6 Klassische Bergfotografie 6.1 Gipfel und Täler 6.2 Berge ... · 141 6.1 Gipfel und Täler 6.1...

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141 6.1 Gipfel und Täler 6.1 Gipfel und Täler Ganz langsam schiebt sich ein blauer Lichtsaum über den Horizont. Er lässt Kon- turen erkennen und erste Farben. Ich krie- che aus dem Schlafsack, ziehe die Schuhe und warme Kleidung an. Nach ein paar Mi- nuten Armkreisen kommt wieder Leben in meinen Körper. Dann fokussiert sich mein Geist und mein Blick wieder auf Bilder. Mit dicken Handschuhen baue ich ungelenk das Stativ auf. Das Handling ist zwar müh- sam, aber doch irgendwie machbar. Es ist in über zwei Jahrzehnten Fotografie zur Routine, ja fast zum Ritual geworden. In wenigen Minuten kommt das »gute« Licht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein- lichkeit werden es heute eindrucksvolle Bil- der. Allerdings »nur« klassische Bergland- schaft, ohne Models, ohne Action, ohne Auftrag, einfach nur für mich. Wertvoll sind sie dennoch, nicht weil es gerade 20 Grad minus hat, oder der sechsstündige Aufstieg gestern mit dem zwanzig Kilo- gramm schweren Rucksack mühsam war, sie werden wertvoll, weil die Nacht, der Sonnenaufgang, die Szenerie und der Mo- ment hier oben so einmalig sind. Solche Erlebnisse machen Bergfotografie zu etwas Besonderem. Aus dem Auto aussteigen und nach ein paar Schritten irgendwo in der Natur gute Bilder ma- chen kann (fast) jeder. Aber der persönli- che Wert einer Aufnahme steigt mit dem Aufwand, mit der Intensität des Erlebten und mit der Anstrengung. Bergfotogra- fie ist eigentlich nichts anderes als klassi- sche Landschaftsfotografie – nur eben in den Bergen. Ich muss und will mir die Bil- der erlaufen, manchmal auch erleiden. Fotografie wird für mich so zum sport- lich kreativen Gesamterlebnis. 6.2 Berge im Licht 6.2 Berge im Licht Man lernt nie aus. Dieser Satz begleitet mich als Fotograf seit 20 Jahren. Mein be- rufliches Leben ist eine ständige Heraus- forderung, gepaart mit der Notwendigkeit ständig dazuzulernen. Vor nicht allzu langer Zeit reifte in mir der Plan zu einer großen Tour. Das Ziel: in 15 Tagen die Alpen im Winter an ihrer breites- ten Stelle zu überschreiten – ein Transalp mit Tourenski! Bereits im Vorfeld träumte ich von Übernachtungen in großer Höhe, von einzigartigem Licht und vielen ein- drucksvollen Landschaftsbildern. Zusam- men mit Freunden habe ich das Projekt dann zwar erfolgreich verwirklicht, aber fotografisch lief sehr vieles anders, als ich dachte: Das Wetter, die Bedingungen und die Route selbst waren deutlich anspruchs- voller als erwartet. Meist waren wir 10 bis 13 Stunden unterwegs und kamen erst spätnachmittags an der nächsten Hütte an. Dort waren wir in der Regel physisch und auch psychisch »am Ende«. Wir woll- ten nur noch Ruhe und möglichst viel es- sen und trinken. Es war für mich einfach unmöglich, anschließend nochmals ir- gendwo hinauf zu gehen, um schöne Landschaften zu fotografieren. Was ich da- gegen viel umfangreicher als erwartet rea- lisieren konnte, waren spannende und au- thentische Reportagefotos. Zu Beginn war ich verwundert darüber, vielleicht auch ein wenig enttäuscht. Aber schon nach kurzer Zeit war klar: Die Realität ist stärker als meine Wünsche. Die Natur hatte mir mit aller Kraft und Eindeutigkeit vorgegeben, was Sache ist. Und die Natur sitzt letztend- lich am längeren Hebel. Was will bzw. kann ich aus dieser Erfah- rung weitergeben? Es sind weder techni- sche Tipps noch Ausrüstungsempfehlun- gen. Es geht vielmehr um die grundsätz- liche Herangehensweise an fotografische Projekte bzw. Träume und deren Planung und Umsetzung. 6 KLASSISCHE BERGFOTOGRAFIE 6 Klassische Bergfotografie Klassischer geht‘s nicht: der Alpamayo in der Cordil- lera Blanca, Peru. Canon EOS 5D, Zeiss Vario-Sonnar 100-300 mm f4,5-5,6 bei 200 mm und Blende 11, 1/200 Sekunde, ISO 200, Polfilter, Stativ.

