als anti-imperialistisch, antir-assistisch, pazifistisch, antizionistischund progressiv empfinden.

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Dabei fällt auf, dass die Kritiker Is-raels aus diesem Lager nie von Judensprechen, allenfalls von jüdischen Israel-is als Gegensatz zu arabischen Israelis.Trotzdem verwenden sie antisemitischeVorurteilsmuster. Einige konstruiereneine verschwörerische Beziehung zu denNeokonservativen in den USA, von den-en viele bekanntermaßen Juden sind.Auch Andreas von Bülow spekuliert inseinem Buch Der CIA und der11.September über die Mitwisserschaftdes Mossad, ohne eine jüdische Weltver-schwörung direkt anzusprechen. Wie To-bias Jaecker in seiner UntersuchungAntisemitische Verschwörungstheoriennach dem 11.September nachweist, ver-wendet aber auch von Bülow antisemit-ische Stereotypen.

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Der verstohlene europäischeAntisemitismus mischt sich in der Geg-enwart, also nach der Ära von Bill Clin-ton, mit einem vehementen Antiamerik-anismus. Der amerikanische HistorikerAndrei Markowits vertritt sogar denStandpunkt, dass beide Phänomene imLaufe der Zeit unauflöslich miteinanderverschmolzen sind. In einem Beitrag fürden Band Neuer Antisemitismus?schreibt er: »Heute jedoch sindAntisemitismus und Antiamerikanismussowohl begrifflich als auch empirischnicht mehr zu trennen.« Viele in Europaund Amerika verbreitete Verschwörung-stheorien sehen in der Tat Israel und dieRegierung der USA als gemeinsameTäter oder doch wenigstens als Täter inAbsprache.

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Internationale Organisationenals Feindbildam Beispiel der WTO

Die Welthandelsorganisation (WTO) ge-hört zu den kleineren internationalen Or-ganisationen. Sie beschäftigt in ihrerGenfer Zentrale 608 Menschen, diemeisten davon sind Übersetzer. DerGeneral-direktor ist nur dem Personalgegenüber weisungsbefugt, alles Übrigeentscheiden die Mitglieder. Jeder Mit-gliedsstaat hat eine Stimme, Luxemburgebenso wie die USA. Entscheidungenfallen im Konsens: Entweder sind sichalle einig, oder die Entscheidung kommt

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nicht zustande. Natürlich heißt dasnicht, dass etwa Mauretanien oder derSenegal ebenso viel zu bestimmen hät-ten wie England, Deutschland oder Ch-ina. Vor den Abstimmungen im Plenumscharen die wirklich Mächtigen ihre Kli-enten um sich. Da geht es um Macht, An-sehen, Prestige, Ehrgeiz und natürlichum Geld.

Wenn alle zwei Jahre das Plenum derMinister tagt, das höchsteEntscheidungsgremium der WTO, sinddie Grabenkämpfe meist entschieden,Pakete sind geschnürt, die Entscheidun-gen stehen jedenfalls fast. Die ständigeMannschaft der WTO umfasst nur das in-ternationale Sekretariat für die Mit-glieder eines internationalen Vertrag-swerks, des World Trade Agreement.

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Das Sekretariat in Genf ist ein Forum,ein Treffpunkt, oder, wie Der Spiegelschreibt, »ein Basar, auf dem die ersteWelt mit allen anderen Welten Geschäftemacht«. Die WTO treibt selbst keinePolitik, ihr Chef, seit dem 1.September2005 der Franzose Pascal Lamy, ist imGrunde genommen wenig mehr als einVerwaltungsleiter.

Trotzdem ist die WTO der Lieblings-feind der Globalisierungsgegner. Sieweisen ihr eine geradezu dämonischeMacht zu. »Lasst Hongkong platzen!«,lautete der Aufruf auf der Website vonAttac, dem Netzwerk der Globalisier-ungsgegner, zur Ministertagung inHongkong im Dezember 2005. Weil diechinesischen Behörden aber von großenDemonstrationen nicht viel halten, fand

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der Protest vorwiegend im Internet statt.»Die WTO treibt die Ausbeutung vonMenschen und Natur voran, um transna-tionalen Konzernen und Eliten Profite zusichern«, schrieb Attac in seinem Aufruf.Die Globalisierungsgegner sehen dieWTO als eine gigantische Verschwörungder internationalen Konzerne.

Das Ziel der WTO, genauer gesagt,des zugrunde liegenden Vertragswerks,ist der Abbau von Zöllen und Han-delshemmnissen. Ohne die WTO könntejeder Staat seine Handelsrichtlinien sofestlegen, wie es seinen wirtschaftlichenInteressen entspricht. Natürlich pro-voziert jeder Schutzzoll Gegenmaßnah-men anderer Staaten. Je stärker dieWirtschaftskraft eines Staates, um sobesser wird seine Verhandlungsposition

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im Ringen um Zölle und Gegenzölle. Nurreiche Industriestaaten verfügen überausreichende Druckmittel, ihre Handels-richtlinien gegen alle anderen zu vertei-digen. Oder um das Bild vom Basar an-zuwenden: Wenn auf einem Basar diegroßen Händler die kleinen über-vorteilen, nutzt es nichts, den Basar zuschließen und die Marktordnungaufzuheben. Außerhalb des Basars undjenseits aller Marktregeln werden dieGroßen den Kleinen eher noch schlim-mer zusetzen.

Die Forderung nach der Abschaffungder WTO ist ein klassisches Beispiel füreine reduktive Hypothese. Die angenom-mene Ungerechtigkeit des Welthandelswird hier auf die Existenz einer einzigenOrganisation zurückgeführt. Deren

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Beseitigung, so glauben die WTO-Gegn-er, bringt die Welt der Gerechtigkeit ein-en großen Schritt näher. Um diese Hypo-these plausibel zu machen, müssen dieGlobalisierungsgegner der WTO eineheimliche Machtfülle zuschreiben, diesie nicht hat, also einen Ver-schwörungsglauben propagieren. Erstihre Dämonisierung als Zwangsinstru-ment, als kapitalistischer Ausbeuter,Zerstörer der Natur und als heimlicherBüttel internationaler Konzerne kanndem Aufruf zur Abschaffung der WTOüberhaupt erst Glaubwürdigkeit undDringlichkeit verleihen.

Mit den »transnationalen Eliten«, dieAttac neben den »transnationalenKonzernen« als Profiteure nennt, ist dieFinanzelite gemeint, die in rechts-

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esoterischen Verschwörungstheorienstets als jüdisch bezeichnet wird. Damitwill Attac jedoch nichts zu tun haben.

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Die Grenzen der Verschwörung

Politiker verbringen einen beträcht-lichen Teil ihrer Zeit mit der Abwehr vonechten oder eingebildeten Intrigen undVerschwörungen. Andererseits ist nichtjede von mehreren Seiten gleichzeitigvorgetragene Attacke das Ergebnis einerVerschwörung. Der US-Präsident BillClinton hatte während beider Amtszeitenbeständig mit Anschuldigungen aller Artzu kämpfen. Es begann mit der sogenannten Whitewater-Affäre, einem Im-mobiliengeschäft der Clintons mit einemPartner, der sich als Betrüger erwies.Die Geschäfte stammten aus der Zeit vor

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Clintons Präsidentschaft, als er nochGouverneur in Arkansas war. Die Clin-tons verloren dabei etwa 50 000 US-Dol-lar, trotzdem wurde ihnen vorgeworfen,das Geschäft politisch beeinflusst zuhaben. Die Angelegenheit wurde unter-sucht, und die Beschuldigungen wurdenentkräftet. Das war im März 1992. ImHerbst 1993, ein Jahr nach ClintonsWahl zum Präsidenten, kamen die Vor-würfe wieder hoch.

Präsident Clinton forderte die Einset-zung eines Sonderermittlers, um dieSache klären zu lassen. 1994 wurde derRepublikaner Robert Fiske als Sonderer-mittler eingesetzt, aber recht schnelldurch den wenig bekannten Konservat-iven Kenneth Starr ersetzt. Starr gingseinem Auftrag mit dem Eifer eines

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mittelalterlichen Inquisitors nach. Erverfolgte alle möglichen Spuren, erweit-erte mehrmals seinen Ermittlungsrah-men und verhinderte nicht, dass ständigErmittlungsergebnisse, vertrauliche Zeu-genaussagen oder Vermutungen ausseinem Büro an die Öffentlichkeit getra-gen wurden. Er untersuchte bald nichtnur die Whitewateraffäre, sondern auchalle weiteren Anschuldigungen, die ihmbei seiner Tätigkeit zu Ohren kamen.Hillary Clinton vermutet in ihren Mem-oiren, dass der Sonderermittler dieAngelegenheit aus politischen Gründenin die Länge zog. 1996 stellte sich BillClinton nach vier Jahren Präsidentschaftzur Wiederwahl, und die Sclagzeilen ausdem Untersuchungsausschuss konntenihn durchaus Stimmen kosten.

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Kenneth Starr war nicht der Einzige,der mit zweifelhaften Methoden gegenBill Clinton vorging. Ebenfalls im Jahre1994 erschien eine Video-Kassette mitwüsten Anschuldigungen gegen denPräsidenten. Unter dem Titel The Clin-ton Chronicles veröffentlichte eine kalif-ornische Organisation mit dem vielsagenden Namen »Bürger für eine ehr-liche Regierung« Vorwürfe, die vonsexueller Belästigung bis zum Auftrags-mord reichten. Hinter der Organisationstand Reverend Jerry Falwell, einerzkonservativer Fernsehprediger. Erbesaß eine Kette von Fernsehstationenund war vorher im Wesentlichen durchphantasievolle Finanztransaktionenaufgefallen, die seine Anhänger viel Geldgekostet hatten.

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Der republikanische Senator PhilipCrane schrieb einen lobenden Begleit-brief zu dem Machwerk, und Jerry Fal-wells Organisation verschickte beideszusammen an die republikanischen Sen-atoren in Washington. Auf Anfragebetonten beide, sie wollten damit nichtetwa andeuten, dass irgendeine der An-schuldigungen auf dem Band wahr sei.Zur gleichen Zeit verbreitete der wortge-waltige ultrarechte Fernsehkommentat-or Rush Limbaugh regelmäßig die unge-heuerlichsten Anschuldigungen gegenden Präsidenten und seine Frau.

Zu Beginn des Jahres 1998 vermuteteHillary Clinton öffentlich, sie und ihrMann seien das Opfer einer großangelegten Verschwörung der Rechten.

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Das Time Magazine warf daraufhin dieFrage auf, ob die First Lady einen Ver-folgungswahn entwickelte hätte. DieRedaktion forschte selbst nach und stell-te am 9.Februar 1998 Folgendes fest: »… Das besagt nicht, dass Paranoiker unddie Clintons keine wirklichen Feindehaben – und dass einige dieser Feindenicht vernetzt sind, manchmal aufbizarre, unheimliche Art und Weise.«

Die Gegner Bill Clintons hatten offen-bar fast unbegrenzte Mittel zur Verfü-gung, und ein beträchtlicher Teil davonließ sich zu einem geheimnisvollenerzkonservativen Milliardär zurückver-folgen: den sehr zurückgezogenlebenden Richard Mellon Scaife.

Scaife gibt keine Interviews und hatkeine Memoiren geschrieben. Er spendet

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viel Geld für wohltätige Organisationenund konservative Vereine. War er derDrahtzieher im Hintergrund? Gab esüberhaupt einen Drahtzieher? Oder war-en sich Ultra-Konservative unterschied-licher Herkunft auch ohne Abspracheeinig darin, diesen charismatischen undklugen Präsidenten mit allen Mitteln zustürzen?

Hier zeigen sich die Grenzen derAufklärung von Verschwörungen.Manchmal lässt sich einfach nicht fests-tellen, ob eine heterogene Gruppe vonMenschen sich abgesprochen hat, oderob sie lediglich ein gemeinsames Zielverfolgen und deshalb ohne besondereKoordination zusammenarbeiten.

Inzwischen sind alle Ermittlungenabgeschlossen. Außer Clintons

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peinlicher Sexaffäre mit der PraktikantinMonica Lewinsky ist von den Vorwürfennichts übrig geblieben. In derWhitewater-Affäre war dem EhepaarClinton laut Abschlussbericht des Son-derermittlers aus dem Jahr 2000 nichtsnachzuweisen, ebenso wenig wie in denanderen untersuchten Affären. Um dieseTatsache festzustellen, hatten ClintonsGegner eine sechs Jahre dauernde Son-derermittlung durchgesetzt, die mehr als40 Millionen US-Dollar verbrauchte.

Der Sonderermittler Starr ließ sichbereits vor dem Abschlussbericht vonseinem Amt entbinden. Er war danacheinige Jahre als Anwalt tätig und ist jetztDekan der Juristischen Fakultät an derprivaten Pepperdine University in Kali-fornien. Sie steht der freikirchlichen

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Church of Christ nahe und gilt alsbedeutende konservative Ausb-ildungsstätte, nicht zuletzt aufgrundeines sehr großzügigen Spenders, derihr über die Jahre mehr als zwölf Million-en US-Dollar zukommen ließ. Seinen Na-men haben Sie schon gehört: Er heißtRichard Mellon Scaife.

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Die Suche nach der letztenWahrheit

Viele Verschwörungstheoretiker undihre Anhänger suchen nicht nur eineVerschwörung – in Wirklichkeit sind siean Höherem interessiert: Sie suchen dieWahrheit. Nicht etwa irgendeineWahrheit, sondern die letzte Wahrheit,die endgültige Gewissheit. Unter nor-malen Umständen führt kein Weg dor-thin, manchmal aber öffnet sich docheine kleine Seitenpforte.

Als man mit dem Untergang der DDRdie Stasi-Archive öffnete, da wurden ihreGeheimnisse mit einem Schlag offenbar.

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Und als sie offenbar wurden, wurden siebanal. Nicht, dass der Stasi wenigerErkenntnisse gesammelt hätte, als manerwartete. Nein, die Erkenntnisse selbst,auf vergilbtem Papier getippt, mit Stem-peln, Anmerkungen und Korrekturenversehen, waren banal. Selbst daswahrhaft Böse darin, die operativenMorde, wirkt plötzlich kleinlich undbürokratisch. Menschliche Schwächenund Gemeinheiten, gedankenlose Regi-metreue, der Verrat intimer Nähe, amt-liche Berichte über persönliche Ge-spräche, Gerüchte und böse Verleum-dungen, die ganze Klaviatur menschlich-er Niedertracht war zu Worten ger-onnen, getippt von gleichgültigenSchreibkräften auf volkseigenenSchreibmaschinen.

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Letzte Wahrheiten aber fehlten. Eineganze Gruppe von Verschwörungstheori-en verlor so ihre Existenzberechtigung.Die Stasi wusste beispielsweise nicht, wodas Bernsteinzimmer war, das deutscheTruppen 1941 aus dem Katharinenpalastgestohlen hatten. Und es fanden sichkeine Unterlagen, mit denen man dassagenhafte Nazigold hätte finden können– jene Schätze, die führende Nation-alsozialisten vor dem Zusammenbruchihres Regimes versteckt haben sollen.

Ein echter Verschwörungstheoretikerläßt sich davon nicht beeindrucken. Erweiß, dass seine Theorie wahr ist. De-shalb verbringt er seine Tage damit, sieallen Skeptikern zweifelsfrei zu beweis-en. Er weiß, dass hinter den verschlun-genen Pfaden der Geschichte eine

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einfache Wahrheit stecken muss, dassdie Großen der Welt nichts weiter alsMarionetten sind, die an unsichtbarenFäden hängen. So sucht er sein Lebenlang nach dem Gang, der hinter dieBühne führt. Er will die Welt als Theater-dekoration entlarven und träumt davon,irgendwann die letzte Tür zu öffnen unddem großen Puppenspieler unmittelbargegenüberzustehen.

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Statt eines EpilogsBegegnung mit dem Herrn der Welt –eine kleine Verschwörungsgeschichte

Es klopfte. Tock. Tock. Die schwere Türdes Hotelzimmers dämpfte den doppel-ten Ton und verlieh ihm den Charaktereiner höflichen Anfrage. Er beschloss,nicht zu öffnen. Zwei Stunden vorseinem Vortrag brauchte er Ruhe. Allewussten das. Tock! Tock! Sollte er dieRezeption anrufen und sich noch einmalausdrücklich »Privacy« ausbedingen?Unschlüssig schielte er auf den Telefon-hörer. Tock!! Tock!! Er warf die Blätterdes Vortragsskripts auf den Tisch undstand seufzend auf. Wahrscheinlichhatte irgendeiner seiner Leser die

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Nummer seines Hotelzimmers erfahren.Damit konnte er umgehen. Er öffnete dieTür, soweit die Sicherungskette eszuließ, und spähte nach draußen.

