4 Ist die gute Arzt-Patient-Beziehung lernbar?...suchung bei ihm durchgeführt wurde. Ein Fünftel...

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4 Ist die gute Arzt-Patient-Beziehung lernbar? 4.1 Kann man gute ärztliche Gesprächs führung erlernen? Claudia Kiessling und Wolf Langewitz Offenkundig gehen alle Empfehlungen zu einer professionellen Medizinausbildung davon aus, dass man die Frage im Titel bejahen darf - denn sie legen großen Wert auf die Verm itt lung kommunikati- ver Kompetenzen (Working Group, 2008; Frank, 2005; General Medi- cal Council, 2009; ACGME, 2007; Kiessling et al., 2008). Diese posi- tive Erwartung wird zumindest zum Teil gestützt von der empirischen Li teratur, die z. B. in einem Cochrane Review (Lewin et al., 2004) fest- stellt, dass Fort- und Weiterbildungen im Bereich einer patiente nzen- trierten Konsultation erfolgreich durchführbar sind. Selbstverständ- lich hängt eine wie auch immer geartete Antwort auf die Frage im Titel auch damit zusammen, wie man gute ärztliche Ges prächsfüh- rung definiert. Hier lassen sich meh rere Perspektiven unterscheiden, die eine zunehmend komplexere Sichtweise einnehmen und damit eine eindeutige Antwort auf die Frage immer schwieriger erscheinen lassen. Die Kons ult ation erreicht ihr Ziel: E ine utili taristi sche Persp ektive Gute Gesprächsführung hilft den Zweck einer Konsultation zu reali- sieren. Ein wesentliches Ziel der ärztlichen Konsult ation ist vor allem im Zeitalter des Shared Decision Making der informierte Patient, der versteht, aufweiche Behandlung er sich einlässt und welche Alternati- ven es gäbe. Hier ist erstaunlicherweise die Literatur , die Defizite im Verständnis und im Verhalten von Patienten beschreibt, weitaus umfangreicher als die Lite ratur, aufgrund derer ein bestimmtes Gesprächsverhalten empfohlen werden könnte. Wir wissen z. B., dass C. Kiessling/W. langewil1. · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 125 jeder vi erte Patient, der wegen akuter Bauchschmerzen eine Lapar o - skopie erlebt bat, im Nachhinein nicht weiß, was für eine Unter- suchung bei ihm durchgeführt wurde. Ein Fünftel der Patienten kön- nen beispielsweise nicht sagen, was mit ihrer Appendix geschehen ist (Murphy et al., 2004). In der Arbeit von Engel et al. (2009) zeigt sich, dass 78 % de r Patienten bei der Entlassung von der Notfallstation ni cht wirklich verstanden haben, welche Diagnose gestellt wurde oder wie die Behandlung im weiteren Verlauf zu gewährleisten ist. Wie genau Ärzte kommunizieren müssten, damit Patienten u nd Patientinnen besser informiert sind, ist an repräsentativen Stich- proben nicht untersucht worden. J n ei nem Lehrbuchartikel (Lange- witz in Uexküll, 2010) wird vorgeschlagen, Informationen in der Menge zu begrenzen und hoch s trukturiert anzubieten, indem sich die Ärztin an der Buchmetapher orientiert: Information sollte ähnlich angeboten werden, wie sie in einem Buch dargestellt wi rd, also gegli e- dert in T hema, Inhaltsverzeichn is und Text. Dieser Zugang wird unterstützt von Empfehlungen, z. B. von C. C. Dough et al. (1998). Der Patient erhält die Mög lichkeit, eigene Sorgen oder Erwartun gen in d en Diskurs ei nz ubringen Dieses Ziel lässt sich gerade im Vergleich zu anderen Qualitätsmerk- malen einer Unterredung gut aus Untersuchu ngen ableiten, in de nen Patienten und Patientinnen gebeten wurden, aus mehreren Möglich- keiten jeweils eine auszuwählen und des Weiteren anz ugeben, wie viel sie entweder in Form von Honorarzahlungen oder in Form von Warte- zeit bereit wären zu investieren. Typisches Beispiel für diese Art d er Forschung ist eine Arbeit von Scott et al. (2003), in der Eltern, deren Kinder ärztliche Leistungen in Anspruch genommen hatten, gefragt wurden, welche Art der Betreuung sie sich wünschen würden, wenn ihr Kind einen akuten Atemwegsinfekt erleiden würde. Diese Wünsche wur den abgeglichen mit der Wart ezeit, die Eltern bereit wären zu investieren. Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern bis zu 66 Minuten warten würden, wenn sie dafür sicher wären, einen Arzt zu sehen, der zuhört - im Vergleich zu einem Arzt, der nicht berei t ist zuzuhören. Sie würden 33 Mi nuten warten, wenn sie dafür eine Behandlung auf der Notfall- station in einem Spital bekämen im Vergleich zum Notfallzentrum der Haurzte. Sie würden 14 Minuten Wartezeit investieren, wenn sie

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4 Ist die gute Arzt-Patient-Beziehung lernbar?

4.1 Kann man gute ärztliche Gesprächsführung erlernen?

Claudia Kiessling und Wolf Langewitz

Offenkundig gehen alle Empfehlungen zu einer professionellen

Medizinausbildung davon aus, dass man die Frage im Titel bejahen darf - denn sie legen großen Wert auf die Vermittlung kommunikati­ver Kompetenzen (Working Group, 2008; Frank, 2005; General Medi­

cal Council, 2009; ACGME, 2007; Kiessling et al., 2008). Diese posi­tive Erwartung wird zumindest zum Teil gestützt von der empirischen Li teratur, die z. B. in einem Cochrane Review (Lewin et al., 2004) fest­

stellt, dass Fort- und Weiterbildungen im Bereich einer patientenzen­trierten Konsultation erfolgreich durchführbar sind. Selbstverständ­

lich hängt eine wie auch immer geartete Antwort auf die Frage im Titel auch damit zusammen, wie man gute ärztliche Gesprächsfüh­

rung definiert. Hier lassen sich mehrere Perspektiven unterscheiden, die eine zunehmend komplexere Sichtweise einnehmen und damit

eine eindeutige Antwort auf d ie Frage immer schwieriger erscheinen lassen.

