9783865913777 Amy in der Hand der Piraten

23
Monika Dockter Amy in der Hand der Piraten

description

Amy in der Hand der Piraten Monika Dockter Monika Dockter ist gelernte Arzthelferin, auch wenn sie seit einigen Jahren nicht mehr in dem Beruf tätig ist. Sie liebt romantische, altmodi- sche Filme, außerdem arbeitet und entspannt sie gerne im Garten. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in „Bayerisch-Schwa- ben“. Über die Autorin Amy in der Hand der Piraten Monika Dockter

Transcript of 9783865913777 Amy in der Hand der Piraten

  • Monika Dockter

    Amy in der Hand der Piraten

  • ber die Autorin

    Monika Dockter ist gelernte Arzthelferin, auch wenn sie seit einigen Jahren nicht mehr in dem Beruf ttig ist. Sie liebt romantische, altmodi-sche Filme, auerdem arbeitet und entspannt sie gerne im Garten. Mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt sie in Bayerisch-Schwa-ben.

  • Monika Dockter

    Amy in der Hand der Piraten

  • 2008 Gerth Medien GmbH, Asslar,in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Mnchen

    1. Auflage 2009Bestell-Nr. 816 377

    ISBN 978-3-86591-377-7Illustrationen im Innenteil: Thomas GamperUmschlaggestaltung: Immanuel Grapentin

    Umschlagillustration: Thomas GamperSatz: Mirjam Kocherscheidt; Gerth Medien GmbH

    Druck und Verarbeitung: CPI Moravia

  • InhaltWas bisher geschah . . . . . . . . . . . . . . 7

    Bobbys Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Amy geht an Bord . . . . . . . . . . . . . . 24

    Die Suche beginnt . . . . . . . . . . . . . . 36

    Eine erste Spur . . . . . . . . . . . . . . . . 45

    Das belauschte Gesprch . . . . . . . . . . . . 57

    In den Hnden des Wikingers . . . . . . . . . 71

    Chocolate und die Piratenflagge . . . . . . . . 85

    Amy in Lebensgefahr . . . . . . . . . . . . . 95

    Der Sturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

    Eine unerwartete Begegnung . . . . . . . . . 116

    Amys Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . . 124

    Der Untergang der Hurricane . . . . . . . . . 135

    Die Geschichte des Schiffszimmermanns . . . . 147

    Das Versprechen . . . . . . . . . . . . . . . . 158

    Ein unbekanntes Schiff . . . . . . . . . . . . 168

    Trnen der Freude . . . . . . . . . . . . . . 180

    Der Hinterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 187

    Zurck nach Hause . . . . . . . . . . . . . . 197

  • 7

  • 7Was bisher geschahWir befinden uns in England im Jahr 1860. Im Mit-telpunkt des Geschehens steht die elfjhrige Amelia Ravenhurst. Amy, wie sie von den meisten genannt wird, hat grne, lebhaft funkelnde Augen, eine som-mersprossige kleine Himmelfahrtsnase und lange rotblonde Locken, die laut ihrer ehemaligen Gouver-nante ebenso schwer zu bndigen sind wie ihr uner-mdliches Plappermaul.

    Gemeinsam mit ihren Eltern Sir Arthur und Lady Cecilia Ravenhurst bewohnte sie ein groes Landgut im Sdwesten Englands, aber als sie acht Jahre alt war, begaben sich die Eltern auf eine lange Auslandsreise und Amy musste zu Verwandten in die Hauptstadt London ziehen. Das eintnige Leben bei den ltlichen Verwandten langweilte sie aufs uerste, sodass sie ei-nes Tages ausriss, um mit einem kleinen Zirkus durchs Land zu ziehen. Hier, beim Zirkus Magnifico, lernte sie einen Jungen namens Jim kennen.

    Der nur wenig ltere Waisenjunge Jim hatte die strahlendsten blauen Augen der Welt und auerdem

  • 8 9

    ein schlaues kleines Kapuzinerffchen, Chocolate. Die beiden wurden bald ihre besten Freunde und waren auch die einzigen Mitglieder des Zirkus, denen Amy die Bedeutung des kostbaren silbernen Medaillons an-vertraute, eines Schmuckstcks mit dem Wappen ihrer Familie, das sie zur Erinnerung an ihre Mutter, die sie seit nahezu drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, stets an einer Kette um den Hals trug.

