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© 1997, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart.

Georg Büchner: WoyzeckZum Erlebnishorizont der Vormärzzeit

Von Theo Elm

In seinem Kommentar zu Dantons Tod nennt Büchner den »dramatischen Dichter«»nichts als einen Geschichtsschreiber«1. Gilt dies auch für den Woyzeck (1836/37) unddie Zeitgeschichte? Enthält doch Büchners Vormärz-Stück kaum etwas von dem, wasdie historische Forschung mit der Epoche verbindet. Politikgeschichtlich erscheint sie alskrisenhafter Übergang von feudaler Willkür zur bürgerlichen Verfassung (KarlsbaderBeschlüsse, Hambacher Fest) und von der Kleinstaaterei zur Wirtschaftsunion dankZollverein und Eisenbahn.2 Gesellschaftsgeschichtlich gesehen entfaltet sie neue soziale»Strukturen«3 durch die Aufhebung der Zünfte, durch Landflucht und Pauperismus,durch den Wandel der Stände- zur Klassengesellschaft und die »Entchristianisierung«des Lebens.4 Kulturgeschichtlich wird in ihr vielfach anekdotisch verdichtet»schlechterdings alles: sämtliche menschliche Lebensäußerungen« der Zeit5 – dieHomöopathie und Rossini, Saint-Simon und der Byronismus, Hegel und die Erfindungder Schnellpresse, das Manchestertum und die soziale Frage, das Energiegesetz undder Morsetaster – und all dies, so Friedell, sei bezogen auf die »platonische Idee« desVormärz, das Regiment des »Zeitgeists« als Indiz eines epochalen »Journalismus«.6

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Figuren: »das eigentümliche Wesen jedes«

Erfährt man bei Büchner auch so gut wie nichts von dieser Art der Vormärz-Geschichte,gleich ob politisch-ereignishaft, sozial strukturiert oder kulturell-erlebnishaft kodiert,stets aber aus begrifflicher und zeitlicher Distanz, überindividualisiert, sinnhaftbegründet und epochal abgeschlossen, so ist sein Vormärz-Drama doch in einemanderen Sinn zeitgeschichtlich aktuell wie sonst keines der Epoche. Es offeriert nicht diegültige Erklärung, sondern entwirft einen möglichen Erlebnishorizont der Vormärzzeit:Den Gesichtskreis des Stücks bildet nicht erkenntnistheoretische Gewissheit, sondernder Zweifel am Subjekt, nicht systematische Begrifflichkeit, sondern deutungsoffeneAnschauung, nicht der Blick aufs epochal Ganze, sondern der Sinn für alles zufälligEinzelne, nicht das zweckhafte Urteil, sondern die Immanenz des Lebens, das sichselbst genügt. Für diese Art der Geschichte stehen Büchners Figuren. Verwirklicht istsie vor allem in der Titelfigur, dem armen umgetriebenen Woyzeck, einem kleinenFüsilier und Stadtsoldaten, der auf das Zubrot im Dienst des Doktors angewiesen, inseiner unterentlohnten Überbeschäftigung (»alles Arbeit unter der Sonn [. . .]. Wirarme Leut«; 2397), seiner unverschuldet hoffnungslosen, aller Fürsorge ledigen,isolierten und sich passiv der gesellschaftlichen Hierarchie fügenden Lage densozialhistorisch tradierten Begriff des Paupers zu bestätigen scheint.8 War doch geradeSüdhessen, Dialektheimat der Figuren, nach Wehler ein Zentrum des Pauperismus,jener von moralischer Diskriminierung und tiefem Pessimismus begleitetenmassenhaften Verarmung in der ersten Jahrhunderthälfte – entstanden aus dem»strukturellen Mißverhältnis« zwischen Überbevölkerung und Arbeitsplatzmangel imVorfeld der Industrialisierung.9 Entgegen solch historischer Klassifizierung erweist sichfreilich Büchners 30-jähriger Held Franz Woyzeck nicht als Teil seiner sozialen Gruppe,sondern auch im Verein mit den anderen Armen des Stücks – Andres, Marie und den

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Handwerksburschen – als Einzelner unter Einzelnen, gepeinigt von einem eigenenSchicksal, von Halluzinationen, Eifersucht und den Quälereien des Doktors und desHauptmanns. Was überindividuell sozial, durch die Hierarchie von gesellschaftlicherMacht und Unterlegenheit konnotiert ist,10 wird von Büchner gleichwohl nichtschichtenspezifisch als »kollektives Schicksal« dargestellt, als Los einer»Unterschicht«.11 In der Szene »Freies Feld. Die Stadt in der Ferne« (235) führt dieVertrautheit zwischen den beiden Machtlosen, Andres und Woyzeck, fern von Stadt undKaserne, weder sie selbst noch das Publikum zur Erkenntnis ihrer Sozialgemeinschaft:vor Woyzecks Wahnvorstellungen flüchtet Andres in ein Kinderlied und in die Obhut derKaserne, wo es beim »Trommeln« (235) sogar Vertrautheit nicht mehr geben kann. Inder Szene »Kammer« weiß Marie um ihre Armut (»Ich bin nur ein arm Weibsbild«;239), aber indem sie ihr Wissen in der Hingabe an den Tambourmajor kompensiert, anseine prachtvolle Uniform, seine Körperkraft und seine Geschenke, führt sie die Armutnicht hin, sondern gerade weg von Ihresgleichem, dem deklassierten Woyzeck (»ich binein armer Teufel«; 245), und entfremdet beide einander, anstatt sie als Kollektiv zumarkieren – er durchschaut ihre Lüge über die Herkunft des Liebeslohns, der Ohrringe,und sie verzweifelt an sich und am Sinn der Welt (»Ach! Was Welt. Geht doch alles zumTeufel«; 239). Eben dies, der zweidimensionale, auch ins allmenschlich Schicksalshaftechangierende Gesellschaftsentwurf und nicht die Bebilderung eines soziologischenEinheitsbegriffs, gilt mehr noch für die Handwerksburschen. Sozialhistorisch unter demDruck von Industrie, Zunft- und Gewerbefreiheit dem intellektuellen Protestpotentialder Pauper-Schicht zugerechnet,12 weist einer von ihnen mit seinen Gewaltsprüchen(»Bruder, [. . .] ich will ihm alle Flöh am Leib tot schlage«; 247) gleichwohl jeglicheSchichtengemeinschaft zurück. In der Wirtshaus-Szene (247 f.) sind sie auch keineDialogpartner, sondern kommentieren separat in chorischer »Predigt« mit ihremSinnlosigkeitsverdacht (»selbst das Geld geht in Verwesung über«; 247 f.) die

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metaphysische Dimension des sozialen Alleinseins der Figuren, sei es Woyzeckangesichts von Maries treuloser Getriebenheit oder Marie, die im Tanz mit demTambourmajor (»Immer zu – immer zu«; 242) eben jene Sinnleere zu vergessen sucht.Die archetypische Mythe der Großmutter (»es war einmal ein arm Kind und hat keinVater und kei Mutter [. . .]«; 252) knüpft daran an und verschärft als nihilistischeKontrafaktur des Sterntaler-Märchens soziale Einsamkeit zu transzendenterVereinsamung und beide zum Menschheitsgleichnis. Weil darüber hinaus in Büchners Episodendramatik nicht nur Maries, sondern vorallem Woyzecks Herkunft offen bleibt, fällt der Blick des Publikums gerade nicht aufteleologische, auf sozialgeschichtliche Begründungs- und Strukturzusammenhänge,sondern auf Woyzeck als Einzelnen um seiner selbst willen. An die Stelle derBegründung für die Armut tritt die konkrete Erfahrung des Armseins: das »Kamisolche«als einziger Kleidungsbesitz, die Heirat unerschwinglich, der an den Doktor verkaufteKörper das einzige Kapital. Mag Woyzeck auch ein Pauper sein, so geht er gleichwohlschon deshalb nicht im historischen Deutungsmuster des Pauperismus und seinerBedingungen auf, weil – darstellungstechnisch – nichts vom Autor über ihn ausgesagtwerden kann, sondern er sich selbst als dramatische Figur spielt, sich unmittelbar alsDenkender und Fühlender zeigt und ausspricht, als Subjekt in seiner »Ich-Originität«,seiner »Existenz«,13 nicht als Ausdruck einer allgemeinen »Sozialstruktur«.14 Dieszenische Entbindung von Woyzecks Ich ist Ausdruck der präsentischen Unmittelbarkeitder Dramengattung überhaupt, während die Historie immer nur distanzierteVermittlung ex post ist und uns deshalb, so Büchner, entgegen dem »dramatischenDichter«, nicht »unmittelbar [. . .] in das Leben einer Zeit [. . .], wie sie sich wirklichbegeben«, versetzen kann.15 Aber eben darin, in der durch die dramatischeUnmittelbarkeit erwirkten Vorrangigkeit des einzelnen und seiner Erlebniswirklichkeitgegenüber den historischen Zusammenhängen und zusammenfassenden Begriffen,

