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4 Leitbilder und Strategien zur Planung einer okologisch nachhaltigen Landnutzung 4.1 Naturschutz und Landschaftswandel (S. Klotz, K. Henle) Der Wandel von Artenzusammensetzung und Artenvielfalt ist ein typisches Merk- mal der Erdgeschichte. Seit Bestehen des Lebens auf der Erde waren sowohl Ar- tenvielfalt als auch Artenzusammensetzung mehr oder weniger starken bzw. schnellen Veranderungen unterworfen. Bestimmt wurden diese Vorgange primiir durch geologische und klimatologische Prozesse. Die Landschaftsgeschichte und die Geschichte der Biodiversitat auf unserem Planeten sind auf das engste mitein- ander verkniipft. Deshalb kann die Vielfalt des Lebens immer nur im erdge- schichtlichen Kontext verstanden werden. Mit dem Eintritt des Menschen in die Geschichte als mehr oder weniger nachhaltiger Gestalter von Natur und Land- schaft kam es zu einer Uberlagerung dieser Prozesse. AusmaB und Geschwindig- keit der Biodiversitatsveranderungen haben enorm zugenommen. Dieser anthro- pogene LandschaftswandellaBt sich in sechs Phasen untergliedem, die eng an die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und an die spezifischen Formen menschlicher Landnutzung gekniipft sind (Tab. 4.1). Verbunden mit dem Landschaftswandel ist die Veranderung der Artenvielfalt (Fukarek 1980, Groombridge 1992, Jager 1977, Schmidt 1996). Seit der Nacheis- zeit haben die Artenzahlen in Mitteleuropa zugenommen, wobei die Naturland- schaft deutlich niedrigere Artenzahlen aufwies als die Agrarlandschaften des 19. Jahrhunderts. Mit der neolithischen Revolution, der Einfiihrung des Ackerbaues, kam es zur Zuwanderung zahlreicher Ackerwildkrauter, die auch als Archaeo- phyten bezeichnet werden. Damit stieg die Artenzahl. Mit der Entwicklung von Industrie, Verkehr und Handel wurden Arten yom Menschen zwischen weit aus- einanderliegenden Erdregionen ausgetauscht; andere Arten wanderten durch die Authebung biogeographischer Barrieren spontan ein. Deshalb erhOhte sich die Artenzahl nochmals bis etwa 1850-80 stark. Die Zahl der bis dahin ausgestorbe- nen Taxa blieb, abgesehen von GroBtieren, gering. Mit dem Ubergang zur hochindustriellen Phase und durch die Intensivierung der Landwirtschaft wurden Austauschprozesse zwischen verschiedenen Gebieten innerhalb einer Landschaft drastisch verandert, und die Biodiversitat nahm stark ab (Poschlod et al. 1996). R. Feldmann et al. (eds.), Regeneration und nachhaltige Landnutzung © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1997

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4 Leitbilder und Strategien zur Planung einer okologisch nachhaltigen Landnutzung

4.1 Naturschutz und Landschaftswandel (S. Klotz, K. Henle)

Der Wandel von Artenzusammensetzung und Artenvielfalt ist ein typisches Merk­mal der Erdgeschichte. Seit Bestehen des Lebens auf der Erde waren sowohl Ar­tenvielfalt als auch Artenzusammensetzung mehr oder weniger starken bzw. schnellen Veranderungen unterworfen. Bestimmt wurden diese Vorgange primiir durch geologische und klimatologische Prozesse. Die Landschaftsgeschichte und die Geschichte der Biodiversitat auf unserem Planeten sind auf das engste mitein­ander verkniipft. Deshalb kann die Vielfalt des Lebens immer nur im erdge­schichtlichen Kontext verstanden werden. Mit dem Eintritt des Menschen in die Geschichte als mehr oder weniger nachhaltiger Gestalter von Natur und Land­schaft kam es zu einer Uberlagerung dieser Prozesse. AusmaB und Geschwindig­keit der Biodiversitatsveranderungen haben enorm zugenommen. Dieser anthro­pogene LandschaftswandellaBt sich in sechs Phasen untergliedem, die eng an die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und an die spezifischen Formen menschlicher Landnutzung gekniipft sind (Tab. 4.1).

Verbunden mit dem Landschaftswandel ist die Veranderung der Artenvielfalt (Fukarek 1980, Groombridge 1992, Jager 1977, Schmidt 1996). Seit der Nacheis­zeit haben die Artenzahlen in Mitteleuropa zugenommen, wobei die Naturland­schaft deutlich niedrigere Artenzahlen aufwies als die Agrarlandschaften des 19. Jahrhunderts. Mit der neolithischen Revolution, der Einfiihrung des Ackerbaues, kam es zur Zuwanderung zahlreicher Ackerwildkrauter, die auch als Archaeo­phyten bezeichnet werden. Damit stieg die Artenzahl. Mit der Entwicklung von Industrie, Verkehr und Handel wurden Arten yom Menschen zwischen weit aus­einanderliegenden Erdregionen ausgetauscht; andere Arten wanderten durch die Authebung biogeographischer Barrieren spontan ein. Deshalb erhOhte sich die Artenzahl nochmals bis etwa 1850-80 stark. Die Zahl der bis dahin ausgestorbe­nen Taxa blieb, abgesehen von GroBtieren, gering. Mit dem Ubergang zur hochindustriellen Phase und durch die Intensivierung der Landwirtschaft wurden Austauschprozesse zwischen verschiedenen Gebieten innerhalb einer Landschaft drastisch verandert, und die Biodiversitat nahm stark ab (Poschlod et al. 1996).

R. Feldmann et al. (eds.), Regeneration und nachhaltige Landnutzung© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1997

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Tabelle 4.1 Geschichte des Landschaftswandels unter EinfluB des Menschen (nach Schmidt 1996, verandert)

Zeitraum Merkmale Landschaftstyp 1. Vorneo- Pleistoziin, Spateis- Zeit der Jager und Sammler, N aturlandschaft

lithische zeit, Nacheiszeit bis nur geringer EinfluB auf die Phase mittlere Wiirmezeit Struktur der Landschaft und

(palaeolithikum bis Okosysteme, natiirliches Mesolithikum); bis Ausgangsniveau der etwa 3000 v.u.Z. Artenzahl in der Landschaft

2. Agrari- Beginnend mit der Zeit der agrarischen Land- Umwandlung der sche Neolithischen Re- nutzung, insbesondere des Naturlandschaft in Phase volution (Ende der Ackerbaus und der Vieh- eine noch naturnahe

mittleren Wiirme- zucht; Wald-Agrarlandschaft zeit, Bronzezeit, Ei- Anwachsen der Artenzahl mit Phasen der Rege-senzeit, Romische neration zur Natur-Kaiser- bis VOlker- landschaft wanderun~szeit)

3. Vorindu- Jiingere Wiirmezeit: Zeit der Rodungsperioden, ausgehend von z.T. strielle Mittelalter bis zum Entwicklung der Agrarge- regenerierbaren Natur-Phase Beginn der Neuzeit; sellschaft und Ausbau von landschaften Entwick-

bis Mitte 19. Jahr- Handwerk, Handel und lung einer naturnahen hundert Bergbau; starkes Anwach- vorindustriellen Kul-

sen der Artenzahl turlandschaft 4.lndu- ab Mitte 19. Jahr- Sprunghafte Entwicklung Entstehung naturferner

strielle hundert von Industrie, Bergbau, Kulturlandschaften, Phase Handel und Verkehr, ver- Fortexistenz von

stiirkte Mechanisierung der Resten naturnaher Landwirtschaft; Artenzahl Kulturlandschaften iiberschreitet Maximum und geht wieder leicht zuriick

5. Hoch- ab Mitte 20. Jahr- Wissenschaftlich-technische Naturferne Kulturland-industriel- hundert Revolution, Ausweitung schaft, Reste na-Ie Phase und qualitative Veriin- turniiherer Kulturland-

derung von Industrie, Ver- schaften bleiben auf kehr, Handel und Dienstlei- kleinste Flachen be-stungen (Tourismus), Uber- schriinkt und sind mei-gang zur industriellen Pro- stens Schutzgebiete duktion in der Landwirt- (Biosphiirenreservate, schaft; sehr starker Nationalparke, Na-Artenriickgang turparke, NSG, LSG)

6. Postin- ab Jahrtausend- Postindustrielle Gesell- ? Landschaft dustrielle wende schaft, Informationsgesell-Phase? schaft, Globalisierung aller

Wirtschaftszweige, Gentechnik. 1st der Arten-riickgang zu stoppen?

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4.1 Naturschutz und Landschaftswandel 219

AIle Naturschutzbestrebungen haben die sen, an die antbropogene Landnutzung gekniipften ProzeB, nieht aufgehalten. Das zeigt sehr deutlieh die Krise nicht nur des Naturschutzes, sondem auch der menschlichen Landnutzung insgesamt (SRU 1987, Ganzert 1994).

Die enge Verbindung von Landnutzung, Artenvielfalt und Naturschutz wurde recht spat erkannt und fUr Schutzkonzepte nutzbar gemacht. Das ist insofem leicht verstandlich, da die Wurzeln des Naturschutzes, zumindest in Mitteleuropa, in einem romantischen Natur- und HeimatgefUhl zu suchen sind (vgl. Plachter 1991, Zielonkowski 1989). Ziel des Naturschutzes war zuerst die Sicherung von Einzel­objekten, von Naturdenkmiilem. Diesen Begriff pragte Alexander von Humboldt; er wurde spater von Hugo Conwentz aufgegriffen. Hugo Conwentz schuf fUr den Naturschutz die damals sicher richtige Bezeichnung "Naturdenkmalpflege". Mit der Auswahl und Inventarisierung von Einzelobjekten ging flieBend der Wunsch nach Schutz von groBeren Flachen einher, urn Ausschnitte von Landschaften zu erhalten. Auch hier waren es zuerst Gebietsausschnitte, die eng mit romantischen Vorstellungen verkniipft waren. Die altesten deutschen Naturschutzgebiete sind z.B. der Drachenfels im Siebengebirge (1836) und die Teufelsmauer bei Qued­linburg am Nordrand des Harzes (1852). Mit der Teufelsmauer sollte z.B. ein Gegenstand der Volkssage und eine seltene "Naturmerkwiirdigkeit" geschiitzt werden. Ais Reaktion auf die Griindung der ersten amerikanischen Nationalparke regte Wetekamp 1898 im preuBischen Abgeordnetenhaus die Schaffung von Nationalparken in Deutschland an (Zielonkowski 1989). Der Ubergang vom Schutz von einzelnen Objekten oder ausgewiihlten Tier- und Pflanzenarten zum Flachenschutz war erreieht. Seit dieser Zeit hat die Zahl und die Flache von Schutzgebieten zugenommen, jedoch erreieht auch heute die Gesamtflache der Naturschutzgebiete keine 2% (UBA u. Statistisches Bundesamt 1995) der Flache der Bundesrepublik. Betrachtet man die drei Lander, die im Verbundprojekt hauptsachlich untersucht wurden (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thiiringen), kommt man auf insgesamt (festgesetzte und einstweilig gesicherte NSG) 732 Schutzgebiete mit zusammen 140.817 ha. Das sind bezogen auf die Landesflachen lediglich 2,5% (Sachsen 1,6%, Sachsen-Anhalt 3,0%, Thiiringen 2,9%), aber deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt (UBA u. Statistisches Bundesamt 1995).

Die Konzentration auf Schutz von Einzelarten und Einzelobjekten in der Land­schaft sowie von Landschaftsausschnitten reichte bis heute nicht aus, den dramati­schen Riickgang an Arten und Biotopen zu verlangsamen. Deshalb muB auch die Metbodik des Naturschutzes iiberpriift werden. Sie zielt bis heute noch primiir auf die Erhaltung von Zustanden, wobei darunter meist die Konstanz von Biotopen verstanden wird. Das Leitbild fiir die sen Naturschutz sind friihere Zustande, "intakte Landschaftsbilder", "schone", teils oder immer schon seltene Arten. Spa­testens bei dieser Frage beginnt das Problem: Welchen Zustand wollen wir anstre­ben, solI das Landschaftsbild der Naturlandschaft, der agrarischen Phase oder der Phase des komplexen Landausbaues, d.h. des vorindustriellen Zeitalters, ange­strebt werden? Am haufigsten wurden fUr den Naturschutz Leitbilder entwickelt, die den beiden letztgenannten Phasen der Landschaftsentwicklung entsprechen.