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6.1 Gipfel und Täler6.1 Gipfel und Täler

Ganz langsam schiebt sich ein blauer Lichtsaum über den Horizont. Er lässt Kon-turen erkennen und erste Farben. Ich krie-che aus dem Schlafsack, ziehe die Schuhe und warme Kleidung an. Nach ein paar Mi-nuten Armkreisen kommt wieder Leben in meinen Körper. Dann fokussiert sich mein Geist und mein Blick wieder auf Bilder. Mit dicken Handschuhen baue ich ungelenk das Stativ auf. Das Handling ist zwar müh-sam, aber doch irgendwie machbar. Es ist in über zwei Jahrzehnten Fotografie zur Routine, ja fast zum Ritual geworden. In wenigen Minuten kommt das »gute« Licht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-lichkeit werden es heute eindrucksvolle Bil-der. Allerdings »nur« klassische Bergland-schaft, ohne Models, ohne Action, ohne Auftrag, einfach nur für mich. Wertvoll sind sie dennoch, nicht weil es gerade 20 Grad minus hat, oder der sechsstündige Aufstieg gestern mit dem zwanzig Kilo-gramm schweren Rucksack mühsam war, sie werden wertvoll, weil die Nacht, der Sonnenaufgang, die Szenerie und der Mo-ment hier oben so einmalig sind.Solche Erlebnisse machen Bergfotografie zu etwas Besonderem. Aus dem Auto aussteigen und nach ein paar Schritten irgendwo in der Natur gute Bilder ma-chen kann (fast) jeder. Aber der persönli-che Wert einer Aufnahme steigt mit dem Aufwand, mit der Intensität des Erlebten und mit der Anstrengung. Bergfotogra-fie ist eigentlich nichts anderes als klassi-sche Landschaftsfotografie – nur eben in den Bergen. Ich muss und will mir die Bil-der erlaufen, manchmal auch erleiden. Fotografie wird für mich so zum sport-lich kreativen Gesamterlebnis.

6.2 Berge im Licht6.2 Berge im Licht

Man lernt nie aus. Dieser Satz begleitet mich als Fotograf seit 20 Jahren. Mein be-rufliches Leben ist eine ständige Heraus-forderung, gepaart mit der Notwendigkeit ständig dazuzulernen. Vor nicht allzu langer Zeit reifte in mir der Plan zu einer großen Tour. Das Ziel: in 15 Tagen die Alpen im Winter an ihrer breites-ten Stelle zu überschreiten – ein Transalp mit Tourenski! Bereits im Vorfeld träumte ich von Übernachtungen in großer Höhe, von einzigartigem Licht und vielen ein-drucksvollen Landschaftsbildern. Zusam-men mit Freunden habe ich das Projekt dann zwar erfolgreich verwirklicht, aber fotografisch lief sehr vieles anders, als ich dachte: Das Wetter, die Bedingungen und die Route selbst waren deutlich anspruchs-voller als erwartet. Meist waren wir 10 bis 13 Stunden unterwegs und kamen erst spätnachmittags an der nächsten Hütte an. Dort waren wir in der Regel physisch und auch psychisch »am Ende«. Wir woll-ten nur noch Ruhe und möglichst viel es-sen und trinken. Es war für mich einfach unmöglich, anschließend nochmals ir-gendwo hinauf zu gehen, um schöne Landschaften zu fotografieren. Was ich da-gegen viel umfangreicher als erwartet rea-lisieren konnte, waren spannende und au-thentische Reportagefotos. Zu Beginn war ich verwundert darüber, vielleicht auch ein wenig enttäuscht. Aber schon nach kurzer Zeit war klar: Die Realität ist stärker als meine Wünsche. Die Natur hatte mir mit aller Kraft und Eindeutigkeit vorgegeben, was Sache ist. Und die Natur sitzt letztend-lich am längeren Hebel.Was will bzw. kann ich aus dieser Erfah-rung weitergeben? Es sind weder techni-sche Tipps noch Ausrüstungsempfehlun-gen. Es geht vielmehr um die grundsätz-liche Herangehensweise an fotografische Projekte bzw. Träume und deren Planung und Umsetzung.

