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Lernjahre sind keine Herr´njahre! Glantaler Geschichten (9) Walter Wohlfahrt Eigensinnig ist der Michel schon! Jetzt ist es ihm in Kraindorf doch in jeder Hinsicht gut gegangen und gern hätte man ihn dort über den 1. Jänner 1917 hinaus auch gehalten, nein, er quittiert den Dienst und erinnert den Vater an die Zusage, sich jetzt einen Lehrplatz suchen zu dürfen. Unwillig stimmen die alten Eltern - Vater ist inzwischen 68, die Mutter wohl elf Jahre jünger - schließlich zu, aber einen geeigneten Lehrplatz wissen sie auch nicht. Mit Freund August Stücklberger, der ein gleiches Ziel vor Augen hat, geht es gemeinsam auf die Suche. Ihre Vorsprache bei den Treibacher Chemischen Werken bleibt erfolglos, also kurzentschlossen gleich weiter nach Sonnberg bei Guttaring, zum dortigen Kohlebergbau. Der Bergdirektor, ein feiner Mann, nimmt sich der jungen Burschen an. Er sagt ja, wir brauchen dringend Arbeiter für die Grube, aber so blutjunge Menschen, noch dazu bei der derzeit schlechten Ernährungslage aufzunehmen, wäre nicht zu verantworten. Sein Rat ginge dahin, zumindest für die Dauer des Krieges in bäuerliche Dienste zu treten.... Ein guter Rat fürwahr, aber Michel fühlt sich nicht wohl dabei. Sollte er sich vielleicht schon bei der eigenen Nase nehmen? Unverrichteter Dinge verlassen die Halbwüchsigen das Bürohaus, da fahren gerade die Knappen aus der Grube aus. Deren rabenschwarze Gesichter und von harter Arbeit gezeichneten Gestalten sind ein Schock für die zwei und zumindest Michel weiß jetzt genau, was der Betriebsleiter zuvor gemeint hat. Eines baldigen Tages langt Post von Bruder Leonhard aus Steyr ein. Er fragt darin beiläufig, was mit Michel geschehen und ob er sich in den Steyr-Werken für ihn einmal umhören solle? Vielleicht möchte er den Schlosserberuf erlernen? Michel ist so begeistert von der Möglichkeit einer Berufslehre in den berühmten Werken, daß er nichts Besseres weiß, als schon am nächsten Tag um einen Reisepaß bei der Bezirkshauptmannschaft vorstellig zu werden. Kärnten galt zu jener Zeit als engeres Kriegsgebiet und niemand durfte ohne Bewilligung ein- oder ausreisen. Wie oft hat Michel den Wagnern, Schmieden oder Tischlern interessiert über die Schultern geschaut, Wie begeisterte er sich daran, was diese geschickten Hände hervor- zubringen imstande waren. Da wußte er schon früh, daß nichts anderes als ein Handwerksberuf für ihn in Frage kam. Am 10.

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Lernjahre sind keine Herr´njahre!Glantaler Geschichten (9) Walter Wohlfahrt

Eigensinnig ist der Michel schon! Jetzt ist es ihm in Kraindorf doch in jeder Hinsicht gut gegangen und gern hätte man ihn dort über den 1. Jänner 1917 hinaus auch gehalten, nein, er quittiert den Dienst und erinnert den Vater an die Zusage, sich jetzt einen Lehrplatz suchen zu dürfen. Unwillig stimmen die alten Eltern - Vater ist inzwischen 68, die Mutter wohl elf Jahrejünger - schließlich zu, aber einen geeigneten Lehrplatz wissen sie auch nicht. Mit Freund August Stücklberger, der ein gleiches Ziel vor Augen hat, geht es gemeinsam auf die Suche.Ihre Vorsprache bei den Treibacher Chemischen Werken bleibt erfolglos, also kurzentschlossen gleich weiter nach Sonnberg bei Guttaring, zum dortigen Kohlebergbau. Der Bergdirektor, ein feiner Mann, nimmt sich der jungen Burschen an. Er sagt ja, wir brauchen dringend Arbeiter für die Grube, aber so blutjunge Menschen, noch dazu bei der derzeit schlechten Ernährungslage aufzunehmen, wäre nicht zu verantworten. Sein Rat ginge dahin, zumindest für die Dauer des Krieges in bäuerliche Dienste zu treten.... Ein guter Rat fürwahr, aber Michel fühlt sich nicht wohl dabei. Sollte er sich vielleicht schon bei der eigenen Nase nehmen? Unverrichteter Dinge verlassen die Halbwüchsigen das Bürohaus, da fahren gerade die Knappen aus der Grube aus. Deren rabenschwarze Gesichter und von harter Arbeit gezeichneten Gestalten sind ein Schock für die zwei und zumindest Michel weiß jetzt genau, was der Betriebsleiter zuvor gemeint hat.