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liegt Büchners Ethos der Individualität und seine Abwehr alles übergeordnetPrinzipiellen. Beides teilt er mit dem ihm geistesverwandten Jakob Michael ReinholdLenz, mit dessen Kritik des »Principiums«16 und dem von Lavaters Physiognomikbestätigten Hang zur Karikatur als pointiertem Ausdruck der Wesenhaftigkeit deseinzelnen, entblößt von aller Idealität.17

So spielen sich in Büchners Stück Figuren aus, die man, allen voran Woyzeck, mit derHistorie zwar als ›Pauper‹ bezeichnen kann, die aber zugleich dem sozialhistorischenPauschalbegriff widersprechen. Wenn die Geschichtswissenschaft sie vom Proletariatder zweiten Jahrhunderthälfte absondert und ihnen im Widerspruch zumeinheitsschaffenden Begriff gleichwohl das »Gefühl einer Zusammengehörigkeit«abspricht, »politisches Bewußtsein oder Klassengefühl« versagt,18 dann evoziert geradenicht sie, die Historie, sondern Büchners Drama diese Vereinzeltheit der Pauper, indemes deren subjektiven Erlebnishorizont und nicht die strukturschaffende Distanz derHistoriker vertritt. Weil aber Woyzeck und Marie nicht im Begriff des Pauperismusaufgehen, sondern als Einzelne in ihrer Vereinzelung erscheinen, sind siedeutungsoffen, weisen auch über ihren historischen Ort hinaus und bilden, mitBüchners Lenz, »Leben, Möglichkeit des Daseins« (144), oder, mit dem Autor, »dieVielgestaltigkeit des Lebens«,19 in der das Singulare mehr ist als nur es selbst: Es isteinerseits R e t t u n g vor dem Prinzipiellen etwa einer historiographischenSozialstruktur, worin alles Einzelne untergeht, ist andererseits aber auch die empirischfassbare Seite einer metaphysischen Vereinsamung, die symptomatisch wird für dieModerne des 20. Jahrhunderts – von Nietzsches »Gott ist tot«20 bis zu Becketts Wartenauf Godot. In dieser Spanne, zwischen einerseits dem geretteten und andererseits demunrettbaren Ich, entfaltet sich Woyzecks eigene »Möglichkeit des Daseins«.

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Auch die Figur des Doktors alludiert und korrigiert zugleich historische Kategorienund Erklärungsmuster. Mit seinen biochemischen Harnstoffversuchen auf Kosten vonWoyzecks Gesundheit verkörpert er ein postromantisches Wissenschaftsbewusstseinmit Zukunftsperspektive,21 den radikalen Empirismus, die spezialistische Atomisierungder Natur, die Neigung zum Determinismus, die mechanische Deutung des Lebens, dieObjektivierung des Menschen zum Gegenstand der Wissenschaft – womit sich, so derHistoriker Schnabel, ab den 30er- und 40er-Jahren Chemie (Liebig), Physik (Helmholtz)und Medizin (Schönlein) bar aller Sinnansprüche von der naturphilosophischenSpekulation zur exakten Beweiswissenschaft wandeln.22 Was diese für denwissenschaftlichen Fortschritt in Technik, Industrie, Wirtschaft und Bildung bedeutet,wurde von der Historie beschrieben,23 nicht aber, was daraus existentiell für denEinzelnen folgen mag und gerade für den Wissenschaftler – nämlich die Entfremdungseiner selbst. Die aber exponiert unübertrefflich Büchners Stück – mit der ästhetischenV e r fremdung des modernen Wissenschaftlers, mit seiner Entstellung zur Karikatur.Wenn, nach Friedrich Georg Jünger, die Karikatur, als spezielle Form des Komischen,aus dem Konflikt von allseits anerkannter Norm und willkürlicher Abweichung entsteht,indem nebensächliche Details unangemessen den ganzen Menschen vertreten – derMensch als Nase24 –, dann ist Büchners Doktor der Paradefall der Karikatur. In derSzene »Beim Doktor« wird sogleich deutlich, dass es hier gar nicht um den Doktorgeht, sondern um das wesentlich Doktorhafte an ihm, das als Normabweichung gegenden ganzen Menschen antritt und die Oberhand zu gewinnen versucht. Willkürlichnebensächliche Details wie der empirische Beobachtungsreflex (»ich stecke grade dieNase zum Fenster hinaus [. . .], um das Niesen zu beobachten«) und diewissenschaftliche Nomenklatur (»musculus constrictor vesicae«, »Harnstoff, 0,10,salzsaures Ammonium, Hyperoxydol«; 242) vertreten unangemessen undwiederkehrend die ganze Person des Doktors, eine Unverhältnismäßigkeit, die noch

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deutlicher wird, wenn man sich seinen Heilberuf vor Augen hält: Woyzeck ist ihm bloßein »Phänomen« (245) und eine »aberratio mentalis partialis, zweite Spezies« (243).Selbst nur Wissenschaftler und als solcher nur beobachtendes Formelwesen, werdenihm auch die Mitmenschen, ihres Menschseins entfremdet, zu bloßen »Kasus« (243) –zu »interessanten Fällen« (244), zu »Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zugleichhüpfend« (245), zur »apoplexia cerebralis« (244). Bei alldem haftet der Wissenschaftler-Karikatur des Doktors, die wie der Hauptmannund der Tambourmajor als namenlose Bewusstseinsstaffage auftritt, ein Momentästhetischer Mehrdeutigkeit an. Der karikierte Mensch ist kein aus einemWesensmerkmal gewonnener T y p – der eingebildete Kranke, der Menschenfeind, derGeizige –, sondern ein auf ein Wesensmerkmal reduziertes Individuum in all seinerKomplexität. Mit dem Verlachen der disproportionierten Figur ist es hier, anders alsetwa bei Molières Typen, nicht getan. Denn Büchners Doktor ist nicht eindimensionalund plan wie Molières Geiziger, hinter dem nichts mehr zu erkennen ist: jederWesenszug und noch das Unglück heißt Geiz. Dagegen geht Büchners Doktor-Karikaturim medizinischen Forscherberuf nicht auf. Darauf weist schon die Herkunft der Figur, inder sich wohl gleich drei Realbezüge überschneiden dürften: erstens Justus von LiebigsMenschenversuch mit Erbsen als Fleischersatz, durchgeführt um 1834 an derUniversität Gießen im Auftrag des Hessischen Kriegsministeriums25 – dem dortigenStudenten Büchner vermutlich ebenso bekannt26 wie zweitens die akademischenMarotten des Gießener Anatomen und Physiologen Johann Bernhard Wilbrand, derseinen eigenen Sohn vors Katheder holte, um an ihm, wie der Doktor am Woyzeck(251), eine physiologische Spezialität vorzuführen, die menschliche Fähigkeit desOhrenwackelns,27 und drittens die Menschenverachtung des Gerichtsgutachters JohannChristian Clarus, der im historischen Mordfall Woyzeck den Delinquenten zynisch amPrinzip der kantischen Willensfreiheit maß28 und zu leicht befand – so wie Büchners