    Die Kinder ahnten nichts davon, dass der geheim-nisumwitterte Artist Mr Who genau dasselbe Medail-lon im Innern seines Zirkuswagens verborgen hielt. Mr Who, Inhaber der berhmten Pferdedressur, lebte bereits seit zehn Jahren beim Zirkus, aber niemand kannte seinen wahren Namen oder wusste etwas ber seine Vergangenheit.

    Erst Amy, die mit ihm und seinen Pferden in der Zirkusvorstellung auftreten durfte, brachte ihn all-mhlich dazu, sich seiner Vergangenheit zu stellen; und als sie von dem Feuerschlucker Paolo entfhrt wurde (dieser war durch Zufall auf das Geheimnis des silbernen Medaillons und ihrer reichen Familie gesto-en und forderte ein hohes Lsegeld fr Amy), gab er sich als der Ehemann von Amys verstorbener lterer Schwester zu erkennen. Seinem mutigen Eingreifen war es letztendlich zu verdanken, dass Amy den Hn-den ihres Entfhrers unversehrt entkam.

    Nach ihrer Rettung entschloss sich Robert Camp-bell, so war sein richtiger Name, dem Zirkus den

  • 8 9

    Rcken zu kehren und gemeinsam mit seiner jungen Schwgerin und Jim auf dem Landgut der Familie Ravenhurst zu leben, bis Amys Eltern endlich von der Reise zurckkehrten. Anstelle der sehnschtig er-warteten Eltern jedoch erreichte Amy ein Telegramm: Das Schiff, an dessen Bord ihre Eltern sich befunden hatten, war im Indischen Ozean verschollen!

    Gemeinsam machen sich Robert Campbell, Jim und Amy nun auf die Suche nach den verschollenen Eltern. Dabei begegnen sie einem Jungen namens Bobby ...!

  • 11

  • 11

    Bobbys FluchtEine steife Brise jagte unfrmige bleigraue Wolken ber den Himmel, tief unter ihnen rollten die mit wei-em Schaum gekrnten Wogen des Pazifischen Oze-ans rastlos der Kste entgegen. Auch im Hafen von Sydney, Australien, war der Wind deutlich zu spren. Er blhte die Segel eines Schiffes, das halb aufgetakelt auf seine Abfahrt wartete, spielte mit den losen Tau-enden der ankernden Segler und wirbelte allerhand Unrat und Abflle, die auf den Kais zurckgelassen worden waren, durch die Luft.

    Dessen ungeachtet waren die Hafenanlagen be-herrscht von dem hektischen Treiben, das beim Be- und Entladen von Schiffen unvermeidlich ist: Krftige Mnner luden schwere Scke und Kisten auf ihre Schultern und eilten geschftig die Laufplanken hinauf und wieder hinunter oder bedienten Hebe-krne, welche riesige Warenballen ber die Kpfe der Arbeiter hinwegschwenkten; raue Stimmen erteilten lautstarke Kommandos und derbe Ausdrcke erfllten die Luft.

  • 12 13

    Etwas am Rande des Geschehens stand ein klei-ner Junge mit zerzausten dunklen Locken. Er rieb frstelnd die schmalen Hnde gegeneinander und seine Zhne klapperten vor Klte, whrend der bige Seewind durch seine verschlissene Jacke und sein fa-denscheiniges altes Hemd pfiff. Sein Blick glitt ratlos ber den Wald der stolzen, zum Himmel ragenden Schiffsmasten, als pltzlich eine laute Stimme neben ihm ertnte:

    He, Kleiner, pass geflligst auf, wo du hintrittst! Ich hab heute schon mal so ne halbe Portion wie dich berrollt!

    Erschrocken machte der Junge einen Satz zur Seite. Es war nicht so sehr der raue Ton des Dockarbeiters, der ihn erschreckte (den war er von seinem Vater her gewohnt), sondern vielmehr die Tatsache, dass die bei-den riesigen Fsser, die der breit gebaute Mann vor sich herrollte, seine Fe nur um Haaresbreite verpasst hatten.