Eines baldigen Tages langt Post von Bruder Leonhard aus Steyr ein. Er fragt darin beiläufig, was mit Michel geschehen und ob er sich in den Steyr-Werken für ihn einmal umhören solle? Vielleicht möchte er den Schlosserberuf erlernen? Michel ist so begeistert von der Möglichkeit einer Berufslehre in den berühmten Werken, daß er nichts Besseres weiß, als schon am nächsten Tag um einen Reisepaß bei der Bezirkshauptmannschaft vorstellig zu werden. Kärnten galt zu jener Zeit als engeres Kriegsgebiet und niemand durfte ohne Bewilligung ein- oder ausreisen. Wie oft hat Michel den Wagnern, Schmieden oder Tischlern interessiert über die Schultern geschaut, Wie begeisterte er sich daran, was diese geschickten Hände hervor-zubringen imstande waren. Da wußte er schon früh, daß nichts anderes als ein Handwerksberuf für ihn in Frage kam. Am 10. Februar bekommt Michel den Reisepaß zugeschickt, am zwölften sitzt er bereits im Zug. Er kommt an diesem Tage bis Klein-Reifling im Ennstal. Da heißt es aussteigen und bis 6 Uhr früh auf den Anschlußzug nach Steyr warten. Die lange Nacht verbringt der Reisende unter Tränen und Heimweh im ungeheizten Wartesaal. Selbst ein warmer Ofen hätte wenig Erleichterung bedeutet, denn es gab keine Fensterscheiben. Glas war Mangelware und öffentliches Gut nur noch wenig geachtet.

Das Wiedersehen mit dem Bruder ist wohl ein freudiges, aber ein unerwartetes zugleich.Man ist überhaupt nicht darauf gefaßt und auch nicht vorbereitet gewesen. Natürlich war auch noch in keinster Weise etwas Konkretes hinsichtlich Lehrstelle bekannt. Das kinderlose Familienleben wie der Arbeitsalltag des Bruders mußte also weiter seinen Lauf nehmen undMichel kann sich vorläufig nicht nur tüchtig ausschlafen, sondern auch einer Theateraufführungbeiwohnen, in deren Verlauf er seinen eigenen Bruder nebst Schwägerin auf der Bühne erkennt. Er ist vom Schauspiel hingerissen und bedauert nur eines, daß dies nicht auch seine Eltern sehen können.

Inzwischen ist es so weit. Leonhard und Michel fahren mit dem Arbeiterzug in die Stadt.Im Werk angelangt, erklärt Leonhard die verschiedenen Fabriksanlagen und Objekteund sagt schließlich, Michel müsse um 8 Uhr beim Eingangstor zu Gebäude 9 sein, dort werde ein Mann in einem blauen Mantel vorbeikommen, das sei dann der Herr Betriebsleiter.

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Um ja nichts zu übersehen, hält Michel das Tor scharf im Auge und es dauert auch nicht lange, da erblickt er schon den Betriebsleiter wie beschrieben, zieht den Hut, grüßt höflich und bringt seine Bitte vor. Der Herr schaut mit großen Augen auf das schmächtige Bürscherl, dann fragt er endlich, woher es eigentlich komme. Aus Kärnten, lautet die Antwort. Da wird der Betriebsleiter ganz barsch, wie könne man nur so ungeschickt sein, ziellos drauf los zu fahren. Die Betriebsleitung der Steyr-Werke habe keine Absicht, Lehrlinge einzustellen, was man bräuchte seien ausgebildete Fachkräfte und die fände man zur Genüge unter den Kriegs-gefangenen und Kriegsinvaliden. Michel dankt und der blaue Mantel verschwindet im Tor.Die freien Stunden des Vormittages bis zum vereinbarten Zeit- und Treffpunkt im Gasthaus Buchenwald treibt sich Michel im riesigen Werksgelände herum. Plötzlich schreckt ihn das Heulen der Fabrikssirene aus seiner Beschaulichkeit. Es ist zwölf Uhr. Aus allen Toren ergießt sich eine unübersehbare Arbeitermasse auf die Straße, verteilt sich nach allen Richtungen, Autos müssen anhalten, die nachströmende Menschenmenge will kein Ende nehmen. Michel wird von Angst ergriffen, erst das Wiedersehen mit dem Bruder läßt ihn neue Fassung finden. Er berichtet vom Mißerfolg und möchte wissen, wie viele Arbeiter es im Werk eigentlich gibt. Es sind sage und schreibe zwölftausend! Dieses bewegende Erlebnis von "Masse und Macht" wird Michel nie mehr vergessen.