Die Konsultation erreicht ihr Ziel:

Eine utilitaristische Perspektive

Gute Gesprächsführung hilft den Zweck einer Konsultation zu reali­sieren. Ein wesentliches Ziel der ärztlichen Konsultation ist vor allem im Zeitalter des Shared Decision Making der informierte Patient, der

versteht, aufweiche Behandlung er sich einlässt und welche Alternati­

ven es gäbe. Hier ist erstaunlicherweise die Literatur, die Defizite im Verständnis und im Verhalten von Patienten beschreibt, weitaus umfangreicher als die Literatur, aufgrund derer ein bestimmtes

Gesprächsverhalten empfohlen werden könnte. Wir wissen z. B., dass

C. Kiessling/W. langewil1. · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 125

jeder vierte Patient, der wegen akuter Bauchschmerzen eine Lapar o­skopie erlebt bat, im Nachhinein nicht weiß, was für eine Unter­

suchung bei ihm durchgeführt wurde. Ein Fünftel der Patienten kön­nen beispielsweise nicht sagen, was mit ihrer Appendix geschehen ist (Murphy et al., 2004). In der Arbeit von Engel et al. (2009) zeigt sich,

dass 78 % der Patienten bei der Entlassung von der Notfallstation nicht wirklich verstanden haben, welche Diagnose gestellt wurde oder

wie die Behandlung im weiteren Verlauf zu gewährleisten ist. Wie genau Ärzte kommunizieren müssten, damit Patienten u nd

Patientinnen besser informiert sind, ist an repräsentativen Stich­proben nicht untersucht worden. J n einem Lehrbuchartikel (Lange­witz in Uexküll, 2010) wird vorgeschlagen, Informationen in der

Menge zu begrenzen und hoch strukturiert anzubieten, indem sich die Ärztin an der Buchmetapher orientiert: Information sollte ähnlich

angeboten werden, wie sie in einem Buch dargestellt wird, also geglie­dert in Thema, Inhaltsverzeichnis und Text. Dieser Zugang wird

unterstützt von Empfehlungen, z. B. von C. C. Dough et al. (1998).

Der Patient erhält die Möglichkeit, eigene Sorgen oder

Erwartungen in d en Diskurs einzubringen

Dieses Ziel lässt sich gerade im Vergleich zu anderen Qualitätsmerk­malen einer Unterredung gut aus Untersuchungen ableiten, in denen

Patienten und Patientinnen gebeten wurden, aus mehreren Möglich­

keiten jeweils eine auszuwählen und des Weiteren anzugeben, wie viel sie entweder in Form von Honorarzahlungen oder in Form von Warte­

zeit bereit wären zu investieren. Typisches Beispiel für diese Art d er Forschung ist eine Arbeit von Scott et al. (2003), in der Eltern, deren

Kinder ärztliche Leistungen in Anspruch genommen hatten, gefragt wurden, welche Art der Betreuung sie sich wünschen würden, wenn

ihr Kind einen akuten Atemwegsinfekt erleiden würde. Diese Wünsche wurden abgeglichen mit der Wartezeit, die Eltern bereit wären zu

investieren. Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern bis zu 66 Minuten warten würden, wenn sie dafür sicher wären, einen Arzt zu sehen, der zuhört -

im Vergleich zu einem Arzt, der nicht bereit ist zuzuhören. Sie würden 33 Minuten warten, wenn sie dafür eine Behandlung auf der Notfall­

station in einem Spital bekämen im Vergleich zum Notfallzentrum der Hausärzte. Sie würden 14 Minuten Wartezeit investieren, wenn sie

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ihren eigenen Hausarzt sehen würden und nicht in das Notfallzent­rum eines Spitals gehen müssten, und elf Minuten, wenn ein Arzt zu ihnen nach Hause käme.

In einer repräsentativen Studie haben dän ische Autoren versucht herauszufmden, welche Merkmale einer Praxis oder im Verhalten eines Arztes darüber entscheiden, ob jemand ihn seinen Freunden und Kollegen als Hausarzt empfehlen würden (Vedsted u. Heje, 2008). Sie werteten Fragebogendaten von 56.594 Patienten aus und schluss­folgern, dass ein guter Arzt, den man weiterempfehlen würde, dadurch charakterisiert ist, dass er auf Emotionen eingeht und zuhört (der empathische Arzt), dass er Patienten in Entscheidungen ein­bezieht (der patientenzentrierte Arzt), dass er Patienten informiert und ihre Betreuung in Diagnostik un d Therapie koordiniert und dass er sie gründlich untersucht und auf seinem Gebiet kompetent ist (der Arzt als Experte)(s. a. Kap. 2.5).

Der Patient profitiert gesundheitlich von einer professionellen Kommunikation

Eine dritte Ebene der Definition von Lernzielen und damit dessen, was man in der Lehre von Arzt-Patient-Kommunikation überprüfen möchte, könnte darin bestehen, Kommunikationsmerkmale zu analy­sieren, die mit besseren Ergebnissen in der Behandlung oder der Diagnostik von Patientinnen und Patienten verknüpft sind. Proble­matisch an dieser Fragestellung ist, dass die bisherigen Studien häufig eher unspezifische Kommunikationsfertigkeiten im Hinblick auf Patientenzufriedenheit oder -gesundheit untersucht haben und dabei häufig nicht überzeugende Zahlen generieren konnten, was die Auto­ren auch zugestehen (Beck et al., 2007).