    Grinsend ber seinen Scherz setzte der Arbeiter seinen Weg fort, rollte die Fsser ber mehrere Plan-ken an Deck eines mittelgroen Dreimasters und verschwand schlielich im Inneren desselben. Wahr-scheinlich brachte er die Fsser dort in einem Lager-raum unter, denn gleich darauf tauchte er wieder auf, eilte zu dem hoch aufgestapelten Berg von Kisten und Fssern, die noch auf dem Kai warteten, und wieder-holte die ganze Prozedur.

  • 12 13

    Nachdem der schmchtige Junge ihn eine ganze Weile dabei beobachtet hatte, musterte er das Schiff, an dessen Heck eine kleine englische Flagge wehte, und allmhlich formte sich in seinen Gedanken ein Plan: Mit diesem Schiff wrde er sicherlich nach England kommen, und da er kein Geld hatte und kein Kapi-tn ihn jemals als Schiffsjungen anheuern wrde, weil er trotz seiner bald zehn Jahre ausgesprochen klein und etwas schwchlich wirkte, musste er heimlich an Bord gelangen. Er hatte sich lange genug unter all den Schiffen, die eine englische Flagge gesetzt hatten, umgesehen, und dieses hier erschien ihm fr seine Zwecke geeignet; vor allem, da der Arbeiter mit den Fssern ihm die Mglichkeit bot, ungesehen an Bord zu kommen.

    Kurz entschlossen machte Bobby sich an die Aus-fhrung seines Planes. Als der Arbeiter das nchste Mal schwer beladen die Planken beschritt, die an Deck fhrten, huschte er zu den Fssern und Kisten auf dem Kai, hob einige Deckel an, um festzustellen, wo er sich am Besten verstecken konnte, fand ein Fass, das nur bis zur Hlfte gefllt war, und kroch hinein. Glcklicher-weise konnte er den Deckel auch von innen halbwegs verschlieen, sodass niemand etwas Aufflliges an die-sem Fass bemerken wrde. Zunchst schien auch alles gut zu gehen, doch als das Fass an Bord gerollt wurde und ber die Rampe nach unten in den Schiffsbauch polterte, geschah es: Der Deckel, den Bobby bisher mit

  • 14 15

    aller Kraft von innen festgehalten hatte, lste sich und fr einen Augenblick hatte Bobby die abgetragenen schwarzen Stiefel des Arbeiters ganz dicht vor seinen Augen.

    Fieberhaft versuchte er, den Deckel wieder zu schlieen, aber es wollte ihm nicht recht gelingen - ein kleiner Spalt blieb offen stehen. In Gedanken malte Bobby sich bereits aus, was der Mann mit ihm anstel-len wrde, wenn er ihn erst einmal entdeckt hatte, als er pltzlich feststellte, dass sein Fass nicht mehr wei-terrollte. Es gab nurmehr einen krftigen Ruck, als der Arbeiter das Fass aufrecht stellte, dann hrte Bobby die sich entfernenden Schritte.

    Unendlich erleichtert atmete er auf. Das Halb-dunkel, das hier unten im Lagerraum herrschte, hatte seine Entdeckung verhindert. Bis sich das strmische Hmmern in seiner Brust vollkommen beruhigte, sollte allerdings eine geraume Zeit verstreichen, denn der Seemann hatte noch etliche Scke und Kisten zu verladen. Weitere Mnner gesellten sich zu ihm und gingen pausenlos in dem Laderaum aus und ein, sodass Bobby, aus Furcht gehrt zu werden, nicht wagte auch nur seinen kleinen Zeh zu bewegen.

    Gerade als er glaubte, es keine weitere Sekunde mehr in seiner unbequemen Lage auszuhalten, hrte er einen der Seemnner sagen: So, das wars mal wieder! Diese Vorrte sollten fr eine Weile rei-chen!

  • 14 15

    Nun, antwortete ein zweiter (Wenn Bobby sich nicht irrte, gehrte diese heisere Stimme dem Arbei-ter, der ihn vorher als halbe Portion betitelt hatte), wollen wir hoffen, dass unser Smutje damit auch et-was halbwegs Essbares zustande bringt!

    Die Mnner lachten, die Ladeluke schlug zu dann herrschte Stille.

