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6. Österr. Tagung KIT / AB / SvE Kulturelle und religiöse Pluralität als Herausforderung in der Akutbetreuung Seggauberg, 25.-26.4.2008 Workshop Gerhard Baldauf / Karl Heinz Ladenhauf Religiöses / spirituelles Coping in belastenden Lebenssituationen. Auseinandersetzung mit religionspsychologischen Erkenntnissen.

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6. Österr. Tagung KIT / AB / SvEKulturelle und religiöse Pluralität als

Herausforderung in der Akutbetreuung

Seggauberg, 25.-26.4.2008

WorkshopGerhard Baldauf / Karl Heinz Ladenhauf

Religiöses / spirituelles Coping in belastenden Lebenssituationen. Auseinandersetzung mit religionspsychologischen

Erkenntnissen.

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Fragen zum Einstieg

Fragen:• Wie setzen sich Menschen nach Ihrer Erfahrung mit

traumatischen Krisen auseinander, wie bewältigen sie belastende Lebensereignisse?

• Welche Rolle spielen dabei Religiosität, Spiritualität, Glaube?

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Ein literarisches Beispiel

• „Ich habe die ganze Nacht einsam hingebracht… und habe schließlich … die Psalmen gelesen, eines der wenigen Bücher, in dem man sich restlos unterbringt, mag man noch so zerstreut und ungeordnet und angefochten sein.“

R.M. Rilke, Briefe an seinen Verleger, o.O., 1934, 247.

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Textbeispiele aus den Psalmen

• Ps 34,19: Nahe ist der Herr denen, die ein verwundetes Herz haben.

• Ps 70: Ich aber bin arm und gebeugt. Eile, o Gott, mir zu Hilfe! Meine Hilfe und mein Retter bist du. Herr, säume doch nicht!

• Ps 54: Gott, höre mein Flehen, vernimm die Worte meines Mundes! Denn es erheben sich gegen mich stolze Menschen, freche Leute trachten mir nach dem Leben; sie haben Gott nicht vor Augen. Doch Gott ist mein Helfer, der Herr beschützt mein Leben.

• Ps 116: Mich umfingen die Fesseln des Todes, (…) mich trafen Bedrängnis und Kummer. Da rief ich den Namen des Herrn an: «Ach Herr, rette mein Leben!» Der Herr ist gnädig und gerecht, unser Gott ist barmherzig. Der Herr behütet die schlichten Herzen; ich war in Not und er brachte mir Hilfe. Komm wieder zur Ruhe, mein Herz! Denn der Herr hat dir Gutes getan. Ja, du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Tränen (getrocknet), meinen Fuß (bewahrt vor) dem Gleiten. So gehe ich meinen Weg vor dem Herrn im Land der Lebenden.

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Textbeispiele aus den Psalmen

Ps 142: Hilferuf in schwerer Bedrängnis:• Mit lauter Stimme schrei ich zum Herrn, laut flehe ich zum Herrn um Gnade.

Ich schütte vor ihm meine Klagen aus, / eröffne ihm meine Not. Wenn auch mein Geist in mir verzagt, du kennst meinen Pfad. Auf dem Weg, den ich gehe, legten sie mir Schlingen. Ich blicke nach rechts und schaue aus, doch niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben. Herr, ich schreie zu dir, ich sage: Meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden.

Ps 23: Der gute Hirt: • Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf

grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher. Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.

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Theorie der Belastungsverarbeitung

• Erklärungsansatz:– Transaktionales Stressmodell von R. Lazarus & Folkman:

• Stress ist das Ergebnis einer dynamischen, prozesshaften Wechselbeziehung von Person und Umwelt

• individuelle Bewertungsprozesse und situative Faktoren bestimmen das Ausmaß der erlebten Belastung.

– Die Bewertungsprozesse werden bestimmt durch die Art der Kontrollüberzeugungen (locus of control) (Rotter 1966):

– internale (selbstbestimmt, aktiv)– externale (fremdbestimmt, passiv)

- Erklärungs- bzw. Interpretationsstil (Attributionsstil)Ursache einer Situation ist: veränderbar oder nicht / spezifisch oder global / kontrollierbar oder nicht.

