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1 Ekkehard Richter 9. November 2008 Generalmajor a. D. 50 Jahre Reserve Heer - 50 Jahre Reservisten des Heeres – Zunächst gratuliere ich dem Heer und seinen Reservisten, dass es durch den gemeinsamen, kameradschaftlichen Dienst und die Opferbereitschaft der Reservisten gelungen ist, in diesen 50 Jahren unserem Land den Frieden zu erhalten. Welchen ernsten Hintergrund diese allgemeine Feststellung hat, ist vielen erst bei der Auflösung der ehemaligen NVA und beim Abzug der Roten Armee bewusst geworden. Um die Aufgaben und Strukturen der Reserve des Heeres in diesem halben Jahrhundert deutlich zu machen, will ich nach einigen Vorbemerkungen zur Aufstellung der Bundeswehr versuchen, die tiefgreifenden Veränderungen der Reserve, die durch modifizierte Aufgaben und Strukturen des deutschen Heeres notwendig wurden, in den folgenden 4 Abschnitten darzustellen: 1. 1956 – 1969, Aufstellung des Heeres und der Territorialen Verteidigung 2. 1970 – 1994, Aufwachsen der Aufgaben des Heeres für die Landes- und Bündnisverteidigung, Verschmelzung von Feldheer und Territorialheer, Aufstellung des Heeres-Ost 3.1994 - 2006, Neue Aufgaben des Heeres durch Auslandseinsätze, Ausgliederung des Territorialheeres in die SKB und des Sanitätsdienstes in den Zentralen Sanitätsdienst der Bw 4.2006 – heute, das „Neue Heer“ für Friedens- und Kriseneinsätzen von UN, NATO, EU. Abschließend werde ich mit einigen Anmerkungen zu neuen Herausforderungen zusammenfassen. Nun zum Aufbau der Bundeswehr. Nach dem Ausbruch des Koreakrieges 1950 forderten die angelsächsischen Staaten einen deutschen Beitrag zur Verstärkung des westlichen Verteidigungsbündnisses. Dagegen schlug Frankreich die Bildung einer supranationalen Europa-Armee vor. Als 1952 die EVG in der französischen Nationalversammlung scheiterte, wurde der Weg für eine Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO frei. Schon 1952 bei der NATO-Tagung in Lissabon wurde ein Heeresbeitrags von 12 Divisionen fixiert. 1955 wurde die Bundesrepublik als 15. Mitglied in die NATO aufgenommen. Im November des gleichen Jahres wurden die ersten Freiwilligen in der Ermekeilkaserne in Bonn ernannt und ein Jahr später das Wehrpflichtgesetz beschlossen.

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Ekkehard Richter 9. November 2008Generalmajor a. D.

50 Jahre Reserve Heer- 50 Jahre Reservisten des Heeres –

Zunächst gratuliere ich dem Heer und seinen Reservisten, dass es durch den gemeinsamen, kameradschaftlichen Dienst und die Opferbereitschaft der Reservisten gelungen ist, in diesen 50 Jahren unserem Land den Frieden zu erhalten. Welchen ernsten Hintergrund diese allgemeine Feststellung hat, ist vielen erst bei der Auflösung der ehemaligen NVA und beim Abzug der Roten Armee bewusst geworden.Um die Aufgaben und Strukturen der Reserve des Heeres in diesem halben Jahrhundert deutlich zu machen, will ich nach einigen Vorbemerkungen zur Aufstellung der Bundeswehr versuchen, die tiefgreifenden Veränderungen der Reserve, die durch modifizierte Aufgaben und Strukturen des deutschen Heeres notwendig wurden, in den folgenden 4 Abschnitten darzustellen:

1. 1956 – 1969, Aufstellung des Heeres und der Territorialen Verteidigung2. 1970 – 1994, Aufwachsen der Aufgaben des Heeres für die Landes- und Bündnisverteidigung, Verschmelzung von Feldheer und Territorialheer, Aufstellung des Heeres-Ost3.1994 - 2006, Neue Aufgaben des Heeres durch Auslandseinsätze, Ausgliederung des Territorialheeres in die SKB und des Sanitätsdienstes in den Zentralen Sanitätsdienst der Bw4.2006 – heute, das „Neue Heer“ für Friedens- und Kriseneinsätzen von UN, NATO, EU.

Abschließend werde ich mit einigen Anmerkungen zu neuen Herausforderungen zusammenfassen.

Nun zum Aufbau der Bundeswehr.Nach dem Ausbruch des Koreakrieges 1950 forderten die angelsächsischen Staaten einen deutschen Beitrag zur Verstärkung des westlichen Verteidigungsbündnisses. Dagegen schlug Frankreich die Bildung einer supranationalen Europa-Armee vor.Als 1952 die EVG in der französischen Nationalversammlung scheiterte, wurde der Weg für eine Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO frei.Schon 1952 bei der NATO-Tagung in Lissabon wurde ein Heeresbeitrags von 12 Divisionen fixiert.1955 wurde die Bundesrepublik als 15. Mitglied in die NATO aufgenommen. Im November des gleichen Jahres wurden die ersten Freiwilligen in der Ermekeilkaserne in Bonn ernannt und ein Jahr später das Wehrpflichtgesetz beschlossen.

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1.1956 – 1969 Aufstellung des Heeres und der Territorialen Verteidigung. Zum Jahresanfang 1956 begann in Andernach mit den ersten 1000 Soldaten die Aufstellung des Heeres in der Heeresstruktur 1. Es sollten gleichzeitig drei nationale Korps und je 6 Panzer- und Grenadierdivisionen mit je drei Kampfgruppen aufgestellt werden. Ziel war es, im Rahmen der „Massive Retaliation“, die Einsatzbereitschaft der Truppe als M-Tag-Verbände binnen sechs Stunden herzustellen . Daher war in den Divisionen ein Einsatz von Reservisten nicht vorgesehen.Nach der Planung sollte der Umfang des Heeres 400 000 Mann umfassen.

