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Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65 7.65 Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Fehlstellungen es durch mangelnde PE in der Produktion gibt, wie Sie eine gute Führung in der Produktion erreichen, welche Führungsprinzipien in der Produktion erfolg- reich sind, welche Führungsfehler Sie unbedingt vermeiden müssen, welche Entwicklungsmaßnahmen in der Produktion sinnvoll sind, wie Sie dadurch Ihre Produktion viel effizienter gestal- ten können. Der Autor Bernhard Bachmann, Berater, Dozent und Coach mit 3 Hochschulabschlüssen, Organisationsentwickler und Change Manager. Neben Einsatzfeldern als Analyst und Interim Manager arbeitet er als Dozent für Marketing, Unternehmensführung, Strategie, Produktionsmanagement, Governance sowie persönliche Effizienz- steigerung und hat selbst über 200 Projekte in diesen Feldern geleitet. Zentraler Teil seiner Arbeit ist die Analyse vor allem von produzierenden Unternehmen bei Konflikten und Performanceproblemen durch Tiefeninterviews. Hierbei werden Teams, Berufsprofile, Schnittstellen oder ganze Belegschaften in bis zu 600 ver- traulichen Gesprächen befragt, um zu Lösungen zu gelangen. Auch Kunden wer- den einbezogen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz von Lernlandkarten zur Strategievermittlung, sowie das Coaching von Führungskräften, Selbstständigen und von Teams. Anschrift: Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH, Villa Hagedorn, 65343 Eltville am Rhein, Tel.: 0 61 23/60 12 06, Fax: 0 61 23/60 18 91 E-Mail: [email protected], http: www.bachmann-leadership.de PersonalEntwickeln 189. Erg.-Lfg., Dezember 2014 7.65 Seite 1

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Personalentwicklung für Mitarbeiter in der Produktion 7.65

7.65 Personalentwicklung fürMitarbeiter in der ProduktionIn diesem Beitrag erfahren Sie,

• welche Fehlstellungen es durch mangelnde PE in derProduktion gibt,

• wie Sie eine gute Führung in der Produktion erreichen,

• welche Führungsprinzipien in der Produktion erfolg-reich sind,

• welche Führungsfehler Sie unbedingt vermeidenmüssen,

• welche Entwicklungsmaßnahmen in der Produktionsinnvoll sind,

• wie Sie dadurch Ihre Produktion viel effizienter gestal-ten können.

Der AutorBernhard Bachmann, Berater, Dozent und Coach mit 3 Hochschulabschlüssen,Organisationsentwickler und Change Manager. Neben Einsatzfeldern als Analystund Interim Manager arbeitet er als Dozent für Marketing, Unternehmensführung,Strategie, Produktionsmanagement, Governance sowie persönliche Effizienz-steigerung und hat selbst über 200 Projekte in diesen Feldern geleitet. ZentralerTeil seiner Arbeit ist die Analyse vor allem von produzierenden Unternehmen beiKonflikten und Performanceproblemen durch Tiefeninterviews. Hierbei werdenTeams, Berufsprofile, Schnittstellen oder ganze Belegschaften in bis zu 600 ver-traulichen Gesprächen befragt, um zu Lösungen zu gelangen. Auch Kunden wer-den einbezogen. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Einsatz von Lernlandkarten zurStrategievermittlung, sowie das Coaching von Führungskräften, Selbstständigenund von Teams.

Anschrift: Bachmann Analytics, Governance & Training GmbH, Villa Hagedorn,65343 Eltville am Rhein, Tel.: 0 61 23/60 12 06, Fax: 0 61 23/60 18 91

E-Mail: [email protected], http: www.bachmann-leadership.de

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InhaltSeite

1 Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Der operative Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Die Prinzipien „guter“ Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

3.1 Die Wichtigkeit der Vorbildfunktion . . . . . . . . . . . . . . 133.2 Integrität und Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143.3 Der „moralische“ Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

4 Unternehmenskultur und Unternehmensklima . . . . . . . . . . . 185 Die Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

5.1 Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205.2 Performance Measurements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225.3 Interner Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245.4 Schlechte Führungsqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

6 Führungskultur und Führungsklima: Zusammenarbeit undKooperationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

7 Gesundheitsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

1 Die Ausgangssituation

In meinem in diesem Handbuch erschienenen Beitrag über Lernbedarfs-analyse (Beitrag Nr. 5.92, 168. Erg.-Lfg., Feb. 2013) habe ich bereitsangemerkt, dass es bei der Personalentwicklung gewaltige Defizite imBereich der Produktionsmitarbeiter gibt. Dieser Beitrag geht nun aufdiese Problematik ein. Eigentlich ist ja alles ganz klar: Eine Produktionbasiert auf kalkulatorischen Grundlagen, auf Investitionen in harte Stand-ortfaktoren und Maschinen, auf dem Controlling von Stückgutkosten undKey Performance Indicators (KPIs) sowie auf den variablen und fixenKosten. Hinz kommen die Definition des Qualitätsmanagements, der Per-sonalstärke und die entsprechenden Standards und Benchmarks.

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Soweit die Theorie, wie sie allerorten in den produzierenden Betriebenverankert zu sein scheint. Und warum auch daran rütteln? Unsere Pro-duktivität ist herausragend, die deutschen „Hidden Champions“ aus demMittelstand zählen schließlich zu den Weltmarktführern. Und doch tau-chen in vielen Projekten meiner Beratungstätigkeit erhebliche Zweifel auf,ob das alles so richtig ist. Wie kann man, wie diese Projekte zeigen,indem sich nur an den Themen Strategie und Führung etwas ändert,nachweislich über 30 % mehr Ergebnisse erzielen, wenn alles anderegleich bleibt?

Das ist, wie ich mittlerweile erforscht habe, mehr als nur ein Zufall (Bach-mann 2015). In der Produktion begegnet man nur selten anderen Bera-tern; diese planen eher am grünen Tisch. Gelegentlich sieht man einenQualitätsmanager, Maschinenbauer oder Ingenieur; Prozessanalystenoder gar Personalentwickler sind mir in den vor Dreck starrenden Budenvon Schichtleitern, bei 50 Grad im Unterbau von Maschinenstraßen oderin einer stickigen Sandaufbereitung noch nie begegnet. Doch nur da woman durch Dämpfe watet, über ausgelaufene Salzsäure oder über flüssi-ges Eisen steigt, in staubigen Ansatzräumen oder den vergessenenBereichen der Fabriken, da zeigt sich überall der menschliche Faktor.Dazu braucht es kein Raumschiff Enterprise: Bei zahlreichen Projektenhabe ich Bereiche besucht, unendliche Weiten sozusagen, in denen seitteilweise über 20 Jahren keine Führungskraft oberhalb eines Schichtfüh-rers mehr gewesen ist. Entsprechend mitteilsam sind die dort anzutref-fenden Arbeitskräfte.

Mein Fazit lautet: Wenn man produzierende Betriebe zu seinen Kundenzählt, ist es immer wieder interessant zu beobachten, wie stark dermenschliche Faktor über alles entscheidet. Hierbei kommen vier Fakto-ren zusammen:1. die Summe an Effizienz der Mitarbeiter in der Produktion,

2. die Summe menschlichen Handelns: Kultur und Klima,

3. die Summe an Fähigkeiten des Managements,

4. die Summe der Führungsqualität in der Produktion.

Bereits hier müsste auffallen, dass alle diese Bereiche durch eine Perso-nalentwicklung steuerbar sind. Wesentlich weniger fällt dagegen erfah-rungsgemäß ins Gewicht, welche Maschinen Sie einsetzen, ob Sie einegute vorbeugende Instandhaltung haben oder die Anlagen auf Crash fah-ren oder wie gut Ihre Planungssysteme sind. Diese Lehre verstößt natür-

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lich gegen alle Glaubenssätze, die den Menschen vor allem in der Pro-duktion so gerne entbehrlich machen möchten. Beispielsweise dasGießen von Eisen und Stahl und die Metallverarbeitung gehören zu denam längsten industrialisierten Bereichen des Menschen; hier brauchtsicherlich niemand mehr Nachhilfe? Und doch lassen sich selbst in die-sen Branchen deutliche Effizienzsteigerungen erreichen, wenn man andie menschlichen Faktoren geht. Leider wird das von den Führungseta-gen oft nicht gesehen und beißt sich mit der Wirklichkeit in den Unterneh-men. Lernbedarfsanalysen für Mitarbeiter und Führungskräfte aus derProduktion fehlen häufig vollkommen. Die Personalentwicklung in derProduktion wird selbst in deutschen Erfolgsunternehmen merkwürdigzurückhaltend und stiefmütterlich behandelt. Das gilt sogar für manchemission critical services wie Krankenhäuser.

Bei produzierenden Betrieben beobachte ich regelmäßig ein völligesFehlen der Ausbildung in Sachen Führung, Leadership, Change und Pro-zessgestaltung. Selbst in namhaften Industriekonzernen – bspw. beimBerufsprofil „Schichtführer“ – werden gerade mal 12 % der Schichtleiterin Maßnahmen geschult, die über Arbeitssicherheit, Unfallverhütung oderMaschinenschulungen o. ä. hinausgehen. Bei einer Trainingsmaßnahmewie „Schichtübergabe“ konnte ich feststellen, dass über die Hälfte derTeilnehmer das Erlernte nicht anwenden, sondern teilweise bewusstgegen die dort gelehrten Prinzipien verstoßen.

Unsere kleineren und mittleren Unternehmen des Mittelstands (KMU)haben teilweise noch höhere Ausbildungsdefizite. In Deutschland giltanscheinend Ausbildung nicht mehr viel, wenn erst mal die Lehre abge-schlossen ist. Formen des Blended Learnings oder Selbststudiums wer-den in den wenigsten Betrieben angewendet bzw. honoriert. In Summekann man sagen, dass die Instrumente der Personalentwicklung regel-mäßig dem Management und dem administrativen Teil der produzieren-den Gewerbe vorbehalten bleiben. Das Geld wird allerdings zum Großteildurch die Produktivität der Produktion verdient.

Außerdem, um es vorsichtig zu formulieren, kommen gelegentlich rechtmerkwürdige Vorgaben heraus, wenn Personalentwickler, Ingenieureoder Produktionsleiter, die nie selbst in der Produktion gearbeitet haben,Programme für Produktionsmitarbeiter entwickeln. Bestenfalls wird hieralso ein irgendwie geeignet erscheinender Trainingsanbieter gesucht;und die Wirkung der Trainings von der Stange fast nie analysiert.

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Manager zu entwickeln macht den Personalern sichtlich mehr Spaß, alseinen Produktionsbereich nach vorne zu bringen. Dabei, wie den Produk-tionsarbeitern meist sehr wohl bewusst ist, wird hier das Geld verdient,das die Manager ausgeben, und Ineffizienzen in einer Produktion schla-gen sich immer sofort auch in der Marge nieder. Man kann hier alsodurch die richtigen Maßnahmen viel an Produktivitäts- und Effizienzstei-gerungen erreichen, die sich regelmäßig sofort in Profitabilität ausdrü-cken. Trotzdem gelten Stückgutkosten, Auslastungsquoten und Maschi-nenlaufzeiten als das Mantra und Nonplusultra, obwohl dies auchwissenschaftlich beispielsweise durch die Theory of Constraints ausrei-chend widerlegt ist (Dettmer 1998; Goldratt/Cox 1993; Jacob et al. 2010).Die Performance kommt demnach aus dem marktkonformen und daherprofitablen Durchsatz der Fabrik und eben nicht durch die größtmöglicheutilisation rate.

