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SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS 17 18 JOHN AXELROD BARBER

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4. Abo C 28. /29.6. 2018

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SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

17 18

JOHN AXELROD

BARBER

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SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

WICHTIGER HINWEISLeider musste Yannick Nézet-Séguin die Leitung der Konzerte am 28. und 29. Juni 2018 krankheitsbedingt absagen. Wir danken John Axelrod, dass er sich so kurz-fristig bereit erklärt hat, das Dirigat zu übernehmen. Das Programm bleibt mit Aus-nahme von Francis Poulencs »Litanies à la Vierge noire« erhalten: Zu Beginn wird Samuel Barbars »Adagio for Strings« erklingen, ursprünglich der zweite Satz aus seinem String Quartet, op. 11, den Barber 1938 für Streichorchester bearbeitet hat. Laut einer Umfrage der BBC 2004 zum »traurigsten klassischen Werk« gewählt, bildet es nun den Auftakt zu weiteren Trauermusiken: Igor Strawinskys »Grabgesang« für großes Orchester, op. 5, und Dmitrij Schostakowitschs Symphonie Nr. 13 b-Moll für Bass, Männerchor und Orchester, op. 113 – »Babij Jar«.

JOHN AXELRODLeitung

MIKHAIL PETRENKOBass

MÄNNERCHOR DES BAYERISCHEN RUNDFUNKSEinstudierung: Michael Gläser

SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

Samuel Barber»Adagio for Strings«, Bearbeitung des langsamen Satzesaus dem String Quartet, op. 11● Molto adagio

Igor Strawinsky»Pogrebal’naya Pesnya« – »Grabgesang« für großes Orchester, op. 5● Largo assai – Poco più mosso – Tempo I

Pause

Dmitrij SchostakowitschSymphonie Nr. 13 b-Moll, op. 113für Bass, Männerchor und Orchester»Babij Jar«● Babij Jar. Adagio● Humor / Der Witz. Allegretto● Im Laden. Adagio● Ängste. Largo –● Karriere. Allegretto

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JOHN AXELROD

Gerade hat der Dirigent John Axelrod in Sevilla, wo er GMD beim Real Orquesta Sinfónica ist, ein Kon-zert mit Charles Ives’ The Unanswered Question, Leonard Bernsteins Zweiter Symphonie The Age of Anxiety und Dmitrij Schostakowitschs Fünfter Symphonie geleitet. Jetzt springt er hier in Mün-

chen für Yannick Nézet-Séguin ein und wird auch Schostakowitsch dirigieren. Der Ame-rikaner aus Houston, der schon mit fünf Jahren Klavierunterricht erhielt und später Stu-dent bei Leonard Bernstein war, begann seine Karriere am Pult 2001 in Krakau bei der Sinfonietta Cracovia, bald schon wurde er Chefdirigent beim Luzerner Sinfonieorche-ster und Musikdirektor beim Luzerner Theater am Vierwaldstättersee, wo er zahlreiche Opern aufführte wie Viktor Ullmanns Der Kaiser von Atlantis, Strawinskys The Rake’s Progress, Rossinis Il barbiere di Siviglia, Brechts Die Dreigroschenoper, Tschaikowskys Evgenij Onegin, die Verdi-Opern Rigoletto und Falstaff sowie die Mozart-Opern Don Giovanni und Idomeneo. Weitere Chefpositionen hatte John Axelrod beim Orchestre National des Pays de la Loire, das in Nantes und Angers beheimatet ist, und beim Or-chestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi inne, bevor er 2014 nach Sevilla ging. Er hat inzwischen viele bedeutende Orchester Europas geleitet, u. a. das London Philharmo-nic Orchestra, das Gewandhausorchester Leipzig, das Orchestre de Paris, die Dresdner Philharmonie, in Japan das NHK Symphony Orchestra und in den USA die Los Angeles Philharmonic, The Philadelphia Orchestra und das Chicago Symphony Orchestra. Sein überaus breites Repertoire von den Klassikern bis zum Jazz, der gehobenen Unterhal-tungsmusik und zur zeitgenössischen Musik weisen auch seine CD-Einspielungen auf: Hector Berlioz’ Herminie, Les nuits d’été und Ravels Shéhérazade mit Véronique Gens, die Symphonien von Brahms und Clara Schumanns Lieder mit Nicole Cabell und Indra Thomas auf der CD Brahms Beloved, Antonín Dvoráks Neunte Symphonie Aus der Neuen Welt, Franz Schreker und Schüler mit dem Bariton Dietrich Henschel, Jazz mit Fazıl Say, Leonard Bernsteins Kaddish, Władysław Szpilmans Klavierkonzerte mit Ewa Kupiec, Wolfgang Rihms Sotto Voce I und II mit dem Pianisten Nicolas Hodges und Rolf Wallins Schlagzeugkonzert mit Martin Grubinger. Außerdem gibt es viele Video-Aufnahmen auf YouTube zu sehen. Seine DVD Holocaust: A Musical Memorial erhielt 2007 den Emmy Award der BBC. Für diese Aufnahme musizierten John Axelrod und die Sinfo-nietta Cracovia mit bedeutenden Solisten wie Emanuel Ax und Maxim Vengerov inAuschwitz. Es war das erste Mal, dass seit der Befreiung des Konzentrationslagers hier Musik erklang. Inzwischen veröffentlichte John Axelrod auch die Bücher Wie großartige Musik entsteht … oder auch nicht – Ansichten eines Dirigenten und Lenny and Me: On Conducting Bernstein’s Symphonies. Mit den Konzerten dieser Woche gibt John Axelrod zugleich sein Debüt am Pult des Symphonieorchesters.

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Donnerstag 28.6.2018 Freitag 29.6.2018 4. Abo C Herkulessaal 20.00 – ca. 22.00 Uhr 17 / 18 YANNICK NÉZET-SÉGUIN Dirigent MIKHAIL PETRENKO Bass CHOR DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS Einstudierung: Michael Gläser SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS KONZERTEINFÜHRUNG 18.45 Uhr Moderation: Uta Sailer LIVE-ÜBERTRAGUNG IN SURROUND im Radioprogramm BR-KLASSIK Freitag, 29.6.2018 PausenZeichen: Annika Täuschel im Gespräch mit Mikhail Petrenko und Yannick Nézet-Séguin ON DEMAND Das Konzert ist in Kürze auf br-klassik.de als Audio abrufbar.

PROGRAMM Igor Strawinsky »Pogrebal’naya Pesnya« – »Grabgesang« für großes Orchester, op. 5 • Largo assai – Poco più mosso – Tempo I Francis Poulenc »Litanies à la Vierge noire – Notre-Dame de Roc-Amadour« für dreistimmigen Frauenchor, Pauken und Streicher • Calme – Sensiblement plus animé – Calme Pause Dmitrij Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 b-Moll, op. 113 für Bass, Männerchor und Orchester »Babij Jar« • Babij Jar. Adagio • Humor / Der Witz. Allegretto • Im Laden. Adagio • Ängste. Largo – • Karriere. Allegretto Grabgesang und Heldenverehrung Zu Igor Strawinskys wiederentdecktem Pogrebal’naya Pesnya (Grabgesang ), op. 5 Egon Voss Entstehungszeit Mitte Juni – Ende Juli 1908 Uraufführung 17. (30.) Januar 1909 in St. Petersburg im Großen Saal des Konservatoriums mit dem Orchester des Grafen Scheremetew unter der Leitung von Felix Blumenfeld im Rahmen eines Gedenkkonzerts für Nikolai Rimskij-Korsakow Lebensdaten des Komponisten 5. (17.) Juni 1882 in Oranienbaum (Lomonossow) bei St. Petersburg – 6. April 1971 in New York Das Werk war bis vor Kurzem nur aus Strawinskys Biographie bekannt, die Noten galten als verschollen. Doch im Frühjahr 2015, bei Renovierungsarbeiten im St. Petersburger Konservatorium, fand man das Aufführungsmaterial der Uraufführung von 1909 – eine kleine Sensation; denn mit dieser Wiederentdeckung rechnete niemand mehr, nachdem schon Strawinsky selbst vergeblich nach dem Stück gesucht hatte. Er war neugierig gewesen auf ein Werk, das seiner Erinnerung nach sein bestes vor dem Feuervogel war, von dem er aber andererseits keine genaue Vorstellung mehr hatte. So berichtete er später, das Stück sei für ein Ensemble aus Holzblasinstrumenten geschrieben gewesen. Anlass für die Komposition Pogrebal’naya Pesnya (Grabgesang) war der Tod von Strawinskys hochverehrtem Lehrer Nikolai Rimskij-Korsakow am 8. (21.) Juni 1908. Das Werk entstand, unmittelbar nachdem Strawinsky die Todesnachricht erhalten hatte, in wenig mehr als einem