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Das hat jedoch zur Konsequenz, daB heute unwirtschaftliche Nutzungen erhalten oder durch andere MaBnahmen simuliert werden miissen. Damit sind erhebliche Kosten verbunden, die durch das Produkt, historische Landschaft, nur z.T. abge­deckt werden konnen. Das heiBt aber auch, daB diese PflegemaBnahmen nur auf relativ kleinen Flachen und in eingeschranktem MaBe durchfiihrbar und sinnvoll sind. Leider wird oft vergessen bzw. verdrangt, daB im Zusammenhang mit diesen Leitbildvorstellungen immer yom Gedanken ausgegangen wird, der wirtschaften­de Mensch der friiheren lahrhunderte habe ein Gespiir rur das NaturgemaBe ge­habt und deshalb auf die Natur Riicksicht genommen. Das ist allerdings ein Fehl­schluB, denn "Naturnutzung war seit jeher okonomisch und nicht okologisch ori­entiert. Die idealistische Mar yom okologisch, nachhaltig wirtschaftenden Men­schen als Schopfer der heute historischen und schutzwiirdigen Kulturlandschaft ist falsch. Friiher wie heute sind egoistische Motive bestimmend. Heute allerdings haben menschliche Eingriffe in die Natur wegen der rur die Ausbeutung zur Ver­fiigung stehenden technischen Hilfsmittel wei taus gefahrlichere Dimensionen angenommen" (Adam 1996).

Ganzert (1994) faBt basierend auf Aussagen anderer Autoren die Hauptkritik-punkte an der gegenwartigen Naturschutzstrategie und -praxis zusammen:

Naturschutz beschrankt sich fast nur auf das Konservieren vergangener Zu­stande der Landschaft, statt zukiinftige Perspektiven aufzuzeigen. Naturschutz konzentriert sich auf kleine abgegrenzte Bereiche der Landschaft. Abiotischen Wirkungszusammenhange der Landschaft werden vernachlassigt. Das soziookonomische System wird zuwenig integriert.

Gore (1992) machte deutlich, daB der Erfolg von Naturschutzkonzepten davon abhangt, wie gut es gelingt, die Bemiihungen zur Erhaltung der Naturpotentiale mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu verbinden.

Fiir so ein komplexes Problemfeld wie den Naturschutz kann es nicht nur ein Konzept oder eine Methode geben. Eine Vielfalt von Methoden und Verfahren ist notwendig, urn die gegenwartige Krise zu iiberwinden. Die hierfiir erforderlichen neuen Schwerpunktsetzungen hangen unmittelbar von der Fonnulierung von Leitbildern ab, die wiederum in Einklang mit der Entwicklung der mensch lichen Gesellschaft stehen miissen. Basierend auf den Phasen der Landschaftsentwick­lung (s. Tab. 4.1) lassen sich verallgemeinernd drei Leitbilder fonnulieren:

1. Leitbild "Urspriingliche Natur". Dieses Leitbild laBt sich nur in Ausnahmefal­len verwirklichen und bleibt auf kleinste Flachen in Mitteleuropa beschrankt. Es erfordert die Erhaltung naturnaher Entwicklungen der Okosysteme, das Zulassen spontaner Prozesse. Dieses Leitbild schlieBt jegliche Nutzung aus. Verwirklicht wird es nur innerhalb der Totalreservate von Schutzgebieten, in den Naturwaldzellen und auf Sukzessionsflachen von Bergbaufolgeland­schaften. FlachenmaBig spielt dieses Leitbild nur eine untergeordnete Rolle, auch der Beitrag zum Artenschutz ist sehr begrenzt. Die Hauptbedeutung be­steht in der Erhaltung von Beispielen naturnaher Okosysteme und ihrer Dy­namik.

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4.1 N aturschutz und Landschaftswandel 221

2. Leitbild "Vorindustrielle Kulturlandschaft". Hierbei handelt es sich urn Land­schaften mit traditioneller bzw. extensiver Nutzung, die heute nur noch durch Landschaftspflege zu erhalten sind. Das heiBt, diese Landschaften konnen nicht mehr durch eine wirtschaftliche Nutzung erhalten werden. Es dominieren protektive und rekreative Funktionen. Die Landschaftsausschnitte, die auf diese Weise erhaIten werden, sind relativ klein, da ein erheblicher Subven­tionsbedarf fUr die Verwirklichung dieses Leitbildes besteht. Durch Umsteue­rung agrarischer Subventionen und durch gezielte Vermarktung und Honorie­rung von Leistungen fUr den Tourismus lassen sich aber unter Umstiinden in besonders geeigneten Regionen groBere Landschaftsausschnitte erhalten (vgl. Kap.5.1.3).

3. Leitbild "Langfristig nutzbare (nachhaltige), biologisch mannigfaltige Kultur­landschaft". Dieses Leitbild solI fUr aIle "Nutzlandschaften" Giiltigkeit haben und demzufolge fiir aIle flachenmiillig dominierenden Landschaften. Die Pro­duktionsfunktion oder eine spezifische andere Nutzfunktion hat Vorrang, wo­bei eine Kombination mit anderen Funktionen im Sinne einer Mehrfachnut­zung angestrebt wird (vgl. Kap. 4.3.4 und 5.1.1). Inwieweit der Naturschutz selbst als vorrangige Nutzungsform hierbei eine groBere Rolle spielen kann, hiingt vor allem davon ab, inwieweit sich daraus ein ausreichender wirtschaft­licher Gewinn erzielen laBt. Dieses Leitbild kann nicht fertig ausgearbeitet sein, sondem muB durch Forschung und stiindige Riickkoppelung mit den ver­schiedensten landnutzenden Wirtschaftsbereichen weiter konkretisiert und sowohl dem menschlichen Wertewandel als auch dem Landschaftswandel an­gepaBt werden. Diesem Leitbild liegt die wichtigste Erkenntnis fiir einen mo­demen Naturschutz zugrunde: Das Wachstum der menschlichen Population und ihr groBer werdender Ressourcenverbrauch miissen zumindest verlang­samt werden (vgl. Haber 1995). Deshalb miissen Schutzkonzepte als flachen­deckendes Prinzip auch und gerade fUr die Nutzlandschaften entwickelt wer­den. Die Entwicklung der Nutzlandschaft, d.h. die modeme Landnutzung, ist die HauptsteuergroBe der Biodiversitat (vgl. Haber 1995, Kaule 1991, Plachter 1991, Weinitzschke 1987). Das allgemeine Leitbild "Langfristig nutzbare (nachhaItige), biologisch mannigfaltige Kulturlandschaft" bedarf fUr die wich­tigsten landnutzenden Wirtschaftszweige der weiteren Differenzierung und Anpassung.

Bei der Diskussion von Naturschutzkonzepten im Kontext mit den Leitbildem kommt es auf die klare Unterscheidung und Definition der Begriffe Renaturie­rung, Rekultivierung und Regeneration an (vgl. Kapitel 3.3 und 3.4).

Bei der Regeneration handelt es sich urn die Fiihigkeit von Okosystemen, eine Veriinderung in Struktur und Funktion nach einer Storung riickgiingig zu machen (vgl. Schaefer u. Tischler 1983). Das bedeutet, die Regeneration kann genutzt werden, urn definierte Okosystemtypen in ihrer urspriinglichen Form wiederher­zustellen (z.B. urspriingliche Wiilder, Hochmoore usw.). Meistens ist aber eine vollstiindige Regeneration nicht mehr moglich, weil der Komplex der abiotischen und biotischen Bedingungen nicht wiederherstellbar ist. Zusammenfassend kann

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die Regeneration als zielorientiertes Konzept bezeichnet werden, welches be son­dere Bedeutung fur die Erhaltung und Wiederherstellung "urspriinglicher" und an historische Landnutzungen gebundener Natur hat.

Die Rekultivierung zielt auf die Wiederherstellung von Vegetation allgemein, wenn notig unter Schaffung geeigneter abiotischer Bedingungen durch Formung eines neuen Reliefs bzw. besiedelbaren Substrates. Ein typisches Beispiel ist die "Begriinung" von Bergbauhalden. Dieses Konzept ist ziel- und prozeBorientiert und hat groBe Bedeutung fUr die Neugestaltung von Kulturlandschaften, insbe­sondere fur die Beseitigung von anthropogenen Landschaftsschaden.

Bei der Renaturierung sollen natumiihere Zustiinde (vgl. Klotzli 1991) erreicht werden, nicht unbedingt von vornherein definierte Biozonosetypen. Renaturierung ist meist das Ergebnis von SUkzessionsprozessen auf Brachen, Odlandflachen und in geschadigten Forsten. Ziel ist eine natumiihere Struktur, die nicht unbedingt bereits bekannten natiirlichen Okosystemstrukturen entsprechen muB. Dieses Konzept ist rein prozeBorientiert und entscheidender Bestandteil einer neuen Kulturlandschaftsplanung. Einige Teilprojekte des Forschungsverbundes REG­NAL beschaftigten sich besonders intensiv mit Renaturierungen (spontane Ent­wicklung der Kiefemforste, Sukzession landwirtschaftlicher Brachen).

Zur Umsetzung der Leitbilder bestehen drei generalisierbare raumliche Konzep­te, die u.a. von Hampicke (1988) fUr Agrarlandschaften niiher ausgefuhrt werden:

1. Das Prinzip der Kombination: Naturschutz und Landwirtschaft sind auf der­selben Flache integriert, d.h. die Nutzung schlieBt die Erhaltung und Entwick­lung der natiirlichen Ressourcen ein. Konkrete Methoden entwickelten z.B. Roth et al. (1996)(vgl. Kap. 3.3.10).

2. Das Prinzip der Vemetzung: Naturschutz und Produktion finden auf jeweils eigenen Flachen statt, diese sind aber raumlich miteinander verbunden und stehen in einem Funktionszusammenhang. Bei diesem Prinzip spielen insbe­sondere Uberlegungen zu Habitatverbundsystemen eine groBe Rolle. Die Prin­zipien Kombination und Vemetzung zeigen verschiedene Moglichkeiten der Integration der Produktions- und Naturschutzfunktion in der Landschaft auf.

3. Das Prinzip der Segregation: Naturschutz- und Produktionsflachen sind raum­lich getrennt und zum Teil durch Pufferzonen voneinander abgeschirmt. Die­ses Prinzip ist insbesondere dann erforderlich, wenn man wertvolle Bestand­teile der Natur- bzw. alter Kulturlandschaft erhalten will.

Die Prinzipien der Segregation und der Integration haben fUr die drei Leitbilder unterschiedliche Bedeutung. Mit diesen Prinzipien und Leitbildem erhalten auch die Gegensatzpaare des Naturschutzes "Zustand erhalten - Veriinderungen zulas­sen" und "Abschirmen - Gestalten" (Scherzinger 1990) unterschiedliche Gewich­tung. Gegenwiirtig werden viel zu wenig Konzepte entwickelt und verwirklicht, die auf der Eigendynamik der Systeme beruhen und damit Evolution ermoglichen bzw. zur Renaturierung von Flachen fUhren. Einfache Zustandserhaltungskon­zepte geniigen nicht.

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4.1 Naturschutz und Landschaftswandel 223

Der derzeitige okologische Kenntnisstand reicht sowohl fOr die Weiterentwick­lung von allgemeinen als auch von regional bezogenen Leitbildern sowie der dazugehorenden Naturschutzkonzepte, -verfahren und -technologien nicht aus. Intensiv wurden diese Defizite von Foeckler u. Henle (1992), Ganzert (1994), Henle u. Kaule (1991), Henle (1994) und Wissel u. Stephan (1994) diskutiert. Aus den Erfahrungen des REGNAL-Projektes kristallisierten sich weitere Fehlstellen und notwendige Forschungsschwerpunkte heraus. So hat beispielsweise das REGNAL-Projekt die Schwierigkeiten bei der Entwicklung neuer Leitbilder ge­zeigt, die sich zwangsweise an einer neuen, noch in Entwicklung begriffenen Landschaft orientieren miissen, wenn die vergangenen Zustiinde - "Leitbild Vor­industrielle Kulturlandschaft" - aufgrund irreversibler Veriinderungen nicht wie­derhergestellt werden konnen (vgl. Kapitel 3.3.5).