6 KLASSISCHE BERGFOTOGRAFIE6 Klassische Bergfotografie

Klassischer geht‘s nicht: der Alpamayo in der Cordil-lera Blanca, Peru. Canon EOS 5D, Zeiss Vario-Sonnar 100-300 mm f4,5-5,6 bei 200 mm und Blende 11, 1/200 Sekunde, ISO 200, Polfilter, Stativ.

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6.2 Berge im Licht

Sich treiben lassen

Unglaublich viel in unserem Leben ist vorgegeben. Die Uhr ist unser ständiger Begleiter. Können wir überhaupt noch loslassen? Stellen Sie sich folgende Situ-ation vor: Sie haben ein paar Tage Zeit. Der Fotorucksack ist bepackt mit einer Auswahl an Equipment für die Land-schafts-, aber auch ein wenig Zubehör für die Makrofotografie. Mit im Gepäck verschiedene Landkarten und die nötige Bergausrüstung. Nicht mit dabei: ehr-geizige Ziele und das Handy. Die Wetter-berichte sind ausnahmsweise egal. Während der Fahrt läuft gute Musik. Dann ist da plötzlich eine Frühlingswie-se, dahinter ein See, dahinter ein Berg, und, und, und. Können Sie sich vorstel-len, welchen Freiraum es bedeutet, hier einfach bleiben zu können? Sie legen sich in die Wiese und schauen durch den Sucher. Es öffnet sich ein fotografi-scher Mikrokosmos, der einen alles an-dere vergessen lässt. Genau hier und jetzt kann die Kreativität beginnen. Mein Tipp: Planen Sie nicht jede Foto-tour mit Start und Ziel, sondern folgen Sie auch mal den eigenen Gefühlen, Stimmungen und Launen.

Die geplante Tour

Oft jedoch wissen wir, was wir wollen. Wir haben ein Motiv im Kopf, einen be-stimmten Berg als Ziel, oder ein konkre-tes fotografisches Projekt. Den Anforde-rungen entsprechend packen wir die Berg- und Fotoausrüstung. Wir studieren Karten und Führer. Manchmal müssen wir sogar für ein konkretes Ziel in den Bergen trainieren. Aber welche wesentli-chen fotografischen Faktoren muss man bezüglich der Planung beachten?

Das Literaturstudium

Wer Überraschungen vermeiden will bzw. sich schon vorab inspirieren lassen will, kann zur geplanten Region vorhandene Bilder, Postkarten, das Web oder Bildbän-de durchblättern, um schon erste gute Standpunkte und Motive zu finden. Aber Vorsicht: inspirieren ja – kopieren nein. Wer nur kopiert, ist nicht kreativ und wird auch nicht kreativ. Weder die Freude noch die Befriedigung am guten Bild wird sich bei einer »Kopie« wirklich einstellen.

Das Kartenstudium

Mit Hilfe guter Karten erarbeite ich mir ganz wesentlich meine fotografischen Ziele. Es gilt u.a. folgende Fragen zu be-antworten: Wo könnten gute Stand-punkte sein, zum Beispiel Bergseen mit schöner Kulisse dahinter, oder Kuppen, Grate und andere erhöhte Punkte mit guter Fernsicht? Wo geht die Sonne auf und welchen Teil des Motivs, ganz gleich ob Berg, See oder Hütte, beleuchtet sie? Ein weiterer wichtiger Punkt, den es zu beachten gilt: Liegt in Richtung des Son-nenaufgangs ein anderer Berg, der das Licht abhalten könnte? Übrigens können GPS-Geräte wie das Satmap nun endlich topografische Kar-ten nutzen und sind damit ideal zur Rou-tenfindung, u.a. bei Nebel und Schlecht-wetter. Dennoch können sie, allein schon wegen der Gesamtübersicht, ein gutes Kartenblatt (im Maßstab 1:25.000 oder 1:50.000) niemals vollständig ersetzen.

Der Faktor Wetter

Vor jeder Tour verfolge ich akribisch die Wetterberichte. Es hat natürlich keinen Sinn, als Motiv die Westseite eines Berges im Abendlicht zu planen, wenn tagelang feuchtwarme Luftmassen aus Südwesten für eine hohe Gewitter-Wahrscheinlichkeit am Nachmittag sorgen. Bei solchen Wet-terlagen suche ich mir besser ein ostseitig exponiertes Ziel, da nach einem abendli-

In dieser Lage vergisst man jedes Alltagsproblem. Bernd mit Schlüsselblume.