Monat, und es war Strawinsky so wichtig, dass er alle Hebel in Bewegung setzte, um seine Aufführung zu erreichen. Tatsächlich erklang das Stück im ersten Konzert zum Gedächtnis Rimskij-Korsakows in St. Petersburg Anfang 1909, doch blieb dies für mehr als hundert Jahre die einzige Aufführung, und auch die Drucklegung erfolgte nicht, obwohl Strawinsky das Werk sogar schon mit einer Opus-zahl versehen hatte. Der Grabgesang ist keine gleichsam abstrakte Trauermusik, ohne Bezug nach außen, über die Grenzen des Werks hinaus. Sie ehrt den Toten durch Anspielungen auf dessen Werk – eine naheliegende und wie selbstverständlich erscheinende Geste. Nach der Einleitung und im unmittelbaren Anschluss an das vom Solo-Horn vorgetragene Hauptthema erklingt in den Violinen ein Motiv (fallende Quarte, aufsteigende große Terz), das an ein zentrales Thema in Rimskij-Korsakows Scheherazade gemahnt. Und im gleichen Zusammenhang spielt die gedämpfte Trompete auf ein weiteres Motiv aus Scheherazade an, das danach mehrfach wiederkehrt. Der Rimskij-Korsakow-Kenner wird möglicherweise noch weitere Reminiszenzen hören, die uns, die wir in Deutschland mit dem Werk dieses wichtigen russischen Komponisten nicht vertraut sind, entgehen. Mit dem Bezug zu Strawinskys Lehrer ist es aber nicht getan. Der zweite Komponist, auf dessen Werk angespielt wird, ist niemand anders als Richard Wagner, überraschend für all jene, die Strawinskys spätere Aversion gegen den Bayreuther Meister kennen. Doch im Jahre 1908 war Strawinsky offenkundig noch nicht so weit. Das Motiv, mit dem die Kontrabässe den Grabgesang beginnen und das das gesamte Stück in vielfältigen Abwandlungen durchzieht, entstammt dem Trauermarsch aus Wagners Götterdämmerung, jener Figur der tiefen Streicher nämlich, die gleich zu Beginn dem Zitat des Wälsungenleid-Motivs vorangeht und danach wie ein Refrain wiederkehrt. Strawinsky konnte seinem Lehrer kaum eine größere Huldigung darbringen als mit diesem Bezug zu Wagners mythischem Heroen Siegfried und dessen tragischem Tod. Entsprechend ist der Grabgesang auch nicht nur Klage um den Verstorbenen, die in langgezogenen, übrigens auch wagnerisch klingenden Seufzer-Motiven zum Ausdruck kommt, sondern zugleich verherrlichende Feier des Toten. Der Höhepunkt – das Hauptthema ertönt ff grandioso in den Posaunen – ist nach Tonfall und Gestus im Stil Rimskij-Korsakows gehalten. Wagner ist auch im Übrigen präsent, womit aber nicht die Ähnlichkeiten in der chromatisierten Harmonik gemeint sind, die in der Zeit um 1900 allgemein Mode war. Gleich das Hauptthema, das nach der Einleitung zwei Mal in den Hörnern erklingt, übernimmt im zweiten und dritten Takt die Tonfolge des Liebesbund-Motivs aus dem dritten Akt des Siegfried. Hier zeigt sich allerdings auch sogleich Strawinskys Kunst, mit kleinen Veränderungen Distanz zum Zitierten zu schaffen. Die Töne sind die gleichen, aber die Verschiebung der rhythmischen Schwerpunkte verfremdet das Zitierte, verleiht ihm einen anderen Charakter. Ebenfalls im Hauptthema steckt, am Ende des ersten Takts, das Schicksal-Motiv aus dem Ring des Nibelungen, auch dies aber eine Anspielung gleichsam aus der Ferne. Wer genau hinhört, wird noch manch anderen Wagner-Anklang wahrnehmen. In seiner Autobiographie Chroniques de ma vie von 1936 schrieb Strawinsky über die »Idee« zu dem Werk: »Es war ein Trauerzug aller Soloinstrumente des Orchesters, von denen eines nach dem anderen seine Melodie wie einen Kranz auf das Grab des Meisters legte.« Bei dieser »Melodie« handelt es sich um das erwähnte Horn-Thema, zuerst im gedämpften Solo-Horn wie von fern, dann nähergerückt im offenen Hornklang ertönend; und tatsächlich, wie von Strawinsky beschrieben, wird diese »Melodie« dann nacheinander von den anderen Instrumenten und Instrumentengruppen aufgenommen. So erklingt das Thema, zählt man die kanonischen Einsätze mit, nicht weniger als 27 Mal. Dabei wird es um die auf Wagners Siegfried bezugnehmenden Takte 2 und 3 verkürzt, und, wie in symphonischer Musik üblich, in andere Tonarten und Klanglagen versetzt und abgewandelt. Die anfangs rein diatonische Melodie gerät dabei sogar in neue tonale Gefilde. Nicht zufällig nennt die russische Musikwissenschaftlerin Natalia Braginskaya die Art der Anwendung der großen Sept »Schönbergisch«. Der Grabgesang ist also nicht nur retrospektiv. Nach Strawinskys Mitteilung erlebte das Werk eine erfolgreiche Uraufführung: »Der Eindruck, den diese Musik auf die Zuhörer – darunter auch auf mich – machte, war sehr stark. Ob dies an der Trauerstimmung lag oder ein Verdienst der Komposition war, kann ich heute nicht mehr entscheiden.«

»Schlicht und unprätentiös« Zu Francis Poulencs Litanies à la Vierge noire Vera Baur Entstehungszeit Fassung für Chor und Orgel: 22. – 29. August 1936 in Uzerche; Fassung für Chor und Streichorchester mit Pauken: 1. September 1947 in Noizay Uraufführung Fassung für Chor und Orgel: 17. November 1936 in London unter der Leitung von Nadia Boulanger; Fassung für Chor und Streichorchester: unbekannt, erste dokumentierte Aufführung am 21. Oktober 1949 im Rahmen der Concerts Lamoureux in Paris unter der Leitung von Edward Pendleton Lebensdaten des Komponisten 7. Januar 1899 in Paris – 30. Januar 1963 in Paris Ein Schlüsselwerk im künstlerischen Werdegang eines Komponisten muss nicht unbedingt sonderlich auffällig sein. Es bedarf weder einer komplexen Faktur noch großer zeitlicher Ausdehnung, und auch ein weltbewegender Text ist nicht vonnöten. All dies lehren Francis Poulencs Litanies à la Vierge noire. Das nur siebenminütige Stück, das der Komponist im August 1936 unter dem Eindruck eines persönlichen Verlustes und einer anschließenden Wallfahrt niederschrieb, kennzeichnet eine geradezu bezwingende Schlichtheit, und dennoch bedeutete es für den Komponisten eine Art Wendepunkt. Der erfolgsverwöhnte Spross eines südfranzösischen Industriellen (dem Gründer des späteren Pharma-Imperiums Rhône-Poulenc) und einer talentierten Pianistin mit familiären Wurzeln in Paris verdankte seine musikalische Durchschlags-kraft bis dahin einem dezidiert leichten und humoristischen Idiom. Geistreiche Heiterkeit, Esprit bis hin zu frecher Provokation und unbedingter Verzicht auf Pathos und sentimentale Gesten waren seine Markenzeichen. Dem ländlich geprägten Katholizismus Südfrankreichs, in dessen Einfluss-bereich er aufgewachsen war, hatte er abgeschworen, es zog ihn nach Paris, in das Milieu der Salons, und als Mitglied der Groupe des Six stellte er sich in den Dienst einer antiromantischen Kunstauffassung. Nun, im Alter von 37 Jahren, erreichte ihn die Nachricht des tragischen Todes seines engen Freundes Pierre-Octave Ferroud, die ihn nachhaltig erschütterte. Der Komponist, Konzertveranstalter und Musikkritiker verunglückte am 17. August 1936 bei einem Autounfall in Ungarn, und nur fünf Tage später begann Poulenc mit der Niederschrift seiner Litanies. Dazwischen lag eine Pilgerreise zur Schwarzen Madonna von Rocamadour, in deren Obhut er die Seele seines Freundes überantworten wollte und bei der er selbst Trost für seinen tiefen Schmerz suchte. Diese Wallfahrt wurde für Poulenc zu einer Art Erweckungs- bzw. Wiedererweckungserlebnis. Still und ohne großen Wirbel führte sie ihn zurück zum Glauben seiner Kindheit, einem Glauben, der keiner komplizierten Rechtfertigung bedurfte, sondern einem ursprünglichen und unverfälschten Gefühl von Demut entsprang: »Ich bin Katholik, und das ist meine größte Freiheit«, schrieb Poulenc. Die Sakralmusik, der er sich nach diesem Erlebnis und der Komposition der Litanies verstärkt zuwandte und die fortan einen Schwerpunkt seines Schaffens bildete, verstand er als Gebet, als inbrünstigen Dialog mit Gott. »Meine Vorstellung von religiöser Musik ist im Wesentlichen unmittelbar.« Ihren künstlerischen Niederschlag fand Poulencs religiöse Rückbesinnung in einer neuen, ernsteren und zurückgenommenen Tonlage. Einfach und meditativ, auf alte musikalische Modelle rekurrierend, schnörkellos, ja beinahe karg transportieren die Litanies den französischen Text, den Poulenc den Pilgern in Rocamadour abgelauscht und in gedruckter Form auf einer Postkarte vorgefunden hatte. Der für dreistimmigen Frauenchor mit Orgelbegleitung gesetzte Satz trägt den Duktus einfacher Choralrezitation, die modal gefärbte Melodik bewegt sich in kleinen, oft gleichförmig wiederkehrenden Tonschritten, und die homorhythmische Faktur lässt an das Bild einer langsam schreitenden Prozession denken. »Schlicht und unprätentiös« wünschte sich Poulenc den Vortrag der Litanies, sollte er doch die »Stimmung ländlicher Frömmigkeit« wiedergeben, die ihn in dem Wallfahrtsort so gefangen genommen hatte. Alles ist dem Ausdruck einer andächtigen Hingabe untergeordnet. In strenger Syllabik, häufig einstimmig und a cappella

erklingen die Anrufungen wie archaische Formeln, die das Persönliche hintanstellen – nicht umsonst sah Poulenc eine Realisierung durch Frauenchor oder Kinderchor als gleichberechtigte Möglichkeiten vor. Die Atmosphäre seraphischer Körperlosigkeit, der den Gesängen eignet, macht eine Ausführung durch Kinderstimmen jedenfalls äußerst plausibel. Einen Kontrast bilden die rein instrumentalen Passagen (der Orgel bzw. des Streichorchesters mit Pauken in der Fassung von 1947), die dem unschuldigen Wohlklang dissonante Schärfen beimischen und in denen der Schmerz über den Verlust des Freundes und die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens spürbar mitschwingt. Sie dienen einerseits als gliederndes Element zwischen den Verszeilen, andererseits als Mittel der Intensivierung am Ende der Anrufungen. So mündet das Ende einer Bitte häufig in ein akkordisches Feld, das den Hörer nach dem Verstummen des Wortes mit bohrenden Klängen zurücklässt. Im Ganzen folgt die einfache und klare Architektur einer bogenförmigen Dramaturgie mit ruhigem Beginn, einer Steigerung des Ausdrucks zur Mitte des Stückes, wo der Text Bezug zu kriegerischen Ereignissen nimmt und Maria als »Königin« angerufen wird. Nach dem Punkt größter Erregung wechseln die Bitten zur Anrede »Notre Dame«, und die Musik kehrt zur Intimität des Anfangs zurück. Die Uraufführung seiner Litanies am 17. November 1936 in London legte Francis Poulenc in die Hände seiner berühmten Komponistenkollegin Nadia Boulanger. In einem Brief vom 15. September übermittelte er einige musikalische Erläuterungen und offenbarte ihr zugleich, dass die Litanies »mit Sicherheit zu den zwei oder drei Werken gehören«, die er »mit auf die einsame Insel nehmen« würde. So leise und bescheiden das Stück klingen mag, so tief und aufrichtig – darauf deutet diese Äußerung hin – ist die künstlerische Aussage, die der Komponist mit ihm verband. Babij Jar Ausschnitt aus Paul Celans lyrischer Übertragung von Jewgeni Jewtuschenkos Gedicht Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal. Ein schroffer Hang – der eine, unbehauene Grabstein. Mir ist angst. Ich bin alt heute, so alt wie das jüdische Volk. Ich glaube, ich bin jetzt ein Jude. Wir ziehn aus Ägyptenland aus, ich zieh mit. Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um, und da, da seht ihr sie noch: die Spuren der Nägel. Dreyfus, auch er, das bin ich. Der Spießer denunziert mich, der Philister spricht mir das Urteil. Hinter Gittern bin ich. Umstellt. Müdgehetzt. Und bespien. Und verleumdet. Und es kommen Dämchen daher, mit Brüsseler Spitzen, und kreischen und stechen mir ins Gesicht mit Sonnenschirmchen. Ich glaube, ich bin jetzt ein kleiner Junge in Białystok. Das Blut fließt über die Diele, in Bächen. Gestank von Zwiebel und Wodka, die Herren