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Der Coping-Prozess

Suche nach Sinn, Bedeutung, Kontrolle

PersonSituation Ergebnis

soziokultureller Kontext

(nach: Dr. Sebastian Murken)

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Definition von Coping

• „Unter Krankheitsbewältigung (Coping) versteht man die Versuche des Individuums, die Belastungen (z.B. der Erkrankung) seelisch auszugleichen und zu meistern, um nach der emotionalen Krise wieder in ein Gleichgewicht zu kommen.

• Dabei spielen sowohl bewusste, auf die Realität gerichtete Handlungen eine Rolle als auch unbewusst ablaufende Manöver, die den Zweck haben, allzu belastende Emotionen abzumildern.“

(Faller H., Krankheitsverarbeitung bei Krebskranken, Göttingen 1998,35f.)

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Der Coping-Prozess

Suche nach Sinn, Bedeutung, Kontrolle

Situation Ergebnis

soziokultureller Kontext

kognitiveBewertung

Coping-Strategie

persönliches Orientierungssystemmit Möglichkeiten und Grenzen

(nach: Dr. Sebastian Murken)

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Coping/Bewältigung allgemein (Sigrun-Heide Filipp, 1997)

„Bewältigung ist Geschehen in der Zeit, in dem sich• unkontrollierbare Gedanken und

• absichtsvolles Tun,• offensive und defensive Konstruktionen eines ‚guten Lebens‘, • Hoffnungen und Befürchtungen, • Erinnerungen an bessere Zeiten und • Furcht vor dem, was noch kommen mag – also Vergangenheit,

Gegenwart und Zukunft –

• in einer spezifischen Weise vermischen und über den Verlauf je ein

spezifisches Muster bilden mögen.

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Coping/Bewältigung allgemein (Sigrun-Heide Filipp, 1997)

• Bewältigung ist „die Verarbeitung ‚schlimmer Nachrichten‘, die Transformation objektiver in subjektive Realität.“ (Sigrun Filipp)

• Immer ist Bewältigung ein Prozess, an dessen Ende die Menschen nicht mehr die sind, die sie einmal waren.“ (Identität)

• Krisen- und /oder Krankheitsverarbeitung ist ein Prozess, dessen Ausgang offen ist.

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Der Bewertungsprozess

Primäre Bewertung („primary appraisal“):

Einschätzung der Situation hinsichtlich ihrer subjektiven Bedeutsamkeit. Nur wenn sich die Person als in irgendeiner Form bedroht oder geschädigt sieht, entsteht Stress, der bewältigt werden muss.

Sekundäre Bewertung („secondary appraisal“):

Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten. Es wird abgeschätzt, welche Bewältigungsmöglichkeiten verfügbar sind und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese erfolgreich sein werden und wirksam angewendet werden können.

Primäre und sekundäre Bewertung sind keine getrennten Prozesse, sie stehen in einer Wechselwirkung und bestimmen gemeinsam den Grad an Stress und die Stärke und Qualität der emotionalen Reaktion, die resultieren.

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Der Bewertungsprozess

• Primäre Bewertung: hinsichtlich des eigenen Wohlbefindens:• irrelevant• günstig-positiv• stressend: Schädigung/Verlust, Bedrohung oder Herausforderung

• Sekundäre Bewertung: Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten und deren Effizienz

• Welche Bewältigungsstrategien stehen konkret zur Verfügung? (Ressourcen der Person und der Umwelt)

» Suche nach Informationen, » direkte Aktionen oder Stillhalten, » Intrapsychische Maßnahmen: bagatellisieren, dramatisieren,

verdrängen,…

• wirkt auf primäre Bewertung zurück: » Revision der Primäreinschätzung (positiv) oder » Bestätigung der Primäreinschätzung (negativ)

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Formen der Bewältigung belastender Ereignisse

• Intrapsychische Bewältigungsformen:Kognitive Prozesse wie: Verdrängen, Uminterpretation, Selbst-

oder Fremdbeschuldigung …

• Aktionale Bewältigungsformen:

Flucht, Suche nach sozialer Unterstützung …

• Expressive Bewältigungsformen: Gefühlsausdruck: Trauer, Wut …

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Drei grundlegende Formen von Krisen- / Krankheitsverarbeitung