Sinnvoller ist wahrscheinlich zu untersuchen, ob umschriebene Kommunikationsfertigkeiten, die sich einfach vermitteln lassen, in ganz spezifischen klinischen Fragestellungen einen Unterschied aus­machen. Ein typisches Beispiel dafür ist eine Arbeit aus dem Bereich der Patientenschulung bei chronischem Asthma bronchiale (Smith et al., 2008). Hier zeigte sich, dass ein zusätzliches Zeitfenster von zehn Minuten, das Patienten nach der ca. 20 Minuten dauernden Standard­instruktion angeboten wird, bereits wesentliche Auswirkungen auf die Wiedereinweisungsrate ins Spital in den nächsten vier bzw. zwölf

C. Kiessliog/W. Langewitz ·Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 127

Monaten hat. Oie Zusatzintervention bestand schlicht im Angebot an die Patienten, selbst zu entscheiden, in welcher Reihenfolge sie die sechs Schulungselemente hören wollten, und darin, dass sie die Mög­lichkeit hatten, sich zu der Frage zu äußem, was eigentlich für sie im Moment in Bezug auf ihre Erkrankung besonders wichtig ist.

Lernziele, Überprüfung und Evaluation

Mittlerweile gibt eine umfangreiche Literatur über die verschiedenen Möglichkeiten, wie man kommunikative Kompetenzen messen und überprüfen kann. Prüfungsformate und Messmethoden müssen den Lernzielen des Unterrichts angepasst sein (Bachmann et al., 2009; Cegala u. Broz, 2002; Duffy et al. , 2004). Kognitiv akzentuierte Lern­ziele erfordern andere Prüfungsformate als anwendungsbezogene Lernziele. Prüfungs- und Lernziele sollten deckungsgleich sein und den Studierenden transparent kommun iziert werden. Hierbei gilt d ie alte Weisheit: ,.Assessment drives learning« (Wass et al., 2001).

Eine Überprüfung kann formativ und summativ geschehen. Die formative Überprüfung dient in erster Linie dazu, Studierenden ein Feedback über ihre Leistung zu geben, und ist nicht bestehensrelevant. Formatives Feedback sollte in den Unterricht integriert werden und so häufig wie möglich erfolgen (Veloski et al., 2006). Summatives Prüfen entscheidet darüber, ob die Studierenden eine ausreichende Leistung erbringen, um in einen nächsten Studienabschnitt überzuwechseln (z. B. Wechsel in höheres Semester, Wechsel in Weiterbildungsphase).

Für alle Formate gilt, dass sie allgemeine Testgütekriterien erfüllen müssen: Sie müssen die Leistung der Studierenden fair und objektiv prüfen, unabhängig von Sympathie und Antipathie des Prüfers. Sie sollten zu verschiedenen Messzeitpunkten bei gleicher Leistung die gleichen Testergebnisse reproduzieren (Reliabilität, am häufigsten ausgedrückt durch die Messung der internen Konsistenz, Cronbachs Alpha). Sie sollten das prüfen, was sie vorgeben zu prüfen (Validität). Sie sollten das Lern- und Lehrverhalten produzieren, das sich eine Fakultät von ihren Studierenden und Lehrenden wünscht (educatio­nal impact, consequential validity). Hinsichtlich der Reliabilität ist von summativen Prüfungen ein höherer Standard als von formativen Prüfungen zu fordern (Downing, 2004; Downing, 2003; Wass et al., 2001).

128 lst die gute Arzt-Patient-Beuehung erlernbar?

Es gibt verschiedene Personen, die die Leistung von Medizinstu­dierenden überprüfen können: die Studierenden selbst (self-assess­

ment), ihre Mit.studierenden (peer-assessment), ihre Leluenden und Patientinnen und Patienten (reale und Simulationspatienten). Auch

hier ist zu entscheiden, ob formative oder summative Überprüfungen zum Einsatz kommen, wie reliabel und valide die Bewertung der unterschiedlichen Personengruppen einzuschätzen sind und welche

Form der Bewertung ein Lehrkörper, eine Fakultät kulturspezifisch akzeptiert und für sinnvoll hält (credibility).

Die verschiedenen Messverfahren und Prüfungsformate im Bereich der kommunikativen Kompetenzen können auf unterschied­liche Weise dargestellt werden (Duffy et al., 2004; Cush ing, 2002;

Boon u. Stewart, 1998). Das so genannte Vier-Ebenen -Modell von Donald und James Kirkpatrick (Kirkpatrick u. Kirkpatrick, 2006) bietet

eine gute Systematik, die verschiedenen Mess- und Prüfungsinstru ­mente gemäß ihrer Zielrichtung und Aussagekraft darzustellen.

Das Vier-Ebenen-Modell nach Kirkpatrick

Die vier Ebenen stellen eine Sequenz dar, mit der Programme evalu­iert werden. Jede Ebene ist dabei wichtig und hat einen Einfluss auf

die nächste Ebene. Je höher die Ebene der Evaluation ist, desto schwieriger, zeit- und ressourcenaufwendiger wird das Verfahren. Trotzdem sollte keine Ebene ausgelassen werden, da es wichtig ist, die

unterschiedlichen Informationen zusammenzutragen und für eine

Beurteilung zu nutzen. Die vier Ebenen sind: - Ebene 1: Reaktion

- Ebene 2: Lernen - Ebene 3: Verhalten

- Ebene 4: Outcome

Im Folgenden sollen anhand der vier Ebenen die wichtigsten Formate und Jnstrumente beispielhaft vorgestellt und hinsichtlich ihrer Effek­

tivität und Machbarkeit eingeschätzt werden.

Verfahren und Instrumente der Ebene I : Reaktion Auf dieser Ebene wird überprüft, wie die Teilnehmer auf ein Training

reagieren. Zentrales Element ist die Zufriedenheitsmessung z. B. von

C. Kiesslingtw. Langewitz · Kann man gute Gesp rächsführung erlernen? 129

Studierenden . Da lernen leichter fällt, wenn dies mit Emotionen ver­knüpft wird, sollte es ein Ziel jedes Trainings sein, einen gewissen Grad an Zufriedenheit der Teilnehmer zu erreichen.