Stammtisch-Häuptlinge lassen sich gehn. Ein Tritt mit dem Stiefel, ich lieg in der Ecke. Ich fleh die Pogrombrüder an, ich flehe – umsonst. »Hau den Juden, rette Russland!« – : der Mehlhändler hat meine Mutter erschlagen. Mein russisches Volk! »Der Bazillus ›Antisemitismus‹ ist noch allzu leben skräftig« Zur Symphonie Nr. 13 von Dmitrij Schostakowitsch, o p. 113 Renate Ulm Entstehungszeit Gedichte: 1961 Symphonie: Babij Jar März 1962 Humor 5. Juli 1962 Im Laden 9. Juli 1962 Ängste 16. Juli 1962 Karriere 20. Juli 1962 Erstdruck des Gedichts 13. September 1961 in der sowjetischen Literaturzeitschrift Literaturnaja Gaseta Uraufführung der Symphonie 18. Dezember 1962 vom Symphonieorchester der Moskauer Staatlichen Philharmonie sowie die Bässe des Staatlichen Russischen Chores und die des Chores des Gnessin-Instituts unter der Leitung von Kyrill Kondraschin im Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium; Solist war Witali Gromadski, Bass Lebensdaten des Lyrikers Jewgeni Jewtuschenko 18. Juli 1932 in Sima / Sowjetunion – 1. April 2017 in Tulsa / Oklahoma Lebensdaten des Komponisten Dmitrij Schostakowitsch 12. / (25.) September 1906 in Sankt Petersburg – 9. August 1975 in Moskau »Ich habe die Komposition der Dreizehnten Symphonie begonnen«, berichtete Dmitrij Schostakowitsch seinem Komponistenkollegen Wissarion Schebalin am 1. Juli 1962. »Das wird aber wohl eher eine vokal-symphonische Suite aus fünf Sätzen werden. […] Ich habe für dieses Werk Worte des Dichters Jewgeni Jewtuschenko verwendet. Bei näherer Bekanntschaft mit diesem Dichter wurde mir klar, dass er ein großer und – was die Hauptsache ist – ein denkender Künstler ist.« Seit seiner Zweiten und Dritten Symphonie hatte Schostakowitsch keine Texte mehr in seine Symphonien aufgenommen, und als er Babij Jar von Jewtuschenko gelesen hatte, plante er zunächst nur, diese beeindruckenden Verse als »vokal-instrumentale Dichtung« zu vertonen. Doch dann wählte er weitere Lyrik von Jewtuschenko aus und komponierte eine fünfsätzige Vokal-symphonie für Bass, Männerchor und Orchester mit den Sätzen Babij Jar, der dem Werk den Titel gab, Humor, Im Laden, Ängste und Karriere. Das Gedicht Ängste, das im vierten Satz Eingang fand, schrieb Jewtuschenko aber erst auf Anregung Schostakowitschs. Aber wer war dieser »denkende Künstler« Jewtuschenko? Deutliche Worte des Jewgeni Jewtuschenko Vor etwas mehr als einem Jahr, am 1. April 2017, starb der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko in den USA, wo er ab 1992 als Gastdozent russische Literatur lehrte. Der vielfach ausgezeichnete Lyriker, 1932 im sibirischen Sima an der Oka geboren, besaß erstaunlicherweise keinen Schulabschluss. Er wurde 1947 im Alter von 15 Jahren wegen Schwänzens und Aufsässigkeit von der Schule verwiesen. Zwei Jahre darauf begann Jewtuschenko, der schon früh eine starke Neigung zur Poesie verspürte, seine literarische Laufbahn als »Zeitungsdichter«,

nachdem er zuvor in einer Kolchose und in einem Säge-werk seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Aufgrund seiner qualitätvollen Veröffentlichungen durfte er dann sogar am Maxim-Gorki-Literaturinstitut studieren. Doch auch hier beendete er sein Studium nicht, denn 1954 war er gezwungen – diesmal aus politischen Gründen –, das Institut zu verlassen: Er hatte Wladimir Dudinzews Roman Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, in dem konstruktive Kritik an der sowjetischen Wirtschaftsbürokratie und somit an Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow geäußert wird, öffentlich gelobt. Das Abschluss-Diplom reichte man Jewtuschenko aber 45 Jahre später, im Jahr 2001, nach, da wurde er bereits als »Poetisches Symbol einer ganzen Epoche« verehrt. Seinen außerordentlichen Ruf als Dichter errang er in der Zeit der Entstalinisierung, der so genannten Tauwetter-Periode in den 1960er Jahren, mit seinem Gedicht Babij Jar – zugleich sein Durchbruch als Lyriker. »Babij Jar war ein Verbrechen des Faschismus. Aber unser jahrelanges Verschweigen des fremden Verbrechens wurde zum eigenen Verbrechen. Verschweigen – das ist auch Mord, Vernichtung, Mord der Erinnerung.« Ein kritischer Denker war Jewtuschenko allemal, der das deutliche Wort nicht zurückhielt und deshalb in der Sowjetunion Repressalien ausgesetzt war. Als Glasnost und Perestroika eine Öffnung zum Westen mit sich brachten, kritisierte er konsequent auch die »kommerzielle Zensur« und die »McDonaldisierung der Kultur«. Vom Massaker in der Schlucht Babij Jar berichtete ihm der drei Jahre ältere Schriftsteller Anatoli Kusnezow bereits in den 1950er Jahren und führte ihn 1961 zu diesem Ort am Rande der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Jewtuschenko war von den Erzählungen Kusnezows und dem, was von der Schlucht übrig geblieben war, erschüttert. »Ich empfand unerträgliche Scham […], als ich zum ersten Mal oberhalb der Schlucht Babij Jar stand, neben mir Kusnezow […], und nun verstört sah, dass es da kein Denkmal und keinerlei Hinweise gab. Babij Jar war zu einer Müllkippe verkommen. Der Anfang des Gedichts ergab sich von selbst: ›Es steht kein Denkmal dort in Babij Jar‹«, schrieb der Dichter in seiner Autobiographie Der Wolfspass von 1998. Das Massaker in Babij Jar Am 28. und 29. September 1941 wurden in der Schlucht Babij Jar, der so genannten »Weiberschlucht«, etwa 34.000 ukrainische Juden von SS-Männern und Wehrmachtsmitgliedern im Akkord umgebracht: 700 Menschen pro Stunde. Nicht zu vergessen all die bis zur Rück-eroberung Kiews durch die Rote Armee 1943 noch hingerichteten Widerstandskämpfer, Sinti, Roma und Gefangenen, wie Anatoli Kusnezow in seinem Dokumentarroman Babij Jar festhielt. So berichtete die Überlebende Dina Pronitschowa, dass sie sich in Zehnergruppen auf einem schmalen Vorsprung der steilen Wand zur Schlucht aufreihen mussten. Unter ihr ein Meer von blutüberströmten Körpern, hinter ihr deutsche Soldaten mit Maschinengewehren. Sie sprang in die Schlucht, bevor die Kugeln sie treffen konnten, und überlebte schwer verletzt. Die Namen der 33.771 ukrainischen Juden, die dort ermordet wurden, sind bekannt, denn die faschistische Bürokratie hielt die Personalien der Menschen fest, die nackt in die Schlucht hineingehen mussten, aber nie mehr herauskamen. In seinem Gedicht versetzt sich Jewtuschenko in das jüdische Volk, das seit dem Durchzug durch das Rote Meer immer wieder Pogromen ausgesetzt war. Er sieht in zwei bedeutenden Vertretern des Judentums – im gemarterten und getöteten Christus und im denunzierten und verleumdeten Alfred Dreyfus – Symbolfiguren des jüdischen Volkes. Jewtuschenko erinnert in seinem Gedicht aber auch an das Elend der über 1.200 Kinder von Białystok, die nach Theresienstadt gebracht und dort ermordet wurden, und gedenkt des Mädchens Anne Frank, das im KZ Bergen-Belsen an der dort grassierenden Typhus- oder Fleckfieber-Epidemie starb. An dieser Stelle ändert sich die Lyrik zu einer kurzen dramatischen Szene, in der sich Liebende, möglicherweise Anne Frank und Peter van Pels, vor dem Abtransport ins KZ umarmen und den Lärm der durch die Tür brechenden SS-Männer in Naturlaute umdeuten wollen. Jewtuschenko spricht über die Täter – SS-Schergen und Wehrmachtsmitglieder –, die sich nach ihrem teuflischen Treiben mit Wodka betranken und in zunehmend grausamem Auftreten Angst und Schrecken verbreiteten. Sie werden aber nicht namentlich erwähnt, dafür weitet er am Ende seine Klage über antisemitische Tendenzen auf das russische Volk aus. Er zeigt auf, dass selbst nach einem solch unfassbaren Verbrechen der russische Antisemitismus nicht überwunden wurde, sondern jederzeit aufs Neue hervorbrechen könne, wenn man die Augen vor diesen Untaten verschließe. Zum Abschluss fordert Jewtuschenko dazu auf, Aggressionen gegen andere Ethnien schon im Keim von sich zu weisen, und ermahnt seine Leser, diese ungeheuerlichen Verbrechen nie zu vergessen. Die