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Doktor: »In dem Menschen«, belehrt er das Versuchstier Woyzeck, das den Harn nichthalten kann, »verklärt sich die Individualität zur Freiheit« (242). Die historischeMehrbezüglichkeit der Doktor-Karikatur deutet ihre Mehrdeutigkeit an. Mit ihr attackiertBüchner in der Tat nicht allein die Medizin. Indem der Doktor als Ziel seinesMenschenversuchs nicht das Heil der Menschen oder der Gesellschaft, sondern diewissenschaftliche Revolution als eitlen Selbstzweck nennt (»Hat Er schon seine Erbsengegessen, Woyzeck? – Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie indie Luft«; 242), schlägt Büchner den Bogen zur Kritik des Fortschritts überhaupt, demdie sinngebende Vernunft abhanden kam. Es ist zugleich ein Bogen von derDoktorszene zur Budenszene, die zwischen Schein und Sein, zwischen außen und innenchangiert. Die Unvernunft des scheinbaren Fortschritts, inszeniert v o r der Budeironisch – mit Anspielung auf Rousseau? – der frankophone Budenausrufer ingebrochenem Hessisch-Deutsch: »das astronomische Pferd und die kleineKanaillevogele [= Kanarienvögel], sind [. . .] Mitglied von alle gelehrte Sozietät [. . .].Sehn Sie die Fortschritte der Zivilisation. Alles schreitet fort, ei Pferd, ei Aff, eiKanaillevogel. Der Aff ist schon ei Soldat [. . .], das commencement voncommencement.« (237) Das Fazit solch lächerlichen Fortschreitens erfolgt dialektischumschlägig im zweiten Teil der Szene, im I n n e r e n der Bude mit dem Pferd alsProfessor, das sich – wie der gescholtene Woyzeck vor dem Doktor – »ungebührlich«aufführt, aber eben darin, so der Ausrufer, noch unentfremdetes Sein, »unverdorbeNatur« sei: »Mensch sei natürlich« (238).29 Freilich ist die ahistorische Alternativeebenso diskreditierend komisch gestaltet wie das Fortschrittsszenario vor der Bude –sie hält Büchners Geschichtsbewusstsein nicht stand.30

Die Figur des Hauptmanns wiederum, vielleicht angeregt durch Büchners militärischeVerwandtschaft,31 verweist entgegen der Büchner-Forschung kaum auf Attribute der

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Arístokratie,32 im süddeutschen Offizierskorps ohnehin unterrepräsentiert,33 und stehtauch wider Erwarten nicht im Kontext militärischer Handlungen.34 Die Äußerungen desHauptmanns bestätigen eher das Stichwort von der »Entchristianisierung« des Lebensin Nipperdeys Deutscher Geschichte,35 vom metaphysischen Sinnverlust in dermaterialistischen Moderne, im Stück veranschaulicht am Katzenversuch des Professors:die Katze als »organische Selbstaffirmation des Göttlichen« würde, aus dem Fenstergeworfen, an der Physik, am »centrum gravitationis« (250) scheitern. Des Professorsnegativer Gottesbeweis korrespondiert komisch verfremdet jenseits des Stücks mit derjunghegelianischen Religionskritik der Zeit (David Friedrich Strauß, LudwigFeuerbach),36 aber im Woyzeck selbst steht die empirische Beweiswissenschaft desProfessors und Doktors im Zusammenhang mit der metaphysischen Angst desHauptmanns (»Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke«;240). Denn beide, die rationalistischen Wissenschaftler und der sinnverzweifelndeHauptmann, gehören als die zwei Seiten eines zeitgeschichtlichen Diskurseszusammen. Der ›Weltschmerz‹ des Biedermeiers, der nagende Schmerz des Nihilismus,der auch Büchners Danton umfängt, begleitet als melancholischer Schatten das von derprosperierenden Naturwissenschaft gleichzeitig propagierte materialistischeMenschenbild – popularisiert in Feuerbachs Diktum »Der Mensch ist, was er ißt« und inLudwig Büchners These, dass Liebe wie Hass, Edelmut wie Mord aus Stoffverbindungenim Gehirn erfolgen.37 Anders als Büchners Danton, der sich am Ende zum Nichtsbekennt, ja das Nichts als letzten paradoxen Halt ersehnt (»das Nichts ist der zugebärende Weltgott«; IV,5, 129), findet der Hauptmann des Woyzeck-Stücks scheinbareinen Weg aus der Sinnlosigkeit des Daseins. Das nur Scheinhafte des Auswegs bildetfreilich im Gegensatz zu Danton den Unernst der Figur – und bestätigt zugleich seinenBeruf und sozialen Stand. Repräsentiert er nicht den Offizier und nicht den Aristokrat,so doch als Militär, zuständig für Disziplin und Gehorsam, den Ordnungshüter im

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Staatsdienst;38 gesellschaftsgeschichtlich ist er relevant genug, weil hinreichendexemplarisch für die Erstarrung des deutschen Militärs in der langen Friedenszeit nach181539: Er ist apoplektisch (244), fett geworden im müßigen Garnisonsdienst, nichtmehr jung, gleichwohl vom Rang her subaltern geblieben, Kriegsteilnehmer ohne»Courage« (246) und vielleicht deshalb an der ›Majorsecke‹ gescheitert. Der Horrorvacui des repräsentativ Entchristianisierten (»Ewig das ist ewig, das ist ewig [. . .]; nunist es aber wieder nicht ewig [. . .], es schaudert mich, wenn ich denk, daß sich dieWelt in einem Tag herumdreht«; 240) und die Beschleunigungen der Zeit, dieverkörpert von Woyzecks Rastlosigkeit in dieses Nichts führen, kompensiert er im»konservativen Denkstil« der »Restauration«.40 Er orientiert sich an fremdbestimmten,jedoch von ihm als Ordnungshüter amtlich vertretenen, nämlich behördlichsanktionierten Normen, die als Institute bedrückender Diesseitsherrschaft undentlastenden Jenseitsversprechens komplementär zusammengehören: an der staatlichverordneten Moral, die er am Fehlen von Woyzecks Heiratsurkunde vermisst, und am»Segen der Kirche«, den er Woyzeck mit den Worten des Garnisonspredigers empfiehlt– »es ist nicht von mir«, fügt er hinzu (240). Den Staat als Halt und das Christentum als Segen dazu lässt Büchner natürlich nichtgelten. Dazu ist ihr Vertreter, der Hauptmann, nicht glaubwürdig genug in seinerkörperlich-seelischen Hinfälligkeit und lächerlich intellektuellen Hilflosigkeit, mit derBüchner in der Szene »Der Hauptmann. Woyzeck« das Autonomieprinzip deridealistischen Philosophie als Tautologie ad absurdum führt: »Moral, das ist wenn manmoralisch ist« (240). Die Sinnfrage, die sich mit der Figur des philosophierendenHauptmanns41 ratlos verbindet, lässt Büchner stattdessen sogleich von der drittenStimme im Diskurs um Wissenschaft und Metaphysik beantworten – von WoyzecksStimme. Gegen die von Staat und Kirche vereinbarte Tugendkonvention, die der Pauperals käuflichen Schein durchschaut (»Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr

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Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl«; 241) setzt Woyzeck auf die urchristlicheCaritas (»Der Herr sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen«; 240) und zugleich aufdie sexuelle Forderung der Natur (»Man hat auch sein Fleisch und Blut«; 240). Nun sindgewiss die Standpunkte der Mitleidsethik und des Vitalismus, der Mitmenschlichkeit unddes Hedonismus im Namen der Natur die beiden zeitgeschichtlich geläufigenKompensationen des szientistisch begründeten Transzendenzverlusts, der sinnleerenMaterialisierung der Welt – und insofern nichts Neues, weder damals in Büchners Stücknoch heute in der Historiographie des Vormärz. Die Emanzipation des »Fleisches«propagiert ja auch Karl Gutzkows Roman Wally, die Zweiflerin (Vorrede) – ebenso wieder ›fromme‹ Atheist Ludwig Feuerbach das göttliche Prädikat der Liebe auf denMenschen zurückführt, auf die private Zuwendung von Ich und Du.42 Aber Büchner –darin liegt die Erkenntnis seines Werks – schlägt aus den beiden kompensatorischenStandpunkten der Zeit dramatisches Kapital, indem er sie zusammenführt und alsKonflikt ausstellt – die Prinzipien der Fürsorge und des Lebens, der quietistischenFreundschaft und der rebellierenden Sinnlichkeit. Er exponiert den Konflikt, indem erseine beiden Seiten jenseits zeitüblicher Weltanschaulichkeit, Pose oder ›Haltung‹,43

sich selbst zeigen lässt, und zwar in der Figur Woyzecks. Gerade im schlichten Woyzecktreffen ganz unverstellt und schroff Verantwortung und Eifersucht zusammen, das bravHausväterliche und der aufrührerische Affekt, der »gute Mensch« (241, 245), der seineLöhnung nach Hause bringt, und der Getriebene, der Maries »Immer zu, immer zu«(242) beim Tanz mit dem Tambourmajor in das »immer zu, stich tot, tot« (248) derMordtat überführt. Büchners Woyzeck ist nicht fähig zum schwächlichen Kompromiss.Während die Moralität des Hauptmanns (»Ich sag mir immer, du bist ein tugendhafterMensch«; 241) zur unverbindlichen Phrase verkümmert (»ein guter Mensch hat keineCourage nicht!«; 246) und Maries Getriebenheit (»ich bin doch ein schlecht Mensch«;239) in Gewissensqual und konventioneller Bibellektüre (249 f.) aufgefangen wird, gibt