Defizite fiir die Entwicklung so1cher neuer, sHirker dynamisch ausgerichteter Leitbilder bestehen insbesondere in der okologischen ProzeBforschung. Wie rea­gieren Okosysteme auf verschiedene Formen der Storung, und we1che Fliichen sind notig, urn verschiedene natiirliche Prozesse relativ ungestOrt ablaufen zu lassen? We1che Bedeutung haben Landschaftsstrukturen (Landschaftsfragmen­tierung, vgl. Settele et al. 1996) und stoffliche Belastungen fOr Aussterbe- und Neu- oder Wiederbesiedlungsprozesse? Wie konnen die verlorengegangenen vielfiiltigen lokalen Austauschprozesse in alten Kulturlandschaften in den neu entstehenden Landschaften ohne umfangreiche, teure PflegemaBnahmen wieder integriert bzw. durch geeignete neue Austauschprozesse ersetzt werden (vgl. Poschlod et al. 1996)? Vor allem aber ist ungekliirt, wie ein so1cher dynamischer Ansatz des Naturschutzes bei der statischen Festschreibung z.B. der Grenzen von Naturschutzgebieten, Besitz- und Nutzungsrechten in Verordnungen und Gesetzen realisiert werden kann.

So1che Fragestellungen konnen nur von einer Naturschutzforschung gelost wer­den, die naturwissenschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Ansiitze inte­griert. Die Naturschutzforschung benotigt hierfiir zum einen geeignete Techniken und Instrumentarien wie okologische Datenbanken (Frank u. Klotz 1990), Indika­tionssysteme und effektive Monitoringsysteme, zum anderen aber auch ein Netz­werk von Akteuren, zu denen neben Wissenschaftlern und einer organisatorisch, personell und fachlich adiiquaten Naturschutzadministration vor allem die lokalen Akteure gehOren (Henle 1995, Luz 1994, Saunders et al. 1995). Nur wenn die wichtigsten Beteiligten die Probleme als ihre ureigensten Probleme verinnerlichen und mit der Wissenschaft gemeinsam Losungen suchen, besteht eine Chance, das Leitbild einer neuen, langfristig nutzbaren, biologisch mannigfaltigen Kulturland­schaft zu verwirklichen. Leitbilder und Konzepte fOr die kiinftige Landschaftsge­staltung und -entwicklung konnen nur in einer so1chen Integration verschiedener Disziplinen und Akteure langfristig tragfiihig sein.

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224 4 Leitbilder und Strategien

4.2 Regionale Leitbilder rtir den Raum Leipzig-Halle-BiUerfeld (R. Kronert, P. Knauer t)

Ziel der Umweltpolitik in Deutschland muB es sein, fUr aIle Raumtypen bzw. re­gionalen Okosysteme einen Zustand anzustreben, der dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung bzw. der dauerhaft umweltvertraglichen Entwicklung entspricht. Die Bewahrung bzw. Wiederherstellung eines solchen Zustandes verlangt Leitbilder, Zieldefinitionen und BewertungsmaBstabe. Insbesondere die gesetzlich vorgeschriebene Umweltvertraglichkeitspriifung (UVP) fUr raumwirksame GroB­investitionen hat die Diskussion urn Umweltziele, regionale Leitbilder, Umwelt­qualitatsziele und Umweltqualitiitsstandards gefordert.

Umweltziele sind allgemeine Zielvorstellungen der Umweltpolitik. Solche Ziele sind in den Grundsatzparagraphen der Naturschutzgesetze des Bundes und der Lander formuliert. Zu erwiihnen sind insbesondere die §§ 1 und 2 des Bundesna­turschutzgesetzes. Darin sind Aussagen enthalten wie z.B: "Die Leistungsfiihigkeit des Naturhaushaltes ist zu erhalten und zu verbessem, Beeintrachtigungen sind zu unterlassen oder auszugleichen" (§211, BNatSchG) oder "Boden ist zu erhalten; ein Verlust seiner natiirlichen Fruchtbarkeit ist zu vermeiden" (§2/4, BNatSchG).

Regionale Leitbilder sind iibergeordnete Zielvorgaben fUr Regionen bzw. Raum­einheiten (Verwaltungseinheiten, Naturraume, Landschaftseinheiten). Sie stellen einen anzustrebenden Umwelt- bzw. Landschaftszustand dar, in welchem die Si­cherung bestimmter Landschaftsfunktionen gewiihrleistet ist. In ihnen wird eine integrative Summe von Umweltqualitatszielen formuliert. Beispiele hierfiir sind die Benennung und raumliche Zuordnung von Vorrangfunktionen fUr die landwirt­schaftliche Bodennutzung, fUr die Erholungsnutzung oder fUr die Trinkwasserge­winnung. Es kann sich aber auch urn Zielaussagen zur Schaffung eines Biotopver­bundsystems oder zur Erhaltung oder Etablierung eines gebietstypischen Spek­trums an Tier- und Pflanzenarten in einem bestimmten Naturraum handeln. Ein weiteres Beispiel ist die Verbesserung der Qualitat des Oberflachenwassers bis zur Badewasserqualitat. Exakte Abgrenzungen gegeniiber Umweltqualitatszielen sind schwierig.

Umweltqualitiitsziele geben bestimmte sachliche, raumlich und zeitlich defi­nierte Qualitaten von Ressourcen, Potentialen und Funktionen an, die in konkreten Situationen entwickelt werden sollen. Beispiele hierfiir sind: Die Wiederan­siedlung des Lachses im Rhein bis zum Jahre 2000 oder die Festlegung quanti­fizierter regionaler Verwertungsquoten fUr bestimmte Abfallarten. Aus der For­mulierung der Umweltqualitatsziele ergeben sich direkte Handlungsvorgaben: Auf Niedermoor-, Seggen- und Feuchtwiesenstandorten des Naturraumes x mit einer Mindestflache y solI eine Minimal-Uberlebensfiihige-Population (MVP) zeiner Watvogelart wiederangesiedelt werden.

Umweltqualitiitsstandards sind konkrete, auf MeBvorschriften beruhende Anga­ben der Umweltqualitat, d.h. es handelt sich urn gesetzlich oder durch Verwal­tungsvorschriften festgelegte Grenzwerte. Ein Beispiel hierfiir ist die maximal zulassige Kurzzeitbelastung (IW2) fUr NOx von 0,20 mglm3 (lmmissionsstandard, TA Luft).

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4.2 Regionaie Leitbilder flir den Raum Leipzig-Halle-Bitterfeid 225

Eine ausfUhrliche Diskussion von Umweltqualitatszielen und -standards findet sich bei Furst et al. (1992). Aus den vorausgehenden Begriffserklarungen wird ersichtlich, daB zur Bestimmung regionaler Leitbilder die Festlegung der Funktio­nen einer Raumeinheit und die Bewertung oder gar Optimierung der Funktionser­fUllung von entscheidender Bedeutung sind. Leitbilder der Landschaftsentwicklung werden in einem komplizierten AbwagungsprozeB von Landeigenrumern, Land­schafts-, und Regionalplanern, von Politik und Administration, von Umweltver­banden und von Wissenschaftlern bestimmt. Sie finden ihren Niederschlag in Texten und Karten zu Landesentwicklungsprogrammen, Landschaftsprogrammen, Regionalplanen und regionalen Entwicklungskonzeptionen. Die gegenwartigen Leitbilder sprechen wesentliche Schutzziele sowie Vorrang- und V orbehaltsfla­chen fUr bestimmte Nutzungen an. Die Leitbildbestimmung weist aber auch Man­gel auf. Das Prinzip der Mehrfachfunktion der Landschaft wird beriicksichtigt, jedoch nicht durchgangig angewendet. Funktionen, die nur eine geringe Bedeutung besitzen, werden nicht angesprochen, selbst wenn auf diese Funktionen nicht verzichtet werden kann. Die Bewertungs- und AbwagungsmaBstabe sind nur indi­rekt oder gar nicht erkennbar. Aufgrund mangelnder Grundkenntnisse werden Merkmale zum Landschaftshaushalt oft nur sehr allgemein einbezogen.

Die Aufnahme von regionalen Leitbildern in die Regional- und Landschaftspla­nung und ihre immer genauere Forrnulierung und ihre raumliche Zuordnung in Karten muB dennoch als groBer Fortschritt gewertet werden. Die weitere Prazisie­rung von regionalen Leitbildern und von Umweltqualitatszielen ist eine groBe Herausforderung an die Wissenschaft, weil ausreichende Bewertungsverfahren bisher fehlen und weil ProzeBablaufe in der Landschaft noch unzureichend beriick­sichtigt werden.

Auf der 2. Regionalen Entwicklungskonferenz fUr den GroBraum Halle-Leipzig am 18. September 1996 wurde von den regionalen Akteuren sowie den Landes­vertretern Sachsens und Sachsen-Anhalts die Ubereinstimmung bekraftigt, schritt­weise eine landeriibergreifende Regionale Entwicklungskonzeption zu erarbeiten und umzusetzen. Diese Konzeption bezieht sich vorrangig auf das Gebiet des Staatsvertrages zwischen den Bundeslandern Sachsen-Anhalt und Freistaat Sach­sen, zunehmend wird jedoch das gesamte Territorium der Regierungsbezirke Halle, Leipzig und Dessau einbezogen. Leitidee fUr die Entwicklung des GroB­raumes ist es, eine international wettbewerbsfahige Metropolenregion von europai­scher Bedeutung zu schaffen, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgt. Es wurden zehn sektorale Leitbilder entworfen und zur Diskussion gestellt sowie ein Katalog prioritarer Projekte und MaBnahmen vorgestellt (REK Halle-Leipzig 1996). Be­zuglich Naturschutz und Landschaftspflege wird angestrebt, den Raum Halle­Leipzig so zu entwickeln, daB die Regenerierbarkeit der Naturgiiter Boden, Was­ser, Luft, Tier- und Pflanzenwelt und die 6kologischen Ausgleichsfunktionen nachhaltig gesichert werden, damit sich die Lebensbedingungen der hier wohnen­den Menschen verbessern. Dazu ist flachendeckend eine umweltvertragliche Landnutzung anzustreben, die kulturlandschaftliche Vielfalt zu erhalten und eine weitere Zerschneidung bzw. Verringerung von wertvollen Lebensraumen zu verrneiden. Ein Schutzgebietssystem zur Erhaltung gefahrdeter Tier- und Pflan-

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226 R. Kronert, P. Knauer

zenarten solI als okologisches Verbundsystem entwickelt werden. Die Moglich­keiten fur Erholung und Tourismus sind zu verbessern (REK Halle-Leipzig 1996). Bemerkenswert ist, daB Leitbilder fur den Landschaftsschutz differenziert fur Landschaftstypen formuliert werden. In urbanen Raumen zielt die Verbesserung der Umweltqualitiit darauf, die Belastungen des Menschen zu minimieren und ein Netz von Griinflachen zu gestalten. Auf die Uberfiihrung der Auenlandschaften in einen naturniiheren Zustand wird detailliert eingegangen. Als wesentliches Qualitatsziel fur den Naturpark Diibener Heide wird die Erhaltung des gegen­wiirtigen Wald-Offenland-Verhaltnisses hervorgehoben. In den Bergbaufolge­landschaften wird ein kontrastreiches Landschaftsmosaik angestrebt. Die Agrar­landschaft solI ihren Offenlandcharakter und ihre gegenwiirtigen Flachenanteile behalten, jedoch eine stiirkere innere Gliederung erfahren. Fiir die vom Freistaat Sachsen angestrebte ErhOhung der Waldflache urn 3 % bieten sich vorrangig die Bergbaufolgelandschaften an. In ihrer groben Struktur wird die Kulturlandschaft erhalten bleiben, wiihrend die einzelnen Komponenten zahlreiche Veriinderungen erfahren, wenn die Entwicklung den Leitbildern folgt. Mit Hilfe der Geoferner­kundung muB ein Landschaftsmonitoring erfolgen, urn die tatsachlich ablaufenden Veranderungen zu beobachten und notfalls steuernd eingreifen zu konnen.