Der Mann und die Frau draußensahen nicht aus wie die typische Klientelseiner Vorträge. Zu jung. Der Mann viel-leicht dreißig, sauber gescheitelt mitdunklen, aber nicht schwarzen Haaren.Die Frau stand hinter ihm, so dass er ihrGesicht nicht sehen konnte, aber von ihr-er Haltung her wirkte sie eher jünger alsder Mann. Nein, keine Fans. Zuvornehm. Zu gelassen. Vielleicht dieHoteldirektion?

»Ja?«, sagte er vorsichtig.»Guten Tag, Herr Notarius«, sagte der

Mann. »Wir bedauern aufrichtig, Sie

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stören zu müssen. Der Eine möchte Siesehen.«

»Wer?«»Der Eine. Der Große. Der Herrscher

der Welt. Und Sie sollten ihn nichtwarten lassen. Er hat wenig Zeit.«

Er starrte die beiden an. Sie sahennicht verrückt aus. Andererseits: wie se-hen Verrückte aus? Wie die Typen, dieihm nach seinen Vorträgen ihreManuskripte aufdrängten?

Die Frau ergriff das Wort: »HerrNotarius, wir stellen Ihnen natürlich frei,uns zu begleiten. Wir sind aber davonüberzeugt, dass sie den Einen gerne tref-fen würden, und er hat sich einigeMinuten seiner wertvollen Zeit für Siefreigehalten. Bitte machen Sie uns dieFreude und kommen Sie mit uns.«

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Was ihn überzeugte, war ihre Stimme.Der unbestimmbare Akzent und derreine, musikalische Klang. Jeder Satzwie von geheimnisvoller Musik unter-legt. Beinahe betäubt schloss er die Tür,befreite das Ende der Kette aus derMetallschiene und öffnete die Tür. Er er-wartete fast, dass die beiden verschwun-den waren, aber sie standen noch dort.Er sah den Mann an, kurz, und dann dieFrau. Sie war nicht mehr jung, aberauch nicht alt, mit ebenmäßigen, fastorientalischen Zügen. Von ihr ging einezeitlose Anziehung aus, eine fast greif-bare Aura des Weiblichen. Die ein-gelassenen Halogenspots in der Deckedes Flurs streuten funkelnde Sterne inihre nachtschwarzen Haare. Ihre

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dunklen Augen sahen ihn mit ruhiger Er-wartung an.

»Gehen wir«, sagte der Mann.Sie wandten sich um und gingen

voraus, ohne sich nach ihm umzudrehen.Sie versuchten gar nicht, den ödenSmalltalk aufzuziehen, zu dem sich of-fenbar jeder sonst verpflichtet fühlte.Dann standen sie plötzlich alle drei imFahrstuhl. Notarius suchte krampfhaftnach Worten.

»Wie haben Sie ihn genannt?«, fragteer den Mann.

»Wen?«»Den … na, den Herrscher der Welt?«Jetzt, da er es aussprach, kam er sich

dumm vor. Es gab keinen Herrscher derWelt. Das war ihm schon lange klar ge-worden. Auch wenn er in seinen

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Vorträgen immer wieder die Verborgen-en Gralsritter mit ihrem nie gefundenenSchloss als Herrscher der Welt bezeich-nete. Immer wieder neue Beweise dafürvorlegte, die er angeblich auf seinenWeltreisen gesammelt hatte. Inzwischenglaubte er ebenso wenig daran wie einStaubsaugervertreter an seine Staub-sauger. Sogar sein Pseudonym wäre ergerne losgeworden. Er hätte sich dochdenken können, dass aus Notarius, demgetreuen Protokollanten, nach einerWeile notorious werden würde. Hinterseinem Rücken nannte ihn der gesamteVerlag so. Und die verdammten Zeitun-gen. Er zwang sich, dem Mannzuzuhören, der eben zu einer Antwortangesetzt hatte.

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»Wir nennen ihn den Einen«, antwor-tete der Mann. »Sehen Sie, er brauchtkeinen Titel. König, Kaiser, Präsident,Führer, Maximo Lider. Das wäre nichtsfür ihn. Es gibt ihn nur einmal. Also ister der Eine.«

Der Fahrstuhl bremste, als die An-zeige auf R für Rezeption umsprang.»Bitte erschrecken Sie jetzt nicht«, sagtedie Frau und schob mit einer schnellenBewegung eine Magnetkarte in einenSchlitz unter den Druckknöpfen für dieStockwerkswahl. Dann drückte sie dieKnöpfe in scheinbar zufälliger Reihen-folge und zog die Karte wieder heraus.Der Fahrstuhl schien zu fallen, Notariusfühlte, wie sein Magen gegen das Zwer-chfell schlug. Ihm wurde schwindelig,und er musste sich gegen die Wand

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lehnen. Der Mann klappte neben ihmeinen verborgenen Sitz an der Wandaus: »Bitte setzen Sie sich doch. Wennder Fahrstuhl bremst, könnten Siestürzen.«

Er ließ sich auf den Sitz sinken undversuchte tief Luft zu holen, aber derSchwindel wurde davon eher stärker. Erpresste den Rücken gegen die gepol-sterte Wand. Sein Gewicht vervielfachtesich. Sie mussten tief unter der Erdesein.

»Kommen Sie.« Mit zitternden Knienstand er auf und folgte den beiden ausdem Fahrstuhl. Ein langer Gang lag vorihm, mit matt glänzenden Wänden undDecken. Ein Leuchtband an beidenSeiten der Decke warf ein schattenlosesLicht.

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Ihre Schritte hallten. Sie bogen umeine Ecke und fanden sich in einer Art U-Bahnstation wieder. Tunnel aus allenRichtungen mündeten dort. Menschenwarteten. Junge. Alte. In Jeans und Anzü-gen. In Burnussen und Gewändern, dieer nie gesehen hatte. Gespräche erfüll-ten die Luft. Er bemühte sich, Worteabzugreifen, aber die Sprachen warenihm fremd. Elegant und lautlos schwebteeine Bahn ein, weiß mit einem langen ro-ten Streifen.

»Kommen Sie«, sagte die Frau. Er fol-gte ihr. Sie führte ihn zu einem Segmentdes Zuges, dessen Türen sich nichtgeöffnet hatten. Sie legte ihre Handflach auf ein markiertes Rechteck undzog sie zurück. Ein Abschnitt der Wandverschob sich nach innen zurück und

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glitt zur Seite. »Unser VIP-Abteil«, sagteder Mann. Notarius stolperte hinein.Dämmerung. Tiefe Sessel. Ein runderTisch. Er ließ sich in einen der Sesselfallen. Die Tür schloss sich zischend.Elektromotoren summten, und die Sesseldrehten sich automatisch inFahrtrichtung.

Licht flammte auf, und er sah dasgroße Wappen an der vorderen Wand.Wie ein Schild geformt, roter Rand,weißer Grund, in der Mitte ein roterBalken. Darüber ein Kelch, darunter einSchwert, schräg von links unten nachrechts oben zeigend. Drei Blutstropfenfielen von der Spitze.

Das Wappen der Verborgenen Grals-ritter. Herrje, vor zwanzig Jahren hatteer es aus dunklen Andeutungen in alten

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Büchern mühsam rekonstruiert. Als ernoch daran glaubte.

»Sie kennen unser Wappen, nehmeich an?«, fragte der Mann.

»Ich, ja … aber«, brachte er mühsamhervor.

»Der Eine freut sich, den Mannkennenzulernen, der unserem Wirkenseit fast zwanzig Jahren ein so beredtesDenkmal setzt.«

»Der verborgene König des Grals?«Der Zug fuhr an und Notarius wurde

in den Sessel gepresst. Draußen heultedie Luft vorbei, dann wurde das Ger-äusch zu einem Wispern und verstum-mte schließlich ganz.

»Der Zug fährt außerhalb der Station-en in einer weitgehend luftleeren Röhre.

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Das geht schneller und erspart uns denLuftwiderstand«, sagte der Mann.

»In Ihren Büchern nennen Sie ihn denverborgenen König des Grals,« sagte dieFrau mit der Stimme wie Musik. »Wienennen ihn einfach den Einen.«

»Aber dann … «, seine Gedanken ras-ten. »Werden Sie mich töten?«, fragte erplötzlich.

»Aber nein«, sagte die Frau, »warumsollten wir? Der Eine möchte einfach mitIhnen sprechen, das ist alles.«

»Aber, wenn ich ihn sehe, dann ist ernicht mehr verborgen. Dann kenne ichsein Geheimnis. Ich kann über ihnschreiben. Über ihn reden. O Gott, meinVortrag! In zwei Stunden muss ich docheinen Vortrag halten!«

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Er verstummte, weil er merkte, dasser Unsinn redete.

Die Frau beugte sich vor und sah ihnan, ihre Augen waren schwarz wienächtliche Seen.

»Wir töten Sie nicht. Sie reden dochseit fast zwanzig Jahren über uns. Siezeigen unser Wappen, den Grundriss un-seres Schlosses, sie verbreiten unsereTaten. Was soll sich jetzt ändern, wennSie uns wirklich treffen?«

Ihre Stimme schwang langsam aufund ab, als wolle sie ihn wiegen. Augen-blicklich beruhigte er sich. Er lehnte sichim Sessel zurück und sah aus dem Fen-ster. Die Schwärze draußen sog seinenBlick ein. Er schloss die Augen. Erschöp-fung überkam ihn, und er begann zudösen.

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»Wir sind gleich da!«Die Stimme des Mannes weckte ihn.»Der Sessel wird sich gleich drehen,

damit die Verzögerung Sie nicht nachvorne zieht. Bitte heben Sie die Füße!«

Notarius stolperte hinter den beidenaus dem Zug auf einen Bahnsteig.Menschen. Stimmen. Ihn schwindelte,und erst im Fahrstuhl fand er wieder dieKraft, Fragen zu stellen.

»Wo sind wir?«»Chateau Brioche!«»Aber das kann nicht sein, den Namen

habe ich doch erfunden! Erfunden, ver-stehen Sie? Ich hatte ein Chateaubriandgegessen und da kam ich auf die Idee.«Der Fahrstuhl bremste und drückteseine Eingeweide hoch. Er brach ab und

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schluckte trocken. Die Türen des Fahr-stuhls öffneten sich.

Sie traten in einen weiten Ganghinaus mit Wänden aus großen unver-putzten Steinblöcken. Durch eine sch-male Tür gelangten sie in einen Burghof,weit wie ein Park, mit gepflegten Beetenund einem Ensemble großer Eichen undBuchen in der Mitte. Notarius blieb ein-en Moment stehen und genoss die kühleLuft. Er atmete tief ein, der Duft vonBlumen und Kräutern wehte ihn an. DerEindruck des Künstlichen, der Theater-dekoration, ließ etwas nach. Die beidenanderen schritten zügig voran, und ermühte sich hinterherzukommen. Er tratauf einen Klecks Vogeldreck und drehteseinen rechten Schuh bei den nächstenSchritten, um die Sohle zu säubern.

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Sie gingen quer über den Hof zueinem breiten Aufgang. Zwei Wachenstanden neben der breiten gläsernenFlügeltür. Der Mann sprach sie in einerfremden Sprache an, die Notarius nichtverstand, und sie gaben den Weg frei. Erwusste jetzt, was ihn hinter der Tür er-wartete. Er hatte den Grundriss selbstgezeichnet, nein, zusammenkomponiertaus den Grundrissen dreier Schlösser ineinem alten französischen Buch. Diegroße Empfangshalle und dahinter dieRäume der Weltregierung. Der Ver-sammlungssaal des Rates. Der GeheimeRaum. Wie im Traum folgte er denbeiden durch die Halle und in den Ver-sammlungssaal. Die Wachen salutierten.

Die Türen standen offen, und mehrerePersonen blickten auf. Sie standen in

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Gruppen zusammen: rechts zwei Frauen,wie seine Begleiterin nicht mehr jung,aber auch nicht alt, schlank und auf un-bestimmte Weise anziehend.

Vor ihm waren drei Männer in einlebhaftes Gespräch vertieft. Einer wargroß und schlank, mit einer scharfgeschnittenen Nase und ebenso scharfgezogenem Scheitel. Ein anderer sahaus wie ein Kleinstadtbürgermeister: et-was dicklich, das Gesicht voller Wohl-wollen, aber die Augen stets wachsam.Der Dritte machte einen ungemeingelehrten Eindruck, er schien auch derÄlteste der drei zu sein. Sein Gesichtwirkte schmal und asketisch, dennochgebräunt und fast ledern, mit hellen, et-was wässerigen Augen. Im Hintergrundstanden zwei Mönche, die Gesichter

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unsichtbar unter großen Kapuzen, undunterhielten sich leise.

Seine Begleiter – Notarius fiel auf,dass sie sich nie vorgestellt hatten –blieben stehen, ohne Anstalten zumachen, ihn den anderen vorzustellen.Eine Wache näherte sich, und der Manngab mit gedämpfter Stimme Anweisun-gen: »Der Eine hat jetzt Zeit für Sie.Nicht mehr als fünf Minuten. Folgen Sieder Wache!« Notarius fühlte, wie seinHerz zu klopfen begann. Er folgte derWache durch eine kleine Tür in einenGang, einen Gang, den er nie gezeichnethatte, aber der ihn näher an den Gehei-men Raum bringen musste. Der Wächterstoppte schließlich und streckte den Armaus, um Notarius zurückzuhalten. Danntrat er drei Schritte vor und klopfte an

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eine Tür. Nichts geschah. Notariusschlug das Herz bis zum Hals.

Da ging plötzlich die Tür auf, und eineStimme redete in einer fremden Spracheauf den Wächter ein. Der Wächter salu-tierte und trat zur Seite. Ein kleiner,äußerst beweglich erscheinender Manntrat aus der Tür.

»Guten Tag, Herr Notarius, und herz-lich willkommen. Nennen Sie mich ein-fach ›Sir‹, oder wenn es Ihnen besser ge-fällt: ›Majestät‹, von mir aus auch ›HerrKönig‹, obwohl das wirklich komischklingt, finden Sie nicht?«

Notarius starrte ihn an. Der Mannstrahlte die Herzlichkeit eines Hotel-direktors aus, hatte eisgraue, etwaskrause Haare und ein rundes Gesicht mitgenau den Falten, die ein dauerndes

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Lächeln in sein Gesicht graben würde.Sein tadellos sitzender Anzug war vonerstklassiger Unauffälligkeit.

Der Geheime Raum, von dem aus dieWelt regiert wird! Er folgte dem Mannbeklommen. Er trat durch die schmaleTür in ein Arbeitszimmer, das in jederbeliebigen Chefetage eines großen Un-ternehmens stehen könnte. Gegenüberlag die offizielle Tür des Raums, sie war-en durch eine kleine Nebentür gekom-men. Rechts ein wuchtiger Konferenzt-isch, Kirsche poliert, links ein riesigerSchreibtisch, darauf zwei sorgfältiggezirkelte Stapel dünner Schnellhefter.In der Mitte ein eingelassener Bild-schirm und eine fest in den Schreibtischintegrierte Tastatur mit gemasertenHolztasten.

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»Dies ist …?«»Aber nein, dies ist nur mein Arbeits-

raum. Kommen Sie weiter.«Sie gingen durch den Raum zu einer

Tür hinter dem Schreibtisch. DerHerrscher der Welt schritt hindurch, undNotarius folgte ihm mit zitternden Kni-en. Der Geheime Raum war riesig, under war rund, und er war leer. Sie schrit-ten eine Rampe herunter, die in dieMitte führte. »Seit Sie Ihr Buch ges-chrieben haben, haben wir umdekoriert.Es gibt da so eine englische Fernsehser-ie, die mir sehr gefallen hat, wie hieß siedoch noch? Danach haben wir den Raumgestaltet.« In der Mitte des Raumes fuhretwas aus dem Boden, das wie eineweiße Kugel aussah, erst auf denzweiten Blick sah Notarius, dass es ein

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etwas altmodischer Sessel aus densiebziger Jahren war. Ein Pult fuhr davoraus dem Boden und ein weiterer,kleinerer Sessel. Der Herrscher der Weltwarf sich in den weißen Sessel und griffnach einer Art Fernbedienung.

»Sehen Sie, von hier bin ich mit jedemPunkt der Welt verbunden«, sagte er.»Aber was rede ich denn, ich sollteIhnen etwas anbieten. So wie Sie ausse-hen, brauchen Sie einen Cognac.«

Notarius erwartete fast, dass einzwergenhafter Butler erschiene, umCognac zu bringen, aber der Herrscherder Welt griff unter das Pult und za-uberte eine Flasche und ein Glas hervor.