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es für Woyzeck keine Vermittlung und keinen Ausgleich. In der Sorge um die Familie(»Da ist wieder Geld, Marie«; 239) quittiert er n i c h t den ruinösenExperimentvertrag mit dem Doktor, und seine Eifersucht beruhigt er n i c h t – wieAndres rät – mit »Schnaps und Pulver drin« (248). Zwischen der liebenden Zuwendungund dem naturhaften ›Muss‹ (»Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?«)44 ist hiernichts Drittes, auch nicht die nach Lösung suchende Reflexion. Selbst ganz am Schlussstehen hart nebeneinander das fürsorgliche »Friert’s dich, Marie« und die Wut auf ihren»heißen Hurenatem« (252 f.). Beide zusammen, Innigkeit und Aufruhr, bilden denseelischen Schauplatz von Woyzecks tragischer Existenz zwischen Maries »Kammer«und dem »Wäldche, am roten Kreuz« (255), zwischen häuslicher Idylle und derverwunschenen Natur als dem Ort ungezügelter Gewalt: »Nimm das, und das! Kannstdu nicht sterbe? So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht noch nicht? Immer noch? (Stößtzu.)« (253) Tragisch ist Woyzecks Existenz, weil er, der zugleich Denkschwache undEmpfindungsstarke, als Einziger im Stück, ob er will oder nicht, zu dem Bruch stehenmuss, der sein Ich ausmacht. Der Bruch markiert, fokussiert im Erlebnishorizont einesEinzelnen, die Disharmonie der Zeit, gespannt zwischen Weitlings Liebesethik undSchopenhauers Mitleidslehre45 einerseits und andererseits der bloßenNaturbestimmtheit des Lebens, die in dem Augenblick, da Büchners Stück entsteht,Charles Darwin auf seiner Weltumsegelung (1831–36) empirisch begründet (DieEntstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, 1859). Aber das sind Abstrakta,Begriffssysteme, Theorien. Büchner dagegen möchte mit den Worten seines Lenz »indas eigentümliche Wesen jedes eindringen«, um so »die Gestalten aus sichheraustreten [zu] lassen« (145). In solch konkreter Präsenz erscheint Woyzeck auf derBühne. In Woyzecks gleichsam authentischem Schicksal erweist sich das Dilemma vonIch-Rettung und Ich-Verlust als die Strategie des Autors, der das Wesen des einzelnenzeigt, aber in solcher Vereinzelung auch die Möglichkeit seiner Einsamkeit aufdeckt –

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die soziale Dissoziation und Weltverlorenheit des Paupers, die Ich-Entfremdung desWissenschaftlers, die metaphysische Leere des entchristianisierten Ordnungshüters.Jedoch wird nur in Woyzeck, und das macht ihn zur Hauptfigur, beides vor demPublikum zum Szenario der Ausweglosigkeit verschärft – unlösbar bleibt für Woyzeckder Zwiespalt zwischen bewusster Pflicht (»Muß zum Verles«) und der »Natur«, die»einem kommt« (241, 242). Noch der Weg in den Wald ist ein Indiz seinerBewusstseinsspaltung: das Messer ist schon gekauft, die Gewalttat wird irgendwiegeschehen, und doch sorgt sich der Täter um die Füße seines Opfers (252).

Handlung: Der ›Fall‹ Woyzeck und die »Möglichkeit des Daseins«

Sind die Figuren des Dramas im Erlebnishorizont ihrer Zeit begründet, so ist es auchdie Handlung, in der sich ihr Tun und Lassen äußert. Wie zumeist bei Büchner ist sienicht frei erfunden, sondern ›gemacht‹ – als Kontrafaktur vorgegebener Texte. Diewichtigsten Prätexte sind hier die beiden gerichtsmedizinischen Gutachten über »DieZurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck, nach Grundsätzen derStaatsarzneikunde aktenmäßig erwiesen von Dr. Johann Christian August Clarus«.46

Der Titel der Untersuchung, veröffentlicht in Henkes Zeitschrift für Staatsarzneikunde(1825/26), lässt die kasuistisch-akribische und fühllos-szientistische Art ahnen, in derhier, mit Büchner, »das frische grüne Leben« untergeht.47 Es ist das Leben des 41-jährigen Barbiers Woyzeck, der elternlos aufgewachsen, auf sechsjährigerWanderschaft als Perückenmacher herumgeworfen, dann über ein Jahrzehnt inKriegsdiensten, schließlich arbeitslos und unstet in einem Eifersuchtsstreit am 3. Juni1821 die 46-jährige Johanne Christiane Woost jäh erstach. Noch vor Beginn derpsychologischen Tests wird er vom Gutachter unter dem in der zeitgenössischen

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Psychologie schulgemäß-idealistischen Postulat der apriorischen Willensfreiheit desMenschen48 moralisch erledigt: »rohe Gleichgültigkeit«, »Abstumpfung gegen natürlicheGefühle«, »kalter Mismuth« und andere Prädikate mehr hält der Gerichtsmediziner fürihn bereit – als Vergehen gegen die dem Menschen eigene Vernunftfreiheit. Nichtanders lautet das Fazit im abschließend verfassten »Vorwort« des Endgutachtens,worin Clarus gegen die »Ordnung des Ganzen«, gegen die »Wohlthaten einergemeinschaftlichen Religion« und »einer seegensvollen und milden Regierung« (!)Woyzecks »unstätes, wüstes, gedankenloses und unthäthiges Leben«, kurz seine»moralische Verwilderung« als Grund für den Mord, den »finstern Aufruhr roherLeidenschaften« bezeichnet. (L 488) In den pathetisch geblähten, weltanschaulich-moralischen Rahmen der Expertise eingefügt ist die psychologische Untersuchung desMörders. Den Befund – Schuldfähigkeit – belegen physiologische Beobachtungen.49 Sowird etwa Woyzecks Klage über Freimaurerträume und Geistererscheinungen alsSchutzbehauptung wissenschaftlich-objektivistisch zurückgewiesen: »Athemholen,Hautwärme und Zunge völlig natürlich [. . .], seine natürlichen Ausleerungen invollkommener Ordnung« (L 504). Den Tremor, den Woyzeck jedes Mal beim Eintritt desGutachters in seine Zelle erleide, kann sich Clarus, von dessen Urteil ja des HäftlingsLeben abhängt, gar nicht erklären. Freilich leide Woyzeck an »Vollblütigkeit undNeigung zu Wallungen und Congestionen des Blutes [. . .] vermehrt durchunordentliche Lebensweise und besonders durch den Mißbrauch starker Getränke«(L 517). Auf diese Weise wird J. Chr. Woyzeck über 100 Seiten hinweg auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, innen und außen vermessen, psychologischund moralistisch rubriziert – und endlich für schuldfähig befunden: quod eratdemonstrandum. Aber auch dieser Beweis wird in einem Postskriptum nach derHinrichtung Woyzecks am 27. August 1824 auf dem Marktplatz in Leipzig noch einmalbewiesen: »Bei der [. . .] Sektion fanden sich alle Organe in der Kopf-, Brust- und