unterschwellige Kritik an der russischen Haltung zu diesem Massaker brachte Jewtuschenko damals übrigens eine deutliche Rüge von Chruschtschow ein. 35 Jahre nach dem Massaker, 1976, errichtete der russische Staat ein Denkmal für die Opfer des Faschismus auf dem Weg zur früheren Babij Jar. Die Schlucht selbst gibt es nicht mehr, ihre hohen Sandsteinwände sprengten die Nazis, um die Leichen zu verbergen. 1943 ließen sie die Toten von Kriegsgefangenen wieder ausgraben und verbrennen, um die mörderischen Spuren zu beseitigen. Schließlich wurde dieses Massengrab mit Ziegelschutt aufgefüllt und eine Straße darüber gebaut. Nun ragt dort die mächtige Skulptur aus der Breschnew-Ära in den Himmel, geschaffen für die ermordeten »Sowjetbürger«. Die ukrainischen Juden wurden auch damals noch nicht erwähnt. Und 1991 – also ein halbes Jahrhundert nach dem Verbrechen – durfte endlich eine Menora, ein siebenarmiger Leuchter, dort aufgestellt werden, um der jüdischen Opfer zu gedenken. Jewtuschenkos Gedicht hatte den Weg hierfür bereitet. Musik als Ausdruck der Unmenschlichkeit in Babij Ja r Schostakowitschs 13. Symphonie steht in der düsteren Tonart b-Moll und beginnt mit einem Adagio. Glockentöne, grundiert von Paukenschlägen, sind so unerbittlich wie Totenglocken. Eine langsame, manchmal aus dem Tritt geratende Bassfortschreitung lässt an einen schleppenden Trauermarsch denken, an den Marsch der alten und kranken jüdischen Männer, Frauen und Kinder auf dem Weg in die Schlucht. Das Motiv in den Hörnern und Trompeten, das immer wieder in unterschiedlichen Tondauern anklingt, setzt sich nur aus Halbtonschritten zusammen, ist ein Konzentrat aus Klagelauten. Diese kurze Adagio-Einleitung gliedert den an die Sonatensatzform angelehnten Aufbau, kehrt zu Beginn der Durchführung und der Reprise sowie einer kleinen Coda wieder. Auf die Adagio-Partien, die meist rein instrumental gehalten sind, aber auch rezitativische Elemente in reduzierter Begleitung aufweisen, schließt sich jeweils ein aggressiv aufgeheizter Più mosso-Abschnitt an, der filmmusikartig die unmenschlichen Gräuel widerspiegelt mit spitzen, halbtönig absteigenden Pizzicato-Motiven, einer gleichsam starren Musik mit martialischen Tamburin- und harten Paukenschlägen. Dort, wo im Gedicht die dramatische Szene um Anne Frank erwähnt wird – ihre Zuneigung zu Freund Peter und die brutale Deportation –, befindet sich im Symphoniesatz die Durchführung, ein Allegretto im Dreiertakt. Tiefe Streicher begleiten die Gedanken der Anne Frank, zu denen Harfen- und Celesta-Klänge bereits ihre Entrücktheit wiedergeben. Diese fast unwirkliche Passage, wie eine Insel im Satzgeschehen, bricht abrupt ab und wird von der großen Trommel und harschen Akkordschlägen abgelöst: Die beiden jüdischen Familien im Amsterdamer Hinterhaus sind enttarnt und werden abgeführt. Der rhythmischen Schärfe widersetzen sich die Singstimmen mit zarten Triolen. Das Allegretto mündet in einen martialischen Marsch, dessen Motiv schon zu Beginn erklungen war, hier aber mit den Schlaginstrumenten im Fortissimo zu einer höchst aggressiven Tonsprache anwächst. Der Adagio-Teil zu Beginn der Reprise steht im dreifachen Forte mit den schon bekannten Sekundfort-schreitungen in den Blechbläsern und dem schleppenden Trauermarsch in den tiefen Streichern. Zudem ist der Satz erweitert um unheimliche Schlagwerkpassagen und schnelle chromatische Skalen in den Holzbläsern, die wie ein Sturm dahinbrausen. In den letzten Takten mit drastischer Steigerungspartie verbindet sich deutlich der Marschrhythmus mit den Elementen der Klage und Trauer. Auf eine gut durchhörbare Textvertonung legte Schostakowitsch besonders großen Wert, was für das Werk am Ende von höchster Bedeutung war, weil die Behörden einen Textabdruck im Programmheft untersagt hatten. Schostakowitsch lässt die Singstimmen – den Solo-Bass und den über weite Stellen einstimmig geführten Männerchor – meist nur von den tiefen Streichern begleiten, damit kein Wort im Orchesterklang verlorengeht. Dadurch werden der Inhalt und die Anklage gegen den (russischen) Antisemitismus deutlich herausgestellt, so die Erwähnung der Internationalen, die nur noch dann anklingen solle, wenn die Aggressionen gegen bestimmte ethnische Bevölkerungsgruppen überwunden sind. »Es wäre gut, wenn russische Juden endlich unbehelligt und glücklich in Russland, wo sie geboren sind, leben könnten«, steht in Schostakowitschs Memoiren. »Unablässig muss man auf die Gefahren des Antisemitismus aufmerksam machen. Der Bazillus ist noch allzu lebenskräftig. Niemand weiß, ob er je absterben wird. Darum war Jewtuschenkos Gedicht Babij Jar so unendlich wichtig. […] Viele wussten zwar von Babij Jar. Aber es bedurfte dieses Gedichts, um Babij Jar ins Bewusstsein zu heben. […] Jewtuschenkos Gedicht hat bewiesen, dass Babij Jar nie vergessen werden wird. Das hat die Kraft der Kunst vermocht. Man hat auch vor dem Gedicht von dem

Massaker in Babij Jar gewusst, aber geschwiegen. Die Kunst ist die Überwindung des Schweigens.« Was Schostakowitsch über Jewtuschenko schrieb, gilt im besonderen Maße auch für ihn selbst. Das Gedicht war, neben Anatoli Kusnezows Buch Babij Jar, ein wichtiges Dokument, diesen Völkermord nicht zu verdrängen und nicht zu vergessen. Schon ohne die Musik Schostakowitschs gehörte es zur wichtigsten russischen Lyrik dieser Zeit, aber mit der Musik erhielten Jewtuschenkos Verse eine noch bedeutendere Aussage: Der erste Satz der 13. Symphonie ist zum Requiem für alle Opfer geworden. Die Notwendigkeit des Humors zum Überleben Wie kann nach solch einem ernsten, erschütternden Satz ein zweiter mit dem Titel Humor folgen? Das befremdet zunächst. Jewtuschenko hebt in seinem Gedicht aber die Doppelbödigkeit des politischen Humors hervor. Mit Verweisen auf den antiken griechischen Dichter Aesop, dessen Tierfabeln in Gleichnissen die menschlichen Schwächen der Herrschenden bis zur Lächerlichkeit offenlegen, und auf den türkisch-islamischen Dichter Nasreddin Hodscha als weisen Narren, der hintergründige Witze über die Despoten erzählte, philosophiert Jewtuschenko in seinem Gedicht über die ungebrochene Macht des Humors. Selbst als die Strelizen, einst die Palastgarde des Zaren (quasi Vorgänger der russischen Geheimpolizei), den Humor köpfen und auf eine Lanze spießen, taucht er wieder an anderer Stelle auf. Er ist einfach nicht unterzukriegen und triumphiert über alle Versuche, ihn zu vernichten. Als politischer Feind lässt er sich nicht ausrotten, nicht wegsperren, im Gegenteil, er stürmt sogar bewaffnet zum Winterpalast, wie Jewtuschenko schreibt. Dorthin, wo – laut Geschichtsklitterung – die russische Revolution ihren Sieg hart erkämpft haben soll. Doch das ist nichts anderes als ein lächerlicher, kolportierter Witz, denn die im Winterpalais verbliebene russische Regierung gab recht-zeitig auf, bevor sie mit Waffengewalt dazu hätte gezwungen werden können. Und so darf man über diese politische Kolportage nur spöttisch lachen und nochmal lachen … Schostakowitschs scherzoartige Komposition Humor beginnt mit nervtötenden schrillen Akkorden, gefolgt von Trommelwirbeln und einem zirkusartigen Auftrittsmarsch. Der Einsatz des Solo-Basses und der darauf reagierende Männerchor erinnert entfernt an die Kneipenszene aus Jacques Offenbachs Les contes d’Hoffmann mit dem Chanson von Klein-Zack. Wie dort kommentiert oder wiederholt ein Männerchor die Erzählungen des Solisten. Piccoloflöte, Es-Klarinette und Peitsche (des Zirkusdirektors) geben die schräge, grelle Klangfarbe vor, besonders kontrastvoll in der Kombination von Solo-Bass und hoher Es-Klarinette. Instrumentale Einlagen, wie das Violin-Solo, interpretieren das inhaltliche Geschehen, so auch das verdeckte Lachen. Das Motiv des tanzenden Humors, das man bereits aus anderen Werken Schostakowitschs kennt, gehört zu den wichtigen Topoi in seinem Komponieren: Der wiederauferstandene Humor war nicht nur für den Komponisten überlebensnotwendig. Lob der Frauen Jewtuschenkos Gedicht über die russischen Frauen könnte man auf den ersten Blick als typische sozialistische Arbeitslyrik bezeichnen. Das Lob gilt all den Frauen, die das Leben während des Krieges auf mühselige Art meisterten und ein Überleben ermöglichten: Schicksalsergeben verrichten sie ihre Arbeit auf dem Feld, stehen vor den Läden an, halten die Kälte der harten Wintermonate aus. Später mussten die Frauen Männerarbeit in den Kolchosen auf sich nehmen, Straßen betonieren, das Land planieren. Fast schon entsteht vor dem geistigen Auge ein ehernes Denkmal der arbeitenden Frauen, wäre da nicht die versteckte Anspielung des Aufbegehrens und des Protestes gegen ihre Ausbeutung und Ausnutzung: »Schändlich ist’s, sie zu betrügen«. Schostakowitsch legt im Adagio (Im Laden), einem langsam getragenen, pathetischen Lamento, diese kleine Protestnote in die Kastagnetten und Schlaghölzer: Es ertönt ein konstantes Pochen, anfangs zu den klappernden leeren Kübeln und Kannen, das allmählich zum rebellierenden, aggressiver werdenden Pochen gegen die Ungerechtigkeit wird. Die Ängste bleiben »Wissen Sie, ich fühle, dass ich es [das Stück Babij Jar] erweitern und vertiefen muss«, sagte Schostakowitsch dem Dichter Jewtuschenko, der seine Erinnerungen an den Komponisten in seinem Buch Wolfspass festhielt. Damals gab es nur den ersten Satz. »Ich habe früher ein Werk über die Ängste geschrieben«, sagte Schostakowitsch. »Über die Ängste in unserem Land. Meine Musik wurde so interpretiert, als ob sie vor allem auf Hitler-Deutschland zielt. Haben Sie vielleicht