»Sie werden verzeihen, dass ich michnicht beteilige, aber ich habe noch einenlangen Tag. In wenigen Minuten muss

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ich noch eine Konferenzschaltung mitGeorge und Wladimir überstehen. Diebeiden sind nicht einfach.«

Er goss großzügig ein und Notariusbemerkte, dass er die Schrift auf derFlasche nicht lesen konnte.

»Sie wundern sich über unsereSprache? Aber ich bitte Sie! Sie wissendoch, wir sprechen und schreiben at-lantisch. Die Sprache des untergegan-genen Atlantis. Haben Sie doch selbstgeschrieben, oder irre ich mich?«

»Äh, ja, ich meine: nein.« Notariustrank einen großen Schluck Cognac. At-lantisch, das hatte einfach gut geklun-gen, als er es schrieb, und überprüfenkonnte das sowieso keiner.

Der Herr der Welt warf sich wieder inseinen Sessel und drehte sich zur Seite.

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»Wollen wir doch mal ins Oval Office se-hen, einverstanden?«

Die ganze Wand hinter ihnen strahlteplötzlich auf und verwandelte sich in dasriesige Bild eines mit viel Holz ein-gerichteten Raums ohne Ecken. Eineamerikanische Flagge stand neben demFenster. Der Platz hinter dem Schreibt-isch war leer.

»George kommt pünktlich und gehtpünktlich«, sagte der Herr der Welt,»wenn es eine Gewerkschaft für Präsid-enten gäbe, sie wäre stolz auf ihn.«

Notarius trank noch einen großenSchluck Cognac. Der Herr der Weltdrückte erneut auf die Fernbedienung.»Wie wäre es denn mit … ah ja, hier!«Ein großer dämmeriger Saal erschien,rund, mit vielen Tischen und Stühlen im

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Halbrund angeordnet, nur wenige davonwaren besetzt. »Der Deutsche Bun-destag. Debatte über … ich weiß nicht.Sie wird nicht im Fernsehen übertragen,deshalb ist kaum jemand da. Wen in-teressiert schon ein Thema, mit dem ersich nicht im Fernsehen profilierenkann.«

Er zoomte auf den Redner, der, aufsein Manuskript blickend, seine Redevorlas. Ab und zu sah er hoch undvergewisserte sich, ob noch jemand dawar, oder ob er, gänzlich allein gelassen,aufhören durfte. Der Herr der Weltdrückte eine Taste, das Bild erlosch.

»Ich muss Sie jetzt bitten, mich zuverlassen. Mein Assistent wird Siezurückbringen. Wenn Sie noch Fragenhaben, wird er sie gerne beantworten.«

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Unbemerkt war sein Begleiter in derTür erschienen.

»Ich bringe Sie hinaus«, sagte er inentschiedenem Ton.

Im Konferenzraum sahen die Beraterauf der großen Leinwand die beiden imFahrstuhl verschwinden. Die schwar-zhaarige Frau hatte sich zu ihnengesellt.

»Wie hast du es eigentlich gemacht,dass er dir gleich gefolgt ist?«, fragteder Mann mit dem wohlwollendenGesicht und strahlte sie an.

»Ich bin schließlich eine Hexe, vergissdas nicht.«

»Wie könnte ich das«, erwiderte derandere süffisant.

»Warum macht der Eine das eigent-lich? Diesen Aufwand mit der Dekoration

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als Chateau Brioche, dieses ganzeSpiel«, fragte der Alte. »Ihr wisst, ichbin erst seit einem Monat hierhinabgeordnet worden«, setzte er fastentschuldigend hinzu.

»Ich glaube, es macht ihm Spaß«,sagte die Frau. »Vor drei Monaten hat erhier alles so dekoriert, als wäre es dasUNO-Hauptquartier in New York, unddraußen hat er fünf schwarze Hubs-chrauberattrappen hingestellt. Als wirden Mann hierher geführt haben, konnteich kaum ernst bleiben.«

»Trifft er die Leute eigentlich selbst,oder schickt er jemanden?«

»Er beobachtet das Treffen nur. Erschickt einen Schauspieler, jedesmal ein-en anderen, eine immer wechselnde Nr.

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2. Aber das ist noch keinemaufgefallen.«

»Wir haben Notarius jetzt gezeigt,was er sehen wollte, was er immer schongeglaubt hat. Jetzt wird er sicher sein,dass er Recht hatte. Ob das gut ist?«,sagte der Alte.

»Sieh selbst!«, antwortete die Frau.»In einer Stunde ist er zurück in seinemHotelzimmer, und dann können wir aufder Leinwand sehen, was geschieht.«

»Sagen Sie mir, dass es ein Alptraumwar«, jammerte Notarius. Herbert Mei-er, der sich gerne »Herb« (sprich»Hörb«) nennen ließ, rief sich in Erin-nerung, dass der Verlag ihm gutes Gelddafür bezahlte, diesen Spinner auf seinerVortragstour zu begleiten. Schließlich

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verkauften sich seine bizarren Ver-schwörungsbücher wie warme Semmeln.Deshalb und nur deshalb war er auf denAnruf hin sofort in Notarius’ Zimmergeeilt.

»Sie haben mir gesagt, dass ich in al-lem Recht hatte, dass die VerborgenenGralsritter wirklich die Herrscher derWelt sind. Aber das ist unmöglich.«

Herb nickte verständnisvoll undverkniff sich die Bemerkung, dass ihndas nicht überraschte.

»Das muss ein Traum gewesen sein.Aber es war so echt! Entweder war esein Traum oder jemand hat michreingelegt. Moment, ich bin da in wasreingetreten.«

Zu Herbs Entsetzen angelte Notariusseinen rechten Schuh unter dem Tisch

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hervor, drehte ihn um und hielt ihn Herbunter die Nase. Der wich etwas zurück.Bei diesen Typen wusste man nie.

»Was denken Sie, was das ist?«,fragte Notarius.

»Ich … ich weiß nicht.«»Wie blöd sind Sie eigentlich! Wonach

sieht das aus?«»Also, als wären Sie in, mhm, einen

Vogelklacks getreten.«»Aha, das ist der Beweis! Sie wollen,

dass ich glaube, ich hätte Recht! Aberden Gefallen werde ich ihnen nicht tun!«

»Aber … «»Kapieren Sie nicht? Sagen Sie den

Vortrag ab!«»Ich soll … «

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»Ja, alles, was ich geschrieben habe,ist falsch. SIE wollen nur, dass ich dasverbreite. Aber ich tu’s nicht!«

Die Übertragung endete.»Beeindruckend!«, sagte der Alte.»Das geht immer so, Notarius ist da

keine Ausnahme«, sagte der schlankeMann mit der messerscharfen Nase undden ebenso gescheitelten Haaren. »Sieh-st du, er sucht die Wahrheit, aber er willsie nicht finden. Für Leute wie ihn ist dieWahrheit eine Matrjoschka-Puppe. Sieholen Puppe für Puppe heraus, aberwenn man ihnen erklärt, dass sie jetztunwiderruflich bei der innersten an-gelangt sind, werden sie es nichtglauben. Wir haben ihm gesagt, dass erdie ganze Wahrheit kennt, dass es keine

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Geheimnisse mehr gibt, dass er vollkom-men und in allem Recht hatte. Das kanner niemals akzeptieren.«

»Du bist ein Genie«, sagte die Schwar-zhaarige zu dem Mann mit der schar-fgeschnittenen Nase, als die Übertra-gung aus dem Hotelzimmer endete.

»Ach was«, antwortete der, sichtlichgeschmeichelt, »das war doch element-ar, meine Liebe. Keiner dieser Leute willwissen, dass er Recht hat. Gib ihmGewissheit, und er ist sicher, man willihn reinlegen. Wenn man ihm seine The-orie wirklich bestätigt, sieht er sofort einanderes Komplott dahinter.«

Die Frau warf ihm einen langen Blickzu und gesellte sich dann zu den ander-en Frauen.

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Die beiden Mönche setzten sich selt-sam gleitend in Bewegung. DieGesichter, vorher vollkommen imDunkeln, wurden schattenhaft sichtbar.Schuppige grüne Haut schien auf. DasLicht brach sich in starren Echsenaugen.

Im Vorbeigehen zischten sie den Män-nern einen Gruß zu. Der Älteste der dreiwartete, bis sie den Raum verlassenhatten.

»Ich kann mich noch immer nicht anden Gedanken gewöhnen, dass derSchöpfer solche Wesen hervorgebrachthat«, sagte er dann.

»Wahrscheinlich zur größeren EhreGottes«, spottete der Kleine mit demwohlwollenden Gesicht.

»Ach, lass das doch«, sagte der Lange.»Verspotte ihn nicht. Dein

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Weltbaumeister hat schließlich auchmehr Welten gebaut, als ihr gedachthabt.«

»Und wenn«, gab der Kleine zurück,»vielleicht hat er auch mehr als ein Volkauserwählt. Sie werden gleich dieVerborgene-Gralsritter-Dekoration ab-räumen, da stören wir nur. Kommt!«

Die Frauen blieben alleine zurück.»Wann werden wir drei uns

wiedersehn?«»Wenn bald der Schlachtennebel

steigt, und Tod und Sieg sich endlichzeigt.«

»Bevor der Tag zur Nacht sich neigt.«»Wo sehn wir uns?«»Im Internet, im Mediensumpf, dort

brodeln die Gerüchte dumpf!«

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»Viel üble Worte ohne Sinn, wirmachen mit und surfen hin!«

»Ein wunderbar Gefild’ zumeist!«»Verwirren wir der Menschen Geist!«»Klares wird trüb und Trübes klar,

Wahrheit ist Schein, und Schein wirdwahr.«

Alle ab.

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AnhangDie Bedeutung der Worte Schwörenund Verschwören

Das Herkunftswörterbuch des Dudengibt an, dass »verschwören« ursprüng-lich eine verstärkende Form des Wortes»schwören« war und erst später dieBedeutung »sich heimlich [durch Eide]verbünden« angenommen hat. Wenn wiralso den Sinn des Wortes »verschwören«erschließen wollen, müssen wir uns zun-ächst mit der Herkunft und Bedeutungder Worte »schwören« und »Eid«beschäftigen. Das führt uns auf eineReise in die ferne Vergangenheit.

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Vom Schwören

Das Wort »schwören« ist ein uraltesWort des germanischen Rechtswesens.Im Englischen heißt es »to swear«, imSchwedischen »swära«, im Holländis-chen »zweren«. Es bezeichnete von An-fang an die Rede oder Aussage vorGericht. Das englische Wort »answer«(von altenglisch »And-Swaru«), dasheute ganz allgemein Antwort bedeutet,meinte ursprünglich die Erwiderung vorGericht. Ebenso alt ist das Wort »Eid«(englisch »oath«, schwedisch »ed«), esstand für den Wortlaut des Schwurs, dieEidesformel oder auch die feierlicheProzedur des Schwörens.

Die Institution des Schwurs gibt esnicht nur in Europa, sondern bei fast

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allen Völkern der Welt, beispielsweise inChina, im Israel der Bibel oder bei afrik-anischen Völkern. Damit verbunden istimmer ein magischer oder heiliger Akt.»Per deos iuro« – ich schwöre bei denGöttern, sagte man im alten Rom. DieGötter werden damit als Zeugen einergerichtlichen Aussage angerufen, undder Anrufende liefert sich ihrer Racheaus, sollte er einen Meineid geschworenhaben. In der germanischen Traditionmusste der Schwörende einen Gegen-stand berühren, der mit den Schutzgöt-tern des Gerichts zusammenhing, so wieheute noch bei der Eidesleistung eineHand auf der Bibel liegt, während dieandere zum Schwur erhoben wird. DerText einer alten nordischen Gerichts-Eidesformel ist uns überliefert: »Ich

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schwöre auf den Ring einen gesetzlichenEid, so wahr mir Freyr, Njord und derallmächtige Ase helfe, zu klagen, zu ver-teidigen, zu zeugen, Wahrspruch oderUrteil zu fällen nach bestem Wissen undGewissen und nach Rechtsbrauch.« Dererwähnte Ring war ein heiliger Gegen-stand, der zuvor in das Blut von Opfer-tieren getaucht worden war.

Nahezu alle Völker der Welt kennendie Magie des Eides. So beschreibt deramerikanische Schriftsteller RobertRuark in seinem Roman Die schwarzeHaut ein besonders drastisches Schwur-ritual des Kikuyu-Stammes in Kenia. DieParteien einer Auseinandersetzung kon-nten ihre Aussage vor dem Stammes-gericht beschwören, indem sie mit Keu-len eine Ziege totschlugen. Jeder der

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beiden beteiligten Männer musste derZiege mit jedem Schlag einen Knochenbrechen. Dazu sprach er die Formel:»Wie diese Ziege stirbt, möge ichzermalmt werden, wie diese Ziege zer-brochen wird, wenn ich eine Lüge sage.«Die Kikuyu glaubten daran, dass einefalsche Aussage den Lügner unweiger-lich binnen sechs Monaten töten würde.

Auch im deutschen Recht der Gegen-wart ist der Eid heilig. Der Paragraph 64der Strafprozessordnung schreibt dieEidesformel wörtlich vor, weshalb erhier auch im Wortlaut zitiert werdensoll:

(1) Der Eid mit religiöserBeteuerung wird in der Weisegeleistet, dass der Richter anden Zeugen die Worte richtet:

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»Sie schwören bei Gott dem All-mächtigen und Allwissenden,dass Sie nach bestem Wissen diereine Wahrheit gesagt undnichts verschwiegen haben«und der Zeuge hierauf die Wortespricht:»Ich schwöre es, so wahr mirGott helfe«.(2) Der Eid ohne religiöseBeteuerung wird in der Weisegeleistet, dass der Richter anden Zeugen die Worte richtet:»Sie schwören, dass Sie nach be-stem Wissen die reine Wahrheitgesagt und nichts verschwiegenhaben« und der Zeuge hieraufdie Worte spricht: »Ich schwörees«.

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(3) Gibt ein Zeuge an, dass er alsMitglied einer Religions- oderBekenntnisgemeinschaft eineBeteuerungsformel dieser Ge-meinschaft verwenden wolle, sokann er diese dem Eid anfügen.(4) Der Schwörende soll bei derEidesleistung die rechte Handerheben.

Die religiöse Formel erwähnt ausdrück-lich die Allmacht und AllwissenheitGottes. Ein Zeuge, der diesen Eid leistet,soll sich darüber im Klaren sein, dassGott jede Lüge erkennen und strafenwird. Gott zum Zeugen eines Meineidsanzurufen ist eine schwere Sünde, diezur Verdammnis führt.

Nach Auffassung einiger streng gläu-biger christlicher Gemeinschaften

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dürfen Christen allerdings überhauptnicht schwören. Sie beziehen sich aufdie Bergpredigt, in der Jesus sagt (Mat-thäus 5, 33-37):

»Ihr habt gehört, dass zu den Al-ten gesagt worden ist: Du sollstkeinen Meineid schwören, und:Du sollst halten, was du demHerrn geschworen hast. Ich abersage euch: Schwört überhauptnicht, weder beim Himmel, denner ist Gottes Thron, noch bei derErde, denn sie ist der Schemelfür seine Füße, noch bei Jerus-alem, denn es ist die Stadt desgroßen Königs. Auch bei deinemHaupt sollst du nicht schwören;denn du kannst kein einzigesHaar weiß oder schwarz machen.

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Euer Ja sei ein Ja, euer Nein einNein; alles andere stammt vomBösen.«

Dieser Abschnitt ist in mehrerer Hinsichtbemerkenswert: Jesus zitiert zunächsteinige der zu seiner Zeit in Israel üb-lichen Schwüre (beim Himmel, bei derErde, bei Jerusalem, bei meinemHaupte), um dann von seinen Anhängernabsolute Wahrhaftigkeit bei allen Aus-sagen – auch den nicht beschworenen –zu verlangen; ein äußerst rigoroser mor-alischer Anspruch, der in ähnlicher Formdie ganze Bergpredigt durchzieht. Jesusverschärft in dieser für seine Lehre zent-ralen Predigt die Forderungen der ZehnGebote weit über den Punkt hinaus, dervon fehlbaren Menschen im Allgemeinennoch erfüllt werden kann. So ist es

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verständlich, dass sowohl die kathol-ische Kirche als auch die großen evan-gelischen Kirchen der Bergpredigt indiesem Punkt nicht folgen wollen undEide für gläubige Christen ausdrücklichzulassen. Die deutsche Strafprozessord-nung nimmt Rücksicht auf streng gläu-bige christliche Gemeinschaften und er-laubt statt des Eides eine so genannteBekräftigung, wenn der Glaube einesZeugen keinen Eid zulässt. In diesemFall fragt der Richter den Zeugen: »Siebekräftigen im Bewusstsein Ihrer Ver-antwortung vor Gericht, dass Sie nachbestem Wissen die reine Wahrheitgesagt und nichts verschwiegen haben«,und der Zeuge antwortet mit einem ein-fachen »Ja«.