Verfahren und Instrumente der Ebene 2: Lernen

Ziel der Überprüfung ist es, inwieweit Lernende durch das Training ihr Wissen erweitert, ihre Fertigkeiten verbessert und ihre Einstellun­

gen verändert haben. Diese verschledenen Dimensionen des Lernens erfordern unterschiedliche Prüfungsformate.

Kognitives Wissen

Nach Bloom lässt sich kognitives Wissen in verschiedene Kategorien einteilen . Auf der untersten Ebene steht das reine Fakten- oder Einzel­

wissen. Etwas komplexer ist die Ebene des Verstehens, auf der Einzel­fakten interpretiert werden. Weitere Ebenen sind z. B. das Analysieren, Anwenden und Evaluieren von Wissen. All diese Wissenskategorien

ebenso wie prozedurales und konzeptuelles Wissen lassen sich effizi­ent mit schriftlichen Testverfahren prüfen . Die gängigsten Formate sind das Wahlantwortverfahren (Multiple Choice oder MC-Fragen),

das Kurzantwortverfahren und das Essay (Schuwirth u. van der Vleuten, 2003a, lAWF, 1999). Alle drei Formate können klinische Fallgeschich­

ten als Ausgangsszenario für die folgenden Fragen beinhalten. Neuere Ansätze nutzen statt d es klassischen Papier-und-Bleistift-Tests

computerbasierte Tests, die auch die Einbindung von Videos oder Filmausschnitten als Ausgangspunkt für die zu beantwortenden

Fragen ermöglichen. Einige Studien konnten im Bereich der kommu­nikativen Kompetenzen zeigen, dass eine computerbasierte Prüfung

kognitiver Grundlagen kommunikat iver Fertigkeiten eine reliable und durchführbare Methode der Überprüfung darstellt (Hulsman et

al., 2004; Humphris u. Kaney, 2000). Inwieweit schriftliche Verfahren die Leistung in einem Prü fungs­

format einer höheren Ebene vorhersagt, ist bisher nicht eindeutig geklärt, wobei es Hinweise für eine positive Korrelation von Wissen und Performanz gibt (Humphries, 2002; Mavis, 2000; van Daten et al.,

2002). Die zum Teil hohen Korrelationen sprechen allerdings nicht unbedingt dafür, dass das Gleiche gemessen wird, eher, dass wenig

zusätzliche Informationen erhoben werden, wenn man beide Verfahren

130 Ist die gute Ant-Patient-Beziehung erlernbar?

anstatt nur einem einsetzt (Schuwirth u. van der Vleuten, 2003b). Falls sich ein bedeutsamer Zusammenhang auch für den Bereich der kommunikativen Kompetenzen bestätigen lässt, haben auch die kos­ten- und ressourcengünstigeren schriftlichen Verfahren zumindest in Teilbereichen des Studiums (z. B. in den ersten Jahren) einen sinn­vollen Platz.

Psychomotorische und anwendungsberogene Fertigkeiten

Weit interessanter als das Prüfen von kognitivem Wissen ist im Bereich der kommunikativen Kompetenzen die Überprüfung prakti­scher Fertigkeiten. Hierbei steht die Beobachtung von Verhalten im Mittelpunkt. Diese Beobachtungen können in realen (z. B. auf Station, in der Hausarztpraxis) oder in simulierten Situationen (Rollenspiele im Unterricht, Simulationen in Prüfungen) geschehen. Dabei kom­men entweder reale Patienten oder Simulationspatienten zum Ein­satz. Letztere sind in der Regel Laien oder Schauspieler, die auf eine bestimmte Rolle trainiert werden. Die Bewertung erfolgt dann entwe­der in der direkten Beobachtung nach festgelegten Kriterien (z. B.

Checklisten) oder anhand von Videoanalysen. Letztere können für formative und summative Zwecke eingesetzt werden, der Schwer­punkt liegt aber häufiger im formativen Bereich (z. B. Roter, 2004).

Objective Structured Clinical Ex:amination (OSCE)

[n den letzten Jahren hat sich die Objective Structured Clinical Exa­mination (OSCE) oder Clinical-Skills-Prüfung (CS-Prüfung) als füh ­rendes Format etabliert (Schuwirth u. van der Vleuten, 2003b; Smee, 2003). Im Zentrum steht dabei die Beobachtung von studentischem Verhalten in simulierten klinischen S.ituationen, z. B. Durchführung einer Anamnese oder körperlichen Untersuchung. Der Kandidat rotiert durch einen Parcours mit unterschiedlichen Aufgabenstellun­gen und wird dabei jeweils von verschiedenen Prüfern anhand von vordefinierten Checklisten oder Global Ratings beurteilt. Unter Zuhilfenahme von speziell trainierten standardisierten Simulations­patienten kann je nach Ausbildungslevel der Schwierigkeitsgrad der klinischen Szenarien, die jeweils zwischen fünf und 15 Minuten

C. KiesslingfW. Langewitz · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 131

dauern, standardisiert werden. Wesentliches Ziel dieses Formats ist also im Sinne einer Verbesserung der Testgüte die Standardisierung der Aufgabe und des Scoring.

In Studien konnte gezeigt werden, dass bei einem OSCE unter bestimmten Voraussetzungen eine ausreichend gute Reliabilität für summative Prüfungen erreicht werden kann. Bei einer Gesamttest­dauer von vier Stunden wurden für einen OSCE ein Cronbach s Alpha von 0.8 (als Zeichen der internen Konsistenz) berichtet. Bei einer gleichlangen MC-Prüfung konnte man Werte über 0.9 erreichen und bei einer mündlichen Prüfung Werte von unter 0.5 (Wass et al. , 2001). In der Realität sind aus Kapazitätsgründen die meisten OSCEs deutlich kürzer, werden aber häufig mit anderen Prüfungsformaten kombiniert.