ein Gedicht über die Ängste geschrieben? Das gäbe mir die einzigartige Möglichkeit, mich nicht nur mit Hilfe der Musik zu äußern, sondern auch mit Hilfe Ihrer Verse. Dann kann niemand mehr meiner Musik einen anderen Sinn unterlegen.« Jewtuschenko schenkte Schostakowitsch daraufhin einen Gedichtband, dem der Komponist die anderen drei Gedichte entnahm: Humor, Im Laden und Karriere. Dazu schrieb er direkt im Anschluss das von Schostakowitsch gewünschte Gedicht Ängste. »Leider wurde es in der Zeitschrift Moskwa von der Zensur verstümmelt«, hielt Jewtuschenko in seinem Roman fest. »Und so gelangten zwei schlechte Strophen, die mich heute noch quälen, zu Schostakowitsch und blieben in seiner genialen Musik, nur in den Buchausgaben habe ich sie gnadenlos getilgt.« Jewtuschenko formulierte hier vor allem die Ängste, die in der Stalin-Ära das Leben belasteten: »Jene Angst vor dem Denunzianten oder Angst, wenn es klopft an der Tür. Auch die Ängste, mit Fremden zu sprechen oder gar mit der eigenen Frau.« Das Instrumentarium, das die unterschwellige Furcht ausdrückt, besteht vor allem aus tiefen Streichern, der Tuba, Pauken, der großen Trommel und dem Tamtam. Schostakowitsch, der mit Filmmusik Erfahrungen gesammelt hatte, schrieb eine ungemein psychologische Musik, die wie ein Gift zu wirken und arhythmisches Herzklopfen zu verursachen scheint: Zu den gedämpften, dabei drohenden Trompeten, Posaunen und Hörnern setzen die Streicher mit einer unruhigen Bewegung und zitternden Trillern an, zu der die Pauke den unregelmäßigen Puls des ängstlichen Herzens vorgibt. Der Männerchor intoniert darauf einen vordergründig-heiteren Marsch zur Arbeit und zum heldenhaften Kriegseinsatz, dessen Verlogenheit sofort in der flackernden Bratschenstimme unterwandert wird und in ein großes tumulthaftes Finale überleitet. Überall Karrieristen … Das ersterbende Finale der 13. Symphonie lässt keinen Zweifel mehr zu: Es ist ein bittergallig-satirischer Schlussgedanke bei Schostakowitsch zu folgenden Worten Jewtuschenkos über die Opportunisten: »Ich kann Karriere mir erlauben, grad weil ich nichts dafür getan …« Hohoho, lacht da die Bass-Klarinette, und engelsgleich-unschuldig greifen die Streicher das Anfangsmotiv auf, das dort die Flöten zart intonierten. Die Celesta kichert ganz himmlisch leicht mit den Flageoletts der Harfe. Ja, so ist das mit den Karrieristen. Sie können ja nichts dafür, dass sie Karriere gemacht haben. Zum Lachen! Die wirklich bedeutenden Werke der Menschheit aber und ihre kreativen Köpfe bleiben für immer im Gedächtnis verankert. Zu Beginn fragt man sich schon, was uns dieser Text sagen will, der nach den tändelnden Flöten und den echoartigen Streichern im Bass deklamiert wird: »Die Priester lehrten, dass verblendet der Galilei in seinem Wahn.« Der Männerchor plappert in kurzen Staccati die letzten Worte nach. Doch mit dem nächsten Vers wird klar, was gemeint ist: »Erst als sein Leben war beendet, begriff man recht, was wer getan.« So weit soll es nicht kommen! Karriere nach dem Tod, wie unsinnig! Man will doch im vollen Leben den Erfolg genießen. Was nutzt er sonst? Und so entwickelt sich eine neue Erfolgsgeschichte, da können die gestopften Trompeten wie Autohupen warnen, sie bleiben unerhört. Das Solo-Fagott in gleichbleibenden Staccati scheint das zu kommentieren und verbindet die musikalischen Sinneinheiten. Ein Pizzicato-Abschnitt in den Streichern (Allegretto) lässt an ein zartes, selbstverliebtes Tänzchen des Karrieristen denken, das Schostakowitsch wie ironisch nachklingen lässt, nur damit der Männerchor plump im Forte hineinplatzt: »Lasst laut mich preisen die Karriere.« Aus diesem Motiv entwickelt sich sodann eine kleine Fuge, mit der diese »edlen« Gedanken sich allmählich verflüchtigen. Nun wird einer Heldenkarriere marschartig gehuldigt und schließlich mit Glockenklang dem »wahren Glauben« Glauben geschenkt. Und dann der überaus zarte instrumentale Schluss. Wie meinte Schostakowitsch das wirklich? »Und die Treibjagd begann« Jewtuschenko erinnerte sich, wie ihm Schostakowitsch Ende Juli 1962 sein Werk am Flügel vorspielte: »Eine Stimme hatte er nicht, es klang sonderbar klirrend, als ob in der Stimme etwas geborsten wäre, aber dafür war sein Gesang erfüllt von einer einzigartigen inneren, fast jenseitigen Kraft. Er beendete sein Spiel, fragte nichts, führte mich rasch zum gedeckten Tisch, kippte hastig zwei Gläser Wodka hinunter und fragte erst danach: ›Na?‹ […] Der Schluss der Dreizehnten Symphonie kam mir zu neutral vor, zu weit hinausgehend über den Text. Ich war ein Dummkopf und hatte nicht begriffen, wie notwendig dieser Schluss war, eben weil dies im Gedicht fehlte …« Um die Symphonie zur Uraufführung bringen zu können, musste Schostakowitsch einige Hürden nehmen. In seinen Memoiren heißt es: »Die Erinnerung an die hässlichen Versuche, sie mit

Aufführungsverbot zu belegen, tut mir weh. Chruschtschow kümmerte sich damals überhaupt nicht um Musik. Ihn hatten Jewtuschenkos Gedichte erzürnt. Aber einige Kämpfer an der musikalischen Front spitzten die Ohren: Da, sehen Sie, Schostakowitsch hat uns schon wieder betrogen. Nieder mit ihm! Und die Treibjagd begann. Sie versuchten, alle Mitwirkenden einzuschüchtern. Und natürlich auch Jewtuschenko und mich. Wie viele Schwierigkeiten gab es allein mit dem Bass! Dem Solisten in der Dreizehnten. Einer nach dem anderen schied aus. Alle hatten Angst bekommen, sorgten sich um ihre Position, um ihren Ruf. Schmählich benahmen sie sich, schmählich. Sie hätten fast die Uraufführung zum Scheitern gebracht. Dass sie doch stattfinden konnte, war Zufall.« Am schlimmsten war es für Schostakowitsch, dass Jewgenij Mrawinski die Uraufführung wegen »Arbeitsüberlastung« absagte. Schostakowitsch glaubte ihm nicht, und die Freundschaft zerbrach daran. Der Dirigent Kyrill Kondraschin sprang nun ein, doch wurde er von Kulturministerium und Partei mehrmals aufgefordert, die 13. Symphonie aus dem Programm zu nehmen oder zumindest den ersten Satz wegzulassen, wie Krzysztof Meyer in seiner Schostakowitsch-Biographie schrieb. Kondraschin hatte den Mut, nach der Jupiter-Symphonie von Mozart die 13. Symphonie als Ganzes aufzuführen. Unter diesen Umständen mutet der Schlusssatz Karriere mit seiner Fuge noch bizarrer an und dürfte für jeden, der die Uraufführung verhindern wollte, wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Jewtuschenko saß im Publikum: »Am 18. Dezember 1962 hörte ich […] die Erstaufführung von Schostakowitschs Symphonie mit der Unglücks-Zahl 13; sie ist vielleicht die einzige Symphonie, bei der die Menschen weinen und lachen. Der ganze Saal stand auf, als […] ein Mann mit etwas komischem Hahnenschopf und schief sitzender Brille erschien und sich irgendwie seitlich, krampfhaft die eigenen Hände pressend, nach vorne schob – Schostakowitsch. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der dem eigenen Schicksal so sehr ähnelte wie er. […] Sein ganzes Aussehen kündete von seiner Schutzlosigkeit.« Francis Poulenc »Litanies à la Vierge noire« Seigneur, ayez pitié de nous, Jésus-Christ, ayez pitié de nous. Jésus-Christ, écoutez-nous. Jésus-Christ, exaucez-nous. Dieu le père, créateur, ayez pitié de nous. Dieu le fils, rédempteur, ayez pitié de nous. Dieu le Saint-Esprit, sanctificateur, ayez pitié de nous. Trinité Sainte, qui êtes un seul Dieu, ayez pitié de nous. Sainte Vierge Marie, priez pour nous, Vierge, reine et patronne, priez pour nous. Vierge que Zachée le publicain nous a fait connaître et aimer, Vierge à qui Zachée ou Saint Amadour éleva ce sanctuaire, priez pour nous. Reine du sanctuaire, que consacra Saint Martial et où il célébra ses saints mystères. Reine près de laquelle s’agenouilla Saint Louis vous demandant le bonheur de la France, priez pour nous. Reine, à qui Roland consacra son épée, priez pour nous. Reine, dont la bannière gagna les batailles, priez pour nous. Reine, dont la main délivrait les captifs, priez pour nous. Notre Dame, dont le pélerinage est enrichi de faveurs spéciales. Notre Dame, que l’impiété et la haine ont voulu souvent détruire. Notre Dame, que les peuples visitent comme autrefois, priez pour nous. Agneau de Dieu, qui effacez les péchés du monde, pardonnez-nous.

Agneau de Dieu, qui effacez les péchés du monde, exaucez-nous. Agneau de Dieu, qui effacez les péchés du monde, ayez pitié de nous. Notre Dame, priez pour nous. Afin que nous soyons dignes de Jésus-Christ. Herr, erbarme dich unser, Christus, erbarme dich unser. Christus, höre uns. Christus, erhöre uns. Gott Vater, Schöpfer, erbarme dich unser. Gott Sohn, Erlöser, erbarme dich unser. Gott Heiliger Geist, Heiligmacher, erbarme dich unser. Heilige Dreifaltigkeit, einziger Gott, erbarme dich unser. Heilige Jungfrau Maria, bitte für uns, Jungfrau, Königin und Patronin, bitte für uns. Jungfrau, die wir durch den Zöllner Zachäus kennen und lieben lernten, Jungfrau, der Zachäus oder Sankt Amadour dieses Heiligtum errichtet hat, bitte für uns. Königin des Heiligtums, das Sankt Martial geweiht hat und wo er seine heiligen Geheimnisse gefeiert hat, Königin, vor der der heilige Ludwig niederkniete, um für das Wohlergehen Frankreichs zu bitten, bitte für uns. Königin, der Roland sein Schwert geweiht hat, bitte für uns. Königin, deren Banner Schlachten gewann, bitte für uns. Königin, deren Hand die Gefangenen befreit hat, bitte für uns. Unsre Liebe Frau, deren Pilgerfahrt mit besonderer Gunst versehen ist. Unsre Liebe Frau, die Unbarmherzigkeit und Hass oft zerstören wollten. Unsre Liebe Frau, die die Völker wie einst besuchen, bitte für uns. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, verschone uns. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erhöre uns. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Unsre Liebe Frau, bitte für uns. Auf dass wir Jesus Christus würdig sind.