Neben den drei Teilstreitkräften wurde das Kommando der Territorialen Verteidigung als selbständiger Organisationsbereich geschaffen. Beim Heer lag aber die Verantwortung für Aufstellung, Ausbildung und Erhaltung der TV.

Doch die Aufstellung des Heeres war zu optimistisch geplant. Bereits im Oktober 1956 erklärte der Verteidigungsminister, dass auf die gleichzeitige Aufstellung aller 12 Divisionen verzichtet und nur mit 7 Divisionen, dabei eine kleine Gebirgsdivision und zusätzlich einer kleinen Luftlandedivision begonnen würde. Er legte auch fest, dass die Aufstellung des Heeres Vorrang vor der Aufstellung der TV haben sollte. In den ersten Jahren fanden daher keine Aufstellungen von Truppenteilen der TV in nennenswerter Größe statt.Diese Zweitrangigkeit wirkte sich in der gesamten Geschichte der territorialen Komponente der Streitkräfte auch auf Bewaffnung und Ausstattung aus, obwohl sie die wichtige, nationale Säule der Verteidigung war.

Zwei neue Einschränkungen hatten dann negative Auswirkungen auf die Aufstellung des Heeres. Ende 1956 wurde der Friedensumfang des Heeres auf 195 000 Soldaten abgesenkt und der Grundwehrdienst nicht wie geplant auf 18 sondern nur auf 12 Monat festgelegt.

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Da an der Aufstellung von 12 Divisionen festgehalten wurde, musste das Ziel voll präsenter Verbände aufgegeben und die Divisionen und Verfügungstruppen im Frieden um 10 % und die Versorgungstruppen um 50 – 60 % gekürzt werden. Um im Kriegsfall die volle Stärke zu erreichen, mussten „Kriegsstellen“ geschaffen und deren Besetzung mit Reservisten vorbereitet werden.Dafür wurden im November 1957 Grundsätze für eine Mobilmachung des Heeres und für Einzelwehrübungen entwickelt. 1958 standen dem Heer die ersten, eigenen Reservisten zur Verfügung.

Auch sollten Offiziere und Unteroffizier der ehemaligen Wehrmacht als Reservisten gewonnen werden, da man auf sie für die Aufstellung von Geräteeinheiten angewiesen war. Zur Information gab der Bundesminister der Verteidigung ein Merkblatt heraus. Darin wurde angekündigt, dass die Bundeswehr im Laufe des Jahres 1958 Wehrpflichtige, die in der ehemaligen Wehrmacht als Offiziere und Unteroffiziere gedient hatten, zu freiwilligen Wehrübungen einziehen würde.

Am 5. August 1958 traten die ersten Reservisten ihre Einzelwehrübungen von mindestens vier Wochen im Heer an. Von den ersten Wehrpflichtigen hatten sich viele für eine dreimonatige Wehrübung oder für eine längere Zeit weiterverpflichtet. Die Anzahl der Reservisten von Angehörigen der ehemaligen Wehrmacht war aber gering.

Da sich nach der Zerschlagung des Volksaufstandes in Ungarn und nach der Ausrüstung der sowjetischen Landstreitkräfte mit taktischen Atomwaffen die internationale Lage verschärfte, musste die Struktur an die gewachsene Bedrohung angepasst werden. Die zu schwerfällige Gliederung der Divisionen sollte aufgegeben und atomfähige Waffensysteme im Heer eingeplant werden. So kam es zur Heeresstruktur 2 mit dem Konzept der Brigade.In der „Lehr- und Versuchsübung 58“ wurde die Brigadegliederung erfolgreich erprobt.Ich erinnere mich noch gut daran, dass unser Artilleriebataillon, das I. Btl des FAR 2, in das ich 1958 als OA eingetreten bin, mit Begeisterung an dieser ersten Großübung des Heeres teilnahm, ausgestattet mit Feldhaubitzen aus dem Koreakrieg, dem „Neckermannpanzer“ unserer Beobachter und dem abschließenden Manöverball, der damals noch üblich war.Bis Juli 1960 wurden 7 Divisionen nach dem Modell der „Division 58“ strukturiert und der NATO unterstellt, fünf weitere befanden sich im Aufbau. Die Verteidigungsstärke des mobilen Heeres betrug damals schon 168. 000 Soldaten.

Dagegen umfasste die Territoriale Verteidigung nur 30% der Sollstärke. Die Soldaten waren vor allem in den Stäben der sechs Wehrbereiche, den TV-Stäben, den späteren VBK, und bei nur wenigen Truppenteilen der Fernmelde-, der Feldjäger- und der Pioniertruppe eingesetzt.

Bei einer Planübung von AFCENT wurden im November 1959 der Ersatzes personeller Ausfälle und der Einsatz von Sicherungskräften geübt. Man stellte dabei fest, dass für den Personalersatz des Heeres noch keine Reserveeinheiten vorgesehen waren und die Kräfte für Sicherungsaufgaben nicht ausreichten.Daher wurde entschieden, dass jede Brigade ein Ersatzbataillon erhalten und dass Sicherungskräfte der Territorialen Verteidigung aufgestellt werden sollten.

Um die Truppenteile schneller mit Reservisten auffüllen zu können, wurde die „Alarmreserve“ geschaffen. Sie sollte aus Reservisten bestehen, die in einem Umkreis von höchstens 50 km von den Einheiten entfernt wohnten.

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Alarmierung und Ausbildung der Reservisten in Wehrübungen wurden nun zu einer wichtigen Aufgaben des Heeres.Dafür wurden Kurzwehrübungen bis zu 7 Tage und dienstliche Veranstaltungen eingeführt und ab 1960 Reservisten vermehrt zu Pflichtwehrübungen herangezogen. Oft waren die Truppenteile mit der Aufnahme von Reservisten aber überfordert, da sie meist die Aufstellung noch nicht beendet hatten, unter einem Fehl an Offizieren und vor allem an Unteroffizieren litten und notwendiges Personal für Neuaufstellungen abgeben mussten.