    Langsam hob Bobby den Deckel und sah sich um, aber da die Luke nun geschlossenen war, war es fast vllig dunkel hier unten. Auer einigen schemenhaf-ten Umrissen konnte er nichts erkennen. Eines stand jedoch fest: Er war endlich allein! Ehe das Schiff den Hafen verlie, wrde vermutlich niemand mehr den Lagerraum betreten, und waren sie erst einmal auf See, konnte man ihn getrost entdecken, denn seinetwegen wrde man sicherlich nicht mehr umkehren.

    Beruhigt kroch Bobby aus seinem Fass und suchte im hinteren Teil des Lagerraumes eine Stelle, an der er es sich ein wenig gemtlicher machen konnte. Da sa er nun, und whrend er ungeduldig auf den Beginn der Reise wartete, zogen vor seinem inneren Auge die Ereignisse vorber, die ihn zu guter Letzt hierherge-fhrt hatten.

    Vor nur zwei Tagen war er noch zu Hause gewe-sen, falls man die heruntergekommene kleine Farm im Hinterland Sydneys berhaupt als richtiges Zu-hause bezeichnen konnte. Wie an jedem Morgen, seit er sich erinnern konnte, war er bei Sonnenaufgang

  • aufgestanden, um die Tiere zu fttern und die einzige Kuh zu melken. Der Farmhund Dusty, eine originelle Mischung zwischen einem englischen Jagdhund und einem Dingo*, hatte sich im Stalleingang niedergelas-sen, um sich die Morgensonne auf den Pelz scheinen zu lassen, und Bobby hatte mit einem Mal die Lust versprt, den gutmtigen alten Hund ein wenig zu necken. So hatte er mit dem feinen Milchstrahl, den seine gebten Finger aus dem Euter der Kuh pressten, auf das Fell des Hundes gezielt statt auf den zerbeulten Eimer, der die frische Milch blicherweise auffing. Er hatte Dusty auch tatschlich getroffen; der hatte sich zuerst verdutzt umgesehen, dann geschttelt und schlielich begonnen, die unverhoffte Erfrischung mit seiner langen roten Zunge aus dem Fell zu lecken. Er-freut ber seinen Erfolg hatte Bobby die Milch immer weiter in Richtung des Hundes gespritzt, ohne zu merken, wie dieser davontrottete, um seinem Herrn, dem Farmer, Platz zu machen. Erst als eine groe Faust ihn derbe am Kragen packte und auf die Fe zerrte, sah Bobby, was er angestellt hatte: Er hatte die schwar-zen Lederstiefel seines Vaters mit der Milch bespritzt. Stumm zog Bobby den Kopf zwischen die Schultern und wartete auf die Prgel, die nun unweigerlich fol-gen wrden. Die gerteten Augen und der schwere Atem seines Vaters verrieten ihm nur zu deutlich, dass

    16

    * Ein australischer Wildhund

  • dieser, wie so oft, betrunken war, und in diesem Zu-stand kannte er keine Gnade mit seinem Sohn. Der nichtigste Anlass gengte, dass Bobby unbarmherzige Prgel bezog.

    Als es endlich vorber war, schleppte der Junge sich mhsam zum Haus hinber. Wie immer in solchen Fllen hatte seine Mutter schweigend und mit Trnen in den Augen seine Wunden verarztet, nachdem sie die jngeren Geschwister, die ihn mitleidig ansahen, aus dem Raum geschickt hatte. Doch diesmal hatte sie ihr Schweigen unvermutet gebrochen.

    Sie hatte behutsam das Blut von seinen aufgeplatz-ten Lippen getupft, ein feuchtes Tuch auf die Schwel-lung ber seinem linken Auge gelegt und gesagt: So kann es nicht lnger weitergehen, mein armer Junge. Ich glaube, es wre besser fr dich, von hier fortzuge-hen, als diese stndigen Prgel noch lnger zu erdul-den.

    Aber Mutter!, hatte er protestiert, wobei ihm das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand, ich kann doch nicht einfach mein Zuhause verlassen, meine Geschwister, dich ...!

    Doch, Bobby, hatte sie sanft erwidert, das kannst du, und ich werde dir auch erklren, weshalb ...

    Selbst jetzt noch, zwei Tage spter, konnte er kaum fassen, was sie ihm erzhlt hatte: Er war nicht wie er bislang selbstverstndlich angenommen hatte Bobby Baker, der Sohn von Greg und Rose Baker aus Syd-

    17

  • ney, sondern der Sohn einer armen englischen Ein-wanderin, die bei seiner Geburt gestorben war, und ihres Mannes, der sich nach ihrem Tod aus dem Staub gemacht und seinen neugeborenen Sohn alleine zu-rckgelassen hatte.