Dmitrij Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 »Babij Jar« Gedichte: Jewgeni Jewtuschenko Übertragung ins Deutsche: Jörg Morgener 1. Babij Jar Chor Es steht kein Denkmal über Babij Jar. Die steile Schlucht mahnt uns als stummes Zeichen. Die Angst wächst in mir. Es scheint mein Leben gar bis zur Geburt des Judenvolks zu reichen. Solo Mir ist, als wenn ich selbst ein Jude bin, verlass Ägyptens Land in Todesnöten. Gekreuzigt spüre ich, wie sie mich töten, aus Nägelmalen rinnt mein Blut dahin. Jetzt bin ich Dreyfus, trage sein Gesicht. Die Spießer meine Kläger, mein Gericht. Rings seh ich Gitter, Feinde dicht bei dicht. Muss niederknien, hart angeschrien und angespien. Und feine Dämchen ganz in Brüssler Spitzenfähnchen stechen mir mit Schirmen ins Gesicht. Jetzt seh ich mich in Białystok als Junge. Chor Blut, Blut bedeckt den Boden rings umher. Es gröhlt betrunknes Volk mit schwerer Zunge, nach Wodka und nach Zwiebeln stinkt es sehr. Solo Hart treten Stiefel mich, wie alles Schwache, am Boden liegend lässt man mich im Stich. Chor »Schlagt tot die Juden! Vaterland erwache!« Ein reicher Händler schändet, Mutter, dich! Solo O Russland, du mein Volk, getreulich denkst du international in deinem Handeln. Doch ehrfurchtslose Frevler suchen längst die Reinheit deines Namens zu verschandeln. Ich weiß auch um die Güte hierzuland, doch kürzlich, keiner wagt es zu verbieten, hat eine Schar Antisemiten sich höhnisch Solo mit Chor »Bund des Russenvolks« genannt!

Solo Jetzt scheint es mir: Ich selbst bin Anne Frank, ein knospenzarter Zweig im Frühlingswehen. Ich liebe nur. Was braucht es Worte bang, wenn ich nur weiß, dass Menschen sich verstehen. Wie wenig Licht und Luft hier im Quartier! Kein grünes Blatt, der Himmel ist verhangen. Doch eines bleibt: Wir können uns umfangen voll Zärtlichkeit im dunklen Zimmer hier. Chor »Wer kommt herauf?« Solo »Sei furchtlos, nur das Rauschen des Windes ruft: Der Frühling naht, sei leis, komm her zu mir und lass uns Küsse tauschen!« Chor »Zerschlägt man die Tür?« Solo »Nein, es bricht nur das Eis ...« Chor Über Babij Jar rauscht leis das wilde Gras. Die Bäume blicken streng, wie Richter schauen. Das Schweigen hier ist Aufschrei ohne Maß. Mein Haar erbleicht vor namenlosem Grauen. Solo Und schweigend bin ich Widerhall des Schreis von allen, deren Blut man hier vergossen. Bin selbst der sinnlos hingemähte Greis. Bin selbst der Kinder eins, die hier erschossen. Was hier geschah: Ich kann es nie vergessen! Chor Die »Internationale« tönt und gellt, wenn keine Menschenseele mehr besessen von Judenfeindschaft hier auf dieser Welt. Solo Der Juden Blut fließt nicht in meinem Blut. Doch tiefer Hass verfolgt mich bis zum Schlusse: Für Judenfeinde bin ich wie ein Jud. Solo mit Chor Und darum steh ich hier als wahrer Russe. 2. Humor / Der Witz Solo Cäsaren, Regenten und Könige, die Herren im Rampenlicht,

sie kommandierten nicht wenige, beim Witz jedoch, beim Witz jedoch ging das … Solo mit Chor … nicht. Solo Zu Leuten mit Ruhm und Besitz, die lebten so hin in Saus und in Braus, kam einst der Aesop voller Witz: Da sahen sie gleich wie Bettelpack aus. Chor ... kam einst der Aesop voller Witz: Da sahen sie gleich wie Bettelpack aus. Solo Es kriechen, den Blick himmelwärts, die Heuchler mit schleimiger Schneckenspur. Von Nasreddin Hodscha ein Scherz fegt alle weg wie ’ne Schachfigur! Chor Von Nasreddin Hodscha ein Scherz fegt alle weg wie ’ne Schachfigur! Solo Man wollte den Witz einfach kaufen. Chor Doch so bringt ihn keiner zum Schweigen. Solo Man rief: »Knallt den Witz übern Haufen!« Chor Da tät er das Hinterteil zeigen! Solo Der Kampf mit dem Witz fällt äußerst schwer. Einst köpften ihn die Strelitzen Chor und zeigten den blutigen Schädel her auf ihren Lanzenspitzen. Solo Da zogen mit Pauken und Trara die Gaukler zum Mummenschanz, gleich rief unser Witz: »Bin wieder da!« Chor »Bin wieder da!« Solo »Bin wieder da!«

Solo mit Chor Und schmiss seine Beine im Tanz. Solo Im schäbigen Rock, von allen mit Spott geplagt und ganz verzagt, ward er als politischer Feind verklagt und ging nun den Weg zum Schafott. Voll Demut und Reue der Ärmste schritt als Sünder dem Jenseits zu. Doch plötzlich er seinen Lumpen entglitt: da war er weg … Solo mit Chor … im Nu! Solo Man steckte den Witz in den Kerker, zum Teufel, das hat nicht gereicht. Solo mit Chor Trotz Gitter und Stein: Er war stärker und schritt hindurch ganz leicht. Er hustet, und es schmerzen die Rippen, doch er hat Tritt gefasst, so stürmt er, ein Lied auf den Lippen, bewaffnet zum Winterpalast. Solo Gewöhnt an die Blicke voller Neid, die schaden ihm sicherlich nicht, ist er auch zum Witz über sich bereit: Das gibt dem Witz Gewicht. Er bleibt ewig. Chor Ewig. Solo Stets wendig. Chor Wendig. Solo Lebendig. Chor Lebendig. Solo Der Witz kommt an alles heran. Solo mit Chor Hört her: Es lebe der Witz! Der Witz ist ein tapferer Mann.

3. Im Laden Solo Tief vermummt, wie Kampfbrigaden, stets zur Heldentat bereit, so betreten sie den Laden: Frauen, schweigend, Seit an Seit. Chor Oh, sie klappern mit den Kübeln, mit den leeren Kannen laut, und es riecht nach Gurken, Zwiebeln, Räucherfisch und Bohnenkraut. Solo Frierend stehe ich schon lange, bis zur Kasse hat man’s schwer. In der dichten Menschenschlange wird es wärmer um mich her. Frauen warten ohne Ende, freundlich ist ihr Haus bestellt, und es halten ihre Hände stumm das schwerverdiente Geld. Chor Frauen warten ohne Ende, freundlich ist ihr Haus bestellt, und es halten ihre Hände stumm das schwerverdiente Geld. Solo Russlands Frauen, die sich plagen, für ihr Land mit aller Kraft. Ob es galt, zu betonieren, zu bepflanzen, zu planieren: Alles haben sie ertragen, alles haben sie geschafft. Chor Alles haben sie ertragen, alles haben sie geschafft. Solo Unser Schicksal lastet lange schon auf den Frauen, die in harter Fron. Chor Schändlich ist’s, sie zu betrügen, falsch zu wiegen, welch ein Hohn! Solo Ich bezahle Mehl und Flaschen, sehe noch im Lampenschein die vom Tragen ihrer Taschen müden Hände, …

Solo mit Chor … gut und rein. 4. Ängste Chor Die Ängste in Russland sind tot, wie Phantome aus alter Zeit, alten Frauen gleich im grauen Kleid, die vor Kirchen erbetteln ihr Brot. Solo Einst erlebten wir alle mit Schrecken die Triumphe der Lügenbagage. Ängste lauerten rings in den Ecken und verschonten nicht eine Etage, zähmten die Menschen mit hämischer Fratze, drückten allem ihr Siegel auf, lehrten schreien, wo Schweigen am Platze, für den Schrei nahm man Schweigen in Kauf. Fern die Ängste, die wir einmal kannten, seltsam scheint die Erinnerung mir: jene Angst vor dem Denunzianten oder Angst, wenn es klopft an der Tür. Auch die Ängste, mit Fremden zu sprechen oder gar mit der eigenen Frau. Ängste, die das Vertrauen zerbrechen nach dem Wandern zu zweit durch das Grau. Chor Mutig sah man im Schneesturm uns bauen. Trotz Beschuss ging es furchtlos zur Schlacht. Doch wir fürchteten sehr zu vertrauen, kein Gespräch ohne Angst und Verdacht. Doch dies alles warf uns nicht nieder, und weil du deine Ängste bezwangst, überkam, o mein Russland, nun wieder deine Feinde die große Angst. Solo Neue Ängste sich drohend erheben: Angst, nicht ehrlich zu dienen dem Land, Angst, bewusst die Idee aufzugeben, die schon morgen als Wahrheit erkannt, Angst, sich maßlos zu überschätzen, Angst, auf Worte des andern zu baun, Angst, durch Argwohn den Freund zu verletzen, nur sich selbst völlig blind zu vertraun. Chor Die Ängste in Russland sind tot ...