Leider haben gerade Mitarbeiter und Führungskräfte aus dem BereichProduktion große Defizite in der Artikulation ihrer Lernbedarfe. Sie wer-den auch nicht sonderlich ermutigt, das zu ändern. Auch die Betriebsrätenehmen sich den Themen Personalentwicklung oder Aus- und Weiterbil-dung nur selten in ausreichendem Maße an. Dennoch, getrieben durchFachkräftemangel und Demografie, eine älter werdende Belegschaft undein (wenn auch recht langsames) Umdenken, scheint momentan einTrend spürbar, dass der Bereich Produktion jetzt endlich verstärkt in denFokus der PE rückt. Dieser Beitrag trägt hoffentlich dazu bei, ein Mehran Aufmerksamkeit für die Personalentwicklung in der Produktion zuerreichen.

2 Der operative Kontext

In den produzierenden Bereichen von Unternehmen ist der operativeKontext ausschlaggebend. Je mehr Kennzahlen eingesetzt werden, jemehr ein rigides Kostendenken dort Einzug gehalten hat, je mehr manPlanungsinstrumenten und ERP unterworfen ist, desto mehr steigt derDruck im Kessel an. In nahezu allen Projekten, an denen ich mitgearbei-tet habe, hatte der wöchentliche Produktionsplan keinen Bestand; häufignicht mal der tägliche. Schwankende Qualitäten der Roh- und Zuschlags-stoffe oder der Zwischenprodukte, Maschinenprobleme, Ausfall von Mit-arbeitern oder Eilaufträge aus Vertrieb und Arbeitsvorbereitung (AV) füh-ren häufig zu einer laufenden Umpriorisierung.

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In der Produktion ist der Umgangston wesentlich rauer – überall, wo allesgleichzeitig gehen muss und die Logistik alles komplex macht, schlägtsich der Druck in den Umgangsformen nieder. Wer mal in die Kücheeines Sterne-Restaurants geschaut hat, wird wissen, worum es geht. Inmanchen Betrieben kommen multikulturell zusammengesetzte Beleg-schaften hinzu, was die Kommunikation deutlich erschweren kann. Leih-arbeiter werden immer wieder ausgewechselt; kaum hat man sie ange-lernt, wechseln sie in einen anderen Betrieb. Alleine dieser Sachverhaltkostet richtig viel Geld, wird aber nie eingepreist. Wer schlecht zahlt unddie Mitarbeiter schlecht behandelt, sieht sich diesem Phänomen beson-ders häufig ausgesetzt – mit entsprechenden Konsequenzen in Effizienzund Qualität. Sicherlich, die Arbeitnehmerüberlassung ist ein wesentli-cher Faktor in der Kostenkalkulation und für die Glättung. Doch habeich Betriebe kennengelernt, die bspw. bei einer Stammbelegschaft von120 Mitarbeitern 240 Leiharbeiter beschäftigen; dass hier die Politik inter-veniert, ist kein Wunder.

Diese Personalplanung bleibt oft den Betriebsleitern überlassen; Perso-nalentwickler müssen hier darauf achten, dass die Arbeiter nach densechs Wochen, die es üblicherweise dauert, sie anzulernen, weiter beider Stange bleiben. Entlohnung, Wertschätzung und ein entsprechendesBetriebsklima sind hierzu wesentlich. Arbeitsanweisungen, die auf Foto-grafien und Bildersprache basieren, haben sich hier ebenfalls starkbewährt; der Aufwand, diese zu erstellen, lohnt sich.

In der Produktion werden im Minutentakt Entscheidungen getroffen, dasTempo an Entscheidungen, die durchaus große Konsequenzen habenkönnen, ist hier ein ganz anderes als in den Verwaltungstrakten, außervielleicht im Handelsraum einer Großbank. Sich entscheiden zu können,und die Kriterien zu steuern, auf denen diese Entscheidungen basieren,sind eine häufig übersehene Quelle für Maßnahmen der Personalent-wicklung, wie noch aufzuzeigen sein wird.

Das Problem in der Produktion ist, dass häufig Produktionsvorgaben,maschinelle Realitäten, Qualitätsvorgaben und Kostenvorgaben mitei-nander kollidieren. Dies führt immer wieder zu Zielkonflikten. In einemderart operativen Umfeld ist es daher entscheidend, wie Führungsqualitä-ten ausgebildet sind, um hier entsprechend effizient agieren zu können.In vielen Betrieben liegt hier allerdings noch ein arg hierarchisches Ver-ständnis vor. Natürlich gibt es auch Betriebe mit selbstbestimmtenTeams, z. B. in der Produktion von Möbeln; in den Großanlagen mit

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Maschinenstraßen ist das jedoch nach wie vor unüblich (Göbel 1998).Moderne Organisationsformen wie SCRUM sind in der Produktion eigent-lich nicht anzutreffen. Auch dass die Mitarbeiter von Toyota und anderenAutobauern die Produktion anhalten dürfen, untergräbt keineswegs diegerade in Japan stark hierarchischen Führungsprinzipien in den meistenFabriken. Viele Produktionsleiter, aber auch viele mittelständische Fir-menpatriarchen haben hierbei ein geradezu archaisches Verständnis vonFührung und Gehorsam. Viele vergleichen das mit der Armee: Befehlewerden gefälligst nicht hinterfragt. Dabei sind gerade militärische Opera-tionen das Ende eines jeden Plans und dessen Ersetzen durch Chaos;weswegen sich gerade zuallererst in den professionellen Berufsarmeenein völlig anderes Führungsprinzip durchgesetzt hat, nämlich dass dasunterste Glied der Kette selbst in der Lage sein muss, taktische Entschei-dungen treffen zu können, ohne auf Erklärungen oder Befehle zu warten.Das scheint sich in vielen Fabriken aber noch nicht herumgesprochenzu haben. Produktionsleiter, Abteilungsleiter und Schichtführer erhaltenmeistens nicht einmal Basisausbildungen in Führung und Organisation.

Bevor allerdings dieser Mangel an Entwicklung Folgen hat, kommt esbereits im Vorfeld zu gravierenden Fehlern bei der Auswahl von Füh-rungskräften. Hierbei gibt es einen Klassiker zu bewundern: Kaum hatsich jemand zu einem guten Mitarbeiter oder Maschinenführer entwickelt,wird er bei der kommenden Vakanz befördert. Immer wieder werden guteMaschinenführer zu Vorgesetzten erklärt und dann nicht geschult undalleine gelassen. Während die Zahl der guten Maschinenführer abnimmt,steigt der Zahl der unfähigen und überforderten Führungskräfte, vor allembei den Schichtführern und deren Vertretern.

Dies ist besonders in großen Betrieben ein Problem, wenn eine weitereDynamik, oft völlig unbeachtet von der Personalabteilung, hinzutritt: Wäh-rend früher Schichtführer noch die meisten Einstellungen und Problemati-ken der Anlagen kannten, werden diese immer mehr zu Verwaltungskräf-ten, die kaum noch aus der Schichtführerbude herauskommen. Undstattdessen jede Menge Reports anfertigen, E-Mails bearbeiten undDaten und KPIs ins ERP oder Performance Measurement System ein-melden. Wenn dann keine Job-, Kompetenz- oder Orientierungsprofilevorliegen, kann diese Rolle auch nicht entwickelt werden. Da generellwenig Wert auf Führungsqualität in der Produktion gelegt wird, trauensich auch viele Mitarbeiter die Rolle des Schichtführers zu, die wenig bisgar nicht geeignet sind; dies aber auch nicht sehen können, da ihre

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eigene Erfahrung ja eine andere ist: Durch Kommandieren und Druckweitergeben kommt man weiter. In einigen Betrieben, so haben meineErhebungen ergeben, beschweren sich über 80 % der Mitarbeiter, dass„Schreien, Toben, und Herumbrüllen“ eine alltägliche Form der Führungdurch die Vorgesetzten sei. Klar: Wenn es nur das ist, dann kann ich dasauch, sagt sich da so mancher. Hier helfen nur klare Rollenprofile undein Verständnis von Führungskultur und gewünschten Führungsprinzi-pien, die häufig erst entwickelt werden müssen.

Während Governance sich, was Fabriken angeht, meistens nur in derForm von KPIs, Recyclingvorgaben oder Kostenkontrolle niederschlägt,werden Führungsprinzipien jedoch eher weniger thematisiert. Dies kanngravierende Folgen haben, vor allem, wenn die Unternehmenskommuni-kation auch hinterher hinkt. So habe ich ganz viele Fabriken kennengelernt, die doch ein recht merkwürdiges Verständnis der Unternehmens-kommunikation aufweisen. In einer Fabrik bspw. wurden erst Terminalsan den Maschinenstraßen eingerichtet, auf denen die Mitarbeiter Zugangzum Intranet hatten. Danach kam eine Direktive, dass die Nutzung desIntranets die Mitarbeiter ablenkt und daher Sicherheitsrisiken beinhaltet,und daher wurde das Intranet wieder abgeschaltet. In manchen Fabrikenwurden sogenannte Internet Cafés eingerichtet, die einen Zugang zu Int-ranet und Internet gewähren. In nahezu allen dieser Betriebsstättenhaben sich allerdings regelmäßig über zwei Drittel der Mitarbeiterbeschwert, dass sie von ihren Vorgesetzten immer wieder angeraunztwerden, ob sie denn nichts zu tun hätten, wenn sie sich dort schlaumachen wollen. Größere Unternehmen haben Mitarbeiterzeitschriften,die auch von Mitarbeitern in den Produktionsstätten genutzt werden. DieZielgruppe des Produktionsmitarbeiters bleibt jedoch häufig völlig uner-wähnt in diesen Magazinen. Die meisten dieser Zeitschriften werden vonFabrikmitarbeitern als Vorstandstrompete oder Verwaltungskommunika-tion angesehen. Ausnahmen stellen lediglich die Mitarbeiterzeitschriftendar, die in reinen Produktionsstätten mit einer kleinen angeschlossenenVerwaltung vorzufinden sind; hier dreht sich alles um Produktionsverfah-ren, Maschinen, oder Neuigkeiten aus der Fabrik. Hier bleiben vieleChancen für eine gute Kommunikation ungenutzt; Personaler könnenhier gut ansetzen.

Dies ist auch zwingend notwendig. Es fällt immer wieder auf, wie wenigPersonalentwickler von kommunikativen Vorgängen in den Fabriken wis-sen. Dazu muss man sich nur mal die schwarzen Bretter näher angu-

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cken. Viele Maßnahmen und Anordnungen, die sich dort finden, sindoffensichtlich nie durch eine Personalabteilung gegangen, denn sie ste-hen teilweise im krassen Gegensatz zu herrschenden Vorschriften undGesetzen. Je mehr die Betriebsräte schlafen, desto mehr schleifen sichdiese Dinge ein.