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Die magische oder religiöse Über-höhung des Schwurs vor Gericht ents-pringt dem Versuch, im Gestrüpp vonLügen und Halbwahrheiten einegrundlegende Gerechtigkeit durchzuset-zen. Menschen haben ein ausgeprägtesGerechtigkeitsgefühl (das sich sogar beiden höheren Affen nachweisen lässt),und der Zusammenhalt einer Ge-meinschaft hängt davon ab, dass ihreMitglieder sich gerecht behandelt füh-len. Von jeher rufen die Menschen de-shalb höhere Wesen zu Zeugen ihrerWahrhaftigkeit an – und setzen sichdamit ihrem Zorn aus, sollten sie gelo-gen haben. Eng verknüpft mit der Vor-stellung des göttlichen Schutzes einerwahren Aussage vor Gericht ist das sogenannte Gottesurteil. Wo ein

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menschliches Gericht überfordert ist,soll ein höheres entscheiden, ob einAngeklagter schuldig oder unschuldigist. In germanischer Tradition, die bisweit in die christliche Zeit übernommenwurde, gab es verschiedene Proben, vondenen man vermutete, dass ein Un-schuldiger sie mit Unterstützung derGötter, oder später des christlichenGottes, überstehen werde. Bekannt sindzum Beispiel die Losprobe, bei der einLos die Schuld entschied, oder dieFeuerprobe, bei der ein Beschuldigterüber glühende Pflugscharen laufen, einglühendes Eisen halten oder die Handins Feuer legen musste. Obwohl dieGottesurteile bereits 1215 im viertenLaterankonzil verboten wurden, hat sichbis heute die Redewendung: »für

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jemanden die Hand ins Feuer legen« er-halten. Noch bis ins siebzehnte Jahrhun-dert hinein warf man Frauen, die derHexerei beschuldigt wurden, gefesseltins Wasser, um ihre Schuld nachzuweis-en. Wies das Wasser sie zurück(schwammen sie also auf dem Wasser),waren sie schuldig. Gingen sie unter,waren sie unschuldig. Wenn es dannnicht gelang, sie rechtzeitig vor demErtrinken zu retten, hatten sie immerhinAnspruch auf ein christliches Begräbnis.

Nicht nur das Gerichtswesen kennt dieBindung durch den Eid. Beamte und Re-präsentanten des Staates schwören ein-en Amtseid, Soldaten in einigen Länderneinen Fahneneid. Vasallen schworenFürsten und Königen den Treue- oder

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Lehenseid, Ärzte bei Antritt ihres Berufsden Eid des Hippokrates. Der Fahneneidexistiert im Recht der Bundesrepubliknicht mehr. Berufs- und Zeitsoldaten le-gen statt dessen einen Diensteid ab, indem sie schwören, der BundesrepublikDeutschland treu zu dienen und dasRecht und die Freiheit des deutschenVolkes tapfer zu verteidigen. Die un-tergegangene DDR kannte dagegen nocheinen Fahneneid. Er bestand aus fünfkomplizierten Sätzen und endete mit denWorten: »Sollte ich jemals diesen mein-en feierlichen Fahneneid verletzen, somöge mich die harte Strafe des Gesetzesunserer Republik und die Verachtungdes werktätigen Volkes treffen.«

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Der ärztliche Eid des Hippokrates, derdem berühmten griechischen Arzt Hip-pokrates von Kos (460–377 v. Chr) zuges-chrieben wird, hat nur noch historischeBedeutung. Als der Autor dieses Buches1981 seine Approbationsurkunde als Arztzugeschickt bekam, lag eine gekürzteFassung des Eides mit im Paket. Sch-wören musste er ihn nicht. Wenn heutedie Ärzte bei Antritt ihres Berufs über-haupt einen Eid schwören, liegt ihmeher das Genfer Ärztegelöbnis von 1948zugrunde, das auch in etwas veränderterForm die Präambeln der Berufsordnun-gen der deutschen Landesärztekammernschmückt. Die Bibliographie im Anhangenthält einen Internet-Link zum Wortlautdieses Gelöbnisses.

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Der Amtseid des Bundespräsidenten, desBundeskanzlers und der Bundesministerist im Artikel 56 des Grundgesetzes derBundesrepublik Deutschland wortwört-lich festgehalten. Diese Tatsacheverdient besondere Beachtung: Nirgend-wo sonst schreibt das Grundgesetz ir-gendwem vor, was er in einer bestim-mten Situation sagen muss. An diesereinen Stelle aber verlangt es das exakteNachsprechen einer bestimmten Formel.Warum hat das Grundgesetz, das dochnur den verfassungsmäßigen Rahmender Gesetze bieten soll, eine so penibleRegelung getroffen? Hätte es nichtgereicht, die inhaltliche Aussagevorzugeben? Hier schimmert die uralteMagie des Eides durch: Wie ein Zaubernur wirksam werden kann, wenn der

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Zauberspruch ohne jede Abweichung ge-sprochen wird, so hängt die bindendeKraft des Eides an dem genauenWortlaut, einer besonderen Handbewe-gung (dem Heben der Schwurhand) oderdem Berühren eines symbolbehaftetenGegenstandes wie einer Fahne oder derBibel.

Der Eid steht also auch nach heutigerVorstellung unter dem besonderenSchutz irdischer und überirdischerMächte. Entsprechend furchtbar fallendie Strafen für Meineidige oder Eid-brecher aus. Im deutschen Strafrechtder Gegenwart gilt Meineid als Ver-brechen, das mit Gefängnis nicht untereinem Jahr bestraft wird. Der Richterkann aber auch wesentlich höhere

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Strafen von zehn oder mehr Jahren ver-hängen. Die meisten Staaten der Weltahnden den Meineid ähnlich hart. In denUSA bedarf es für eine Verurteilung we-gen Meineides nicht einmal eines Eid-bruchs. Es reicht aus, wenn eine falscheAngabe ausdrücklich unter die Strafedes Meineids gestellt wird. So trägt dasSteuerformular 1040 (Antrag aufEinkommensteuererstattung) der US-Steuerbehörde über der Unterschriften-zeile den ausdrücklichen Hinweis:»Under the penalty of perjury, I declarethat … « (Bei Strafe des Meineideserkläre ich, dass … ).

Alle Strafandrohungen haben natürlichniemals verhindert, dass Menschenunter Eid lügen. So verurteilte das

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berühmte Londoner Strafgericht OldBailey den prominenten SchriftstellerJeffrey Archer im Juli des Jahres 2001wegen Meineids zu vier Jahren Gefäng-nis. Er hatte im Jahre 1987 versucht,sich aus einer undurchsichtigen Affäremit einer Prostituierten herauszulügen.Einige seiner unter Eid aufgestellten Be-hauptungen erwiesen sich mehr als zehnJahre später als falsch. Nach englischemRecht verjährt Meineid nicht, und sofand sich der inzwischen zum Lord Arch-er Geadelte im Gefängnis wieder.

Mehr Glück hatte Silvio Berlusconi.Der ehemalige italienische Minister-präsident lieferte sich seit 1990 unter-haltsame Scharmützel mit der italienis-chen Justiz. So führten drei Prozesse ge-gen ihn in den Jahren 1997 und 1998 zu

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Verurteilungen, die aber alle in dernächsten Instanz aufgehoben wurden.Bereits im Jahre 1990, also einige Jahrefrüher, sah es nicht so gut für ihn aus:Damals bestätigte das Berufungsgerichteine Verurteilung wegen Meineids. DasUrteil verfiel aber wegen einerAmnestie.

Das Thema der göttlichen und irdis-chen Bestrafung eines Meineides findetsich auch vielfach in der Literaturwieder. Um nur ein bekanntes Beispielherauszugreifen: In seiner TragikomödieDer Besuch der alten Dame lässtFriedrich Dürrenmatt den Krämer AlfredIll nach 45 Jahren an einem Meineid zu-grunde gehen. Er hatte damals KlaraWäscher, ein junges Mädchen ausseinem Dorf, geschwängert und zwei

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andere Dorfbewohner zum Meineid an-gestiftet, damit er für das Kind nichtzahlen musste. Jetzt kommt Klara, in-zwischen eine steinreiche alte Frau, alseine Art Rachedämon ins Dorf zurückund verspricht den Einwohnern eine Mil-liarde Schweizer Franken, wenn sie Al-fred Ill töten. So fällt sein altes Unrechttausendfach auf ihn zurück, denn dieDorfbewohner beschließen, ihn nichteinfach zu töten, sondern ihn zu richten.Sie erklären die Anstiftung zum Meineidfür ein todeswürdiges Verbrechen. Nurein tödlicher Herzinfarkt bewahrt AlfredIll vor der Hinrichtung und das Dorf voreinem Justizmord. Das Stück ist einezeitlose Parabel von der Unauslöschlich-keit alten Unrechts, von der Gier und

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Bestechlichkeit der Menschen und vonder Beugbarkeit des Rechts.

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Vom Verschwören

Das Wort »verschwören« entstand ausdem Wort »schwören« und der ver-stärkenden Vorsilbe ver-, ähnlich wiedas Wort »versprechen« als Verstärkungdes Wortes »sprechen« die Bedeutungeiner festen Zusage hat. Nun lässt sichdie bindende Wirkung des Wortes»schwören« aber kaum noch wirksamverstärken, denn ein Schwur ist recht-lich und moralisch bereits absolut bind-end. Die Vorsilbe »ver-« hat aber auchnoch andere Bedeutungen, darunter dieeiner fehlgeleiteten Tätigkeit, wie in ver-fahren, verlaufen oder verführen. DasWort Verschwörung würde dann eherein gegen die Ordnung der Gemeinschaftgerichtetes Zusammenwirken

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bezeichnen, also einen verbrecherischenBund. Wenn ihre Mitglieder einen Eidschwören, so wäre es ein verderblicher,ein unheiliger Eid. Er verpflichtet nichtzur Wahrheit, sondern zur ständigenVerschwiegenheit, zur unbedingtenTreue oder zu rückhaltlosem Gehorsam.Dafür kann es keinen göttlichenBeistand geben, im Gegenteil: Der Eidder Verschwörer übertritt das irdischeGesetz, beleidigt die Götter und verletztdie Ordnung der Dinge. Entsprechendmüssen solche Bünde jeden Eidbruchmit grausamen Strafen bedrohen, dennihre Mitglieder handeln nicht aus lauter-en Motiven. Sie müssen im Gegenteildamit rechnen, dass jeder von ihnen ausAngst, Missgunst, Geltungssucht oderGewinnstreben die Verschwörung

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verraten könnte – aus genau denMotiven also, die ihn zum Eintritt in denKreis der Verschwörer bewogen haben.

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Verschwörung in anderenSprachen

Die lateinische, isländische, holländischeund deutsche Sprache leiten das WortVerschwörung von »Schwören« ab. DasLateinische kennt zwei Worte für Ver-schwörung: Das erste Wort ist coniura-tio, abgeleitet von iurare (schwören).Das zugehörige Verb lautet coniurare(gemeinsam schwören), sich durch Eidverbinden. Im Englischen hat sich diesesWort erhalten (to conjure), aber dieBedeutung änderte sich im Laufe derJahrhunderte: Es steht jetzt fürbeschwören, sowohl im Sinne von »fle-hentlich bitten« als auch im Sinne von»Geister herbeirufen«.

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Sprache Wort für Verschwörungoder Komplott

Englisch conspiracy, plot (von al-tenglisch: complot)

Französisch conspiration, complot

Lateinisch coniuratio, conspiratio

Spanisch conspiración, complot

Isländisch samsæri

Schwedisch komplott, konspiration

Italienisch conspirazione, complotto

Holländisch samenzwering, complot

Das Wort Verschwörung in verschiedenenSprachen

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Das zweite lateinische Verb lautet con-spirare, wörtlich übersetzt: zusammenatmen. Es drückt eine wortlose Überein-stimmung aus, ein schweigendes Zusam-menwirken. Die alte Nebenbedeutung»verschwören« im Sinne von »heimlichverbünden« ist in vielen Sprachen zurHauptbedeutung geworden (z.B. eng-lisch: conspiracy, spanisch: conspir-acíon). Daneben hat sich noch ein drittesWort durchgesetzt, das aus dem Altfran-zösischen stammende complot. Esbezeichnet ursprünglich eine Menschen-menge oder ein Gedränge. Hier spieltalso weder der Schwur noch die Heim-lichkeit eine Rolle, schon die einfacheZusammenrottung von Menschen wecktden Verdacht einer gemeinsam ge-planten Tat. Die Herkunft des Wortes

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complot erinnert an die panische Furchtaller diktatorischen oder absoluten Re-gime vor jeglicher Art von Menschen-ansammlungen unter freiem Himmel(außer denen natürlich, die das Regimeselber befiehlt). Dieses Wort gibt es invielen europäischen Sprachen als Frem-dwort für »Verschwörung«. DieEngländer bezeichnen ihre historischenVerschwörungen nicht als »conspiracy«,sondern als »plot«. Die Pulverver-schwörung heißt entsprechend »Gun-powder plot«.

Die verschiedenen europäischenSprachen verbinden also mit einer Ver-schwörung durchaus unterschiedlicheBedeutungsfelder: Im Deutschen,Holländischen und Isländischen ist esder gemeinsame, unheilige Schwur, im

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Französischen die Zusammenrottungvon Menschen, im Englischen und Span-ischen die wortlose Übereinstimmungheimlich Verbündeter. Die Bedeutungs-felder überlagern sich durchaus: Diemeisten Sprachen kennen sowohl dasWort Konspiration als auch das WortKomplott.

Im englischen und amerikanischenVerständnis bedarf es nicht einmal einerVerabredung, um eine conspiracyentstehen zu lassen. Der stehende Aus-druck »conspiracy of silence« bezeichnetbeispielsweise den Konsens, ein bestim-mtes Thema nicht anzusprechen. ImDeutschen setzt eine Verschwörung imallgemeinen Sprachgebrauch dagegeneine explizite Absprache zwischen denVerschwörern voraus. Die Übersetzung

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des englischen Wortes Conspiracy alsVerschwörung verengt deshalb die Aus-sage des Originaltextes und spitzt sie zu.

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Verschwörung als Rechtsbegriff

In einem seltsamen Gegensatz zumallgemeinen Sprachgebrauch steht dierechtliche Würdigung. Während dasWort im deutschen Recht nicht einmalvorkommt, hat es im amerikanischenRecht den Rang eines eigenen Ver-brechens. Im deutschen Strafrecht heißtes lapidar: »Begehen mehrere eineStraftat gemeinschaftlich, so wird jederals Täter bestraft« (Paragraph 25(2)StGB). Dem amerikanischen Rechtsbe-griff der Verschwörung kommt der Para-graph 30 am nächsten.

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StGB Paragraph 30 Versuch derBeteiligung

(1) Wer einen anderen zu bestimmenversucht, ein Verbrechen zu begehenoder zu ihm anzustiften, wird nach denVorschriften über den Versuch des Ver-brechens bestraft. Jedoch ist die Strafenach Paragraph 49 Abs. 1 zu mildern.Paragraph 23 Abs. 3 gilt entsprechend.(2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereiterklärt, wer das Erbieten eines anderenannimmt oder wer mit einem anderenverabredet, ein Verbrechen zu begehenoder zu ihm anzustiften.

Die Strafe für den Versuch der Beteili-gung entspricht also im deutschen Rechtder Strafe für den Versuch eines

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Verbrechens. Daneben kennt das Stra-frecht einige weitere Tatbestände, diesich mit dem allgemeinen Begriff derVerschwörung in etwa decken. Die Para-graphen 84, 85 sowie 86 a und b be-fassen sich mit verfassungswidrigen Or-ganisationen und Parteien. Paragraph 84stellt das Fortführen einer für verfas-sungsfeindlich erklärten Partei unterStrafe, Paragraph 85 den Verstoß gegendas Vereinigungsverbot einer solchenPartei, Paragraph 86 a das Verbreitenvon Propagandamitteln dafür undschließlich Paragraph 86 b das Ver-wenden von Kennzeichen verfassung-swidriger Organisationen. Diese Para-graphen bilden den Anfang des drittenTeils im ersten, dem politischen Ab-schnitt des deutschen Strafrechts. Er

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steht unter dem Titel: »Gefährdung desdemokratischen Rechtsstaates«.