Ein Reservist stellte in seinem Erfahrungsbericht fest: „ ....Es kommt in den zur Verfügung stehenden vier Wochen darauf an, dass der Reservist diejenige Stelle ausfüllt, die der Mob-Plan seines Bataillons für ihn vorsieht. Er wird aber bald merken, dass eine solche Stelle in vielen Fällen für ihn nicht vorhanden ist. Er wird zu der Überzeugung kommen, dass von einer zielstrebigen und bewussten Weiterbildung und Ergänzung seiner Kenntnisse in der Truppe leider nur schwache Vorstellungen vorhanden sind. So kann es nicht ausbleiben, dass der Reservist sich in der Truppe manchmal als überflüssiges Rädchen einer großen Maschinerie fühlt.“Um die Reservisten besser betreuen zu können, befahl der Generalinspekteur eine gezielte Reservistenbetreuung auch außerhalb der Wehrübungen durch sogenannte Betreuungsbataillone der Territorialen Verteidigung.Zu deren Unterstützung waren alle aktiven Truppenteile der Teilstreitkräfte verpflichtet. Mit der Betreuung der Reservisten außerhalb der Streitkräfte wurde der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr beauftrag.Adalbert Weinstein, der erste Präsident des am 22. Januar 1960 gegründeten Verbandes der Reservisten, schrieb in der Nr.1 der Zeitschrift des Verbandes, „Die Reserve“, „Eine Armee ohne ausgebildete Reserven ist nur eine halbe Armee. Ihr Wert im Kriege ist nicht hoch anzusetzen, denn sie wäre in einer modernen Schlacht schnell verbraucht“.

Durch den Bau der Mauer in Berlin 1961 veränderte sich die Lage der Reservisten schlagartig. Die Bundesregierung ordnete für die Grundwehrdienstleistenden eine anschließende Wehrübung von drei Monaten an. Damit bestand das Heer auf einen Schlag zu mehr als 10% aus Reservisten.Als weitere Reaktion wurde der Grundwehrdienst auf 18 Monate erhöht.

Durch die Verschärfung der Lage erhielten Wehrübungen und Maßnahmen zur Mobilmachung Priorität. Der Schwerpunkt der Wehrübungstätigkeit lag nun bei Mobilmachungs- und Truppenwehrübungen.

Auch die Aufstellung neuer Geräteeinheiten der Territoriale Verteidigung wurde beschleunigt, was Truppe und Wehrersatzbehörden oft überforderte. Fehlende Unterbringungsmöglichkeiten, fehlende STAN-Unterlagen und fehlendes Gerät waren die Folge. Die materielle Mob- Ergänzung wurde daher besonders wichtig.

Um die Aufstellung der Territorialen Verteidigung voranzutreiben, ordnete der Verteidigungsminister 1963 die Aufstellung der „Territorialreserve“ für Sicherungseinsätze in Stärke von 50 000 Mann an. Dafür sollten gut ausgebildete Reserveverbände rein aus Reservisten aufgestellt werden, die im Nahbereich ihrer Einsatzorte wohnten, die ihre persönliche Ausrüstung mit nach Hause nahmen und deren Waffen und Gerät griffbereit in sog. „Rüsthäusern“ eingelagert werden sollte. Hinter dem Konzept stand die optimistische Annahme, dass allein Heimatliebe, Opferbereitschaft und Freizeitverzicht ausreichen würden, um Reservistentruppenteile auf rein freiwilliger Basis aufzustellen. Knapp acht Monate später hatten sich von 70 000

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angeschriebenen Reservisten 5.000 freiwillig gemeldet, von denen 3400 herangezogen werden konnten. Trotz verbessertem Arbeitsplatzschutz und erhöhtem finanziellem Entgeld war das Konzept nicht zu realisieren. Daher wurde 1965 der Auftrag zurückgezogen und im gleichen Jahr erfolgte die Umwandlung der Territorialreserve in Heimatschutztruppe. Es wurde die Aufstellung von Sicherungskompanien und deren Ausbildung in 22 Ausbildungszentren befohlen. An die Stelle der Freiwilligkeit trat die Pflichtwehrübung mit 15 Tagen pro Jahr.Die Ausbildung des aktiven Stammpersonals dieser Zentren und der Führer der Sicherungstruppenteile vom Gruppenführer bis zum Regimentskommandeur führte die Kampftruppenschule I des Heeres in Hammelburg durch. Voll verantwortlich für Führung, Einsatz, Ausbildung und Erziehung ihrer Sicherungstruppenteile waren dann die Kompaniechefs und Kommandeure nach dem Grundsatz „Reservisten bilden Reservisten aus“. Diese neue Struktur und die Ausbildungsmethode bewährten sich.

Ende der 60er Jahre war die Integration von Reservisten im Tagesdienst und von gekaderten Truppenteilen bei Übungen Routine. So nahmen z.B. im November 1968 an der Übung „Hermelin“ des I. Korps 1750 Reservisten teil.

1969 bei Abschluss der Struktur 2 mit einem Friedensumfang von rund 150 000 Mann hatte das Heer drei Korps und zwölf Divisionen - bis auf drei Brigaden – aufgestellt, 253 Geräteeinheiten eingerichtet und 164 000 Reservisten beordert.

Die Territoriale Verteidigung wuchs langsamer auf. Mit aktiven 20 000 Soldaten hatte man den Friedensumfangs nur zur Hälfte erreicht, die Verteidigungsstärke mit rund 240 000 Reservisten war aber schon damals über zehnmal so groß.

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Ende 1969 waren alle grundlegenden Gesetze und Erlasse für die Ableistung von Wehrübungen sowie für die Mobilmachungsvorbereitung in Heer und TV geschaffen. Sie mussten in den Folgejahren nur weiterentwickelt werden.