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4 Leitbilder und Strategien 227

4.3 Methoden der Landschaftsbewertung f"tir eine Optimierung der Landnutzung

4.3.1 Das Konzept der Landschaftsbewertung (U. Steinhardt)

Landschaftsbewertungen miissen heute sowohl der Anforderung nach einer natur­wissenschaftlich fundierten Gewinnung und integrativen Aufarbeitung land­schaftsokologischer Basisdaten als auch nach einer Anwendbarkeit und Umsetzung in der Planung, die wiederum gesellschaftlich determiniert ist, geniigen. Die daraus resultierenden Widerspriiche werden u.a. von Barsch et al. (1994) kritisiert und zum AnlaB genommen, LOsungsansatze fiir die momentane Unvereinbarkeit von natur- und sozialwissenschaftlichen Aspekten zu erarbeiten. 1m Hinblick auf eine ausgewogene Realisierung aller landschaftlichen Grundfunktionen (Regulations-, Produktions-, Standort- und Informationsfunktion) als Grundlage einer nachhalti­gen und umweltvertraglichen Entwicklung sollte die Landschaftsbewertung die Ausweisung von Praferenzraumen fiir bestimmte Nutzungsformen bei Sicherung einer Mehrfachnutzung sowie eine Optimierung aller in Betracht kommenden Gestaltungsvarianten vorbereiten.

Zunachst waren Landschaftsbewertungen vordergriindig auf die Ableitung von Aussagen iiber die Eignung von Landschaftsausschnitten fiir spezifische Nutzungs­formen ausgerichtet. Folgte das klassische Beispiel einer Landschaftsbewertung aus den dreiBiger Jahren - die Reichsbodenschatzung - vordergriindig wirtschaftli­chen Gesichtspunkten, so ist seit Ende der 1970erl Anfang der 1980er Jahre ein verstarkter Trend zur Integration okologischer Aspekte zu beobachten. Die un­iibersehbar gewordenen Umweltbeeintrachtigungen fiihrten dazu, nicht allein die mogliche Nutzung, sondern auch den notwendigen Schutz der Landschaft in die Betrachtungen einzubeziehen. Somit standen auch Fragen der Eignung, Belastung und Belastbarkeit zur Disposition.

Die Nutzwertanalyse, eine Methode, die den Nutzen eines zu erreichenden Zweckes und die mit seiner Realisierung einhergehenden Veranderungen ermittelt, fand in den siebziger J ahren als mathematisches Bewertungsmodell Eingang in die Landschaftsbewertung und wurde insbesondere zur Quantifizierung und objek­tiveren Gestaltung bei der Bewertung der Erholungseignung eingesetzt. Der urspriinglich nur von okonomischen Aspekten bestimmte Begriff des Nutzwertes muB jedoch bei Einfiihrung in die Landschaftsbewertung mit neuen Inhalten belegt werden. Nutzwert ist demnach der ethisch-normative Wert eines Gutes, der nach der Bedeutung seines gesellschaftlichen Nutzens festgelegt wird (Grabaum 1996). Somit avanciert er zum zentralen Begriff bei einer gezielten Landnutzungsande­rung.

Auch die von Niemann (1982) entwickelte Methodik zur Bestimmung der Eig­nung, Leistung und Belastbarkeit von Landschaftselementen und Landschafts­einheiten basiert auf dem Verfahren der Nutzwertanalyse und auf einem vorwie­gend durch okonomische Gesichtspunkte definierten Nutzwertbegriff. Jedoch

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228 U. Steinhardt

werden Regulationsfunktionen der Landschaft in die Betrachtungen integriert. Der Vorteil der Polyfunktionalitat dieses Bewertungsverfahrens, das mit der Bestim­mung sogenannter Funktionsleistungsgrade die Beurteilung mehrerer Nutzungs­formen unter Einbeziehung des Umweltschutzgedankens erlaubt, wird gedampft durch den hohen Grad an Komplexitat des Verfahrens. Die Nutzung multidimen­sionaler Matrizen und die damit verbundenen scheinbar uniiberschaubaren Zah­lenmanipulationen sind fiir den Anwender kaum nachvollziehbar. Die Nachteile des Verfahrens wurden von Grabaum (1996) durch eine Weiterentwicklung und Kopplung an eine Optimierung weitestgehend iiberwunden. Neben einer Inte­gration aller Merkmale und Bedingungen in den BewertungsprozeB und einer Beriicksichtigung dynamischer Entwicklungsprozesse wird u.a. auch eine Variabi­litat der MaBstabsebenen gewiihrleistet.

Ein anderer Bewertungsansatz ist eine Kombination der Potentialkonzepte von Haase (1978) und Mannsfeld (1978). Autbauend auf den Arbeiten von Neef (xxxx) haben sie ein Konzept zur Bewertung von partiellen Naturraumpotentialen entwickelt, das den Toleranzbereich von Nutzung und Belastung der naturraumli­chen Ausstattung erfaBt und auch die Moglichkeit einer Mehrfachnutzung in die Betrachtungen einbezieht. Die dazu notwendigen Arbeitsschritte sind:

Landschaftsanalyse als Erkundung der Landschaftsstruktur; Landschaftsdiagnose als Ermittlung von Leistungen der Landschaft gegeniiber gesellschaftlichen Anforderungen und deren Grenzen (Stabilitatsbedingungen); Landschaftsprognose: Einschiitzung moglicher, vorteilhafter, notwendiger, risikovoller und weiterer Landschaftsveriinderungen; Landschaftsplanung und -behandlung.

Aufgrund der teilweise sehr unterschiedlichen Nutzungsanforderungen an das naturraumliche Leistungsvermogen wird das Gesamtpotential in Teilpotentiale wie beispielsweise biotisches Ertragspotential, Entsorgungs-, Regulations-, Bebau­ungs- und Rekreationspotential gegliedert (u.a. Bastian u. Schreiber 1994).

Okologische Wertanalysen, die nicht nur Aussagen zu Nutzungen und deren raumlich differenzierter Eignung, sondem zur Leistungsfiihigkeit des Naturhaus­haltes bereitstellen, sind als methodische Weiterentwicklung des Potentialkon­zeptes zu betrachten. Nach Marks et al. (1992) bezweckt eine okologische Be­wertung "die Beurteilung raumlicher Strukturen, Nutzungen, Funktionen und Po­tentiale im Hinblick auf das Leistungsvermogen des Naturhaushaltes der Land­schaft" mit dem Verfahrensgrundmuster der Eignungs- und Belastungsbewertung sowie der Wert- und Risikoanalyse. In diesem Zusammenhang wird einerseits der Ubergang von einer natur- zu einer landschaftsraumlichen Betrachtungsweise realisiert, andererseits auch der vordergriindige Nutzungsaspekt iiberwunden. Abbildung 4.1 zeigt die methodische Grundstruktur einer modemen Land­schaftsbewertung auf geoOkologischer Grundlage.

Die wesentliche Schwache landschaftlicher Bewertungsverfahren ist darin zu se­hen, daB das Bestreben, die real existierende, aber nicht zu erfassende, Komple­xitat okologischer Phiinomene oft in ein derartig kompliziertes Verfahren miindet,

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4 Leitbilder und Strategien 229

daB es fur den Planer in der Praxis kaum noch nachvollziehbar ist. Forschungs­bedarf besteht deshalb weniger in der Entwicklung neuer Bewertungsverfahren als vielmehr in der Suche und begriindeten Auswahl von geeigneten Indikatoren land­schaftshaushalt1icher Funktionen.

1. Landschaftsgliederung 2. Datenerfassung

I Naturraum II Flachennutzung II Topographie I Karten- und l Feldarbeiten I Dateiauswertung

I I Basisflachen der Bewertung I I Datenbasis der Bewertung I

3. Bewertung

I Ermittlung von Uberleitungsgr6Ben Validierung I

Experten- und H Grundbewertung I Methodenwissen

4. Auswertung

Ivorzugsflachenl Vorzugsnutzung I Qua1itatswerte I

Abb. 4.1 Methodische Grundstruktur der Landschaftsbewertung (nach Barsch et al. 1994)

Syrbe (1995) greift die Erfahrungen von Niemann (1982) auf und gliedert die in Abbildung 4.1 dargestellte methodische Herangehensweise in eine dargebotsorien­tierte Grundbewertung sowie eine anforderungsorientierte Auswertung mit fol­genden Hauptschritten:

- Erfassung des Bewertungsgegenstandes; Erfassung und Selektion der Merkmale und ihrer Auspragungsgrade;

- Grundbewertung zur Klassifizierung der Bewertungsobjekte; - Wichtung, Ordnung und Vergleich der Bewertungsergebnisse zur Errnittlung

von Handlungsbedarf und zur Erstellung von Entscheidungsgrundlagen.

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230 U. Steinhardt

Als raumliche Bezugseinheiten der Landschaftsbewertung stehen Naturraume, Wirtschafts- und Sozialraume (Lebensraume) sowie Landschaftsraume als unter­schiedliche geographische Raumkategorien zur Disposition. Allgemeingiiltige Kriterien zur Abgrenzung dieser Raumkategorien gibt es nicht. In der Flachen­nutzung als Art und ProzeB der Inanspruchnahme von Teilen der Erdoberflache durch die Gesellschaft manifestiert sich die Kopplung von Natur und Gesellschaft am deutlichsten. Sornit sind (individuelle oder typisierte) Landschaftseinheiten als Synthese aus Naturraumtypen, Flachennutzungsformen und topographischen Krite­rien der raumliche Ausdruck der Wechselwirkung zwischen Natur und Gesell­schaft und als Basisflachen der Bewertung geeignet, die - wie oben gezeigt - so­wohl natur- als auch gesellschaftswissenschaftlichen Anforderungen genugen mus­sen. Eine solche, von Kronert erarbeitete Landschaftsgliederung fUr den Ballungs­raum Leipzig-Halle und angrenzende Gebiete, ist in Kapitel 2.2, Abbildung 2.9 dargestellt.

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4 Leitbilder und Strategien 231

4.3.2 Bewertungsmethoden fUr Landschaftseinheiten mittleren Ma8stabs (U. Steinhardt)

Wiihrend naturraumliche Grenzen mehr oder weniger als langfristig stabil ange­nommen werden konnen, mussen Landschaftsgrenzen bei Nutzungsanderungen stets neu bestimmt werden. Da jedoch die GrundgroBen des Landschaftshaushaltes ganz wesentlich von der Landbedeckung und Landnutzung gepragt werden, ist es legitim, die Landschaftseinheiten zunachst als quasihomogene Bezugsraume auf­zufassen. Dies ist auch Voraussetzung, da gangige Verfahren zur Bewertung aus­gewiihlter Landschaftsfunktionen in der Regel auf groBmaBstabigen Datenerhe­bungen basieren und sich auf mehr oder weniger naturraumlich homogene Einhei­ten beziehen bzw. auf Flachen, die sich aus der kleinsten Geometrie der Ver­schneidung von Naturraum- und Flachennutzungseinheiten ergeben.

So1che handhabbaren Bewertungsverfahren sind u.a. bei Hennings (1994) und Marks et al. (1992) zusammengestellt; Barsch et al. (1994) zeigen Moglichkeiten ihrer Anwendung. Diese uberregional gultigen Bewertungsverfahren galt es, auf das in KapiteI2.1.1, Abbildung 2.1 dargestellte Untersuchungsgebiet anzuwenden.

Fur die Landschaftseinheiten im Kernraum dieses Untersuchungsgebietes stan-den als Bewertungsgrundlage folgende Basisdaten zur Verfiigung:

FlachengroBe; prozentualer Anteil von Bodenarten; prozentualer Anteil von Flachennutzungsformen; prozentualer Anteil von Grundwasserflurabstandsklassen; Jahressumme des Niederschlages; Jahressumme der realen Evapotranspiration; Jahressumme des oberirdischen Abflusses; geologische Entstehung, Hangneigungsklassen; Jahresmitteltemperatur.