Solo Und wie ich diese Zeilen hier schreibe, noch im Banne von Worten und Klang, fühle ich, eine Angst wird mir bleiben: Ob mir hier auch das Beste gelang. 5. Karriere Solo Die Priester lehrten, dass verblendet der Galilei in seinem Wahn, Chor der Galilei in seinem Wahn. Solo Erst als sein Leben war beendet, begriff man recht, was er getan, Chor begriff man recht, was er getan. Solo Ein Wissenschaftler jener Zeit, er war wie Galilei gescheit, Chor er war wie Galilei gescheit, Solo fand auch, dass sich die Erde dreht. Er hat Familie, ihr versteht, Chor er hat Familie, ihr versteht. Solo Sich selbst zum Ruhm, der Frau zur Ehre, begeht er Hochverrat wie nie und denkt: So mache ich Karriere, doch in der Tat zerstört er sie, Chor doch in der Tat zerstört er sie. Solo Planetenbahnen zu verstehen, hat Galilei gewagt. Ihr wisst, er wurde weltberühmt, Chor er wurde weltberühmt. Solo Wir sehen:

Solo mit Chor Er war ein rechter Karrierist! Chor Lasst laut mich preisen die Karriere, die ich bei großen Männern treff: Pasteur und Shakespeare gebt die Ehre auch Newton und Tolstoi, und Tolstoi, Solo Lew? Chor Lew! Chor Warum man sie mit Dreck beschmierte? Talent trotz jeder Diffamie. Solo Vergessen, wer sie diffamierte, Chor … doch die es traf, vergisst man nie. Solo Eroberer der Stratosphäre, ihr Ärzte, an der Pest krepiert, ihr seid die Helden der Karriere, Solo mit Chor ihr habt mir meinen Weg markiert. Solo Ich glaube eurem wahren Glauben, und euer Vorbild bricht mir Bahn. Ich kann Karriere mir erlauben, grad weil ich nichts dafür getan. Von Pult zu Pult (7) Juni / Juli 2018 Anfang Mai, zwischen den Tourneen nach New York und Osteuropa, bitten wir die beiden Bratschistinnen Alice Weber und Christiane Hörr zum Gespräch auf das Dach des »Werk 3« im Münchner Werksviertel. Zur idyllischen Almhütte führt ein Trampelpfad vorbei an grasenden Walliser Schwarznasen-Schafen und Hasenst ällen. Surreal wirkt hier alles, mitten in der Stadt, in der Nähe des Ostbahnhofs, w o zukünftig der neue Konzertsaal stehen wird. Bodenständige Themen sprach dagegen Andrea La uber im Gespräch mit Alice Weber, die seit 2015 Mitglied des SO ist, und Christiane H örr an, die schon über 25 Jahre Orchestererfahrung hat. AL Sie sind beide im Alter von 26 Jahren ins Symph onieorchester gekommen. War dies 1990 noch etwas Besonderes für eine Frau?

CH Ja, schon. Wir waren damals zehn Frauen, die in dieser Männerwelt sehr privilegiert waren, dabei aber genau beobachtet wurden (lacht). Natürlich gab es auch ältere Kolleginnen, aber darunter waren kaum Mütter. Die haben zum Teil das Orchester verlassen, weil die vielen Tourneen schlecht mit der Familie vereinbar waren. Eigentlich gab es damals schon die gleichen Probleme wie heute: Es ist nicht so einfach, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, also gleichzeitig gute Orchestermusikerin und Mutter zu sein. AW Für mich war es kein Thema. Ich kannte zwar die Geschichten von den Wiener Philharmonikern, die erst vor einigen Jahren Frauen zugelassen haben, aber ich fand das völlig letztes Jahrhundert (lacht)! Dass es bei Christiane vor 25 Jahren noch so war, war mir bis eben gar nicht bewusst! Vielleicht fällt es mir auch deswegen nicht so auf, weil in den letzten Jahren sehr viele junge Leute ins Orchester gekommen sind. Für mich war daher nicht die Frage, wie ich als Frau aufgenommen werde, sondern als junger Mensch. Ich wollte mich behaupten und ernst genommen werden. Ich glaube, dass es jedem Berufsanfänger so geht ... Da gibt es Kollegen, die seit 40 Jahren im Orchester spielen und extrem viel Erfahrung haben, und ich komme als Neuling in diese Gruppe … CH Das stimmt, wir hatten zuletzt sehr viele personelle Veränderungen, und das Orchester hat sich sehr verjüngt. Der Generationenwechsel ist eine große Bereicherung und gleichzeitig eine große Herausforderung: Als »Altgediente« muss ich sehen, wie ich Kontakt zu den jungen Kollegen bekomme. Und ich bin gefordert, mein musikalisches Niveau zu halten. Das ist mitunter schwer, denn wir Musiker bringen unsere Höchstleistung mit 25 oder 26 Jahren, am Ende der Ausbildung. Ab 35 geht es physiologisch abwärts – wie im Leistungssport. Aber ich empfinde es als inspirierend, wenn junge Kollegen neben mir sitzen, die top vorbereitet sind ... AW … und ich habe umgekehrt unheimlichen Respekt vor euch! Bis zur Rente habe ich noch 40 Jahre! Hut ab vor allen Kollegen, die es schaffen, so lange so fit zu bleiben. Darüber habe ich mir kaum Gedanken gemacht, als ich den Beruf gewählt habe. AL Alice Weber, wie gut kennen Sie nach zwei Jahre n das Orchester? AW Zumindest die Bratschengruppe kenne ich sehr gut. In meiner dritten Saison habe ich auch langsam das Gefühl, im Orchester wirklich angekommen zu sein. Aber da fällt mir ein, mein Einstand, der steht ja noch aus (lacht). AL Gibt es denn für neue Mitglieder in der Bratsch engruppe Aufnahmerituale? CH Nein, denn nach dem erfolgreichen Probespiel gibt es erst noch das Probejahr, in dem alle schauen, wie das Miteinander – musikalisch und menschlich – klappt. Danach ist es allerdings für die neuen Kolleginnen und Kollegen üblich, einen Einstand zu geben und die Gruppe einzuladen – in ein Restaurant oder zum Grillen an die Isar. Manche organisieren auch etwas auf den Tourneen. Das Reisen bietet immer eine gute Gelegenheit, sich besser kennenzulernen. Wir hängen viel auf Flughäfen und in Bussen herum, manchmal sitze ich da neben einem Kollegen, den ich schon seit 25 Jahren kenne, und plötzlich entdecke ich an ihm ganz neue Seiten … AL Hat das Thema Vereinbarkeit bei Ihrer Berufswah l eine Rolle gespielt? AW Ich muss zugeben, dass ich bei der Berufswahl nicht daran gedacht habe. Aber ich fand ein Orchester schon auch attraktiv, weil ich Sicherheit wollte und mir nicht vorstellen konnte, immer freiberuflich tätig zu sein. Orchestermusikerin ist mein Traumberuf, das SO mein Traumorchester und München die Stadt, in der ich leben möchte. Und der Rest wird sich schon fügen … (lacht). AL Wie sehen Sie das, Christiane Hörr? Inzwischen haben Sie zwei erwachsene Kinder und können aus eigener Erfahrung berichten ...

CH Also für Familien ist der Beruf nicht ideal – aber alles ist möglich! Man schafft vieles im Leben, wenn man muss (lacht). Jeder, der Kinder hat, weiß, dass man ständig vor neuen Herausforderungen steht: Da sitzt man schon mal die Nacht in der Notaufnahme und spielt trotzdem den Dienst am nächsten Abend. Oder man spielt im Konzert eine Mahler-Symphonie, ist aber mit den Gedanken immer zu Hause beim kranken Kind. Manchmal habe ich selbst darüber gestaunt, wie leistungsfähig man sein kann! Mittlerweile haben wir viele Ehepaare mit Kindern im Orchester, und es gibt immer noch dieselben Probleme: Bei Tourneen muss z. B. oft ein Elternteil unbezahlten Urlaub nehmen, um bei den Kindern zu bleiben. AL Wie schnell sind Sie nach den Geburten Ihrer Ki nder ins Orchester zurückgekehrt? CH Ich bin nach sechs Monaten wieder eingestiegen, aber manche Frauen mussten als Alleinverdiener der Familie nach acht Wochen wieder anfangen, denn Elterngeld gab es in dem heutigen Umfang noch nicht. Dann wurden die Kinder zum Stillen in den Pausen gebracht. Da ist man schon sehr gestresst, denn Kinder trinken dann, wenn sie Hunger haben und nicht unbedingt wenn Pause ist. Einmal wurde mir die Frage gestellt, warum ich denn überhaupt stille und die Kinder nicht mit Milupa großziehe! Heute würde sich keiner mehr über stillende Mütter in der Arbeit wundern. Damals hätte auch noch kein Mann Erziehungsurlaub genommen. Es hat sich da viel im Bewusstsein der Gesellschaft geändert. Aktuell hat ein Kollege aus unserer Bratschengruppe ein Jahr Erziehungsurlaub genommen. AL Auch anderes hat sich verändert: die Berichters tattung über das Orchester, die Präsenz in den sozialen Medien, die Livestreams ... CH Ja, das war 1990 in der Tat ganz anders. Sein Orchester vorher digital kennenzulernen, gab es nicht! Ich habe mir Schallplatten und die ersten CD-Aufnahmen des Orchesters gekauft, um zu studieren, was gespielt wurde. Heutzutage gibt es die Mediatheken und YouTube, dort kann man alle Aufnahmen angucken. Auf der Website, bei Facebook und Instagram gibt es Videos, Fotos und Reiseberichte ... AW Da ich aus München komme, brauchte ich mich nicht digital über das Orchester zu informieren, ich kannte es live von Konzerten. Aber es gibt allgemein ein starkes Bedürfnis, sich online über das SO zu informieren. Seit ich im Orchester bin, werde ich manchmal angesprochen, weil Fotos von mir auf Facebook stehen. AL Ist es eine Belastung, auch abseits der Bühne » gute Figur« machen zu müssen? CH Wir müssen von dem Image wegkommen, dass Symphonieorchester elitär sind. Es darf keine gläserne Wand zwischen dem Publikum und uns geben. Die sozialen Medien helfen dabei, in den Dialog mit unseren Abonnenten und dem Publikum weltweit zu treten – und das finde ich sehr gut! Das hat früher gefehlt. AW Gerade für die jüngeren Leute ist es doch extrem wichtig, dass wir uns öffnen. Im Konzert sieht man uns immer nur im Frack und Abendkleid. Sehr elegant, aber aus Sicht der Jugendlichen konservativ und unnahbar. Deswegen ist es gut, zu zeigen, dass ganz normale Leute dahinterstecken und dass es hinter der Bühne mal locker zugeht! AL Sprechen wir noch über Ihr Instrument, die Brat sche … CH Das erste, was allen einfällt, sind die Bratschen-Witze: Wenn’s zum Geiger nicht gereicht hat, wird man Bratscher … Wer sich für die Bratsche entscheidet, muss einen bestimmten Klangsinn haben und Erfüllung in dem harmonischen und klangfarblichen Reiz der Mittelstimmen finden. AW Bei mir war es eher Zufall, dass ich von der Geige auf die Bratsche umgestiegen bin, weil im Jugendorchester die Bratschen fehlten und ich mich bereiterklärt habe, es auszuprobieren. Und es war das beste Orchesterprojekt! Plötzlich hatte ich meine Rolle im Orchester gefunden!