2. 1970 – 1994, Aufwachsen der Aufgaben des Heeres, Aufstellung des Heeres-Ost und Verschmelzung von Feldheer und Territorialheer

Ende der 60er Jahre veränderten das atomare Patt und die Erhöhung der konventionellen Kampfkraft der Streitkräfte des Warschauer Paktes sowie der Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei die sicherheitspolitische Lage entscheidend. Die NATO gab das Konzept der „Massive Retaliation“ auf und entwickelte mit der „Flexible Response“ und der „Vorbedachten Eskalation“ eine neue Konzeption zur Abschreckung.

So wurden ab 1970 Anpassungen des Heeres durch die Heeresstruktur 3 erforderlich. Grundsatz für diese Struktur war: Höhere Flexibilität durch Anpassung der Großverbände an die Geländestruktur mit dem „Jägerkonzept“, Erhöhung der Kampfkraft insgesamt und Schaffung von Reserven auf Korpsebene.Für die Umgliederung in Jägerdivisionen wurden zwei Panzergrenadierdivision ausgewählt. Auf Korpsebene wurden mit je einem Panzerregiment und einer für den Einsatz unterstellte Luftlandebrigade Reserven geschaffen.

Die Lage machte auch die Integration der Territorialen Verteidigung in eine umfassende Landesverteidigung erforderlich. Dies führte im März 1970 zur Auflösung des selbstständigen Organisationsbereiches KTV und zu dessen Eingliederung in das Heer als „Territorialheer“.

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Um zusätzliche Kräfte für die Landesverteidigung aufstellen zu können, zwang dies zu einer weiteren Abstufung der Präsenz und damit zu mehr Reservisten im Heer. Damit wurde das Heer zur militärischen Heimat der Masse der Reservisten.Für die Verstärkung des Territorialheeres wurde die Aufstellung von sechs Heimatschutzkommandos befohlen.Die Heimatschutzkommandos wurden zum Aushängeschild des Territorialheeres. In der Übung „Starke Festung“ 1970 wurde das Heimatschutzkommando vorgestellt. Es besaß eine Stärke von 1600 aktiven Soldaten und 6400 Reservisten und hatte den Auftrag, die Operationsfreiheit im rückwärtigen Gebiet sicherzustellen. Zusammen mit den Sicherungskompanien der VKK und den Jägerbataillonen der VBK vollständig aus Reservisten waren sie Garanten des Heimatschutzes und des Objektschutzes.

Das „Weißbuch 1970“ und die „Wehrstrukturkommission“ ein Jahr später wiesen auf eine noch stärkere Ausschöpfung des Reservistenpotentials hin. Die Kommission schlug vor eine besondere Ausbildungsorganisation, finanzielle Anreize für Wehrübungen und bevorzugte Beförderungen unter Einbeziehung der zivilen Ausbildung vor.

Der wachsenden Bedeutung der Reservisten wurde 1971 auch durch das Erlassen der ersten „Reservistenkonzeption der Bundeswehr“ und durch die erste „Weisung für die Reservistenarbeit des Heeres“ Rechnung getragen. Kernpunkte der Weisung waren die Aufträge für die „spezielle Reservistenarbeit“ der beorderten Reservisten in der Alarmreserve und Forderungen zur Unterstützung der allgemeinen Reservistenarbeit durch den Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr.

Als 1972 der Wehrdienst von 18 auf 15 Monate verkürzt wurde, erforderte dies die Schaffung einer Verfügungsbereitschaft von drei Monaten. Dadurch konnte die Truppe ohne Mobilmachung durch Rückruf der Verfügungsreservisten rasch aufgefüllt werden. Um den Friedensumfang der Streitkräfte um 30 000 Mann reduzieren zu können, wurde die Verfügungsbereitschaft später auf 12 Monate verlängert.1974 wurde die ersten gemeinsamen Übungen von Feld- und Territorialheer „Schneller Wechsel“ und Pfälzer Wald“ durchgeführt. Es nahmen 80 000 Soldaten, davon 13 000 Reservisten vor allem in Geräteeinheiten teil.In den Folgejahren fanden weitere Großmanöver statt, in denen die Reservisten ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen konnten. In der Heeresübung „Großer Bär“ zeigten 8000 Reservisten, dass auf sie Verlass war und sie sich nur durch Haar- und Barttracht von der aktivem Truppe unterschieden. So waren die Bataillone des Heimatschutzkommandos 15 schon früher als im Gedachten Verlauf vorgesehen einsatzbereit. Der KG des I. Korps stellte fest: „Die Btl waren zu einem Zeitpunkt einsatzbereit, der mir im Manöverablauf gar nicht passte. Aber weil sie nun fertig waren, haben wir sie einen halben oder gar einen ganzen Tag früher ins Manöver einbezogen“.In einem anderen Manöver des Wehrbereichs IV galt es die Zusammenarbeit ziviler und militärischer Dienststellen zu üben. Absicht war es, die Erfahrungen aus dem verheerenden Waldbrand in Niedersachsen aufzuarbeiten und Verbesserungen in der Zusammenarbeit zu erreichen.

Um zivile Führungskräfte mit dem Heer vertraut zu machen, wurden 1970 die ersten 31 Führungskräfte zu einer freiwilligen Informationswehrübung einberufen. Den Ungedienten wurde ein vorläufiger Offizierdienstgrad erteilt. Dies hat sich bis heute bewährt. Aus ihr

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wurde die „Ehemaligenkameradschaft der Reserveoffiziere ( Vorläufig )“ geschaffen, die noch heute existiert.

Die sicherheitspolitische Entwicklung war Ende der 70er Jahre durch das Gleichgewicht bei den strategischen Atomwaffen aber vor allem durch ein Ungleichgewicht im Mittelstreckenbereich durch die Aufstellung der SS-20 gekennzeichnet, was zur Nachrüstung führte. Auch die weitere Erhöhung der konventionellen Kampfkraft des WP durch zusätzliche Aufstellungen und die Einführung moderner Waffensysteme erzwangen Veränderungen des deutschen Heeres.