Wäre es nicht einfacher gewesen,wenn der Gesetzgeber jede Ver-schwörung gegen den Rechtsstaat unterStrafe gestellt hätte? Da käme man dochmit einem oder zwei Sätzen aus. Warumstattdessen gleich vier Paragraphen mitje drei bis fünf Artikeln? Das hat seinenguten Grund. Die politische Betätigungist ein Grundrecht; ebenso das Recht,sich zu versammeln. Eine pauschaleEinschränkung dieses Rechts ist nichtzulässig. Ein Gesetz darf ein Grundrechtnur einschränken, um andereGrundrechte zu wahren. Deshalb darfdie Fortführung einer Partei nur dannverboten werden, wenn das Bundesver-fassungsgericht entschieden hat, dass

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sie verfassungswidrige Ziele verfolgtund ihre Fortführung den Bestand desRechtsstaates gefährdet.

Die Bildung krimineller Ver-schwörungen hingegen wird durchausbestraft.

In Deutschland ist es verboten, einekriminelle oder terroristische Vereini-gung zu gründen oder ihr anzugehören(Paragraph 129 StGB, Paragraph 129a,Paragraph 129 b StGB).

Doch hier ist nirgendwo von einerVerschwörung die Rede. Das ver-schwörungstypische Element der Heim-lichkeit oder der Verabredung spielt vordem deutschen Gesetz keine Rolle. DieZiele und Methoden einer Gruppe, nichtihr konspirativer Aufbau, bestimmen die

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Einordnung als kriminell oderterroristisch.

Ganz im Gegensatz dazu spielt derBegriff der Verschwörung im US-amerik-anischen Recht eine außerordentlichwichtige Rolle. Das Strafrecht aller Bun-desstaaten betrachtet eine Ver-schwörung als eigenständige Straftat.Ursprünglich bedeutete»Verschwörung« bis ins achtzehnteJahrhundert hinein im angelsächsischenRecht eine Verabredung zum Meineid,um gegen jemanden eine falscheBeschuldigung vor Gericht vorzubring-en. Diese Definition war Teil des unges-chriebenen, auf Präzedenzfällen ber-uhenden Common Law. Erst Ende desneunzehnten Jahrhunderts begannen die

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Bundesstaaten, ihre Strafgesetze in Pen-al Codes (Strafgesetzbüchern) festzule-gen. Auch der Tatbestand der Ver-schwörung fand dabei in unterschied-lichen Formulierungen Eingang in dieGesetzbücher. Im Kasten (Seite 282) se-hen Sie als Beispiel das entsprechendeGesetz des Staates Texas.

Eine Verschwörung kann auch dannbestraft werden, wenn das Verbrechentatsächlich stattgefunden hat. Es kannalso eine Gruppe von Angeklagten beis-pielsweise wegen gemeinsamenBetruges verurteilt werden und,strafverschärfend, wegen der Ver-schwörung zu eben diesem Betrug. Weilfür die rechtlich entscheidendeÜbereinkunft (»Agreement«) keine be-sondere Form, ja nicht einmal eine

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Absprache nötig ist, kann die Anklagesehr weit ausgreifen.

So verurteilte ein Gericht in New Yorkam 5.März 2004 die UnternehmerinMartha Stewart wegen Verschwörungzur Vertuschung eines Insiderhandelsmit Aktien zu fünf Monaten Haft undweiteren fünf Monaten Hausarrest. DieErmittlungen und der Prozess be-herrschten monatelang die Schlagzeilender Boulevardpresse in den USA, dennMartha Stewart ist eine der bekann-testen Figuren der amerikanischen Öf-fentlichkeit. In mehreren wöchentlichenFernsehsendungen präsentierte sie sichals Amerikas perfekte Hausfrau. AusMarthas Küche und Aus Marthas Gartenhießen ihre Sendungen, in denen sieAmerikas Hausfrauen beibrachte, wie

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man sein Haus in Ordnung hält, Mannund Kinder verwöhnt und einen be-neidenswert perfekten Garten anlegtund pflegt. Die dafür unentbehrlichenMöbel, Zeitschriften oder Gartengeräteverkaufte ihr Unternehmen Martha Ste-wart Omnimedia, Inc. Martha Stewartwar – und ist noch – eine amerikanischeInstitution, die sicher so bekannt ist wieder amerikanische Präsident.

Nach Überzeugung der Geschworenenhatte sie zu vertuschen versucht, dasssie von ihrem Aktienmakler den Ratsch-lag bekommen hatte, bestimmte Aktienzu verkaufen, weil eventuell schlechteNachrichten den Kurs drücken würden.Das könnte man als Insidertip auslegen.Es ging allerdings lediglich um Aktien imWert von

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Auszug aus dem Strafrecht desStaates Texas

§ 15.02. Kriminelle Verschwörung.1. Eine Person macht sich einer

kriminellen Handlung schuldig,wenn sie mit der Absicht, ein Kapit-alverbrechen zu begehen:

1. mit einer oder mehreren Per-sonen übereinkommt, dasseine oder mehrere von ihnenHandlungen unternehmen sol-len, die dieses Verbrechenausmachen und

2. einer oder mehrere von ihnenoffensichtliche Taten zurDurchführung dieserÜbereinkunft unternehmen.

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2. Eine Übereinkunft, welche eineVerschwörung begründet, darf ausden Taten der Beteiligten gefolgertwerden.

3. Es ist keine Einrede gegen die Ver-folgung wegen krimineller Ver-schwörung, dass:

1. einer oder mehrere derMitverschwörer strafrechtlichnicht für die geplante Straftatverantwortlich sind;

2. einer oder mehrere derMitverschwörer freige-sprochen wurden, solangezwei oder mehr der Mitver-schwörer nicht freigesprochensind;

3. einer oder mehrere derMitverschwörer nicht verfolgt

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oder verurteilt wurden, wegeneiner anderen Straftat verur-teilt wurden oder Immunitätgegen Strafverfolgunggenießen;

4. der Täter zu einer Klasse vonPersonen gehört, die nachDefinition der geplanten Straf-tat rechtlich außerstande sind,diese Straftat alleine zubegehen;

5. die geplante Straftat tatsäch-lich begangen wurde.

4. Eine Straftat unter diesem Para-graphen ist eine Kategorie geringerals das schwerste Verbrechen,welches Gegenstand der Ver-schwörung ist, und wenn dasschwerste Verbrechen, welches

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Gegenstand der Verschwörung ist,eines der niedrigsten Kategorie ist,ist die Straftat ein Vergehen derKlasse A.

228 000 US-Dollar, für die vielfache Mil-lionärin ein unbedeutender Betrag. Sieund ihr Aktienmakler bestritten den In-halt des Gesprächs gegenüber FBI-Agen-ten und gegenüber dem Gericht. EineAnklage wegen des Insiderhandelswurde nicht erhoben, die Beweise warenzu schwach.

Stattdessen sagten mehrere Zeugenaus, dass Martha Stewart versucht habe,Einzelheiten des Verkaufs zu vertuschen.Das reichte für eine Verurteilung wegenVerschwörung, die übrigens auch ihren

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Aktienmakler traf. Aber: Kann man je-manden wegen der Vertuschung einerStraftat verurteilen, für die er nicht ein-mal angeklagt wurde? Nach US-amerik-anischem Recht ist das möglich, wie un-ser Beispiel zeigt. Einem ehrgeizigenAnkläger in den USA gibt der Gummi-paragraph zum Thema Verschwörungein universelles Werkzeug in die Hand,auch bei der dünnsten Beweislage nocheine Verurteilung zu erreichen. Staat-sanwälte in den USA nutzen die Dro-hung mit einer Anklage wegen Ver-schwörung auch gerne, um das Gedächt-nis von Zeugen aufzufrischen. Beispiels-weise kann die Sekretärin eines Finan-zvorstandes, der Luftbuchungen zu ver-antworten hat, entweder gegen ihn aus-sagen, oder sie muss damit rechnen,

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selbst wegen Verschwörung zum Betrugangeklagt zu werden. Irgendetwas musssie doch mitbekommen haben, so kannder Staatsanwalt argumentieren. Wennsie noch einmal genau nachdenkt, sollteihr doch bestimmt etwas einfallen, sonst,ja sonst müsste die Staatsanwaltschaftannehmen, sie wolle ihren Chef decken.Ein klarer Fall von Verschwörung …

Wer einmal der Teilnahme an einerVerschwörung für schuldig befundenwird, ist damit für alle Taten verantwort-lich, die irgendein anderer Verschwörerbegangen hat, ganz gleich, ob er davonwusste oder nicht. In einigen Bun-desstaaten der USA gilt die Regel, dasseine kriminelle Verschwörung auch dannvorliegt, wenn das Ziel legal ist, aber mitillegalen Mitteln erreicht werden soll. Im

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äußersten Fall kann eine Verschwörungschon dann strafbar sein, wenn sie mitlegalen Mitteln ein legales Ziel anstrebt,das aber ein Einzelner auf rechtmäßigeWeise nicht erreichen könnte. Nicht um-sonst nennt die Encyclopedia Britannicaden Tatbestand der Verschwörung »daswohl am schlechtesten definierte Gebietim angloamerikanischen Strafrecht.Seine Begriffsdefinition ist vager undelastischer als jedes Verschwörung-skonzept, das man im kontinentaleur-opäischen Recht oder seinen Ablegernfindet.«

Die Befürworter dieser breiten Ver-schwörungsdefinition und ihrer beson-deren Strafandrohung argumentieren,dass Verschwörungen eineaußergewöhnliche Bedrohung der

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Gesellschaft darstellen, weil die Ver-bindung der verschiedenen Fähigkeitender Verschwörer die kriminelle Durch-schlagskraft vervielfache. Ebenso be-hindere eine Gruppenbildung dieAufklärung von Verbrechen, weil dieVerschwörer nicht ohne weiteres ge-geneinander aussagen würden. DieGegner antworten, dass die ausuferndeAnwendung der Verschwörungspara-graphen mehr Unrecht erzeuge als ver-hindere. Nicht zuletzt sei es sehr frag-lich, ob man jemanden für eine Tatgleich zweimal bestrafen dürfe, nämlicheinmal für die Tat selbst und dann fürdie Verschwörung, die Tat zu begehen.Der amerikanische Bundesstaat Illinoishat sich dieser Argumentation an-geschlossen und die Doppelbestrafung

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abgeschafft. Ein Straftäter kann dort en-tweder wegen seiner Tat oder wegen derVerabredung zur Tat bestraft werden,nicht aber wegen beider Delikte.

Die großzügige Anwendung des Ver-schwörungsparagraphen in den USAdürfte nicht ganz unschuldig daran sein,dass Verschwörungstheorien in den USAeine Blütezeit erleben. Die Staatsan-wälte in den USA sind in manchen Bun-desstaaten Wahlbeamte und legen de-shalb großen Wert auf öffentlichkeit-swirksame Auftritte. Wenn sie eine Ank-lage wegen Verschwörung erheben,betonen sie bei ihren Pressekonferenzengerne die Gefahr für die Öffentlichkeit,die davon ausging. Auf diese Weisehören US-Bürger immer wieder vonfinsteren Konspirationen und von

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aufrechten Staatsanwälten, die ihnenentschlossen entgegentreten. Wennschon die Justiz hinter jedem Baum eineVerschwörung vermutet, dann ist es keinWunder, wenn immer mehr einfacheBürger sich überall von Verschwörernumstellt sehen. Die US-Justiz leistetdamit ihren eigenen Beitrag zur gegen-wärtigen Sumpfblüte der Verschwörung-stheorien in den USA.

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Vom Verschwörungsdenken

Hier kommen wir in Bereiche, die wedersprachlich noch rechtlich genau definiertsind. Es geht um Verschwörungen, dieim Kopf derjenigen stattfinden, die sichdamit befassen, also um erdachte Ver-schwörungen. Sie können mit wirklichenKomplotten übereinstimmen oder frei er-funden sein. In der umfangreichen Liter-atur zu diesem Thema heißen die Ergeb-nisse des Verschwörungsdenkens Ver-schwörungsmythen, Verschwörung-sideen, Verschwörungstheoreme oder,am häufigsten, Verschwörungstheorien.Eine allgemein anerkannte Definitiondafür gibt es bislang nicht, jedes Lexikonversucht seine eigene Erklärung. DasDuden Universalwörterbuch 2003

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schreibt: »Vorstellung, Annahme, dasseine Verschwörung, eine ver-schwörerische Unternehmung im Gangsei, dass etwas aufgrund einer Ver-schwörung geschehe.«

Eine sehr vorsichtige Definition, in derman alles unterbringen kann. Sie fasstauch Stammtischweisheiten wie etwa:»Die in Berlin, die stecken doch heimlichalle unter einer Decke« unter denBegriff Verschwörungstheorie. Daswiderspricht aber dem allgemeinenSprachgebrauch, nach dem eine Theorieein gewisses Maß an Ausarbeitunghaben sollte.

Die Microsoft Encharta 2003 wird et-was konkreter: »Alle Versuche, polit-isches Geschehen auf ein rational nichterklärbares, meist für böse gehaltenes

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Interessen- oder Machtgeflecht zurück-zuführen.« Das ist jedoch zu eng gefasst.Sollen Verschwörungstheorien tatsäch-lich nur politische Ereignisse erklären?So ist der Tod von Elvis Presley ein be-liebtes Ziel von Spekulationen, die allge-mein zu den Verschwörungstheoriengerechnet werden, ohne dass die Politikdabei ins Spiel kommt. Außerdem be-mühen sich die meisten Verfasser vonVerschwörungstheorien innerhalb ihreseigenen Bezugsrahmens um einegeradezu kleinliche formale Rationalität.

Das Concise Oxford Dictionary siehtkeine Beschränkung auf politischeEreignisse: »Der Glaube, dass eine ver-deckte, aber einflussreiche Organisationfür ein unerklärtes Ereignis verantwort-lich ist.« Diese Umschreibung begrenzt

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die Verschwörungstheorien auf jeweilsein unerklärtes Ereignis. Eine besondereEigenschaft von Verschwörungstheorienist es aber gerade, ganze Serien vonEreignissen durch das Wirken von Or-ganisationen zu erklären, die nicht ein-mal verdeckt sein müssen. Die UNO unddie amerikanische Regierung stehenbeispielsweise im Mittelpunkt vieler Ver-schwörungstheorien. Auch müssen dieEreignisse keineswegs unerklärt sein.Verschwörungstheorien deuten vielmehrregelmäßig auch vollkommen geklärteEreignisse in ihrem Sinne um.

Eine eigenwillige Definition gibt deramerikanische Historiker Daniel Pipes.In seinem Buch Verschwörung beginnter das erste Kapitel mit den Worten:»Verschwörungstheorien – die Angst vor

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Verschwörungen, die überhaupt nichtexistieren – haben in den USABlütezeit.« Pipes Hauptkriterien sindalso zum einen die Angst vor der Ver-schwörung und zum anderen die Tat-sache, dass die Verschwörung nicht ex-istiert. Anders als Pipes es vermutet,haben aber die meisten Verschwörung-stheoretiker keine Angst vor denSchurken, die sie beschreiben. Siezeichnen ihre Bücher stolz mit ihremwirklichen Namen, und nur die wenig-sten haben sich geheime Telefonnum-mern zugelegt oder leben an unbekan-nten Orten. Auch Pipes’ zweites Kriteri-um, die Nichtexistenz, ist unsicher. EineVerschwörungstheorie lebt zunächst nurim Kopf ihres Erfinders, aber sie lehntsich oft genug an wirkliche Komplotte an

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oder unterstellt ihnen die Verantwortungfür bestimmte Ereignisse. So habenselbst ernannte Aufklärer den Mord anJohn F. Kennedy einer ganzen Reihe vonechten Geheimorganisationen zuges-chrieben, unter anderem dem organisier-ten Verbrechen, dem FBI, der CIA oderdem KGB.

Jede der vier hier vorgestellten Defini-tionen hat ihre Berechtigung, aber sienähern sich dem Thema von ganz ver-schiedenen Seiten; sie beleuchten jew-eils nur eine Facette davon und ergebenzusammengenommen ein widersprüch-liches Bild. Bücher über Verschwörung-stheorien müssten also zunächst an-geben, ob sie Verschwörungstheorien imSinne des Duden oder des Concise Ox-ford Dictionary meinten, und sie kämen

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eventuell schon wegen der uneinheit-lichen Ausgangsdefinition zu ganz ver-schiedenen Ergebnissen.

