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„Versicherungsvertragsrecht“ S K R I P T U M zur Vorlesung von em.o.Univ.-Prof. Dr. Attila FENYVES, Wien/Graz Vorbemerkung: Das Skriptum enthält nicht eine vollständige Dar- stellung der Ausführungen des Vortragenden, sondern ist nur als "Resümeeskriptum" gedacht, das einen Überblick über das Gebotene verschaffen soll. Das Skriptum ist daher nur in Ergänzung zur Vorlesung sinnvoll und keineswegs dazu gedacht, den Besuch der Vorlesung zu "ersparen".

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„Versicherungsvertragsrecht“

S K R I P T U M

zur Vorlesung von em.o.Univ.-Prof. Dr. Attila FENYVES,

Wien/Graz

Vorbemerkung: Das Skriptum enthält nicht eine vollständige Dar-

stellung der Ausführungen des Vortragenden, sondern ist nur als

"Resümeeskriptum" gedacht, das einen Überblick über das Gebotene

verschaffen soll. Das Skriptum ist daher nur in Ergänzung zur

Vorlesung sinnvoll und keineswegs dazu gedacht, den Besuch der

Vorlesung zu "ersparen".

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INHALTSVERZEICHNIS

Seite

§ 1 Einleitung............................................ 3

§ 2 Versicherungsvertragsgesetz (1958).................... 5

§ 3 Allgemeine Versicherungsbedingungen................... 10

§ 4 Erscheinungsformen der Versicherung.................... 14

§ 5 Die Personen des Versicherungsvertrages................ 17

§ 6 Abschluss, Formen und Änderung des

Versicherungsvertrages................................ 25

§ 7 Der Versicherungsschein (Polizze)..................... 34

§ 8 Dauer der Versicherung................................ 36

§ 9 Die Pflichten der Vertragsparteien.................... 39

§ 10 Vorschriften für die gesamte Schadensversicherung..... 72

§ 11 Feuerversicherung.................................... 87

§ 12 Haftpflichtversicherung............................... 91

§ 13 Lebensversicherung................................... 100

§ 14 Unfallversicherung................................... 107

§ 15 Die Auswirkungen des Beitritts Österreichs zur EU auf

das österreichische Versicherungsvertragsrecht....... 109

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§ 1 Einleitung

I. Gegenstand der Vorlesung

A) Vertragsversicherung im Gegensatz zur Sozialversicherung

B) Die einzelnen Rechtsbereiche der Vertragsversicherung

1. Versicherungsvertragsrecht

2. Versicherungsaufsichtsrecht

3. Versicherungsvermittlungsrecht

4. Versicherungssteuerrecht

5. Versicherungsunternehmensrecht etc

C) Definition des Versicherungsvertragsrechts: Das Versiche-

rungsvertragsrecht ist die Summe der Normen, die Regeln, wie ein

Versicherungsvertrag entsteht, welche Rechtssubjekte daran be-

teiligt sind, welche Rechtsbeziehungen zwischen diesen Subjekten

entstehen, wie der Vertrag wieder gelöst werden kann etc; das

Versicherungsvertragsrecht ist ein Sondervertragsrecht.

II. Begriff der Versicherung

A. Die verschiedenen Theorien

1. Nach der Funktion der Versicherung

a)Schadenersatztheorie

b)Bedarfstheorie

c)Plansicherungstheorie

2. Nach der Art der Leistungserbringung

a) Gefahrengemeinschaftstheorie

b) Unternehmenstheorie

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B. Heute anerkannte Merkmale des Versicherungsbegriffs (Jabor-

negg)

1. Schutz gegen ungewisses Ereignis (Gefahr)

2. Deckung eines Bedarfs

3. Entgeltliche Risikotragung

4. Unternehmensorganisation

C. Bewegliches System, „Typusbegriff“

III. Geschichte des Versicherungswesens

A. Genossenschaftlich-soziale Wurzel: Zusammenschluss Gleichge-

fährdeter zu einer Gefahrengemeinschaft

1. Römische Begräbniskassen

2. Sippe, Gilden

3. Spezialgilden (insb Brandgilden)

4. Hamburger Generalfeuerkasse 1676

5. Endpunkt: Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

B. Romanisch-mediterrane (spekulative) Wurzel

1. Seedarlehen (foenus nauticum)

2. Schiffswurf (lex Rhodia de iactu)

3. Entwicklung der Seeversicherung

4. Auswüchse (Wettversicherungen)

5. Endpunkt: Versicherungsaktiengesellschaft

IV. Geschichte des Versicherungsrechts

A. Statuten italienischer Seestädte

B. ALR 1749

C. §§ 1288 bis 1292 ABGB

D. Entwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts

1. Vereinspatent 1852: Materielle Staatsaufsicht

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2. Versicherungsregulative 1880, 1896, 1921

3. Einführung des deutschen VAG

4. VAG 1978

5. VAG 2016

E. Entwicklung des Versicherungsvertragsrechts; vgl § 2

§ 2 Versicherungsvertragsgesetz (1958)

I. Entwicklung des VersVG

A) Versicherungsordnung 1915 (Kaiserliche Notverordnung während

des 1. Weltkriegs, die auf lange zurückreichenden Vorarbeiten

beruhte). Das österreichische VVG hätte zur selben Zeit in Kraft

treten können wie das deutsche und das schweizerische VVG

(1908).

B) Versicherungsvertragsgesetz 1917

C) 1939 Einführung des deutschen VVG

D) Nach Kriegsende Beibehaltung des deutschen VVG

E) 1959 Inkrafttreten des "Versicherungsvertragsgesetz 1958",

das eine „Austrifizierung“ des deutschen VVG darstellte, von

diesem hauptsächlich nur in der Terminologie abwich, zum Teil

aber auch inhaltliche Abweichungen aufwies.

Die weitgehende Konformität des österreichischen und des deut-

schen Versicherungsvertragsrechts erlaubte die Verwendung von

deutscher Literatur und die Heranziehung deutscher Ent-

scheidungen. In der Folge hat sich das österreichische und das

deutsche Versicherungsvertragsrecht jedoch auseinanderentwi-

ckelt, zum einen bereits durch die VersVG-Novelle 1994, zum an-

deren nun aber deshalb, weil in Deutschland mit 01.01.2008 ein

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neues VVG in Kraft getreten ist.

F) Im Jahre 1992 wurde eine VersVG-Novelle verabschiedet, die

mit 1.1.1994 in Kraft getreten ist. Diese Novelle diente der Um-

setzung jener versicherungsrechtlichen Vorschriften, die Öster-

reich aufgrund des EWR-Vertrages übernehmen musste.

G) Mit 1.1.1995 ist die sehr umfangreiche VersVG-Novelle 1994 in

Kraft getreten. Sie ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass durch

die Umsetzung der 3. Richtliniengeneration die Genehmigung der

AVB durch die Aufsichtsbehörde entfallen ist. Das hat befürchten

lassen, dass der "Kundenschutz", also der Schutz des VN, ver-

schlechtert werden könnte. Die Novelle 1994 hat ihren Schwer-

punkt demgemäß in der Verbesserung des "Kundenschutzes". Daneben

enthält sie Regelungen über die Rechtsschutzversicherung, die

Krankenversicherung (erstmals!) und Änderungen im Bereich der

Lebensversicherung.

H) Die VersVG-Novelle 1997 (in Kraft ab 1.1.1997) war von weit

geringerer Bedeutung. Auch sie diente der Umsetzung europa-

rechtlicher Vorgaben. Wichtigster Punkt dieser Novelle ist die

Einbeziehung der aufsichtsrechtlichen Informationspflichten der

§§ 9a, 18b VAG in § 5b VersVG.

I) Auch in der Folge wurde das VersVG mehrfach novelliert. We-

sentlich sind vor allem vier Novellen. 2004 wurde die Versiche-

rungsvermittlungs-RL der EU umgesetzt (Novellierung der §§ 5b,

43 und 176 VersVG). Durch das VersRÄG 2006 wurde vor allem ange-

ordnet, dass die einmaligen Verwaltungs- und Vertriebskosten in

der Lebensversicherung dem VN nur noch rechnerisch verteilt auf

einen Zeitraum von zumindest 5 Jahren angelastet werden können

(§ 176 Abs 5 und 6 VersVG). Das VersRÄG 2012 hat in § 5a die ge-

setzlichen Grundlagen für die elektronische Kommunikation in der

Vertragsversicherung geschaffen und dem VN in § 5c ein allgemei-

nes, voraussetzungsloses Rücktrittsrecht eingeräumt. Das VersRÄG

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2013 hat vor allem die „Unisex-Regel“ (§ 1c VersVG) eingeführt

und die Regelung über die Rechtzeitigkeit der Zahlung der Prämie

geändert (§ 36 VersVG).

J) Die aktuell letzten Novellierungen des VersVG erfolgten durch

das Versicherungsvertriebsrechts-Änderungsgesetz 2018 (BGBl I

2018/16) und das BG, mit dem das VersVG, das KSchG und das VAG

2016 geändert werden (BGBl I 2018/51).

Das VersVertrÄG 2018 setzt die Versicherungsvertriebsrichtlinie

(IDD) der EU um und ändert mit 01.10.2018 insbesondere die bis-

herigen Regelungen über die elektronische Kommunikation (§ 5a

VersVG) und die Versicherungsagenten (§§ 43ff VersVG). Ferner

wird aufgrund einer Mitgliedstaatenoption für Versicherer als

„Versicherungsvertreiber“ eine Beratungspflicht eingeführt (§

132 Abs 1 VAG 2016).

Das BG, mit dem das VersVG, das KSchG und das VAG 2016 geändert

werden, hat die Rücktrittsrechte des VN tiefgreifend umgestal-

tet, um „ewige Rücktrittsrechte“ nach Möglichkeit nicht mehr zu-

zulassen. Es tritt mit 01.01.2019 in Kraft.

II. Zweck des VersVG

Das VersVG verstand sich als Schutzgesetz zugunsten des Ver-

sicherungsnehmers. Es verzichtete jedoch bewusst auf eine voll-

ständige Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts, das sich

in ständiger Entwicklung befindet. Es regelte überwiegend nur

den allgemeinen Teil des Versicherungsvertragsrechts und über-

ließ insbesondere die Risikoumschreibung den AVB. Ferner sind im

VersVG heute sehr wichtige Sparten (wie etwa die Einbruchsdieb-

stahlversicherung und die Kaskoversicherung) gar nicht geregelt,

während zB die wirtschaftlich weniger relevanten Sparten der

Tierversicherung und der Hagelversicherung in das Gesetz Eingang

fanden.

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III. Die Normkraft der Bestimmungen des VersVG

A) Das VersVG unterscheidet drei Arten von Normen, und zwar ab-

solut zwingende, relativ zwingende und dispositive Normen. Abso-

lut zwingende Vorschriften können weder zulasten noch zugunsten

des VN abbedungen werden, relativ zwingende können zugunsten des

VN abbedungen werden, dispositive Normen sind lediglich "Vor-

schläge" des Gesetzgebers, die im Rahmen der guten Sitten (§ 879

Abs 1 und Abs 3 ABGB) frei abbedungen werden können.

Die relativ zwingenden Vorschriften sind im Allgemeinen in "Sam-

melklauseln" enthalten, die am Ende der einzelnen Kapitel des

VersVG befindlich sind. Absolut zwingende Vorschriften sind zum

Teil schon durch ihren Wortlaut als solche erkennbar (zB wenn

sie Nichtigkeit androhen, wie zB § 51 Abs 4 VersVG - betrügeri-

sche Überversicherung), ansonsten muss der absolut zwingende

oder dispositive Charakter einer Norm durch Interpretation

ermittelt werden (Beispiele: § 3 Abs 1 VersVG scheint zwingend

zu sein; aus § 35 ergibt sich jedoch, dass es sich um eine dis-

positive Vorschrift handelt; § 55 VersVG - versicherungsrechtli-

ches Bereicherungsverbot – wurde lange Zeit als absolut zwingend

angesehen. Diese Meinung wurde jedoch mittlerweile aufgegeben

IV. Inhalt des VersVG

A) Das VersVG regelt nicht den Gesamtbereich des Versicherungs-

vertragsrechts, sondern nur das Vertragsrecht der "Binnen-

Erstversicherung". Gemäß § 186 VersVG sind nämlich die See-

versicherung und die Rückversicherung vom Geltungsbereich des

VersVG ausgeschlossen. Die Seeversicherung ist im HGB geregelt

(§§ 778 ff), die Rückversicherung ist überhaupt nicht gesetzlich

geregelt.

B) Auf die Güter-Transportversicherung, die Kreditversicherung,

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die Kursverlustversicherung und die laufende Versicherung sind

gemäß § 187 die "Beschränkungen der Vertragsfreiheit" des VersVG

nicht anwendbar. Das bedeutet nach hM nicht die völlige Unan-

wendbarkeit des VersVG, sondern es müssen immerhin jene zwingen-

den Vorschriften angewendet werden, deren Verletzung auch Sit-

tenwidrigkeit bedeuten würde. Es wäre also zB unzulässig, eine

Deckungspflicht des Versicherers auch für den Fall der betrüge-

rischen Überversicherung zu vereinbaren. Andererseits könnten

für die Verletzung von Obliegenheiten strengere Sanktionen ver-

einbart werden als nach § 6 VersVG.

V. Aufbau des VersVG

A) Das VersVG besteht aus 192 Paragraphen und zerfällt in sechs

Abschnitte; die ersten beiden Abschnitte sind noch in Kapitel

unterteilt.

Der erste Abschnitt (Vorschriften für sämtliche Versicherungs-

zweige, §§ 1 - 48) enthält einen "allgemeinsten" Teil, der für

alle Zweige der Versicherung gilt, soferne nicht anderes ange-

ordnet ist.

Der zweite, umfangreichste Abschnitt (Schadensversicherung) um-

fasst die §§ 49 - 158 p und ist in sieben Kapitel gegliedert.

Das erste Kapitel (Vorschriften für die gesamte Schadensver-

sicherung, §§ 49 - 80) stellt den allgemeinen Teil der Scha-

densversicherung dar, ist aber zum Teil nur auf die "Aktiven-

versicherung" anwendbar (dazu später). In den Kapiteln 2 bis 7

werden einzelne Sparten der Schadensversicherung geregelt, und

zwar die Feuerversicherung, die Hagelversicherung, die Tierver-

sicherung, die Transportversicherung, die Haftpflicht-

versicherung und die Rechtsschutzversicherung.

Der dritte Abschnitt regelt die Lebensversicherung (§§ 159 -

178), der vierte die Krankenversicherung (§§ 178 a - 178 n), der

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fünfte die Unfallversicherung (§§ 179 - 185). Der sechste Ab-

schnitt enthält Schlussvorschriften (§§ 186 - 192).

B) Aus dieser Gliederung des VersVG ergeben sich für den Geset-

zesanwender wesentliche Schlussfolgerungen.

Für die im VersVG nicht geregelten Zweige der Schadensver-

sicherung (also zB die Sturmversicherung, die Leitungswasser-

versicherung etc) sind nur die §§ 1 - 48 und die §§ 49 -80 an-

wendbar.

Für die im Gesetz geregelten Zweige der Personenversicherung

gelten die §§ 1 - 48 und entweder der dritte, der vierte oder

der fünfte Abschnitt. Für die nicht geregelten Zweige der Per-

sonenversicherung kommen dagegen nur die §§ 1 - 48 zur Anwen-

dung; handelt es sich jedoch um einen Personenversicherungs-

zweig, der als Schadensversicherung konstruiert ist (wie zB die

Begräbniskostenversicherung), dann können auch die §§ 49 -80 zur

Anwendung kommen.

§ 67 VersVG (Legalzession) gilt nur für die Schadensversiche-

rung. Daher muss sich der Versicherer in der Summenversicherung

allfällige Schadenersatzansprüche seines VN durch eine Zessions-

vereinbarung abtreten lassen, die aber auch schon in den AVB

enthalten sein kann.

§ 3 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB)

I. Begriff

AVB sind eine Sonderform der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

(AGB). Sie sind Vertragsmuster, Vertragsschablonen, die für sich

allein keine Normkraft haben, sondern durch Unterwerfung des VN

Inhalt des Versicherungsvertrages werden.

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II. Einbeziehung und Geltungskontrolle von AVB

A) Wie erwähnt, werden AVB durch Unterwerfung des VN Vertrags-

inhalt. An diese Unterwerfung werden von der Judikatur aller-

dings keine hohen Anforderungen gestellt. Sie nimmt nämlich eine

Unterwerfung unter AGB immer schon dann an, wenn der Ver-

tragspartner des Verwenders von AGB einen Hinweis darauf erhält,

dass sein Partner zu seinen AGB kontrahieren möchte, und ihm die

AGB zumindest zugänglich sind. Diese Voraussetzung ist bei AVB

natürlich stets gegeben. Die Aushändigung von AVB ist zivil-

rechtlich keine Voraussetzung für die Unterwerfung, kann bei

Nichterfüllung jedoch zu einem Rücktrittsrecht des VN führen

(vgl § 5 b Abs 2 und 3 VersVG). Eine weitere Rechtsfolge der

Nichtaushändigung der AVB enthält § 6 Abs 5 VersVG. Vgl. dazu

bei den Obliegenheiten.

B) Die Unterwerfung bezieht sich jedoch nur auf den üblichen

Vertragsinhalt. "Versteckte" (ungewöhnliche) Klauseln können im

Wege der Geltungskontrolle (§ 864 a ABGB) vom Richter aus dem

Vertrag eliminiert werden.

III. Inhaltskontrolle von AVB

AVB unterliegen nach der heute hM so wie alle anderen AGB auch

der Inhaltskontrolle durch das Gericht. Das Gericht kann also

Klauseln, durch die der VN "gröblich benachteiligt" wird (§ 879

Abs 3 ABGB), im Wege der Inhaltskontrolle eliminieren. Kontroll-

maßstab sind die "berechtigten Deckungserwartungen" des VN. Die

AVB können also nicht nur auf ihre Übereinstimmung mit den zwin-

genden Vorschriften des VersVG hin kontrolliert werden (zB "Ent-

tarnung" von Risikoausschlüssen, die in Wirklichkeit verhüllte

Obliegenheiten darstellen), sondern es ist auch das Kernstück

der AVB, nämlich die Risikoumschreibung, kontrollfähig.

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IV. Transparenzkontrolle von AVB

Im Verbrauchergeschäft ist zusätzlich auch noch eine „Transpa-

renzkontrolle“ möglich. Gemäß § 6 Abs 3 KSchG sind Vertragsbe-

stimmungen in AVB unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich

abgefasst sind. Durch das Transparenzgebot soll gewährleistet

werden, dass der VN verständlich vor Augen geführt bekommt, wel-

che Rechtsfolgen der Abschluss des Vertrages für ihn hat.

V. Entstehung von AVB

AVB werden in der Regel von den Sektionen des Verbandes der Ver-

sicherungsunternehmen Österreichs konzipiert ("Verbands-

bedingungen", "Musterbedingungen"). Dabei werden oft die Inte-

ressenvertretungen der VN eingebunden. Diese Musterbedingungen

müssen jedoch ausdrücklich als unverbindlich gekennzeichnet wer-

den, weil sonst gegen das Kartellverbot des EG-Vertrages versto-

ßen werden würde. Neben den Musterbedingungen gibt es die "An-

staltsbedingungen" der einzelnen Versicherungsunternehmungen.

Auf dieser Ebene herrscht der "Bedingungswettbewerb" (neben dem

Preiswettbewerb, also dem Wettbewerb über die unterschiedlich

hohe Prämie).

Die AVB waren bis zur VAG-Novelle 1994, die die 3. Richt-

liniengeneration umsetzte, als Teil des Geschäftsplanes von der

Aufsichtsbehörde zu genehmigen. Die AVB der Kfz-Haft-

pflichtversicherung (also die AKHB) wurden sogar durch Ver-

ordnung des Bundesministers für Finanzen erlassen. Nunmehr ist

das Erfordernis der Bedingungsgenehmigung durch den Beitritt Ös-

terreichs zur EU weggefallen. Die Aufsichtsbehörde kann nur noch

(im Nachhinein) eine unsystematische "Missbrauchskontrolle" vor-

nehmen. Lediglich die AVB der Pflichtversicherung (also zB auch

der KFZ-Haftpflichtversicherung) sind der Aufsichtsbehörde vor

ihrer Verwendung vorzulegen (vgl § 18 Abs 1 KHVG 1994). Auch das

ist wesentlich weniger als eine Genehmigungspflicht.

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VI. Arten von AVB

AVB sind dann gegeben, wenn ihre vielfache Verwendung angestrebt

wird; der Gegensatz zu den AVB ist also die Individual-

vereinbarung mit einem einzelnen VN.