Auf dieser Datengrundlage sollte mit den o.a. Verfahren eine Bewertung der ZielgroBen Erosionsgefiihrdung durch Wasser, Erosionsgefiihrdung durch Wind, Grundwasserschutz, landschaftliche Erholungseignung und Ackerbaueignung abgeleitet werden.

Bei den hier zu bewertenden Bezugseinheiten handelt es sich urn Landschafts­ausschnitte mittleren MaBstabs (chorischen Dimension), die hinsichtlich Flachen­nutzungsstruktur und naturraumlicher Ausstattung mehr oder weniger heterogen sind. Da die eingangs diskutierten Bewertungsverfahren jedoch nur auf homo gene Areale anwendbar sind, wird zur Bewertung ein Datenmodell eingefiihrt, das es erlaubt, mogliche Schwankungsbreiten zu berucksichtigen und auch bei unsicherer und unvollstandiger Datengrundlage Aussagen treffen zu konnen - das Modell der unscharfen Mengen (fuzzy sets). Diese sind wie folgt definiert:

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232 U. Steinhardt

Eine scharfe ("nonnale") Menge laBt sich beschreiben durch ihre charakteristische Funk­tion: f(x) = 1, wenn x Element der Menge Mist, und F(x) = 0, wenn x nicht Element von M ist. Eine unscharfe Menge laBt sich ebenfalls durch eine charakteristische Funktion dar­stellen mit der Verallgemeinerung, daB 0 < f(x)"; 1, wenn x Element von Mis!.

Die wesentlichen Schritte der Anwendung dieses Datenmodells sollen am Bei­spiel der Grundwasserschutzfunktion dargesteIlt werden. Den Rahmen zur Ab­schiitzung des Geschiitztheitsgrades des Grundwassers gibt TabeIle 4.2 wieder.

Tabelle 4.2 Bewertung der Grundwasserschutzfunktion (1 - sehr gering, 2 - gering, 3 -maBig, 4 - mittel, 5 - hoch) in Abhangigkeit von Grundwasserflurabstand (GWFA) und Bodenart (BA) (sT - sandiger Ton, IT - lehmiger Ton, T - Ton, tL-utL - toniger Lehm bis schluffig-toniger Lehm, stL - sandig-toniger Lehm, uT - schluffiger Ton, sL - sandiger lehm, sU - sandiger Schluff, uL-IV - schluffiger Lehm bis lehmiger Schluff, s'U - schwach sandiger Schluff, SL - stark sandiger Lehm, IS - lehmiger Sand, u'S - schwach schluffiger Sand, uS - schluffiger Sand, S - Sand, G - Grus, K - Kies) (nach Marks et al. 1992)

BAI BA2 BA3 BA4 BA5 Grundwasser- sT,IT,T tL-utL, stL sL, sU, uL-IV, SL, IS, u'S, uS S,G,K flurabstand uT s'U

> 200 em 5 5 4 3 2 130 -200 em 4 3 3 2 2 SO - 130 em 2 2 <SOcm

Die Anwendung der Theorie der fuzzy sets beginnt mit der Operationalisierung der Zugeh6rigkeitsfunktion (Fuzzifizierung der Eingangsdaten). Nach Mayer et al. (1993) existiert bis heute kein universeller axiomatischer Ansatz zur Bestimmung einer expliziten ZugehOrigkeitsfunktion. Hinsichtlich der hier zu bearbeitenden Daten, die sich auf die Fliiche einer Landschaftseinheit beziehen, wird die Zuge­h6rigkeitsfunktion aus dem prozentualen Fliichenanteil der Eingangsparameter (Klassen 6kologisch iihnlicher Bodenarten, Grundwasserflurabstandsklassen, Fliichennutzungsformen) abgeleitet (Tab. 4.4 und 4.5). Diese pragmatische Vorge­hensweise erscheint sinnvoll, da die ZugehOrigkeitsgrade ohnehin nicht eindeutig definiert sind. Aufgrund der zur Verfugung stehenden Datenbasis zum Grundwas­serflurabstand (Klassengrenzen <1m, I-2m und >2m) war es erforderlich, zuvor die Klassengrenzen des Bewertungsverfahrens formal an die der Basisdaten anzu­passen wie in TabeIle 4.3 dargesteIlt.

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4.3.2 Bewertungsmethoden fUr Landsehaftseinheiten mittleren MaBstabs 233

Tabelle 4.3 Anpassung von Bewertungsverfahren (naeh Tab. 4.2) und Eingangsdaten (zur ErkHirung der benutzten Abkiirzungen s. Tab. 4.2)

GWFA > 200 em (GWFA 1) 100-200 em (GWFA 2) < 100 em (GWFA 3)

BAI 5 4

1

BA2 5 3

1

BA3 4

3

BA4 3 2

1

BAS 2 2

1

Tabelle 4.4 Mogliehkeitswerte der Bodenarten fUr ausgewiihlte Landsehaftseinheiten (zur Erkliirung der benutzten Abkiirzungen s. Tab. 4.2)

Landsehaftseinheiten BAI BA2 BA3 BA4 BAS 2806 Zentrale Diibener Heide 0 0 0 0.9 0.1 2813 Dahlener Heide 0 0 0.1 0.7 0.2 2904 Dessau-Magdeburger Elbtal 0.3 0.1 0 0.4 0.3 3105 Kothener Aekerland 0.5 0 0.3 0.2 0

Tabelle 4.5 Mogliehkeitswerte der Grundwasserabstande fUr ausgewiihlte Landsehaftsein­heiten

Landsehaftseinheiten GWFAI GWFA2 GWFA3 < 1m 1-2 m >2m

2806 Zentrale Diibener Heide 0 0.1 0.9 2813 Dahlener Heide 0.1 0.2 0.7 2904 Dessau-Magdeburger Elbtal 0.6 0.4 0 3105 Kothener Aekerland 0.1 0.1 0.8

Prinzipiell erfolgt die Erweiterung der zweiwertigen Logik der klassisehen Men­genoperationen zur mehrwertigen Logik der fuzzy sets dureh die Auffassung der logischen Konnektoren "und"(/I.), "oder"(v) sowie "nicht"(-,) als Funktionen (nach Mayer et al. 1993): /I., v : [0,1] x [0,1] ...., [0,1] bzw. -, : [0,1] ...., [0,1]. Ais Ope­ratoren fur Durchschnitt und Vereinigung unscharfer Mengen wurden t-Normen und t-Conormen (oder s-Normen) eingefUhrt. Eine Sonderstellung nehmen die dazwischen liegenden sogenannten Durchsehnittsoperatoren ein. Danach wird durch eine t-Norm eine Klasse von Operatoren fur die Durchschnittsbildung mit t(O,O) = 0; t(x,l) = t(l,x) = x sowie den Eigenschaften der Monotonie, Symmetrie und AssoziativiHit bestimmt. Fur s-Normen gelten die zuletzt genannten Eigen­schaften analog sowie s(1,I) = 1; s(x,O) = s(O,x) = x. Fur Operationen mit un­scharfen Mengen steht eine Vielzahl von Operatoren zur Verfiigung, deren An­wendbarkeit neben anderen Faktoren grundsatzlich vom Skalenniveau der ZugehO­rigkeitsfunktion (nominal, ordinal, intervall- oder verhaltnisskaliert) abhangt. Dabei kann die Ab1eitung neuer Aussagen aus teilweise unscharfen Daten die Kopplung verschiedenartiger Operatoren erfordern.

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234 U. Steinhardt

Zur Bewertung der Grundwasserschutzfunktion muB demnach eine t-Norm zur Anwendung kommen, da gemaB Tabelle 4.2 eine entsprechende Wertstufe nur dann erreicht wird, wenn sowohl das Kriterium der Klasse der Bodenarten als auch das der Grundwasserflurabstandsklasse erfiillt wird. Das zustandekommende Schatzergebnis ist somit kleiner oder gleich dem Minimum (MIN) der beiden eingehenden ZugehOrigkeitswerte. Die Anwendung des hier gewahlten optimisti­schen Minimumoperators mit anschlieBender Mittelwertbildung (MW, Rundung auf eine Dezimalstelle) auf die o.a. Beispiele der Landschaftseinheiten ist in Ta­belle 4.6 dargestellt. Der ZugehOrigkeitsgrad zu jeder der flinf Bewertungsstufen des Grundwasserschutzes (GWS 1-5) basiert demgemaB auf folgenden Regeln, die innerhalb eines GIS programmierbar sind:

GWS 1 = MW[MIN(GWFA 3; BA 1); MIN(GWFA 3; BA 2); MIN(GWFA 3; BA 3); MIN(GWFA 3; BA 4); MIN(GWFA 3; BA 5)]

GWS 2 = MW[MIN(GWFA 1; BA 5); MIN(GWFA 2; BA 4); MIN(GWFA 2; BA 5)] GWS 3 = MW[MIN(GWFA 1; BA 4); MIN(GWFA 2; BA 2); MIN(GWFA 2, BA 3)] GWS 4 = MW[MIN(GWFA 1; BA 3); MIN(GWFA 2; BA 1)] GWS 5 = MW[MIN(GWFA 1; BA 1); MIN(GWFA 1; BA 2)].

Die unterschiedliche Anzahl der in die Mittelwertbildung eingehenden Paramter fur die flinf Bewertungsstufen des Grundwasserschutzes ist dabei im Bewertungs­verfahren selbst begriindet (vgl. Tabelle 4.3). So wird der hOchste Grad der Ge­schutztheit (GWS 5) nur bei gleichzeitigem Auftreten von hohen Grundwasser­flurabstanden (GWFA 1) und bindigen Substraten (BA1, BA2) erreicht. 1m Ge­gensatz dazu weisen alIa Bezugsraume mit oberflachennahem Grundwasser (GWFA 3) unabhangig yom Substrat (BA1, ... , BA 5) ein hohes Gefahrdungspo­tential oder anders ausgedriickt, einen geringen Geschutztheitsgrad (GWS 5) auf.

Anhand der Landschaftseinheit 2904 "Dessau-Magdeburger Elbtal" sollen die in Tabelle 4.6 dargestellten Bewertungsergebnisse exemplarisch nachvollziehbar erlautert werden. Fur die Landschaftseinheit liefert die Anwendung des Bewer­tungsverfahrens die folgenden Resultate:

GWS 1 = MW[MIN(O; 0,3); MIN(O; 0,1); MIN(O; O);MIN(O; 0,4); MIN(O; 0,3)] = MW [0, 0; 0; 0; 0] = 0

GWS 2 = MW[MIN(0,6; 0,3); MIN(O,4; 0,4); MIN(O,4; 0,3)] = MW[0,3; 0,4; 0,3] = 0,3

GWS 3 = MW[MIN(0,6; 0,4); MIN(O,4; 0,1); MIN(O,4, 0)] = MW [0,4; 0,1; 0] = 0,2

GWS 4 = MW[MIN(0,6; 0); MIN(O,4; 0,3)] = MW [0; 0,3] = 0,2

GWS 5 = MW[MIN(0,6; 0,3); MIN(0,6; 0,1)] = MW [0,3; 0,1] = 0,2

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4.3.2 Bewertungsmethoden fUr Landschaftseinheiten mittleren MaBstabs 235

TabeUe 4.6 Bewertung der Grundwasserschutzfunktion mit dem Minimumoperator

GWS I GWS2 GWS3 GWS4 GWS5

2806 Zentrale Diibener Heide 0,2 0,1 ° ° ° 2813 Dahlener Heide 0,2 0,2 0,1 0,1 ° 2904 Dessau-Magdeburger Elbtal ° 0,3 0,2 0,2 0,2 3105 Kothener Ackerland 0,2 ° 0,1 0,1 0,1

Die kartographische Umsetzung der Bewertungsergebnisse kann beispielsweise so realisiert werden, daB die ZugehOrigkeit zu einer der fUnf Bewertungsstufen selbst iiber die Farbe oder Grauwertabstufungen realisiert wird, der Grad der Zu­gehOrigkeit iiber die Signaturendichte. Durch eine vorangestellte sinnvolle Grup­pierung der auftretenden Moglichkeitswerte in drei Intervalle wird bei der karto­graphischen Uberlagerung von vornherein deutlich, daB es Flachen gibt, die durch eher sichere Aussagen belegt werden konnen und andere, in denen dominierende und begleitende Bewertungsstufen vorhanden sind.