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Unterleibshöhle in v o l l k o m m e n g e s u n d e m Zustande und nur das Herz miteiner ganz ungewöhnlichen Menge von Fett umgeben.« (L 537) Der historische Fall Woyzeck und die Gutachten des Dr. Clarus demonstrierenrechtsgeschichtlich das »Zeitalter der Strafnüchternheit«, mit der nach Foucault die»Inszenierung des Leidens aus der Züchtigung« verbannt wird. »Dieses Verschwindender Martern wird zwischen 1830 und 1848 endgültig.«50 Schnell und mit solcherGeschicklichkeit, bemerkt ein Augenzeuge, habe der Henker dem Woyzeck den Kopfabgeschlagen, »daß er noch auf dem breiten Schwerte saß, bis der Scharfrichter dasSchwert wendete und er herabfiel, [. . .] sogleich öffnete sich eine Falltür, wo derKörper [. . .] hinabgestürzt wurde und sogleich war er unten in einen Sarg gelegt«(603). Nicht mehr der Körper, sondern die Seele des Delinquenten rücken, nachFoucault, in den Mittelpunkt des aufklärerisch strafrechtlichen Interesses – und damitauch die Feststellung seiner Verantwortlichkeit,51 hier durch den GerichtspsychologenDr. Clarus, aber nicht nur durch ihn allein, sondern auch durch eine ganze Reihekontroverser Stellungnahmen (601 f.), unter denen Clarus’ vom Gericht bestellteExpertise nur das größte Gewicht hatte – auf Dauer geringer freilich als Büchnerseigenes ›Gutachten‹, sein Woyzeck-Stück, ohne das Woyzeck und Clarus längstvergessen wären. Indem Büchner den Fall Woyzeck erneut aufgreift, zieht er die rechtsgeschichtlichangelegte Linie aus, jedoch auf seine Weise: Er wählt zwar unter den vom historischenFall angebotenen Handlungsmöglichkeiten (Woyzecks Lebensgeschichte, diegerichtsmedizinische Untersuchung, die Gerichtsverhandlung, Woyzecks Aufenthalt imGefängnis etc.) nichts anderes als erneut die für Foucault historisch aktuelle Seelen-Frage nach der Entstehungsbedingung der Tat im Täter selbst. Wie auch in Clarus’Gutachten ist der Fokus der dramatisierten Recherche die Tat, freilich steht sie hier amEnde und nicht am Beginn der Analyse. Das bedeutet: befreit von der teleologischen

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Verengung der Perspektive unter dem Druck der Frage: Wie kam es zur Tat?, kannBüchner sich dem »Leben« öffnen, und das heißt für ihn »Möglichkeit des Daseins«.»Leben, Möglichkeit des Daseins«, lässt er seinen Dichter Lenz als das »einzigeKriterium in Kunstsachen« fordern (144). Die Vorstellung vom Leben alsDaseins m ö g l i c h k e i t führt nicht nur zur Individualisierung der fiktiven Woyzeck-Figur, die als Möglichkeitsentwurf den sozialhistorischen Begriff des Paupers übersteigt,sondern dementiert ineins damit auch die starren Prinzipien der Moraldoktrin undSchulpsychologie, denen der historische Woyzeck in Clarus’ Untersuchung zum Opferfiel. Daher entwirft Büchner gegen Clarus’ linearen Schluss vom Körper auf die Seeleund gegen das idealistische Theorem von der Moralautonomie des vernunftfreienMenschen nichts anderes als Motivations-M ö g l i c h k e i t e n für Woyzecks Tat.Gründet sie individualpsychologisch in den Halluzinationen (235, 236, 243) des Tätersoder physiologisch in der Erbsenkur? Rührt sie sozialpsychologisch aus denDemütigungen durch den Zynismus des Doktors und den Sadismus des Hauptmanns,der genussvoll Woyzecks Eifersucht schürt, oder ist es die Kraftdemonstration desTambourmajors, der Woyzeck niederschlägt, und Maries Treulosigkeit, die zur Mordtatführen? Indem er die Fragen, die das Elend seines Woyzeck entfalten, offenlässt, machtBüchner das Clarus-Gutachten unerheblich. Das zweckhafte Interesse desGerichtsmediziners an der Zurechnungsfähigkeit seines »Inquisiten« wird ersetzt durchden Entwurf des sinnoffenen Erlebnishorizonts Franz Woyzecks. Das »Leben desGeringsten«52 im Zeitalter des neuen wissenschaftlichen Fortschritts und der epigonal-idealistischen Moral, die als unverbindlicher comme il faut Sinnleere und Lebensgiertarnt,53 entwirft gleichsam von unten und innen her ein Bild der Vormärzzeit, demweder die politische Bezeichnung der Epoche noch ihre historiographische Erschließunggerecht werden.

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Die Mehrdeutigkeit der Mordgenese korrespondiert mit dem episodischen Charakterdes Stücks. In ihr sind die Szenen nicht Funktionen der Handlung, sind nicht in kausalerFolge konsequent auf den Schluss hin gespannt, sondern haben, ebenso wie dieEntfaltung von Woyzecks Daseinsmöglichkeiten, ein Eigengewicht, nicht geringer alsdas der Tat selbst am Ende des Stücks. Gewiss, das Stück ist unvollendet geblieben,und keine Edition kann die von Büchner geplante Handlungsführung konstruieren. Wasbleibt, sind vier verschiedene Entwicklungsstufen des Texts und eine nach demheutigen Editionsstand konzipierte Haupt- oder »Lesefassung« – Vorlage dieserDeutung. Aber mit Blick auf die von Büchner abgeschlossenen Dramen, auf diestrukturelle Offenheit von Dantons Tod und Leonce und Lena, auf die auch dortmögliche Austauschbarkeit von Szenen und auf ihre Handlungsleerstellen dazwischen,54

ist der offene Prozesscharakter des Woyzeck weniger ein Torsomerkmal als vielmehrder besonders pointierte Ausdruck für Büchners antitektonische Dramatik mit ihrerNähe zu Lenz und zur Shakespeare-Tradition. Ist sie hier als Opposition zum Clarus-Gutachten im offenen Möglichkeitsentwurf von Woyzecks Weg zur Tat begründet, soweisen sie doch auch beide gemeinsam, die offene Form der Handlung und diePotentialität der Tatbegründung, auf den elementaren bewusstseinstheoretischenHintergrund des Stücks, auf Büchners naturwissenschaftliche Teleologiekritik: »DieNatur handelt nicht nach Zwecken [. . .], sondern sie ist in allen ihren Äußerungen sichunmittelbar s e l b s t g e n u g. Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da«.55 Dieantiteleologische Wendung des Physiologen und Anatomen Büchner gegen eineNaturvorstellung, in der jede Naturerscheinung ihren Zweck nicht in sich selbst,sondern nur in ihrer Funktion hat, somit ihrer selbst entfremdet ist, bildet – inanthropologischer, sozialer, moralischer und ästhetischer Bedeutung – den Kern vonBüchners Denken und Werk. Er ist mit Händen greifbar von der frühen Kritik desSelbstmords – als Verstoß gegen den Selbstzweck des Lebens,56 über den Protest

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gegen die absolutistische Ausbeutung der Untertanen im Hessischen Landboten bis zuLenz’ Attacke auf den Kunstidealismus, »die schmählichste Verachtung dermenschlichen Natur«, weil sie gegenüber der Idee das »eigentümliche Wesen jedes«verfehlt (145). Dies gilt auch für das Woyzeck-Stück. Was die gerichtsmedizinischeHandlungsvorlage unterschlägt, die Achtung vor der deutungsoffenen Eigentümlichkeitdes einzelnen – hier wird sie, 11 Jahre nach Clarus’ Schlussgutachten, von BüchnersStück eingefordert. Aber nicht nur dies. Sie wird auf der Bühne des Theaters zugleichutopisch verwirklicht – nicht bloß durch die Singularisierung der Figuren als Individuen,deren subjektiver Erlebnishorizont die Historie (Pauperismus) korrigiert, und nicht bloßdurch die Entfaltung von Woyzecks Daseinsmöglichkeiten, die entgegen der Psychologiedie Tatgenese ins unfassbar Mehrdeutige rückt, sondern auch ästhetisch durch dieAufwertung der einzelnen Szenen gegenüber dem Gang der Handlung. Büchners Kritik an Clarus, der den historischen Woyzeck auf das Streckbett der Moralund der Wissenschaft gespannt hat, bekommen die Antagonisten seines FranzWoyzeck, der Doktor und der Hauptmann, zu spüren. Auf sie, degradiert zu Karikaturenund Zerrbildern der Naturwissenschaft und der Moralphilosophie, verteilt BüchnerClarus’ Verquickung von Szientismus und Moralismus und lässt sie so sich gegenseitigvernichten. Jeder entwertet sich nicht nur selbst, sei es durch die szientistischeUnmenschlichkeit und die Auflösung der erhofften wissenschaftlichen Revolution ineinem Formelzinnober (242)57 oder durch die Unverbindlichkeit der Moral und die alsTautologie sich selbst diskreditierende Moralautonomie des Idealismus (240), sondernauch durch den jeweils anderen: Während der Doktor dem Hauptmann wegen seinerDickleibigkeit genüsslich den Tod voraussagt (244), verhöhnt dieser den Doktor wegenseiner kurzen Beine.58 Wechselseitig nennen sie sich »Hohlkopf« und »Einfalt« (244).