Innerhalb der AVB unterscheidet man Allgemeine Versicherungs-

bedingungen, Besondere Versicherungsbedingungen, Zusatzbedin-

gungen, Ergänzende Bedingungen, Polizzenklauseln etc. Die ver-

schiedene Terminologie ändert nichts daran, dass es sich bei all

diesen Vertragsmustern um AVB handelt. Mit den Begriffen soll

lediglich eine "Stufenordnung" der AVB bezeichnet werden.

VII. Auslegung von AVB

AVB waren nach langjähriger Judikatur des OGH wie Gesetze (also

nach den §§ 6, 7 ABGB) auszulegen. Die "Unklarheitenregel" des §

915 ABGB, die nur bei der Vertragsinterpretation gesetzlich vor-

gesehen ist, wurde daher vom OGH auf die Auslegung von AVB nicht

angewendet.

Nun geht der OGH jedoch davon aus, dass AVB so auszulegen seien,

wie sie ein unbefangener durchschnittlicher VN verstehen muss.

Das bedeutet nichts anderes als die Anwendung der Regeln über

die Vertragsinterpretation, also auch des § 915 ABGB. Verwendet

der Versicherer also in seinen AVB unklare Formulierungen, so

muss er die für ihn ungünstigere Auslegung gegen sich gelten

lassen.

VII. Inhaltliche Gliederung von AVB

Alle AVB zerfallen in einen formellen und einen materiellen

Teil. Der formelle Teil ist bei den meisten AVB ziemlich iden-

tisch und enthält zB Regelungen über die Prämienzahlung, die

Kündigung, Abtretung von Versicherungsforderungen etc. Der mate-

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rielle Teil enthält dagegen die Risikoumschreibung der jeweili-

gen Versicherungssparte, die das Kernstück der AVB darstellt.

§ 4 Erscheinungsformen der Versicherung

I. Schadensversicherung und Summenversicherung

A) Nach der Art der Leistung des Versicherers unterscheidet man

die Schadens- und die Summenversicherung.

1. Bei der Summenversicherung hat der Versicherer im Versiche-

rungsfall unabhängig von einem nachzuweisenden Schaden eine Ent-

schädigung in einer im Voraus bestimmten Höhe zu erbringen. Die

Versicherung deckt hier einen "abstrakten Bedarf", das versiche-

rungsrechtliche Bereicherungsverbot (§ 55 VersVG) gilt hier

nicht.

Beispiele: Versicherungssumme im Erlebens- bzw Ablebensfall,

Krankenhaustagegeld etc.

2. Bei der Schadensversicherung ist die Versicherungsleistung

dagegen von der Höhe des eingetretenen Schadens abhängig. Die

Schadensversicherung deckt einen "konkreten Bedarf", sodass der

VN nicht nur den Versicherungsfall, sondern auch den dadurch be-

dingten wirtschaftlichen Schaden nachweisen muss. Nur für den

Bereich der Schadensversicherung gilt daher auch das versiche-

rungsrechtliche Bereicherungsverbot.

3. Innerhalb der Schadensversicherung unterscheidet man die Ak-

tivenversicherung und die Passivenversicherung.

a) Bei der Aktivenversicherung ("Interessenversicherung") ver-

sichert sich der VN gegen die Beeinträchtigung ganz gewisser

Teile seiner Aktiven. Versichert ist dabei nicht das Aktivum

(also der positive Vermögenswert) selbst, sondern die Wert-

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beziehung des VN zu diesem Aktivum, die man als "versichertes

Interesse" bezeichnet.

Der Wert des versicherten Interesses ist der Versicherungswert.

Der Schaden ist die Negation des Interesses (oder noch genauer:

der versicherte Schaden ist die Negation des versicherten Inte-

resses).

Innerhalb der Aktivenversicherung unterscheidet man:

aa) Sachversicherung (wie zB Feuerversicherung, Glasversicherung

etc)

bb) Forderungsversicherung (Schutz gegen Untergang oder Wertlos-

werden einer Forderung; zB Kreditversicherung)

cc) Versicherung sonstiger Rechte (zB Schutz des Hypothekar-

gläubigers gegen Ausfall bei Zwangsversteigerung)

dd) Gewinnversicherung (vgl § 53 VersVG; zB Betriebsunter-

brechungsversicherung)

b) Bei der Passivenversicherung versichert sich der VN gegen

die Entstehung von Passiven (also von Verbindlichkeiten).

In der Passivenversicherung gibt es kein versichertes Interesse,

da durch die Gefahrverwirklichung keine Wertbeziehung zu einem

bestimmten Gut beeinträchtigt wird. Demnach gibt es auch keinen

Versicherungswert. Die natürliche Begrenzung des Schadens durch

den Versicherungswert muss daher durch andere Mittel ersetzt

werden. Die Versicherungssumme hat daher in der Passivenversi-

cherung eine ganz andere Funktion als in der Aktivenversiche-

rung. In der Aktivenversicherung kann die Versicherungssumme und

der Versicherungswert differieren und zu den Erscheinungen der

Über- bzw Unterversicherung führen. In der Passivenversicherung

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kann es dagegen eine Über- bzw Unterversicherung im technischen

Sinn mangels Versicherungswerts nicht geben.

Innerhalb der Passivenversicherung unterscheidet man

aa) Versicherung gegen gesetzliche Schulden (Hauptbeispiel:

Haftpflichtversicherung)

bb) Versicherung gegen vertragliche Schulden (zB Rückversiche-

rung)

cc) Versicherung gegen notwendige Aufwendungen (zB Neuwertver-

sicherung bezüglich der Neuwertdifferenz)

dd) Versicherung gegen schädigende Verlustmöglichkeiten (Rechts-

schutzversicherung, Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtver-

sicherung)

II. Personenversicherung und Nichtpersonenversicherung

Die Einteilung nach der Art des Risikos, das der Versicherer

trägt, hat sich als wesentlich schwieriger herausgestellt als

jene nach der Art seiner Leistung. Es gibt die verschiedensten

Einteilungsvorschläge, herrschend ist die Einteilung in Perso-

nen- und Nichtpersonenversicherung.

A) Unter der Personenversicherung versteht man alle Versiche-

rungen, in denen sich das Versicherungsereignis an einem Men-

schen verwirklicht, sei es in körperlicher oder sonstiger perso-

nenrechtlicher Beziehung (Tod, Unfall, Krankheit, Erleben eines

Zeitpunkts, Verheiratung, Geburt eines Kindes etc). Die Perso-

nenversicherung kann sowohl als Summen- wie auch als Schadens-

versicherung konstruiert sein!

So ist zB die Lebensversicherung meist Summenversicherung; so-

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ferne sie nur die Begräbniskosten ersetzt, ist sie dagegen Scha-

densversicherung. Die Krankenversicherung ist als Krank-

heitskostenversicherung Schadensversicherung, als Tagegeld-

versicherung dagegen Summenversicherung.

In jenen Fällen, in welchen die Personenversicherung als Scha-

densversicherung ausgestattet ist, sind die Grundsätze der Scha-

densversicherung (also insbesondere die §§ 49 - 80) anzuwenden.

Das bedeutet vor allem, dass hier auch das Bereicherungsverbot

(§ 55) und die Legalzession (§ 67) zur Anwendung kommt.

B) Unter der "Nichtpersonenversicherung" werden alle anderen

Risken zusammengefasst, die nicht an einem Menschen verwirklicht

werden. Zum Teil wird dieser Bereich der Versicherung als "Ver-

mögensversicherung" bezeichnet.

Wesentlich ist, dass die Nichtpersonenversicherung nur als Scha-

densversicherung und niemals als Summenversicherung betrieben

werden darf.

§ 5 Die Personen des Versicherungsvertrages

I. Der Versicherer

Als Versicherer können nach österreichischem Aufsichtsrecht nur

Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Versiche-

rungsaktiengesellschaften auftreten. Zivilrechtlich wären aber

auch Versicherungsverträge mit anderen Gesellschaftsformen (OHG,

KG, Gesellschaft bürgerlichen Rechts etc), ja sogar auch mit

Einzelpersonen gültig.

II. Der Versicherungsnehmer

Der Versicherungsnehmer ist der Vertragspartner des Versiche-

rers. Er schließt mit diesem den Vertrag in eigenem Namen, und

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zwar in der Regel (in der Schadensversicherung) für sein eigenes

Interesse bzw (in der Personenversicherung) für seine eigene

Person, und soll auch selbst die Versicherungsleistung erhalten.

Diese Normalsituation bezeichnet man als "Eigenversicherung".

Der VN kann aber auch im eigenen Namen ein fremdes Interesse o-

der eine fremde Person versichern. Dann liegt "Fremdver-

sicherung" vor. Er kann weiters auch ausmachen, dass die Ver-

sicherungsleistung nicht ihm, sondern einem Dritten (zB einem

Bezugsberechtigten) zustehen soll. Bei all diesen Konstella-

tionen bleibt er jedoch alleiniger Vertragspartner des Versiche-

rers. Er hat daher insbesonders die Prämie zu zahlen, ist "Herr

des Vertrages" (kann also den Vertrag auflösen, ändern, kündigen

etc) und ist als solcher Ansprechpartner des Versicherers.

III. Drittbeteiligte

Der Dualismus von Versicherer und VN kann vertraglich oder ge-

setzlich gesprengt werden, sodass es zu einer sogenannten "Rol-

lenspaltung" kommt:

A) Vertragliche Rollenspaltung

1. Versicherung für fremde Rechnung (§§ 74 - 80 VersVG): Der VN

schließt den Vertrag zwar im eigenen Namen, aber in fremden In-

teresse. Zum VN tritt die Person des "Versicherten" hinzu.

2. Personenfremdversicherung: Der VN schließt den Vertrag im

eigenen Namen, aber für eine fremde Person.

a) Wenn dieser Person auch die Leistung zustehen soll, wird sie

auch hier als "Versicherter" bezeichnet.

b) Wenn die Leistung hingegen jemandem anderen (zB dem VN) zu-

stehen soll, spricht man von einer "Gefahrsperson", in deren

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Person das Risiko lediglich läuft.

3. In der Personenversicherung kann eine weitere Rollenspaltung

dadurch auftreten, dass der aus dem Vertrag Anspruchsberechtigte

(VN oder Versicherter) eine Person benennt, der die Versiche-

rungsleistung zustehen soll. Diese Person heisst "Begünstigter"

oder "Bezugsberechtigter".

B) Gesetzliche Rollenspaltung

Um für ihren wirkungsvollen Schutz zu sorgen, sind bestimmte

Personen von Gesetzes wegen in das Versicherungsverhältnis ein-

bezogen:

1. Der Erwerber der versicherten Sache (§§ 69 - 73 VersVG)

2. Der Realgläubiger in der Gebäudefeuerversicherung (§§ 100 ff

VersVG)

3. Der geschädigte Dritte in der Haftpflichtversicherung (§§

156, 157, 158 b ff VersVG)

C) Rollenspaltung nach bürgerlichem Recht

Neben diesen spezifischen Rollenspaltungen des Vertragsver-

sicherungsrechts sind natürlich auch solche nach bürgerlichem

Recht möglich. Die Versicherungsforderung ist eine Geldforderung

und kann daher - mit gewissen Einschränkungen - auch zur Siche-

rung von Gläubigern verwendet werden. Dritte können also auch im

Wege der Verpfändung, Abtretung und Vinkulierung von Versiche-

rungsforderungen in das Versicherungsverhältnis hineinspielen.

Die Fälle der (versicherungsrechtlichen) Rollenspaltung werden

jeweils im Zusammenhang mit der Besprechung jener Rechtsfiguren

erörtert werden, bei denen sie auftauchen (also zB bei der Ver-

äußerung der versicherten Sache, bei der Feuerversicherung etc).

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IV. Versicherungsvermittler

A) Unter dem Begriff der "Versicherungsvermittler" fasst man

die Versicherungsvertreter (Versicherungsagenten) und die Ver-

sicherungsmakler zusammen, denen gemeinsam ist, dass sie das Zu-

standekommen des Versicherungsvertrages lediglich vermitteln und

nicht als Stellvertreter einer der beiden Parteien auftreten.

Das VersVG hatte bislang unabhängig davon von „Versicherungs-

agenten“ gesprochen, ob es sich bei diesen um Angestellte des

Versicherers („Außendienst“) oder um selbstständige Unternehmer

handelt. Das VersVertrÄG 2018 führt nun im Zuge der Umsetzung

der IDD stattdessen den Überbegriff des „Versicherungsvertre-

ters“ ein, der den selbstständigen „Versicherungsagenten“ und

die Angestellten des Versicherers umfasst, welche die Tätigkeit

des Versicherungsvertriebs durchführen.

Im Rahmen der Vorlesung werden nur die Versicherungsvertreter

und auch diese nur hinsichtlich des Außenverhältnisses (also des

Verhältnisses zum VN) behandelt. Die Ausgestaltung des Innenver-

hältnisses zwischen dem Vertreter und dem Versicherer und die

Problematik des Versicherungsmaklers werden ausgeklammert.

B) Der Versicherungsvertreter im Besonderen

Das VersVG regelt den Versicherungsvertreter in den §§ 43 bis 48

und enthält nun auch in § 43 Abs 1 eine Legaldefinition. Dem

Prototyp des Versicherungsvertreters, der ständig damit betraut

ist, für den Versicherer Verträge zu vermitteln oder zu schlie-

ßen, wird derjenige gleichgestellt, der mit nach den Umständen

anzunehmender Billigung des Versicherers als Versicherungsver-

treter auftritt ("Anscheinsagent"). Die bisherige Regelung des

„Gelegenheitsagenten“ wurde nach den EB zum VersVertrÄG 2018 als

verzichtbar angesehen und ist entfallen.

Die §§ 43 Abs 2 bis 48 betreffen sämtliche das Außenverhältnis

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und sind auf alle Versicherungsvertreter anwendbar, die unter §

43 Abs 1 fallen.

1. Die gesetzliche Vollmacht des Versicherungsvertreters

Das VersVG unterscheidet zwischen Vermittlungsvertreter und Ab-

schlussvertreter. Abschlussvertreter haben Abschlussvollmacht

(§ 45 Abs 3 VersVG), kommen jedoch in der Praxis kaum vor. Auch

die bloßen Vermittlungsvertreter haben nach § 45 Abs 1 Z 1 bis 4

VersVG jedoch vier "Minivollmachten", und zwar zwei passive und

zwei aktive Vollmachten (vgl dazu den Gesetzestext).

Diese Vollmachten sind gemäß § 47 VersVG beschränkbar. Bei Ver-

brauchergeschäften ist überdies § 10 KSchG zu beachten.

Vgl auch § 45 Abs 2 VersVG (Umsetzung der Versicherungsvermitt-

lungs-Richtlinie).

2. Anscheinsvollmacht des Vertreters

§ 1029 ABGB sieht vor, dass ein Geschäftsherr, der keine Voll-

macht erteilt hat, sich dennoch wie ein Vollmachtgeber behandeln

lassen muss, wenn er den Rechtsschein erzeugte, Vollmacht gege-

ben zu haben ("Anscheinsvollmacht"). Diese Anscheinsvollmacht

bewirkt, dass sich der Geschäftsherr gegenüber gutgläubigen

Dritten nicht darauf berufen kann, keine Vollmacht gegeben zu

haben. Die Gutgläubigkeit des Dritten wird allerdings bereits

durch leichte Fahrlässigkeit beseitigt.

Die Anscheinsvollmacht kann gerade im Privatversicherungsrecht

besondere Bedeutung haben, weil Versicherer ihre Vertreter oft

mit recht eindrucksvollen Titeln ("Direktor" etc) bedenken, die

im VN ohne weiteres den Eindruck erwecken können, dass der sol-

cherart Titulierte gewisse Vollmachten haben wird. Ebenso kann

es vorkommen, dass Zusagen von Vertretern immer wieder eingehal-

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ten werden, obwohl diese Zusagen vollmachtsrechtlich an sich

nicht gedeckt waren. In diesen Fällen würde eine rechtsgeschäft-

liche Verpflichtung des Versicherers entstehen, der (an sich

vollmachtslose) Scheinvertreter handelt wirksam für den Versi-

cherer.

3. Der Vetreter als Erfüllungsgehilfe des Versicherers

Der Versicherer schließt mit dem VN einen Vertrag, der neben der

Hauptleistungspflicht (Gefahrtragung) auch Nebenleistungs-

pflichten (Schutzpflichten, Sorgfaltspflichten) begründet. Zur

Erfüllung dieser Nebenpflichten, die während der Dauer des Ver-

sicherungsverhältnisses, aber auch vor seinem Beginn und nach

seiner Beendigung bestehen, bedient er sich seiner Gehilfen, für

deren Verschulden er wie für sein eigenes haftet (§ 1313 a

ABGB).

Das gilt natürlich auch für den Vertreter. Lässt sich dieser al-

so zB vor Vertragsabschluss einen Beratungsfehler zuschulden

kommen (zB über den Beginn der Deckung, über den Umfang des ge-

deckten Risikos etc), liefert er den Antrag des VN nicht recht-

zeitig weiter oder verliert ihn, versäumt er es, den VN darauf

aufmerksam zu machen, dass der Wechsel des Risikoorts auf die

Deckung Einfluss hat etc, dann handelt er schuldhaft und der

Versicherer hat für dieses Verschulden im Wege des Schadenersat-

zes einzustehen.

Der Versicherer haftet auf das sogenannte negative Vertrags-

interesse. Das bedeutet, dass er den VN so zu stellen hat, wie

dieser stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Vertrages

vertraut hätte. Im Ergebnis bewirkt das, dass der Versicherer im

Wege des Schadenersatzes das zu ersetzen hat, was er vertraglich

zu decken gehabt hätte, wenn eine entsprechende Deckung zustande

gekommen wäre, freilich reduziert um die Prämie, die der VN für

die Deckung zu zahlen gehabt hätte. Der Versicherer haftet je-

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doch nicht, wenn das Verschulden des Vertreters keine Konsequen-

zen hatte, weil die vom VN angestrebte Deckung auch bei pflicht-

gemäßem Verhalten des Vertreters nicht erreicht werden hätte

können.

Zur Haftung des Versicherers für den "Pseudomakler" vgl nun § 44

Abs 1 VersVG.

4. Der Vertreter als Besorgungsgehilfe des Versicherers

Selbstverständlich haftet der Versicherer für seine Vertreter

auch gemäß § 1315 ABGB, und zwar für den Fall, dass sie untüch-

tig oder wissentlich gefährlich sind. Diese Haftung spielt je-

doch in der Praxis keine besondere Rolle.

5. Kenntniszurechnung des Vertreters

In vielen Tatbeständen des VersVG (zB bei der vorvertraglichen

Anzeigepflicht oder der Gefahrerhöhung) spielt die Kenntnis des

Versicherers eine Rolle: Er kann sich auf ein Fehlverhalten des

VN nicht berufen, wenn er von den maßgeblichen Umständen oh-

nedies auf anderem Wege Kenntnis erlangt hat. Es ist daher wich-

tig, wessen Kenntnis sich der Versicherer zurechnen lassen muss.

In dieser Hinsicht bestimmte § 44 VersVG ursprünglich lediglich

negativ, dass sich der Versicherer die Kenntnis von bloßen Ver-

mittlungsagenten nicht zurechnen lassen muss. Durch die VersVG-

Novelle 1994 wurde diese Bestimmung durch den Satz ergänzt, dass

dies nicht für Erklärungen des VN gilt, zu deren Entgegennahme

für den Versicherer er gemäß § 43 bevollmächtigt ist. Die beruf-

lich erlangte Kenntnis des bloßen Vermittlungsagenten wurde dem

Versicherer also zugerechnet, wenn dem Agenten die Vollmachten

nach § 43 VersVG nicht entzogen worden sind.

Das VersVertrÄG 2018 hat diese Regelung nun ersatzlos gestri-

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chen, sodass es zur Zurechnung der Kenntnis des Versicherungs-

vertreters auch dann kommt, wenn es sich um privat erlangtes

Wissen handelt, sofern ihm dessen Bedeutung für den Versicherer

bewusst ist.

Das wird auch bei der Kenntniszurechnung des Abschlussagenten

Bedeutung haben, bei dem bislang nach hM dem Versicherer nur die

berufliche Kenntnis zugerechnet wurde. Im Übrigen muss sich der

Versicherer auch die Kenntnis von solchen Personen zurechnen

lassen, die spezifisch zur Ermittlung des Risikos eingesetzt

werden.

Vertrauensärzte führen dann zur Kenntniszurechnung, wenn sie zur

Sphäre des Versicherers gehören, also mit diesem in einem stän-

digen Vertragsverhältnis stehen oder ihre Untersuchungen sogar

beim Versicherer durchführen. Ist der Vertrauensarzt dagegen der

Hausarzt des VN, dann kommt es zu keiner Kenntniszurechnung.