Eine Lokalisierung der verschiedenen Ergebnisse innerhalb einer Bewertungs­einheit ist jedoch auf diesem Wege nicht moglich. Der Bearbeiter kann dem Anwender jedoch somit vermitteln, fUr welche Areale eher einheitliche MaBnah­men getroffen werden konnen und welche starker differenziert betrachtet und be­handelt werden miissen. Fiir diese differenzierte Betrachtung sind dann entweder detailliertere Untersuchungen auf dem nachst niedrigen Niveau der Betrachtung erforderlich oder man wiihlt den Weg der Typisierung der zu bewertenden Land­schaftseinheiten, der es erlaubt, iiber bekannte korrelative Zusammenhiinge wie beispielsweise entlang von Catenen solche differenzierenden Aussagen zu treffen.

Durch den abschlieBenden Schritt der Defuzzifizierung ist dariiber hinaus eine leichtere Handhabbarkeit dieser Bewertungsergebnisse moglich. In der Regel ist es moglich, den output-fuzzy-set verbal zu charakterisieren oder in eine (in der Regel reelle) Zahl zu iiberfiihren. Dabei geht jedoch zwangsliiufig ein Teil der Informa­tion verloren. Fiir die Transformation einer unscharfen Menge in eine scharfe Aus­gangsgroBe haben sich die Fliichenschwerpunkts- sowie die Maximum-Methode etabliert

Die auf diesem Wege ermittelten Bewertungsergebnisse kommen der real vor­handenen Heterogenitiit in den Landschaftseinheiten dieser GroBenordnung be­deutend niiher als eine "klassische" Bewertung iiber Mittelwertbildung. Aus die­sem Grunde scheint der Weg der Anwendung von fuzzy sets bei derartigen Pro­blemlOsungen sehr erfolgversprechend, zumal derzeit in der landschaftsokolo­gischen Forschung eine verstarkte Orientierung auf ProblemlOsungen fUr das pro­zeBbezogene Forschen in der chorischen Dimension zu beobachten ist (Syrbe 1996). Damit kann zugleich der praxisrelevanten Forderung nach Betrachtung von Raumen in planungsrelevanten GroBenordnungen nachgekommen werden.

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236 4 Leitbilder und Strategien

4.3.3 Multifunktionale Bewertung und multikriterielle Optimierung von Landschaftsausschnitten (B.C. Meyer, R. Grabaum)

In intensiv agrarisch genutzten Landschaften ist durch Ubernutzung die Fiihigkeit zur Regulation stark eingeschrankt. Ziel der Forschung muB es sein, Moglichkeiten fUr die Wiederherstellung dieser Regulation und zu deren Verbesserung zu finden. Dabei kommt der Landnutzung bzw. der Landnutzungs- und Landschaftsplanung eine entscheidende Rolle zu. Eine Landschaftsgestaltung, welche sich an den Regulationsfunktionen unter Beriicksichtigung der Landnutzung orientiert, ist nur mit Hilfe von Instrumentarien zu erreichen, die ausgehend von den Potentialen des Naturraumes in der Lage sind, aIle Nutzungs- und Regulationsmechanismen gleichzeitig zu betrachten. Dies ist die Grundlage fUr eine moderne Land­schaftsplanung. Ein solches Instrumentarium entsteht durch Kopplung von muIti­funktionalen Bewertungen mit muItikriterieller Optimierung.

Das mathematische Verfahren der multikriteriellen Optimierung - auch Vektor­optimierung - bestimmt mit mehreren, oft gegensatzlichen Zielfunktionen ein Er­gebnis, welches als "optimaler KompromiB" zwischen den Zielen verstanden wer­den muB. Die dabei notwendigen Zielfunktionskoeffizienten ergeben sich aus den Ergebnissen der Einteilung einzelner Untersuchungsziele in Bewertungsklassen. Die Variablen ergeben sich aus dem Produkt der Anzahl der Areale und der An­zahl der bewerteten Elemente. Als Nebenbedingungen werden Gleichrestriktionen (FiachengroBen der Areale, im GIS vorhanden) und Ungleichrestriktionen (GroBenordnungen der einzelnen Elemente, Grenzen werden vorher festgelegt) linearen Typs verwendet. Das Optimierungsproblem ist damit linear. Dieses Vor­gehen wird als "Linear Programming" bezeichnet (z.B. Werner 1993). Der Opti­ma1itatsbegriff ist hierbei folgendermaBen definiert: Eine Losung, d.h. eine Varia­blenbelegung, ist optimal, wenn sich kein Einzelziel mehr verbessern laBt, ohne daB sich mindestens ein anderes Einzelziel verschlechtert. Man spricht von "Pareto-Optimalitat" (Dewess 1985, Wierzbicki 1979). Zur Losung derartiger Optimierungsaufgaben gibt es unterschiedliche Verfahren (statistische Verfahren: Changkong u. Haimes 1983, Simplexverfahren: z.B. Falkenhagen 1989, Referenz­punktverfahren: z.B. Wierzbicki 1979).

Die hier verwendete Methode beruht auf einem spieltheoretischen KompromiB und wurde von Dewess (1985) entwickelt. Dabei wird die maximale relative Ab­weichung der Zielerfiillungen von ihrem Maximalwert minimiert. Bei der Anwen­dung erhalt man notwendigerweise auch die Maximalwerte der einzelnen unter­such ten Funktionen (ohne Beriicksichtigung der iibrigen) und kann dabei Risiken monofunktionaler Landschaften, die einseitig auf eine Nutzung ausgerichtet sind, aufzeigen. Eine Besonderheit des Verfahrens besteht darin, daB man durch eine subjektive Gewichtung der einzelnen Ziele belie big viele Losungen aus der un­endlichen Losungsmenge berechnen kann. Die Kopplung einer elementebezogenen Landschaftsbewertung mit der Methode der muItikriteriellen Optimierung wurde von Koch et al. (1989) beschrieben und von Grabaum (1996) als rechnergestiitztes Gesamtverfahren umgesetzt.

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4.3.3 Multifunktionale Bewertung und multikriterielle Optimierung 237

Abbildung 4.2 zeigt das Gesamtverfahren im Uberblick. Fur die Bewertungen sind validierte Bewertungsverfahren zu verwenden. Diese mussen Bewertungs­aussagen fUr aile zu untersuchenden Landschaftselemente treffen. Des weiteren verlangt die Definition der Optimierungszielfunktionen eine Einteilung der Be­wertungsergebnisse in Klassen. Ais Ergebnis entsteht ein optimiertes Land­schaftsmuster, dargestellt in Karten mit Landnutzungsoptionen. Ferner konnen Statistiken zu Landnutzungsoptionen einschlieBlich der Vedinderung gegenuber dem derzeitigen Zustand errechnet werden.

Das Verfahren wurde beispielhaft am "Intensivagrargebiet Jesewitz" nordostlich von Leipzig durchgefiihrt. In dem 4.820 ha groBen Landschaftsausschnitt wurden mit Hilfe eines Geoinformationssystems (GIS) nach grundlegender Datenauf-

Problemdefinition fiir eine regulationsfunktionsorientierte Leitbildentwicklung in der Agrarlandschaft ..

Auswahl der zu beriicksichtigenden Funktionen fiir eine Landschaftsentwicklung auf der Basis von Naturfunktionen

(de Groot 1992), welche an den Untersuchungsraum angepaBt werden

Auswahl der zu beriicksichtigenden Landschaftselemente .. Bewertung der Landschaftselemente hinsichtlich der Erfullbarkeit der Ziel-

funktionen im Untersuchungsraum (Verwendung validierter Bewertungsverfahren) Einteilung der Bewertungsergebnisse in Klassen

~ Multikriterielle Landschaftsoptimierung

Festlegung der Randbedingungen fiir das Optimierungsproblem (Ableitung aus der Landschaftsanalyse und allgemeinen Zielen) Definition der Zielfunktionen anhand der Bewertungsergebnisse

Bestimmung der Maximalwerte der einzelnen Zielfunktionen ...

Optimierung unter gleichzeitiger Beriicksichtigung aller Zielfunktionen (Finden optimaler Kompromisse zwischen den Zielfunktionen

durch ausgewiihlte Gewichtung der Ziele)

I

Zielorientierte "optimale Landschaftsmuster" des Untersuchungsraumes in Form von Karten als Landnutzungsoptionen zur Weiterbearbeitung

an die Landschaftsplanung

Abb. 4.2 Schema des Verfahrens der Kopplung von Landschaftsbewertungen mit multikri­terieller Optimierung als Grundlage fiir eine zielorientierte Landschaftsplanung

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238 B.C. Meyer. G. Grabaum

nahme Bewertungen der drei Regulationsfunktionen Bodenerosionsgef:Thrdung. Grundwassemeubildung und AbfluBregulation sowie der landwirtschaftlichen Pro­duktionsfunktion durchgefUhrt. Die Ergebnisse der Bewertungen mit GIS dienten als Grundlage fUr die anschlieBende multikriterielle Optimierung. Der Arbeitsab­lauf lehnt sich an den Verfahrensablauf in Abbildung 4.2 an. Abbildung 4.3 zeigt die aktuelle Flachennutzung eines Ausschnitts des Testgebietes (Abb. 4.4 und 4.5 liegt derselbe Ausschnitt zugrunde).

1m Rahmen der Flurbereinigungen zur Schaffung der GroBflachenlandwirtschaft der DDR wurden Biotopstrukturen flachenhaft beseitigt und die Anzahl der Nutzungsparzellen ging durch Zusammenlegungen der Felder zwischen 1958 und 1994 von 2.980 auf 185 zuriick. Diese Werte wurden aus dem Vergleich histori­scher und aktueller Luftbilder ermittelt. Mit der Neuordnung der landwirtschaftli-

'/

(JI

Botzen

Landnutzung

~ Wald, Geholze

~ Grunland

~ Acker

0 !

• D ~

R

1/

500 1000 1600 Meter ! , ,

Gewasser

Siedlungsflachen

Wald-Griinland-Mosaik

Abb. 4.3. Flachennutzung im Agrargebiet lesewitz 1994 - vereinfacht (Kartographie und GIS: R. Grabaum. B.C. Meyer. Abt. Geoinformation: G. Schulz)

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4.3.3 Multifunktionale Bewertung und multikriterielle Optimierung 239

lichen Betriebe und dem starken Riickgang der Viehproduktion im Zuge der Wie­dervereinigung wurden 1994 ca. 72,5% der Betriebsflache des Landkreises Eilen­burg durch Marktfruchtbetriebe bewirtschaftet. Diese Betriebe bebauen dem heu­tigen EU-Marktgeschehen entsprechend 68% ihrer Flachen mit Komerfruchten. Als Fruchtfolgen herrschen stark getreidebetonte Rotationen vor (Schleitz unverOff.). In seinem heutigen Zustand prasentiert sich das Testgebiet als ein naturfremder Raum mit iiberwiegend intensivem Ackerbau.

Aus diesen Grunden war die anwendungsorientierte Erarbeitung von Nutzungs­optionen in Agrarlandschaften fiir die Landschaftsplanung auf der Basis land­schaftsokologischer Bewertungs- und Optimierungsverfahren dringend erforder­lich. Zugrundegelegt wurde eine im GIS erstellte Biotoptypenkartierung auf der Basis von CIR-Luftbildem aus dem Jahr 1994 (Meyer 1996). Zum Vergleich der Biotoptypen mit historischen Landschaftsentwicklungszustanden wurden histo­rische Karten der Zeitschnitte 1821 und 1936 sowie SW-Luftbilder des Jahres 1958 ausgewertet und zusatzlich das StraBen- und Gewassemetz 1936 und 1990 digitalisiert.