BIOGRAPHIEN Mikhail Petrenko Mikhail Petrenko, bekannt für sein außerordentliches sängerisches wie schauspielerisches Talent, ist einer der begehrtesten Bassisten unserer Zeit. Er war Absolvent des Rimskij-Korsakow-Konservatoriums seiner Heimatstadt St. Petersburg. Erste Bühnenerfahrung sammelte er im Opernstudio des Mariinskij-Theaters, bevor er 2001 als Solist fest an dieses Haus verpflichtet wurde. Unter der Leitung von Valery Gergiev unternahm er mit diesem Ensemble zahlreiche Tourneen, die ihn u. a. an das Royal Opera House Covent Garden in London, an die Mailänder Scala, an das Théâtre du Châtelet in Paris und zu den Salzburger Festspielen führten. In der Saison 2001/2002 gab der vielfach ausgezeichnete Bassist in einer Produktion von Prokofjews Krieg und Frieden sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York, an der er in zahlreichen Rollen seither zu erleben ist. Zu seinem Repertoire zählen besonders die Wagner-Partien wie König Heinrich in Lohengrin, Fafner in Das Rheingold, Hunding in Die Walküre, Hagen in Götterdämmerung sowie König Marke in Tristan und Isolde. Er wirkte in einer Aufführung des Ring des Nibelungen unter Valery Gergiev im Festspielhaus Baden-Baden und an der Ring-Produktion von Simon Rattle beim Festival d’Aix-en-Provence und bei den Salzburger Festspielen mit. Mikhail Petrenko verkörpert aber auch so unterschiedliche Rollen wie Basilio in Rossinis Il barbiere di Siviglia, Ferrando in Verdis Il trovatore, Herzog Blaubart in Bartóks Herzog Blaubarts Burg, Sarastro in Mozarts Die Zauberflöte, Figaro in Le nozze di Figaro und Leporello in Don Giovanni sowie Orest in Strauss’ Elektra. Zu den wichtigen Rollen des russischen Fachs gehören Pimen in Boris Godunow, Gremin in Evegnij Onegin und Galitzky in Borodins Fürst Igor. Auf dem Konzertpodium ist Mikhail Petrenko u. a. mit Verdis Requiem, Rachmaninows Die Glocken und Schostakowitschs 13. Symphonie Babij Jar zu hören. Zu den Dirigenten, mit denen er regelmäßig zusammenarbeitet, zählen u.a. Daniel Harding, Esa-Pekka Salonen, Simon Rattle und Daniel Barenboim. Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons trat Mikhail Petrenko in München zuletzt als Gremin im Evgenij Onegin auf. Chor des Bayerischen Rundfunks Der Chor wurde 1946 gegründet. Sein künstlerischer Aufschwung verlief in enger Verbindung mit dem Symphonieorchester, deren beider Chefdirigent seit 2003 Mariss Jansons ist. Die Künstlerische Leitung hatte von 2005 bis Sommer 2016 Peter Dijkstra inne. Inzwischen hat Howard Arman diese Position beim Chor übernommen. Aufgrund seiner besonderen klanglichen Homogenität und der stilistischen Vielseitigkeit, die alle Gebiete des Chorgesangs umfasst, genießt das Ensemble höchstes Ansehen in aller Welt. Gastspiele führten den Chor nach Japan sowie zu den Festivals in Luzern und Salzburg. Europäische Spitzenorchester, darunter die Berliner Philharmoniker, das Concertgebouworkest Amsterdam und die Sächsische Staatskapelle Dresden, schätzen die Zusammenarbeit mit dem BR-Chor. In jüngster Vergangenheit konzertierte der Chor mit Dirigenten wie Andris Nelsons, Bernard Haitink, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin, John Eliot Gardiner, Thomas Hengelbrock, Robin Ticciati und Christian Thielemann. In den Reihen musica viva und Paradisi gloria sowie in den eigenen Abonnementkonzerten profiliert sich der Chor regelmäßig mit Uraufführungen. Für seine CD-Einspielungen erhielt er zahlreiche hochrangige Preise, darunter den ECHO Klassik 2014. Dem Chor wurde 2015 der Bayerische Staatspreis für Musik zuerkannt. Im Januar 2017 wirkte der Chor an den Eröffnungskonzerten der Elbphilharmonie Hamburg unter Thomas Hengelbrock mit. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks Schon bald nach seiner Gründung 1949 durch Eugen Jochum entwickelte sich das Symphonie-orchester zu einem international renommierten Klangkörper, dessen Ruf die auf Jochum folgenden Chefdirigenten Rafael Kubelík, Colin Davis und Lorin Maazel stetig weiter ausbauten. Neben den Interpretationen des klassisch-romantischen Repertoires gehörte im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegründeten musica viva von Beginn an auch die Pflege der zeitgenössischen

Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Seit 2003 setzt Mariss Jansons als Chefdirigent neue Maßstäbe. Von den Anfängen an haben viele namhafte Gastdirigenten wie Erich und Carlos Kleiber, Otto Klemperer, Leonard Bernstein, Günter Wand, Georg Solti, Carlo Maria Giulini, Kurt Sanderling und Wolfgang Sawallisch das Symphonieorchester geprägt. Heute sind Bernard Haitink, Riccardo Muti, Esa-Pekka Salonen, Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin, Simon Rattle und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Südamerika. Als »Orchestra in Residence« tritt das Orchester seit 2004 jährlich beim Lucerne Festival zu Ostern auf, 2006 wurde es für seine Einspielung der 13. Symphonie (Babij Jar) von Schostakowitsch mit einem Grammy geehrt. Bei einem Orchesterranking der Zeitschrift Gramophone, für das international renommierte Musikkritiker nach »the world’s greatest orchestras« befragt wurden, kam das Symphonieorchester auf Platz sechs. Yannick Nézet-Séguin Eine Bilderbuchkarriere beförderte den 1975 geborenen Kanadier Yannick Nézet-Séguin in nur wenigen Jahren an die Spitze der jungen Dirigentengeneration. Nach seinem Studium am Conservatoire de musique du Québec in Montréal und am Westminster Choir College in Princeton sowie intensiven Anregungen durch Carlo Maria Giulini startete er seine Laufbahn in seinem Heimatland. Er ist seit 2000 Künstlerischer Direktor und Chefdirigent des Orchestre Métropolitain de Montréal und stand am Pult aller großen kanadischen Orchester, bevor er 2004 erstmals in Europa dirigierte. Großes internationales Aufsehen erregte er 2008, als er bei den Salzburger Festspielen mit Gounods Roméo et Juliette debütierte. Im selben Jahr wurde er Musikdirektor des Rotterdams Philharmonisch Orkest, dem er bis Ende der Spielzeit 2017/2018 vorsteht. Mit der Leitung des traditionsreichen Philadelphia Orchestra übernahm Yannick Nézet-Séguin 2012 ein weiteres, höchst prestigeträchtiges Amt. Aufgrund der überaus erfolgreichen Zusammenarbeit wurde sein Vertrag hier bereits bis 2026 verlängert. Darüber hinaus wird der begehrte Dirigent zu Beginn der Spielzeit 2018/2019 die Nachfolge von James Levine als Musikdirektor der New Yorker Metropolitan Opera antreten. Dort war er seit seinem Einstand mit Carmen (2009) in weiteren Opern wie Otello, Don Carlo, Faust, La traviata und Rusalka zu erleben. Auch von anderen großen Opernhäusern erhält Yannick Nézet-Séguin regelmäßig Einladungen: von der Mailänder Scala, dem Royal Opera House Covent Garden in London, der Nederlandse Opera und der Wiener Staatsoper, an der er zuletzt mit Wagners Lohengrin begeisterte. 2011 begann er am Festspielhaus Baden-Baden seinen sieben Opern umfassenden Mozart-Zyklus, von dem bisher Don Giovanni, Così fan tutte, Die Entführung aus dem Serail und Le nozze di Figaro auf CD erschienen sind. Als »Artist in Residence« war er ab 2013/2014 für drei Spielzeiten dem Konzerthaus Dortmund eng verbunden. Hier stellte er sich außer mit dem Philadelphia Orchestra auch mit dem Chamber Orchestra of Europe und dem London Philharmonic Orchestra vor, dessen Erster Gastdirigent er von 2008 bis 2014 war. Viele weitere renommierte Orchester zählen zu seinen Partnern, darunter die Berliner und die Wiener Philharmoniker und das Symphonie-orchester des Bayerischen Rundfunks, mit dem er einen hochgelobten Konzertmitschnitt von Mahlers Erster Symphonie auf CD veröffentlichte. Bei seinem letzten Auftritt in München im Februar 2017 dirigierte er Bergs Violinkonzert mit Veronika Eberle und Mahlers 10. Symphonie in der Fassung von Deryck Cooke. Yannick Nézet-Séguin erhielt zahlreiche Ehrungen, u. a. den Royal Philharmonic Society Award. Musical America kürte ihn zum »Artist of the Year 2016«.

IMPRESSUM Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks MARISS JANSONS Chefdirigent NIKOLAUS PONT Orchestermanager Bayerischer Rundfunk Rundfunkplatz 1 80335 München Telefon: (089) 59 00 34 111 PROGRAMMHEFT Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk Programmbereich BR-KLASSIK Publikationen Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks REDAKTION Dr. Renate Ulm (verantwortlich) Dr. Vera Baur GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT Bureau Mirko Borsche UMSETZUNG Antonia Schwarz TEXTNACHWEIS Egon Voss, Vera Baur, Renate Ulm: Originalbeiträge; Paul Celan: Jewgeni Jewtuschenko, Babij Jar, aus dem Russischen von Paul Celan, in: Paul Celan, Gesammelte Werke in sieben Bänden, fünfter Band, Übertragungen II. S. 281–283, © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000; Textabdruck der deutschen Übersetzung der Gedichte Jewgeni Jewtuschenko durch Jörg Morgener mit freundlicher Genehmigung des Musikverlags Hans Sikorski GmbH & Co.KG, Hamburg; alle Vokaltexte nach den Partituren; Biographien: Renate Ulm (Petrenko); Archiv des Bayerischen Rundfunks (Chor, Symphonieorchester, Nézet-Séguin); Interview Christiane Hörr und Alice Marie Weber: Andrea Lauber. AUFFÜHRUNGSMATERIALIEN © Boosey & Hawkes, London 2017 (Strawinsky); © Éditions Durand, Paris 1947 (Poulenc); © Musikverlag Hans Sikorski, Hamburg 1984 (Schostakowitsch) br-so.de fb.com/BRSO twitter.com/BRSO instagram.com/BRSOrchestra