6. Irrtums-(List-)Anfechtung durch den VN

Irreführende Angaben des Vertreters sind dem Versicherer zuzu-

rechnen. Sie führen nicht nur zur Möglichkeit von Schadener-

satzansprüchen des VN, sondern berechtigen ihn auch zur An-

fechtung des Versicherungsvertrages gemäß den §§ 870 ff ABGB.

Der Versicherer kann sich nicht darauf berufen, dass der Vertre-

ter "Dritter" im Sinne des § 875 ABGB sei.

7. Verschuldensbeeinflussung durch den Vertreter

Vermittlungsvertreter sind dem VN oft bei der Ausfüllung des An-

tragsformulars behilflich. Bisweilen füllen sie den Antrag

selbst aus oder sie geben Auskunft über die Notwendigkeit, die

eine oder die andere Frage zu beantworten.

Wenn der VN das vom Vertreter ausgefüllte Antragsformular unge-

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lesen unterschreibt, so bedeutet das nach dem OGH bei so-

genannten „Individualtatsachen“ (also Tatsachen, die nur der VN

aus eigener Kenntnis beantworten kann) jedenfalls ein Ver-

schulden des VN. Bei „Wahrnehmungstatsachen“ kann er dagegen da-

rauf vertrauen, dass der Vertreter die Angaben richtig machen

werde.

Füllt der VN den Antrag selbst aus und verlässt er sich dabei

auf Auskünfte und Beratungen des Vertreters, dann kann zwar eine

Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vorliegen, diese

Verletzung jedoch durch die Aussagen des Vertreters entschuldigt

sein. Ein blindes Vertrauen auf die Erklärungen des Vertreters

ist aber jedenfalls nicht zulässig, sondern es kommt schon auf

die Plausibilität der Erklärungen an.

§ 6 Abschluss, Formen und Änderung des Versicherungsvertrages

I. Abschluss des Versicherungsvertrages

A) Für den Abschluss des Versicherungsvertrages gelten prinzi-

piell die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, also die §§ 861

ff ABGB. Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages ist

die Willensübereinstimmung der beiden Vertragspartner. Die Ver-

tragsfreiheit ist jedoch eingeschränkt, da es Fälle gibt, in de-

nen der VN zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet ist

(obligatorische Versicherung). Der Versicherer wird hingegen in

keinem Fall von einem Kontrahierungszwang getroffen. Lediglich

in der Kfz-Haftpflichtversicherung wird dafür Sorge getragen,

dass der VN einen Versicherer zugewiesen bekommt (§§ 25 KHVG

1994).

Die allgemeinen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines

gültigen Vertrages werden hier nicht wiedergegeben. Hervorzuhe-

ben ist lediglich, dass der Versicherungsvertrag grundsätzlich

auch formlos geschlossen werden kann. Zumeist wird jedoch eine

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Polizze ausgestellt (vgl § 7).

Für die Kommunikation zwischen Versicherer und VN sieht das

VersVG jedoch vielfach Formvorschriften vor, und zwar die

Schriftform iSd § 886 ABGB (die Unterschriftlichkeit ver-

langt)und die sogenannte „geschriebene Form“, die durch das

VersRÄG 2012 eingeführt wurde (§ 1b VersVG). Dieses Gesetz hat

auch neuartige Rahmenbedingungen für die elektronische Kommuni-

kation zwischen Versicherer und VN geschaffen (§ 5a VersVG).

B) 1. a) In der Praxis wird der Vertragsabschluss in den Massen-

branchen dadurch eingeleitet, dass der VN ein Antragsformular

unterfertigt. Wenn der Vermittlungsagent die Vollmacht nach § 43

Abs 2 Z 1 VersVG hat, tritt Bindungswirkung ab dem Zeitpunkt der

Entgegennahme durch den Agenten ein. Ist dem Agenten diese Voll-

macht jedoch wirksam genommen (§ 47 VersVG, § 10 KSchG!), dann

tritt Bindungswirkung erst mit dem Einlangen des Antrages beim

Versicherer ein. Die Antragsformulare sahen in der Vergangenheit

oft vor, dass Anträge "an die Direktion" zu schicken sind. Das

hat der OGH als gröblich benachteiligend (§ 879 Abs 3 ABGB) an-

gesehen.

b) Dem VN ist bei sonstiger Rücktrittsmöglichkeit eine Kopie

seines Antrages auszuhändigen, wenn er dem Versicherer oder des-

sen Beauftragten seine Vertragserklärung persönlich abgibt (§ 5

b Abs 1).

c) Überdies müssen dem VN vor Abgabe seiner Vertragserklärung

die AVB einschließlich der Bestimmungen über die Festsetzung der

Prämie ausgehändigt und die Informationspflichten nach den

§§ 130, 135c und 135e VAG 2016 erfüllt werden. Werden diese Ver-

pflichtungen nicht erfüllt, so hat der VN ein Rücktrittsrecht

gemäß § 5 b Abs 2 VersVG, das allerdings mit 01.01.2019 ent-

fällt. Gesetzliche Hinweispflichten enthalten auch die §§ 1a Abs

2 VersVG („negativer Deckungshinweis“), 12 Abs 3 VersVG („Klags-

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fristsetzung“) und 39 Abs 2 VersVG („qualifizierte Mahnung“).

d) Für die Bindungsfrist gilt § 1 a Abs 1 VersVG. Danach ist der

VN, wenn er seinen Antrag auf einem vom Versicherer verwendeten

Formblatt stellt, maximal 6 Wochen gebunden. Längere Bindungs-

fristen müssen im Einzelnen ausgehandelt werden. Erfolgt die An-

tragstellung nicht auf einem Formblatt des Versicherers, dann

gelten die §§ 862 ABGB, 6 Abs 1 Z 1 KSchG. Wenn der Antragstel-

ler daher ein Verbraucher ist, darf keine unangemessen lange

Bindungsfrist vereinbart werden.

e) Den Versicherer trifft im Allgemeinen weder eine Äußerungs-

pflicht noch eine Pflicht zur besonders schnellen Behandlung des

Antrags. § 2 Abs 5 MBKV sieht jedoch in der Krankenversicherung

eine Äußerungspflicht des Versicherers vor. Eine Pflicht zur be-

schleunigten Behandlung des Antrages kann sich daraus ergeben,

dass der VN erkennbar (oder sogar ausdrücklich) auf eine mög-

lichst schnelle Antwort drängt.

f) Der Vertrag kommt mit dem Zugang der Annahmeerklärung in der

Sphäre des VN zustande. Üblicherweise wird diese Annahme-

erklärung durch Zusendung der Polizze erklärt; eine eigene An-

nahmeerklärung des Versicherers ist unüblich.

g) Zu beachten sind die Rücktrittsrechte des VN, die sich zum

Teil aus dem allgemeinen Zivilrecht (zB § 11 FAGG für Fern- und

Auswärtsgeschäfte), zum Teil aus dem Versicherungsvertragsrecht

ergeben. Das VersVertrÄG 2018 hat nun in § 5c VersVG ein ein-

heitliches Rücktrittsrecht eingeführt, das die bisherigen Rück-

trittsrechte gemäß §§ 5b, 5c und 165a ersetzt. Durch dieses

Rücktrittsrecht sollen auch die Rücktrittsrechte gem §§ 3 und 3a

KSchG ersetzt werden.

2. Natürlich kann der Vertragsanbahnungsmechanismus auch anders

laufen. Wenn der VN Offerte von mehreren Versicherern einholt,

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dann tritt der Versicherer als Antragsteller auf, ist ab Zugang

seines Offerts an den VN gebunden, und der Vertrag kommt mit dem

Zugang der Annahmeerklärung des VN beim Versicherer zustande.

Die Zusendung der Polizze durch den Versicherer hat hier nicht

den Charakter der Annahme, sondern dient lediglich der Dokumen-

tation des Vertragsinhalts (vgl aber sogleich die Ausführungen

zur Billigungsklausel).

C) Billigungsklausel (§ 5 VersVG)

Nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts würde Dis-

sens vorliegen, wenn die Annahmeerklärung des Versicherers (in

den Massebranchen) dem Antrag des VN nicht entspricht. Wäre so-

gar schon ein Vertrag zustande gekommen und wiche die Polizze

vom Vereinbarten ab, dann wäre diese Abweichung ohne jede recht-

liche Bedeutung, da ein Abgehen vom Vertrag nur einvernehmlich

möglich ist.

Das VersVG sieht in dieser Hinsicht bedeutsame Besonderheiten

vor. Der Versicherer kann in der Polizze vom Antrag, ja sogar

von den getroffenen Vereinbarungen abweichen und den Polizzen-

inhalt zum Vertragsinhalt werden lassen, wenn er gewisse Hin-

weispflichten erfüllt: Er muss den VN auf die Abweichungen im

einzelnen aufmerksam machen und vor allem darauf hinweisen, dass

der VN nun binnen einem Monat schriftlich widersprechen muss,

wenn er nicht so behandelt werden möchte, als hätte er die Ab-

weichungen genehmigt.

§ 5 VersVG ist zur Vereinfachung des Geschäftsablaufes geschaf-

fen worden. Aufgrund seiner Gefährlichkeit für den VN sind an

die Hinweispflichten des Versicherers jedoch strenge Anforderun-

gen zu stellen.

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II. Besondere Formen des Versicherungsvertrages

A) Vorläufige Deckungszusage

1. Unter einer vorläufigen Deckungszusage versteht man einen ei-

genständigen Versicherungsvertrag, der provisorisch Ver-

sicherungsschutz vor endgültiger Risikoprüfung oder vor völliger

Einigung der Parteien (zB über die Prämienhöhe) schaffen soll.

Er ist an sich dazu bestimmt, in den endgültigen Versicherungs-

vertrag überzuleiten, kann aber auch bei Scheitern der Verhand-

lungen als selbständiger Versicherungsvertrag bestehen bleiben.

Die Terminologie ist uneinheitlich. Bisweilen wird auch von

"vorläufigem Sofortschutz" gesprochen (vgl § 2 Abs 1 ALB), das

KHVG 1994 verwendet den Begriff der "Versicherungsbestätigung"

(§ 20 Abs 1 KHVG 1994). Bei der "Versicherungsbestätigung" han-

delt es sich jedoch in Wahrheit nicht um eine vorläufige De-

ckung, sondern um eine "deckende Stundung", da über die Einzel-

heiten des endgültigen Vertrages hier keinerlei Ungewissheiten

mehr bestehen.

2. Vorläufige Deckungszusagen müssen als selbständige Versiche-

rungsverträge die Inhaltserfordernisse erfüllen, die an alle

Verträge gestellt werden. Eine Deckungszusage "nach Maßgabe der

Einigung über Risiko und Prämie" wäre unwirksam, da sie die Min-

desterfordernisse für Verträge nicht erfüllt. Es ist daher da-

rauf zu achten, dass die Parteien den Inhalt der vorläufigen De-

ckungszusage möglichst konkret bestimmen, insbesondere hinsicht-

lich des gedeckten Risikos, der Prämie und auch der Laufzeit der

vorläufigen Deckungszusage.

3. Vorläufige Deckungszusagen dürfen nicht von jedem Vermitt-

lungsagenten erteilt werden, sondern es bedarf für ihre Zusage

einer entsprechenden Vollmacht des Agenten.

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4. Vorläufige Deckungszusagen sind, wie schon erwähnt, dazu be-

stimmt, im endgültigen Versicherungsvertrag aufzugehen. Die De-

ckung aus der VDZ beginnt mit ihrer Erteilung und endet entweder

mit dem Erreichen des vereinbarten Termins, mit einer Kündigung

der VDZ bei solchen Zusagen, die auf unbestimmte Zeit erteilt

wurden, oder wenn sich die Verhandlungen über den Abschluss des

späteren Vertrags endgültig zerschlagen haben. Bei Zustandekom-

men des endgültigen Vertrages erlischt die VDZ nicht bereits mit

dessen Abschluss, sondern erst mit dem materiellen Beginn des

endgültigen Vertrages, damit eine zeitliche Lücke im Versiche-

rungsschutz vermieden wird.

5. Für die Deckung aus der vorläufigen Deckungszusage wird im

Allgemeinen keine besondere Prämie vorgeschrieben, sondern diese

wird der ersten Prämie für den späteren Versicherungsvertrag zu-

geschlagen. Bei Scheitern der Vertragsverhandlungen steht dem

Versicherer eine anteilige Prämie zu, wobei strittig ist, ob es

sich dabei um die Prämie nach dem Kurztarif oder um eine pro-

rata-Prämie handelt.

Die Deckung des Versicherers während der Dauer der VDZ ist je-

denfalls gegeben und davon unabhängig, ob die später geschuldete

Erstprämie rechtzeitig oder verspätet gezahlt wird. Lediglich

für die Deckung aus dem endgültigen Versicherungsvertrag ist

diese Frage von Bedeutung.

6. Die Notwendigkeit eines "negativen Deckungshinweises" wurde

bereits oben erwähnt (vgl § 1 a Abs 2 VersVG). Durch dieses Er-

fordernis, das durch die VersVG-Novelle 1994 eingeführt wurde,

soll der VN darüber aufgeklärt werden, dass er nicht bereits mit

der Antragstellung Deckung geniesst. Verletzt der Versicherer

seine Informationspflicht, so kommt es zu einer "gesetzlichen

vorläufigen Deckung".

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B) Laufende Versicherung

1. Gemäß § 187 Abs 2 VersVG liegt eine laufende Versicherung

dann vor, wenn eine Schadensversicherung in der Weise genommen

wird, dass die versicherten Interessen beim Abschluss des Ver-

trages nur der Gattung nach bezeichnet und erst nach ihrer Ent-

stehung dem Versicherer einzeln aufgegeben werden.

Die laufende Versicherung kommt vor allem in der Gütertrans-

portversicherung und der Rückversicherung vor, doch werden auch

zB Feuerversicherungen von Lagerhaltern und Einheitsver-

sicherungen in der Form von laufenden Versicherungen genommen.

2. Die Deklaration seitens des VN, die das VersVG als "Aufgabe"

des Risikos bezeichnet, kann obligatorisch (also verbindlich)

oder fakultativ sein. Im allgemeinen liegt eine beiderseits ob-

ligatorische laufende Versicherung vor, dh dass sowohl der Ver-

sicherungsnehmer das neue Risiko jeweils aufgeben und der Versi-

cherer dieses Risiko auch übernehmen muss. Es kommen aber auch

beiderseits fakultative laufende Versicherungen oder Versiche-

rungen, die auf einer Seite obligatorisch und auf der anderen

Seite fakultativ sind, vor.

Der Charakter der laufenden Versicherung kommt auch in der Po-

lizzierung zum Ausdruck. Der "laufenden Polizze" als Urkunde

über den Gesamtvertrag stehen "Einzelpolizzen" (Zertifikate)

über die einzelnen Deklarationen zur Seite.

C) Gruppenversicherungen (Kollektivversicherungen)

Gruppenversicherungen kommen insbesondere in der Unfallver-

sicherung (vgl die Besonderen Bedingungen für die Kollektiv-

Unfallversicherung 1988) und der Krankenversicherung (vgl § 178m

VersVG und die AVBGV 1986) vor, sind jedoch auch in der Haft-

pflicht- und Rechtsschutzversicherung anzutreffen.

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Bei ihnen liegt ein einheitlicher Versicherungsvertrag vor,

durch den ein Versicherungsnehmer eine Gruppe von Versicherten

versichert. Ausgehend von der Annahme, dass innerhalb einer grö-

ßeren Gruppe ein besserer Risikoausgleich stattfinden wird und

dass es für den Versicherer zur Senkung von Verwaltungskosten

kommt, werden in der Gruppenversicherung günstigere Prämien ge-

währt. Ferner wird auch auf eine Gesundheitsprüfung der einzel-

nen Versicherten verzichtet.

Die Ausgestaltung der konkreten Rechtsstellung der Versicherten

erfolgt im Gruppenvertrag.

D) Kombinierte Versicherung und Bündelversicherung

1. Von einer kombinierten Versicherung spricht man dann, wenn

Risikoelemente mehrerer Sparten in einem einzigen Versiche-

rungsvertrag zusammengefasst sind. Musterbeispiel dafür ist die

Haushaltsversicherung, die Elemente verschiedener Sach-

versicherungen und der Privathaftpflichtversicherung enthält.

Die Kombination dieser Risikoelemente ändert nichts daran, dass

es sich insgesamt um einen einheitlichen Versicherungsvertrag

handelt, der daher auch ein ungeteiltes rechtliches Schicksal

erleidet. Eine teilweise Kündigung der einzelnen Risikoelemente

ist daher nicht möglich.

2. Anders ist die Situation bei den Bündelversicherungen. Dabei

werden mehrere Versicherungen derart gebündelt, dass in einem

Antragsformular zwei oder mehrere Anträge enthalten sind, über

die meistens auch nur eine einzige Polizze ausgestellt wird.

Die Bündelung berührt aber die Selbständigkeit der einzelnen

Versicherungsverträge nicht. Sie können daher auch ein von-

einander unabhängiges rechtliches Schicksal erleiden, also zB

isoliert voneinander gekündigt werden.

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Durch AVB oder auch durch Einzelvereinbarung kann allerdings

vereinbart werden, dass die "gebündelten" Verträge in einer

Wechselbeziehung stehen, etwa dahingehend, dass die Kündigung

des einen Vertrages auch zur Kündbarkeit des anderen Vertrages

führt. Diese Rechtsfolge müsste allerdings konkret vereinbart

werden und ergibt sich nicht schon aus der Tatsache der Bünde-

lung allein. Es ist also zB unrichtig, aus der Möglichkeit der

leichten Kündbarkeit von Kraftfahrzeughaft-

pflichtversicherungsverträgen gemäß § 14 KHVG 1994 zu schließen,

dass ein VN bei Lösung seiner Kfz-Haftpflichtversicherung auch

seine sonstigen Kfz-Verträge (zB Kasko oder Rechtsschutz) lösen

könnte.

III) Nachträgliche Änderungen des Versicherungsvertrages

1. Versicherungsverträge unterliegen wie alle anderen Verträge

auch dem Prinzip der Vertragstreue. Das bedeutet, dass nach-

trägliche Änderungen des Versicherungsvertrages grundsätzlich

nur einvernehmlich erfolgen können. Dieses Prinzip gilt auch für

Allgemeine Versicherungsbedingungen. Werden also neue Versiche-

rungsbedingungen auf den Markt gebracht, so unterliegen die

"Altverträge" immer noch denjenigen AVB, die ihnen zugrunde ge-

legt worden sind. Eine Einbeziehung der neuen AVB in die "Alt-

verträge" bedarf der Zustimmung des VN, der sich durch eine Ge-

genüberstellung der alten und der neuen Bedingungen ausrechnen

kann, welche Bedingungen für ihn die günstigeren sind.

2. VN können sich allerdings bereits im Vorwege zukünftigen Än-

derungen vertraglich unterwerfen ("Änderungsklauseln"). Eine

solche Änderungsklausel enthält zB § 18 MBKV 1984. Die Privile-

gierung der Kfz-Haftpflichtversicherung, bei der Änderungen von

AVB und Tarifen stets auch für Altverträge wirksam waren (vgl §

18 des KHVG 1987), ist entfallen, sodass auch die Kfz-

Haftpflichtversicherer entsprechende Änderungsklauseln vereinba-

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ren müssen. Vgl die Artt 12 ff der Musterbedingungen für die

Kfz-Haftpflichtversicherung 2012/1.

§ 7 Der Versicherungsschein (Polizze)

I. Wesen des Versicherungsscheines

Versicherungsverträge sind nicht formbedürftig, sie können daher

auch mündlich abgeschlossen werden (§ 883 ABGB). Selbst für die-

sen Fall ist es jedoch üblich, den Inhalt des Vertrages zu ver-

briefen. Diesem Zweck dient der Versicherungsschein (§§ 3 bis 5

VersVG).

Im Allgemeinen hat die Polizze aber auch für das Zustandekommen

des Vertrages eine wesentliche Funktion. In den Massenbranchen

nimmt der Versicherer den Antrag des VN durch Zusendung der Po-

lizze an. Hat der Versicherer die Annahmefrist versäumt, dann

liegt in der zugesendeten Polizze ein Antrag des Versicherers,

den der VN (im Allgemeinen durch Zahlung der Prämie) seinerseits

annimmt.

Die Aushändigung der Polizze ist keine Gültigkeitsvoraussetzung

für das Zustandekommen des Vertrages. Die Ausstellung der Poliz-

ze kann vertraglich auch abbedungen werden (§§ 3 Abs 1, 35

VersVG).

II. Die Rechtsnatur des Versicherungsscheines

A) Beweisurkunde

1. Vermutung der Richtigkeit: Es wird vermutet, dass der Ver-

sicherungsvertrag so zustande gekommen ist, wie es der Polizze

entspricht.

2. Vermutung der Vollständigkeit: Es wird vermutet, dass keine

weiteren als die beurkundeten Abreden getroffen worden sind.