- Problemorientiertes Coping:zielt auf eine aktive Veränderung der Situation ab,

z.B. durch die Veränderung von Umweltbedingungen, durch den Erwerb fehlender individueller Fähigkeiten, durch klärende Gespräche

- Emotionsorientiertes Coping:zielt auf eine Regulierung der emotionalen Reaktion ab,

z.B. durch kognitive Umbewertung, Ablenkung, Entspannung, Meditation, Gebet

- Sinnorientiertes Coping („meaning based coping“)zielt auf Einordnung in größere Lebenszusammenhänge und immanente wie transzendente Sinngebung

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Religiosität und Belastungsverarbeitung (Coping)

Frage der religionspsychologischen Forschung:

• Welche Wege der Auseinandersetzung (Coping-Stile) werden durch die Religiosität gefördert?

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Grundanforderungmenschlichen Lebens:

Handeln ohne Instinkte

Bedürfnis nach Sinn und BedeutungBedürfnis nach Kontrolle

Coping:Suche nach SinnBedeutung, Kontrollein Belastungssituationen

Religiosität:Suche nach Sinn

Bedeutung, Kontrollemit Transzendenzbezug

religiösesCoping

(nach: Dr. Sebastian Murken)

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Einfluss von Religion/Religiosität auf den Stress-/Copingprozess

Weltanschauliche Deutungsmusterin Abhängigkeit von

Person, Situation und Kontextreligiös nicht religiös

religiös

(primäre und sekundäre Bewertung)

nicht religiös

Bewertungsprozess

religiös

Coping

nicht religiös

Wohlbefinden

Gesundheit

Sozialverhalten

religiös

Ereignis/Anforderung

nicht religiös

(nach: Dr. Sebastian Murken)

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Ein Beispiel religiösen Copings

Einige Tage nach dem Tag X besaß ich die Kraft mich an Kuni’s Bett zu stellen und ein für mich ungeheuer wichtiges Gespräch mit meinem Herrgott zu führen! Ich gab ihm mein ganzes Vertrauen, als ich mich ans Bettende stellte, um ihm zu sagen, dass ich seine Entscheidung so annehmen werde, wie sie komme. „Herrgott, wenn es sein soll, dass mein Mann weiter leben soll, dann hilf uns bitte. Gib uns die Kraft und Segen und zeig uns einen Weg, den wir gehen können. Und wenn dein Weg ein anderer sein sollte und du ihn bei dir haben möchtest, dann nimm ihn zu dir und hilf mir, es zu verstehen!“

Dieses Gespräch war sehr wichtig, es hat mir aber auch meine ganze Kraft geraubt. Einzusehen, dass nur Gott weiß, was für uns richtig und wichtig ist, ihm dieses Vertrauen entgegenzubringen, das war ungleich befreiend.

Gott hat entschieden, welchen Weg wir gehen sollen. Er hat uns geführt und wird uns auch weiterhin führen, über Abgründe sind wir oft weitergegangen, mit geschlossenen Augen. Ich allein war der Überzeugung, dass es der richtige Weg war! Kann Gottvertrauen naiv sein?

Aus: Kunibert Geiger, Rosemarie Geiger-Ernst, Das Leben neu lernen. Wie mein Körper Flügel bekam, Heiligenkreuz/W. 2000, 148

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Religiöse Problemlösestile

Die Stile beziehen sich auf die Fragen:– Wie ist die Beziehung zu Gott?

– Wem wird die Verantwortung übertragen?

– Wie ist die Aktivität verteilt?

„styles of religious problem-solving“ nach Pargament• Aktives, problembezogenes Coping: Self-Directing

• passives coping: Deferring

• kooperatives Coping: Collaborative

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Coping-Stile

aktives, problembezogenes Coping: Self-Directing

Das Individuum löst die Probleme selbständig und eigenverantwortlich, ohne Gottes direkte Hilfe.

Diese Einstellung ist getragen von dem Glauben an einen Gott, der im Hintergrund da ist, Sicherheit und Selbstvertrauen gibt: „Gott hat mich mit Fähigkeiten ausgestattet, Probleme zu lösen, jetzt liegt es an mir, sie zu nutzen“.

Dieser aktive Stil der Selbststeuerung geht mit traditioneller Religiosität eher nicht konform??

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Coping-Stile

passives coping: Deferring

Die Lösung des Problems wird Gott überlassen, dem man sich unterwirft.