Zu beachten ist bei der Planung eines OSCEs die Anzahl, die Länge und der Inhalt der einzelnen Stationen, die Form der Check­liste bzw. des Global Ratings sowie das Training der Prüfer und stan­dardisierten Patienten. Kurze Stationen bieten den Vorteil, mehr Szenarien pro Zeit prüfen zu können, was die Zahl der unabhängigen Messpunkte erhöht. Auf der anderen Seite lassen sich z. B. in fünf Minuten keine komplexen Fertigkeiten oder schwierigen Gesprächs­situationen simulieren, was zu einem Validitätsproblem, sprich Trivi­alisierung der Aufgabe, führen kann.

Eines der Grundprobleme der traditionellen mündlichen Prüfungen, in dem der Prüfling eine Patientengeschichte elaborieren muss, ist die Interrater-Reliabilität und noch mehr die »lntercase«-Reliabilität. In Studien konnte gezeigt werden, dass besonders die »Case specificity« einen großen Einfluss auf die Beurteilung der Leistung eines Prüflings hatte. Mit anderen Worten, wenn ein Student in einem Fall gut ist, heißt das noch lange nicht, dass sich dieses Ergebnis bei einem anderen Fall wiederholen ließe. Ein breites Sampling über eine Vielzahl von fällen ist also notwendig, um eine ausreichend gute Reli­abilität einer Prüfung zu erreichen. Um zu einer realistischen Gesamt­testzeit zu kommen, muss also die Anzahl gegenüber der Länge der Stationen abgewogen werden (Wass u. van der Vleuten, 2004; Newble, 2004).

Die Gefahr einer Trivialisierung der zu prüfenden Techniken besteht auch in dem Gebrauch von Checklisten (Newble, 2004). Diese wurden mit der Hoffnung entwickelt, die Reliabilität einer Prüfung zu erhöhen. Dies gelang zwar, gleichzeitig stellt man fest,

132 Ist die gute Ant-Patient-Beziehung erlernbar?

dass bei detaillierten Checklisten das Level der Expertise nicht repro­duziert werden konnte (Hodges et al., 1999). Neben Checklisten

(Kurtz, 1998; Humphris u. Kaney, 2001) kommen gerade im Bereich der kommunikativen Kompetenzen auch Global Ratings zum Einsatz (Hodges et al, 2002; Hodges et al., 2003; Scheffer et al., 2007). Hodges

et aJ. konnten zeigen, dass Global Ratings im Bereich kommunika­

tiver Kompetenzen eine gleich gute Reliabilität und Validität er­reichen können. Regehr et al. (1998) konnte in einer Studie zeigen, dass für technische Fertigkeiten mit Global Ratings eine bessere

»inter-station«-Reliabilität und eine bessere Validität (Konstrukt und »concurrent«) als mit Checklisten erreicht werden konnten. Er empfiehlt daher bei summativen Performanz-Prüfungen den Einsatz

von Global Ratings. Wahrscheinlich ist der kombinierte Einsatz von Checklisten und Global Rating der beste Ansatz (Newble, 2004).

Die zentrale Fragestellung sollte dabei immer sein, welches Kompe­tenzlevel überprüft werden soll. Dies wird für Studierende des l. Studien­

jahres anders sein als für Absolventen oder Weiterbildungsassisten­ten.

Auch wenn es mit dem OSCE »nur« gelingt, eine kljnische Situation

zu simulieren - mit der Gefahr, dass auch Studierende in der Prüfung ihr Verhalten nur simulieren und sich im späteren klinischen Alltag anders verhalten werden - , kommen wir doch dem Anspruch von

authentischen Prüfungsszenarien mit OSCEs relativ nah (besonders im Vergleich zur trarutionellen mündlichen oder schriftlichen Prüfung).

Einstellungen und Veränderungen von Einstellungen

Die schwierigste Herausforderung sowohl im Unterricht als auch bei

den Prüfungen sind die Einstellungen und Haltungen der Sturueren­den. Neben den technischen Aspekten der Gesprächsführung stellt sich die Frage, ob wir Wertschätzung, Empathie, Patientenzentrierung

und ähnliche Konzepte vermitteln und prüfen können. Hemmerdinger et al. (2007) zeichnen in ihrem systematischen Review zur Messung

von Empathie kein sehr optimistisches Bild. Von den 50 Instrumen­ten, die von den Autoren als relevant identifiziert wurden, zeigten

acht eine ausreichende ReliabiUtät, int erne Konsistenz und Validität. Allerdings wurde bei keinem der Instrumente eine prädiktive Validi­

tät überprüft, was der Schwerpunkt des systematischen Reviews war.

C. Kicssling/W. Langewitz · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 133

Die von Rees und Kollegen (2002) entwickelte »Communication Skills Attitudes Scale« (CSAS) kam 2007 in Norwegen bei Medizin­

studierenden zum Einsatz (Anvik et al. , 2007). Anvik et aJ. sahen jedoch in ihrer Studie den Vorteil ihrer Ergebnjsse weniger in der Überprüfung von Medizinstuilierenden als in der Nutzung der Ergeb­

nisse für dje Optimierung des Unterrichts. Wahrscheinlich wird sich auch in Zukunft die Überprüfung von

Einstellungen und HaJtungen einer Überprüfung im engeren Sinne entziehen. Der mehr Erfolg versprechende Weg ist vielleicht die Ein­

bettung dieser Aspekte in das relativ neue und im Wachsen begriffene Feld des »Workplace-based assessment« (siehe Ebene 3: Verhalten).

Selbstkompetenz und Veränderung der Selbstkompetenz

Häufig werden gerade im Bereich der kommunikativen Kompetenzen Selbsteinschätzungen der »gefühlten« Kompetenz durch die Studie­

renden berichtet. Das heißt, Sturuerende werden am Ende eines Kurses gefragt, ob sie sich nach dem Kurs kompetenter fühlen als vorher oder

ob sie sich gut auf eine Prüfung vorbereitet fühlen. Eine Variante ist auch d ie Vorher-Nachher-Messung gefühlter Selbstkompetenz. Aus dem Bereich der praktischen Kompetenzen konnten Studien keinen

oder nur geringe Zusammenhänge zwischen selbst berichteter Sicher­heit (»seif confidence«) oder Selbstwirksamkeit (»seif efficacy«) und

formaJ überprüfter Leistung zeigen (Barnsley et al., 2004; Mavis, 2001; Arnold, 2002). Ein systematischer Review zur Effektivität von ••seif

assessment« bemängelte insgesamt die Qualität der identifizierten Studien und kam zu keinen schlüssigen Ergebnissen (Colthart et al., 2008).