Zum anderen zeigen sich in diesen Aushängen auch immer wieder dieZielkonflikte in den Unternehmen. Mein Lieblingsbeispiel, dass ich nunschon in mehreren Unternehmen antreffen konnte, sieht so aus: An derMaschinenanlage hängt ein Schreiben der Arbeitsvorbereitung, einesAbteilungsleiters oder des Vertriebs, in dem eine Maschinencrew aus-drücklich dafür gelobt wird, dass sie eine neue Bestleistung an Maschi-nenlaufgeschwindigkeit und Produktionsausstoß der „Batch Nummerxyz“ erzielt hat. Direkt daneben hängt ein offizielles Schreiben des Quali-tätsmanagements, dass die „Batchnummer xyz“ gravierende Mängel auf-wies, und dass daher an dieser Maschinenanlage eine bestimmteGeschwindigkeit nicht mehr überschritten werden darf. In diversen Pro-duktionsstätten, vor allem in deutschen traditionsreichen mittelständi-schen Betrieben, gibt es diesen Kulturkampf zwischen Qualität und Kos-tenführerschaft, bei dem keineswegs klar geregelt ist, wohin die Reisegehen soll. Eine Tendenz zeichnet sich allerdings dabei ab: Auf diese Artund Weise mit chinesischen Billigprodukten konkurrieren zu wollen, istherzlich sinnlos. Umso wichtiger werden Bereiche wie Produktentwick-lung und Innovationsfähigkeit; auch dies zwei wichtige Felder für die Per-sonalentwicklung. Und auch hier die wiederholte Feststellung, dass imVerwaltungstrakt zwar einiges getan wird, die Fabrikationsstätte aberaußen vor bleibt. Dies ist besonders eine Schwäche in den Betrieben, woProduktentwicklung, Engineering und Verfahrenstechniken in der Fabrikselbst angedockt sind.

Diese ungelösten Zielkonflikte führen bei vielen Mitarbeitern zu Kopf-schütteln und zu einer allgemeinen Fragestellung, wer hier im Betriebeigentlich das Sagen hat. Aufgrund der nicht vorhandenen schlussend-lichen Zielvorgaben entscheiden die jeweiligen Schichtführer so wie siees interpretieren. Dies führt zu einem Nebeneinander der unterschied-lichsten Vorgaben und Zielerreichungsgrade. Hier ist es die Aufgabe vonGovernance und Personalentwicklung, klare Prinzipien und eindeutigeVorgaben zu erstellen.

Der Weg dorthin ist nicht einfach. Viele Personaler verstehen zu wenigvom operativen Kontext in den Fabriken. Die Produktionsleiter wiederum

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lassen sich ungerne in ihrem Bereich hineinreden und verstehen es meis-terhaft, die „White collar“-Vertreter aus der Administration aus demBetrieb herauszuhalten. Diejenigen Personaler und Entwickler, die selbstschon einmal in einer Produktion gearbeitet haben, haben hier einen kla-ren Vorteil. Im rauen Umfeld der Produktion ist es außerdem üblich, dassman sich eine gewisse „street credibility“ erst erarbeiten muss, umAkzeptanz zu haben. In ganz vielen Fabriken gibt es so etwas wie ein„hüben und drüben“, wobei die kulturellen Unterschiede zwischen Ver-waltung bzw. Administration und der eigentlichen Produktionsstättegemeint sind. Merkwürdigerweise fällt hierbei in den großen Fabrikenhäufiger der Satz „diesseits und jenseits des Bahndamms“, selbst wenndie Bahn seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt wird, da die Gleise mittendurch das Fabrikgelände führen und die Verwaltung meistens auf deranderen Seite sitzt.

Immer wieder bemängeln Mitarbeiter von Fabriken auch, dass sie vonVerwaltungsmitarbeitern nicht ernst genommen, nicht gegrüßt oder nichtausreichend respektiert werden. Eine Art Klassiker: Ein Produktentwick-ler kommt in die Fabrikhalle und fragt den Kollegen bspw., wo denn dieMaschinenstraße X ist, und kennt den Weg nach drei Jahren immer nochnicht. Ebenfalls stark unbeliebt: Tests auf Maschinenanlagen, bei denendie Tester nicht anwesend sind, die den Produktionsablaufplan empfind-lich stören und der Maschinencrew die Performance verhageln, und beidenen den Mitarbeitern auch nicht erklärt wird, was sie eigentlich testen.Personaler müssen diese konfliktreichen Prozesse identifizieren undregeln.

Hierzu ist der beste mir bekannte Ansatz eigentlich ganz einfach: Manmuss sich für ein bis zwei Wochen einen Blaumann anziehen und in dieTiefen der Produktion eintauchen. Begleitende Analysen von Unterneh-mensklima und Mitarbeitermotivation sowie die Analyse einzelner, stich-probenartiger Produktionsprozesse tun ein Übriges, um die Datenlageerheblich zu verbessern.

Mitarbeiter, die in der Verwaltung neu anfangen und die häufig mit Kolle-gen aus der Produktion zu tun haben werden, sollten im Rahmen einerInduction Week ebenfalls den Blaumann anziehen und sich dieserHerausforderung stellen. Ab auf die Schicht! Diese Forderung habe ichschon oft gestellt, stelle jedoch immer wieder fest, dass sich viele Mitar-beiter aus der Verwaltung dem entziehen, und dass die Vorgesetzten dasauch nicht ausreichend nachhalten. Der direkte Vergleich beweist jedoch,

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dass dieses Vorgehen ganz richtig ist. Bei diversen Neueinstellungen inPersonalabteilungen, die sich vorrangig um Produktionsmitarbeiter küm-mern, hat ein Teil der neuen Kollegen sich in der Fabrik getummelt, derandere Teil nicht. Während die ersteren Kollegen ihr neues Aufgabenge-biet erfolgreich meistern konnten, sah das bei dem anderen Teil ganzanders aus. Die letzteren Kollegen waren sich buchstäblich zu fein fürdiese Art der Einführung („so habe ich mir das aber nicht vorgestellt“)und hatten von Anfang an und bis zum Schluss erhebliche Schwierigkei-ten, mit dem Arbeitsbereich zurechtzukommen, und erfuhren auch einemangelnde Akzeptanz. Eine derartige Maßnahme sollte eigentlich ver-pflichtend gemacht werden, und ist gleich ein erster Test der Arbeitsein-stellung.

Fazit: Wenn Sie die Notwendigkeit der Personalentwicklung in der Pro-duktion erkennen, Sie aber bislang wenig über die Gepflogenheiten undProzesse in der Produktion wissen, gönnen Sie sich selbst eine derartigeInduction. Sie werden es nicht bereuen – denn es führt kein Weg drumherum, den operativen Kontext einer Produktion zu verstehen.

3 Die Prinzipien „guter“ Führung

Es wurde bereits herausgestellt, dass einerseits der operative Kontext inder Produktion oft auch dazu führt, dass das Verständnis von Führungunterentwickelt bleibt, und der Umgangston, um es vorsichtig zu formulie-ren, durchaus rau sein kann. Und andererseits, dass überdurchschnittlichhäufig ungeeignete Personen zu Führungskräften befördert werden.

Auch ohne ein vollständiges Führungsbild oder eine vollständige Ent-wicklung von Führungsprinzipien kann bei der Personalauswahl vielerreicht werden. Wenn man auf gewisse ethische FührungsprinzipienWert legt, ist dies bereits ein guter Anfang. Bevor wir zu den negativenFormen von Führung und deren Begleiterscheinung kommen, ist esdaher sinnvoll, die positiven Aspekte näher zu beleuchten. Denn es gibteine Anzahl von Erfolgsfaktoren, die sich positiv auf Führung und Effizi-enz in der Produktionsstätte auswirken, und um die es sich zu kämpfenlohnt, bevor alles verschliffen oder erodiert ist. Es handelt sich hierbei umeinige klassische, grundlegende Dinge, die in unserer schnelllebigen Zeitvielleicht etwas in Vergessenheit geraten sind.

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Ganz vorne steht die Vorbildfunktion; je weniger Wert hierauf gelegt wirdbei der Rekrutierung von z. B. Schichtleitern, umso mehr werden Füh-rungskräfte in der Produktion in Konflikte gezogen und kommen mit demoperativen Druck nicht mehr klar. Das kann sich in einer Kultur nieder-schlagen, die dann schlussendlich alles untergräbt.

Am untersten Ende der Skala nenne ich hier die morgendlichen 8.00-Uhr-Besprechungsrunden in so mancher Produktion, bei der Produkti-onsleitung, AV, Logistik, die Abteilungen und manche Schichtführer teil-nehmen. Die Art und Weise, wie derartige Treffen ablaufen, erlaubt einentiefen Blick in die zugrunde liegende Führungskultur des Unternehmens.Hier kenne ich Treffen, wo die Chefs herumbrüllen, Leute zusammen-stauchen, Schuldige und Sündenböcke gesucht werden, der schwarzePeter kreist; es wird keine Ursachenforschung betrieben und auch nichtüberlegt, was man anders oder besser machen kann.

Die schlimmste Art dieses Treffens kenne ich aus einem deutschen Tra-ditionsunternehmen. Die Stimmung war immer mies, den Teilnehmernstanden Angst und Unwohlsein regelrecht auf die Stirn geschrieben. Allefürchteten vor allem die cholerischen Anfälle des Geschäftsführers, diesich entsprechend auf die Abteilungsleiter auswirkten, die dann ebenfallsDruck nach unten weitergaben. Ich habe dann in einer Analyse die regel-mäßigen Teilnehmer über dieses Treffen befragt. Arbeitsergebnisse gabes selten; nachgehalten wurde fast nie, protokolliert wurde auch nicht.Eigentlich wurden nur Schuldige gesucht und mehr oder weniger öffent-lich hingerichtet; dann ging alles auseinander. Jeder versuchte, wo es nurging, Gründe zu finden, die eine Teilnahme verhinderten. Die Teilnehmerberichteten über Unwohlsein jeden Tag vor dem Treffen, über Herzrasen,Schweißausbrüche und andere physische Störungen, Magenverkramp-fungen, und hassten geradezu und ausnahmslos diese Art Start in denArbeitstag.

Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen; gerade in dieser Firma wurdentatsächlich drei der Teilnehmer, die nach meiner Beobachtung auch ammeisten in diesen Treffen zu leiden hatten, immer wieder und dann auchlangfristig krank.

Die gesundheitlichen Aspekte schlechter Führung werden von den Per-sonalern oft nicht gesehen; und eine geradezu ritualisierte schlechte Füh-rung wie in diesen Runden hat verheerende Folgen, denn sie beeinflusstdie gesamte Führungskultur und das Klima.

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3.1 Die Wichtigkeit der Vorbildfunktion

Für eine gesunde Führungskultur braucht es Vorbilder. Schicht- undArbeitsgruppenführer sollten auch führen und nicht nur schreien können,das ist ein kleiner Anfang. Die Vorbildfunktion ist eine der entscheidendenund wichtigsten Funktionen der Führung (Ruiz-Palomino/Martinez-Canas2011). Die Leadership-Forschung ist sich weitgehend einig: Sie könnenCorporate Social Responsibility (CSR) implementieren, einen code ofethics publizieren, Compliance-Regelwerke entwerfen und publizieren,aber alles dies reicht in der Regel nicht aus, um den operativen Kontextzu steuern (Stellvertretend für viele Studien, die dies belegen: Mihelic etal. 2010 sowie Barnes 2007).