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Komposition: Technik der Vernetzung

Die antiteleologische Handlung bzw. die Vielperspektivigkeit des Erlebnishorizonts,womit Büchner s e i n e n Woyzeck zwar nicht von der Schuld, aber von derEntfremdung befreit, die er bei Clarus erleidet, führt zur Frage nach der Kompositiondes Stücks. So verständlich Büchners Episodendramatik vor dem Hintergrund ihrerEntstehungsbedingungen sein mag, so unzugänglich erweist sie sich den aufStimmigkeit ausgerichteten Deutungsversuchen. Wie kann man einem Textbeikommen, der – hypothetisch – aus 27 Szenen besteht, die zudem in ihrer Folgeweder lückenlos noch gesichert sind? Der Beliebigkeitsverdacht, der sich einstellenmag, ist gleichwohl unberechtigt, wenn man anstelle der vermissten Handlungslogikdas Gewebe der Textbezüge erkennt. Nicht Folgerichtigkeit, sondern strukturelleKomplexität, nicht begriffliche Stringenz, sondern poetische Vielgestaltigkeit bestimmendie Komposition des Dramas. Damit entspricht es jener Vorstellung von Wirklichkeit,die Büchner als »Vielgestaltigkeit des Lebens« zugunsten des Individuums Woyzeckgegen alles zweckhaft Prinzipielle setzt, ob in Historie, Wissenschaft oder Kunst.59

Komplex und vielgestaltig komponiert ist der Woyzeck in dreifacher Weise. Erstens inder leitmotivischen Verknüpfung der Szenen,60 zweitens in der szenischenBinnenvernetzung durch Wiederholung und Kontrast61 und drittens in derbeziehungsträchtigen Vielfalt der uneigentlich-sinnverweisenden Gattungs- undStilformen – der Form der Rede, des Lieds und des Märchens, der Karikatur, derMontage, der Parodie, des Dialekts und der grotesken sowie absurdenDarstellungselemente. Ein Beispiel für alle drei Kompositionstechniken zusammen istdie erste Wirtshausszene (11,247 f.) etwa in der Mitte der Lesefassung: Zwischen demburlesk genrehaften Bild der Regieanweisung am Anfang (Die Fenster offen, Tanz.Bänke vor dem Haus. Burschen) sowie dem fröhlichen Jägerlied einerseits und

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andererseits Woyzecks in Sinnverzweiflung umschlagender Eifersucht und derBlasphemie der Handwerker liegt eine Spannung, die charakteristisch für den Woyzeckist und eben jenes Fragwürdige und Abgründige der materiellen Wirklichkeit andeutet,das der Handwerksbursch am Ende zur Sprache bringt – ironisch, weil die Form derKirchenpredigt, die er parodiert, selbst jenen trügerischen Schein erzeugt, den dieBedeutungen der Szene widerrufen. Mit dem Lied des Ersten Handwerksburschen (»Ich hab ein Hemdlein an, / das istnicht mein. / Meine Seele stinkt nach Brandewein«; 247) wird in Anspielung auf dasTotenhemd das Vanitas- und Memento-mori-Motiv eingeleitet,62 das überWiederholungen (»Meine Seele [. . .] stinkt nach Brandewein. – Selbst das Geld geht inVerwesung über«; ebd.) den Anfang mit dem Schluss der Szene verbindet: »AllesIrdische ist eitel, selbst das Geld geht in Verwesung über« (248). Ist die Schönheit derWelt (»Wie ist diese Welt so schön«; 247) nur Schein, so wird von hier aus der Konnexin Szene 3 zwischen Woyzecks unbefangenem Ausruf auf der Kirmes: »Welt! SchönWelt!« (237) und dem gleichzeitig gesungenen Lied des Alten vom Sterbenmüssenverständlich. Als binnenszenisches Strukturelement bildet das Vanitas-Motivandererseits auch eine Brücke zur Kasernenszene, in der Woyzeck vor der Mordtat seinHemd verschenkt. Die Korrespondenz zwischen dem Hemdlein des Lieds und Woyzecks»Kamisolche« (17,250) als fast seinem einzigen Besitz vertieft Woyzecks Armut zurmetaphysischen Nichtigkeit überhaupt. Vor allem aber ist das Motiv eineQuerverbindung beider (und anderer) Szenen zum absurden Märchen der Großmutter(19,252), worin menschliche Armut und Todverfallenheit (»ein arm Kind [. . .], warAlles tot«; 252) nicht einmal im Kosmos, als der abendländischen Bildvorstellunggotterfüllter Welt, Erlösung finden. Weshalb – das zeigt wiederum der Rückblick vomMärchen auf die Handwerkerszene: Die Predigt-Parodie an deren Ende mit demWirtshaustisch als Kanzel und ihrem aus der Bergpredigt bezogenen Belehrungspathos

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(»Aber wahrlich ich sage euch«; Mt. 6,16) sowie anderer Bibelanspielungen63 entwertetdie Sinnvorstellung, die sich der Mensch von sich und der Welt bildet, als»hyperbolische Naivität« – mit Nietzsches Worten 75 Jahre später.64 Bei Büchner istdiese Sinnvorstellung ein teleologischer Zirkelschluss: Die theologisch-existentielleSinnfrage »Warum ist der Mensch?« wird mit Hinweis auf die ökonomischeNotwendigkeit des Menschseins der Lächerlichkeit preisgegeben: der Mensch wurde nurgeschaffen, damit »der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt« von ihmleben können. Was das Märchen als nihilistische Kontrafaktur der im Glück endendenSterntaler-Geschichte hervorkehrt, die Sinnlosigkeit der Welt, wird hier begründet:Noch der Nihilismus ist lächerlich unangemessen, weil die teleologische Sinnfrageüberhaupt müßig ist – der Mensch hat keinen Zweck, oder mit Büchner selbst, inAnspielung auf Spinoza:65 »alles, was ist, ist um seiner selbst willen da«.66 Das istgleichzeitig eine Antwort auf den innerszenischen Bezug der Predigtparodie. Diesebezieht sich auf Woyzecks Sinnfrage, die Maries triebhafte Untreue, ihrenhemmungslosen Tanz mit dem Tambourmajor, ins Metaphysische überträgt: »Warumbläst Gott nicht die Sonn aus« (247). Da er das, was ihm widerfährt, nicht ändernkann, sucht er Hilfe beim rächenden Gott. Aber die an die biblische Bildvorstellung derApokalypse (Offb. 8,12) anknüpfende Frage nach dem die Unzucht der Welt strafendenRächergott verhallt – so die Handwerker-›Predigt‹ – als unangemessene Warum-Frageim Leeren. Damit ist das Urteil über die mythische Hinterwelt gesprochen, in die sichWoyzeck in seiner sozialen Desolatheit flüchtet: Die Handwerker-Predigt entwertet dievolksreligiöse Wunschvorstellung vom Letzten Gericht als ultimativer Rechtsinstanz undkommentiert auf diese Weise auch Woyzecks Apokalypse-Visionen an anderen Stellendes Stücks (vgl. »Ein Feuer fährt um den Himmel«, 1,235; »die Welt im Feuer«,8,243). Für die Figuren und das Publikum gibt es weder den Rächergott noch denErlösergott, auf den Marie vergeblich hofft (16,249). Auch der Weg in ein Jenseits der