Derartige Versuchsgänge wiederholen sich noch dreimal und zu Michels großer Enttäuschung sind alle ergebnislos. Am 19. Februar kommt es wieder zur Heimreise, aber selbst diese geht nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Der Reisepaß galt natürlich nicht mehr für die Rückfahrt und so wird der Ahnungslose in St.Michael aus dem Zug geholt und dem Stationskommando vorgeführt. Nach wiederum einer halben Nacht im Warteraumgibt es nach Mitternacht den Reisepaß mit dem Vermerk retour "Rückreiseerlaubnis für 20. Februar 1917".

Endlich wieder daheim in Lebmach, drängt es Michel zur Mutter. Diese ist gerade beimSchober in Pulst auf Störarbeit mit dem Wollespinnen für die Lodenherstellung beschäftigt.Mutter Thresl ist recht froh über die Rückkehr des Sohnes, dieser wohl noch mehr, weil er von bösen Eindrücken, vorallem aber vom Heimweh wieder befreit ist. Vater hat Störarbeit als Faßbinder in Karlsberg und Michel kann ihm dabei behilflich sein bis endlich mit 1. April 1917 die Lehre bei Julius Gaggl, Maschinenbauwerkstätte in Lebmach beginnen kann.

Schon die Arbeit des ersten Tages ist signifikant für Lehrverhältnisse damaliger Zeit, sie besteht für Michel darin, Schotter aus dem Lebmacher Bach ins Fundament für den Schmiede-Zubau zu verbringen. Ein Anteil von zwei Drittel Hilfs- , Stall- und Feldarbeit zu einem Drittel Berufsausbildung wird auch noch das ganze erste Jahr gelten. Zeitgleich mit dem Beginn der Lehre bezieht auch die Familie des Maurermeisters Franz Valent Wohnung bei Julius Gaggl.Bürgermeister Franz Wutte ist gerade bemüht, die Wasserkraft des Lebmacher Baches fürseine Säge und Mühle auszubauen. Eine Baubewilligung zum Aufstau und für eine Druckrohr-leitung besteht schon seit 1916 und eine weitere für den Turbinenbau seit 1917. Da kommt ihm sein "Insiderwissen", daß einige tüchtige friulanische Maurer aus Kärnten im fernen Burgenland interniert und zur Beschäftigungslosigkeit verurteilt sind, obwohl sie viel lieber wieder auf freiem Fuß und in Kärnten wären, sehr zu statten . Wutte weiß, wie man solche Leute anfordert und wie man sie vorteilhaft einsetzt. Für Michel wird die Familie Valent später noch besondere Bedeutung bekommen! Übrigens, das Elektrizitätswerk des Franz Wutte in Lebmach wird noch im letzten Kriegsjahr, genauer gesagt im April 1918 kollaudirt.

Michel ist erst sechzehn und hat sein Bett noch zuhause. Er möchte aber schon ein freieres Leben haben. Daheim hört er nur, sei fleißig und folgsam, mach, was man Dir anschafft,

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hab Ehrfurcht vor Gottvater, dem Landesvater, sprich dem Kaiser usw. Michel merkt aber,wie alle seine Väter schwächer und schwächer werden. Er will nicht mehr auf Schritt undTritt gemahnt und beobachtet sein. Der leibliche Vater gibt seinen gewohnten Anspruch nicht leicht auf. Er will die Unterordnung des lange noch nicht großjährigen Sohnes. Es gibtVorwürfe, wenn der Bub nicht zur Zeit heim kommt oder sich irgendwie leichtsinnig zeigt. Immer noch sorgen wir für Dich usw. Darauf der Michel, ja, ich werd schon nicht mehr lange meine Füß unter Euren Tisch halten. Dazu die Mutter, tu Dich nicht versündigen Bub, vom verredeten Brot schneidet man oft die größten Keile ab. Trotzdem sucht die Mutter einen Ausweg. Der junge Sohn neben dem alten Vater tut nicht mehr gut. Lebensrythmus wie Sicht der Dinge sind einfach zu verschieden. Nach Erfüllung der Probezeit drängt sie darauf, daß jetzt Meister Gaggl auch für Michels Unterhalt sorgt. Auch hat sie inzwischen die Über-zeugung gewinnen können, daß er hart genug dafür arbeitet.