Weitaus effektiver ist es, auf die Prinzipien einer ethischen angemesse-nen Führung zu achten. Wer ethische Rollenbilder und Vorbildfunktionenhat, kann die Führungskultur entscheidend prägen, mehr als es CSR-Prozesse und deren begleitende Dokumente alleine vermögen (Avey etal. 2012; Kaptein 2009: Brown/Treviño 2006).

Während die Forschung sich hier lange auf die Führungsspitze konzent-riert hat, auf die CEOs, Vorstände und Geschäftsführer, ist es mittlerweileerwiesen, dass Vorbilder im mittleren und unteren Management eineweitaus größere Rolle spielen, und diese es sind, die letztlich diegesamte Unternehmenskultur prägen. Gerade in der Produktion werdenlaufend Entscheidungen gefällt, die weitab von der Einflusssphäre derVorstände ablaufen; hier existiert ein Eigenleben, das nur durch Prinzi-pien und Vorbilder kontrolliert werden kann (Yukl 2013). Viele Theoriendes sozialen Lernens unterstützen die Bedeutung von Vorbildern. Eineschwache Unternehmenskultur ist oft alleine durch das Fehlen derartigerVorbilder geprägt; hier kann die PE ansetzen. Wie kann man sich eine„ethische Führung“ vorstellen? Zusammenfassend wirken Vorbilder ambesten, wenn sie die folgenden Charakteristiken erfüllen:

• Zwischenmenschliche Verhaltensweisen basieren auf Fürsorge, Wer-ten und Beziehungen. Führung wirkt unterstützend und übernimmt dieVerantwortung für andere.

• Fairness gegenüber anderen, Ressourcen gerecht verteilend, gleicheBehandlung, Achtung und Wertschätzung aller, erklärte, nachvollzieh-bare Entscheidungen.

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• Ethisches Handeln, Selbstachtung, Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit,Integrität, Demut, Übernahme von Verantwortung für das eigene Han-deln.

• Artikulation ethischer Normen, Aufrechterhaltung einheitlicher ethi-scher Grundsätze, Einnahme einer Stakeholder-Perspektive.

Derartig eingestellte Führungskräfte existieren in der Regel nicht vonTag 1 an, sondern müssen aufgebaut und entwickelt werden. Sie müssendurch viele operative ethische Dilemmata und Zielkonflikte hindurch, undbrauchen hier entweder selbst Vorbilder für die Orientierung, oder klareVorgaben und begleitende Interventionen durch die Firmenleitung, wenndiese fehlen (Langvardt 2012). Lässt man angehende Führungskräfte mitdiesen Zielkonflikten alleine, geht es nur noch um Performance Measure-ments, und der operative Druck spült alle weiteren Haltungen, Ansätzeund Überlegungen unter. Führungskräfte verlieren dann ihren ehrenwer-ten Charakter, vergessen ihre Wertvorstellungen und gehen zur „dunklenSeite der Führung“ über, wie es Brown/Mitchell (2010) ausdrückten. Eineklare Aufgabe für die Personalentwicklung also; aber auch hier kann oftbeobachtet werden, dass in die CSR-Aktivitäten der Firmen eher dieManagementebenen und der Verwaltungstrakt einbezogen werden, nichtaber die Produktion, in der jedoch wesentlich mehr CSR-relevante Ent-scheidungen fallen.

3.2 Integrität und Vertrauen

Integrität ist, betrachtet man sie näher, ein schwieriges Konzept. Selbstdie führende Literatur über Führung und Leadership umgeht diesenBegriff gerne; bei Yukl (2013) taucht er nicht mal im Register auf, undauch die letzte Auflage vom Northouse (2013) beschreibt Integrität inlediglich einem Absatz als basierend auf Ehrlichkeit und Vertrauenswür-digkeit. Das Problem: Integrität ist ethisch neutral; wer starr Regelnbefolgt, handelt integer. Ungerecht erscheinende Gerichtsurteile sindhierfür ein Beispiel, oder das starre Befolgen von Vorschriften; selbst einTyrann kann integer erscheinen, wenn er sich an seine eigenen Regelnhält; je nach Definition von Integrität (eine aktuelle Übersicht zu Defini-tionen von Integrität findet sich in Bachmann 2015).

Während die meisten Definitionen der Sozialwissenschaft von „Integrität“auf eine Übereinstimmung von Worten und Taten abzielen, was bereitsfür viele Führungskräfte im operativ hektischen Umfeld schwer genug

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erreichbar ist, überwiegt in der Leadership-Forschung die Definition, dieIntegrität als eine Grundlage für Vertrauen umschreibt (Wang/Hsieh2014). Umstritten ist, ob Integrität eine moralische Unterfütterungbraucht, also ein Wertekorsett. Für die Praxis ist das kein Problem;wesentlich ist, dass bei der Rekrutierung auf Integrität in Form von Worte/Taten-Übereinstimmung, Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit geachtetwird. In den Einstellungsgesprächen muss man also auf entsprechendeWerthaltungen und Erzählungen aus dem Berufsalltag eingehen; es gibteine Anzahl von mittlerweile bewährten Interviewfragen, die genau hie-rauf abzielen. Auf die Anwendung der wertschätzenden Befragung(appreciative enquiry, Cooperider et al. 2008) muss hierbei natürlichgeachtet werden.

Geradlinige Entscheidungen, basierend auf klaren Vorstellungen, dienachgehalten werden, ein integres Verhalten als Grundlage für Vertrauenund faires, alle gleich behandelndes Führungsverhalten sind die Zutatenfür die Vorbildfunktion, die gerade im operativen Umfeld gebraucht wer-den. Eine gute Governance jenseits des reinen Kostenmanagements, diedurch wirksame Maßnahmen in der Fabrik spürbar werden muss, dierichtige Personalauswahl und die richtige PE sind hierfür die benötigtenProzesse. Die meisten Personalabteilungen beschränken sich eher aufdie Verwaltung der Produktion; gemessen an den zu erzielenden Effizi-enzsteigerungen lohnen sich hier Investitionen in PE-Kapazitäten alle-mal, und das in wie kaum einem anderen Bereich, wie die Erfahrungenaus meinen Projekten ausweisen.

3.3 Der „moralische“ Mitarbeiter

Vorbildfunktion, Integrität und Charakter sind miteinander verwoben. Deroperative Kontext beeinflusst die Führungskraft, aber das moralischeUrteilsvermögen kann sich durchsetzen, wenn die Führungskraft entspre-chend unterstützt wird. Idealerweise erfolgt das durch Vorbilder, durchein entsprechendes Führungsklima, durch begleitende CSR-Maßnah-men, und entsprechend nachgehaltene Prinzipien. Wo diese Dinge nichtvorliegen, drehen sich die operativen Grundkonflikte immer wieder in dieKostendiskussion und operativen Zielerreichungen. Am häufigstenschlägt sich das im Qualitätsmanagement nieder. Während die entspre-chenden Vorgaben und Prozesse vorliegen und oft genug zertifiziert undauditiert sind, werden die entsprechenden Vorgaben nicht eingehalten,durchgewunken, bereits gesperrte Ware wieder entsperrt und Richtung

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Kunden verschifft. Minderwertige Grundstoffe werden toleriert, Grenz-werte überschritten, Toleranzen ausgeweitet, und alles, was die Perfor-mance gefährdet, geradegebogen. Das geht bis hin zum Fälschen vonProtokollen oder Umprogrammieren der Steuerungssoftware. Der Druckder operativen Zielerreichung kann hier zu eine völlig freien Entfaltungvon kreativen Manipulationen führen.

In schlecht geführten Unternehmen findet hier ein schleichender Prozessstatt, der das ursprünglich gewollte Qualitätsmanagement von allen Sei-ten her unterminiert. Während vordergründig beispielsweise KnowledgeManagement und TQM regieren, herrscht allerorten der Rotstift. Roh-stoffe und Komponenten werden gegen günstigere, teilweise aber min-derwertige Komponenten ausgetauscht. Qualität und Eingangstests ent-fallen aus Kostengründen. Die Maschinenlaufgeschwindigkeiten werdenerhöht, das Qualitätsniveau gesenkt, entsprechende Kriterien aufge-weicht. Trotz einer zunehmenden Zahl von Zertifizierungen und Auditie-rungen kommt es in diesen Betrieben zu einem flächendeckenden Abfallan Qualität. An den Mitarbeitern in der Produktion gehen diese Prozessenicht spurlos vorbei, denn diese haben ein ganz feines Gespür für dieQualitäten, die eigentlich produziert werden sollen. Durch die Summedieser ganzen Erosionsprozesse entsteht ein operativer Entscheidungs-druck, der teilweise eine ursprüngliche Qualitätsführerschaft und diedarauf basierende Unternehmenskultur völlig zunichtemachen kann.

Hierdurch wird auch der moralisch richtig handelnde Manager unterge-pflügt. Denn der moralisch handelnde Manager ist nicht selbstverständ-lich. Er wird aber dringend benötigt; ein vorhandenes Wertekorsett unddie Vorbildfunktion gehen hier Hand in Hand. Der „moralisch“ oder„ethisch“ korrekt handelnde Manager braucht zunächst ein Fundament:Er muss auch eine moralische Person sein. Nur wenn es gelingt, diesemoralische Persönlichkeit gegen den operativen Kontext aufrecht zuerhalten, kann man sich eine Reputation, Integrität, und den Ruf einermoralisch und ethisch handelnden Führungskraft erwerben (Treviño etal. 2000). Die geführten Mitarbeiter sehen eigentlich immer beides: diemoralisch handelnde Person und den moralisch handelnden Manager.Die Reputation, Integrität und Ehrlichkeit einer Führungskraft ruhen aufdiesen beiden Säulen. Wenn eine moralisch schwache Person versucht,sich als moralisch handelnde Führungskraft zu etablieren, empfindenviele Mitarbeiter dies als eine Art Simulation und Scheinheiligkeit (siehedazu die Abbildung 1).

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Abb. 1: Ausprägungen moralischer Manager und moralische Führungs-kraft (basierend auf Trevino et al. 2000: 137)

Je mehr operative Entscheidungen getroffen werden müssen, desto grö-ßer wird die Wahrscheinlichkeit, hier uneinheitlich handeln zu müssen.Das Problem ist, dass es vielen Führungskräften nicht gelingt, ihr interna-lisiertes Wertekorsett gegen den Druck der Zielerreichung aufrechtzuer-halten. Dies ist nur möglich in einer entsprechenden Unternehmenskulturmit einem geeigneten Führungsklima.

Moralisch handelnde Personen haben ein stabiles Set von Charakteristi-ken und Verhaltensweisen und Entscheidungskriterien, die auf entspre-chenden Prinzipien beruhen. Dazu gehören Integrität, Ehrlichkeit, undVertrauenswürdigkeit, das Ernstnehmen der Fürsorge und Verantwort-lichkeit und das Bemühen um objektiv nachvollziehbare, regelbasierteund faire Entscheidungen. Ohne klare Richtlinien und Regeln ist das ent-sprechend schwierig.