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B) Schuldschein

Die Polizze kann auch (qualifizierter) Schuldschein sein, wenn

der Versicherer ihre Vorlage bzw - nach dem Ende der Versiche-

rung - deren Rückgabe verlangen muss (§ 4 Abs 2 Satz 1 VersVG);

vgl § 11 Abs 1 ALB. Die meisten Polizzen sind jedoch nur einfa-

che Schuldscheine.

C) Ausweispapier (Legitimationspapier, hinkendes Inhaberpapier)

Insbesondere Lebensversicherungspolizzen enthalten oft eine "In-

haberklausel" (vgl § 13 ALB: "Lautet die Versicherungsurkunde

auf den Überbringer, so kann der Versicherer den Inhaber der

Versicherungsurkunde als berechtigt ansehen, über alle Ansprüche

aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere die Leis-

tung des Versicherers in Empfang zu nehmen; er kann aber den

Nachweis der Verfügungs- oder Empfangsberechtigung verlangen").

Bei solchen Legitimationspapieren kann der Versicherer an den

Inhaber auszahlen, muss es jedoch nicht, sondern kann den Nach-

weis der Berechtigung verlangen. Tut er das nicht und zahlt er

(grob?) fahrlässig an den Nichtberechtigten aus, dann trägt er

die Gefahr und muss nochmals (an den Berechtigten) zahlen (§ 4

Abs 1 VersVG).

D) Echtes Wertpapier

Inhaberpapiere sind im Bereich der Binnenversicherung (also im

Anwendungsbereich des VersVG) durch § 4 Abs 1 VersVG verboten.

Orderpapiere, die durch Indossament - gleich einem Wechsel -

übertragen werden können, kommen in der Transportversicherung

vor (§ 363 UGB).

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§ 8 Dauer der Versicherung

I. Zeitversicherung und dauernde Versicherung

A) Zeitversicherung

1. Versicherungsverträge können auf bestimmte Zeit abgeschlos-

sen werden ("Zeitversicherung"). Die Zeitbestimmung kann durch

kalendermäßige Fixierung (zB 10-Jahresverträge) oder auf andere

Weise erfolgen. So gibt es in der Transportversicherung zB die

"Reiseversicherung" (§§ 134 ff VersVG), durch die ein Gut für

den Zeitraum des gesamten Transportes versichert ist.

2. Bei Zeitversicherungen wird meist auch die Stunde des mate-

riellen Beginns vereinbart. Bei Fehlen einer Vereinbarung greift

§ 7 VersVG ein, der auf die Mittagsstunde abstellt.

3. Verlängerungsklausel

§ 8 Abs 1 VersVG sieht die Möglichkeit einer Verlängerungs-

klausel in Zeitversicherungsverträgen vor, die aber nur inner-

halb eines bestimmten Rahmens zulässig ist (vgl den Gesetzes-

text; ähnlich auch § 14 Abs 2 KHVG 1994). Die AVB machen in der

Regel von dieser Möglichkeit Gebrauch (vgl zB Art 17 ABS).

Bei Verbraucherverträgen ist jedoch § 6 Abs 1 Z 2 KSchG zu be-

achten.

Durch eine Verlängerungsklausel wird ein Zeitversicherungsver-

trag nicht zu einer dauernden Versicherung im Sinn des § 8 Abs 2

VersVG (vgl unten B).

4. § 14 KHVG 1994

Gemäß § 14 KHVG dürfen in der Kfz-Haftpflichtversicherung Versi-

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cherungsverträge nicht mit einer längeren als einer ein-jährigen

Laufzeit abgeschlossen werden.

5. § 8 Abs 3 VersVG

Die VersVG-Novelle 1994 hat dem § 8 einen neuen Abs 3 angefügt,

der nur für das Verbrauchergeschäft gilt. Nach dieser Bestimmung

können Versicherungsverträge, die ein Verbrauchergeschäft dar-

stellen, jedenfalls nach dem Ablauf von 3 Jahren gekündigt wer-

den.

B) Dauernde Versicherung

Versicherungsverträge können natürlich auch auf unbestimmte Zeit

abgeschlossen werden. § 8 Abs 2 VersVG bezeichnet dies als "dau-

ernde Versicherung". Diese Versicherungsform trägt ihr Ende

nicht in sich, sondern muss durch Kündigung beendet werden. Da-

für sieht § 8 Abs 2 VersVG vor, dass beide Vertragspartner je-

derzeit, aber nur für den Schluss der laufenden Versicherungspe-

riode kündigen können. Auf das Kündigungsrecht können die beiden

Parteien nur bis maximal auf 2 Jahre verzichten.

II. Die drei Arten der Versicherungsdauer

A) Formelle, materielle und technische Versicherungsdauer

Formelle Versicherungsdauer ist der Zeitraum zwischen Abschluss

des Vertrages und Beendigung des Vertrages (durch Zeitablauf,

Kündigung etc) bzw Erfüllung der Verbindlichkeiten aus dem Ver-

trag (Abwicklung des Versicherungsfalles).

Materielle Versicherungsdauer ist der Zeitraum der Deckung aus

dem Vertrag.

Technische Versicherungsdauer ist der prämienbelastete Zeitraum.

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B) Formelle, materielle und technische Versicherungsdauer kön-

nen auseinanderfallen:

1. Formelle und technische Versicherungsdauer fallen zB bei der

Rückdatierung auseinander. Bei der Rückdatierung wird der "Ver-

sicherungsbeginn" aus Gründen der leichteren Berechenbarkeit auf

einen Zeitpunkt vorverlegt, der vor dem Abschluss des Vertrages

liegt; der VN zahlt somit Prämie für einen Zeitraum, in dem er

noch keine Deckung genießt. Ein weiteres Beispiel für das Ausei-

nanderklaffen dieser beiden Zeiträume stellte früher der soge-

nannte Grundsatz der "Unteilbarkeit" der Prämie dar, der in ei-

ner Reihe von Fällen dazu führte, dass der VN noch die Jahres-

prämie zahlen musste, obwohl der Vertrag bereits (zB durch Rück-

tritt, Anfechtung, Kündigung etc) erloschen war. Dieser Grund-

satz der Unteilbarkeit der Prämie ist nun jedoch durch die

VersVG-Novelle 1994 zur Gänze beseitigt worden (vgl nun § 40 neu

VersVG).

2. Ein Auseinanderfallen von formeller und materieller Ver-

sicherungsdauer liegt zB bei der Rückwärtsversicherung (§ 2

VersVG) vor, bei der im Gegensatz zur bloßen Rückdatierung der

Beginn der Deckung auf einen Zeitpunkt vor dem Abschluss des

Vertrages vorverlegt wird. Voraussetzung für die Wirksamkeit der

Rückwärtsversicherung ist freilich die Ungewissheit des Ein-

tritts des Versicherungsfalles; vgl dazu näher den Text von § 2

VersVG.

Nach der Judikatur des OGH ist bei einer Vorverlegung des Versi-

cherungsbeginns in der Polizze auf einen Zeitpunkt vor Abschluss

des Vertrages (in der Regel also: vor Zugang der Polizze) im

Zweifel Rückwärtsversicherung und nicht bloße Rückdatierung an-

zunehmen, da dem VN nicht unterstellt werden kann, dass er für

eine Zeit Prämie zahlen möchte, während der er keine Deckung ge-

nießt. Rückdatierung kann in diesen Fällen nur dann angenommen

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werden, wenn es einen vernünftigen Grund für eine bloße Vorver-

legung des technischen Versicherungsbeginns gibt (zB Erreichung

einer günstigeren Prämienstufe in der Kranken- oder Lebensversi-

cherung).

Ein weiteres Beispiel für ein Auseinanderklaffen von formeller

und materieller Versicherungsdauer ist der Zeitraum nach dem Ab-

lauf der Nachfrist nach einer qualifizierten Einmahnung der Fol-

geprämie (§ 39 Abs 2 VersVG): Der Vertrag ist noch aufrecht, es

besteht jedoch keine Deckung.

§ 9 Die Pflichten der Vertragsparteien

I. Die Pflichten des VN

A) Echte Rechtspflichten - Obliegenheiten

1. Echte Rechtspflichten begründen bei ihrer Verletzung Rechts-

widrigkeit; bei Verschulden besteht daher ein Schadenersatz-

anspruch des Versicherers; die Rechtspflichten sind durch Klage

erzwingbar; der VN haftet für das Verschulden seiner Gehilfen

nach § 1313a ABGB.

2. Obliegenheiten sind "Pflichten minderer Zwangsintensität",

deren Erfüllung nicht dem Interesse des Versicherers, sondern

jenem des VN dient. Ihre Verletzung begründet keine Rechts-

widrigkeit, sondern ist (wie zB auch die Verletzung der Scha-

denminderungspflicht im Schadenersatzrecht nach § 1304 ABGB) als

Sorglosigkeit in der eigenen Sphäre zu qualifizieren, die zu un-

angenehmen Konsequenzen für den VN führen kann; der Versicherer

kann die Einhaltung von Obliegenheiten weder durch Klage erzwin-

gen noch stehen ihm bei Verletzung im allgemeinen Schadenersatz-

ansprüche zu; das Verschulden von Gehilfen ist dem VN nicht nach

§ 1313a ABGB zuzurechnen. Eine Zurechnung kann sich jedoch aus

anderen Grundsätzen (zB Stellvertretung) ergeben.

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B) Die Prämienzahlungspflicht des VN

1. Die Prämienzahlungspflicht ist die wichtigste echte Rechts-

pflicht des VN (vgl als weiteres Beispiel Art 11.3. AHVB/ EHVB

2005). Die Prämie ist die Gegenleistung des VN für die Gefahr-

tragung durch den Versicherer.

2. Arten der Prämie

a) Einmalprämie und laufende Prämie

b) Erstprämie und Folgeprämie

3. Problematische Fälle der Abgrenzung zwischen Erst- und Folge-

prämie

Die Abgrenzung zwischen Erst- und Folgeprämie ist vor allem we-

gen der schärferen Sanktionen bei Erstprämienzahlungsverzug be-

deutsam. Auch wenn die Unterschiede zu den Rechtsfolgen bei Fol-

geprämienzahlungsverzug aufgrund der VersVG-Novelle 1994 nicht

mehr so gravierend sind wie vorher, ist doch keine völlige

Gleichschaltung erfolgt. In manchen Fällen ist es aber nicht

ganz einfach zu entscheiden, welche Regeln (§ 38 oder § 39

VersVG) zur Anwendung kommen.

a) Bei der Ratenzahlung (viertel-jährige, halb-jährige oder mo-

natliche Prämie) wendet die Judikatur bei ursprünglich ver-

einbarter Ratenzahlung nur auf die erste Rate § 38, auf die fol-

genden Raten jedoch § 39 VersVG an. Wird die Ratenzahlung nur

nachträglich zugestanden, dann soll keine deckende Stundung,

sondern nur eine fälligkeitsverschiebende Stundung vorliegen.

b) Bei der Veräußerung einer versicherten Sache geht der "Alt-

vertrag" von Gesetzes wegen auf den Erwerber über (§ 69 VersVG).

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Der "Nachfolgevertrag", den der Veräußerer hinsichtlich der neu

angeschafften Sache mit seinem Versicherer abschliesst, ist da-

her (auch bei Beibehaltung der Polizzennummer, Anrechnung von

Guthaben etc) notwendigerweise ein neuer Vertrag, sodass die

erste vorgeschriebene Prämie aus diesem Vertrag Erstprämie im

Sinne des § 38 VersVG ist.

c) Bei der vorläufigen Deckungszusage verlangte die Judikatur

vor der VersVG-Novelle 1994 bei Vorschreibung der Erstprämie ei-

nen warnenden Hinweis des Versicherers, dass die schon bestehen-

de Deckung nun entfallen kann, wenn nicht unverzüglich eingelöst

wird. Erging kein solcher Hinweis, dann konnte sich der Versi-

cherer auf den Prämienzahlungsverzug nicht berufen. Diese Judi-

katur ist durch die Neufassung des § 38 VersVG jedoch gegen-

standslos geworden.

4. Höhe der Prämie

a) In manchen Branchen musste vor der Umsetzung der 3. Richt-

liniengeneration der Prämientarif von der Aufsichtsbehörde ge-

nehmigt werden. Dazu gehörte vor allem die Lebens- und die Kran-

kenversicherung. Nun ist die Tarifgestaltung völlig den Unter-

nehmungen überlassen. Lediglich in der Lebensversicherung und

der substitutiven Krankenversicherung kann der Gesetzgeber vor-

sehen, dass der Aufsichtsbehörde die Rechnungsgrundlagen vorzu-

legen sind (vgl § 18 Abs 1 VAG; nun: § 92 Abs 1 VAG 2016).

b) In der Kfz-Haftpflichtversicherung wurde die Prämie bis zum

Inkrafttreten des KHVG 1987 sogar durch Verordnung des BMF fest-

gesetzt; es gab also keinen Prämienwettbewerb, sondern Einheits-

prämien. Seit dem Beitritt Österreichs zur EU ist die Festlegung

der Unternehmenstarife den einzelnen Versicherungsunternehmungen

überlassen.

c) Verbandstarife, also Tarife, die Preisempfehlungen darstel-

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len, sind vor dem Hintergrund des Kartellverbots des EG-

Vertrages problematisch. Sie sind nur insoweit zulässig, als es

sich um "Nettotarifempfehlungen" handelt. Bruttotarifeempfehlun-

gen, aber auch einheitliche Bonus-Malus-Systeme etc würden gegen

das Kartellverbot des EU-Vertrages verstoßen.

d) Nach § 1c VersVG, der durch das VersRÄG 2013 eingeführt wur-

de, darf der Faktor Geschlecht – vorbehaltlich des § 18f Abs 7

VAG – nicht zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen für

Frauen und Männer führen. § 1d VersVG enthält Regeln über die

Prämie bei der Versicherung für Menschen mit Behinderung.

5. Gläubiger und Schuldner der Prämie

a) Gläubiger der Prämie ist der Versicherer.

b) Schuldner ist grundsätzlich nur der VN, nicht etwa auch der

Versicherte oder der Bezugsberechtigte.

Gemäß § 35a VersVG muss der Versicherer die Prämie jedoch auch

vom Versicherten in der Versicherung für fremde Rechnung (VffR),

vom unwiederruflich Bezugsberechtigten und vom Pfandgläubiger

entgegennehmen. Gemäß § 35b VersVG kann der Versicherer die ihm

zustehende Prämie von der ihm vertragsgemäß obliegenden Leistung

abziehen, auch wenn er die Leistung nicht dem VN, sondern einem

Dritten schuldet (Ausnahme: Pflichthaftpflichtversicherung! (§

158g VersVG)).

6. Fälligkeit der Prämie

a) Die erste laufende Prämie oder die Einmalprämie ist "sofort

nach dem Abschlusse des Vertrages" (also in der Regel: nach Zu-

sendung der Polizze) zu zahlen (§ 35 VersVG). "Sofort" heisst

nach der Judikatur des OGH innerhalb einiger weniger Tage (3 bis

5 Tage). Solange die Polizze nicht zugeschickt wurde, hat der VN

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eine fälligkeitsverschiebende Einrede: Er ist zur Zahlung nur

gegen Aushändigung des Versicherungsscheines verpflichtet. Diese

Einrede hat allerdings nur dort Bedeutung, wo es bereits vor Zu-

sendung des Versicherungsscheines zum Abschluss des Vertrages

gekommen ist.

b) Über die Fälligkeit der Folgeprämien sagt das VersVG nichts.

In Ermangelung einer besonderen Vereinbarung ist die Folgeprämie

am jeweils 1. Tag des neuen versicherungstechnischen Abschnitts

(Versicherungsperiode, Ratenzeitraum) fällig (vgl Art 4 Abs 1

ABS, § 5 Abs 1 AKHB etc).

7. Leistungsort und Leistungszeit

a) Die Prämie ist gemäß § 36 Abs 1 VersVG eine qualifizierte

Schickschuld. Für die Rechtzeitigkeit der Zahlung der Prämie

kommt es daher auf den Zeitpunkt des Abschickens an, die Prämie

reist jedoch auf Risiko des VN. Kommt sie nicht an, so muss er

nochmals zahlen und hat außerdem die Fälligkeit nicht gewahrt.

b) Der Barzahlung der Prämie beim Versicherer wird die Barzah-

lung bei der Post, ebenso aber auch die Banküberweisung und der

Einziehungsermächtigung gleichgehalten. Bei der Banküberweisung

und beim Einziehungsermächtigung kommt es darauf an, ob am Fäl-

ligkeitstag der Überweisungsauftrag gegeben wurde oder (bei der

Einziehungsermächtigung) Deckung des Kontos des VN bestand, so-

dass die Einziehung hätte durchgeführt werden können. Wann die

Prämienzahlung dann dem Konto des Versicherers gutgeschrieben

wird, ist für die Rechtzeitigkeit der Zahlung nicht mehr ent-

scheidend.

c) Diese Regeln galten bis vor kurzem ganz allgemein. Das Vers-

RÄG 2013 hat auf Grund einer Entscheidung des EUGH nun jedoch

eine Differenzierung eingeführt: Bei Unternehmern ist die Über-

mittlung der Prämie nur dann rechtzeitig, wenn die Zahlung bei

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Fälligkeit beim Versicherer eingelangt ist, stellt also eine

Bringschuld dar (§ 36 Abs 2 nF VersVG). In Ansehung der Rechts-

folgen nach §§ 38 Abs 2 und 39 Abs 2 VersVG (also der Leistungs-

freiheit des Versicherers) gilt die Frist jedoch als gewahrt,

wenn die bis zum Eintritt der Fälligkeit veranlasste Zahlung in

der Folge beim Versicherer einlangt.

d) Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Zahlung trifft den

VN.

8. Die Rechtsfolgen des Verzugs mit der Erst- bzw Einmalprämie

(§ 38 VersVG)

a) Der Versicherer kann auf Erfüllung bestehen und die Prämie

samt Zinsen verlangen; er muss allerdings binnen drei Monaten

gerichtlich klagen, widrigenfalls er unwiderleglich als zurück-

getreten gilt.

b) Der Versicherer kann aber auch zurücktreten, wenn der VN

nicht innerhalb von 14 Tagen nach dem Abschluss des Ver-

sicherungsvertrages und nach der Aufforderung zur Prämienzahlung

nicht gezahlt hat.

c) Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der VN zur Zeit des

Eintritts des Versicherungsfalles und nach Ablauf der Frist von

14 Tagen noch nicht gezahlt hat, soferne der VN schuldhaft in

Verzug geraten ist.

Bei dieser Regel des neuen § 38 Abs 2 VersVG handelt es sich um

eine gesetzliche "erweiterte" Einlösungsklausel, die Verzug des

VN im Zeitpunkt des Versicherungsfalles verlangt. Der alte § 38

Abs 2 VersVG stellte dagegen nur darauf ab, ob der VN im Zeit-

punkt des Versicherungsfalles die Prämie gezahlt hatte, ohne

Rücksicht darauf, ob Fälligkeit gegeben war oder nicht (soge-

nannte "strenge" Einlösungsklausel). Darüber hinaus enthält § 38

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Abs 2 neu VersVG auch eine "subjektive" erweiterte Einlösungs-

klausel, da er dem VN den Beweis eröffnet, dass er an der recht-

zeitigen Zahlung der Prämie ohne sein Verschulden verhindert

war.

d) Der neue § 38 enthält aber noch weitergehende Verbesserungen

der Position des VN:

aa) Der VN muss ausdrücklich zur Prämienzahlung "aufgefordert"

werden. Ohne diese Aufforderung gibt es weder Rücktritt noch

Leistungsfreiheit des Versicherers.

bb) Die "Aufforderung" zur Prämienzahlung muss ausdrücklich auf

die möglichen Rechtsfolgen des Verzuges hinweisen, widrigenfalls

es wieder weder Rücktritt noch Leistungsfreiheit gibt.

cc) Die Nichtzahlung von Zinsen oder Kosten begründet weder ein

Rücktrittsrecht noch Leistungsfreiheit (§ 38 Abs 4).

dd) Schließlich enthält § 39 a sowohl für den Verzug mit der

Erstprämie als auch für jenen mit der Folgeprämie eine "Bagatel-

legrenze", die allerdings nur für die Leistungsfreiheit und

nicht auch für das Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht gilt.

9. Die Rechtsfolgen des Verzuges mit einer Folgeprämie (§ 39

VersVG)

a) Der Versicherer kann auf Erfüllung bestehen.

b) Der Versicherer kann kündigen.

c) Der Versicherer kann sich im Versicherungsfall auf Leistungs-

freiheit berufen, wenn der VN den Verzug verschuldet hat (neu

durch VersVG-Novelle 1994!).