Der Lehrling bekommt tatsächlich seine eigene Bude! Der Lehrherr ist großzügig in Dingen, die ihn wenig oder nichts kosten, wie z.B. Michels neue Freiheit. So kann er ihn noch un-kontrollierter lang zur Arbeit einteilen. Für Michel nimmt diese wirklich manchmal kein Ende. So ferne nur die Leistung stimmt, hat der Meister kaum einmal einen Einwand und die charakterliche Entwicklung des jungen Menschen ist seine Sorge nicht. Die alten Zustände, wonach der Lehrherr für seine Lehrlinge Verantwortung auf sich zu nehmen hatte, worauf sich die Eltern aber verlassen haben, galten nicht mehr, zumindest nicht in diesem Falle. Entsprechend wild und zügellos verläuft für Michel die kommende Zeit.

Das Lehrverhältnis war noch nicht drei Monate alt, da kam eines Tages Herr Josef Hochrinner, Maschinenschlossermeister in Lebmach zu den Eltern, sie sollten Michel bei ihm lernen lassen. Er hatte im Nebengebäude der Lebmacher Bahnhofsrestauration eine sehr gut, jedenfalls viel besser eingerichtete Werkstätte als Julius Gaggl. Michels Vater entschied jedoch, daß der Bub zu bleiben hätte, wo er sei. Sein Beweggrund dafür ist bezeichnend. Hochrinner lasse seine Leute jeden Sonntag vormittag arbeiten und darin erblicke er eine religions-feindliche Haltung. Daran sieht man, wie recht der Gendarmerie-Chronist hatte, wenn er vermerkte, daß die Leute am Berg noch betsamer, jene im Tal aber religiös ziemlich lau seien. Es lag außerhalb der Beurteilungskraft des von Gradenegg ins Tal gezogenen Vaters, daß sein Sohn bei Hochrinner mit Sicherheit eine fachlich wesentlich bessere Ausbildung erfahren hätte. Als Michel unbedachterweise oder vielleicht doch ein bißchen aus falschem Stolz heraus Meister Gaggl von den Vorgängen berichtet, hat dieser nichts Eiligeres zu tun, als den ungeliebten Konkurrenten wegen Geschäftsstörung zu verklagen.

Im Feber 1918 bekommt Michel den ersten Musterungsbescheid, ein halbes Jahr vor seinem18. Geburtstag. Der Kaiser braucht Soldaten, und so ergeht der Ruf bereits an die Jüngsten.Die Musterungskommission tagt im Hotel Stern in St.Veit. Michel wird zusammen mitHugo Zlepnig vlg Kobold für den Militärdienst untauglich erklärt. Der Wagner Xander (Sereinig) von Lebmach, Heinrich Schüttelkopf Sohn des Gemeindesekretärs, Hans Gauglhofer Sohn des Gendarmerieführers schließlich Peter Wohlfahrt, Graditzersohn aus Glantschach sind alle tauglich. Michel fühlt sich gekränkt, daß er nicht Soldat werden darf. Zu dieser Zeit ist Bruder Peter im Karst an der italienischen Front bereits ein zweitesmal, diesmal sehr schwer verwundet worden. Ihm mußte ein Teil des Schädels durch eine Silberplatte ersetzt werden. Er wurde aus dem Wehrdienst entlassen und erhielt eine Verwalterstelle auf Schloß Lind bei St.Peter am Bichl.

Den Kriegszusammenbruch Anfang November 1918 erlebt Michel mit seiner Arbeitsstättean der Glantalstraße aus erster Hand. Drei Wochen lang sind alle Verkehrswege durch rückflutende Truppen verschiedenster Nationalität regelrecht verstopft. Ein schauriges und bis dahin einmaliges Schauspiel für die Glantaler. Zur Trauer über das schwere Schicksal des

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Bruders gesellt sich Unsicherheit über den Zusammenbruch des Reiches ebenso wie ohnmächtige Wut und hilflose Verzweiflung angesichts der unverschämten Gebietsansprüche der südlichen Nachbarn Kärntens.

Von einem Tag auf den andern gilt nicht mehr, was seit Generationen gegolten hatte.Die bisherige Obrigkeit ist sang- und klanglos untergegangen. Neue Stimmen melden sichund sie verkünden bis dahin kaum Gehörtes. Es kommt zu den ersten Abwehrkämpfen auf Kärntner Boden und schließlich zur Besetzung der Bahnlinie durch italienisches Militär.Diese Besatzung dauert vom 14. Juni bis 2. Oktober 1919 und zeigt erstmals, das in späterer Zeit nochmals wiederkehrende, frivole Spiel, das da lautet, tausche Lebensmittel gegen Liebe!