    Du warst so klein und schwach, Bobby, du konn-test kaum atmen, deshalb lie die Hebamme deinen Vater zunchst in dem Glauben, du seist ebenfalls tot. Sie konnte schlielich nicht ahnen, dass dein Vater dar-aufhin so schnell und spurlos verschwinden wrde! Da deine Eltern soeben erst mit dem Schiff aus England eingetroffen waren, hatten sie auer der Hebamme, die mit ihnen an Bord gewesen war, und mir als Vermiete-rin ihres bescheidenen Zimmers keine Bekannten, und so nahm ich dich nach dem Verschwinden deines Va-ters zu mir. Wenig spter heiratete ich Greg. Ich wollte dich aufziehen wie meinen eigenen Sohn und ich liebe dich auch wie meinen eigenen Sohn, das musst du mir glauben, Bobby. Ich wrde dich niemals bitten fortzugehen, wenn mein Mann dich anstndig behan-deln wrde, aber ... Sie hatte abgrundtief geseufzt und hinzugefgt: Er ist nun mal ein Trunkenbold und wird seinen Zorn immer an dir auslassen, weil du nicht sein eigener Sohn bist. Es ist wirklich besser fr dich zu gehen. Du solltest versuchen, irgendwie nach England zu gelangen, denn ich bin sicher, dass dein Vater dort-hin zurckgekehrt ist. An den Familiennamen deiner Eltern kann ich mich leider nicht mehr erinnern ich

    18

  • wei nur, dass dein Vorname auch der deines Vaters ist. Vielleicht wird dies dir die Suche nach ihm erleich-tern! Damit hatte sie ein kunstvoll gerahmtes Bild von der Wand genommen, das eine junge, dunkelhaa-rige Frau mit einem strahlenden Lcheln zeigte. Dies ist ein Bild deiner Mutter, das ich nach ihrem Tod als Andenken behalten habe. Wenn du irgendjemandem begegnest, der diese Frau kannte, knntest du auch deinen Vater finden!

    Bobby hatte sich schon immer gewundert, was ein solch eindrucksvolles kleines Gemlde in ihrem rmlichen Farmhaus zu suchen hatte nun wusste er es. Aber ehe er etwas erwidern konnte, war Greg Ba-ker, sein bisheriger Vater, in die Kche gepoltert und hatte mit drhnender Stimme nach seinem Frhstck verlangt; Bobby hatte das Bild hinter seinem Rcken versteckt und sich zurckgezogen, um nachzudenken.

    Die Vorstellung, seine vertraute Umgebung, die Ge-schwister und vor allem seine geliebte Mutter zu ver-lassen und sich auf den Weg ins Ungewisse zu begeben, machte ihm Angst, und dennoch sprte er, dass seine Mutter recht hatte: Selbst eine ungewisse Zukunft und die vage Hoffnung auf einen Vater, der ihn anstndig behandeln wrde, waren besser als sein jetziges Leben, das hauptschlich aus Arbeit und Prgel bestand. Noch am selben Abend, als der Vater tief und fest schlief, hatte er sich unter Trnen von ihr verabschiedet und auf den Weg zum Hafen gemacht.

    19

  • 20 21

    Von seinem Zuhause war ihm nichts weiter ge-blieben als Erinnerungen an das liebevolle Gesicht der Mutter, die ihn grogezogen hatte, und das Bild der lchelnden jungen Frau, die seine eigentliche Mutter war, da sie ihn geboren hatte das Bild, das ihn am Ziel seiner gefhrlichen Reise zu einem unbekannten Vater fhren sollte.

    Alleine in dem dunklen Lagerraum presste der Junge das kostbare Bild fest an sein pochendes Herz. Konnte es ihm tatschlich helfen, einen Vater zu finden, der wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass es ihn, Bobby, berhaupt gab? Wie lange wrde es berhaupt dauern, bis sie England erreichten, und welche Gefahren wr-den ihn auf seiner Reise erwarten? Diese Gedanken beschftigten Bobby, whrend ber ihm an Deck der Befehl zur Abfahrt ertnte, der Anker gelichtet wurde und der Schoner sich langsam in Bewegung setzte.