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Die beiden letztgenannten Möglichkeiten hat der Versicherer je-

doch nur, wenn er den VN qualifiziert gemahnt hat. Er muss ihm

eine mindestens 14-tägige Nachfrist setzen und ihn darauf auf-

merksam machen, welche Rechtsfolgen sich an das ungenützte Ver-

streichen dieser Nachfrist knüpfen können. Unterlässt er die

"qualifizierte" Mahnung, dann kann er weder kündigen noch sich

auf Leistungsfreiheit berufen.

Die Judikatur stellt an die qualifizierte Mahnung sehr hohe An-

forderungen. Überdies muss der Versicherer den Zugang der quali-

fizierten Mahnung beweisen.

Versicherungsfälle während der Nachfrist sind jedenfalls noch

gedeckt.

Die Kündigung kann schon mit der qualifizierten Mahnung für den

Fall des ungenützten Verstreichens der Nachfrist ausgesprochen

werden ("verbundene Kündigung").

Der VN kann bei ausgesprochener Kündigung des Versicherers das

Versicherungsverhältnis noch "revitalisieren", wenn er binnen

einem Monat die Zahlung nachholt, sofern nicht bereits der Ver-

sicherungsfall eingetreten ist (§ 39 Abs 3 VersVG).

d) Auch hier gilt, dass die Nichtzahlung von Zinsen oder Kosten

weder Kündigungsmöglichkeit noch Leistungsfreiheit eröffnen (§

39 Abs 4).

e) Auf die "Bagatellegrenze" des § 39 a wurde bereits hinge-

wiesen.

C) Obliegenheiten des VN

1. Einteilung der Obliegenheiten

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a) Nach dem Inhalt: Obliegenheiten, die auf ein Tun gerichtet

sind (zB Anzeigepflichten, Rettungspflicht) und solche, die auf

ein Unterlassen gerichtet sind (zB Gefahrstandspflicht bei der

Gefahrerhöhung).

b) Nach der Dauer des geforderten Verhaltens: Kurzfristige Ob-

liegenheiten - Dauerobliegenheiten.

c) Nach dem Zeitpunkt der Erfüllung: Obliegenheiten, die vor

Versicherungsfall zu erfüllen sind ("primäre" Obliegenheiten) -

Obliegenheiten, die nach Versicherungsfall zu erfüllen sind

("sekundäre" Obliegenheiten).

d) Nach der Gefahrbezogenheit: Vorbeugende Obliegenheiten -

schlichte Obliegenheiten.

e) Nach der Art der Auferlegung: Gesetzliche - vertragliche Ob-

liegenheiten.

f) Nach den Rechtsfolgen: Obliegenheiten mit Verwirkungsfolgen -

Obliegenheiten ohne Verwirkungsfolgen.

g) Nach ihrem Zusammenhang mit der Prämienhöhe: Äquivalenz si-

chernde - nicht äquivalenzsichernde Obliegenheit

2. Vertragliche Obliegenheiten (§ 6 VersVG)

a) Primäre Obliegenheiten (§ 6 Abs 1, Abs 1a und 2 VersVG)

aa) Klarstellungserfordernis

Wird dem Versicherer vor einem Versicherungsfall eine Oblie-

genheitsverletzung bekannt, so muss er diese aufgreifen und bin-

nen Monatsfrist kündigen, widrigenfalls er sich nicht nur der

Kündigungsmöglichkeit, sondern auch der Leistungsfreiheit in ei-

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nem zukünftigen Versicherungsfall begibt.

bb)Verschuldenserfordernis

Grundsätzlich kann der Versicherer schon bei leicht fahrlässiger

Verletzung einer primären Obliegenheit den Vertrag binnen einem

Monat ab Kenntnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen

bzw sich im Versicherungsfall auf Leistungsfreiheit berufen.

Dieser Grundsatz wurde durch die VersVG-Novelle wesentlich ein-

geschränkt, die in § 6 einen neuen Abs 1 a einfügte. Bei der

Verletzung einer prämienrelevanten primären Obliegenheit tritt

die vereinbarte Leistungsfreiheit nur in dem Verhältnis ein, in

dem die vereinbarte hinter der für das höhere Risiko tarifmäßig

vorgesehenen Prämie zurückbleibt („äquivalenzbezogene Verhält-

nismäßigkeitsregel“). Bei der Verletzung von Obliegenheiten zu

sonstigen bloßen Meldungen und Anzeigen, die keinen Einfluss auf

die Beurteilung des Risikos durch den Versicherer haben (also

sonstige "schlichte" Obliegenheiten sind), tritt die Leistungs-

freiheit nur ein, wenn die Obliegenheit vorsätzlich verletzt

worden ist. Die Möglichkeit der Kündigung durch den Versicherer

wird durch diese Regelungen jedoch nicht eingeschränkt.

cc) Kausalitätserfordernis

Bei "vorbeugenden" Obliegenheiten, das sind solche, die vom VN

zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer

Erhöhung der Gefahr zu erfüllen sind, kann sich der Versicherer

nicht auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die Verletzung keinen

Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder soweit

sie keinen Einfluss auf den Umfang der dem Versicherer obliegen-

den Leistung gehabt hat.

Dieser Kausalitätsgegenbeweis ist vom VN zu führen. Er ist durch

die VersVG-Novelle 1994 aber entscheidend erleichtert worden, da

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nun nicht mehr das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" gilt, sondern der

"Verhältnismäßigkeitsgrundsatz": Verwirkung nur nach Maßgabe der

Kausalität („kausalitätsbezogene Verhältnismäßigkeitsregel“).

Bei "schlichten" Obliegenheiten ist ein Kausalitätsgegenbeweis

nicht möglich, da durch diese Obliegenheiten nicht das versi-

cherte Risiko selbst, sondern nur das "subjektive" Risiko des VN

(die sogenannte "Vertragsgefahr") bekämpft werden soll. Bei

ihnen hilft jedoch der neue Abs 1 a des § 6 VersVG.

b) Sekundäre Obliegenheiten (§ 6 Abs 3 VersVG)

aa) Klarstellungserfordernis

Ein Klarstellungserfordernis gibt es bei den sekundären Oblie-

genheiten nicht, da die Verletzung einer solchen Obliegenheit

allein dem Versicherer kein Recht zur (ordentlichen) Kündigung

gibt; der Versicherer könnte nur aus wichtigem Grund kündigen.

bb) Verschuldenserfordernis

Bei sekundären Obliegenheiten schadet dem VN nur Vorsatz und

grobe Fahrlässigkeit; leichte Fahrlässigkeit ist unschädlich.

cc) Kausalitätserfordernis

Bei grob fahrlässiger Verletzung einer sekundären Obliegenheit

bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die

Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles

noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer

obliegenden Leistung Einfluss gehabt hat. Es kommt also nur zu

einer verhältnismäßigen Verwirkung nach Maßgabe der Kausalität.

Das gilt nun (Neuerung durch die VersVG-Novelle 1994!) auch bei

Vorsatz, es sei denn, dass der VN mit Täuschungs- oder Ver-

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schleierungsvorsatz gehandelt hat. In diesem Fall hat er keine

Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises.

c) Gemeinsame Bestimmungen für primäre und sekundären Obliegen-

heiten

aa) Unzulässigkeit der Vereinbarung eines Rücktrittsrechts des

Versicherers (§ 6 Abs 4 VersVG)

bb) Unzulässigkeit der Berufung auf eine bloß fahrlässige Ver-

letzung einer vereinbarten Obliegenheit, wenn diese dem VN weder

durch die Aushändigung der AVB noch durch Ausfolgung einer ande-

ren Urkunde vor ihrer Verletzung mitgeteilt worden ist (§ 6 Abs

5 VersVG; vgl auch § 158 m VersVG).

cc) Beweislastverteilung

Der Versicherer muss lediglich den objektiven Tatbestand der Ob-

liegenheitsverletzung beweisen. Der VN hat dann die ent-

sprechenden Gegenbeweise zu führen, also den Entschuldigungs-

beweis (der je nach Art der Obliegenheit verschieden weit geht),

den Kausalitätsgegenbeweis (der ebenfalls bei primären und se-

kundären Obliegenheiten unterschiedlich zu führen ist) und al-

lenfalls auch den Beweis, dass der Versicherer (bei einer pri-

mären Obliegenheit) das Klarstellungserfordernis verletzt hat.

dd) "Verhüllte" Obliegenheiten

§ 6 VersVG ist gemäß § 15a VersVG halbzwingend, kann also zu

Lasten des VN nicht abbedungen werden. Der Versicherer könnte

daher versucht sein, Umstände, die an sich den Gegenstand von

Obliegenheiten bilden, in das Kleid eines Risikoausschlusses zu

fassen. Das ist durch sprachliche Mittel relativ leicht zu er-

reichen.

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Es ist jedoch naheliegend, dass solche Umgehungsversuche un-

wirksam sein müssen. Risikoausschlüsse, die in Wirklichkeit Ob-

liegenheiten darstellen, werden als "verhüllte" Obliegenheiten

bezeichnet, und unterliegen nach ihrer "Entlarvung" den Regelun-

gen des § 6 VersVG.

Wann ein Umstand materiell als Obliegenheit zu qualifizieren

ist, ist nicht unumstritten. Im Allgemeinen wird darauf abge-

stellt, ob es auf ein Tun oder Unterlassen des VN ankommt, das

mit der Gefahrtragung des Versicherers in engem Zusammenhang

steht.

Im Verbrauchergeschäft verstoßen verhüllte Obliegenheiten gegen

das Transparenzgebot (§ 6 Abs 3 KSchG)und sind daher unwirksam.

Beispiele für verhüllte Obliegenheiten:

Führerscheinklausel in den alten AUVB und in den ARB 1965/82.

Die meisten verhüllten Obliegenheiten sind in den neuen Fassun-

gen der AVB bereits in den Bestand der Obliegenheiten überführt

worden.

ee) „Selbstverschuldensprinzip“

Nach herrschender Auffassung in Österreich geht § 6 VersVG vom

Selbstverschuldensprinzip aus: Dem VN schadet nur sein eigenes

Verschulden, nicht auch jenes seiner Gehilfen. Die deutsche "Re-

präsentantentheorie" wird abgelehnt. Nach dieser Theorie hat der

VN für das Verschulden derjenigen Personen einzustehen, die im

Hinblick auf das versicherte Risiko an seine Stelle treten ("Re-

präsentanten", zB Hausverwalter, gesetzlicher Vertreter etc).

Dem VN schadet aber auch nach österreichischer Auffassung sein

Organisationsverschulden; ferner hat er Obliegenheits-

verletzungen seines Bevollmächtigten zu vertreten. Zur VffR vgl

§ 78 VersVG, zur Personenfremdversicherung §§ 161, 179 Abs 4

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VersVG.

Die Ablehnung der „Repräsentantentheorie“ ist problematisch und

lässt sich aus dem VersVG nicht ableiten. Sie würde dazu führen,

dass sich der VN bei „Gefahrverwaltungsobliegenheiten“ durch

Einsetzung eines „Ersatzmanns“ in der Gefahrverwaltung aus der

Verantwortung stehlen könnte.

3. Gesetzliche Obliegenheiten

a) Gesetzliche Obliegenheiten vor Versicherungsfall

aa) Vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 - 22 VersVG)

aaa) Ausgangssituation: Gegenseitige Angewiesenheit bei der Er-

mittlung der vertragswesentlichen Gefahr.

bbb) Der VN hat beim Abschluss des Vertrages alle ihm bekannten

Umstände, die für die Gefahr erheblich sind, dem Versicherer an-

zuzeigen; die Anzeige muss nicht nur vollständig, sondern auch

richtig sein (§§ 16, 17 VersVG).

- "Beim" Abschluss des Vertrages bedeutet, dass die vorver-

tragliche Anzeigepflicht (vvAnzpfl) nicht nur bei Antragstel-

lung, sondern bis zum Zustandekommen des Vertrages zu erfüllen

ist. Erfährt der VN nach Antragstellung, aber noch vor Annahme

des Versicherers neue gefahrerhebliche Umstände (zB auch den

Eintritt eines Versicherungsfalles), so muss er seine Anzeige

ergänzen.

Der VN hat nur ihm bekannte Umstände anzuzeigen, Kennenmüssen

genügt nicht.

- "Erheblich" sind jene Gefahrumstände, die geeignet sind, auf

den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu

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den vereinbarten Bestimmungen abzuschließen, einen Einfluss aus-

zuüben. In dieser Hinsicht hat der "Fragebogen" (also die Fragen

im Antragsformular) große Bedeutung. Einerseits sind Gefahrum-

stände, nach denen ausdrücklich gefragt wird, im Zweifel erheb-

lich (§ 16 Abs 1 VersVG). Andererseits kann der VN auf die Voll-

ständigkeit des Fragenkatalogs vertrauen. Umstände, nach denen

nicht ausdrücklich gefragt worden ist, können nur im Fall arg-

listiger Verschweigung zum Rücktritt des Versicherers führen (§

18 VersVG).

Stellt der Versicherer keine Fragen, so hat der VN von sich aus

die erheblichen Gefahrumstände bekannt zu geben („spontane An-

zeigepflicht“).

ccc) Rechtsfolgen der Verletzung der vvAnzpfl

- Bei schuldloser Verletzung kann der Versicherer nicht zu-

rücktreten, sondern bleibt an den Vertrag gebunden (§§ 16 Abs

3, 17 Abs 2 VersVG). Da er im Ergebnis aber ein höheres Risiko

trägt, ermöglicht § 41 VersVG eine Zwangsberichtigung des Ver-

trages; der Versicherer kann eine höhere Prämie verlangen. Nur

wenn die höhere Gefahr nach den für den Geschäftsbetrieb des

Versicherers maßgebenden Grundsätzen auch gegen eine höhere Prä-

mie nicht übernommen wird, kann der Versicherer unter Einhaltung

einer Kündigungsfrist von einem Monat kündigen (vgl genauer § 41

VersVG).

- Bei schuldhafter Verletzung kann der Versicherer binnen einem

Monat ab Kenntnis zurücktreten (Klarstellungserfordernis!). Im

Allgemeinen genügt bereits leichte Fahrlässigkeit für diese

Rechtsfolge. Hat jedoch der VN einen Umstand nicht angezeigt,

nach dem der Versicherer "nicht ausdrücklich und genau umschrie-

ben" gefragt hat, ist für den Rücktritt zumindest grobe Fahrläs-

sigkeit des VN erforderlich (Neuerung der VersVG-Novelle 1994!).

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Der "Rücktritt" gemäß §§ 16 Abs 2 und 3, 17, 20 und 21 VersVG

ist eine merkwürdige Konstruktion, da er keineswegs zur Rückab-

wicklung des Vertrages führt; der Versicherer kann vielmehr die

Prämien behalten (§ 40 VersVG). Die Hauptwirkung des Rücktritts

ist also die Möglichkeit der Leistungsfreiheit des Versicherers.

- Ist der Versicherungsfall bereits eingetreten, so kann der

Versicherer auch noch zurücktreten (es ist sogar die Regel, dass

der Versicherer erst im Versicherungsfall die Verletzung der

vvAnzpfl entdeckt). In diesem Fall gilt aber zusätzlich zum Ver-

schuldenserfordernis noch das Kausalitätserfordernis (§ 21

VersVG), das nun ebenfalls - wie in § 6 Abs 2 VersVG - dem Ver-

hältnismäßigkeitsgrundsatz folgt. Der Versicherer kann daher nur

zurücktreten, wenn der verschwiegene Umstand für den Eintritt

des Versicherungsfalles kausal war. Ob der Versicherer in Kennt-

nis dieses Umstandes den Versicherungsvertrag nicht oder nur an-

ders abgeschlossen hätte, spielt bei dieser Prüfung keine Rolle.

ddd) Besonderheiten in der Personenversicherung

- Für die Lebensversicherung beachte §§ 162, 163 VersVG.

- Für die Krankenversicherung beachte § 178 k VersVG.

eee) Arglistanfechtung (§ 22 VersVG)

Die Vorschriften über die Verletzung der vvAnzpfl sind leges

speciales (spezielle Vorschriften) gegenüber den Vorschriften

über die Irrtumsanfechtung nach ABGB (§§ 871 ff). § 22

VersVG lässt aber neben den §§ 16 ff VersVG das Recht des Versi-

cherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung über Gefahrum-

stände anzufechten, unberührt.

Die Arglistanfechtung hat den Vorteil, dass dem VN ein Kausali-

tätsgegenbeweis nicht möglich ist. Sie ist andererseits aber für

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den Versicherer nicht leicht, da der Beweis der Arglist, der dem

Versicherer obliegt, schwer zu führen ist.

fff) Beweislastverteilung bei der vvAnzpfl

- Der Versicherer muss alles beweisen, was für seine Reak-

tionsmöglichkeiten (Vertragsanpassung, Rücktritt) nötig ist, al-

so die Kenntnis des VN von den gefahrerheblichen Umständen, de-

ren Gefahrerheblichkeit, das Unterbleiben oder die Unrichtigkeit

der Anzeige etc.

- Der VN muss dagegen alles beweisen, was gegen diese Reak-

tionsmöglichkeiten des Versicherers eingewendet werden kann, al-

so zB fehlendes Verschulden, mangelnde Kausalität, Verletzung

des Klarstellungserfordernisses, fehlende Erheblichkeit trotz

Aufscheinens einer entsprechenden Frage im Antragsformular etc.

ggg) § 11a VersVG (zuletzt geändert durch das VersRÄG 2013) ent-

hält Regelungen darüber, ob der Versicherer im Zusammenhang mit

Versicherungsverhältnissen, bei welchen der Gesundheitszustand

des Versicherten oder eines Geschädigten erheblich ist, perso-

nenbezogene Gesundheitsdaten verwenden darf; vgl auch §§ 11b,

11c und 11d VersVG.

bb) Obliegenheiten bei Gefahrerhöhung

aaa) Querverbindung zur vvAnzpfl (§§ 23 - 31 VersVG)

Während die vvAnzpfl dem Versicherer die richtige Einschätzung

des übernommenen Risikos bei Vertragsabschluss ermöglichen soll,

dienen die Obliegenheiten bei Gefahrerhöhung dazu, den Versiche-

rer vor einer nachteiligen Veränderung der Gefahrenlage zu

schützen. Beide Obliegenheiten dienen daher ähnlichen Zwecken

und überschneiden einander nach hM in ihrem Anwendungsbereich,

wenn nach Antragstellung eine Gefahrerhöhung eintritt (vgl § 30

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VersVG).

bbb) Die zwei Obliegenheiten der Gefahrerhöhung

- Gefahrstandspflicht

Der VN darf weder selbst eine Erhöhung der Gefahr vornehmen noch

ihre Vornahme durch einen Dritten gestatten (§ 23 Abs 1 VersVG).

- Anzeigepflicht

Erlangt der VN davon Kenntnis, dass durch eine von ihm vor-

genommene oder gestattete (also gewillkürte) Erhöhung der Gefahr

eingetreten ist, oder tritt unabhängig von seinem Willen eine

Gefahrerhöhung ein (unwillkürliche Gefahrerhöhung), so hat er

dem Versicherer Anzeige zu erstatten (§§ 23 Abs 2, 27 Abs 2

VersVG).

ccc) Begriff der Gefahrerhöhung

Voraussetzung für das Vorliegen einer Gefahrerhöhung sind Erheb-

lichkeit und potentielle Dauer.

- Erheblichkeit liegt dann vor, wenn sich die Gefahrenlage in

einer für den Versicherer ungünstigen Weise erheblich ändert.

Diese Änderung kann auf individuelle, aber auch auf generelle

Umstände (wie zB eine Gesetzesänderung) zurückzuführen sein.

Auch Erhöhungen der "Vertragsgefahr" begründen eine Gefahrerhö-

hung (GE), wie zB "Brandreden".

- Potentielle Dauer

Eine GE liegt nur dann vor, wenn durch den betreffenden Umstand

die Gefahrenlage auf ein neues, höheres Niveau emporsteigt, auf

dem sie sich stabilisieren und Grundlage eines neuen Gefahren-

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verlaufs bilden kann. Die Gefahrenlage muss also gleichsam auf

einem erhöhten Niveau ausruhen können. Dadurch ist es möglich,

die Vorschriften über die GE, die ja schon bei leichter Fahrläs-

sigkeit zur Leistungsfreiheit führen können, von den Vor-

schriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§§ 61,

152 VersVG) abzugrenzen.

GE liegt zB vor bei Einlagerung von Benzin am Dachboden eines

strohgedeckten Hauses, bei Inbetriebnahme eines nicht verkehrs-

sicheren KFZ, bei Aufstellen eines Baugerüstes (in der Ein-

bruchsdiebstahl- oder Haushaltsversicherung) etc.