Dieses Buch präzisiert erstmals denBegriff der Verschwörungstheorie. Bish-er wurde er als Sammelbecken für dieunterschiedlichen Phänomene Ver-schwörungsglauben, Verschwörungsle-gende und Verschwörungstheorie ben-utzt. Der Sichtwinkel des jeweiligenAutors bestimmte seine Definition, undso scheiterte ein Gedankenaustauschüber das Thema »Verschwörungstheori-en« oft schon an der Begriffsbestim-mung. Mit der Einengung und Festle-gung der Definition trägt dieses Buchhoffentlich dazu bei, die bisher von Vor-urteilen und Missverständnissen

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geprägte Diskussion etwas sachlicher zugestalten.

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Literaturhinweise

Es handelt sich hier um Literaturhin-weise und um Quellenangaben, nicht umdas Literaturverzeichnis eines wis-senschaftlichen Textes. Sie sollen dieLeser dazu anregen, weiter zu lesen, undgibt die Herkunft solcher Informationenan, die nicht in jedem guten Lexikonnachzuschlagen sind.

Es sind jeweils die Auflagen der Büch-er erwähnt, die ich tatsächlich her-angezogen habe, auch wenn zwischen-durch neue Auflagen erschienen sind.Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia (ht-tp:// en.wikipedia.org oder

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http://de.wikipedia.org) habe ich nurwenig zitiert, weil ihre Inhalte sichdauernd verändern (das Stichwort Ver-schwörungstheorien verzeichnet mehrals 50 Änderungen zwischen August2004 und Februar 2005) und weil dieArtikel immer anonym sind. Trotzdem istWikipedia aber im Allgemeinen eine guteInformationsquelle. Die meisten Artikelenthalten Literaturhinweise oder Linksauf andere Quellen. Verweise aufInternet-Artikel im Literaturverzeichnisenthalten das Erstellungsdatum unddahinter das Abfragedatum in Klam-mern. Wenn das Erstellungsdatum nichtersichtlich ist, steht dort nur daseingeklammerte Abfragedatum.

Verschiedene Zeitungen stellen in-zwischen ihre Archive zu vertretbaren

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Preisen ins Internet oder geben sie aufCD heraus. Dazu gehören:

1. das Online-Archiv der deutschenTageszeitung Die Welt (kostenlos),

2. die Online-Archive der britischenTageszeitungen The Independentund The Observer (kostenlos),

3. das Online-Archiv des amerikanis-chen Nachrichtenmagazins Time ab1923 (kostenlos für Abonnenten)

4. das Archiv der Wochenzeitung DieZeit (auf CD 1995–2004) Auf dieseArchive habe ich bei Zeitung-sartikeln vorrangig, aber nicht aus-schließlich zurückgegriffen.

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Kapitel 1

Caesars Ermordung:Brockhaus 2005 in Text und Bild.

Office-Bibliothek 3.0, Sonderartikel:Römische Revolution.

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Kapitel 2

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Kate Tuckett: Verschwörungstheorienvon A-Z. Königswinter 2001.

Urbane Mythen:Rolf W. Brednich: Die Spinne in der

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Verschwörungsglauben, -legende und-theorie:

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Kapitel 3

Tuskegee-Studie:James H. Jones: Bad Blood: The

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Europa vor dem Ersten Weltkrieg:Theodor Schieder: Propyläen

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Arabischer Propagandasender:Landesamt für Verfassungsschutz

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Anton Vedder, Robert Wachbroit: Reli-ability of Information on the internet:Some Distinctions. Ethics and Informa-tion Technology (5) 2003, S.211-215.

Glaubwürdigkeit vonVerschwörungstheorien:

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Charles Berlitz: Das Bermudadreieck.Wien 1974.

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Dan Burstein: Secrets of the Code –The Unauthorised Guide to the Myster-ies Behind The Da Vinci Code. London2004.

Dan Brown: Illuminati. Bergisch-Glad-bach 2003.

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Erich von Däniken: Erinnerungen andie Zukunft. Düsseldorf und Wien 1968.

Gerhard Gadow: Erinnerungen an dieWirklichkeit. Frankfurt 1971.

Lawrence Kusche: The Bermuda Tri-angle Mystery solved. London 1981.

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Kapitel 4

Heinrich Kramer:Wolfgang Behringer (Hrsg.): Hexen

und Hexenprozesse in Deutschland.München 2001.

Rainer Decker: Die Päpste und dieHexen. Aus den geheimen Akten der In-quisition. Darmstadt 2003.

Heinrich Kramer: Der Hexenhammer.Kommentierte Neuübersetzung. (Hrsg.):Wolfgang Behringer, Günter Jerouschek.München 2004.

Nicole Jacques-Chaquin: DemonicConspiracy. In: Carl-Friedrich Grau-mann, Serge Moscovici: Changing Con-cepts of Conspiracy. New York 1987.

André Schnyder (Hrsg.): MalleusMaleficarum von Heinrich Kramer unter

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Mithilfe Jakob Sprengers aufgrund derDämonologischen Tradition zusam-mengestellt. Wiedergabe des Erstdrucks1487. Göppingen 1991.

André Schnyder (Hrsg.): MalleusMaleficarum von Heinrich Kramer unterMithilfe Jakob Sprengers aufgrund derDämonologischen Tradition zusam-mengestellt. Kommentar zur Wiedergabedes Erstdrucks von 1487. Göppingen1993.

Werner Tschacher: Vom Feindbild zurVerschwörungstheorie: Das Hexenste-reotyp. In: Ute Caumanns und MathiasNiendorf (Hrsg.): Verschwörungstheori-en. Anthropologische Konstanten – his-torische Varianten. Osnabrück 2001,S.49-74.

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Walter Senner: Wie Heinrich InstitorisHexeninquisitor für Deutschland wurde.Wort und Antwort (44) 2003, S.13-18.

McCarthy:Joseph McCarthy: Speech June 14,

1951. Congressional Record, Proceed-ings and Debates of the Eighty-SecondCongress, First Session, Vol. 97, Part 5,Washington 1951, 6601-6603. In: DavidBrion Davis (Editor): The Fear of Con-spiracy. Images of Un-American Subver-sion from the Revolution to the Present.Ithaca und London, 1971.

Richard H. Rovere: McCarthy oder dieTechnik des Rufmords. Gütersloh 1961.

Joanne Cavanaugh Simpson: SeingRed. John-Hopkins Magazine, Baltimore,September 2000. URL:

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Kapitel 5

Umfragen Chrismon:Umfrage: Wer hat Ihrer Meinung nach

den größten Einfluss auf das Schicksalder Welt? Chrismon (9) 2003(21.10.2005). URL: ht-tp://www.chrismon.de/ctexte/2003/9/schicksal.pdf Umfrage: Anwelche unbewiesenen Phänomeneglauben Sie? Chrismon (6) 2001(21.10.2005). URL: ht-tp://www.chrismon.de/ctexte/2001/6/phe-nom.pdf

Umfrage UFOs:Michael Barkun: A Culture of Conspir-

acy, a.a.O.

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Sozialpsychologie allgemein:Elliot Aronson, Timothy D. Wilson,

Robin M. Akert: Sozialpsychologie.München 1994, S.182.

Elias Canetti: Masse und Macht.Frankfurt (30) 2003, S.22f. ArieW. Kruglanski: Blame-Placing Schemataand Attributional Research. In: Carl-Friedrich Graumann und Serge Moscov-ici: Changing Concepts of Conspiracy.New York, 1987.

Robert Wright: The moral animal. Whywe are the way we are. The new Scienceof Evolutionary Psychology, New York1994.

UFOs und Men in Black:Michael Barkun: A Culture of Conspir-

acy. 80f., a.a.O.

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John A. Keel: Our Haunted Planet.Lakeville, Minnesota 1999, 91f.

Peter. M. Rojcewitz: The »Men inBlack« Experience and Tradition – Ana-logues with the Traditional Devil Hypo-thesis. Journal of American Folklore(100)1987.

Beherrschung komplexer Situationen:Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlin-

gens. Strategisches Denken in komplex-en Situationen, Reinbek 2002.

Verschwörungen und Verschwörung-stheorien in anderen Kulturen(Auswahl):

Stefan Brüne: Wachs und Gold.Äthiopiens erprobte Kultur des Versteck-ens. In: Ute Caumanns und MathiasNiendorf (Hrsg.):

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Verschwörungstheorien. Osnabrück2001.

Harry G. West, Todd Sanders (Hrsg.):Transparency and Conspiracy. Ethno-graphies of Suspicion in the New WorldOrder. Durham und London 2003.

Bassam Tibi: Die Verschwörung. DasTrauma der arabischen Politik. Hamburg1993.

Thomas Scheen: Die afrikanischeWahrheit. In: FAZ 17.10.2004.

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Kapitel 6

Iwan der Schreckliche:Reinhold Neumann-Hoditz: Iwan der

Schreckliche. Hamburg 1990.Nikita Romanow, Robert Payne: Iwan

der Schreckliche. Bern und München1984.

Ruslan G. Skrynniokow: Iwan derSchreckliche und seine Zeit. München1992.

Wahn:Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Arno

Deister: Psychiatrie und Psychotherapie.Stuttgart 2001.

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Martin Davies, Max Coltheart: Patho-logies of Belief. Mind & Language (15)No 1, 2000, S.1-46.

Sigmund: Wahn und Intuition. Nerven-arzt (69) 1998, S.390-400.

Zitat Heinz von Foerster:Heinz von Foerster: Wissen und

Gewissen. Frankfurt 1993, S.47.

Capgras-Syndrom:Hadyn Ellis, M.B. Lewis: Capgras De-

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Thomas Grüter, Ulrich Kraft: FremdeFreunde. Gehirn und Geist. (1) 2004,S.12-16.

Martha Mitchell:Helen Thomas: Front Row at the

White House. New York 2000, S.203ff.Martha Mitchell‘s View From The Top.

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Kapitel 7

Stalinismus:Joel Carmichael: Säuberung. Die Kon-

solidierung des Sowjetregimes unterStalin 1934–38. Frankfurt 1972.

Klaus Kellmann: Stalin, eine Biographie.Darmstadt 2005. Donald Rayfield: Stalinund seine Henker. Berlin 2004.

Stalins Verhaftungsmaschinerie undLagersystem:

Alexander Solschenizyn: Der ArchipelGulag. Bern und München 1974.

Alexander Solschenizyn: Der ArchipelGulag, Folgeband. Bern und München1974.

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Erster Weltkrieg:Stephan Burgdorff, Klaus Wiegrefe

(Hrsg.): Der Erste Weltkrieg. Die Urkata-strophe des 20. Jahrhunderts. München2004. Sebastian Haffner: Die sieben Tod-sünden des Deutschen Reiches im ErstenWeltkrieg. Bergisch Gladbach 2001.

Dolchstoßlegende:Lars-Broder Keil, Sven Felix Keller-

hoff: Deutsche Legenden – vom Dolch-stoß und anderen Mythen derGeschichte. Berlin 2002. Rainer Sammet:Dolchstoß. Berlin 2003, 67, S.167.

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Kapitel 8

Aufbau von Spannungsromanen:James N. Frey: Wie man einen ver-

dammt guten Roman schreibt. Köln1993.

Neandertaler:Bärbel Auffermann, Jörg Orschiedt:

Die Neandertaler, eine Spurensuche.Stuttgart 2002.

Verkennung der Neandertaler:Ian Tattersall: Neandertaler: Der

Streit um unsere Ahnen. Boston, Berlin1999, S.77f., S.88f., S.93f.

Zwerge:Gerhard J. Bellinger: Knaurs Lexikon

der Mythologie. München 1999.

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Wolfgang Golther: GermanischeMythologie. Handbuch. Essen 1999 (Fak-similedruck der Ausgabe von 1896),134f.

Bernhard Maier: Die Religion der Ger-manen. Götter – Mythen – Weltbild,München 2003, S.54.

Prähistorischer Bergbau:Gerd Weisgerber: Quarzit, Feuerstein,

Hornstein, Jaspis, Ocker – mineralischeRohstoffe der Steinzeit. In: Heiko Steuerund Ulrich Zimmermann (Hrsg.): AlterBergbau in Deutschland. Hamburg 1993.

Katakomben:Paris Souterrain – Die Steinbrüche

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The Christian Catacombs of Rome (In-ternetportal), 11.11.2004 (30.11.2005).URL: http://www.catacombe.roma.it

Sven Lutz: Die Katakomben vonBayreuth, Mai 2005 (30.11.2005). URL:http://www.swutz.de/startseite/start-seite.html Portal: U-Bahn – Wikipedia.de,30.11.2005 (30.11.2005). URL: ht-tp://de.wikipedia.org/wiki/Portal:U-Bahn

Voynich-Manuskript:Voynich Manuscript (Webportal).

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Voynich-Manuskript Diashow: Bei-necke Rare Book & Manuscript Library.(30.11.2005). URL: http://beinecke.lib-rary.yale.edu/dl_crosscollex/SlideShowXC.asp?srchtype=CNO

Voynich manuscript – Wikipedia,24.11.2005 (30.11.2005). URL: ht-tp://en.wikipedia.org/wiki/Voynich_manuscript

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Kapitel 9

Juden in Russland um 1900:Werner Bergmann: Geschichte des

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Leon Poliakov: The Topic of the JewishConspiracy in Russia (1905-1920), andthe International Consequences. In:Carl-Friedrich Graumann, Serge Mo-scovici: Changing Concepts of Conspir-acy. New York 1987.

Protokolle der Weisen von Zion:Stephen Eric Bronner: A Rumor about

the Jews. Antisemitism, Conspiracy, andthe Protocols of Zion. New York 2003.

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Norman Cohn: Warrant for Genocide:The Myth of the Jewish World Conspir-acy and the Protocols of the Elders ofZion. London 1967.

Cesare G. De Michelis: The Non-Exist-ent Manuscript. Lincoln 2004.

Michael Hagemeister: Sergej Nilusund die »Protokolle der Weisen vonZion«. Überlegungen zurForschungslage. In: Wolfgang Benz(Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismus-forschung 5. Frankfurt und New York1996.

Michael Hagemeister: Die Protokolleder Weisen von Zion – eine Anti-Utopieoder Der Große Plan in der Geschichte?In: Helmut Reinalter (Hrsg.): Ver-schwörungstheorien, Theorie –Geschichte – Wirkung. Innsbruck 2002.

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Michael Hagemeister: Die »Protokolleder Weisen von Zion« und der BaslerZionistenkongreß von 1897. In: HeikoHausmann

(Hrsg.): Der Traum von Israel. Die Ur-sprünge des modernen Zionismus. Wein-heim 1998.

Michael Hagemeister: Der Mythos der»Protokolle der Weisen von Zion«. In:Ute Caumanns, Mathias Niendorf(Hrsg.): Verschwörungstheorien. Osnab-rück 2001.

Jeffrey L. Sammons: Die Protokolleder Weisen von Zion. Die Grundlage desmodernen Antisemitismus – eineFälschung. Text und Kommentar. Göttin-gen 1998.

Antisemitismus im heutigen Russland:

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Michael Hagemeister: Antisemitismusund Verschwörungsdenken in Russland.In: Christina Tuor-Kurth (Hrsg.): NeuerAntisemitismus – alte Vorurteile? Stut-tgart, Berlin, Köln 2001.

Manfred Quiring: »Die Leute kaufenso etwas«. Antisemitismus auf derMoskauer Buchmesse. In: DIE WELT,16.9.2005. Neues Russland, alterAntisemitismus. In: Netzeitung,29.6.2005 (21.10.2005). URL: ht-tp://www.netzeitung.de/voiceof ger-many/346227.html

Antisemitismus und Protokolle der Weis-en von Zion in Arabischen Ländern:

Anti-Defamation League: Anti-SemiticLiterature in the Islamic World. The Pro-tocols of the Elders of Zion: The

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Renaissance of anti-Semitic Hate Literat-ure in the Arab and Islamic World. 2003(15.11.2005). URL: http://www.adl.org/css/proto_intro.asp Anti-DefamationLeague: ADL Calls for »Protocols« to beStricken from Official PalestinianAuthority Website. 2005 (15.11.2005).URL: http://www.adl.org/PresRele/IslME_62/4716_62.htm

Cooper und Icke:Michael Barkun, a.a.O., S.146.Jan Udo Holey:Verfassungsschutzbericht 2004. Vor-

abfassung, S.102f. URL: http://www.ver-fassungsschutz.de/de/publikationen/ver-fassungsschutzbericht/vs-bericht_2004/vsbericht_2004.pdf

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Die Sprache des Hasses: Jan vanHelsings Bücher. in: Informationsdienstgegen Rechtsextremismus, 11.11.2001(21.10.2005). URL: http://www.idgr.de/texte/rezensionen/helsing/helsing-heller.php.