Die Person lebt in der Vorstellung, selbst nichts tun zu können, sondern passiv Gottes Handeln abwarten zu müssen.

Die Verantwortung und die Aktivität werden delegiert.

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Coping-Stile

kooperatives Coping: Collaborative

Kranke übernehmen die Eigenverantwortung, verstehen sich aber als Partner Gottes, den man um Mithilfe bitten kann.

Das Bemühen um Bewältigung erfolgt gemeinsam, weder Individuum noch Gott sind dabei passiv.

Es weist einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit auf.

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Beispiele für unterschiedliche Wege des religiösen Copings(vgl. B. Spilka et al., The Psychology of Religion, 2003)

• Coping-Stil• Aktives Coping• Kooperatives Coping

• Passives Coping• Religiöse Neubewertung• Verurteilende Bewertung• Dämonische Bewertung• Religiöse Unterstützung• Religiöse Auflehnung• Suche nach Hilfe der

religiösen Gemeinschaft • Unzufriedenheit mit der

religiösen Gemeinschaft• Deutung als Passage• Religiöse Bekehrung

• Typische Aussage• „Es ist nicht Gottes Aufgabe, sondern meine!“• „Wenn ich mich selbst bemühe unterstützt mich

auch Gott!“• Gott wird einen Weg für mich finden!“• „Mit diesem Ereignis prüft mich Gott!“• „Ich habe gesündigt und verdiene diese Strafe!“• „Es ist das Werk des Teufels!“• „Ich weiß, ich kann auf Gottes Liebe vertrauen!“• „Wie kann Gott mir das antun?“• „Ich weiß, ich kann mich immer an meine Pfarre

wenden!“• „Ich glaube, die Kirche hat mich vergessen!“

• „Ich bin zu einem anderen Menschen geworden!“• „Ich habe meinen Glauben neu gefunden, es ist

wie ein Neubeginn in meinem Leben!“

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Bewertung der Coping-Wege

• In der Wahrnehmung der Coping-Wege anderer Menschen ist immer die eigene Wertung zu reflektieren!

– Reflexionsphase einbeziehen: Welche Formen von Bewältigung kann ich anerkennen, welche halte ich für problematisch etc.!

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Ergebnisse der empirischen Forschung zum religiösen Coping

• Religiöse/spirituelle Bedürfnisse kranker Menschen

Studie an 126 Pat. mit Krebs, 60 mit MS (Witten-Herdecke, 2003)• 86% / 58% (Krebs/MS) suchen Halt und Sinn in ihrem Leben• 52% / 30% beschäftigen sich durch die Krankheit wieder mit rel./spir. Fragen• 52% / 27% glauben, dass ein Zugang zu einer rel./spir. Quelle ihre Krankheit

günstig beeinflussen würde• 43% / 17 % suchen einen Zugang zu rel./spir. Quellen• 42% / 50 % meinen, dazu keine Anleitung zu brauchen • 69% / 68 % vertrauen auf „innere Stärke“• 78% / 40% vertrauen (auch) auf „höhere Macht“• 62% / 14% sind überzeugt, dass die Krankheit einen Sinn hat

A. Büssing, T Ostermann, P. Matthiessen, Spiritualität und Krankheitsumgang, in: EZW-Texte Nr.181/2005, 41-52.

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Ergebnisse der empirischen Forschung zum religiösen Coping

(u.a. Unterrainer/Ladenhauf, 2006)

• Bisher gesichert: Coping-Vorteil für Menschen mit höheren Werten in Spiritualität/Religiosität

• PatientInnen, die ein höheres Ausmaß an religiös- spirituellem Erleben aufweisen, setzen sich aktiver bzw. problemfokussierter mit ihrer Erkrankung auseinander.

• Es fällt ihnen leichter, sich im Krankheitsprozess neu zu orientieren.

• Sie sind hoffnungsvoller und neigen weniger zu depressiver Verarbeitung und auch

• weniger zu Bagatellisierung und unrealistischem Wunschdenken.