Eine gute Karte verschafft Übersicht; mittels GPS, wie hier dem Satmap Active 10 mit topografischen Karten(!), gelingt die Detailplanung.

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6.2 Berge im Licht

chen Gewitter die Luft meist für einige Zeit klar ist und am Folgetag ein schöner Sonnenaufgang zumindest wahrschein-lich ist. Vor jeder Tour recherchiere ich auch den exakten Zeitpunkt des Sonnen-auf- bzw. Sonnenuntergangs über lokale Tageszeitungen oder das Internet.

Die Locationsuche

Manchmal komme ich mir vor wie ein Lo-cation-Scout. Ein gehöriger Teil meiner Zeit in den Bergen vergeht mit »Sehen und Suchen«. Nehmen wir zum Beispiel das Motiv der Zugspitz-Westwand. Ein wunderschöner Standpunkt hierfür ist die Bleispitze in den Lechtaler Alpen. Aber wo dort – am Gipfel, am Grat? Mein Zeitplan sieht eigentlich immer ein bis zwei Stun-den für die Standpunktsuche vor. Das heißt, wenn um 18 Uhr der Sonnenunter-gang ist, bin ich spätestens um 16 Uhr vor Ort, um einen schönen Standpunkt oder einen geeigneten Vordergrund zu finden.

Der Zeitplan

Diesen bergsteigerisch einzuhalten lernte ich schon als Kind durch ein unvergleich-liches Buch von Gaston Rebuffat: »In Fels, Firn und Eis«. Gleichwohl sind Stress und Zeitdruck in den Bergen fotografische Kreativitätskiller! Deshalb ist es, zumin-dest bei geplanten Touren, notwendig, einen Zeitplan zu erarbeiten und auch einzuhalten. Die zeitliche Planung für eine Fotowanderung in den Bergen ist je-doch relativ einfach: Durchschnittliche Wanderer sollten, in Anbetracht der schweren Fotoausrüstung, mit 300 Hö-henmetern pro Stunde im Aufstieg kalku-lieren. Beinhaltet die Route lange Flach-strecken, kommt nochmals eine Stunde je vier Kilometer Wegstrecke hinzu. Ein Beispiel: Für eine Sonnenuntergangstour auf den Jochberg in den bayerischen Vor-bergen sollte man 2 bis 2,5 Stunden Geh-zeit bis zum Gipfel einplanen. Der Auf-stieg vom Kesselberg hat gut 700 Höhen-

meter und beinhaltet keine größeren Flachstücke. Hinzu kommen ca. 1–2 Stun-den für die Locationsuche. Wenn um 18 Uhr die Sonne untergeht, empfiehlt sich dementsprechend ein Start um 14 Uhr.

Alleine oder im Pulk?

Wann bin ich kreativer? Wenn ich umge-ben bin von anderen Fotoenthusiasten, oder wenn ich ganz alleine und damit ungestört und flexibel auf Tour bin? Bei-des hat seinen Reiz. Einerseits kann man von Gleichgesinnten sehr viel lernen, an-dererseits ist in Gesellschaft für viele ein völliges Loslassen vom Alltag und damit uneingeschränkte Offenheit und Kreati-vität für Motive nicht möglich. Deshalb mein Tipp: trauen Sie sich und genießen Sie es, alleine unterwegs zu sein. Ein Satz steht hier stellvertretend für viele, oft un-ausgesprochene Gefühle: »Es gibt nichts Schöneres als alleine unterwegs sein zu dürfen und nichts Schlimmeres als allei-ne unterwegs sein zu müssen«.