In einer Unternehmenskultur, in der immer wieder gegen Regeln versto-ßen werden kann, ohne dass dies geahndet wird oder andere Auswirkun-gen hat, ist es üblich, dass die Entscheidungen grundsätzlich zugunsten

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von Kostendenken, Performance Management und Zielerreichunggehen. Hier stumpfen auch die besten moralischen Personen ab undfügen sich in ihr Schicksal. Das Ergebnis sind ethisch neutrale Führungs-kräfte. Wenn dann noch die allgemeine Führungskultur unvorteilhaft wird,können sich moralische Personen als moralische Manager nicht mehrdurchsetzen. Dieses Phänomen ist weitaus verbreiteter als allgemeinangenommen und verhindert auch das Wirken vieler CSR-Programme,die sich nicht in der Kultur verankern lassen.

4 Unternehmenskultur und Unternehmensklima

Unternehmenskultur ist ein soziales Kontrollsystem und wird beeinflusstdurch Prozesse, vor allen Dingen aber auch durch das Handeln von Men-schen. Unternehmensklima kann verstanden werden als die Auswirkungdieses kulturellen sozialen Systems auf Individuen und Gruppen.

Definiert, steuert und formt man eine Unternehmenskultur nicht, erhältman eine Bürokratie oder ein wertfreies Gebilde. Eine Unternehmenskul-tur basiert auf der Summe der „gelernten Reaktionen“, die wiederum aufden zugrunde liegenden Annahmen, Grundhaltungen und Glaubenssys-temen basieren, die die Mitglieder einer Organisation miteinander teilen(Schein 2004). Hier gibt es eine große Erwartungshaltung, wie die Dingein einer Firma ablaufen. Auch hier kommt es auf die Übereinstimmungvon Worten und Taten an, welche Dinge geahndet werden, welche Dingebelohnt werden, und welche ignoriert werden. Daher klaffen auch MissionStatements, Visionen und andere Absichtserklärungen und wirklicheUnternehmenskultur so oft auseinander. Welche Firma versteckt sich bei-spielsweise hinter diesem Werte-Statement: „Respekt, Integrität, Kom-munikation und Exzellenz“?

Ändern sich Kultur und Klima nicht, verpuffen alle CSR-Programme wir-kungslos, wenn es darauf ankommt. Man weiß heute: Nur auf die Füh-rung vor Ort und auf die „echte“ Kultur kommt es an. Man denke an dieDeepwater Horizon Katastrophe; die beteiligten Firmen BP, Transoceanund Halliburton hatten allesamt komplexe CSR-Programme implemen-tiert, sowie prämierte Sicherheits- und Risk-Management-Prozesse amLaufen und konnten dennoch alle unethisches Handeln vor Ort nicht ver-hindern und auch mit den Risiken nicht umgehen, und das aus einemGrund: operativer Druck (Mostovicz et al. 2011). Im Falle von Fukushimahaben sich staatliche Aufsichtsbehörden, die Atomindustrie, und unab-

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hängige Beobachter und Journalisten sämtlich korrumpieren lassen, allenSicherheitsmaßnahmen und CSR-Prozessen zum Trotz. Kennzeichnendauch die Auflösung zur obigen Frage, denn diese „Werte“ gehörten zuENRON, die Firma, die das mit ca. 60 Mrd. $ Schaden bislang teuersteVerbrechen der Wirtschaftsgeschichte zu verantworten hat.

Bislang hatte die Leadership-Forschung das Wirken von Vorständen undGeschäftsführern überbetont, doch der größte Teil der Unternehmenskul-tur wird durch das tägliche Handeln von mittleren und unteren Führungs-kräften geformt (Martin et al. 2009). Die meisten Mitarbeiter haben eskonkret mit diesen Führungsebenen zu tun. Hier muss die Personalent-wicklung ansetzen und ihre Bemühungen verstärken. Dies kann nichtgeschehen, ohne dass man sich klare Ziele in Bezug auf Ausprägungund Werthaltigkeit der Unternehmenskultur setzt. Hier kommt es vorallem und gerade auch auf die Definition einer Führungskultur als Teilder Unternehmenskultur an.

Unternehmenskultur ist der Ausdruck der zugrunde liegenden Annahmenund erwarteten Verhaltensweisen. Das Unternehmensklima ist wiederumdie empfundene Auswirkung dieser Kultur auf die Verhaltensweisen ein-zelner Personen und Führungskräfte.

Steuert man Kultur und Klima nicht entsprechend, können die Auswirkun-gen verheerend sein. Motivation, Wir-Gefühl bzw. Teamgeist und derWille zur Zusammenarbeit können hierbei erheblich eingeschränkt wer-den. Dies liegt natürlich auch am systemischen Charakter von Organisa-tionen begründet. Wir konstruieren unser Bild von Welt. Organisationensind daher voller unterschiedlicher Wahrheiten. Als Berater und Coachbegegnet einem diese unterschiedliche Darstellung der jeweils konstru-ierten und empfundenen, wahrgenommenen Wahrheit typischerweise aufdie folgende Weise: Die Mitarbeiter beschweren sich über ihren Chef,er (oder sie) höre nicht zu, nehme sie nicht wahr, schmetterte alle ihreVorschläge ab, würde nicht auf sie eingehen, und jede Kreativität undAktivität sofort im Keim ersticken. Der Chef wiederum beschwert sichüber die Mitarbeiter, dass sie nicht proaktiv seien, sich nicht einbringenwürden, keine nutzbringenden Vorschläge machen, und auch auf Auffor-derung nicht aktiv würden. Hier hilft es nicht zu sagen, die Wahrheit liegtirgendwo in der Mitte, denn das Problem ist, dass beide Seiten jeweilsberechtigterweise für sich reklamieren können, Recht zu haben. Denn soist die jeweilige Perspektive und die Wahrnehmung, und so prägen dieseempfundenen Wahrheiten auch die Unternehmenskultur samt der darin

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wohnenden Führungskultur. Das Verstehen der unterschiedlichen Wahr-nehmungen, das Aufheben der Grundkonflikte und die Schaffung neuerPerspektiven sind hier ein wesentlicher Ansatzpunkt. Ohne ein klares Bildvon Führung und den damit verbundenen gewollten Werten, die sich inder Führungskultur dann auch niederschlagen und nachgehalten werdenmüssen, geht das nicht.

Mehrere Fragen sind an dieser Stelle wichtig, die die Personalentwicklereines jeden Unternehmens für sich selbst beantworten müssen: Wie kön-nen produzierende Betriebe sicherstellen, dass moralisch eingestelltePersonen auch als Führungskraft moralisch und ethisch richtig handelnkönnen, und wie muss eine Führungskultur beschaffen sein, die eine ent-sprechende Unternehmenskultur mit sich bringt?

5 Die Problemfelder

In der Produktion gibt es diverse Problemfelder, bei der die bishergenannten Problematiken zusammenlaufen. Je nachdem, wie mit diesenProblemen umgegangen wird, formen sich daraus die Führungskulturund ein entsprechendes Führungsklima. Hier ist nicht der Platz, auf alleProblemfelder detailliert einzugehen, aber zumindest sollen die zugrundeliegenden Zusammenhänge in den wichtigsten Feldern dieser Art aufge-führt und dargestellt werden. Hierzu gehören auch einige Bereiche, dievon Personalentwicklern klassischerweise nicht unbedingt in Betrachtgezogen werden.

5.1 Produktentwicklung

Die Produktentwicklung wird hier der Vollständigkeit halber aufgelistet. Invielen produzierenden Betrieben treten in diesem Bereich große Schwä-chen zutage, da die verschiedenen Bereiche, die an der Produktentwick-lung beteiligt sind, nicht miteinander synchronisiert sind. Die Folgen: Pro-dukte, die nicht rechtzeitig oder mangelhaft aktualisiert werden, am Marktvorbei entwickelt werden, oder an den produktionsspezifischen Stärkenund Schwächen der angeschlossenen Produktion oder der Zulieferer vor-bei entwickelt werden. Die Fähigkeiten der Produktion ändern sich auchim Laufe der Zeit, daher ist es immer auch ratsam, die technische Pla-nung mit einzubeziehen. Auch hier kann immer wieder festgestellt wer-den, dass die entsprechenden Kontakte nicht gepflegt sind.

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Probleme im Produktentwicklungsprozess (PEP) sind insbesondere dannein Problem, wenn der Vertrieb die Erkenntnisse, die anhand von Kun-den-Feedback oder anderen Rückläufen gewonnen werden, nicht an dieProduktentwicklung weitergibt.

Die Produktentwicklung hat eine oft unterschätzte Bedeutung für die Ziel-konflikte in der Produktion; hierbei geht es um die Produktionsverfahren,die Materialien, die Kostenstruktur und deren Zielvorgaben, vor allen Din-gen aber auch die durch Vertrieb und Marketing eingepreisten Absatz-ziele, die wiederum die vorgenannten Faktoren stark beeinflussen. Dieunterschiedlichen Berechnungen von Stückgutkosten, Materialien,gekoppelt an die Absatzziele, basieren häufig auf überoptimistischen undgeschönten Prognosen, die wiederum ebenfalls aus Erfolgsdruck und derNotwendigkeit, kalkulatorische Ziele erreichen zu müssen, stammen. Hierbeißt sich die Katze in den Schwanz.

Am meisten aber leidet die Produktion unter diesen Fehlstellungen, denndie Summe der Entscheidungen im Vorfeld bildet nun mal das Geflechtan KPIs, die erreicht werden müssen. Regelmäßig laufen hierbei die Kos-ten aus dem Ruder, die Produktion muss zurückgefahren werden, dieKalkulation der Stückgutkosten und der Maschinenauslastung stimmenvorn und hinten nicht mehr, und der Druck auf die Produktion steigterneut. Kommt es dann noch zu unvorhergesehenen Produktionsausfäl-len durch Maschinenstillstand, zu einem hohen Krankenstand, zu Quali-tätsproblemen bei Roh- oder Zuschlagstoffen, zu Lieferantenengpässenoder Streiks, sind hohe Verluste vorprogrammiert. Die Personalentwick-lung muss daher regelmäßig im Auge haben, dass diese Bereiche mitei-nander gut verdrahtet sind, aber eben nicht nur auf dem Organigramm,sondern real.

Ein Irrglaube ist außerdem die Annahme, dass ein Innovationsbeauftrag-ter in der Lage ist, die Unternehmenskultur derart zu ändern, dass plötz-lich und entgegen aller bislang andersartig laufenden Prozesse Innova-tionen aus dem System heraus entspringen können. Der Merksatz hierlautet: Innovationen finden immer nur zwischen den Systemen statt, abernicht innerhalb eines Systems. Der globalisierte Wettbewerb hat bei vie-len produzierenden Unternehmen dazu geführt, dass die Produktentwick-lung mit all ihren Schwächen Probleme bereitet. Die Erhöhung der Inno-vationskraft ist daher notwendig, gelingt aber nur, wenn auch dieUnternehmenskultur entsprechend angefasst wird, und mit der Erhöhung

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der Kooperationsbereitschaft und des Willens zur Zusammenarbeit ein-hergeht.