• Aber: noch viele offene Fragen – „work in progress!“

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Gründe für den Zusammenhang von religiösen Überzeugungen und aktiv-kognitiven Formen

der Belastungsverarbeitung

Religiosität fördert die Bewältigung eines belastenden Lebensereignisses durch– Sinngebung des Lebensganzen: „Sich im

Lebenszusammenhang verstehen“ (Petzold, Lückel)

– Stärkung der Hoffnung (immanent wie transzendent)

– Gefühl der Kohärenz (vs. Sicht-Ausgeliefert-Fühlen)

– Verfügbarkeit positiver Interpretationen und Erklärungen für Erfahrungen von Leid, Krankheit, Sterben und Tod

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Gründe für den Zusammenhang von religiösen Überzeugungen und

aktiv-kognitiven Formen der Belastungsverarbeitung

• Einordnung belastender, bedrohlicher Ereignisse in Sinnzusammenhang (Kontingenzbewältigung);

• soziale Unterstützung durch Einbindung in religiöse Gemeinschaft;

• Glaube an übergeordnete Instanz vermindert persönlichen Kontrollverlust (-Angst).

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Paradox:Stärkung der Kontrolle durch Hingabe

• Grundspannung oder Konflikt vieler Menschen in existentiellen Krisen:

– Kampf gegen die Realität oder Einwilligung– „Widerstand oder Ergebung“ (D. Bonhoeffer)

• „Spirituelle Hingabe“ als paradoxer Weg zur Stärkung der Kontrolle! (Cole/Pargament):

– Hingabe ist nicht Aufgabe!

Vgl. E. Frick: Frick Eckhard, Widerstand oder Ergebung? Spirituelle und ärztlich-psychotherapeutische Kriterien der religiösen Krankheitsbewältigung, in: Z. f. Med. Ethik 50(2004), 371-383, 380.

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Ergebnisse der empirischen Forschung zum religiösen Coping: belastende Wirkungen

• Strafendes Gottesbild, Deutung der Krankheit/Krise als Strafe: fördert negative Emotionen, Angst, Souveränitätsverlust.

• Strenge moralische Richtlinien („Über- Ich Religiosität“): sog. „negative“ Gefühle (Aggressionen, Auflehnung, Hadern …) können nicht angemessen wahrgenommen und ausgedrückt werden.

• Kognitive Rigidität (religiöse Ideologisierung) behindert flexible Auseinandersetzung.

• Naiver Glaube an die Allmacht Gottes behindert die Nutzung der eigenen Fähigkeiten.

• Sozialer Druck (Konformität) und Angst vor sozialer Ausgrenzung durch die

Religionsgemeinschaft

(vgl. Dörr, Religiosität und psychische Gesundheit, Hamburg 2001; vg. Pargament/Brant)

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Schlussfolgerungen

• Religiosität und Spiritualität sind nach wie vor lebensrelevant: Religionsmonitor 2007: Ö: 20% hochreligiös, 52% religiös, 28% nicht religiös.

• 50% bis 60% der Menschen beziehen religiöse/spirituelle Deutungen und Handlungen in ihre Auseinandersetzung mit belastenden Lebensereignissen ein.

• Religiosität/Spiritualität ist ein bedeutsamer Aspekt der Lebensrealität vieler Menschen und sollte in der Zusammenarbeit von allen beteiligten Professionen wahrgenommen werden.

• Ob sich die Religiosität/Spiritualität als stützend oder belastend erweist, hängt von der Stärke (Zentralität) und dem Inhalt des Glaubens (z.B. Gottesbild) ab.

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Schlussfolgerungen

• Entscheidend ist die Eröffnung eines „Resonanzraumes“, in dem religiöse/spirituelle Themen in Freiheit und dem „Kairos“ entsprechend anklingen können.

• Zuständigkeits- und Fähigkeitskompetenz dafür liegt nicht nur bei SeelsorgerInnen.

• Voraussetzung: Selbstreflexion und Wissen – Voraussetzungen für„Religions-, Spiritualitäts- Kompetenz“,

• als geschulte Sensibilität

Denn: • religiöse und spirituelle Themen gehen nicht in psychosozialen

Fragen auf.

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Vielleicht bleibt die Hoffnung …

„Irgendwann aus dem Heulen und Stöhnen heraus wirst du uns helfen,das Lachen anzustimmen,das hüpfende, restlose,goldene Lachen.“

Gottfried Bachl, Mailuft und Eisgang, 51

Herzlichen Dank!