Unserem Michel bleibt kaum etwas verborgen und so sticht auch ihn schon bald mächtig derHafer. Die neu verkündete Freiheit ist scheinbar grenzenlos. Was macht der einst brave und zweifach gefirmte Ministrant mit seinem Gewissen? Was hält er noch von Pfarrer oder gar vom Beichtstuhl? Man ist ja so frei und endlich sein eigener Herr! Worauf noch Rücksicht nehmen?Aber man kann sich leicht irren. Die alten Potentaten sind von der politischen Bühne scheinbar abgetreten, sie sind aber immer noch da. Es gelten jetzt angeblich demokratische Regeln, aber das Sagen haben weiterhin einige wenige. Der Adel ist offiziell abgeschafft, richtig, doch hat er nicht weiter seine tüchtigen und gehorsamen Verwalter die man in die neuen Gemeindestuben entsenden kann? Auch Grundbpächter und sonstige Abhängigkeit von Graf oder Kirche gibt es weiterhin. Das politische Geschehen auf dem flachen Lande bestimmen im großen und ganzen immer noch die gleichen Leute und gegen den Wind soll man nicht Klavier spielen, oder doch?

Michel ist immer kritisch im Sinne von hell wach und ein bißchen mißtraurisch gegenüberäußeren und inneren Mächtigen gewesen und wird es mehr und mehr. Er sieht die einen, dieweiterhin das Extrazimmer für sich allein beanspruchen, die unter sich bleiben und die Masse unbemerkt leiten wollen. Er sieht aber auch die anderen, die Plätze und Versammlungsräumezu füllen trachten und die überzeugt davon sind, die neu geschaffenen republikanischen Errungenschaften verteidigen zu müssen. Beide Seiten überbieten einander in gegenseitigenVerdächtigungen: "Ihr Weltrevoluzionäre!" oder "Ihr Reaktionäre!" Dazu kommt, daß Kriegszusammenbrüche immer mit einer gewissen Verrohung, mit Sittenlosigkeit, Genußsucht, Eigentumsbedrohung und Schiebereien einher gehen.

Anfang Dezember 1918 übergibt der Meister an Michel eine moderne Dreschgarnitur,bestehend aus Benzinmotor, Lederriementransmission und Dreschmaschine damit er mitdieser von Haus zu Haus ziehe und vorführweise den Getreidedrusch besorge. Zufriedene und überzeugte Kunden - so die Erwartung - sollten die Geräte dann auch bestellen. So gelangtMichel, der jetzt im zweiten Lehrjahr steht, sogar bis zum Schloß Hollenburg. Dieses Gut führte damals ein Kriegsinvalider namens Koller als Verwalter. Es hatte die Gutsführung bei Kriegsschluß bedeutende Mengen Treibstoff sammeln bzw. einlagern können, sodaß sie jetzt in der Lage war, das nötige Benzin zur Verfügung zu stellen. Verpflegungsmäßig fühlte sich aber niemand für den Maschinisten Michel zuständig, der sich nun selbst auf recht zweifelhafte Art zu helfen gedenkt. Er zweigt vom allgemein begehrten Treibstoff ab und kann sich so ganz leicht Lebensmittel eintauschen. Später wird er damit zu beweisen trachten, daß ihn allein die anerzogene Unterwürfigkeit und der stets verlangte strikte Gehorsam daran gehindet hätten, mit Androhung einer Arbeitseinstellung den gerechten Anspruch auf ordentliche Verpflegung durchzusetzen und damit einer strafbaren Handlung auszuweichen.

In den Genuß dieses Treibstoffes (oder eines anderen?) kamen jedenfalls auch die St.Veiter

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Kinobegeisterten. Beim Kino Jäger in der Villacher Vorstadt gab es jedenfalls seit 1912 den ersten Kinosaal. Man saß an Tischen mit Speis und Trank und an der Stirnseite des Saalesliefen die Bilder. Glantaler Musikanten wie der Wagner Sereinig aus Lebmach oder der alte Turmweber von Karlsberg machten Hintergrundmusik für die Stummfilme.Mit dem verlorenen Krieg versiegten aber für einige Zeit die Dieselquellen und das Städtische Elektrizitätswerk wie die Stadt waren ohne Strom. Zur Überbrückung mußte Michel zweimal wöchentlich einen Stationsmotor mit Pferdewagen von Lebmach nach St.Veit schaffen und damit eine provisorische Lichtmaschine in Gang halten. Als wieder einmal der Motor aussetzteund Michel sich darum bemühte, sammelten sich mehrere Besserwisser um das streikende Gerät und taten ihre unerbetenen Meinungen kund. Da kam es bei neuerlichem Startversuch zum Zündungsrückschlag und einer, der dem Vergaser am nächsten war, sorgte mit ruß-geschwärztem Gesicht für allgemeine und schadenfrohe Heiterkeit. Als der Mann aber schließ-lich gewahr wurde, daß auch sein schöner Schnurbart kein solcher mehr war, wollte er sich auf den schuldlosen Michel stürzen und ihn lynchen, was man zum Glück verhinderte.