Mathias Bröckers:Hannah Arendt: Elemente und Ur-

sprünge totaler Herrschaft. Antisemitis-mus, Imperialismus, totale Herrschaft.München und Zürich (10) 2005, S.756und 759.

Mathias Bröckers: Verschwörungen,Verschwörungstheorien und Geheimn-isse des 11.9. Zweitausendeins, 7. Au-flage, 2002,

S.233ff.

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Tobias Jaecker: Antisemitische Ver-schwörungstheorien nach dem11.September. Neue Varianten eines al-ten Deutungsmusters. Münster 2005,S.87ff.

CAMERA: Syndicated Columnist Geor-gie Anne Geyer Uses Fabricated SharonQuote. 20.5.2002 (21.10.2005). URL: ht-tp://www.camera.org/index.asp?x_art-icle=34&x_context=2

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Kapitel 10

Tucholsky-Gedicht:Dieter A. Binder: Die diskrete Gesell-

schaft. Geschichte und Symbolik derFreimaurer. Graz, Wien, Köln 1988, S.14.

Erich Ludendorff:D.J. Goodspeed: Ludendorff. Soldat,

Diktator, Revolutionär. Gütersloh 1968.

Hans Mommsen: Aufstieg und Unter-gang der Republik von Weimar.München, 2004.

Verschwörungstheorien gegen Juden,Freimaurer und Jesuiten:

Johannes Rogalla von Bieberstein: DerMythos von der Weltverschwörung.

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Juden, Freimaurer und Jesuiten als»Menschheitsfeinde«. In: Gerd-KlausKaltenbrunner: Geheimgesellschaftenund der Mythos der Weltverschwörung,München 1987.

Juden, Antisemitismus:Hannah Arendt: Elemente und Ur-

sprünge totaler Herrschaft, a.a.O.Wolfgang Benz: Antisemitismus: Ein

Deutungsversuch. Brockhaus in Text undBild 2005, Office-Bibliothek 4.0 Linux.Werner Bergmann: Geschichte desAntisemitismus. München 2004.

Thomas Brechenmacher: Der Vatikanund die Juden. Geschichte einer unheili-gen Beziehung. München 2005.

Leonard Dinnerstein: Antisemitism inAmerica. New York 1994. David

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I. Kertzer: Die Päpste gegen die Juden.Der Vatikan und die Entstehung des mo-dernen Antisemitismus, München 2004.Friedrich Lotter: Innocens Virgo et Mar-tyr. Thomas von Monmouth und die Ver-breitung der Ritualmordlegende imHoch-mittelalter. In: Rainer Erb: Die Le-gende vom Ritualmord, Berlin 1993.

Henri Zucker: The Conspirational Im-perative: Medieval Jewery in WesternEurope. In: Carl-Friedrich Graumann,Serge Moscovici: Changing Concepts ofConspiracy, New York 1987. Marie-Theres Wacker: Gottes erste Liebe.Christliche Wahrnehmungen desJudentums in Münster. Vortrag im Rah-men der Ringvorlesung der Kath.-Theologischen Fakultät Münster.4.5.2005, (26.10.2005). URL:

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www.bistumsjubilaeum2005.de/down-loads/Vortrag_Wacker.pdf.

Freimaurer:Dieter A. Binder: Die diskrete Gesell-

schaft, a.a.O.Michel Dierickx S. J.: Freimauererei.

Die große Unbekannte. Frankfurt undHamburg 1968.

Horst Kischke: Die Freimaurer.Fiktion, Realität und Perspektiven. Wien1996.

Ekkart Sauser: Leo XIII. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon BandIV, Herzberg 1992, online: 7.5.2003(27.10.2005). URL: http://www.bautz.de/bbkl/l/Leo_XIII.shtml

Jesuiten:

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William V. Bangert: A History of theSociety of Jesus. Institute of JesuitSources, St. Louis 1986.

Geoffrey Cubitt: The Jesuit Myth. Con-spiracy Theory and Politics in Nine-teenth Century France. Oxford 1993.

Bernhard Duhr: Hundert Jesuitenfa-beln. Gekürzte Volksausgabe der »Je-suitenfabeln«. Freiburg 1902.

René Fülöp-Miller: Macht und Ge-heimnis der Jesuiten. Eine Kultur- undGeistesgeschichte. Berlin 1932.

Peter C. Hartmann: Die Jesuiten,München 2001.

Rita Haub: Ich habe euch nie gekannt,weichet alle von mir … Die päpstlicheAufhebung des Jesuitenordens 1773. In:Hans Ulrich Rudolf: Alte Klöster – Neue

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Herren. Die Säkularisation im DeutschenSüdwesten 1803, Ostfildern 2003.

Stefan Kiechle, Clemens Maaß: DerJesuitenorden heute. Mainz 2000.

Juden, Freimaurer und Jesuiten:Vergleich:

David Brion Davis: Some Themes ofCountersubversion: An Analysis of Anti-Masonic, Anti-Catholic, and Anti-Mor-mon Literature. In: David Brion Davis(Hrsg.): The Fear of Conspiracy. Imagesof Un-American Subversion from the Re-volution to the Present. Ithaca, London1971.

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Kapitel 11

Mark Fenster: Conspiracy Theories.Secrecy and Power in American Culture.Minneapolis, London 1999, 3–21.

Robert Alan Goldberg: Enemies With-in, The Culture of Conspiracy in ModernAmerica, a.a.O.

Daniel Pipes: Verschwörung, a.a.O.Richard Hofstadter: The Paranoid

Style in American Politics, Harper’sMagazine, November 1964, S.77-86. On-line: (25.11.2005). URL: ht-tp://kar-ws.gso.uri.edu/JFK/conspiracy_theory/the_paranoid_mentality/The_paranoid_style.html

Ruanda:

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Alison Des Forges: Kein Zeuge darfüberleben. Der Genozid in Ruanda. Ham-burg 2002.

Peter Dausend: Sterben in Ruanda –Chronik eines angekündigten Völkerm-ords. In: Die Welt 1.4.1999 (25.11.2005).URL: http://www.welt.de/data/1999/04/01/627668.html Bartho-lomäus Grill: Tötet! Tötet! Tötet! In: DIEZEIT (51) 2002 (25.11.2005). ULR: ht-tp://www.zeit.de/2002/51/LB-P-RuandaBartholomäus Grill: Ach, Afrika. Berichteaus dem Inneren eines Kontinents.München 2005.

Bartholomäus Grill: Die Gier derweißen Brüder. In: DIE ZEIT (14)26.3.1998.

Völkermord in Ruanda. Denn siewussten, was sie taten. In: STERN

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31.3.2004 (25.11.2005). URL: ht-tp://www. stern.de/politik/ausland/in-dex.html?id=522189&p=2&nv=ct_cbRoméo Dallaire: Shake Hands with theDevil: The Failure of Humanity inRwanda. 2003.

Lady Diana (Auswahl):Kate Tuckett: Verschwörungstheorien

von A-Z, Königswinter 2001.ZDF: Diana und Charles. Zwei

Geschichten einer Ehe.

URL: http://www.zdf.de/ZDFde/in-halt/13/0,1872,2004589,00.html

BBC News|UK|Report ›dispels Dianatheories‹. 24.1.2004 (25.11.2005). URL:http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/3426309.stm

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Yukos:Neun Jahre Lagerhaft für

Chodorkowski und Lebedjew. In: DIEWELT 31.5.2005 (25.11.2005). URL: ht-tp://www.welt.de/data/2005/05/31/725753.html

Johannes Voswinkel: Putins Durst aufÖl. In: DIE ZEIT (29) 8.7.2004, online:8.7.2004 (25.11.2005). URL: http://her-mes.zeit.de/pdf/archiv/2004/29/Oel_Russ-land.pdf

Johannes Voswinkel: Das neue Waffen-arsenal. In: DIE ZEIT (20) 11.5.2005, on-line: 11.5.2005 (25.11.2005). URL: ht-tp://hermes.zeit.de/pdf/archiv/2004/29/Oel_Russland.pdf

Report: The circumstances surround-ing the arrest and prosecution of leading

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Yukos executives. Committee on legal Af-fairs and Human Rights, Berichterstat-ter: Sabine Leutheusser-Schnarrenber-ger. Doc. 10368 der ParlamentarischenVersammlung des Europarats,29.11.2004.

Report: The circumstances surround-ing the arrest and prosecution of leadingYukos executives. Committee on legal Af-fairs and Human Rights, Berichterstat-ter: Sabine Leutheusser-Schnarrenber-ger. Doc. 10368 (Addendum) der Parla-mentarischen Versammlung des Europa-rats, 24.1.2005.

Chodorowskij-Urteil: PolitischerSchauprozeß. In: FAZ. NET. URL: ht-tp://www.faz.net/s/RubEC1ACFE1EE274C81BCD3621EF555C83C/Doc~E3DCE983EAEE1498EA4F0781F3B980DB5~ATpl~E-common~Sspezial.html

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Attentate am 11.9.2001:Jochen Bittner: Blackbox Weißes

Haus. In: DIE ZEIT (31) 2003(24.27.2003).

Christopher Sultan: Panoply of the Ab-surd. In: Der Spiegel (37) 2003(25.11.2005).URL:http://www.spiegel.de/international/spiegel/0,1518,265160.html

BBC NEWS | World |Middle East| Hi-jack ‚suspects‘ alive and well. 23.9.2001(30.11.2005). URL: ht-tp://news.bbc.co.uk/1/hi/world/middle_east/1559151.stm

Auf der Suche nach den lebenden At-tentätern. Filmautor John Goetzberichtet von seiner Spurensuche. In:wdr.de, 25.9.2003 (30.11.2005). URL:

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http://www.wdr.de/themen/politik/inter-national/elfter_september_2003/ver-schwoerungstheorien/goetz.jhtml?rub-rikenstyle=elfter_september_2003

Project for a New American Century:Rebuilding Americas Defenses. Septem-ber 2000 (30.11.2005). URL: ht-tp://www.newamericancentury.org/Re-buildingAmericasDefenses.pdf

Moderner Antisemitismus:Andreas von Bülow: Die CIA und der

11.September. Internationaler Terrorund die Rolle der Geheimdienste.München 2003. Andrei S. Markowits:Amerika, dich haßt sich’s besser. Ham-burg 2004.

Andrei S. Markovits: Antiamerikanis-mus und Antisemitismus in Europa. In:

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Doron Rabinovici, Ulrich Speck, NatanSznaider: Neuer Anitsemitismus? Eineglobale Debatte. Frankfurt 2004. DoronRabinovici, Ulrich Speck, Natan Sznaid-er: Neuer Anitsemitismus? Eine globaleDebatte. Frankfurt 2004.

Donna Abu-Nasr: Libya accused offraming medics over Aids deaths. In: TheGuardian, 22.9.2001 (30.11.2005). URL:http://www.guardian.co.uk/aids/story/0,,556305,00.html MichaelBrogstede: Gaddafis böser Kuhhandel.Fünf bulgarische Krankenschwesternwarten in Tripolis auf ihre Hinrichtung.In: FAS (45) 13.11.2005, S.13.

Hanno Loewy: Die Figur des Dritten.In: Neue Züricher Zeitung 17.11.2005,S.35.

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Sophie Mühlmann: Mahathir Mo-hamed: Der Antisemit und ErneuererMalaysias tritt ab. In: DIE WELT31.10.2003, online:

31.10.2003 (25.11.2005). URL: ht-tp://www.welt.de/data/2003/10/31/189959.html

Brian Whitaker: Medics face Libyanfiring squad for ›giving HIV to children‹.In: The Guardian. 7.5.2004 (30.11.2005).URL: http://www.guardian.co.uk/interna-tional/story/0,,1211217,00.html

Anti-Defamation League: Speech byPrime Minister Mahathir Mohamad ofMalaysia to the Tenth Islamic SummitConference, Putrajaya, Malaysia.16.10.2003 (25.11.2005). URL: ht-tp://www.adl.org/Anti_semitism/malaysi-an.asp

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Matthias Küntzel: Die »Protokolle derWeisen von Zion« auf der FrankfurterBuchmesse. Oktober 2005 (15.11.2005).URL: http://www.matthiaskuentzel.de/contents/die-protokolle-der-weisen-von-zion-auf-der-frankfurter-buchmesse

The Middle East Media Research In-stitute: Kritik an arabischen Ver-schwörungstheorien. 28.11.2003(15.11.2005). URL: ht-tp://www.memri.de/uebersetzungen_ana-lysen/themen/liberal_voices/ges_ver-schwoerung_28_11_03.pdf

The Middle East Media Research In-stiture: Nach Kommissionsbericht zum11.September: Araber sollen Ver-schwörungstheorien aufgeben. 9.8.2004(16.11.2005). URL: ht-tp://www.memri.de/

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uebersetzungen_analysen/themen/liber-al_voices/ges_ansari_09_08_04.pdf

The Middle East Media Research In-stitute: Saudische Frauenrechtlerin überZionismus und Terrorismus. 29.4.2005(15.11.2005). URL: ht-tp://www.memri.de/uebersetzungen_ana-lysen/themen/islamistische_ideologie/isl_hammad_29_04_05.pdf

WTO:Klaus Brinkbäumer: Basar der Welten.

In: Der Spiegel (24) 2005, S.94-100.WTO Webportal. (30.11.2005). URL:

http://www.wto.org Attac Deutschland,Webportal. (30.11.2005). URL: ht-tp://www.attac.de

Grenzen der Verschwörung: BillClinton:

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Bill Clinton: Mein Leben. Berlin 2004.Hillary Rodham Clinton: Gelebte

Geschichte. Berlin 2004.George J. Church: The Clinton Hater’s

Video Library. In: TIME Magazine1.8.1994.

Walter Kirn: Persecuted or Paranoid?In: TIME Magazine 9.2.1998.

Uwe Schmitt: … und Starrs Stern gehtunter. In: DIE WELT Online 8.7.1999(22.11.2005). URL: http://www.welt.de/data/1999/07/08/634918.html

Uwe Schmitt: Ehepaar Clinton inWhitewater-Affäre entlastet. In: DIEWELT Online, 22.9.2000 (22.11.2005).URL: http://www.welt.de/data/2000/09/22/583079.html

Brooks Jackson: Who Is Richard Mel-lon Scaife? In: CNN Online, 27.4.1998

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(22.11.2005). URL: http://www.cnn.com/ALLPOLITICS/1998/04/27/scaife.profile/index.html

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Anhang

AmenemhotPropyläen Weltgeschichte. Berlin,

Zehnbändige Sonderausgabe 1991, er-ster Band, S.403.

Dietrich Wildung: Haremsver-schwörung unter Ramses III. In: GroßeVerschwörungen (Hrsg.): Uwe Schulz.München 1998, S.10-11.

Worte Schwören, Eid:Duden Herkunftswörterbuch. 2. Au-

flage 1989.Friedrich Kluge: Etymologisches Wör-

terbuch der deutschen Sprache. 23. Au-flage 1999.

Germanischer Eid:

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Wolfgang Golther: GermanischeMythologie. Essen, S.548.

Eid der Kikuyu:Robert Ruark: Die schwarze Haut.

Berlin 1966, 72f.

Bibelzitat:Einheitsübersetzung der Heiligen

Schrift. Stuttgart (21.10.2005). URL: ht-tp://alt.bibelwerk.de/bibel/nt/matt005.htm

Gottesurteil:Der Brockhaus in Text und Bild 2005.

Office-Bibliothek 3.0.

Feuerprobe:Kluge, Etymologisches Wörterbuch.

a.a.O.

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Fahneneid:Wikipedia, Stichwort: Fahneneid der

NVA. 10.10.2005 (21.10.2005). URL: ht-tp://de.wikipedia.org/wiki/Fahneneid_der_NVA

Eid des Hippokrates:Axel Bauer: Der Hippokratische Eid –

The Hippocratic Oath. (21.10.2005).URL: http://www.uni-heidelberg.de/insti-tute/fak5/igm/g47/bauerhip.htm

Genfer Ärztegelöbnis:Bundesärztekammer: Genfer Gelöbnis

(Deklaration von Genf), Stand 1994.(21.10.2005). URL: http://www.bunde-saerztekammer.de/30/Auslandsdienst/Genf.pdf

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Jeffrey Archer:Guardian unlimited | Special reports |

Special reports: Jeffrey Archer. 2005(21.10.2005). URL: ht-tp://www.guardian.co.uk/arch-er/0,2759,180881,00.html

Strafgesetzbuch (StGB):Strafgesetzbuch. Beck-Texte im dtv

(40) 2005 oder im Internet: URL: ht-tp://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stgb/inhalt.html

Strafrecht des Staates Texas:Title 4: Inchoate Offenses, Chapter 15,

16 (21.10.2005). URL: http://www.texas-policecentral.com/title_4.html

Martha Stewart:

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Page 908: 3596170400_Illumin

The Observer | Focus | When sweethome went on trial. 7.3.2004(21.10.2005). URL: ht-tp://observer.guardian.co.uk/focus/story/0,,1163823,00.html

Conspiracy, rechtliche Würdigung:Encyclopedia Britannica. Online Edi-

tion 2003, Stichwort: Conspiracy.