Bei der Heeresübung „Standhafte Chatten“ im Jahr 1977 wurden im Rahmen der Vorneverteidigung zwei Modellbrigaden in der geplanten Heeresstruktur 4 erprobt und für die Übung mit Reservisten der Verfügungsbereitschaft und mit Alarmreservisten aufgefüllt. Die Schnelligkeit der Abläufe bei der Einberufung umriss der Kommandeur eines Panzerbataillons mit den Worten: „ Dass muss man sich einmal vorstellen: Heute morgen waren sie noch in Zivil zu Hause und zwölf Stunden später finden sie sich im Kampfanzug und Feldjacke im finsteren Wald in Nordhessen wieder, in jeder Hand einen 20-Liter-Kanister und betanken die Leoparden des Panzerbataillons.“ In der Abschlussbesprechung stellte der Inspekteur fest: „ Die Großübung hat gezeigt, dass die Truppe und die Reservisten selbst erkannt haben, wie stark in einem Ernstfall beide Seiten aufeinander angewiesen sind, wenn es eine glaubhafte Abschreckung durch eine starke Bundeswehr geben soll.“

Ab Oktober 1980 begann die Umstrukturierung in die Heeresstruktur 4. Die Jägerdivisionen wurden wieder in Panzergrenadierdivisionen und zwei Panzergrenadierdivision in Panzerdivisionen umgewandelt und die drei fehlenden Brigaden aufgestellt, dafür aber die Panzerregimenter der Korps aufgelöst. Der Anteil der Reservisten auf Divisionsebene wurde durch die Aufstellung von zwei nichtaktiven Jägerbataillonen erhöht.

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In den Brigaden entstanden kleinere Kampfverbände und -einheiten in größerer Anzahl und die Einser-Bataillone, ein gemischter Verband mit einem nichtaktivem Stab aus Reservisten und drei aktiven Einheiten aus den übrigen drei Kampfverbänden der Brigaden.

Das Territorialheer erfuhr in der Heeresstruktur 4 eine erhebliche Erweiterung.Es gliederte sich weiter in drei Territorialkommandos, fünf Wehrbereiche und ein Verfügungstruppenkommando in Schleswig-Holstein, sowie 29 VBK und 80 VKK.Die sechs Heimatschutzkommandos wurden in Heimatschutzbrigaden umgewandelt und zusätzlich sechs nichtaktive aufgestellt. Dazu wurden 15 nichtaktive Heimatschutzregimentern für den Raumschutz sowie150 nichtaktiven Sicherungskompanien und rund 300 Sicherungszüge für den Objektschutz aufgestellt, noch weitere 300 Züge waren geplant. Der Objektschutz sollte besonders zur Motivation der Reservisten beitragen, da ihr Einsatzraum „direkt vor der Haustür“ lag.

Durch das „War Time Host Nation Support – Abkommen“ 1982 mit den USA erhielt das Territorialheer eine neue Aufgabe. Es wurde geplant, sechs Unterstützungskommandos neu aufzustellen. Zu den 1000 aktive Soldaten und 800 zivilen Mitarbeitern der sechs Unterstützungskommandos traten in Krise und Krieg 90 000 Reservisten., davon 80 000 in Heeresuniform.Die Neuaufstellung der WHNS war vor der Wende die letzte große Organisationsmaßnahme des Heeres.

Damit jedem im Heer deutlich wurde, wie abhängig Aktive und Reservisten von einander waren, befahl 1983 der Inspekteur, dass die aktiven Verbände mit den mobilmachungsabhängigen Truppenteilen offizielle Patenschaften zur gegenseitigen Unterstützung abzuschließen hatten.

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Um die Reservistenangelegenheiten besser koordinieren zu können, wurde der Stellvertreter des Inspekteurs des Heeres 1987 zum „Beauftragten für Reservistenangelegenheiten im Heer“ ernannt.

Um die Verantwortung der Kommandeure der Reserve zu unterstreichen, formierte sich 1986 hier in Hammelburg die „Arbeitsgemeinschaft der Kommandeure der Reserve des Heeres“.

In der Struktur 4 war für das Heer mit 345 000 Aktiven eine Mob-Ergänzung von 690 000 Reservisten erforderlich, davon allein für das Territorialheer rund 400 000. Dazu kamen noch etwa 300 000 Reservisten als Personalreserve des Heeres. Damit waren in dieser Struktur fast eine Million Reservisten zum Heer beordert. Das Heer und seine Reserve hatten damit ihren größten Umfang erreicht.Die Zahl der Wehrübungsplätze stieg im Heer von 4000 auf 5000, damit wurden pro Jahr 190 000 Wehrübende herangezogen. Es war und ist aber nicht die Quantität, die den Wert der Reserve und der Reservisten ausmacht, sondern deren Qualität als gestandene und qualifizierte Persönlichkeiten im Heer, im Berufsleben und in der Öffentlichkeit. Sie haben durch Ihre Sicht von außen dem Heer viele wertvolle Impulse gegeben und haben durch ihre Opferbereitschaft ermöglicht, dass das Heer seine Aufgaben erfüllen konnte.

Durch die Politik Gorbatschows begann Mitte der 80er Jahre eine spürbare Entspannung und die Abrüstungsgesprächen in Reykjavik, das INF-Abkommen sowie die KSE-Verhandlungen in Wien führten zu konkreten Abrüstungsmaßnahmen.

Ab 1987 sollte der Heeresumfang wegen der sich abzeichnenden Reduzierung der konventionellen Streitkräfte aber auch wegen zu knapper Haushaltsmittel um etwa 20% abgesenkt werden Doch sollte trotz personeller Reduzierung die Schlagkraft des Heeres weitgehend erhalten bleiben. Dazu wurde der Truppenversuch „ Kaderung und rascher Aufwuchs“ ( KURA ) für die Kampftruppenbataillonen mit Erfolg durchgeführt.