Die Bewertung der Regulationsfunktionen erfolgte anhand der Bodenarten (digitalisiert aus den Bodenschatzungskarten 1 : 10.000) und eines digitalen Ge­landemodells aus der topographischen Karte fiir Rasterdaten (50 x 50 m). Auf die­ser Grundlage konnten Hangneigungen, Hanglangen, Exposition und bodenab­hangige Parameter wie K-Faktor, Infiltrationskapazitat, Klasse der nutzbaren Feld­kapazitat und Bodenzahlen bestimmt werden.

Bewertungen der Bodenerosionsgefiihrdung durch Wasser wurden unter An­nahme verschiedener Szenarien nach der Methode von Schwertmann et al. (1987) durchgefiihrt. Neben der Bewertung und Quantifizierung der aktuellen Bodenero­sionsgefiihrdung auf Ackerflachen wurden mogliche Szenarien zu Veranderungen der Fruchtfolgen, der Hohe und der Intensitat der Niederschlage und der Schlag­aufteilung mit Hilfe der Allgemeinen Bodenabtragsgleichung (ABAG) berechnet (Meyer u. Grabaum 1996a, b). Abbildung 4.4 zeigt die Einschiitzung der Boden­erosionsgefiihrdung bei Schwarzbrache. Deutlich sichtbar sind die Auswirkungen der groBen Hanglangen und der nicht an die Morphologie der Landschaft ange­paBten Schlagform. Aus den obengenannten Datenebenen konnten neben der Bodenerosionsgefiihr­dung auch Bewertungen der AbfluBregulationsfunktion nach Marks et al. (1992) und der Grundwassemeubildungsfunktion nach Renger u. Strebel (1980) erfolgen. Die Ergebnisse in fiinfstufigen Skalierungen beziehen sich auf den Untersuchungs­raum von 4.820 ha, von dem 3.995 ha ackerbaulich genutzt werden. Die landwirt­schaftliche Produktionsfunktion wurde aus den digitalen Bodenschatzungskarten unter Anwendung des Ackerschatzrahmens aus Scheffer (1992) in Form theoreti­scher Bodenzahlen bestimmt.

1m AnschluB an die Bewertung wurde die multikriterielle Optimierung nach Grabaum (1996) durchgefiihrt. Dabei wurden zunachst aIle vier Funktionen maxi­miert und anschlieBend verschiedene Kompromisse berechnet. Zur Bearbeitung

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240 B.C. Meyer, G. Grabaum

o 600 1000 1600 Moler

Bodenerosionsgefiihrdung ~! ------~. ======~!----~!

§ Gering ~ Stark erhoht

~ Tolerierbar III Extrem erhoht

~ Erhoht D Sonstige Fliichen

Abb. 4.4 Einschatzung der Bodenerosionsgefiihrdung im Agrargebiet Iesewitz durch Was­ser bei Schwarzbrache (Kartographie und GIS: R. Grabaum, B.C. Meyer, Abt. Geoinfor­mation: G. Schulz)

des Optimierungsproblems mussen vor Beginn erstens allgemeine Restriktionen und zweitens Optimierungsgrenzen festgelegt werden.

1. Restriktionen: Ais allgemeine Vorgabe wurde festgelegt, daB feuchte, natur­nabe Griinlandstandorte des Jabres 1936 entlang von Tiefenlinien im GeHinde wieder in Griinland umgewandelt werden sollten. Zur Bodenerosionsminderung sollen aIle Standorte mit Bodenerosion bei Schwarzbrache in den Klassen 4 und 5 (stark und extrem erhOht) in Griinland oder Wald umgewandelt werden. Fur die Erhaltung der Grundwasserneubildung auf moglichst allen Flachen werden sandige Standorte nicht mit Wald oder FeldgehOlzen bestockt. Fur die Erfiillung des allgemeinen Ziels der Erhohung des Retentionsvermogens und Verlangsamung des Oberflachenabflusses (AbfluBregulationsfunktion) solI der Anteil des Griinlandes dort erhOht werden, wo die Einstufung in AbfluBregulationsklassen sich am

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4.3.3 Multifunktionale Bewertung und multikriterielle Optimierung 241

meisten verbessem laBt. Fur die Produktionsfunktion wurde festgelegt, daB diese auf den besten Standorten mit hoher Bodenzahl konzentriert werden solI. Gleich­zeitig wurde aber als gegenUiufiges Ziel zum Schutz der Ackerflora bestimmt, daB 10% der Flache jeder Bodenart unter Ackemutzung bleibt.

2. Optimierungsgrenzen (diese Werte beziehen sich auf den in den Karten darge­stelIten Ausschnitt von ca. 12 km2): Neben den Restriktionen fUr einen Kompro­miB zwischen den Funktionen wurden folgende Optimierungsgrenzen der Fla­chennutzungsanderungen festgelegt: Zwischen 4,1-8,2% der Ackerflachen solIen in Grunland und 8,2-12,3% in Wald umgewandelt werden. Diese Werte entspre­chen der Forderung nach einer Steigerung des naturschutzrelevanten Flachenantei­les in der Landschaft nach ledicke (1994). Gleichzeitig wird von einer weiteren Dominanz der Ackemutzung im Untersuchungsraum ausgegangen. Es solIen mindestens 82,1 % der derzeitigen Ackerflache weiter agrarisch genutzt werden.

Wenn die Maximierung einzelner Ziele isoliert verfolgt wird, fiihrt das zu deut­lichen Ergebnissen in Bezug auf das jeweilige Ziel. Das Optimum des Boden­erosionsschutzes (100%) laBt sich erreichen, wenn der Waldanteil auf 12,3% und der des Grunlandes auf 5,6% im Vergleich zum Ausgangszustand gesteigert wird (s. Tab. 4.7 und Abb. 4.6). Diese einseitige Zielverfolgung ginge jedoch stark zu Lasten der Grundwassemeubildung und Produktionsfunktion. Ein optimaler Kom­promiB unter Berucksichtigung alIer relevanten Landschaftsfunktionen findet sich in TabelIe 4.7 und Abbildung 4.5. Dabei werden Grundwassemeubildung und AbfluBregulation in diesem Beispiel etwas geringer gewichtet als Bodenerosions­gefahrdung und Produktionsfunktion.

Das Ergebnis zeigt einen Ruckgang der Ackerflache um 12,3% gegenuber dem Ausgangszustand (Tab. 4.7). Dieser Flachenanteil wird in Wald und Grunland im Verhaltnis 2 : 1 aufgeteilt. Obwohl die Grundwassemeubildung gegenuber dem Ausgangszustand eingeschriinkt wird, was auf die Restriktionen zurUckzufUhren ist, erreicht sie bei Annahme dieses Kompromisses ein Maximum. Die AbfluBre­gulation ist im Vergleich zum aktuelIen Zustand verbessert, hat jedoch erst 4% ihres moglichen Maximalwertes (innerhalb der Optimierungsgrenzen) erreicht. Obwohl starker gewichtet, werden nur ca. 65% der maximalen ZielerfiilIung der Bodenerosionsminderung erreicht. Dies ist durch die Flachenkonkurrenz mit der gleich hochgewichteten Produktionsfunktion auf hochbonitierten und erosionsge-

Tabelle 4.7 Prozentualer Vergleich der aktuellen Nutzung mit zwei Nutzungsoptionen

Fliichennutzung aktuelle maximale Minderung KompromiB mit Nutzung der Bodenerosion Hohergewichtung von

Produktion und Boden-

Waldanteil in % 0 12,3 8,2 Griinlandanteil in % 0 5,6 4,1 Ackeranteil in % 100 82,1 87,7

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242 B.C. Meyer, G. Grabaum

Landnutzungsoptionen

~ Wald, Geholze

~ Grunland

~ Acker

H

o 500 1000 1600 Mater

~' ------~'======~'-------'

• Gewiisser

D Siedlungsflachen

Kombinationen sind moglich

Abb. 4.5 Optimaler KompromiB der vier Zielfunktionen im Agrargebiet lesewitz: Hoherge­wichtung von Erosionsschutz und Produktionsfunktion (Kartographie und GIS: R. Gra­baum, B.C. Meyer, Abt. Geoinformation: G. Schulz)

fahrdeten Flachen zu erklaren. Die Produktionsfunktion erreicht noch 87,8% der moglichen Zielerfiillung, was eine starke Einschrankung gegeniiber dem Aus­gangszustand bedeutet (s. Abb. 4.6). Weitere KompromiBlosungen sind bei Meyer (1996) dargestellt. Der KompromiB zwischen den Funktionen einschlieBlich der Restriktionen und der Optimierungsgrenzen zeigt, daB durch die neue Verteilung der Flachennutzungen (Wald, Griinland, Acker) mit Hilfe der multikriteriellen Optimierung ein Ausgleich zwischen einzelnen funktionalen Zielen erreicht wer­den kann. Interessant ist an dem Verfahren, daB fUr den die Ergebnisse nutzenden Landschaftsplaner die Option Wald, Griinland oder Acker auf einigen Flachen freigehalten wird (vgl. Option Wald oder Griinland als Kombination unterschiedli­cher Signaturen in Abb. 4.5). Durch unterschiedliche Gewichtungen sind eine Vielzahl von Losungen moglich.

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200

150

100

50

0

·50

·100

4.3.3 Multifunktionale Bewertung und multikriterielle Optimierung 243

216,4

-46,5

d<tuell MaximdeBEM

D Bodenerosions- m Grund",asserneu· lID Abftuflregulation minderung (BEM) biIdung

KompromiB

• Produktions· funktion

Abb. 4.6 Prozentualer Vergleich der Zielerffillungen fUr aktuelle Nutzung und zwei Nut· zungsoptionen (0 bedeutet Minimum innerhalb der Optimierungsgrenzen, 100 Maximum. Bei der aktuellen Nutzung werden diese Werte fiber· bzw. unterschritten, da die Optimie· rungsrestriktionen nicht geiten.)

Das Beispiel hat gezeigt, daB auf der Grundlage von fiber 12.000 EinzelfHichen im gesamten Testgebiet mit jeweils ca. 80 Variablen ein Ausgleich unterschied­licher Funktionserfiillungen ohne mathematische Hilfsmittel nicht mehr moglich ist. Die Anwendung des Verfahrens fUr weitere agrarisch genutzte Gebiete ist sinn­voll, sofern man die fUr eine Bewertung wesentlicher Funktionen notwendigen digitalen Datengrundlagen zur Verfiigung hat. Gerade in intensiv genutzten Agrarlandschaften stellt das Verfahren eine M6glichkeit zur Einbeziehung von bodenabhangigen Regulationsfunktionen in die Landschaftsplanung dar, we1che fUr eine standortgerechte und multifunktionale FHichennutzung notwendig sind. Ein weiterer Schritt in diesem Zusammenhang wird die Einbeziehung kyberneti­scher Modelle und die Kopplung von Stofthaushaltsmodellen mit Bewertung und Optimierung sein.

Wird dieses Verfahren mit einem Geoinformationssystem (GIS) gekoppelt, er­gibt sich eine leistungsfiihige Methodik zur Generierung von Landnutzungsoptio­nen, we1che als Ausgangspunkt fUr eine Landschaftsplanung unter optimaler Be­riicksichtigung der Mehrfachfunktionen der Landschaft dienen kann.

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244 4 Leitbilder und Strategien

4.3.4 Schlu6folgerungen aus der Landschaftsbewertung fUr die Landschafts­bzw. Landnutzungsplanung (R. Kronert)

In den vorausgegangenen Kapiteln (4.3.1 und 4.3.3) wurde gezeigt, daB die Land­schaftsbewertung auf der Ebene von Landschaftseinheiten oder, kleinflachiger und detaillierter, von Landschaftsausschnitten moglich und notwendig ist. Die Bewertungsverfahren fUhren zur Weiterentwicklung von Leitbildern fUr Land­schaftseinheiten; auf der darunterliegenden, groBmaBstablichen Ebene ergeben sich Handlungsanweisungen fUr konkrete, flachenbezogene Planungen, z.B. fUr die Flurbereinigung, fUr die Festsetzung von Schutzgebieten oder fUr die Flachen­auswahl zur DurchfUhrung von Aufforstungsprogrammen. 1m Folgenden solI ausschlieBlich die Ebene von Landschaftseinheiten betrachtet werden.