Nur manchmal klagt Michel den Eltern, wie sehr er sich vom Lehrherrn ausgenützt vorkommeund wie schlecht es ihm an manchen auswärtigen Arbeitsstellen ergehe, doch dann heißtes nur, Lernjahre sind keine Herr´njahre! So muß Michel immer wieder von neuem fest dieZähne zusammenbeißen bis endlich der 1. April 1920 und so das Ende der Lehrzeit erreicht ist.

Beim Gaggl in Lebmach

Das Kind der ledigen Mutter Genofeva Gaggl, einer 20jährigen Hoisl-Tochter in Agsdorf, Pfarre St.Urban wurde am 10.4.1879 auf den Namen Julius getauft. In welcher Umgebung der hoffnungsvolle Knabe heranwuchs, wo und welche Berufsausbildung - wenn überhaupt -er genossen hat, ist leider nicht bekannt. So um die Jahrhundertwende dürfte er seine nurknapp ein Jahr jüngere Braut, Johanna Raab, Bauerntochter aus Glanegg zum Altar geführt haben und zehn Jahre später, also im Alter von 30 Jahren taucht Julius Gaggl erstmals als"Wirt in Pulst Nr.14" auf. Er ist dort aber nur Pächter, denn die Besitzernamen der sogenannten Tischlerwirt-Realität heißen in der Zeit von 1908 bis 1913 Thomas Habernig, Josef Kropfitsch und Franz Skoff. 1945/46 ist dies der Gasthof Komposch in dessenneu erstandenem Theatersaal nicht nur die Wanderbühne Schnutt sondern auch der unvergessene Schorschi Bucher ihre große Auftritte hatten bzw. wo unzählige Ballnächte durchgetanzt wurden.....

Im Jahre 1913 kauft Gaggl das Wirtshaus Lebmach Nr.7, behält aber nur das Stallgebäudeunterhalb der Straße mit zwei Wiesenparzellen und gibt das Wirtshaus sofort an einen gewissenHeinrich Stratil weiter. Dieser und dessen Rechtsnachfolger Friedrich Gernaßnig können dasGasthaus nicht halten. Die Schulden bei Josef Zunzer aus Friesach, der Sparkasse St.Veitund bei der Brauerei Silberegg sind wohl zu groß gewesen.

Während die Stammliegenschaft bzw. das, was von ihr übrig blieb unter EZ 64 KG Rosenbichl verbleibt, wird das Anwesen unterhalb der Straße, jetzt "Gaggl-Keusche" genannt, in EZ 37 KG Hörzendorf grundbücherlich registriert. Gaggl hat dort anscheinend 1913

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sogleich neben einer bescheidenen Wohnung auch Platz für erste gewerbliche Maßnahmen geschaffen. Vom Mühlenbau dürfte er am ehesten was verstanden haben, denn er ging sehr bald daran, Kunststeine anstelle der bislang verwendeten Natursteine herzustellen. Man sprach damals ja auch schon öfter von sogenannten Kunstmühlen. Für den Mühlenbau, in der Hauptsache für die Herstellung bäuerlicher Hausmühlen waren natürlich auch Schlosser- , Schmiede- , Mechaniker- und Tischlerkenntnisse erforderlich, je nachdem ob es sich gerade um Metall- oder Holzteile, um Wasser- oder Getriebe-Baumaßnahmen handelte.

Als 1917 Friedrich Gernaßnig in Zwangsversteigerung verfiel, gelang Gaggl ein sehr günstiger Rückerwerb des Gasthauses an der Straße. Die Gastwirtschaft bildete eine idealeErgänzung für den Gewerbebetrieb, dessen Hauptklientel die Bauern der Umgebung werden sollten. Jetzt konnte man unter Umständen bei ein und demselben Kunden mehrfach Geld verdienen, sei es, daß die Arbeit bestellt, auf eine Ausführung gewartet oder eine Rechnungbeglichen werden mußte, immer bot sich so ein Aufenthalt und Verzehr im Gasthaus an. Mit Kegelbahn im Sommer, Eisbahn für den Winter, mit Extrazimmer für die Honoratioren und Kartenspieler, aber auch mit Grammophon für die Tanzlustigen und dem ersten Telefon im Ort kam nach und nach alles, was ein viel- und gernbesuchtes Gasthaus so eben ausmachte.