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Geschichte ist verbaut: Woyzecks Fluch über Maries Triebhaftigkeit (»Mensch und Vieh.Tut’s [. . .] wie die Mücken«; 247) knüpft an die Philosophie des Natürlichen an, die derAusrufer in der Budenszene vertritt (238) – von Büchner freilich ins verzerrende Lichtder Komik getaucht. Zu Recht, wie sich hier zeigt, wo der natürliche Sinn in den Sogder Geschichte gerät und das »arm Weibsbild« (239) in »Ungebührlichkeit« (238) undTrieb das hoffnungslose Pauperdasein vergessen will. Das Recht, mit dem der Handwerksbursch das letzte Wort hat, geht nur mittelbar ausder Szene hervor: Die beiden Handwerksburschen erscheinen als streitlustige Trinker(Erster Handwerksbursch: »Brandewein«) und zugleich (Zweiter Handwerksbursch) alsbibelfeste Witzköpfe – dem Woyzeck, der Marie und dem Tambourmajor durchironische Distanz zu sich und der ›Welt‹ weit überlegen. Sie sind in die Szene nicht alsHandelnde oder Leidende verwickelt (wie Marie und Woyzeck), sondern bezeugen alsderen witzige Kommentatoren anstelle ihres Handwerkertums und dessen»Traditionalismus der ›Ehrbarkeit‹« – beides verloren im zeitgenössischen Pauperismusund der Auflösung der Zünfte67 – soziale Entwurzelung und anarchische Intellektualität.Damit, so Nipperdey,68 werden die Handwerkergesellen der Vormärzzeit, gutausgebildet und gleichwohl ohne Arbeit, zu Wortführern und Akteuren derMärzrevolution. Die geschichtsträchtige Beziehung von Desorientierung (ErsterHandwerksbursch) und Gewalt (Zweiter Handwerksbursch) thematisiert die vorliegendeSzene – und verbindet sie mit der Handlung des Stücks. Die Drohungen der Burschenmit »Brandewein« und »tot schlage« werden gleich darauf vom seelisch entwurzeltenWoyzeck und vom tumben Tambourmajor aufgegriffen, vom eifersüchtigen Woyzeck,der sich in Totschlagphantasien verliert (»stich die Zickwolfin tot«; 248), und vomTambourmajor, der – »Brandwein gibt Courage!« – den Woyzeck niederschlägt(248 f.).

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Die Szene vor dem Wirtshaus ist neben den Budenszenen und den BegegnungenWoyzecks mit dem Doktor sowie dem Hauptmann eine der Schlüsselstellen des Stücks.Bedeutend ist sie, weil das von ihr exemplifizierte dreifache, szenenübergreifende,binnenszenische und von der Predigtparodie als Form der Uneigentlichkeit geprägteKompositionsverfahren einen Erlebnishorizont andeutet, der von den politischen,sozialen und kulturellen Vorstellungen der Vormärz-Historien abweicht. Nicht zuletztmit Anspielungen südhessischen Dialekts und Liedern aus GießenerFuhrmannskneipen69 entwirft Büchner eine Alltagsgeschichte, deren Lebenswirklichkeitden Selbstanspruch des Autors für das heutige Woyzeck-Publikum einlöst: »Der Dichter[. . .] macht vergangene Zeiten wieder aufleben« (307). Zugleich aber zeigt dieWirtshausszene auch beispielhaft, dass der Erlebnishorizont, den Büchner von seinereigenen Zeit entwirft, durch innertextuelle Bezüge transparent wird für existentielleEinsichten, die das Bewusstsein der Figuren übersteigen. Ist der Woyzeck ein kritischerBeitrag zur Erlebnisgeschichte der Vormärzzeit, der komplementär zu Kosellecks,Nipperdeys, Wehlers oder Friedells Geschichtsbüchern zu lesen wäre, so ist er,uraufgeführt 1913, doch auch mehr: Licht auf der modernen Bewusstseinsgeschichteseit Nietzsche – und deren Überwindung. Gegen den Sinnverlust im Materialismus deswissenschaftlichen Fortschritts (Doktor) und gegen die Impotenz einer normativen, inStaat und Kirche konventionalisierten Moral (Hauptmann) setzt Büchner erstens auf dieIndividualität seiner zeitgeschichtlichen Figuren, die normative – auchhistoriographische – Kategorien korrigiert, zweitens auf die Autonomie, denSelbstzweck des Menschen, dessen Tun und Lassen zwischen Liebe und Hass dieErklärungsmuster der Psychologie widerlegt, und drittens auf die ästhetische Ordnungseiner Vernetzungskomposition – als Protest gegen die Sinnleere, die aus der Handlungdes Woyzeck selbst und seinen Figuren hervortritt.

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Anmerkungen

1 Brief vom 28. Juli 1835. Zitiert wird nach der Ausgabe: Georg Büchner. Werke undBriefe, Münchner Ausgabe, hrsg. von Karl Pörnbacher [u. a.], München 1988, hierS. 305.

2 Siehe z. B. Reinhart Koselleck, in: Louis Bergeron, François Furet, Reinhart Koselleck,Das Zeitalter der europäischen Revolution. 1740–1848, Frankfurt a. M. 1969, S. 199–319.

3 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: 1815–1845/49,München 1987.

4 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat,München 1983, S. 440–451.

5 Egon Friedell, »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Kulturgeschichte?«, in:E. F., Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. 1, München 1976, S. 19.

6 Ebd., Bd. 2, S. 1093 f.7 Grundlage der Woyzeck-Interpretation ist die »Lesefassung« des Dramas in derMünchner Ausgabe (s. Anm. 1). Seitenangaben in Klammern.

8 Vgl. Wehler (s. Anm. 3), S. 281–298; Wolfgang Hardtwig, Vormärz. Der monarchischeStaat und das Bürgertum, München 1985, S. 70–74; Nipperdey (s. Anm. 4), S. 226.

9 Wehler (s. Anm. 3), S. 281–296, hier S. 288; Hardtwig (s. Anm. 8), S. 70 f. Sieheauch Alfons Glück, »Der Woyzeck. Tragödie eines Paupers«, in: Georg Büchner.Revolutionär, Dichter, Wissenschaftler. Katalog der Büchner-Ausstellung Darmstadt1987, Basel / Frankfurt a. M. 1987, S. 325–332.

10 Vgl. die Woyzeck-Interpretation von Albert Meier, Georg Büchner. Woyzeck, München31993.

11 Vgl. Nipperdey (s. Anm. 4), S. 219 f.

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12 Vgl. ebd., S. 210–219, 227.13 Vgl. Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1968, S. 114.14 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung.Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen1980.

15 Brief vom 28. Juli 1835 (s. Anm. 1), S. 305.16 J. M. R. Lenz, »Versuch über das erste Principium der Moral«, in: J. M. R. L., Werkeund Briefe in drei Bänden, hrsg. von Sigrid Damm, Bd. 2, München/Wien 1987,S. 500: »Der menschliche Verstand ist von der Art, daß er [. . .] auf ein erstesPrincipium zu kommen strebt [. . .], ein wenig vorwitzig. [. . .] Wir sind einmalzusammengesetzte Wesen.«

17 Siehe ebd., Anmerkungen übers Theater, S. 653 (ich schätze »dencharakteristischen, selbst den Karikaturmaler zehnmal höher als den idealischen«, dereine Figur nicht mit »Genauigkeit und Wahrheit« darstellen kann), und Rezension desNeuen Menoza, S. 701 (»Alltagscharaktere« mit »Verstärkung«).

18 Vgl. Nipperdey (s. Anm. 4), S. 227, und Wehler (s. Anm. 3), S. 291.19 Büchner, Über Schädelnerven, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 257–269, hierS. 260.

20 Friedrich Nietzsche, »Die fröhliche Wissenschaft« (5. Buch), in: Fr. N., Werke in dreiBänden, hrsg. von Karl Schlechta, Bd. 2, München 1973, S. 205.