Auch dies ist eine ganz klare Aufgabe für eine Führungskultur, die ent-sprechendes leisten muss. Die Personalentwicklung muss es sich daherzur Aufgabe machen, die gewollte Führungskultur zu definieren und zuformen. Gelegentlich wird dies versucht, indem eine neue Truppe vonProduktentwicklern eingestellt wird, häufig mit dem Auftrag verbunden,„alles neu“ zu machen. Kennen Sie den Spruch: „Hier darf kein Stein aufdem anderen bleiben“? Wehe, die derart Beauftragten legen tatsächlicheinfach los. Die Unternehmenskultur wehrt sich gegen diese Veränderun-gen, häufig Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam. Hier gilt es, dieneuen Produktentwickler im Produktentwicklungsprozess, aber auch inChange Management und Innovationsmanagement zu schulen, und einebesonders intensive Induction in den Tiefen der Produktion zu gewähr-leisten – Stichwort: rein in den Blaumann. Hier kann es sonst zu regel-rechten Kulturkämpfen kommen, wie sie bereits bei der Problematik Kos-ten vs. Qualität versteckt, aber vielfach vorzufinden sind.

Dazu gehört es auch, die strategischen Zielvorgaben auf den Prüfstandzu stellen. „What you measure is what you get“ – das ist den meistenManagern noch bekannt. Dennoch wird diese Erkenntnis häufig nicht inein entsprechendes Handeln umgesetzt.

5.2 Performance Measurements

Dass zur Zielerreichung viele Performance Measurements manipuliertwerden, wurde bereits gesagt. Ein weiterer klassischer Schwachpunkt invielen Fabriken sind schwer zu bedienende Einmeldepunkte, wo esimmer wieder zu Fehleingaben oder Missverständnissen kommt. So wer-den zum Beispiel von der Spätschicht bereits bearbeitete Teilmengeneingemeldet, die von der Nachtschicht mit der Gesamtmenge eines Bat-ches gerade wieder eingegeben werden. Dies führt oft zu fehlerhaftenBestandsmengen. Und obwohl dies in vielen Betrieben eine dauerhafteFehlerquelle ist, wird nicht in die entsprechenden Schulungsmaßnahmeninvestiert. Da aber die Datenmengen wiederum in die Kalkulationen undPrognosen einfließen, schaukeln sich diese Fehlerquellen immer wiederhoch. Im Extremfall sind das die Betriebe, die jemand ins Lager schickenmüssen, um die realen Bestände manuell zu überprüfen und zu zählen,weil man sich auf die Datenbestände im ERP nicht verlassen kann.

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Je nach dem Druck, der gerade im Kessel herrscht, kann die Schicht-übergabe hier zu den wunderlichsten Konstellationen führen. So gibt esin manchen Betrieben Schichten, die kurz vor Schichtende noch maleinen neuen Produktionslauf anfangen, nur um die Maschinenstraßenicht reinigen zu müssen, wie es das Übergabeprotokoll eigentlich vor-sieht. Auch die Arbeitsvorbereitung und der Vertrieb spielen hier diverseunrühmliche Rollen, denn durch vorgezogene oder Eilaufträge wird dielaufende Produktionsplanung immer wieder über den Haufen geworfen.Dies geht zulasten der Performance. Besonders beliebt ist es, wenn miteiner Anlage, die gerade dunkle Farbstoffe verarbeitet hat, plötzlich helleFarbtöne erzeugt werden müssen. Vielfach verstößt diese laufende Um-priorisierung der Produktionsplanung gegen viele bewährte Prozesse desUmrüstens und der Abfolge von Produkten. Man kann durch Trainingzum „Umrüstkönig“ werden, aber irgendwo sind die Grenzen dessen, wasnoch sinnvoll und möglich ist, überschritten. Entsprechend mehr Mühemuss die Produktion sich geben, ihre Ziele noch zu erreichen. Diewenigsten Betriebe verstehen es, Planungspuffer und Reservekapazitä-ten zuzulassen, sondern aus Kostengründen geht die Tendenz eherdazu, die Produktionskapazität quasi zu 110 % verplanen.

So werden häufig Maschinenstraßen, die früher von vier Personenbedient wurden, heute mit drei Personen gefahren. Entsprechend steigtder Druck auf die Performance wiederum an, und die Mitarbeiter fangenan, Maßnahmen des Selbstschutzes dagegen zu ergreifen. Sobald eingewisses Maß an Druck überschritten wird, greift dieser Mechanismus.Neue Mitarbeiter werden regelmäßig geschult, die theoretisch vorliegen-den Ziele nicht zu erreichen, damit der Leistungsdruck für das Team nichtzu groß wird. Im Extremfall führt dies dazu, dass Schichten versuchen,sich gegenseitig herunterzuziehen, oder zumindest nicht gegenseitig zuübertreffen.

Eine genaue Planung und eine gut getaktete Produktion zu erreichen, istdaher das oberste Ziel, das aber wiederum nur durch das gemeinsameHandeln, die Zusammenarbeit und die Kooperation der einzelnen, betrof-fenen Bereiche herbeigeführt werden kann. Ohne eine entsprechendeFührung und Personalentwicklung geht das nicht.

Falsche und überzogene Zielvereinbarungen, KPIs und PerformanceMeasurements sind eine der größten Quellen für den Frust, der in derProduktion vorherrschen kann. Man hat nur eine Produktionskapazität:diese sollte man so gut wie möglich schützen, und das ist eine Gemein-

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schaftsaufgabe. Viele Zielkonflikte werden jedoch auf dem Rücken derProduktion ausgetragen, wodurch der Druck, Ziele erreichen zu müssen,soweit ansteigen kann, dass die Führungskultur umkippt.

5.3 Interner Wettbewerb

Eine unrühmliche Rolle in dieser Dynamik spielt vor allen Dingen auchder interne Wettbewerb. Viele Produktionsleiter und Führungskräfte inder Produktion haben sich es zur Angewohnheit gemacht, mit Drohkulis-sen wie Auslagerung, Outsourcing oder Fremdvergabe zu drohen, oder,wenn es sich um größere Konzerne mit mehreren Produktionsstandortenhandelt, damit zu drohen, dass ein Produkt an eine andere Produktions-stätte innerhalb des Konzerns verlagert wird. Mit derartigen Drohungenwird auch dann gearbeitet, wenn es sich eher um kleine Probleme han-delt. Anstelle einer Ursachenforschung kommt hier gleich die Verlage-rungskeule, mit entsetzlichen Folgen für das Klima und die Mitarbeiterzu-friedenheit. In Betrieben, wo dieser interne Wettbewerb angestachelt undangefacht wird, sind Klima und Zufriedenheit sowie die Mitarbeitermotiva-tion regelmäßig am Boden. Im Extremfall kann dies bedeuten, dass über80 % der Belegschaft deutlich unzufrieden sind und am liebsten sofortdie Stelle wechseln würden. Es ist bekannt, dass dieser internen Kündi-gung nicht immer sofort auch Taten folgen, denn der Schmerz, sich neuzu orientieren und eine andere Stelle auch zu finden und dann wechselnzu müssen, ist häufig noch größer, als den Schmerz leidend zu ertragen.

Für die Gesamtperformance hat eine derart demotivierte Belegschaftjedoch nichts Gutes. Viele Betriebe überleben eigentlich nur dadurch,dass sie in sehr strukturschwachen Gebieten angesiedelt sind, wo dieMitarbeiter mangels Alternative an dem Betrieb gebunden sind, weil siesonst überlange Pendlerstrecken bewältigen müssten. Man kann soüberleben, aber die Überlegung muss eigentlich in diese Richtung gehen:Wenn man mit einer derartig demotivierten Belegschaft überleben kann,wie viel Profitabilität ist eigentlich erreichbar, wenn dieselbe Mannschaftplötzlich motiviert arbeiten würde? Leider gibt es immer wieder Betriebe,die nur onlinegestützte Mitarbeiterzufriedenheitsanalysen durchführen,und bei allen derartigen Projekten die Produktionsstätten übergehen.Man kriegt das Gefühl, viele Vorstände wollen es gar nicht wissen, wasin der Produktion wirklich los ist. Hierdurch wird viel Potenzial verschenkt.Am Ende gilt auch hier: weniger ist mehr, denn eine einzige Produktverla-gerung wirkt sehr viel stärker in das Problembewusstsein als eine tau-

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sendfache Androhung. Das Arbeiten mit Erpressung, Weitergeben vonDruck und mit Drohungen ist leider ein Führungsstil, der immer weiterum sich greift, je stärker der Druck ansteigt. Hierdurch wird ein gutesFührungsklima zerstört.

Der interne Wettbewerb drückt sich häufig auch dadurch aus, dassinterne Ziele wie X per Minute, Meter per Stunde, Menge pro X usw.dadurch erreicht werden, dass einzelne Abteilungen sich gegenseitigproblembehaftete Ware zuschieben. Dies in der Hoffnung, der qualitativeMangel schlägt sich in der benachbarten Abteilung in den Büchern nie-der. Auch, wenn es um die Themen Abfall und Ausschuss geht, wirdgelogen und gebogen, was das Zeug hält. Denn gerade in recyclinglasti-gen Betrieben kann das Thema Abfall zu einem echten Streitpunkt wer-den, je nachdem, wie die Materialkreisläufe berechnet werden. Perfor-mance Management ist eine der wesentlichen Stellgrößen vonGovernance, und beeinflusst das Führungsklima in den Betrieben daheräußerst stark. Eine intelligente Überprüfung sämtlicher KPIs hat dahereine stark prägende Auswirkung auf die Führungs- und Unternehmens-kultur. Diese Zusammenhänge werden oft so nicht gesehen, und sind einwesentlicher Ansatzpunkt für die Personalentwicklung.

5.4 Schlechte Führungsqualitäten

Es gibt ein ganzes Sammelsurium an schlechten Führungseigenschaf-ten, die sich negativ auf das Führungsklima und entsprechend auf dieMotivation der Mitarbeiter niederschlagen. Diese Führungseigenschaftenoder Charakteristiken werden von den Mitarbeitern häufig als einherge-hend mit einem Mangel an Integrität und Ehrlichkeit beschrieben. DasProblem hierbei ist, dass in den Fabriken nicht einfach nur schlechte odermangelhaft ausgebildete Führungskräfte den Ton angeben, sonderndass der operative Druck, wenn man nicht gegensteuert, immer mehrin diesen schlechten Verhaltensweisen seinen Niederschlag findet. Wiebereits angemerkt, kippt dann das Führungsklima.