Verfahren und Instrumente der Ebene 3: Verhalten

Die direkte Beobachtung (oder die Videoaufnahme) von Studieren­

den oder Ärztinnen und Ärzten in der Weiterbildung im Umgang mit realen Patienten vermittelt am ehesten einen Eindruck, ob das

Gelernte in der klinischen Praxis, in der Alltagsroutine umgesetzt

wird. Für rue Form der Überprüfung hat sich in den letzten Jahren der Begriff des »Workplace-based Assessment« (WPB) etabliert (Norcini u. Burch, 2007). Eine Vielzahl von Instrumenten ist in den letzten Jahren

entstanden, die eine Bewertung rueser direkten Beobachtungen erlauben.

134 Ist die gute Ar.Lt -Patient-Beziehung er lernbar?

Allen Instrumenten gemein ist die zen trale Rolle von direktem Feed­back an den Lernenden. In einem systematischen Review wurden

2009 die versch iedenen Instrumente zusammengestellt und ver­

glichen (Kogan et al., 2009). Insgesamt wurden 55 Tools identifiziert. Oie meisten Instrumente haben formativen Charakter. Nur elf Instru­mente konnten eine Validität basierend auf interner Konsistenz u nd

Vergleich mit anderen Instrumenten zeigen. Die beste Testgüte zeigte der Mini Clinical Evaluation Exercise (Mini-CEX).

Der Mini-CEX hat zum Ziel, auf der Basis einer strukturierten

Beobachtung ein Feedback bereitzustellen. Das Instrument wurd e ursprünglich en twickelt für d ie Weiterbildungsphase, wird aber

mittlerweile auch im Medizinstudium eingesetzt. Der Trainee wird während eines Patientenkontakts von einem Arzt oder einer Ärztin beobachtet un d bewertet. Es können verschiedenen Arten d es

Gesprächs (Anamnese, Beratung) und die körperliche Untersuchung beurteilt werden. Anschließend fasst der Trainee die Befunde zusam ­

men, stellt eine Verdachtsdiagnose, formuliert nächste Schritte und einen Management-Plan. Das Setting kann eine Notfallambulanz, eine Bettenstation oder eine Sprechstunde sein. Die Beobachtung

dauert durchschnittlich 15 Minuten, gefolgt von fünf bis zehn Minuten Feedback. Beurteilt werden sieben Aspekte (inklusive »interviewing skills«, counselling, professionalism) mit jeweils einem ltem auf einer

neunstufigen Skala von 1-3 unbefriedigend, 4-6 befriedigend und 7- 9 überragend. Die Trainierenden sollten von verschiedenen Personen

in unterschiedlichen Settings beobachtet werden. Ungefähr 12 bis 14 Beobachtungen sind notwendig, um ein Cronbachs Alpha von

0.8 zu erreichen (Norcini et al., 2003). Wenn man versucht zu untersuchen, inwieweit übergeordnete

Einstellungen von Studierenden durch ein Training in Beziehungs­gestaltung und Kommunikation (Nobel et al., 2007} oder schlicht

durch den Kontakt mit der Praxis (Tsimtsiou et al., 2007} beeinflusst werden , sind die Ergebnisse nicht so überzeugend. In einer ersten

Arbeit untersuchten Nobel und Mitar beiter, ob Studierende, die eine umfangreiche zusätzliche Schulung in professioneller Kommuni­

kation erhielten, sich in einzelnen Scores einer standardisierten Skala, die Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung misst, von Kontrollstudieren­

den unterscheiden. Studierende der Interventionsgruppe erhielten über zwei Jahre hinweg einen halben Tag pro Woche ein Lehrangebot,

in dem sie über Kommunikation, klinische Fertigkeiten , ethische und

< :. Kiessling!W. Langewitz · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 135

rechtliche Aspekte, Gesundheitsförderung, Public Health und evidenz­basierte Medizin diskutierten, dieses Wissen regelmäßig in super­vidierten Patientenkontakten anwendeten und sich alle sechs bis acht

Wochen einer formativen Überprüfung mit Reflexionen zu Patienten­fällen unterzogen. Zum Abschluss dieses Curriculums wurde eine

summative Prüfung in Form eines OSCE durchgeführt. Es zeigte sich, dass Studierende der Interventionsgruppe im Ausmaß der Befür­

wortung eines umfassenden Betreuungsangebotes (Holistic Care) von 3.9 ± 0.3 auf 4.01 ± 0.3 Punkte anstiegen , wäh rend sich die Kontroll­

gruppe nur von 3.85 ± 0.3 auf 3.93 ± 0.3 verbesserte. Auch im Bereich der Einstellung zu einer mehr partnerschaftlichen, gemeinsamen Entscheidungsfindung mit Patienten ver besserten sich die Studieren­

den der Interventionsgruppe deutlicher als die der Kontrollgruppe (3.44 ± 0.6 auf 3.67 ± 0.6 vs. 3.39 ± 0.6 zu 3.49 ± 0.6). Die Frage ist allerdings, ob diese Veränderungen , obwohl sie statistisch signifikant

sind, tatsächlich dazu führen würden, dass Patienten diese veränder­ten Einstellungen im konkreten Umgang mit den Studierenden be­merken würden.