Die Abwechslung

Materielle Bescheidenheit ist mir, ökolo-gisch gesehen, wichtiger denn je. Den-noch: Ich benötige eine umfangreiche Ka-meraausrüstung, samt Zubehör wie Blitz-anlagen, Aufhellern und Stativen, um den sehr unterschiedlichen Anforderungen meiner durchaus anspruchsvollen Auf-traggeber gerecht zu werden. Worauf will ich hinaus? Ich bin in der glücklichen Lage (und dankbar darüber), dass ich, je nach Fototour, zwischen vielen verschiedenen Objektiven wählen kann. Das bringt Ab-wechslung in meinen über 20 Jahre wäh-renden Fotoalltag. Manchmal ziehe ich nur mit zwei Objektiven los: dem 100-mm-Makroobjektiv und dem 21-mm-Weitwin-kelobjektiv. Zum einen »ist weniger manchmal mehr«, zum anderen schöpfe ich damit die reduzierten technischen Möglichkeiten viel intensiver aus. Mein Auge wird nicht irritiert durch zahllose mögliche Bildwinkel, sondern konzent-

riert sich auf ein paar wenige, klar defi-nierte Sichtweisen. Oft bin ich dann über Wochen wieder auf großen Werbepro-duktionen, wo ich zehn und mehr Objek-tive dabei habe. Aber genau dieser extre-me Wechsel zwischen maximaler Technik und Minimalismus bringt mir die nötige Abwechslung und erhält mir den Spaß an der Fotografie. Mein Tipp: Variieren Sie, wenn möglich, das Equipment und die In-halte, z.B. eine Tour mit dem Schwerpunkt Makrofotografie, eine andere mit dem Ziel, weite Panoramen zu fotografieren. Dies bringt Abwechslung und ist Heraus-forderung zugleich.

Der Genussfaktor

Ist es in den Bergen wirklich nur die Foto-grafie, die den Spaß, die Bestätigung, die Glückseligkeit bringt? Ich glaube nicht. Da ich selbst »vom Bergsteigen komme«, ist mir seit jeher auch »der Weg das Ziel«. Wenn dann allerdings am rechten Ort ein traumhaftes Licht die Landschaft in Sze-ne setzt, bin ich natürlich auf »180« und mit Haut und Haaren auf die Fotografie konzentriert. Nichtsdestotrotz versuche ich die Kamera auch mal bei seite zu le-gen und die Landschaft, das Licht und damit auch einfach den Moment zu ge-nießen. Kein Foto der Welt ist für mich so viel wert, wie das Erlebnis bzw. die un-vergesslichen Eindrücke eines Sonnenun-terganges am Olperer.

Das Wetter und die Jahreszeiten

Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Ausrüstung – wie wahr! Eine gute Kamera funktioniert immer, bei jedem Wetter, bei jeder Temperatur. Nur derjenige, der ihr die guten Bilder entlo-cken soll oder will, hat manchmal Lade-hemmungen. Entweder ist es ihm zu kalt, zu anstrengend oder das Licht zu schlecht – alles Ausreden!Fotografieren kann man das ganze Jahr über und vor allem bei (fast) jedem Wet-ter. Bis auf wenige graue Novembertage

Besonders im Hochsommer sollte der Zeitplan eingehalten werden, gerade wenn an feucht-warmen Tagen die Gewittergefahr groß ist. Canon EOS 1Ds Mark III, Zeiss Vario-Sonnar 100-300 mm f4,5-5,6 bei 200 mm und Blende 11, 1/8 Sekunde, ISO 200, Stativ.

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mit Dauerregen haben jede Jahreszeit und jedes Wetter ihre Reize. Ich liebe zum Beispiel den Früh- und Hochwinter, wenn erste Schneefälle die Bergwelt angezu-ckert haben oder sich im Tal ein schöner Wald im Schneetreiben verliert. Auch wenn die Kälte erste Eisgirlanden in Schluchten und an Gewässer zaubert oder Bäume und Büsche unter einer di-cken Reifschicht verschwinden, durch-streife ich gerne die Natur. Aber auch wenn schwerer Herbstnebel über einem Moor liegt oder einem träge dahin mäan-dernden Flusslauf, bieten sich verschie-denste Motive an. Alles Stimmungen, die das nicht Alltägliche zeigen, die Fotogra-fie aber damit erst interessant machen.Es gibt eigentlich nur wenige Wettersituati-onen, die ich nicht mag: wie schon gesagt jene tristen und grauen November- oder Apriltage, wo sich die Landschaft in drecki-gem Grau verliert, kein Laub mehr für Le-ben und Farbe im Bild sorgt und kein Neu-