Die folgende Liste ist bei weitem nicht vollständig und nennt einige derbeobachteten Verhaltensweisen, die hierbei besonders häufig anzutref-fen sind:– unfaire Kritik, unfaire Bemerkungen,

– Bevorzugung und Günstlingswirtschaft, Seilschaften,

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– Schuldzuweisungen und Suche nach einem Sündenbock,

– das Zurückhalten von Informationen,

– Unehrlichkeit, Lügen, Manipulation,

– Schweigekartelle,

– Weitergabe von Druck,

– Gebrüll, auch wenn die Ziele erreicht sind,

– unfaire oder intransparente Verteilung von Bonusgeldern,

– Weiterreichen von Qualitätsproblemen,

– Manipulieren und Fälschen von Kennzahlen,

– Führen durch Erpressen oder Drohen,

– Führen durch Druck und Abmahnungen,

– Verallgemeinerung von Bagatellen,

– unethisches Verhalten,

– ungehobelte und unmenschliche Führung,

– „Bote schlechter Nachrichten wird erschossen“-Syndrom,

– Führungskräfte sind ignorant und unterstützen nicht,

– langsame Entscheidungen auch wenn es dringend ist,

– Führungskräfte verstecken sich, wenn sie gebraucht werden,

– Führungskräfte, denen man nicht vertrauen kann,

– mangelnde Integrität, kein Vertrauen, fehlende Ehrlichkeit,

– mangelnde oder völlig fehlende Wertschätzung,

– „Schimpfen“ und „Anbrüllen“ als bevorzugte Form der Führung.

Die Summe dieser schlechten Führungsqualitäten schlägt sich, wiebereits geschildert, in Verlust des Wir-Gefühls, der Motivation, und ineinem sehr schlechten Betriebsklima nieder, in dem die Mitarbeiter starkunzufrieden sind. Obwohl dies auf der Hand liegt, ist es erstaunlich, inwie vielen Produktionsstätten ein derartiger Umgangston toleriert wird.Auf Dauer beeinträchtigt dies Kultur und Klima, lähmt die Performance,und führt dazu, dass weit hinter den eigentlichen Möglichkeiten produziertwird. Erklärt werden kann die Häufigkeit dieses Phänomens nur, weil zuwenige Personalabteilungen sich um das Betriebsklima in den Produkti-onsstätten kümmern.

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Es gibt wenige Untersuchungen über die Folgen dieser Betriebsblindheit.Durch die Behebung derartiger Missstände und eine Verbesserung vonKlima und Kultur, so die Erfahrung aus einigen meiner Projekte, könneninnerhalb von wenigen Monaten über 30 prozentige Umsatzsteigerungenerreicht werden. Projekte, die vor allen Dingen die Verbesserung derKooperationsbereitschaft und der Zusammenarbeit verbessern, könnenmit mehrmaligen Umsatzverdoppelungen und das über mehrere Jahrehinweg, einhergehen. Das sollte zu Denken geben.

Häufig werden schlechte Führungsqualitäten toleriert, weil man es mitvermeintlichen „Regenmachern“ und „Umsatzbringern“ zu tun hat.Gerade im Vertrieb ist diese Geisteshaltung häufig anzutreffen. Nicht kal-kuliert werden dagegen die Kosten, die das Gesamtsystem aufbringenmuss, um Choleriker, sexistische, oder sonst wie ungehobelte Führungs-kräfte ertragen zu müssen. Auch der an und für sich unerträgliche Ver-triebsleiter, der gute Ergebnisse bringt, wird nie daran gemessen, wie vielan Ergebnissen eigentlich drin sein müsste, wenn er (oder sie) sich bes-ser mit seinem Umfeld verstehen würde. Wie viele andere Kunden ver-prellt wurden, wird nicht gemessen.

Der Schaden für die Gesamtperformance wird nicht kalkuliert. Die Leidender Opfer und die geraubte Energie ebenso wenig. Negative Interaktio-nen mit fiesen Zeitgenossen wirken sich allerdings fünfmal stärker aufunser Gemüt aus als positive. Der Einfluss negativer Energie auf Unter-nehmen ist weitaus nachhaltiger als vielfach angenommen. Vielfach zie-hen Mitarbeiter sich zurück, weil sie Angst haben, zur Zielscheibe negati-ver Führungsqualitäten zu werden. Hierbei reden wir noch nicht vonMobbing oder sexuellen Übergriffen, sondern einfach nur von schlechterFührung. Die Kosten: sinkende Leistungsfähigkeit von Individuen undTeams, häufiger Personalwechsel, höherer Krankenstand, niedrigeArbeitsloyalität, Ablenkung, und eine Performance unterhalb der eigentli-chen Möglichkeiten. Die Erfassung der Kosten und der Minderleistung istextrem schwierig, doch gehen Schätzungen davon aus, dass beispiels-weise eine cholerische Führungskraft alleine Opportunitätskosten aninterner Aufmerksamkeit von 120.000 A im Jahr mit sich bringt (Sutton2007). Hierbei sind entgangene Geschäfte und externe Opportunitätskos-ten noch nicht mit eingerechnet.

Die Folgen von schlechter Führung schlagen sich natürlich auch im Koo-perationsverhalten und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit unmittelbarnieder.

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6 Führungskultur und Führungsklima:Zusammenarbeit und Kooperationsfähigkeit

Wie bereits aufgeführt, schlägt sich der operative Druck, gepaart mitschlechten Führungsqualitäten, in einem schlechten Arbeitsklima nieder.Dies geht regelmäßig einher mit dem Verlust des Team- oder Wir-Gefühls, des Zusammengehörigkeitsgefühls, und einer niedrigen Arbeits-motivation bei gleichzeitiger, hoher und andauernder Unzufriedenheit mitdem Arbeitsplatz. Verschärft wird diese Problematik regelmäßig durchSeilschaften, dem „Old Boys Network“, das sich gerade in traditionsbe-hafteten Betrieben oft wiederfindet, und dem häufig Produktionsleiter, Fir-meneigentümer, teilweise aber auch externe Meinungsmacher und Ent-scheider angehören. Es ist eine knochenharte Aufgabe für Personaler,die sich aber lohnt, diese Netzwerke zu zerschlagen und durch eine bes-ser geeignete Führungskultur zu ersetzen, denn dies bringt regelmäßigdeutliche Performancesteigerungen mit sich.

Ebenso ist hier auf die Gesamtgemengelage zu achten: Ein schlechtesBetriebsklima, gepaart mit niedriger Motivation, schlechtem Führungsver-halten und vielen ungelösten Zielkonflikten, lähmt die Performance desgesamten Produktionsbetriebes. Zusammenarbeit und Kooperationerhält nur, wer sich um ein entsprechendes Führungsklima bemüht. Diesfängt bei dem individuellen Verhalten einzelner Führungskräfte, Schicht-leitern und Abteilungsleitern, an. Vor allem dann, wenn es um unbewäl-tigte Konflikte geht.

Immer wieder erlebe ich, dass die Belegschaften ganzer Abteilungen ineinen Krieg der Führungskräfte hineingezogen werden. Für viele Mitar-beiter ist es unmöglich, hier neutral zu bleiben, denn die Führungskräftelassen dies nicht zu. Wenn zwei Abteilungsleiter sich streiten, leidet inder Regel ein ganzer Betrieb darunter, dessen Performance in vielenBereichen abnimmt. Je nach dem Persönlichkeitsprofil der betroffenenFührungskräfte können diese Konflikte bis zur offenen Sabotage hinaus-laufen.

Viele Personalabteilungen oder Firmenleitungen scheuen sich davor,klare Personalentscheidungen zu treffen, und den Konfliktherd durch denAustausch einer oder beider oder mehrerer Beteiligten klar zu beenden.Auch hier werden die Kosten nicht kalkuliert, können aber in die Millionengehen (Sutton 2007).

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Worauf ist zu achten, wenn man seinen Betrieb diesbezüglich analysie-ren möchte? Hierüber gibt Abbildung 2 Aufschluss.

Abb. 2: Effizienzgrad und die Fähigkeit zur Performance von Organisa-tionen

Um den Effizienzgrad und die Fähigkeit zur Performance von Organisa-tionen zu analysieren, teile ich jeweils die Aktivitäten in• eine Produktionszone, in der es vor allem um die Kernprozesse der

Produktion geht,

• eine Prozesszone, wo die unterstützenden Prozesse und systemi-schen Einflussfaktoren sich niederschlagen,

• eine Koordinationszone und in

• eine Kooperationszone.

In den beiden letztgenannten Zonen kommt es vor allen Dingen auf denWillen zur Zusammenarbeit an, wie die unterstützenden Prozesse sichauswirken, und ob die entsprechenden kooperativen Führungsqualitätenüberhaupt gegeben sind. Die Koordinationsfähigkeit basiert auf guter Pla-nung, Effizienzen und entsprechender, guter, kooperativer und voraus-schauender Führung.

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Es lassen sich immer verschiedene Problemfelder identifizieren, die jenach vorherrschenden Komplexitätsgrad durch Personen, Prozesse,Instrumente oder eine entsprechende kulturbildende Kommunikation auf-gelöst werden müssen. Das Ziel in all diesen Fällen ist es, die Kooperati-onsbereitschaft und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit zu erhöhen, damitdie gesamte Organisation effizienter wird und die Performance steigt.Dabei kommt es immer wieder auf das Performance-Management an.Warum das so ist, ist schnell erklärt: Was man misst, erhält man auch.Sobald wir anfangen, Lehrer danach zu bewerten, wie viele gute Schülersie haben, haben wir einen Notendurchschnitt von 1,0 – denn Organisa-tionen richten sich an ihren Kennzahlen aus (Neely 1998). Das ist Fluchund Segen gleichermaßen, denn einerseits werden so Strategien imple-mentiert, andererseits erkennen wir anhand von Kennzahlen immer nurdas, was gestern war.

Wenn man auf diese Art und Weise eine Organisation analysiert, stelltman immer wieder fest, dass der Drang zur lokalen Perfektion – der sichin Performance Measurements und KPIs niederschlägt – dazu führt, dassdiese Ziele nur auf Kosten der Ziele von benachbarten Abteilungenerreicht werden können. Jede Abteilung versucht sich selbst innerhalbseines Einflussbereichs so stark wie möglich zu optimieren, wodurch dieEffizienz des gesamten Systems stark in Mitleidenschaft gezogen wird.Viele verschiedene lokale Maßnahmen schaukeln sich so zu jeder MengeSand im Getriebe auf, man kann es wirklich kaum anders beschreiben.

Je stärker das Profitcenter-Denken in einem Konzern verankert ist, dasmuss an dieser Stelle ganz klar betont werden, desto mehr optimierensich die einzelnen Bereiche auf Kosten der anderen. Da die einzelnenZiele immer wieder auf die Bereiche heruntergebrochen und operationali-siert werden, fehlt der gesamthafte Überblick, den auch das obersteManagement oft nicht mehr hat. Die Art des oben aufgezeigten Über-blicks, gepaart mit den analytischen Bausteinen meines Transformations-modells, die ich normalerweise hierbei einsetze, erlaubt es, die geeigne-ten Maßnahmen zu treffen, um die aufgefunden Problemfelder dauerhaftzu beseitigen.

Im Übrigen funktioniert das Performance Management immer dann ambesten, wenn man die Mitarbeiter mit einbezieht und die Ziele und derenRealisierung und Durchführbarkeit gemeinsam formuliert und festlegt(Gruman/Saks 2011). Dies geht immer einher mit der Etablierung einergeeigneten Führungskultur, die in diesem Fall natürlich darauf abzielt,

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Zusammenarbeit und Kooperation zu erreichen. Ohne die begleitendenProzesse wie die Neugestaltung bzw. Überprüfung des PerformanceManagement geht es nicht.