    Wie sollte er auch ahnen, dass die Besatzung die-ses Schiffes nicht im Geringsten die Absicht hegte, irgendeinen englischen Hafen anzusteuern, und dass er sich bereits jetzt in allergrter Gefahr befand? Die kleine englische Flagge war nmlich nur gesetzt worden, um die Seeleute im Hafen von Sydney zu tuschen. Sobald der Dreimaster sich drauen auf hoher See befand, wurde eine andere kleine Flagge ganz oben an der Mastspitze gehisst: der Jolly Roger, eine schwarze Flagge mit weiem Totenschdel und gekreuzten Sbeln darunter.

  • 20 21

    Eigentlich war die Zeit, zu der Piraten auf allen Meeren der Welt ihr Unwesen trieben und Namen wie Henry Morgan oder Kapitn Blackbeard jeden ehrlichen Kapitn eines Handelsschoners erzittern lieen, lngst vorber, aber vereinzelt gab es sie eben doch noch, jene Ruber zur See, die sich nicht um Recht und Gesetz scherten und sich stattdessen auf Kosten anderer Menschen bereicherten. Und ausge-rechnet solch ein Piratenschiff, dessen Kapitn die Khnheit hatte, mitten in dem belebten Hafen zu an-kern und Proviant zu laden, hatte Bobby sich fr seine Reise nach England erkoren.

    Nach drei Tagen und Nchten auf hoher See entdeck-ten die Piraten ihren ungebetenen Mitfahrer. Es war eine dunkle, wolkenverhangene Nacht, in der auer dem leisen Pltschern der Wellen und einem leichten Knarren in der Takelage nichts zu hren war, und das hatte Bobby dazu verleitet, sein enges Versteck zu ver-lassen, um an Deck ein wenig frische Luft zu schpfen. Kaum hatte er jedoch drei Atemzge getan, als die auf-merksame Steuerwache ihn bereits am Kragen packte und vor den Kapitn zerrte.

    Der dabei entstandene Tumult brachte fast die gesamte Mannschaft der Hurricane auf die Beine, und jeder der Piraten hatte eine eigene Meinung darber, was mit Bobby zu geschehen hatte. Nachdem sie sich

  • 22 23

    schlielich darauf geeinigt hatten, ihn ber die Planke gehen zu lassen (was nichts anderes bedeutete, als dass sie Bobby mit verbundenen Augen ins nchtlich-dunkle Meer stoen und jmmerlich ertrinken lassen wrden), schritt der Kapitn ein. Der Wikinger (So nannte die Mannschaft ihren Kapitn, und wer den hnenhaften Mann mit der langen blonden Mhne und den eiskalten blauen Augen jemals im Kampf beobachtet hatte, wusste auch, weshalb.) entschied, dass Bobby an Bord bleiben sollte, um dem Smutje*, der aufgrund seiner rundlichen Figur nicht gerade der Flinkste war, bei seiner Arbeit zu helfen. Vielleicht, so uerte sich der Wikinger achselzuckend, kriegen wir dann ab und zu was mal was Anstndiges zu essen. Und falls sich herausstellt, dass der Junge nichts taugt, knnen wir ihn immer noch an die Fische verft-tern.

    Die Mnner brummten zustimmend, und fortan verbrachte Bobby seine Tage damit, Botengnge fr den bellaunigen Smutje zu verrichten, angebrannte Speisereste aus den Pfannen zu entfernen oder die salzverkrusteten Planken des Oberdecks zu schrubben, wenn es in der Kombse nichts zu tun gab.

    An den Tagen, an denen die Piraten ihre berflle auf andere Schiffe verbten, sperrten sie den Jungen kurzerhand im Bauch des Schiffes ein, damit er ihnen

    * So nennt man den Koch auf einem Schiff.

  • 22 23

    nicht im Weg war, aber selbst hier hrte er das Kampf-getmmel, die Schsse und die Schreie der Verwun-deten. Jeden Abend lag er stundenlang wach in seiner Hngematte und schmiedete Plne, wie er dieser Bande von belttern wieder entkommen knnte, aber keiner davon erwies sich als brauchbar.

    Bobbys Ziel England, sein Vater lag in weiterer Ferne als je zuvor.