Im Jahre 1917 dürfte wohl auch der Ausbau der kleinen, eigenen Wasserkraft begonnen worden sein. So erklärt sich jedenfalls, daß die aus ihrer Internierung rückgekehrte Maurermeisterfamilie Franz Valent gerade bei Julius Gaggl ihre erste Lebmacher Wohnung bezog. Aufgeschlossen allen neuen Geschäftsmöglichkeiten gegenüber auch dann, wenn er davon nicht alles gleich selbst verstand, wußte Gaggl doch immer wieder fähige Arbeiter und Zulieferer einerseits, gute Abnehmer andererseits ausfindig zu machen. Die Gabe des guten Wirtes besteht darin, die allgemeine Stimmung zu erkennen, die Leute zusammenzubringen, von ihren Bedürfnissen und Wünschen zu hören und so eben auch geschäftlich stets auf die Butterseite zu fallen. Billig einkaufen und gut weiterverkaufen ist kein Nachteil, wenn man´s kann. Viel versprechen und ein bißchen weniger halten, das soll ja heute noch da und dort wo vorkommen.....

Die Zeit nach dem 1. Weltkrieg war für die junge Firma politischen Wirren und fortschreitender Inflation zum Trotz, voll neuer Chancen. Aus Amerika und England, später auch aus Deutschland kamen neue Antriebsaggregate und Arbeitsmaschinen vorallem fürdie Landwirtschaft auf den Markt. Es handelte sich dabei insbesondere um Stabilmotore,die man auf fixe Betonsockel montierte und - nicht ganz ungefährlich - mit Handkurbel startete. Zum Anlassen war Benzin, für den eigentlichen Arbeitsgang dann Petroleum notwendig. Die besonderen Renner waren die englischen Marken Juwell und Sendling, bzw. Motore von AMC, American Motor Corporation.

War anfänglich allein schon für vermittelte Verkaufsabschlüsse Provision zu machen, so steigerten sich die Erträge bei örtlicher Wartung und Direktverkauf noch um einiges. Gerade die Störungsanfälligkeit der frühen Modelle bedeutete für einen lokalen Lieferanten, sofern er schnellen Service bieten konnte, nicht geringe Wettbewerbsvorteile gegenüber Anbietern aus entfernteren Orten. Der Sachverstand unter Bauern und Knechten war klarerweise noch gering, ja manchmal die Abneigung gegen diese höllischen neuen Dinger recht groß. Kam es doch vereinzelt immer wieder zu teils beachtlichen Verletzungen durch Rückschlag der Kurbel oder Riß der Lederriemen der Kraftübertragung. Gaggls Gesellen waren daher weit über das Glantal hinaus, auf dem Sörgerberg, bis zum Wegscheider und Hoch St.Paul oft sehnlichst erwartet, um ein stockendes Werkl wieder in Gang zu setzen. Fußmärsche von drei bis vier Stunden in eine Richtung gehörten zum Arbeitsalltag.

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Die kleineren und mittleren Bauern waren leicht zu begeistern für die neuen Möglichkeiten. Göpel- oder Wasserantriebe für den Getreidedrusch waren bald überholt. Wenn auch so mancher Landwirt, die Kosten der Umrüstung falsch oder garnicht berechnete, den Lieferanten konnte das nichts ausmachen, sie mußten notfalls nur schnell genug offene Rechnungen einklagen und pfänden! Wurden den Bauern eine zeitlang nach dem Krieg die Lebensmittel noch aus der Hand gerissen, Modernisierungs- und Kaufwille daher noch durchwegs vertretbar, so änderten sich die Zeiten bald radikal. Als der Absatz bei Vieh und Holz zu stocken begann, weil den Hungernden die baren Mittel fehlten, da erfuhren auch Landwirte, daß es schwer ist, mit leerem Geldbeutel Raten zu zahlen. Edikte zu Zwangsversteigerungen fanden sich immer öfter auf der gerichtlichen Anschlagtafel.

Ein Insererat des Jahres 1926 in "Allgemeine Bauernzeitung" lautet: Petroleummotoren arbeiten mit halben Betriebskosten: stets lagernd bei Julius Gaggl, Vertretung für Kärnten, Maschinenbauwerkstätte Lebmach, Post Feistritz-Pulst - Günstige Zahlungsbedingungen"