Die Arbeit von Tsimtsiou ist insofern besonders interessant, als sie einer Frage nachgeht, die jeden Dozierenden bewegt, wenn er versucht

sich auszumalen, was wohl aus den hehren Lernzielen wird, sobald d ie Studierenden mit der klinischen Wirklichkeit in Kontakt kommen. Sie untersucht Studierende am Ende der universitären Ausbildungs­

phase und zwei Jahre später am Ende ihres klinischen Jahres, wenn sie also in Krankenanstalten ähnlich wie im praktischen Jahr Kontakt mit

Patienten und Patientinnen hatten . Sie stellt mit einem anderen Stan­dardinstrument, das die Patientenorientierung von Ärzten misst (Kru pat et al. , 2009), fest, dass insgesamt die Patientenorientierung

nach der kl inischen Erfahrung abnimmt und dass dies besonders

deutlich in der Subskala Sharing zutage tritt, in der nach Items gefragt wird, die sich dem Bereich einer geteilten Verantwortung für klinische Entscheidungen zuordnen lassen.

Verfahren und Instrumente der Ebene 4: Outcome »Kommunikative Kompetenzen des Arztes bzw. der Ärztin tragen zur

Aufrechterhaltung und Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Patienten und der Gesellschaft bei. .. Dies wäre der Ausgangspunkt, wenn wir uns dem Feld der Outcome-Überprüfung nähern wollten.

Der Weg von den Kommunikationstrainings bei Med izinstudierenden

136 Ist die gute Arzt-Patient-Beziehung erlernbar?

zur gesundheitlichen Versorgung von Patienten ist ein weiter, beson­ders wenn es um die Operationalisierung von Indikatoren zu For­

schungszwecken gebt. Wenn wir uns überlegen, wie viele Faktoren die Qualität der Gesundheitsversorgung eines Landes beeinflussen, erscheint es illusionär, überprüfen zu wollen, welchen Einfluss nun

ein Kommunikationstraining, sagen wir im 2. Semester bei den Medi­zinstudierenden einer bestimmten Fakultät, auf die allgemeine gesundheitliche Versorgung hat.

Was sind Indikatoren, die gewählt wurden, um den Er folg des

Unterrichts kommunikativer Kompetenzen zu überprüfen? Neben den eher allgemeinen Überblicksarbeiten zur Effektivität ärztlicher Kommunikation (Lewin, 2001; Ong et al., 1995; Stewart, 1995; Beck et

al., 2002; Little et al., 2001) sei an dieser Stelle lediglich die Arbeit von Tamblyn und Kollegen (2007) erwähnt, in der untersucht wurde,

inwieweit die Kommunikations-Scores in einem OSCE im Rahmen des Kanadischen Staatsexamens zukünftige Patientenbeschwerden vorhersagen würden. In die Studie wurden über 3000 Ärztinnen und

Ärzte eingeschlossen, die zwischen 1993 und 1996 in Ontario und/ oder Quebec zugelassen wurden. Die Teilnehmer wurden über d ie

ersten zwei bis zwölf Jahre ihres medizinischen Berufsalltags verfolgt. Analysiert wurden Patientenbeschwerden, die bei den zuständigen Institutionen in Ontario und Quebec eingereicht wurden. Diese wurden

mit den oben erwähnten Prüfungsergebnissen in Beziehung gesetzt.

Von den fast 700 Beschwerden, die nach einer ersten Untersuchung übrig geblieben waren, bezogen sich über 80 % auf die Qualität der Kommunikation oder Professionalität des Arztes. Kommunikations­

probleme bezüglich Management und Behandlung wurden am häufigsten genannt. Niedrige Kommunikations-Scores im OSCE,

besonders im untersten Quartil, waren assoziiert mit einer höheren Rate an Patientenbeschwerden. Es konnte also gezeigt werden, dass

die Kommunikations-Scores ein signifikanter Prädiktor für spätere Patientenbeschwerden darstellten.

Fazit

Neben den vielen Empfehlungen, welche kommunikativen Kompeten­zen unterrichtet werden solJten, gibt es ein breites Spektrum an Mög­

lichkeiten, kommunikative Kompetenzen zu überprüfen, wobei sich

C. Kiessling/W. Langewitz · Kann man gute Gesprächsführung erlernen? 137

in den letzten Jahren eine Reihe von führenden Verfahren und Instru­

menten etabliert hat. Je höher die Verfahren im Kfrkpatrick'schen Ebenen-Modell angesiedelt sind, desto aufwendiger wird die Über­

prüfung hinsichtlich Design und Ressourcen. Was die Umsetzung der Lehre angeht, wird auf absehbare Zeit ein

ganz wesentlicher Faktor unbeeinflussbar sein: der Ort der Lehre im

Medizinstudium. Medizinstudierende lernen wesentliche Rollen­modeIJe ärztlicher Tätigkeit in hoch spezialisierten Kliniken kennen.

Von daher stellt sich die Frage, was eigentlich die Kommunikation zwischen Arzt und Patient in einem Universitätsklinikum von der

Kommunikation in einem weitaus häufiger anzutreffenden Setting, z. B. einer Ambulanz oder einer Praxis, unterscheidet. Ein wesent­liches Kriterium ist die Prävalenz umschreibbarer Erkrankungen: Die

Wahrscheinlichkeit, dass eine Patientin mit unklarer Müdigkeit, die in der Schilddrüsenambulanz einer Universitätsklinik untersucht wird,

tatsächlich an einer Hypothyreose leidet, ist sehr viel höher als die Prävalenz dieses Erkrankungsbildes in einer Allgemeinarztpraxis. Das Gleiche gilt selbstverständlich für andere häufige Beschwerdebilder

wie unspezifische Rückenschmerzen, hinter denen sich in der Univer­sität zumindest manchmal, in der Praxis des niedergelassenen Arztes allerdings so gut wie nie, eine Discitis oder die Metastase eines noch

nicht entdeckten Primärtumors verbirgt. Studierende lernen also eine Medizin kennen, in der es von gut umschriebenen Krankheitsbildern

wimmelt, und entwickeln daher ein nicht repräsentatives Suchverhalten, wenn sich ein neuer Patient mit einem neuen Beschwerdebild vor­

stellt. Im universitären Setting ist es sinnvoll, unter der Annahme einer

umschriebenen Erkrankung, die sich womöglich schon einem be­stimmten Bereich zuordnen lässt - z. B. einer endokrinologiscben