21 Siehe Stephen F. Mason, Geschichte der Naturwissenschaft, Stuttgart 1991. – HansQuerner / Heinrich Schipperges (Hrsg.), Wege der Naturforschung 1822–1972 imSpiegel der Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte, Berlin/Heidelberg1972. – Alfons Glück, »Der Menschenversuch. Die Rolle der Wissenschaft in GeorgBüchners Woyzeck«, in: Georg Büchner Jahrbuch 5 (1985), S. 139–182. – SabineKubik, Krankheit und Medizin im literarischen Werk Georg Büchners, Stuttgart 1991.

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22 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 3:Erfahrungswissenschaften und Technik (1934), München 1987, S. 199–239.

23 Siehe ebd., S. 163–453, und Nipperdey (s. Anm. 4), S. 484–498.24 Friedrich Georg Jünger, Über das Komische, Zürich 1948.25 Erläuterungen und Dokumente: Georg Büchner. Woyzeck, hrsg. von LotharBornscheuer, Stuttgart 1977, S. 15.

26 Jan-Christoph Hauschild, Georg Büchner. Biographie, Stuttgart/Weimar 1993, S. 256.27 Siehe ebd.28 Johann Christian August Clarus, »Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders JohannChristian Woyzeck« und »Früheres Gutachten«, in: Georg Büchner. Sämtliche Werkeund Briefe, hrsg. von Werner R. Lehmann, Bd. 1, München 1974, S. 487–549, hier S.522–526. (Zitate aus den beiden Clarus-Gutachten nach dieser Ausgabe.) – ImmanuelKant, Kritik der Praktischen Vernunft, hrsg. von Karl Vorländer, Hamburg 1967,S. 33–35 (Erster Teil I,1, § 5 f.).

29 Gegen die ›rousseauistische‹ Lesart der Szene siehe Günter Oesterle, »DasKomischwerden der Philosophie in der Poesie. Literatur-, philosophie- undgesellschaftsgeschichtliche Konsequenzen der ›voie physiologique‹ in Georg BüchnersWoyzeck«, in: Georg Büchner Jahrbuch 3 (1983), S. 200–239, hier S. 208–218.

30 Siehe S. 164–169 im Abschnitt »Komposition« die Deutung der erstenWirtshausszene.

31 Vgl. Hauschild (s. Anm. 26), S. 558.32 Siehe Meier (s. Anm. 10), S. 56.33 Schnabel (s. Anm. 22), Bd. 2: Monarchie und Volkssouveränität (1933), München1987, S. 326.

34 Siehe jedoch Alfons Glück, »Militär und Justiz in Georg Büchners Woyzeck«, in: GeorgBüchner Jahrbuch 4 (1984), S. 227–247, hier S. 236.

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35 Siehe Anm. 4.36 Vgl. Schnabel (s. Anm. 22), Bd. 4: Die religiösen Kräfte (1937), München 1987,insbes. S. 492–529 und S. 559–577.

37 Siehe Ludwig Feuerbachs Kritik des Abendmahls: L. F., Das Wesen des Christentums(1840), Stuttgart 1994, II,26, S. 361–368, und das oft aufgelegte,populärphilosophische Hauptwerk des naturwissenschaftlichen Materialismus: Kraftund Stoff (1855), verfasst vom jüngeren Büchner-Bruder Ludwig Büchner.

38 Dieser kann nach Wehler (s. Anm. 3), S. 393 f., in der Vormärzzeit auch zurVerstärkung der Polizei eingesetzt werden.

39 Ebd., S. 381.40 Schnabel (s. Anm. 22), S. 18–20.41 Siehe Wolfgang Martens, »Zur Karikatur in der Dichtung Büchners« [WoyzecksHauptmann], in: Germanisch-Romanische Monatsschrift N. F. (1958), S. 64–71.

42 Feuerbach (s. Anm. 37), I,5, S. 102–114.43 Barbara Krafft, »Vergißmeinnicht – das Sinnige im Biedermeier«, in: BiedermeiersGlück und Ende. Die gestörte Idylle 1815 – 1848, hrsg. von Hans Ottomeyer in Zsarb.mit Ulrike Laufer, München (Münchner Stadtmuseum) 1987, S. 137–162, hierS. 137 f.

44 Büchner an seine Braut [Gießen, um den 9.–21. März 1834], zit. nach: MünchnerAusgabe (s. Anm. 1), S. 288.

45 Wilhelm Weitling, Die Menschheit, wie sie ist und wie sie sein sollte, 1838. – ArthurSchopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 1819/1844, IV. Buch.

46 So der Titel des Endgutachtens. Zitiert wird im Folgenden (mit der Sigle L) aus denClarus-Gutachten nach der Ausgabe von Werner R. Lehmann: Georg Büchner (s. Anm.28). – Zu den Nebenquellen des Woyzeck siehe die entsprechenden Anmerkungen inder Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 627–629, bei Bornscheuer (s. Anm. 25),

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S. 49–67, und Meier (s. Anm. 10), S. 18–20, sowie Walter Hinderer, Büchner-Kommentar zum dichterischen Werk, München 1977, S. 174 f.

47 Büchner, Über Schädelnerven, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 260.48 Siehe Anm. 28 und das psychiatrisch maßgebliche Buch von Clarus’ akademischemLehrer Johann Christian August Heinroth, Lehrbuch der Störungen des Seelenlebensoder der Seelenstörungen und ihrer Behandlung. Vom rationalen Standpunkt ausentworfen, Leipzig 1818. – Siehe auch Klaus Dörner, Bürger und Irre. ZurSozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie, Frankfurt a. M. 1975.

49 Vgl. Dörner, ebd., S. 318 f.50 Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Übers. vonWalter Seitter, Frankfurt a. M. 1977, S. 23, 29.

51 Ebd., S. 28.52 Büchner, Lenz, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 135–158, hier S. 144.53 Vgl. Dolf Sternberger, Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert (1938),Frankfurt a. M. 1974, S. 122–141 [»Das Höhere«].

54 Siehe Theo Elm, »Georg Büchner und Leopold Ranke. Poetische und historischeErkenntnis der Geschichte«, in: Hermenautik – Hermeneutik. Literarische undgeisteswissenschaftliche Beiträge zu Ehren von Peter Horst Neumann, hrsg. vonHolger Helbig [u. a.], Würzburg 1996, S. 163–178.

55 Büchner, Über Schädelnerven, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 26056 »Über den Selbstmord. Eine Rezension«, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 34–38.

57 Siehe jedoch Udo Roth, »Das Forschungsprogramm des Doktors in Georg BüchnersWoyzeck unter besonderer Berücksichtigung von H 2,6«, in: Georg Büchner Jahrbuch8 (1990–94), S. 254–278.

58 Handschrift H 4, Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 214.

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59 Historie: Brief vom 28. Juli 1835 (s. Anm. 1); Wissenschaft: Über Schädelnerven, in:Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 259–261; Kunst: Lenz, in: ebd., S. 144 f.

60 Hingewiesen sei hier erneut auf die vorzügliche Woyzeck-Deutung von Albert Meier(s. Anm. 10), S. 58–64.

61 Siehe etwa das Augenmotiv in der Budenszene, S. 237 f., oder den Absurditätseffektdurch die Parallelisierung von Maries Bibellektüre und der Idiotenrede, S. 249 f.

62 Vgl. Werner R. Lehmann, »Repliken. Beiträge zu einem Streitgespräch über denWoyzeck«, in: Euphorion 65 (1971), S. 58–83.

63 Siehe Hinderer (s. Anm. 46), S. 247, und Bornscheuer (s. Anm. 25), S. 20 f.64 Nietzsche (s. Anm. 20), Bd. 3, S. 678 [»Hinfall der kosmologischen Werte«].65 Siehe in seinen Spinoza-Studien: Georg Büchner (s. Anm. 28), Bd. 2, S. 239 f. und289 f.

66 Über Schädelnerven, in: Münchner Ausgabe (s. Anm. 1), S. 260.67 Nipperdey (s. Anm. 4), S. 212. – Wehler (s. Anm. 3), S. 54–64.68 Nipperdey (s. Anm. 4), S. 218.69 Vgl. Bornscheuer (s. Anm. 25), S. 18.

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Erstdruck: Interpretationen. Dramen des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Reclam, 1997.(Reclams Universal-Bibliothek. 9631.) S. 141–171.