Keine GE liegt dagegen nach der Judikatur vor bei der Fahrt ei-

nes defekten KFZ zur nächsten Werkstätte, beim Betreten eines

Heubodens mit einer Laterne, bei einmaliger Überladung eines

KFZ, bei Trunkenheit, die nicht einen Dauerzustand darstellt

etc.

ddd) Rechtsfolgen bei gewillkürter GE (§§ 23 - 25 VersVG)

- Kündigungsrecht

Bei Verletzung der Gefahrstandspflicht kann der Versicherer je-

denfalls kündigen, und zwar bei Verschulden fristlos, ansonsten

mit Monatsfrist (§ 24 Abs 1 VersVG). Die Rechtslage ist hier al-

so wesentlich anders als bei der vvAnzpfl, bei der es bei unver-

schuldeter Verletzung ja kein Rücktrittsrecht, sondern nur die

Möglichkeit einer „Zwangsberichtigung“ gemäß § 41 VersVG gibt.

Für die Kündigung des Versicherers gibt es aber auch hier das

Klarstellungserfordernis (§ 24 Abs 2 VersVG).

- Leistungsfreiheit

Bei verschuldeter GE ist der Versicherer leistungsfrei, es sei

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denn, er hätte von der GE Kenntnis erhalten und die Frist für

eine Kündigung verstreichen lassen (§ 25 Abs 3 VersVG, Klarstel-

lungserfordernis!). Meist erfährt der Versicherer von der GE

aber erst im Versicherungsfall; hier muss er nicht kündigen, um

sich auf die Leistungsfreiheit berufen zu können. Für das Ver-

schuldenserfordernis genügt auch hier leichte Fahrlässigkeit.

Daneben gibt es noch das Kausalitätserfordernis (§ 25 Abs 3

VersVG), das seit der VersVG-Novelle 1994 wiederum im Sinne des

Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes herabgesetzt wurde.

Der verschuldeten Vornahme einer GE stellt die Judikatur eine

solche gleich, die für den VN erkennbar war, die er aber dennoch

unbeachtet gelassen hat. Das fahrlässige Nichtwissen wird also

dem positiven Wissen gleichgestellt, damit nicht der schlampige

VN besser behandelt wird als der sorgfältige.

Leistungsfreiheit kann überdies auch bei einer unverschuldeten

gewillkürten GE bestehen, wenn der VN seine Anzeigepflicht

schuldhaft verletzt hat und der Versicherungsfall später als ei-

nen Monat nach dem Zeitpunkt eintritt, in welchem die Anzeige

dem Versicherer hätte zugehen müssen. Der Versicherer wird also

so behandelt, als hätte er bei rechtzeitiger Anzeige von seinem

Kündigungsrecht Gebrauch gemacht (§ 25 Abs 2 VersVG).

Dieser zweite Fall der Leistungsfreiheit ist jedoch selten gege-

ben, weil er ja voraussetzt, dass der VN nachträglich eine un-

verschuldete gewillkürte GE als solche erkennt und sie dann

nicht unverzüglich anzeigt.

eee) Rechtsfolgen bei unwillkürlicher GE (§§ 27, 28 VersVG)

Bei der unwillkürlichen GE kann eine Verletzung der Ge-

fahrstandspflicht nicht vorliegen, sondern es geht nur um die

Verletzung der Anzeigepflicht.

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Die Rechtsfolgen der unwillkürlichen GE sind grundsätzlich iden-

tisch mit jenen der unverschuldeten willkürlichen GE! Die

VersVG-Novelle 1994 hat jedoch für die GE durch "allgemein be-

kannte Umstände" eine Verlängerung des Kündigungsrechts des Ver-

sicherers auf ein Jahr (anstelle eines Monats) eingeführt.

fff) Unbeachtlichkeit von GE (§ 26, 29 VersVG)

ggg) Sonderregeln über GE in der Personenversicherung

- Vgl für die Lebensversicherung §§ 164, 164a VersVG

- In der Unfallversicherung werden die Umstände, die GE bedeu-

ten könnten, durch Risikoausschlüsse umfasst.

- In der Krankenversicherung spielt die GE ebenfalls keine

Rolle (§ 178 a Abs 3 VersVG).

hhh) Beweislastverteilung bei GE

- Der Versicherer muss den Tatbestand der Verletzung der Ge-

fahrstandspflicht oder der Anzeigepflicht beweisen.

- Der VN muss dagegen den Entschuldigungs-, den Kausalitäts-

gegenbeweis oder den Beweis der Verletzung des Klarstel-

lungserfordernisses, die Rechtzeitigkeit der Anzeige, die Kennt-

nis des Versicherers etc beweisen.

cc) Vorbeugende Obliegenheiten (§ 32 VersVG)

aaa) Die Gefahrstandspflicht ist eine reine Unterlassungs-

pflicht. Das Gesetz regelt im unmittelbaren Anschluss an die

Vorschriften über die GE die Möglichkeit, dem VN Tunspflichten

zum Zweck der Verhütung einer GE oder Verhaltenspflichten (Tun

oder Unterlassen) zum Zwecke der Verminderung der Gefahr aufzu-

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erlegen. Die entsprechenden Obliegenheiten sind jedoch vertrag-

liche und nicht gesetzliche Obliegenheiten.

bbb) § 32 VersVG sieht keine Sanktionen bei Verletzung von vor-

beugenden Obliegenheiten vor. Sanktionen können aber vereinbart

werden, müssen sich dann jedoch im Rahmen der Regelung des § 6

VersVG über primäre Obliegenheiten halten.

ccc) Beispiele für vorbeugende Obliegenheiten: Art 3 ABS ("Si-

cherheitsvorschriften"), Art 9.2. AKHB 2004

dd) Anzeige mehrfacher Versicherung (§ 58 VersVG)

aaa) § 58 VersVG verpflichtet den VN bei mehrfacher Schadens-

versicherung zur Anzeige, selbst wenn es sich nicht um eine Dop-

pelversicherung im Sinne des § 59 VersVG handelt.

§ 58 ist wieder eine lex imperfecta, sieht also keine Sanktion

vor. Diese Bestimmung ist nun durch § 68 a VersVG zwingend ge-

stellt worden, sodass die Verletzung der Verpflichtung zur An-

zeige einer mehrfachen Versicherung nur noch dann mit einer

Sanktion belegt werden kann, wenn es sich um eine betrügerische

Doppelversicherung (§ 59 Abs 3 VersVG) handelt.

bbb) § 58 gilt unmittelbar nur für die Schadensversicherung,

nicht für die Summenversicherung. In der Summenversicherung kön-

nen sich Obliegenheiten über die Anzeige von Mehr-

fachversicherungen daher nur auf vertragliche Regelungen stüt-

zen, die sich am § 6 Abs 1a VersVG messen lassen müssen.

ee) Anzeige der Veräußerung der versicherten Sache (§ 71 VersVG)

Gemäß § 71 VersVG müssen Veräußerer und Erwerber der versicher-

ten Sache die Veräußerung dem Versicherer anzeigen, um diesem

die Möglichkeit der Kündigung gemäß § 70 VersVG zu eröffnen.

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Kommen sie dieser Obliegenheit nicht nach, so ist Leistungsfrei-

heit des Versicherers die Folge, hinsichtlich der er sich aller-

dings so behandeln lassen muss, als hätte er von seinem Kündi-

gungsrecht Gebrauch gemacht: Leistungsfreiheit tritt daher nur

ein, wenn der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem

Zeitpunkt eintritt, in welchem die Anzeige dem Versicherer hätte

zugehen müssen.

Die VersVG-Novelle 1994 hat die Gefahr der Leistungsfreiheit je-

doch stark reduziert: Bei Vorsatz ist jedenfalls Leistungsfrei-

heit gegeben, bei Fahrlässigkeit ist ein „Kausalitätsgegenbe-

weis“ möglich (Systembruch, Widerspruch zu § 6 Abs 1a VersVG).

ff) Anzeige der Wohnungsänderung (§ 10 VersVG)

§ 10 VersVG belastet den VN zum Zwecke der Verwaltungs-

vereinfachung für den Versicherer mit der Obliegenheit der An-

zeige der Wohnungsänderung (bzw Änderung der Anschrift einer ge-

werblichen Niederlassung). Kommt der VN dieser Verpflichtung

nicht nach, so wird fingiert, dass nach Vertragsabschluss abzu-

gebende empfangsbedürftige Willenserklärungen des Versicherers

(wie zB Kündigung, Rücktritt, qualifizierte Mahnung, qualifi-

zierte Ablehnung etc) dem VN zugegangen sind, sofern sie mit

eingeschriebenem Brief an die letzte dem Versicherer bekannte

Adresse gesandt werden.

§ 10 VersVG bildete das Vorbild für § 6 Abs 1 Z 3 KSchG, der

entsprechende Vereinbarungen auch außerhalb des Privat-

versicherungsrechts zulässt.

b) Gesetzliche Obliegenheiten nach Versicherungsfall

aa) Schadenabwendungs- und -minderungspflicht (§§ 62, 63 VersVG)

aaa) Gemäß § 62 Abs 1 VersVG ist der VN verpflichtet, beim Ein-

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tritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit für die Abwendung

und Minderung des Schadens zu sorgen und dabei die Weisungen des

Versicherers zu befolgen.

Diese Schadenabwendungs- bzw Schadenminderungspflicht ("Ret-

tungspflicht") ist eine spezifisch versicherungsrechtliche Ver-

pflichtung des VN in Form einer sekundären Obliegenheit, die

nicht mit der schadenersatzrechtlichen Schadenminderungspflicht

verwechselt werden darf.

bbb) Die "Rettungspflicht" hat für den VN negative, aber auch

positive Aspekte: Verletzt er die Rettungspflicht, so droht ihm

Leistungsfreiheit. Erfüllt er sie jedoch, dann hat er Aufwands-

ersatzansprüche gemäß § 63 VersVG, die ihn sehr günstig stellen.

Aufwendungen, die er in Erfüllung seiner Rettungspflicht macht,

hat der Versicherer auch dann, wenn sie erfolglos blieben, zu

ersetzen, soweit der VN sie den Umständen nach für geboten hal-

ten durfte. Aufwendungen, die der VN auf Weisung des Ver-

sicherers getätigt hat, sind auch insoweit zu ersetzen, als sie

zusammen mit der übrigen Entschädigung die Versicherungssumme

übersteigen.

ccc) Gemäß § 62 Abs 1 VersVG sind nur solche Aufwendungen zu er-

setzen, die der VN "beim" Eintritt des Versicherungsfalles ge-

macht hat. Bloße "Schadenverhütungskosten" fallen daher dem VN

zur Last. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Rettungskosten

und Schadenverhütungskosten nicht immer ganz einfach, da nach

herrschender Meinung die Rettungspflicht auch schon dann be-

ginnt, wenn der Versicherungsfall "unmittelbar droht" ("Vorer-

streckungstheorie").

ddd) Die Vorerstreckungstheorie ist für den VN nicht ungefähr-

lich, da durch sie eine Überschneidung der Anwendungsbereiche

der Vorschriften über die Rettungspflicht einerseits und jener

über die Herbeiführung des Versicherungsfalles andererseits

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(insbesondere §§ 61, 152 VersVG) eintreten kann. Das ist im Be-

reich der Schadensversicherung in Form der Aktivenversicherung

noch kein Problem, da dort auch bei § 61 VersVG zumindest grobe

Fahrlässigkeit für die Leistungsfreiheit des Versicherers erfor-

derlich ist; insofern besteht also Parallelität der Regelungen

der §§ 61 und 62 VersVG. Bedenklich wäre es jedoch, wenn man

auch in der Haftpflichtversicherung die Vorerstreckungstheorie

anwenden wollte, da dort § 152 VersVG Vorsatz verlangt, bei ei-

ner Vorerstreckung der Rettungspflicht gemäß § 62 VersVG indes-

sen bereits grobe Fahrlässigkeit den Versicherungsschutz entfal-

len lassen würde. Nach herrschender Meinung kann die "Vorer-

streckungstheorie" daher nur im Bereich der Aktivenversicherung

zur Anwendung kommen (zB Waldbrandbeispiel in der Feuerversiche-

rung, Rehbeispiel in der Kaskoversicherung).

Zur Rettungspflicht in der Unfallversicherung vgl § 183 VersVG.

bb) Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalles (§ 33

VersVG)

aaa) § 33 Abs 1 VersVG sieht die Obliegenheit des VN vor, dem

Versicherer unverzüglich nach Kenntnis den Versicherungsfall an-

zuzeigen (vgl auch §§ 92 Abs 1, 153 VersVG). Durch diese Oblie-

genheit soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sich

möglichst bald über die Tatsachen ein Bild zu verschaffen, die

über seine Leistungspflicht entscheiden.

bbb) § 33 VersVG ist eine lex imperfecta, die in den diversen

AVB näher ausgestaltet werden kann, freilich nur im Rahmen des §

6 Abs 3 VersVG. Die Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungs-

falles wird in den AVB zum Teil auch noch durch andere Obliegen-

heiten ergänzt, die ähnliche Zielsetzungen verfolgen (zB Oblie-

genheit, die Verhältnisse am Versicherungsort bis zur Inspektion

durch den Versicherer nicht zu verändern, Art 5.3.4. AFB.

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ccc) Die Obliegenheit nach § 33 VersVG trifft nur den VN (bzw

den Versicherten gemäß § 78 VersVG). Vgl aber §§ 171, 182 für

die Personenfremdversicherung und § 158d für die Pflichthaft-

pflichtversicherung.

cc) Auskunft- und Belegpflicht (§ 34 VersVG)

aaa) Gemäß § 34 VersVG kann der Versicherer nach dem Eintritt

des Versicherungsfalles verlangen, dass der VN jede Auskunft er-

teilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Um-

fanges der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist

("Auskunftspflicht").

Diese Obliegenheit ist nicht sanktioniert, die AVB sehen jedoch

(im Rahmen des § 6 Abs 3 VersG) Sanktionen vor. Die Auskunfts-

pflicht ist praktisch sehr wichtig. Der VN muss umfassend Aus-

kunft geben, auch dann, wenn ihm die Auskünfte peinlich sind, ja

selbst dann, wenn sie ihn in die Gefahr der strafrechtlichen o-

der verwaltungsrechtlichen Verfolgung bringen.

bbb) Gemäß § 34 Abs 2 VersVG kann der Versicherer Belege inso-

weit fordern, als die Beschaffung dem VN billigerweise zugemutet

werden kann. Die Belegpflicht ist also keine absolute, sondern

nur im Rahmen der Billigkeit zu erfüllen. Wird sie verletzt, so

sehen die AVB Sanktionen vor, die sich (mangels einer entspre-

chenden Regelung in § 34 Abs 2 VersVG) allerdings wieder im Rah-

men des § 6 Abs 3 VersVG bewegen müssen.

ccc) Zur Auskunfts- und Belegpflicht des geschädigten Dritten in

der Pflichthaftpflichtversicherung vgl § 158d Abs 3 VersVG.

II. Die Pflichten des Versicherers

A) Die Art der Leistung des Versicherers

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1. Geldleistungstheorie

Nach der Geldleistungstheorie liegt die Leistung des Ver-

sicherers in einer Geldleistung, die durch den Eintritt des Ver-

sicherungsfalles bedingt ist. Dieser Theorie wird eingewendet,

dass sie dem Wesen des Versicherungsvertrages zuwenig Rechnung

trägt, das in der Verschaffung eines stets vorhandenen Versiche-

rungsschutzes liegt.

2. Gefahrtragungstheorie

Herrschend ist daher die Gefahrtragungstheorie, nach der die

Leistung des Versicherers in der Gefahrtragung liegt. Die Ge-

fahrtragung macht vor dem Versicherungsfall einen Ruhezustand

durch, während dessen sie latent gewährt wird, um im Versiche-

rungsfall in eine akute Phase zu treten. Mit dieser Theorie wird

vor allem vermieden, dass der VN der Meinung sein kann, der Ver-

sicherer erbringe keine Leistung, wenn es während der Dauer des

Vertrages zu keinem Versicherungsfall kommt.

B) Die Umschreibung des versicherten Risikos

1. Die unsichtbare Ware Versicherungsschutz

a) Versicherungsschutz ist nicht greifbar, nicht sicht- und auch

nicht spürbar und wird daher als "unsichtbare Ware" bezeichnet.

Seine Umrisse müssen vom Versicherer durch verbale Umschreibung,

also mit den Mitteln der Sprache fixiert werden. Das hat den AVB

(zum Teil zu Unrecht) den Vorwurf eingebracht, "Kleingedrucktes"

zu sein. Dabei wird übersehen, dass der Versicherer gar keine

andere Möglichkeit der Umschreibung des Versicherungsschutzes

hat. Freilich sollte diese Umschreibung möglichst allgemein ver-

ständlich und eindeutig erfolgen. Im Übrigen müssen auch die An-

bieter von anderen Dienstleistungen ihren Leistungsumfang auf

die gleiche Art und Weise festsetzen.

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b) Bei der Umschreibung des Versicherungsschutzes ist der Ver-

sicherer grundsätzlich frei. Es obliegt ihm also, zu ent-

scheiden, ob er ein bestimmtes Risiko übernimmt oder nicht. Al-

lerdings muss er mit seiner Risikoumschreibung den berechtigten

Deckungserwartungen des VN entsprechen. Die Risikoumschreibung

des Versicherers kann also im Wege der Inhaltskontrolle (§ 879

Abs 3 ABGB) vom Richter überprüft werden.

2. Der Vorgang der Risikoumschreibung

a) Die Risikoumschreibung erfolgt in mehreren Schritten. Die

"primäre Risikoumschreibung" enthält die allgemeinste Umschrei-

bung der Gefahr (zB Begriff des Unfalles, der Krankheit etc.).

Aus dem Bereich, der im Wege der primären Risikoumschreibung in

die Deckung einbezogen wird, brechen im nächsten Arbeitsgang Ri-

sikoausschlüsse wieder Deckungsbereiche heraus ("sekundäre Risi-

koumschreibung"). In weiterer Folge können Risikoeinschlüsse den

Anwendungsbereich der Risikoausschlüsse wieder teilweise besei-

tigen ("tertiäre Risikoumschreibung") etc.

Die einzelnen Schritte der Risikoumschreibung haben für die Be-

weislastverteilung Bedeutung. Der VN muss das Eingreifen der

primären Risikoumschreibung beweisen, der Versicherer dagegen

die Voraussetzung des Eingreifens von Risikoausschlüssen etc.

b) Risikoausschlüsse wirken objektiv, es kommt bei ihnen - an-

ders als bei Obliegenheiten - auf das Verschulden des VN nicht

an. Sie greifen auch unabhängig davon ein, wer sie verwirklicht,

sodass sich kein "Repräsentantenproblem" ergibt. Es gibt jedoch

auch subjektive Risikoausschlüsse, zu denen vor allem die Vor-

schriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalles gehö-

ren.

c) Die Risikoumschreibung hat die einzelnen Aspekte des Risikos

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zu umfassen, also den ursächlichen, gegenständlichen, inhalt-

lichen, persönlichen, örtlichen und zeitlichen Deckungsbereich

eines Versicherungsvertrages.

C) Die höhenmäßige Begrenzung des versicherten Risikos

1. Versicherungssumme

a) Die Versicherungssumme bezeichnet den Höchstbetrag der Leis-

tung des Versicherers (vgl § 50 VersVG). Sie spielt de facto in

allen Versicherungszweigen eine Rolle, und zwar sowohl in der

Schadens- wie auch in der Summenversicherung.

b) In der Summenversicherung ist die Vereinbarung einer Ver-

sicherungssumme unbedingt notwendig. In der Schadensversicherung

gilt das an sich nicht. Handelt es sich um eine Aktivenversiche-

rung, so ergibt sich eine natürliche Begrenzung der Deckungs-

pflicht des Versicherers ohnehin aus § 55 VersVG (versicherungs-

rechtliches Bereicherungsverbot).

In der Passivenversicherung (Hauptbeispiel: Haftpflichtver-

sicherung) gibt es eine solche Begrenzung nicht, sodass ohne

Nennung einer Versicherungssumme eine unbegrenzte Deckung des

Versicherers ("illimitè-Deckung") gegeben wäre.

c) In der Praxis sind jedoch in beiden Formen der Schadensver-

sicherung Versicherungssummen üblich. In der Aktivenversicherung

sollte die Versicherungssumme dem Versicherungswert entsprechen,

damit keine Unterversicherung eintritt (§ 56 VersVG). In der

Passivenversicherung gibt es zwar keine Unterversicherung im

technischen Sinn, doch sollte auch dort die Versicherungssumme

dem Bedarf des VN (also zB in der Haftpflichtversicherung: sei-

nem Haftungspotential) entsprechen.