Regionale Leitbilder sind differenziert nach Landschaftseinheiten weiterzuent­wickeln. Urn die Landschaftsplanung und -gestaltung auf einen zeitgemaBen Stand zu bringen, sind die Kenntnisse zum LandschaftshaushaIt in raumbezogenen Planungen zu beriicksichtigen. Ganz entscheidend fUr die Leitbildbestimmung ist die Erfassung der von einer Landschaftseinheit zu erfiillenden Funktionen. Wie bereits ausgefUhrt, sind immer mehrere Funktionen gleichzeitig zu erbringen (Mehrfachnutzung und Mehrfachfunktion als Prinzip nachhaItiger Landschafts­entwicklung). Bei der Leitbildbestimmung sind ethische, rechtliche, okologische und okonomische Elemente zu beriicksichtigen. Die Bestimmung, Erhaltung oder Wiederherstellung von Funktionen der Landschaftseinheiten ist vor allem abhangig von den Lebens- und Produktionszielen der Gesellschaft und des einzelnen Menschen sowie deren ethischen Wertvorstellungen zur ErhaItung der Natur als allgemeiner Lebensgrundlage und urn ihrer selbst Willen. Der historisch entstan­dene Landschaftszustand und die naturraumlichen Grundlagen setzen den stets zu beriicksichtigenden Rahmen fUr die Funktionsbestimmung einer Landschaftsein­heit. Landschaftsentwicklung ist somit auf das engste mit der soziookonomischen Entwicklung verkniipft.

Leitvorstellungen und Leitbilder der Landschaftsentwicklung und -sanierung sowie des Landschaftsschutzes werden auf der Grundlage bestehender Gesetze und Verordnungen in Landschaftsprogrammen, in Landschaftsrahmenpliinen, in den Landschafts- und Griinordnungspliinen, in Landesentwicklungsprogrammen, in Regionalen Entwicklungsprogrammen, in den Flachennutzungsplanen sowie in den Fachplanungen wie z.B. den Agrarstrukturellen Vorplanungen entwickelt.

Leitbilder kiinftiger Landschaftsentwicklung, die den Kriterien der NachhaItig­keit geniigen, werden sich daraus jedoch allein nicht ableiten lassen, weil die Re­gulationsfunktionen in den bisherigen Leitvorstellungen im allgemeinen nicht ausreichend beriicksichtigt worden sind. Dies liegt daran, daB die sich in der Land­schaft vollziehenden Prozesse nicht ausreichend bekannt und zudem die gesetzli­chen Grundlagen unzureichend sind (z.B. im Bodenschutzgesetz). AuBerdem werden m6gliche Interessen kiinftiger Generationen nicht ausreichend beriicksich­tigt (z.B. hinsichtlich des Grundwasserschutzes) oder es werden die in Gesetzen

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4.3.4 SchluBfolgerungen aus der Landschaftsbewertung 245

Tabelle 4.8 Vorgeschlagene gleichbleibende (0), zunehmende (+) bzw. abnehmende (-) Gewichtung von Landschaftsfunktionen in ausgewahlten Landschaftseinheiten (LW Land­wirtschaft, FW Forstwirtschaft, BB Bergbau, WW Wasserwirtschaft, U Urbanisierung, WF Wasserflachen, WS Wasserschutz, BS Biotopschutz, WiES Winderosionsschutz, WaES Wassererosionsschutz, LE Landschaftsbild und Erholung)(vgl. Abb. 3 in Kap. 2.2)

Produktions- Standort- Regulations- Info.-funktion funktion funktion funkt.

Wi Wa LWFW BBWW U WF WS BS ES ES LE

Mosigkauer Heide 0 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0

Oranienbaumer Heide 0 0 0 0 0 0 0 + + 0 +

Westliche Diibener Heide 0 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0

Zentrale Diibener Heide - 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Bad Schmiedeberger Hiigelland 0 0 0 0 0 0 + + + 0 0

Authausener Platte 0 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0

Falkenberger Heide und Elbrandplatten 0 0 0 + 0 0 + 0 + 0 0

Lober-Prellheide-Gebiet 0 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0

Schwarzbachgebiet 0 0 0 0 0 0 + 0 + 0 0

Mockrehna-Torgauer Niederung 0 0 0 + 0 0 + 0 0 0 0

Eilenburg-Bad Diibener Muldetal 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0 0

Bitterfelder Muldental - + 0 + 0 0 + + 0 0 +

leBnitz-Dessauer Muldental - + 0 + 0 0 + + 0 0 +

Grafenhainichen-Muldensteiner - + - + 0 + + + + + +

Bergbaugebiet Bitterfelder Bergbaugebiet - + - + 0 + + + + + +

Wittenberg-Dessauer Elbtal 0/- 0 0 0/+ 0 0 0/+ 0 0 0 0

Dessau-Magdeburger Elbtal 0/- 0 0 0/+ 0 0 0/+ + 0 0 0/+

Kiithener Ackerland 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0 +

Quellendorf-Thalheimer Ackerland 0 0 0 0 0 0 + 0 + 0 0

Querfurter Platte 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0 +

Hallenser Porphyrhiigelland - 0 0 0 + 0 + 0 0 + 0

Halle-Brehnaer Ackerland 0 0 0 0 + 0 0 + 0 0 +

WeiBenfels-Hallenser Saaletal 0 + 0 0 + 0 0 0 0 0 0

Unteres Elstertal 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Riiblingen-Teutschenthaler Bergbaugebiet 0 0 - 0 0 0 + + + + +

Geiseltal Bergbaugebiet - + - + 0 + + + 0 + +

Hallenser Bergbaugebiet - 0 - + 0 + + + + + +

Gleina-Reichardtswerbener Ackerland 0 0 0 0 0 0 0 + 0 + +

WeiBenfels-Zeitzer Bergbaugebiet - + + + 0 + + + + + +

Delitzscher Platte 0 0 0 0 + 0 0 + + 0 +

Taucha-Eilenburger Endmoranengebiet 0 0 0 0 + 0 + + + 0 +

Liitzener Platte 0 0 0 0 + 0 0 + 0 0 +

Leipzig-Naunhofer Land 0 0 + + + + + 0 0 0 0

Leipzig-Schkeuditzer Elstertal 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Delitzscher Bergbaugebiet 0 + - + 0 + 0 + 0 + +

Zwenkau-Espenhainer Bergbaugebiet - + +/- + 0 + + + + + +

Groitzsch-Bomaer Bergbaugebiet - + + + 0 + + + + + +

Meuselwitzer Bergbaugebiet 0 + 0 + 0 0 + 0 0 + 0

Altenburger LiiBgebiet 0 0 0 0 0 0 + 0 0 + 0

Altenburger Waldgiirtel 0 0 0 0 0 0 + 0 0 + 0

Strellner Platte und Wurzener 0 0 0 0 0 0 0 0 + 0 0

Porphyrhiigelland Grimma-Brandiser Porphyrhiigelland 0 0 + 0 0 0 + 0 + + 0

Wurzen-Eilenburger Muldental 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

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246 R. Kronert

und Verordnungen enthaltenen Moglichkeiten fUr nachhaltige Entwicklungen nicht ausgeschOpft (z.B. mit der Folge uberdimensionierter Suburbanisierung).

Das Landschaftsprogramm Sachsen-Anhalt von 1995 (MUNR 1995) und der Entwurf des Regionalplanes Nordwestsachsen aus demselben Jahr (Regionaler Planungsverband Westsachsen, unveroff.) enthalten Leitbilder fUr die kUnftige Landschaftsentwicklung. Darin werden Vorranggebiete und Vorbehaltsgebiete fUr eine Vielzahl von Funktionen ausgewiesen. Die Ausweisung der Landschafts­funktionen erfolgte in diesen Planungsdokumenten auf der Grundlage groBer regionaler Detailkenntnis bezOglich der Landschaftsstrukturen und entsprechend der gesellschaftlichen Anforderungen sowie eines sorgfaltigen Abwagungspro­zesses. Kann die Uberprufung des ErfiiHungsgrades von Landschaftsfunktionen zu einer zusatzlichen Prazisierung dieser Leitbilder beitragen? Zur Klarung dieser Frage wurde fUr 11 Landschaftsfunktionen in 45 Landschaftseinheiten angegeben, ob die Funktionserfiillungen etwa den gegenwartigen Empfehlungen entsprechen, ob sie starker als bisher beachtet werden sol1ten oder ob sie eine abnehmende Bedeutung erlangen konnten (s. Tab. 4.8). Bergbaulandschaften werden einbezo­gen, Stadtlandschaften nicht. Ferner wurden bei der Bewertung die Multifunktio­nalitat und die Regulationsfunktionen der Landschaftseinheiten berucksichtigt.

Hochste Prioritat wurde dem Schutz des Bodens vor Wind- und Wassererosion sowie dem Schutz des Grund- und Oberflachenwassers eingeraumt, weil die Bo­denfunktionen langfristig fUr die menschliche Existenz lebensnotwenig sein wer­den und weil Wasser zu den wichtigsten Lebensmitteln und Rohstoffen gehOrt. Foiglich ergibt sich fUr viele Landschaftseinheiten in Tabelle 4.8 eine starkere Be­achtung des Boden- und Gewasserschutzes.

Der Biotopschutz solI flachendeckend sein. Insbesondere in ausgeraumten Agrarlandschaften und Bergbaufolgelandschaften sind hier Verbesserungen not­wendig. Es ist in jedem Falle zu prufen, wie Biotopschutz mit Erosionsschutz und Gewasserschutz kombiniert werden konnen.

Freiraumerholung verlangt ein abwechslungsreiches Landschaftsbild mit einer Vielfalt von Biotopstrukturen. Abgesehen von Bergbaufolgelandschaften, die z.T. fUr die Erholung neu gestaltet werden, wird es in Agrarlandschaften zur Verbes­serung des Landschaftsbildes vor aHem durch biologischen Erosions- und Gewas­serschutz und nachgeordnet durch gezielt angelegte Biotope fUr den Biotopschutz kommen mussen.

Bezuglich der Standortfunktionen wird lediglich auf den zu erwartenden Urba­nisierungsdruck im Umland von Leipzig und Halle und auf die Zunahme der Was­serflachen in den Bergbaugebieten aufmerksam gemacht. Es ist notwendig, die Auswirkungen der wachsenden Wasser- und Stadtflachen im Hinblick auf kUnftige Veranderungen des Landschaftshaushaltes zu untersuchen.

Die Produktionsfunktionen der Land- und Forstwirtschaft soHen flachendeckend beibehalten werden. 1m Zuge der angestrebten ErhOhung des Waldanteils in Sachsen wird es gezielt in den Bergbaufolgelandschaften zu einer Zunahme der Forstflachen kommen. Der mit der Anpflanzung von FeldgehOlzen verbundene Entzug von Landwirtschaftsflachen fUr den Erosions- und Biotopschutz und die

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4.3.4 SchluBfolgerungen aus der Landschaftsbewertung 247

Landschaftsasthetik wird in TabeUe 4.8 nicht gesondert ausgewiesen. Der Flachen­bzw. Produktivitatsverlust entspricht nur wenigen Prozentanteilen und steUt darnit eine nur unwesentliche Veranderung der Produktionsfunktion der Landwirt­schaftsflachen dar. Auf landwirtschaftlichen Nutzflachen, die fur die Nahrungs­gutererzeugung nicht mehr benotigt werden, soUte der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen angestrebt werden; Rotationsbrache und Flurwiistungen werden negativ bewertet. Die vielfach geforderte Ansaat von Dauergriinland z.B. in Auen und in ausgedehnten DeUensystemen der LoBregion durfte bei gleichzeitig niedrigem Viehbesatz (Schafe und Rinder) schwer durchzusetzen sein. Auch das spricht fur eine Forderung des Flurholzanbaus (vgl. aber Kap. 3.4.5).

Am Beispiel des Untersuchungsraums konnte in Ansatzen gezeigt werden, wie durch Einbeziehung zusatzlicher bzw. anders gewichteter Bewertungskriterien ein Leitbild fur die Regionalplanung entsteht, das praziser und unter Nachhaltigkeits­aspekten gunstiger ist als die konventioneUe Planung.