Mit der Wende in der DDR, der Öffnung der Mauer setzte dann der fundamentale, politische Umbruch ein, der uns – wie durch ein Wunder - die Wiedervereinigung brachte und die UdSSR und den Warschauer Pakt zusammenbrechen ließ.Die Auswirkungen auf die Streitkräfte und seine Reservisten waren gewaltig.

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Durch die Modalitäten für die Wiedervereinigung, die in dem Treffen zwischen Bundeskanzler Kohl und Präsident Gorbatschow im Kaukasus festgelegt und im 2+4- Vertrag ratifiziert wurden, erhielt die Bundeswehr einschließlich der NVA eine Obergrenze im Frieden von 370 000 Soldaten. Das bedeutete für das Heer inklusive der Landstreitkräften der NVA einen Umfang von insgesamt 255 000.

Nach 35 Jahren Aufwuchs, um die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung im Kalten Krieg erfüllen zu können, begann die Phase der Abrüstung und damit die Reduzierung des Heeres.Mit der Heersstruktur 5 wurde das Heer zunächst im Osten unseres Vaterlandes an die neuen Vorgaben anpassen.Die Verschmelzung der Kommandobereiche von Feldheer und Territorialheer waren Kennzeichen dieser Struktur.

Am 2. Oktober 1990 wurde die NVA außer Dienstgestellt und am 3. Oktober begann der Aufbau der Bundeswehr-Ost für zwei Divisionen mit fusioniertem WBKIch möchte in diesem Zusammenhang kurz darauf hinweisen, dass alle Soldaten der ehemaligen NVA, die als „Weiterverwender“ auch zwei bis drei Jahre in der Bundeswehr dienten, durch eine zu starre Regelung ohne Dienstgrad der Reserve entlassen werden mussten. Wir hatten dabei keinen Spielraum, was ich sehr bedauert habe.

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Die Erweiterung des Aufgabenspektrums des Heeres und finanzielle Kürzungen machten eine Anpassung der Struktur 5 erforderlich.Mit der modifizierte Heeresstruktur 5 (N), der umfangreichsten in der Geschichte des Heeres, wurden dann weitere Umstrukturierung im Westen durchgeführt.Das Heeresführungskommando wurde aufgestellt und die Korps erhielten multinationale Aufgaben. Die Divisionen wurde auf 8 reduziert und mit den 8 Wehrbereichen fusioniert. Die 48 Brigaden wurden auf 21 mit unterschiedlichem Präsenzgrad reduziert. In der Masse der Brigaden wurden die Kampfbataillonen in Stamm- und nichtaktiven Aufwuchsbataillonen umgegliedert. Erste nichtaktive Truppenteile des Territorialheeres wurden aufgelöst.Zahlreiche Reservisten mussten aus- oder umgeplant werden. Da eine erhebliche Anzahl ausgemustert wurden, z.T. nur durch Übersenden eines Bescheides, verlor das Heer viele enttäuschte Reservisten.

Vorbereitung und Einsatz zu ersten Friedens- und Kriseneinsätze„out of area“ im Zuge des Golfkrieges, in Kambodscha, Somalia und beim Krieg im ehemaligen Jugoslawien machten schon während der Umgliederungen erste organisatorische Maßnahmen für diese Einsätze durch Bildung eines Dispositivs des Heeres erforderlich, das jedoch noch keine Auswirkungen auf die Grundstruktur hatte.

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3.1994 - 2006, Neue Aufgaben des Heeres durch Auslandseinsätze, Ausgliederung des Territorialheeres in die SKB und des Sanitätsdienstes in den Zentralen Sanitätsdienst der Bw

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Erste Erfahrungen bei den Einsätzen im Ausland und die Reduzierung des Bundeswehrumfangs auf 340 000 sowie die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf 10 Monate erzwangen dann die Umstrukturierung zum„Neuen Heer für neue Aufgaben“. Während der Umstrukturierung begannen die Vorbereitungen und später die Einsätze mit IFOR und SFOR.Der Heeresumfang musste in der neuen Struktur auf 233.000 Soldaten reduziert werdenDas wesentliche Merkmal dieser neuen Heeresstruktur war, die Differenzierung in Krisenreaktionskräften für einen Einsatz im Ausland und in Hauptverteidigungskräfte für die Bündnis- und Landesverteidigung.

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Die präsenten Krisenreaktionskräfte hatten einen Umfang von 37 000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie FWDL. Die Hauptverteidigungskräfte waren weniger präsent und sollten durch Reservisten aufwachsen. Ensatzreservisten mit festen Verpflichtungszeiten wurden für Einsätze im Inland und auch im Ausland vorgesehen.Um ein Auseinanderfallen des Heeres in erstklassige und zweitklassige Truppenteile nicht entstehen zu lassen, wurden die Krisenreaktionskräfte- und die Hauptverteidigungskräfte nicht reinrassig in Großverbänden zusammengefasst sondern untereinander „vermascht“;

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Durch die Reduzierung wurden eine weitere Division mit Wehrbereich, 19 VBK mit nichtaktiven Truppenteilen und die Unterstützungskommandos WHNS aufgelöst. Die größten Veränderungen ergaben sich in der Struktur der Kampfbrigaden. Neben den präsenten Brigaden der Krisenreaktionskräfte wurden HVK-Brigaden nach dem KURA- System und acht Brigaden nach dem Prinzip „Stamm-Aufwuchs“ strukturiert. Dies erzwang komplette Neuaufstellungen von nichtaktiven Truppenteilen.In der territorialen Wehrorganisation blieben nur noch 47 Heimatschutzbataillone bestehen.Da der Sinn von Truppenwehrübungen jedoch bezweifelt wurde, nahm auch die Antrittsstärke der Reservisten um bis zu 50% ab. Daher wurde ihre Durchführung eingeschränkt und der Schwerpunkt wieder auf Einzelwehrübungen zur Führerausbildung gelegt.Für das Erreichen des Verteidigungsumfanges des gesamten Heeres waren noch rund 270 000 Reservisten erforderlich, damit bestand das Heer zu 40% aus Aktiven und zu 60 % aus Reservisten.