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2. Schadenshöhe

a) Während bei einer Summenversicherung nur die Versicherungs-

summe leistungsbegrenzend wirkt, tritt bei jeder Schadens-

versicherung (also sowohl bei der Aktiven- wie auch bei der Pas-

sivenversicherung) die Schadenshöhe als zweiter leistungs-

begrenzender Faktor hinzu. Es gilt das versicherungsrechtliche

Bereicherungsverbot (§ 55 VersVG), das nun nicht mehr als zwin-

gender Grundsatz gilt.

b) Im Versicherungsrecht gilt das "Einzelschadenprinzip": Er-

setzt wird nur der versicherte Schaden. Dazu sind insbesondere

die §§ 52, 53 VersVG zu beachten. Nach § 52 VersVG ist bei einer

bloßen Versicherung des Sachinteresses nur der reine Sachschaden

zu ersetzen. Der Ersatz des "Gewinninteresses", das zB in der

Betriebsunterbrechungsversicherung eine Rolle spielt, müsste ge-

sondert versichert werden (§ 53 VersVG).

3. Versicherungswert

In der Aktivenversicherung kommt als dritter leistungsbegrenzen-

der Faktor noch der Versicherungswert in Betracht, der vor allem

im Zusammenhang mit der Unterversicherung eine Rolle spielt; vgl

dazu dort.

D) Fälligkeit der Leistung des Versicherers

1. Die Fälligkeit der Versichererleistung ist in § 11 VersVG

geregelt (vgl zur Haftpflichtversicherung § 154 Abs 1 VersVG).

Danach sind Geldleistungen mit Beendigung der zur Feststellung

des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des Versi-

cherers nötigen Erhebungen fällig. Fälligkeit ist also dann ge-

geben, wenn der Versicherer sich über die Sach- und Rechtslage

ein ausreichend sicheres Bild machen kann. Dabei ist jedoch auf

einen objektiven Maßstab abzustellen.

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2. Vor Beendigung eines Sachverständigenverfahrens kann Fällig-

keit nicht eintreten (vgl dazu unten bei §§ 64, 65 VersVG).

3. Der VN kann jedoch auch schon vor Fälligkeit Abschlagszah-

lungen in Höhe des Betrages verlangen, den der Versicherer nach

Lage der Sache mindestens zu zahlen hat. Diese Zahlungspflicht

setzt ein, sofern die Erhebungen bis zum Ablaufe eines Monates

seit der Anzeige des Versicherungsfalles seitens des Versiche-

rers nicht beendet sind (§ 11 Abs 2 VersVG. Der Lauf dieser

Frist ist gehemmt, solange die Beendigung der Erhebungen in Fol-

ge eines Verschuldens des VN gehindert ist (§ 11 Abs 3 VersVG).

4. Ausserdem sieht § 11 Abs 1 Satz 2 VersVG (eingefügt durch

die VersVG-Novelle 1994) vor, dass die Fälligkeit unabhängig von

der Beendigung der Erhebungen eintritt, wenn der VN nach Ablauf

zweier Monate seit dem Begehren nach einer Geldleistung eine Er-

klärung des Versicherers verlangt, aus welchen Gründen die Erhe-

bungen noch nicht beendet werden konnten, und der Versicherer

diesem Verlangen nicht binnen eines Monats entspricht.

E) Verjährung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag

1. § 12 VersVG enthält eine eigenständige Verjährungsvorschrift

für "Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag" (also nicht nur für

die Ansprüche des VN, sondern auch für jene des Versicherers),

die durch die VersVG-Novelle 1994 an die Verjährungsvorschriften

des ABGB angenähert wurden. Die Ansprüche verjähren grundsätz-

lich in drei Jahren ab dem Zeitpunkt, in dem sie erstmals gel-

tend gemacht werden können, also unabhängig von einer Kenntnis

des Berechtigten. Nur wenn der Anspruch einem Dritten zusteht,

beginnt die Verjährung erst zu laufen, sobald diesem sein Recht

auf die Leistung des Versicherers bekannt geworden ist. Jeden-

falls verjähren diese Rechte jedoch nach einer absoluten Frist

von 10 Jahren.

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2. § 12 Abs 2 enthält eine Abweichung vom Bürgerlichen Recht.

Die Geltendmachung eines Anspruches bedeutet nach Bürgerlichem

Recht keinen Hemmungsgrund gemäß § 1494 ABGB. Gemäß § 12 Abs 2

VersVG hemmt die "Anmeldung" des Anspruches des VN dagegen die

Verjährung bis zum Einlangen der schriftlichen Entscheidung des

Versicherers (Fortlaufshemmung). An die „Anmeldung“ werden keine

hohen Anforderungen gestellt. Es genügt auch die bloße Schaden-

meldung.

3. Besonders bedeutsam ist die Möglichkeit der qualifizierten

Ablehnung des Anspruches des VN gemäß § 12 Abs 3 VersVG ("Klags-

fristsetzung"). Wenn der Versicherer einen Anspruch schriftlich

abgelehnt hat, muss der VN binnen 12 Monaten gerichtlich klagen,

widrigenfalls der Versicherer leistungsfrei ist, auch wenn er

der Sache nach leistungspflichtig wäre. Das Verstreichen der

Frist hat also rechtsvernichtende Wirkung. Den Versicherer

trifft aber eine Hinweispflicht, bei deren Nichtwahrnehmung er

sich auf die qualifizierte Ablehnung nicht berufen kann. Außer-

dem ist die Klagsfrist für die Dauer von Vergleichsverhandlungen

und in dem Fall, dass der VN unverschuldet an der gerichtlichen

Geltendmachung verhindert ist, gehemmt.

F) Verfügungen über den Versicherungsanspruch

1. Verfügungen des VN

a) Innenverfügungen

Innenverfügungen sind solche, die nur das Verhältnis zwischen

Versicherer und VN betreffen (zB Verzicht, Erlass etc). Sie sind

ohne weiteres möglich. Ausnahme: § 156 Abs 1 VersVG (Unwirksam-

keit von Verfügungen über den Deckungsanspruch gegenüber dem ge-

schädigten Dritten.

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b) Außenverfügungen

aa) Bei Außenverfügungen macht der VN von seinem Deckungsan-

spruch mit Wirkung gegenüber Dritten Gebrauch (Verpfändung, Ab-

tretung, Vinkulierung). Außenverfügungen sind ebenfalls grund-

sätzlich zulässig, sofern es keine gesetzlichen oder vertragli-

chen Hindernisse gibt.

bb) Gesetzliche Hindernisse sind zB in den §§ 15 Abs 1, 98 und

156 Abs 1 positiviert.

cc) Viele AVB enthalten vertragliche Abtretungs- bzw Verpfän-

dungsverbote, solange der Anspruch des VN noch nicht endgültig

festgestellt ist. Diese Verbote wirken nach der nunmehrigen Ju-

dikatur des OGH absolut, das heisst, dass Abtretungen entgegen

dem Verbot wirkungslos sind, sodass eine Übertragung der Forde-

rung gar nicht erfolgt; der OGH hält sie auch nicht für gröblich

benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB.

Die Wirksamkeit von Zessionsverboten zwischen Unternehmern ist

nun durch § 1396a ABGB eingeschränkt worden.

dd) Abtretungen und Verpfändungen von Versicherungsforderungen

verschaffen dem Zessionar bzw dem Pfandgläubiger ein Recht an

der Versicherungsforderung selbst. Die "Vinkulierung" von Versi-

cherungsforderungen, die vor allem in der Lebensversicherung und

in der Kaskoversicherung vorkommt, bewirkt dagegen nur ein

Sperrecht des Vinkulargläubigers: Er kann die Auszahlung der

Versicherungsleistung an den VN verhindern, hat jedoch kein

Recht an der Forderung selbst erworben, sodass er im Versiche-

rungsfall nicht direkt gegen den Versicherer vorgehen kann. Die

"Vinkulierung" der Versicherungssumme in der Feuerversicherung

(§§ 100 ff VersVG) setzt hingegen das Bestehen eines Pfandrechts

des Hypothekargläubigers voraus und ist mit der eben beschrie-

benen Vinkulierung nicht zu verwechseln.

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ee) Zu den bürgerlichrechtlichen Möglichkeiten der Verfügung

über den Versicherungsanspruch kommt als spezifisch versiche-

rungsrechtliche Möglichkeit jene der Begünstigung (Bezugsberech-

tigung) hinzu (§§ 166 ff, 180 VersVG; dazu weiter unten).

2. Die Versicherungsforderung als Zugriffsobjekt für Dritte

a) Die Versicherungsforderung stellt im Allgemeinen einen Ver-

mögenswert dar, der dem Zugriff Dritter offensteht und daher

auch von ihnen gepfändet werden kann.

b) Von diesem Grundsatz gibt es jedoch wieder Ausnahmen (vgl §

15 Satz 2, § 98 letzter Satz VersVG, Befreiungsanspruch in der

Haftpflichtversicherung). Ein vertragliches Abtretungs- und Ver-

pfändungsverbot verhindert jedoch ebenso wenig wie die Vinkulie-

rung die Möglichkeit der Pfändung durch den Gläubiger.

§ 10 Vorschriften für die gesamte Schadensversicherung

I. Vorbemerkung

Die Schilderung der Vorschriften für die gesamte Schadens-

versicherung orientiert sich an der Paragraphenfolge.

II. Geldersatz oder Naturalleistung (§ 49 VersVG)

Gemäß § 49 VersVG hat der Versicherer den Schadenersatz in Geld

zu leisten. Dieser Grundsatz ist jedoch nicht zwingend, es kann

auch Naturalersatz geleistet werden. Naturalersatz in der unmit-

telbaren Bedeutung des Wortes kommt heute freilich nicht mehr

vor (früher zB in der Glasversicherung). Es darf jedoch nicht

übersehen werden, dass die Leistung des Haftpflichtversicherers

(Rechtsschutzfunktion, Befriedigungsfunktion) auch eine Natural-

leistung darstellt, da in der Haftpflichtversicherung in der

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heutigen Gestaltung der VN gar nicht in die Lage kommt, selbst

Geld aufwenden zu müssen, sondern von dieser Notwendigkeit durch

die Versicherung befreit wird.

III. Versicherungssumme als Leistungsbegrenzung (§ 50)

1. Wie oben bereits erwähnt, ist die Versicherungssumme in der

Schadensversicherung zwar nicht unbedingt nötig, doch völlig üb-

lich. Sie stellt das Maximum dessen dar, was der Versicherer zu

leisten verpflichtet ist. Allerdings kann der Versicherer uU ge-

zwungen sein, mehr zu zahlen als die Versicherungssumme; vgl §

63 Abs 1, § 150 Abs 2 VersVG.

2. Zu den weiteren Leistungsbegrenzungsfaktoren Schadenshöhe

und Versicherungswert vgl oben und bei der Besprechung des ver-

sicherungsrechtlichen Bereicherungsverbots (§ 55 VersVG) und der

Über- bzw Unterversicherung (§§ 51, 56 VersVG).

IV. Überversicherung (§ 51)

A) Einfache Überversicherung

Die einfache Überversicherung liegt dann vor, wenn die Versiche-

rungssumme den Versicherungswert erheblich (also um mehr als

10%) übersteigt. In diesem Fall kann sowohl der VN wie auch der

Versicherer verlangen, dass die Versicherungssumme unter ver-

hältnismäßiger Minderung der Prämie mit sofortiger Wirkung her-

abgesetzt wird (Wirkung "ex nunc", keine Rückwirkung, daher ins-

besondere keine Rückzahlung bereits verbrauchter zuviel gezahl-

ter Prämien). Eine Herabsetzung mit Rückwirkung erfolgt nur im

Fall des § 51 Abs 2 VersVG.

B) Betrügerische Überversicherung

Wenn der VN den Vertrag in der Absicht abschliesst, sich aus der

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Überversicherung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu ver-

schaffen, so ist der Vertrag nichtig (§ 51 Abs 4 VersVG).

V. Versicherungswert (§§ 52, 53 VersVG)

Die §§ 52, 53 VersVG enthalten Regelungen über den Versiche-

rungswert, die freilich nur Ausschnitte aus der Problematik be-

treffen. Die näheren Bestimmungen über die Ermittlung des Versi-

cherungswerts befinden sich in den AVB der Aktivenversicherung

(in der Passivenversicherung gibt es ja keinen Ver-

sicherungswert).

VI. Inbegriffsversicherung (§ 54 VersVG)

Ist die Versicherung für einen Inbegriff von Sachen genommen, so

umfasst sie die jeweils zu dem Inbegriff gehörigen Sachen. Sa-

chen, die neu zum Inbegriff (zB zum Haushalt oder zu einem Un-

ternehmen) dazustoßen, sind automatisch mitversichert, andere,

die aus dem Inbegriff ausscheiden, sind nicht mehr versichert;

in diesem Fall kommen also die Vorschriften über die Veräußerung

der versicherten Sache nicht zur Anwendung.

VII. Versicherungsrechtliches Bereicherungsverbot (§ 55 VersVG)

A) Gemäß § 55 VersVG ist der Versicherer, auch wenn die Ver-

sicherungssumme höher ist als der Versicherungswert zur Zeit des

Eintrittes des Versicherungsfalles, nicht verpflichtet, dem VN

mehr als den Betrag des Schadens zu ersetzen.

Dieses versicherungsrechtliches Bereicherungsverbot gilt für den

gesamten Bereich der Schadensversicherung, also auch für die

Passivenversicherung. Es galt lange als absolut zwingend. In

neuerer Zeit wird es aber zunehmend (in gewissen Grenzen) als

abdingbar angesehen.

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B) Durchbrechungen des Bereicherungsverbotes

1. Neuwertversicherung

Die Neuwertversicherung setzt sich aus zwei Schadenversiche-

rungskomponenten zusammen, nämlich aus einer Aktivenversicherung

bis zur Höhe des Zeitwerts und einer Passivenversicherung für

die Neuwertdifferenz, die als Versicherung gegen notwendige Auf-

wendungen ausgestaltet ist. Durch diese Konstruktion konnten Be-

denken entkräftet werden, die in der Neuwertversicherung einen

Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Bereicherungsverbot

erblickten.

2. Taxe

Bei jeder Aktivenversicherung kann der VN mit dem Versicherer

eine Vereinbarung treffen, wonach der Versicherungswert auf ei-

nen bestimmten Betrag festgesetzt wird ("Anfangswert"). In die-

sem Fall gilt der taxierte Versicherungswert auch als der Wert,

den das versicherte Interesse zur Zeit des Eintritts des Versi-

cherungsfalles hat ("Ersatzwert").

Die Differenz zwischen dem wirklichen Wert und der Taxe darf

aber nicht allzu krass sein. Der Versicherer kann beweisen, dass

die Taxe den Ersatzwert erheblich (dh: um mehr als 10%) über-

steigt und muss dann lediglich den tatsächlichen Wert ersetzen.

VIII. Unterversicherung (§ 56 VersVG)

A) In der Aktivenversicherung sollte die Versicherungssumme

grundsätzlich dem Versicherungswert entsprechen ("Vollwert-

versicherung"). Ist das nicht der Fall, dann liegt Unterversi-

cherung vor, die zur Anwendung der Proportionalitätsregel des §

56 VersVG führt: Der Versicherer haftet für den Schaden nur nach

dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert.

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Die Proportionalitätsregel kommt nicht nur beim Ersatz des Ver-

sicherungsschadens im engeren Sinne, sondern auch beim Ersatz

von Aufwendungen zur Anwendung (vgl § 63 Abs 2, § 66 Abs 3

VersVG).

B) § 56 VersVG ist aber nicht zwingend. Es kann daher vereinbart

werden, dass Unterversicherung bis zu einem gewissen Prozentsatz

nicht schadet, oder sogar auf die Anwendung der Proportionali-

tätsregel überhaupt verzichtet werden. Das ist bei der "Versi-

cherung auf erstes Risiko" ("premier-risque-Versicherung") der

Fall, bei der der Versicherer jeden Schaden bis zur Höhe der

Versicherungssumme in vollem Umfang ersetzt.

C) Zur Auswirkung einer Unterversicherung bei Taxierung des

Versicherungswerts vgl § 57 Schlusssatz VersVG.

IX. Mehrfachversicherung (§§ 58 ff VersVG)

A) Arten der Mehrfachversicherung

Mehrfachversicherung liegt vor, wenn ein- und dasselbe Risiko

bei mehreren Versicherern versichert ist.

1. Mitversicherung

Bei der Mitversicherung arbeiten mehrere Versicherer bewusst und

gewollt zusammen, um ein Risiko gemeinsam zu tragen. Die Mitver-

sicherer sind Teilschuldner, einer von ihnen wird "Führender",

der bevollmächtigt ist, im Namen aller dem VN gegenüberzutreten

und insbesondere auch den Versicherungsfall abwickeln.

2. Nebenversicherung (§ 58 VersVG)

Bei der Nebenversicherung liegt kein bewusstes und gewolltes Zu-

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sammenwirken der Versicherer vor, die ein- und dasselbe Risiko

versichern, die Versicherungssummen übersteigen insgesamt - im

Gegensatz zur Doppelversicherung - den Versicherungswert nicht.

Dennoch besteht auch hier bereits eine Anzeigepflicht des VN,

die im Gesetz eine lex imperfecta darstellt.

Diese Anzeigepflicht ist eine schlichte Obliegenheit, die nur in

der Schadensversicherung gesetzlich angeordnet ist. In der Sum-

menversicherung müssen daher entsprechende Anzeigeobliegenheiten

in den AVB vorgesehen sein.

3. Doppelversicherung

Die Doppelversicherung unterscheidet sich von der Nebenver-

sicherung dadurch, dass die Versicherungssummen aus den Verträ-

gen mit mehreren Versicherern zusammen den Versicherungswert

übersteigen oder aus anderen Gründen die Summe der Entschädigun-

gen, die von jedem einzelnen Versicherer ohne Bestehen der ande-

ren Versicherung zu zahlen wären, den Gesamtschaden übersteigt.

Die Doppelversicherung kann daher nicht nur in der Aktivenversi-

cherung, sondern auch in der Passivenversicherung (zB als Dop-

pelhaftpflichtversicherung) vorkommen.

B) Rechtsfolgen der Doppelversicherung

1. Anzeigepflicht (§ 58 VersVG)

2. Betrügerische Doppelversicherung (§ 59 Abs 3 VersVG)

Der Versicherungsvertrag ist nichtig.

3. Einfache Doppelversicherung

a) Beseitigung der Doppelversicherung (§ 60 VersVG)

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Vor Eintritt eines Versicherungsfalles kann der VN Aufhebung o-

der Herabsetzung der Doppelversicherung verlangen. Dieses Ge-

staltungsrecht trifft grundsätzlich den später abgeschlossenen

Versicherungsvertrag.

b) Gesamtschuldnerische Haftung im Außenverhältnis

aa) Im Außenverhältnis kommt es zu einer gesamtschuldnerischen

Haftung der beteiligten Versicherer, allerdings nur im Rahmen

der „Alleinverpflichtung“ des Versicherers. Der VN kann jeden-

falls nicht mehr als den Betrag des Schadens verlangen (Ausfluss

des versicherungsrechtlichen Bereicherungsverbots).

bb) Zur Vermeidung von Doppelversicherungen sehen Versicherungs-

verträge oder AVB oft "Subsidiaritätsklauseln" vor, nach denen

die Deckung aus einem Vertrag dann nicht eingreifen soll, wenn

schon Deckung aus einem anderen Vertrag besteht. Diese Klauseln

sind zulässig, bereiten jedoch Schwierigkeiten, wenn jeder der

beteiligten Versicherer eine Subsidiaritätsklausel vereinbart

hat.

c) Interner Ausgleich der Versicherer (§ 59 Abs 2 VersVG)

aa) Gemäß § 59 Abs 2 sind die Versicherer im Innenverhältnis zu

Anteilen nach Maßgabe der Beträge verpflichtet, deren Zahlung

ihnen dem VN gegenüber vertragsmäßig obliegt ("Ausgleich nach

dem Alleinverpflichtungsverhältnis"). Der Versicherer, der den

Schaden liquidiert hat, hat also gegenüber dem anderen Versiche-

rer einen Ausgleichsanspruch.

bb) Die Versicherer können allerdings auch bereits vorweg für

den Fall einer Doppelversicherung Ausgleichsvereinbarungen

(„Teilungsabkommen“) treffen, die in der Praxis häufig vorkommen

(zB Richtlinie über die Verteilung der Prozesskostenlast zwi-

schen Haftpflicht- und Rechtschutzversicherer bei einer Com-

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pensando-Forderung im Passivprozess).

X. Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VersVG)

A) Gemäß § 61 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung

zur Leistung frei, wenn der VN den Versicherungsfall vorsätzlich

oder grob fahrlässig herbeiführt.

§ 61 ist nicht die einzige Vorschrift, die in der Schadens-

versicherung die Problematik der Herbeiführung des Versiche-

rungsfalles regelt. Besonders wichtig ist § 152 VersVG, nach dem

in der Haftpflichtversicherung erst Vorsatz des VN die Leis-

tungspflicht des Versicherers entfallen lässt. Vgl zur Trans-

portversicherung § 130 VersVG.