Störung-, mit geschlossenen fragen das Terrain in Frage kommender Erkrankungen systematisch abzugrasen. Genau das leisten klinische

Vorbilder, die in ihren Spezialambulanzen ein vorselekt ioniertes

Patientengut sehen und den Diagnosen entsprechend zielgerichtet auf den Leib rücken. Im medizinischen Alltag muss es zunächst einmal einen Anfangsverdacht geben (z. B.: Es handelt sich höchst­

wahrscheinlich um eine endokrinologische Störung!), damit diese Engführung wirklich zielführend ist. Diese erste Klärungsarbeit, die

zunächst einmal eine grobe Suchrichtung vorgibt, lässt sich durch geschlossene Fragen nicht beschleunigen; hier ist vielmehr aufmerk-

138 Ist dJe gute Arzt-Patient-Beziehung erlernbar?

sames Zuhören und das Identifizieren von häufig subtilen Hinweisen des Patienten sinnvoll, über die sich <ler Verdacht auf eine Störung im Gebiet A versus im Gebiet D formulieren lässt.

Wir müssen also feststellen, dass wir Studierenden mit der Ver­mittlung patientenzentrierter Kommunikation etwas beibringen, was sich im klinischen Alltag einer UniversitätskJinik als nicht wirklich notwendig erweist - geschlossene Fragen führen schneller und ohne zu große Fehlerquote zum Ziel einer korrekten Diagnose. Inwieweit dieses Denken im Hochprävalenz-Setting einer Universitätsklinik auch die in ihr tätigen Dozierenden infiziert hat, wird besonders dann deutlich, wenn man mit einem OSCE-Fallautor über die kom munika­tiven Anteile in seiner Station diskutiert. Handelt es sich um einen Akutmediziner, der als Aufgabe für die Studierenden die möglichst schnelle Diagnosestellung in einer Akutsituation, z. B. einer massiven Lungenembolie, formuliert, wird er den Sinn von offenen Fragen, dem Erheben von Ängsten und Erwartungen, dem Etablieren einer guten Gesprächsatmosphäre etc. häufig nicht einsehen. Er über­sieht dabei, das Medizin in seltensten Fällen Notfallmedizin ist und dass ein Grundversorger bei seiner Diagnose nicht schon davon pro­fitiert, dass auf dem Ambulanzfahrzeug ein EKG angefertigt wurde, Blutdruck und Herzfrequenz kontrolliert wurden, dass im Spital Laborbefunde innerhalb von zehn Minuten vorliegen etc. Ärzte der Primär- und Sekundärversorgung würden höchstwahrscheinlich sofort akzeptieren, dass es nachgerade fahrlässig wäre, sich sofort auf eine eng umschriebene Diagnose zu konzentrieren, es sei denn, die Beschwerden und die Bedingungen ihres Auftretens sind absolut suggestiv (übergewichtige Patientin, Z. n. Immobilisation wegen einer Sprunggelenksverletzung, plötzliche akute Luftnot beim Pressen auf der Toilette ... ). Sie würden sich daher erzählen lassen, was denn passiert ist, und erst dann mit einengenden Fragen versuchen, die mögliche Differentialdiagnose einzugrenzen. Eine wesentliche Aufgabe der Universitäten sollte es also sein, gerade im Hinblick auf die kommunikativen Kompetenzen gezielt Ärztinnen und Ärzte der Primärversorgung in die Lehre zu integrieren.

11.2 Die Arzt-Patient-Beziehung in der studentischen Lehre der Charite-U niversitätsmedizin

I lcnrike Hölzer und Simone Scheffer

neziehung lehren?

Die Arzt-Patient-Beziehung lehren zu wollen, scheint auf den ersten Blick ähnlich absurd wie die Vorstellung, Empathie prüfen zu können. Trotzdem wird beides an der medizinischen Fakultät in Berlin seit Jahren erfolgreich praktiziert. Ob die Absolventen, die über zehn Semester Erfahrung in der Übung »Interaktion« gesammelt haben, anschließend die besseren Ärzte sind, lässt sich empirisch (noch) nicht nachweisen - immerhin schätzen jedoch die Studierenden ihre eigene Kompetenz in Kommunikation, Interaktion und Teamarbeit deutlich höher ein als ihre Kommilitonen, die diesen Unterricht nicht hatten: Wahrend 90 % der Absolventen des Berliner Reformstudien­gangs (mit Übung »Interaktion«) sehr oder eher zufrieden mit der Vermittlung dieser Kompetenzen waren, gilt das nur für 16% in der Vergleichsgruppe aus dem Berliner Regelstudiengang (ohne Übung »Interaktion«). Dort war mehr als die Hälfte der Absolventen sehr oder eher unzufrieden mit der Vermittlung kommunikativer Kompe­tenzen (51 %, gegenüber 7 % im Reformstudiengang; Dettmer u. Kuhlmey, 2010). Mit verstärktem Unterricht in kommunikativen und sozialen Kompetenzen folgt die Charite einer Trendwende in der medizinischen Ausbildung, die in den angelsächsischen Ländern ihren Ursprung nahm und sich in Deutschland zunächst darin wider­spiegelte, dass in einer im Jahr 2002 geänderten Fassung der ärzt­lichen Approbationsordnung den psychosozialen Aspekten der ärzt­lichen Tätigkeit besonderes Gewicht beigemessen wurde.

Dies war früher anders. Noch bis vor wenigen Jahren war eine Ausbildung in kommunikativen und sozialen Kompetenzen schon während des Medizinstudiums eine absolute Ausnahme, stattdessen reduzierten die Studieninhalte den Patienten weitgehend auf die bio­logischen Funktionen seines Körpers. Vor allem durch Interventionen der Fächer der so genannten sprechenden Medizin, wie z. B. der Psycho­somatik und der Allgemeinmedizin, hat sich inzwischen die Einsicht