Im operativen Kontext, wie er für die Produktion typisch ist, bedeutet das,dass Unternehmenskultur und Unternehmensklima der Gesamtperfor-mance und der Effizienz des gesamten Systems untergeordnet werdenmüssen. Personalentwickler, ob sie wollen oder nicht, müssen sich dahermit Controllern und dem Vertrieb, der für die Absatzprognosen zuständigist, zusammensetzen, um die notwendige Zusammenschau zu betreiben,die nötig ist, eine geeignete Führungskultur zu entwickeln. Recruiting,das Erstellen von Stellenprofilen, Neueinstellungen, Neubewertungen,und Umstrukturierungen sind möglicherweise notwendig. Wesentlich ist,dass alle Führungspositionen sich mit der gewünschten Führungskulturauseinandersetzen müssen, sich an den hier beschriebenen Werten undZielvorstellungen auch messen lassen müssen, und durch entspre-chende Personalentwicklungsmaßnahmen die Belegschaft dabei beglei-tet wird, sich in diese Richtung zu entwickeln.

Das ist natürlich teilweise angewendetes Change Management, jedoch,wenn es gelingt, dies an den richtigen Schaltstellen mit ethischer Führungund dem Schaffen von Vorbildern zu verbinden, können diese Verände-rungen sehr schnell über die Bühne gehen. Wesentlich ist, dass manFührungskräfte und Belegschaft auf dieser Reise nicht alleine lässt. Mandarf sich aus den in der Produktion vielfach anzutreffenden Zielkonfliktennicht heraushalten. Machen Sie die entsprechenden Analysen, denn diezu erreichenden Effizienzsteigerungen sind immens, und das interessan-terweise gerade in denjenigen Betrieben, die von sich glauben, sie wärenbereits überoptimiert.

Man sollte sich hierbei auch nicht von der Fülle an Literatur im BereichChange Management beeindrucken lassen, wo so häufig betont wird, dases die Königsdisziplin ist, eine Unternehmenskultur anzufassen und zuverändern. Denn in dem Augenblick, wo eine klare Führungskultur defi-niert und nachgehalten wird, verändert sich die Unternehmenskultur vonganz alleine. Wie geführt wird, mit welchen Qualitäten, ist hierbei leiderim Produktionsbereich ein Feld, das immer wieder stark vernachlässigtwird.

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7 Gesundheitsmanagement

Und das schlägt sich gnadenlos auch in Abwesenheiten und Krankheits-tagen nieder; Statistiken, die so mancher knapper Kostenkalkulation denBoden entzogen haben. Meinen Erhebungen zufolge ist der Kranken-stand in denjenigen Betrieben, in denen Zufriedenheit und Motivation derMitarbeiter sowie das Betriebsklima besonders am Boden sind, mehr alsdoppelt so hoch wie in anderen Betrieben. Auch hier fällt auf, dass inextremen Fällen die Mitarbeiter dazu übergehen, sich in einer Art Selbst-verteidigung krank zu melden und ihr Heil in einer Art Flucht vom Arbeits-platz suchen (Stichwort „Absenteeism“).

Schlechte Führung und ein schlechtes Betriebsklima unterminieren dieWiderstandskraft der Mitarbeiter (Stichwort „Resilienz“). Hierbei ist anzu-merken, dass immer mehr Betriebe, vor allen Dingen, wenn sie größerenKonzernen zugehörig sind, sich mit dem Thema Resilienz beschäftigen.Teilweise bekommt man allerdings den Eindruck, dass es hierbei nichtdarum geht, die Ursachen für die Störungen zu beseitigen, sondern eherdarum, sich Mitarbeiter zu suchen, die noch resistenter gegen Stresssind.

Es geht hier nicht darum, dem Trend des Burn-Out-Syndroms das Wortzu reden. Doch lässt sich aufgrund der Daten aller größeren Krankenver-sicherungen feststellen, dass es in den letzten Jahren eine hoheZunahme bzw. ein geradezu exponenzielles Wachstum bei den psycho-logischen Erkrankungen gegeben hat. Und zwar bei solchen, die sichauf zunehmenden Stress bei der Arbeit, wachsenden Wettbewerb undanderen Stressoren zurückführen lassen (Wellensiek 2011). Destruktivesoder despotisches Führungsverhalten kann ebenfalls ein großer Auslöservon derart psychologischen Erkrankungsbildern sein (Padilla 2007).Typisch hierfür ist eine Gemengelage von ungeeigneten Führungskräf-ten, resignierten Mitarbeitern, einem dauerhaften Verfehlen von Zielen,unerreichte Ambitionen, niedrigen Reifegraden in der Führung, undeinem Fehlen von Werten.

Hinzu kommen die Instabilität, die die Ausgangssituation mit sich bringt,die ständige Bedrohung der Mitarbeiter durch unfähige Führungskräfte,das Fehlen korrektiver Maßnahmen und einer moralischen Governance,sowie zahlreiche weitere Ineffizienzen. Mit anderen Worten, der psycho-logische Vertrag wurde aufgekündigt bzw. das psychologische Kapital istverbraucht.

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• Der psychologische Vertrag regelt bekanntlich die gegenseitigenErwartungen von Arbeitsumfeld, Entgelt und Sicherheit gegen dieArbeitsleistung.

• Das psychologische Kapital, als gemeinsame Willenserklärung vonUnternehmen und Mitarbeiter verstanden, lässt sich am besten wiefolgt umschreiben: Die Wirkungskraft des gemeinsamen Wirkens, ver-standen als Vertrauen, dass die eingesetzten Bemühungen sich posi-tiv niederschlagen, Hoffnung, Optimismus und eine Art Widerstands-kraft, verstanden als Willen und Fähigkeit, dass Probleme gemeinsamüberwunden werden können (Walumbwa et al. 2010).

Je stärker sich schlechte Führungsqualitäten in einer Organisation nie-derschlagen, desto eher führt dies dazu, dass der psychologische Ver-trag aufgekündigt und dieses Kapital verbraucht wird, die Mitarbeiterresignieren, und in der Folge davon oft auch krank werden. Oder im Zwei-fel eben, wenn Konflikte drohen oder bevorstehen, sich auch schon krankmelden, bevor es so weit ist. Eine Art Selbstschutz sowie die tatsächlichgegebene Notwendigkeit, sich unter Umständen gegen schlechte Füh-rung schützen zu müssen, können dies zur Folge haben.

Fakt ist, dass in schlecht geführten Betrieben der Krankenstand beson-ders hoch ist. Spitzen bis zu 15 % Krankenstand bzw. krankheitsbedingteAbwesenheit sind dann möglich. Konstante Abwesenheiten von 8-10 %können in einem derartigen Umfeld dauerhaft normal sein. Je nach Bran-che, und ob es sich um Services oder schwere Industrie handelt, wärenZahlen zwischen 4-5 % normal. Der holländische oder deutsche Durch-schnitt pendelt je nach Statistik und Studie zwischen 4-5,7 %. Der Scha-den für die Performance und die Effizienz lässt sich kaum beziffern, istaber immens. Selbst wenn man den Krankenstand nur mit 1,6 % ansetzt,verlieren Länder wie die USA jedes Jahr 400 Millionen, und Großbritan-nien 175 Millionen Arbeitstage.

Das Fazit: Schlechte Führung macht krank. Man muss als Personalent-wickler jetzt nicht unbedingt ein weiteres Fass aufmachen und dasThema Gesundheitsmanagement auch noch angehen, erreicht aber,indem man die Führungskultur stärker berücksichtigt und entsprechendformt, geeignete, regulierende Effekte und wirksame Gegenmaßnahmen.Ethische Führung kann hier Wunder wirken. Die Gefahr, die der Perfor-mance des Gesamtunternehmens durch schlechte Führung droht, wirdvielfach unterschätzt.

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Hier kann und muss die Personalentwicklung handeln. Dazu muss siesich ein Bild verschaffen, wie es in der eigenen Produktion aussieht, wiees um die Führungskultur und das Betriebsklima bestellt ist. Kein Unter-nehmen kann es sich auf Dauer leisten, gegen die eigenen Angestelltenzu agieren. In genau diesen Krieg, ob nun getrieben durch Unvermögenoder ungeeignete Zielvorgaben, ziehen aber manche Führungskräfte. Diegute Nachricht ist, dass Personalentwickler hier ein dankbares Umfeldantreffen, in dem viel bewirkt und erreicht werden kann.

8 Zusammenfassung

Das Umfeld der Produktion ist regelmäßig ein von Personalentwicklungs-maßnahmen unberührter Bereich. Hier menschelt es an allen Ecken undEnden, denn der operative Kontext führt dazu, dass ein hoher Druck imKessel herrscht. Dies drückt sich in einer entsprechenden Führungskulturaus; wie es menschelt, und wie man es also mit der Führung hält, mussvon der Personalentwicklung entsprechend analysiert und gesteuert wer-den. Die Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte auch in den Berei-chen, in denen es bisher keine Führungskräftetrainings gegeben hat, istdazu zwingend erforderlich. Dies betrifft den fachlichen Bereich (Schicht-übergabe, Maschinen und Bedienung, Verfahrenstechnik, Arbeitssicher-heit) und den Bereich der Führung.

Hierzu ist eine Zusammenschau auch des Umfelds nötig, denn der ope-rative Kontext wird durch Kosten-Controlling, strategische Vorgaben, Per-formance Management und weiteren Vorgaben definiert und gesteuert.Alle diese Bereiche müssen an die geeignete Form der Führungskulturangepasst werden. Auch die Formen der Unternehmenskommunikationund des Zugangs der Mitarbeiter in der Fabrik zu Informationen ist häufigdamit einhergehend zu verbessern. Die Formen schlechter Führung,ungeeignete Führungsqualitäten, unmoralische und unethische Führungsind unbedingt zu beseitigen, denn sie haben verheerende Auswirkungenauf Motivation, Klima, und Performance. Formen guter und geeigneterbzw. ethischer Führung, am besten verbunden mit einer Vorbildfunktion,sind stattdessen einzusetzen. Integrität und Vertrauen sind wiederherzu-stellen. Die vorherrschende Kultur sollte derart gestaltet sein, dass mora-lisch handelnde Personen auch moralisch handelnde Manager seinkönnen.

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Hierbei hat es sich bewährt, in die Bereiche der Kooperationsbereitschaftund der Fähigkeit zur Zusammenarbeit hineinzuschauen. Mit gezieltenPersonalentwicklungsmaßnahmen können hier große Verbesserungenschnell und sicher herbeigeführt werden. Entsprechende Analysen, ange-fangen bei Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation und Unternehmensklimabis hin zur umfassenden Analyse der verschiedenen Bereiche von Pro-duktion, Prozess, und Kooperation, können entsprechende Daten fürPersonalentwicklungsmaßnahmen liefern. Gezielte Maßnahmen zur Ver-besserung der Führungsqualität im Produktionsbereich können auchdazu beitragen, den Krankenstand schnell und dauerhaft zu senken. VonPersonen mit einer stark negativen Ausstrahlung sollte man sich dabeizügig und beherzt trennen, denn dies beeinflusst die Führungskultur sehrstark positiv, und rechnet sich, wenn man die Opportunitäts- und Folge-kosten einrechnet.

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