Valentin Paternioner, Klagenfurt bewarb den Sendling-Motor, Ludwig Frank, Villachvertrieb den Deutz 4 Takt-Motor während J.Warchalowski, Wien als älteste MotorenfabrikÖsterreichs Direktlieferungen offerierte. Konkurrenz für den Lebmacher Betrieb war alsodurchwegs gegeben. Das hinderte aber in keinster Weise, sich sogar auf den Bau vonWasserkraftanlagen und Turbinen einzulassen. So langten Anfang der zwanziger Jahremehrere Aufträge ein u.a. von vlg Grentsch in Pach nahe Glanegg auf Bau eines Kraftwerkesfür Maschinen- , Mühlen- und Lichtmaschinenantrieb. Der Geselle hatte damit 8 Wochenzu tun und nur zweimal in dieser Zeit kam der Meister jeweils auf eine Stunde um Nachschau zu halten, ohne daß sich Beanstandungen ergeben hätten. Der Tageslohn des Gesellen betrugdamals 200 Kronen. Als sich Ferdinand Leeb vlg Grentsch in Pach gute Zeit später bei einem anderen Professionisten nach dem Gaggl-Gesellen erkundigte, der ihm so gute Arbeit geleistet hatte, ob er denn noch bei der Firma sei und was er dort wohl verdiene, da konnte er mit der Feststellung nicht hinter dem Berg halten, daß ihm Gaggels Rechnung immer noch schwer im Magen liege. Eintausend Kronen pro Tag seien ihm verrechnet worden!

Ein andermal sollte bei vlg Tschadam in Feistritz-Pulst (heute Liebenfels) ein Turbinenbaubis zum Elektroanschluß fertiggestellt werden. Am Abend kam von dort der Meister heim.Er informierte den Gesellen, es sei nur noch ein kleiner Fehler zu beheben und er solle dasam nächsten Tage erledigen. An der Baustelle angekommen, fand sich dort ein wahres Knäuel von Drähten vor. Wie der Bauer berichtete, sei der Meister dabei sehr ins Schwitzen gekommen und als er sich schließlich garnicht mehr auskannte, da hätte er die Arbeit überstürzt verlassen. Zu Mittag konnte der Geselle den Betrieb dem Bauherrn übergeben.Ein guter Meister macht eben auch heute nicht alles alleine - er muß nur delegieren können und das beherrschte Herr Gaggl vorzüglich.

1922 erfolgte der Kraftwerksbau beim vlg Schober in Pulst. Mit Karl Hoi als neuem Lehrling, er war in seinem späteren Berufsleben Langzeitmechanikermeister bei Georg Zavagyll in St.Veit, zählte die Firma jetzt zusammen mit den Gesellen Schummi und Michel drei Beschäftigte. Dabei besaß Julius Gaggl, laut Bericht des späteren Omnibus-UnternehmersHuber aus Friedlach, der ebenfall bei Gaggl seine Lehrzeit verbracht hatte, gar keine Berechtigung zur Lehrlingsausbildung. Um einen Gesellenbrief zu erlangen mußten alle Lehrlinge vorher bei einem befugten fremden Meister ihr Gesellenstück abliefern, was in jedem Falle die Arbeit eines guten Tages zu sein hatte. Wer sich nicht selbst darum kümmerte, hatte dann wohl drei Jahre Lehrzeit heruntergebogen aber keinerlei Befähigungsnachweis in der Tasche. Von einem Schutz des Lehrverhältnisses konnte da noch lange keine Rede sein. Wohl empfanden die Betroffenen das Unrecht und die Ausbeutung,

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aber von welcher Seite sollte Abhilfe kommen? Die einen waren wenig gesonnen, am alten Verhältnis von Herr und Knechtauch nur das geringste zu ändern und die anderen, die waren am flachen Land und in kleinbäuerlicher Umgebung noch nahezu ohne Wirkung und Bedeutung. Wollte man neue Töne hören, so mußte man schon ab und zu in die nahe Stadt schauen, dort jagte bereits eine politische Manifestation die andere.

Gaggls Werkstätte und vorallem der Handel mit Motoren, Dreschmaschinen, Hausmühlen etc. florierte weiter. War auch die Kaufkraft der Bauern jetzt sehr beeinträchtigt, die mitunter stundenlangen Märsche der Gesellen zu Reparatur und Wartung der Motore mußten ja doch sein und bezahlt werden. War trotzdem einmal weniger Arbeit, dann wurden die Leute ganz einfach heim geschickt oder nur tageweise eingesetzt. Die Verbreitung der Motorräder und Automobile brachte anderseits ganz neue Geschäftsmöglichkeiten. Was lag für eine Werksätte an der Straße dann näher, als sich zur mechanischen und schließlich zur automechanischen weiterzuentwickeln.

Als sich Julius Gaggl in den fünfziger Jahren schließlich zur Ruhe setzte, war der Berufswegfür seine Söhne Hugo und Julius bereits vorgezeichnet. Der eine wurde Landmaschinen- undTraktorenhändler in St.Veit, der andere zum Automechaniker in Althofen.Bildtexte:

1 Kino Jäger in St.Veit - erbaut 1912

2 von Prof. Richard Knaus

3 Getreidedrusch bei vlg Schlintl in Grassendorf - Stationsmotor im Vordergrundum 1930

4 Inserateseite September 1926 - u.a. Julius Gaggl, Lebmach

5 S ö r g gegen Karawanken

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