Definition Verschwörungstheorie:Daniel Pipes: Verschwörung. München

1998, S.15.

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Register

11.September 2001 61, 67, 72ff., 115f., 148, 172,197, 236, 238, 240f., 243, 247f.

Aids 56, 58f., 199, 226, 245al-Fayad, Emad 232, 235al-Fayad, Mohamed 232Al-Quaida 237f.Alleinherrscher 20f., 145, 186Amenemhet 7Amtseid 237f.Anderson, James 212Antikommunismus 85, 87, 195Archer, Jeffrey 275Arendt, Hannah 196ff.Aronson, Elliot 101Attac 248, 251Attribution 100f.Aufklärer 29, 36, 38, 75, 77, 79, 222, 287Aufklärer, besessene 75, 77, 79Aufklärung 26, 29, 32ff., 70, 79, 179, 207, 213,

215, 225, 253, 284Außerirdische 41, 50, 52, 66, 79, 96, 106, 118,

176

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Barkun, Michael 97Barruel, Abbe 36ff.Barschel, Uwe 144Begräbnisstätten 167Benedikt XIV., Papst 213Bergpredigt 271f.Bergwerke 164Berlitz, Charles 51, 66, 70, 74Berlusconi, Silvio 275Bermudadreieck 66Bieberstein, Johannes Rogalla von 210Bilderberg-Gruppe 199Bismarck, Otto von 217f.Blutritual 45Boule, Marcellin 160Bröckers, Mathias 66, 68ff., 72ff., 79, 172, 196ff.,

242Brown, Dan 66ff., 70, 74, 227Bruderschaft 103, 211Brutus, Marcus 17, 20, 38Bülow, Andreas von 241f., 248Bundesnachrichtendienst 108Bundestag 145, 265Bush, George W. 46, 107, 146, 149f., 241, 241Caesars Ermordung 12Canetti, Elias 102

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Capgras-Syndrom 122Chodorkowski, Michail Borissowitsch 235f.Christen 44, 78, 113, 167, 183, 206, 209, 219f.,

229, 271f.Christusmörder 206CIA 54, 69, 108, 142ff., 149, 241f., 245, 248, 287Cicero 20f., 166Clarke, Richard A. 74, 149f.Clemens XII., Papst 213Clemens XIII., Papst 223Clinton, Bill 58, 146, 248, 251ff.Clinton, Hillary 252ff.Cohn, Norman 193Common Law 280f.Conspiracism 231Conspiracy 37, 97, 196f., 278Cooper, Milton William 106, 194Cotard-Syndrom 121Crassus 13, 165Dämonen 79, 104f., 231Dämonenglauben 105ff.Dämonenlegende 104f.Dämonenstereotyp 107f., 112, 199, 227Dämonisierung 176, 250Däniken, Erich von 66, 70ff., 74, 79David, A. S.119

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Davis, David Brion 108DDR 143, 147, 254, 273Demokratie 13, 33, 36, 139, 148, 199, 203, 235,

242ff.Denkmuster 100Denkstörung 121formale 120f.inhaltliche 120Wahnidee 119ff., 130, 210Depression 76, 120f., 123Dolchstoßlegende 150, 155f.Dörner, Dietrich 112DSM-IV-Definition 118f.Duhr, Bernhard 225f.Dunkelmännerbriefe 170f.Dürrenmatt, Friedrich 275Ebert, Friedrich 152Eid 23, 212, 269ff.Eidesformel 212, 269f.Elliot, Michael 175Entscheidungssituation, komplexe 109, 112Fahneneid 273Falklandkrieg 148Falwell, Jerry 252Fanatische Persönlichkeit 125 Feindbild 103,

108, 248f.

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Fenster, Mark 231Foerster, Heinz von 122Ford, Henry 190Frankreich 22, 38, 98, 141f., 151ff., 179, 182,

188f., 197, 206, 213, 216ff., 223f., 232Französische Revolution 36ff., 112, 207, 215, 225Freimaurer 30f., 34ff., 78, 95, 106, 108, 179ff.,

183, 187, 189f., 194, 199, 203ff., 208, 210ff.,227f.

Friedman, William 170Friedrich II. 180, 213, 224Fritsch, Theodor 192Gallikanismus 221Geheimdienste 140f., 143f., 147, 149f., 184, 241f.,

244f.Geheimgesellschaft 11, 28, 30, 35, 38f., 106, 157,

179, 197f., 214f., 218Geheimhaltung 17, 200, 212Geisteskrankheiten 115, 118Generalverdacht 203Gerüchte 7f., 27, 44, 54, 61ff., 70, 86, 95, 116,

173, 191f., 212, 233, 254, 268Gföllner, Bischof 211Ghada al-Karmi 246Ghaddafi 245Globalisierungsgegner 250

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Gnomen 171f.Goedsche, Hermann 183f.Goetz, John 239Goldberg, Robert Alan 96, 231Gottesurteil 42, 272f.Graves, Philip 192Greenpeace 141Griffin, Des 106Grill, Bartolomäus 233Gruppenstereotyp 107Gunpowder Plot 278Guy Fawkes 11, 24f., 28Hagemeister, Michael 181Halluzination 121, 126HAMAS 197Heiligenkult 44Helikopter, schwarze 61, 105Hetzschriften 46, 181Hexenbulle 89Hexenglauben 49, 96Hexenhammer 88, 92f.Hexenjäger 75, 80, 88, 91Hexenprozesse 49, 93Hexenverfolgung 90, 93Hexerei 49, 89f., 273Hippokrates 273

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Hitler, Adolf 150, 155f., 193, 196ff., 204, 210HIV-Aids 59Hofstadter, Richard 231Holey, Jan Udo 35, 106f., 126, 194, 200, 247f.Hostienfrevel 78, 179, 207Hussein, Saddam 149HVA 143Icke, David 35, 107, 126, 194, 200Illuminaten 11, 28, 30f., 33ff., 48, 95, 105f., 157,

188, 194, 199, 214, 218, 247Illuminatenorden 28, 31, 33f., 39, 67, 105, 214,

218Illuminati 38, 67Inquisition 93Irak 11, 147, 149f.Islam 103, 246Iwan IV. 71, 115ff.Jabalot, Ferdinand 209Jaecker, Tobias 197, 248Jansen, Cornelius 222Jebel Qafzeh 160Jesuiten 26, 28, 32, 183, 203, 205, 220ff.Antisemitismus 229in England 27, 50Stereotyp 227Verschwörungstheorien 188, 204, 220, 228

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Jesuitenorden 28f., 213Verbot 217, 224, 228Wiederbegründung 221, 223ff.John Kennedy 54, 287Joly, Maurice 182, 188, 192f.Judenantijüdische Propaganda 192Antisemitismus 180, 192, 194,219, 244, 247ff.Antisemitismus, europäischer 207,229, 247f.Antisemitismus, moderner 180, 244Emanzipation 179, 207f.Freimaurer 78, 95, 179, 181, 194,198, 202, 204f., 208, 210Geheimgesellschaften 194, 198, 218Ghetto 207, 209, 219f., 229Hostienfrevel 179, 207Judenstereotyp 199Kommunismus 244Massaker von Fulda 45Ritualmordvorwürfe 41ff.Russische Revolution 248Schutzprinzip 208, 219Julius Caesar 12, 165Kabbalisten 105

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Kapp-Putsch 204KatakombenParis 168f.Rom 167, 169Katholiken 23, 28, 56, 216in England 24f., 27f., 38, 47, 49f., 55, 102, 139und Freimaurer 78, 108, 213und Mormonen 108Katholikengesetze 27f., 50Kennedy, John 54, 287Kertzer, David I. 210King, William 160Kircheanglikanische 23, 37evangelische 180, 207, 272katholische 36, 56, 67, 180,207ff., 213f., 216ff., 220ff.,224f., 227, 272protestantische 146russisch-orthodoxe 180, 195, 207Kirchenstaat 208f., 213, 215f., 220, 224Klassenfeind 147Knigge, Freiherr von 30f., 33f., 214Kommunismus 81ff., 85f., 106, 113, 179, 211, 244König Faisal 194Kramer, Heinrich 88ff.

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Kreuzritter 238Kryptologen 171Lady Diana 49, 143, 233f.Lattimore, Owen 84Legenden 41, 47, 49ff., 58, 60, 62, 65, 70, 96f.,

105, 108, 138, 144f., 157, 162, 170, 173, 175,181, 210, 226, 238ff., 247

Lenin 133, 153Leo XIII., Papst 78, 216Libyen 245f.Lilith 104f.Loyola, Ignatius von 221f.Ludendorff, Erich 150f., 153ff., 203ff.Machiavelli, Niccolò 9f., 21f., 25, 27, 39, 41, 182Macht 8, 10, 12f., 19, 21f., 85, 88, 90, 96, 102,

105f., 117, 131ff., 135, 138ff., 144, 146f., 172,175f., 182, 186, 200, 207, 216, 220, 232, 243,249f.

Machtkonzentration 144Machtwechsel 140, 145, 242Magie 91, 96, 270, 274Mahathir Mohamad 244f.Malleus Maleficarum 88, 90f.Markowits, Andrei 248Martha-Mitchell-Effekt 126, 130Massaker 45, 47, 50, 139, 145, 232f.

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Mayer, August 160McCarthy, Joseph 80ff.McCarthyismus 88Medienkrieg 233Meineid 84, 269, 271, 274ff., 280Mellon Scaife, Richard 253f.Men in Black 175Middle East Media Research Institute MEMRI

247Misstrauen 47f., 54ff., 60, 82, 102, 115, 121,

124f., 136, 144, 146f., 179f., 183, 212, 218, 222,227

Mitchell, John 126ff.Mitterrand, François 233Monmouth, Thomas von 41, 43ff., 48, 52, 206Morse, Samuel Finley Breeze 220f.Mossad 108, 141, 144, 245, 148Müller, Ludwig 192Müntefering, Franz 145Muslime 103, 196, 244, 247Mylroie, Laurie 149f.Mythologie 104, 161Mythos 104, 199Nachrichtendienste 108, 141, 241Nahostkonflikt 247Nasser, Gamal Abdel 194

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Nationalsozialisten 132, 156, 192ff., 204, 211, 255Neandertaler 157ff.Nekropolen 167, 169Nilus, Sergej 181f., 185, 190, 194Nixon, Richard 127ff., 140Oates, Titus 49f.Osama bin Laden 149, 237f., 247Palästinenser 241, 245, 247f.Paranoia 125Penal Codes 281Pentagon 61, 69, 72, 149, 236ff., 247Persönlichkeitsstörung 124f.Pipes, Daniel 97, 231, 286Pius IX., Papst 215, 217Pogrome 45, 181, 205f.Powell, Colin 149Präsidentschaftswahlen 128, 146Presley, Elvis 286Prinz Charles 233f.Protestanten 37, 220, 222, 228Protokolle der Weisen von Zion 35, 179, 181, 194,

196, 198, 244, 248Pulververschwörung 22, 139, 278Putin, Wladimir 235Reduktive Hypothese 108, 112, 114, 250Religionswissenschaft 104

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Religionszugehörigkeit 179Restauration 208, 215, 224Ritualmord 41f., 44ff., 48, 95, 179, 206ff., 228Robertson, Pat 35, 106Robison, John 37f.Rohling, August 208, 210Roosevelt, Franklin 242Rosenkreuzer 105, 214Ruanda 232f.Russische Revolution 105f., 154, 190, 248Sage 161, 175Säuberung 83, 131ff.Scaife, Richard Mellon 253f.Schauermärchen 48Schauprozesse 136f., 236Scheidemann, Philipp 151Scheuer, Michael 142Schizophrenie 76, 120, 122f.Schliemann 163Schwören 212, 269, 270f., 273f., 176Secret Service 234Sharon, Ariel 196ff.Sozialdarwinismus 210Sozialpsychologie 98ff., 200, 206, 231, 241Spekulation 74, 161, 172Stalin 83, 113, 132ff., 144, 147

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Stasi-Archive 254Stereotype 227, 248Stewart, Martha 281f.Stoecker, Adolf 180Strafprozessordnung 270, 272Strafrecht, deutsches 274, 279Sündenbockprinzip 100Tacitus 54Taliban 238Taxil, Leo 77f.Terror 113, 115f., 132, 137, 147, 188, 243Terroranschläge 23, 61f., 68f., 95, 149, 238, 240Terroristen 72ff., 137, 148, 181, 236ff., 240Terroristische Vereinigung 280Teufelspakt 91Tibi, Bassam 103Trotzki, Leo 134f., 137f.Trotzkisten 113, 136Tunnel 169, 259Bayreuth 168f.Berlin 168Montreal 168f.Tuskegee-Syphilis-Studie 57UFO 51, 96, 105, 174f.UNO 61, 146, 199, 232, 266, 286Urban Legends 47, 62, 74

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Vatikan 56, 67, 102, 106, 209, 216f.Verfolgte 75, 77Verfolgungswahn 96, 117, 122, 124, 196, 253Verräterschriften 212VerschwörungCaesars Ermordung 12, 54Clinton, Bill 251f.Feindbild 103, 108, 248Gunpowder Plot 278Illuminaten 11planlose 12Protokolle der Weisen von Zion 179Sprachgebrauch 278f.Stalin 132Theorie 8f., 21, 36ff., 44, 46ff., 64f., 69, 74, 79,

95ff., 108, 113, 115, 123, 126, 131, 138, 144ff.,157ff., 196f., 200, 203ff., 210, 218, 220, 222,226, 228f., 231, 234, 241f., 243f., 247ff., 284ff.

Verschwörungsdenken 8, 97, 285Verschwörungsglauben 41, 47Verschwörungsideen 97, 285Verschwörungslegenden 41, 47, 49Verschwörungsmythen 285Verschwörungsplanspiel 145, 147Verschwörungstheoreme 285

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Verschwörungstheoretiker 35, 38, 61, 75f., 79,97, 105, 172, 174, 192, 194, 196, 200, 205,241f., 244, 254f., 286

VerschwörungstheorienVirchow, Rudolf 160Volksfeind 113Voltaire 98Vorherrschaft 15, 103, 140, 227, 243Voynich-Handschrift 170f.Waffenhändler 234Wahn 115f., 118ff.Wahnidee 119ff., 130, 210Wahnsystem 76, 119, 123ff.Wahrheit 27, 51, 53f., 60, 66, 74, 94, 104, 128,

137, 147, 152, 157, 159, 166, 169, 191ff., 208,254f., 267f., 270ff., 276

Wargames 72f.Watergate Skandal 128, 165Webster, Nesta 105, 192Weimarer Republik 155f., 203Weltbild 36, 47, 49, 62ff., 70, 95, 101, 147, 160,

241Welthandelsorganisation WTO 249Weltherrschaft 35, 107, 126, 176, 181, 183, 186,

198, 243Weltregierung 35, 106, 199f., 262

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Weltverschwörung 93, 105, 181, 193, 196f., 199,206, 210, 246, 248

Whitewater-Affäre 251, 253Wiener Kongress 208f., 215, 225Willelm von Norwich 43Wilson, Harold 171f.Wirklichkeit 11f., 21, 48, 66, 70, 102, 107f., 115,

120, 122, 126, 148, 181, 247, 254Wolf, Markus 143World Trade Center 69, 72ff., 80, 95, 112, 149,

173, 236ff., 240ff., 247WTO 249ff.Yukos-Ölkonzern 235f.Zeichendeuter 75, 79f.Zielkonflikte 112Zionismus 189, 194f., 244f., 247Zitate 67, 172ff., 198Zweiter Weltkrieg 102Zwerge 158, 161ff., 171, 175

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Über Thomas Grüter

Thomas Grüter wurde im Jahre 1957 inMünster geboren. Nach seinem Medizin-studium arbeitete er fünf Jahre lang inOsnabrück, Paderborn und Münster alsArzt, bevor er ein eigenes Softwareun-ternehmen gründete. Seit einigen Jahrenschreibt er populärwissenschaftlicheArtikel, die inzwischen in sechs Sprachenübersetzt sind. Er lebt und arbeitet inMünster.

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Impressum

Covergestaltung: Hißmann & Heilmann, Hamburg© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2006

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu un-terschiedlichen Darstellungen des vom Verlagfreigegebenen Textes kommen.Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.ISBN 978-3-10-400037-4

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