Die Struktur des „Neuen Heeres für neue Aufgaben“ wurde mit Masse bis zum Jahr 1997 eingenommen.

Da sich die Sicherheitslage durch die Zusammenarbeit mit Russland und seinen Nachbarstaaten sowie durch den Beitritt osteuropäischer Staaten in die NATO weiter entspannte, verloren die Vorkehrungen für die Landesverteidigung an unserer Grenze fast völlig an Bedeutung. Durch die Weisung „Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf“ wurde die Bw ab 1997 noch stärkerer auf Einsätze zur Friedenssicherung und Konfliktbegrenzung ausgerichtet. Neben den drei Teilstreitkräften wurden die neuen Organisationsbereiche „Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr“ und die „Streitkräftebasis“ geschaffen. Für das Heer brachte diese Weisung die Umstrukturierung in das „Heer der Zukunft“.

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Diese neue Struktur machte eine Reduzierung um rund 40 % auf eine Friedensstärke von 134 000 aktive Soldaten und Soldatinnen, die ab 2001 für alle Dienstposten eingestellt wurden, sowie eine Kürzung der Reserve auf rund 113 000 erforderlich. Damit sank erstmalig der Anteil der Reservisten unter den der Aktiven.Das Heer beschränkte sich nun auf seine „Kernaufgaben“ und gab „Unterstützungsaufgaben“ mit den dafür vorgesehenen Truppenteilen an die neuen Organisationsbereiche ab. Für die Reserve des Heeres brachte dies den größten Umbruch seit ihres Bestehens. Ihrer Aufgaben und Strukturen veränderten sich grundlegend.Es wurden über 50% der Reservisten des Heeres in die neuen Organisationsbereiche ausgegliedert, die für diese Reservisten und die nichtaktiven Truppenteile eigentlich keine Verwendung mehr hatten und ihre Auflösung vorsahen.

Im Heer wurde die Kommandostruktur mit Heeresführungskommando und Heeresamt schlanker. Anstatt der bisherigen sieben Divisionen konnten nur noch fünf ausgedünnte mechanisierte Divisionen und die Division Spezielle Operationen sowie die Luftbewegliche Division erhalten werden. Die reduzierten Divisionstruppen wurden im neuen Heerestruppenkommando zusammengefasst.

Gleichzeitig mit der Umstellung auf die neue Struktur musste das Heer ab 1999 alle erforderlichen Maßnahmen für die Ausrichtung auf KfOR und ab 2003 auf ISAF treffen.

Für die Reservisten bedeutet diese Neuausrichtung des Heeres den Einsatz im gesamten Aufgabenspektrum des Heeres, doch besonderes Gewicht hatten die Auslandseinsätzen von Spezialisten und das Schließen von Lücken im Inland durch Einsatzreservisten.

Etwa 6-8% der Kräfte bei Auslandseinsätzen wurden und werden durch Reservisten gestellt, davon etwa die Hälfte durch Angehörige der Bundeswehrverwaltung im Soldatenstatus.

In der Streitkräftebasis kamen als neue Aufgabe für Reservisten die Zivil –militärischen Zusammenarbeit im In- und Ausland hinzukam.Der Einsatz der Reservisten in den CIMIC- Truppenteile hatte beim Aufbau ziviler Infrastruktur in Bosnien herausragende Bedeutung. Dort wurden Reservisten auf Grund ihrer speziellen zivilberuflichen Fähigkeiten eingesetzt, über die die aktive Bundeswehr nicht verfügte. Diese Reservisten haben zum hohen Ansehen der Bundeswehr auf dem Balkan mit beigetragen.

Diese neue Struktur des Heeres wurde in der Masse bis 2006 eingenommen.

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4.2006 – heute, das „Neue Heer“ für Friedens- und Kriseneinsätzen von UN, NATO, EU.

Die umfangreichen Auslandseinsätze und eine weitere Umfangsreduzierung, um Betriebskosten zu Gunsten notwendige Materialinvestitionen einzusparen, machten bald die letzte Umstrukturierung der Bundeswehr mit einer Personalreduzierung auf 252 500 und auf 90 000 der Reserve erforderlich.Die Transformation der Bundeswehr wurde mit den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ vom Mai 2003 eingeleitet.

Mit der „Weisung zur Weiterentwicklung der Streitkräfte“ wurden als Ziele eine nachhaltige Verbesserung der Einsatzfähigkeit im multinationalen Umfeld und eine einsatzorientierte Ausrichtung der Streitkräfte vorgegeben.

Die „Konzeption der Bundeswehr“ legte dann für die neue Struktur fest, dass allein die Fähigkeiten für Auslandseinsätze strukturbestimmend sind. Das bedeutete grundsätzlich die Auflösung aller aktiven und nichtaktiven Truppenteile, die nur für territorialen Aufgaben und für Maßnahmen der Hilfeleistungen vorgesehen waren. Damit verlor die Masse der Reservisten ihre militärische Heimat. Zwar konnten sich Reservisten freiwillig für die Wehrdienstart „Hilfeleistung im Innern“ melden, die Schaffung einer Organisation dafür ist aber nur zum Teil durch die ZMZ-Stützpunkte und die ZMZ-Verbindungsorganisation erfolgt. Für die große Masse derjenigen Reservisten, die sich freiwillig für den praktischen Einsatz gemeldet haben, wurde noch keine Organisation geplant, was aber hoffentlich noch geschehen wird. Die derzeitige Lösung ist sehr unprofessionell, nicht zweckmäßig vorbereitet und kann nicht effektiv bei einem möglichen Einsatz sein.