schnee alles unschöne unter sich begräbt. Auch die typisch dunstigen Hochsommer-tage mit feuchtigkeitsgeschwängerter Luft in den Tälern und oftmals langweiligem Licht in den Bergen meide ich. Abgesehen von normalen Auftragsarbeiten für Touris-musverbände – die ihren Gästen immer nur blauen Himmel verkaufen wollen – mag ich eigentlich auch keinen wolkenlosen, blau-en Himmel. Fotogene Bewölkung, dramati-sche Stimmungen oder gar Nebel und Sturm haben meist mehr Aussagekraft als der blaueste Himmel. Natürlich lässt sich die ganze fotografi-sche Technik leichter und vor allem auch gemütlicher bei schönem Wetter erler-nen, wer anschließend jedoch das Ganze in kreative und nicht alltägliche Bilder umsetzen will, dem kann ich nur einen Tipp geben: raus, raus und nochmals raus in die Berge, und zwar bei jedem Wetter.

Die Tageszeiten

In früheren Ausgaben dieses Lehrbuches erzählte ich an dieser Stelle von den foto-grafischen Reizen der Mitternachtssonne auf den Lofoten, von wenig Schlaf und Stürmen.Heute – mittlerweile im 46. Lebensjahr – weiß ich, es geht auch anders: So erzähl-te ich kürzlich im Freundeskreis von mei-ner letzten Reise um die Weihnachszeit nach Arizona. Das Nachmittags- Foto-shooting konnte ich dort gemütlich zwi-schen die Kaffeepause und das Abendes-sen einschieben. Sonnenuntergang war um ca. 17 Uhr, Sonnenaufgang kurz nach 8 Uhr – na, das sind doch humane Arbeitszeiten ... ! Hämisch frotzelten meine Freunde: »Bernd, langsam wirst du alt!« Ich konter-te natürlich sofort: »Alles Erfahrung und

die kommt bekanntlich mit dem Alter!«Freilich war dies nur ein bedingt ernst ge-meintes Beispiel, denn ein ambitionierter Fotograf wird sich stets nach den Gege-benheiten richten – also nach den tages-zeitlichen Phasen des besten Lichts.Wie wichtig diese Phasen sind, beschreibt die Tatsache, dass rund 90 % aller Abbil-dungen in diesem Buch entweder im Licht des frühen Morgens oder am späten Nach-mittag bzw. am Abend fotografiert wur-den. Nur bei schlechtem Wetter oder bei anderweitig interessantem Licht – durch Wolken, Sturm oder Nebel etc. – bin ich den ganzen Tag über am Fotografieren. Bei schönem Wetter, das heißt blauem Himmel, meide ich die Mittagsstunden wie die Katze das Wasser. Die Sonne steht senkrecht, ihr Licht ist hart und kalt, die Schatten sind viel zu kurz, kaum ein Film oder Sensor kann diesen Kont-rastumfang wiedergeben. Nur im De-

zember und Januar steht in den Alpen die Sonne auch in den Mittagsstunden so tief, dass man fast das gesamte Tages-licht für die Fotografie nutzen kann. Zu allen anderen Jahreszeiten bringt erst die tieferstehende Sonne wieder weiches und warmes Licht, modelliert über Schat-ten wieder Strukturen und Formen in die Landschaft. Kurz vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang ist das Licht röt-lich warm. Nur in dieser kurzen Zeit ent-stehen all die farbintensiven, manchmal fast kitschigen Bilder des für viele so be-gehrten und berühmten »Alpenglühens«.Bleibt unterm Strich nur das Fazit: Wer gutes Licht will, muss früh aufstehen und/oder abends länger aktiv bleiben. Auch vor Sonnenaufgang und nach Sonnenun-tergang bieten die verschiedenen Tönun-gen des Himmels abwechslungsreiche Motive. Der Wecker gehört deshalb zur Grundausrüstung eines Fotografen.

Ein Grashalm mit Spinnennetz, eigentlich unspekta-kulär. Erst als ich die Stirnlampe als Gegenlichtquelle einsetzte begann das Motiv zu »leuchten«. Hollers-bachtal, Hohe Tauern, Österreich. Canon EOS 5D Mark II, EF 100 mm Makro IS f2,8 bei Blende 6,3, 1/640 Sekunde, ISO 800.

Gut aufgestützt und mit den richtigen Einstellungen sind auch bei wenig Licht scharfe Aufnahmen möglich. Cresta della Croce, Adamello Gebiet, Italien. Canon EOS 5D Mark II, EF 24 mm L II f 1,4 bei Blende 1,4, 1/25 Sekunde, ISO 1600.