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Für die Aufgaben der Reservisten wurde die „Konzeption für die Reservistinnen und Reservisten“ im September 2003 erlassen und die Neuerungen durch das Wehrdienstanpassungsgesetz umgesetzt. Es mag interessant sein, dass der Generalinspekteur nach den Terroranschlag vom 11. September 2001 eine grundsätzliche Überarbeitung des damaligen Entwurfs befahl. Er ließ die Forderung nach umfangreichen Sicherungskräften und die Streichung des Grundsatzes der „Freiwilligkeit“ aufnehmen. Doch dieser Ansatz fand nicht die Zustimmung der Leitung und die Konzeption wurde wieder rückgeändert.

Die wesendlichen Neuerungen der Reservistenkonzeption und auch die Gesetze zur Absicherung der Familien von Gefallenen im Auslandseinsatz und zur Versorgung und Weiterverwendung bei Verwundung im Auslandseinsatz - auch für Reservisten - sind Ihnen sicher bekannt. Ich will daher ich nur die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Freiwilligkeit für Beorderung und Wehrdienstleistungen ansprechen. Er könnte m.E. zum Stolperstein für diesen konzeptionellen Ansatz werden, wenn es nicht gelingt, die Gesellschaft und vor allem die Arbeitgeber von der Notwendigkeit und dem Wert des Dienstes des Reservisten zu überzeugen. Denn heute ist es dem Reservisten aufgebürdet, allein die Begründung der staatsbürgerlichen Pflicht für seinen Dienst als Reservist gegenüber seinem Arbeitgeber und seinem zivilen Unfeld zu vertreten. Ich halte dieses Abwälzung von Verantwortung auf die Schultern der Reservisten für äußerst problematisch.Auf Struktur und Umfang des „Neuen Heeres“ gehe ich nicht mehr ein, da dies Gegenstand ihrer Tagung war.

Besonders herausstellen möchte ich aber doch, dass die SKB im Gegensatz zum Heer die konzeptionelle Neuausrichtung ab 2006 mit der Auflösungen der Heimatschutzverbände m. E. ohne Not überstürzt umsetzte. Die Masse dieser Reservisten wurde kurzfristig ausgeplant, da für sie keine Verwendung mehr vorhanden war. Nur für einen kleinen Teil vor allem der Offizier- und Feldwebeldienstgrade konnten die neue Verbindungsorganisation der zivilmilitärischen Zusammenarbeit auf Bezirks- und Kreisebene mit rund 5000 Dienstposten und die neuen ZMZ-Stützpunkte zu einer Einplanung führen.

Zusammenfassung:Ich will zusammenfassend feststellen, dass das deutsche Heer, wie auch die Bundeswehr insgesamt, erstmalig über keine strukturellen Reserven mehr verfügt und damit auch keine strukturelle Aufwuchsfähigkeit für Maßnahmen der Sicherheitsvorsorge mehr besitzt. Es ist auch das erste Mal in der Geschichte unserer Bw, dass keine speziellen Kräfte für den Schutz der Bevölkerung im Inland, für Sicherungsaufgaben und nur sehr geringe für den speziellen Einsatz zur subsidiären Hilfeleistung eingeplant sind, Bei Bedarf müssten sie aus den Kräften herausgeschnitten werden, die für Auslandseinsätze vorgesehen sind.

Für Maßnahmen einer Sicherheitsvorsorge, die für mögliche aber unerwartet eintretende Entwicklungen angelegt sein sollten, verfügt das Heer und auch die SKB damit über keine speziellen KräfteGrund dafür ist auch, dass die Teilkonzeption „Rekonstitution“ auf Eis gelegt ist.

Die Reserve des Heeres mit 11 Ergänzungsbataillonen dient ausschließlich der Sicherstellung der personellen Durchhaltefähigkeit. Ich persönlich sehe in den Ergänzungstruppenteilen des Heeres aber nicht nur das Sicherstellen der Durchhaltefähigkeit der aktiven Truppe. Ich meine, das mit diesen ausgebildeten und strukturierten Personalverbänden grundsätzlich auch Möglichkeiten zurSchaffung einer neuen Reserve des Heeres gegeben sind, wenn dies erforderlich wäre. Dies

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ist aber meine ganz persönliche Meinung, die nicht der offiziellen Sicht der Bundeswehr oder des Heeres entspricht.

Denn die jetzige Struktur des Heeres wird sicher nicht die letzte sein, neue Herausforderungen deuten sich an.

Entscheidungen zum Beibehalten oder Aussetzung der Wehrpflicht könnten schon nach der nächsten Bundestagswahl zu einer Grundsatzfrage für die Struktur werden und der Rückgang der verfügbaren, wehrfähigen jungen Männer wird die Bundeswehr vor erhebliche Herausforderung bei der Personaldeckung stellen.

Die innere und äußere Sicherheit ist nicht mehr lupenrein zu trennen, terroristische Bedrohung und internationale Kriminalität nehmen auch in unserem Land zu und werden wohl zu neuen Maßnahmen der Sicherheitsvorsorge auch mit den Streitkräfte führen.

Die außenpolitische Lage hat sich durch das Erstarken Russlands verändert, was sich deutlich nach dem Einmarsch in Georgien zeigte, auch die Situation der Ukraine und die Stationierung der Schwarzmeerflotte, könnten schwierige Lagen schaffen.

Der Klimawandel und die Begrenztheit von Energieressourcen, Nahrungsmittel und Trinkwasser besitzen Konfliktpotential und könnten zu ernste Krisen führen, wenn sie nicht in globaler Zusammenarbeit gelöst werden.

Die Welt ist keine „Kristallkugel“, die Zukunft wird, wie schon in der Vergangenheit, zu überraschenden Entwicklungen führen, auf die es sich durch Maßnahmen einer klugen Sicherheitsvorsorge einzustellen gilt.

Dafür braucht unser Land auch in Zukunft ein starkes Heer mit einer verlässlichen Reserve und engagierte Reservisten, die ihre militärische Heimat im Heer haben und sich für die Sicherheit unseres Landes so einsetzen, wie sie es in den vergangenen 50 Jahren mit Erfolg getan haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.