B) § 61 VersVG geht nach der Judikatur vom „Selbstverschuldens-

prinzip“ aus. Dem VN soll es also nur schaden, wenn er selbst

den Versicherungsfall herbeiführt. Bei der VffR führt allerdings

auch das Verhalten des Versicherten zum Entfall der Leistung

(§ 78 VersVG).

Das „Selbstverschuldensprinzip“ ist aus dem VersVG entgegen der

Judikatur nicht ableitbar. Der VN muss daher zB für den soge-

nannten „Gefahrverwalter“ („Risikoverwalter“) einstehen.

C) § 61 VersVG ist nur dispositiv und kann - ebenso wie § 152

VersVG - abgeändert werden. Es ist daher möglich, dass der für

die Leistungsfreiheit des Versicherers erforderliche Ver-

schuldensgrad herabgesetzt und dem Verhalten des VN auch das

Verhalten gewisser anderer Personen (zB leitender Angestellter)

gleichgestellt wird. Entsprechende Erweiterungen des Anwendungs-

bereiches der Vorschriften über die Herbeiführung des Versiche-

rungsfalles unterliegen aber der richterlichen Inhaltskontrolle.

D) § 61 VersVG ist ein subjektiver Risikoausschluss. Die Vo-

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raussetzungen für sein Eingreifen hat der Versicherer zu bewei-

sen.

E) Zu den Parallelvorschriften im Bereich der Lebensversiche-

rung (§§ 169, 170 VersVG), der Krankenversicherung (§ 178 l

VersVG) und der Unfallversicherung (§ 181 VersVG) vgl dort.

XI. Sachverständigenverfahren (§§ 64, 65 VersVG)

A) In AVB oder auch im Einzelvertrag kann vereinbart werden,

dass einzelne Voraussetzungen des Anspruches aus der Versiche-

rung (zB die Invalidität) oder die Höhe des Schadens durch Sach-

verständige festgestellt werden soll. Diese Sachverständigen

sind keine Schiedsrichter im Sinne der Zivilprozessordnung, son-

dern bloße Schiedsgutachter.

Sachverständigenverfahren kommen in vielen AVB vor (vgl ABS,

ARB, AUVB). Die Zusammensetzung der Sachverständigen, die Be-

zeichnungen (zB "Ärztekommission" in den AUVB) und die Regelung

der Kostentragung ist unterschiedlich. Zwingend ist lediglich §

64 Abs 1 Satz 1 VersVG.

B) Solange das Sachverständigenverfahren nicht beendet ist,

liegt Fälligkeit der Versicherungsleistung noch nicht vor, so-

dass eine Deckungsklage des VN mangels Fälligkeit abgewiesen

werden müsste; eine Feststellungsklage ist möglich. Vor Einlei-

tung eines Sachverständigenverfahrens kann der VN jedoch ohne-

weiteres die Deckungsklage einbringen (vgl Art 9.3. ARB 1994).

C) Eine Bindung an die Entscheidung der Sachverständigen besteht

nicht, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich

abweicht (§ 64 Abs 2 VersVG).

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XII. Schadenermittlungskosten (§ 66 VersVG)

Gemäß § 66 VersVG hat der Versicherer dem VN die Kosten, welche

durch die Ermittlung und Feststellung des ihm zur Last fallenden

Schadens entstehen, insoweit zu ersetzen, als ihre Aufwendung

den Umständen nach geboten war. Diese "Schadenermittlungskosten"

spielen vor allem in der Technischen Versicherung eine Rolle,

bei der es oft erst einer aufwendigen Prüfung bedarf, um festzu-

stellen, ob überhaupt ein deckungspflichtiger Schaden vorliegt.

Die Schadenermittlungskosten sind jedoch nur im Rahmen der Ver-

sicherungssumme zu ersetzen.

XIII. Legalzession (§ 67 VersVG) (Grundzüge)

A) Gemäß § 67 Abs 1 Satz 1 VersVG geht ein dem VN gegen einen

Dritten zustehender Schadenersatzanspruch auf den Versicherer

über, soweit dieser dem VN den Schaden ersetzt.

1. "Schadenersatzanspruch" ist weit zu verstehen, auch Rück-

griffs-, Ausgleichs- und Bereicherungsansprüche des VN gehen auf

den Versicherer über.

2. "Dritter" ist jeder, der nicht VN oder Versicherter ist. Ge-

gen mitversicherte Personen kann also nicht regressiert werden.

3. Der Anspruch geht so über, wie er beim VN bestand. Der Re-

gressanspruch des Versicherers unterliegt daher denselben Regeln

wie der Anspruch des VN. Das hat zB für die Verjährung und für

die Einwendungen des Schädigers (Mitverschulden, Mäßigungsrecht

nach DHG) Bedeutung.

4. Der Übergang erfolgt (im Gegensatz zu § 332 ASVG) erst im

Zeitpunkt des Ersatzes durch den Versicherer und auch nur inso-

weit der Versicherer Ersatz leistet. Es gehen daher nur jene An-

sprüche des VN auf den Versicherer über, die den Leistungen des

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Versicherers "kongruent" sind, ihnen also entsprechen. Die ande-

ren Ansprüche des VN ("Direktansprüche") bleiben bei ihm.

Beispiel: In der Kaskoversicherung ersetzt der Versicherer den

merkantilen Minderwert und den entgangenen Gewinn nicht. Die

entsprechenden Schadenersatzansprüche verbleiben daher beim VN.

B) Ausschluss des Familienregresses

Gemäß § 67 Abs 2 VersVG ist der Übergang ausgeschlossen, wenn

sich der Ersatzanspruch des VN gegen einen mit ihm in häuslicher

Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen richtet. Der Anspruch

geht nur über, wenn der Angehörige den Schaden vorsätzlich ver-

ursacht hat.

Die häusliche Gemeinschaft muss im Zeitpunkt des Versiche-

rungsfalles bestehen. Der OGH hat vor kurzem ausgesprochen, dass

auch der Lebensgefährte "Familienangehöriger" ist.

XIV. Fehlen bzw Wegfall des Interesses (§ 68 VersVG)

A) § 68 VersVG regelt die Auswirkungen des Fehlens bzw des Weg-

falls des Interesses auf den Versicherungsvertrag. Ein "Interes-

se", also eine Wertbeziehung zwischen dem VN und einer Sache,

gibt es allerdings nur in der Aktivenversicherung. Der Anwen-

dungsbereich des § 68 VersVG geht über die Aktivenversicherung

jedoch hinaus und umfasst ganz allgemein die Problematik des

Fehlens bzw des Wegfalls der Gefahr (des Risikos) des Versiche-

rers.

B) Bei Fehlen oder Nichtzustandekommen des Interesses kann der

Versicherer gemäß § 68 Abs 1 nur eine angemessene Geschäfts-

gebühr verlangen; zu einer Risikotragung kommt es ja nicht.

C) Bei nachträglichem Wegfall des versicherten Interesses ge-

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bührt dem Versicherer die Prämie, die er hätte erheben können,

wenn die Versicherung nur bis zu dem Zeitpunkt beantragt worden

wäre, in welchem der Versicherer vom Wegfall des Interesses

Kenntnis erlangt hat.

D) Fällt das Interesse dadurch nachträglich weg, dass der Ver-

sicherungsfall eintritt, dann kann der Versicherer nur die pro-

rata-Prämie verlangen (§ 40 VersVG). Der alte Abs 5 des § 68

VersVG, der dem Versicherer für diesen Fall die gesamte Jahres-

prämie zubilligte, wurde gestrichen.

E) Interessewegfall (Gefahrenwegfall) liegt nur dann vor, wenn

die Verwirklichung des versicherten Risikos ausgeschlossen ist.

Das ist zB nicht der Fall, wenn eine Gebäudehaftpflicht-

versicherung besteht und das Haus so abgebrannt ist, dass noch

Mauern stehen, weil hier immer noch die Möglichkeit besteht,

dass der VN wegen Vernachlässigung seiner Pflichten als Ge-

bäudehalter schadenersatzrechtlich in Anspruch genommen wird.

XV. Veräußerung der versicherten Sache (§§ 69 - 73 VersVG)

A) Die Veräußerung der versicherten Sache würde an sich das Er-

löschen des Versicherungsvertrages gemäß § 68 Abs 2 VersVG be-

deuten, da der Veräußerer von einer Schädigung der Sache nicht

mehr betroffen ist. Dadurch entstünde ein versicherungsfreier

Zeitraum, bis der Erwerber eine eigene Versicherung abschließt.

Die §§ 69 ff VersVG wollen diese Lücke schließen und ordnen ei-

nen gesetzlichen Vertragsübergang auf den Erwerber an.

Die §§ 69 ff VersVG sind jedoch nur in der Aktivenversicherung

anwendbar. In der Passivenversicherung fehlt es ja an einer

"versicherten Sache", sodass dort ein Vertragsübergang nur dann

erfolgen kann, wenn es eine entsprechende gesetzliche Regelung

gibt. Vgl § 151 Abs 2 VersVG (Betriebshaftpflichtversicherung),

§ 158 o VersVG (Betriebs-Rechtsschutzversicherung) und § 158 f

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VersVG (Pflichthaftpflichtversicherung).

B) Das Versicherungsverhältnis geht auf den Erwerber ebenso

über, wie es mit dem Veräußerer bestanden hatte (also zB auch

belastet durch Prämienzahlungsverzug, Obliegenheitsverletzungen

des Veräußerers etc). Von diesem Grundsatz wird nur im Bonus-

Malussystem abgewichen; der Schadenverlauf des Vormannes tan-

giert den Erwerber nicht, weder positiv noch negativ.

C) Beide neue Vertragspartner (also der Versicherer und der Er-

werber) können gemäß § 70 VersVG den Versicherungsvertrag kündi-

gen, der Versicherer nur mit Monatsfrist, der Erwerber mit so-

fortiger Wirkung oder auf den Schluss der laufenden Versiche-

rungsperiode. Die Kündigung hat zur Folge, dass für die Prämie

für die laufenden Versicherungsperiode nur der Veräußerer haf-

tet; der Erwerber wird durch diese Kündigung also von seiner So-

lidarhaftung für die Prämie aus der laufenden Versicherungsperi-

ode (§ 69 Abs 2 VersVG) befreit.

Beide Vertragspartner haben eine "Frist zur Kündigung" (Klar-

stellungserfordernis): Wenn das Kündigungsrecht nicht innerhalb

eines Monats ab Kenntnis ausgeübt wird, erlischt es.

Unwirksame Kündigungen muss der Versicherer zurückweisen, widri-

genfalls er die Kündigung gegen sich gelten lassen muss ("Kündi-

gungszurückweisungspflicht").

D) Die Veräußerung ist dem Versicherer gemäß § 71 VersVG sowohl

vom Veräußerer wie auch vom Erwerber anzuzeigen. Bei Verletzung

dieser (schlichten) Obliegenheit droht Leistungsfreiheit, aller-

dings nur, wenn der Versicherungsfall später als ein Monat nach

dem Zeitpunkt eintritt, in welchem die Anzeige dem Versicherer

hätte zugehen müssen. Diese "Schonfrist" erklärt sich daraus,

dass der Versicherer auch nur unter Einhaltung einer Monatsfrist

kündigen hätte können (§ 70 Abs 1 VersVG). Vgl im Übrigen die

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Ausführungen oben zu dieser gesetzlichen Obliegenheit.

E) "Veräußerung" im Sinne der §§ 69 ff VersVG ist nur die Ein-

zelrechtsnachfolge, nicht die Gesamtrechtsnachfolge. Bei der Ge-

samtrechtsnachfolge (zB Erbfolge, echte Fusion) gibt es daher

kein Kündigungsrecht.

"Veräußerung" ist zB Kauf, Tausch, Schenkung, Sicherungsüber-

eignung, Einbringung eines einzelkaufmännischen Unternehmens in

eine OHG, KG, GmbH oder AG.

F) Für die Veräußerung kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Ab-

schlusses des Veräußerungsvertrages, sondern auf den Zeitpunkt

der Änderung in der sachenrechtlichen Zuständigkeit an, die

durch Übergabe erfolgt. Dieser Zeitpunkt ist also sowohl für den

Übergang des Vertrages wie auch für die Kündigungsmöglichkeit

(bzw auch Kündigungsnotwendigkeit) entscheidend.

Bei Liegenschaften ist "Veräußerung" im Sinne des § 69 VersVG

mit Eintragung im Grundbuch gegeben, genauer noch: mit Zustel-

lung des Einverleibungsbeschlusses an den Erwerber.

XVI. Versicherung für fremde Rechnung (§§ 74 - 80 VersVG)

A) § 74 Abs 1 VersVG sieht die Möglichkeit vor, dass eine Ver-

sicherung von demjenigen, welcher den Vertrag mit dem Ver-

sicherer abschließt, im eigenen Namen für einen anderen abge-

schlossen wird, mit oder ohne Benennung der Person des Versi-

cherten.

Bei der VffR tritt also neben den VN die Person des Versicher-

ten, in dessen Interesse die Versicherung abgeschlossen wird. Es

kommt damit zu einer "Rollenspaltung": Der VN ist der alleinige

Vertragspartner des Versicherers, er schuldet die Prämie, er

entscheidet auch über das Schicksal des Vertrages. Wirtschaft-

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lich soll aber das Interesse des Versicherten geschützt werden.

B) Im Zweifel ist Eigenversicherung anzunehmen. Eine VffR kann

sich jedoch auch "aus den Umständen" ergeben (§ 80 Abs 1

VersVG). Das Gesetz kennt ferner auch die Rechtsfigur der "Ver-

sicherung für Rechnung wen es angeht", bei der sowohl eigene wie

auch fremde Interessen versichert sind und die Regelungen der

VffR insoweit zur Anwendung kommen, als im konkreten Fall fremde

Interessen betroffen sind (§ 80 Abs 2 VersVG).

C) Die Rollenspaltung führt zu einer merkwürdigen gegenseitigen

Abhängigkeit der Stellungen des VN und des Versicherten: Die

Rechte aus dem Versicherungsvertrag stehen dem Versicherten zu

(§ 78 Abs 1 VersVG), dieser kann jedoch über diese Rechte nur

dann verfügen, wenn er im Besitz eines Versicherungsscheines ist

oder wenn der VN zustimmt. Andererseits kann der VN (als "Herr

des Vertrages") über die dem Versicherten aus dem Versicherungs-

vertrag zustehenden Rechte zwar im eigenen Namen verfügen, un-

terliegt aber gewissen Verfügungsbeschränkungen, die nur vom

Versicherten beseitigt werden können (vgl § 76 VersVG).

Diese wechselseitige Abhängigkeit erklärt sich aus dem Vor-

handensein eines Innenverhältnisses zwischen dem VN und dem Ver-

sicherten. Sie soll sichern, dass dieses Innenverhältnis geklärt

ist.

D) Die Rechtsstellung des Versicherten kann in den AVB ver-

stärkt, aber auch geschwächt werden. § 11 Abs 2 KHVG 1994 sieht

zB vor, dass der Versicherte seine Rechte auch selbständig gel-

tend machen kann. Umgekehrt können AVB auch anordnen, dass nur

der VN die Versicherungsleistung begehren kann.

E) Da der Versicherte derjenige ist, dem wirtschaftlich die

Versicherungsleistungen zugutekommen sollen, ordnet § 78 VersVG

an, dass auch die Kenntnis und das Verhalten des Versicherten

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den Versicherungsschutz beeinträchtigen können. Wenn also der

Versicherte den Versicherungsfall herbeiführt, Obliegenheiten

verletzt oder sich einer Gefahrerhöhung schuldig macht, so kann

das zur Leistungsfreiheit führen, obwohl dem VN selbst kein Vor-

wurf gemacht werden kann. Umgekehrt ist der Versicherte eben-

falls betroffen, wenn der VN Obliegenheiten verletzt oder den

Versicherungsfall herbeiführt.

In der Haftpflichtversicherung gilt das jedoch nicht, wenn nicht

nur die Interessen des VN, sondern auch jene anderer Personen

versichert sind. Hat also zB der befugte Lenker die Führer-

scheinklausel der AKHB verletzt, kann jedoch dem Halter und VN

keine Verletzung dieser Obliegenheit vorgeworfen werden, dann

ist der Versicherer zwar gegenüber dem Lenker, nicht jedoch auch

gegenüber dem VN leistungsfrei (Vgl § 11 Abs 3 KHVG 1994, Art

9.2. AKHB 2004).

§ 11 Feuerversicherung

I. Vorbemerkung

Aus dem Bereich der im Gesetz geregelten Zweige der Schadensver-

sicherung werden nur die Feuerversicherung und die Haftpflicht-

versicherung behandelt. In beiden Fällen wird nur auf jene Rege-

lungen eingegangen, die von zentraler Bedeutung sind und nicht

durch die Regelungen der AVB als weitgehend unbedeutend angese-

hen werden müssen.

In der Feuerversicherung werden daher nur die Bestimmungen über

die Wiederherstellungsklausel und über den Schutz des Hypothe-

kargläubigers in der Gebäudefeuerversicherung behandelt.

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II. Wiederherstellungsklausel

A) Einfache Wiederherstellungsklausel

Die einfache Wiederherstellungsklausel (§§ 97 bis 100 VersVG)

dient dem Schutz der Hypothekargläubiger und soll verhindern,

dass deren Sicherheit dadurch beeinträchtigt wird, dass die Ver-

sicherungssumme nicht zum Wiederaufbau verwendet wird.

B) Strenge Wiederherstellungsklausel

Die strenge Wiederherstellungsklausel dient dem Schutz des Ver-

sicherers vor Machinationen des VN, der versucht sein könnte,

die Gelegenheit des Brandes zu nützen, um einen ungünstigen

Standort zu verlassen. Sie sieht daher vor, dass der VN den An-

spruch auf die volle Versicherungsleistung nur dann erwirbt,

wenn er innerhalb einer bestimmten Zeit an derselben Stelle (o-

der zumindest im selben Gemeindegebiet oder in einem sonst wie

umschriebenen Bereich) wieder aufbaut. Andernfalls bekommt er

(in der Zeitwertversicherung) nur den Verkehrswert, in der Neu-

wertversicherung nur den Zeitwert. Vgl dazu Art 9 AFB.

Nach der Auffassung des OGH handelt es sich bei der Wiederher-

stellungsklausel (die auch in anderen Sparten der Sachversiche-

rung vorkommt) um einen Risikoausschluss. Die „Neuwertdifferenz“

ist daher nur im Fall der Wiederherstellung zu zahlen. Im Allge-

meinen genügt aber, dass sie „gesichert“ ist, etwa durch Ab-

schluss entsprechender Werkverträge.

III. Der Schutz des Hypothekargläubigers in der Gebäudefeuer-

versicherung

A) Vorbemerkung

Der Schutz des Hypothekargläubigers in der Gebäudefeuerver-

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sicherung ist unterschiedlich ausgestaltet, je nachdem, ob der

Gläubiger seine Hypothek dem Versicherer angemeldet hat oder

nicht. Der angemeldete Gläubiger genießt stets den stärkeren

Schutz.

B) Einfache Wiederherstellungsklausel (§§ 97 ff VersVG) Siehe

oben

C) Surrogationsprinzip

Durch den Untergang der Pfandsache würde nach ABGB auch das

Pfandrecht untergehen. § 100 Abs 1 VersVG sieht jedoch vor, dass

sich das Pfandrecht an einem versicherten Gebäude auch auf die

Entschädigungsforderung gegen den Versicherer erstreckt.

D) Zahlungssperre

Ohne Verständigung der Hypothekargläubiger kann der Versicherer

in der Gebäudefeuerversicherung die Versicherung nicht aus-

zahlen. Der angemeldete Hypothekargläubiger muss schriftlich zu-

stimmen. Der nicht Angemeldete muss widersprechen, um die Aus-

zahlung zu verhindern, hat also eine schwächere Position (vgl

genauer § 100 VersVG).

E) Verständigungspflichten

Gegenüber dem angemeldeten Hypothekargläubiger bestehen gemäß §

101 VersVG bestimmte Informationspflichten des Versicherers. Der

Versicherer hat dem Gläubiger vom Eintritt des Versiche-

rungsfalles, von einer qualifizierten Mahnung gemäß § 39 VersVG

und von einer Kündigung gemäß § 39 Abs 3 VersVG Mitteilung zu

machen.

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F) "Unanfechtbarkeit"

1. Gemäß §§ 102, 103 VersVG kann der Versicherer gegenüber dem

Hypothekargläubiger - ebenso, wie in der Pflichthaftpflicht-

versicherung gegenüber dem geschädigten Dritten - gewisse Leis-

tungsfreiheitstatbestände nicht oder nur in eingeschränktem Um-

fang geltend machen. Er hat den Gläubiger also trotz seiner in-

ternen Leistungsfreiheit zu befriedigen und erwirbt dafür ledig-

lich die Hypothek des Gläubigers gemäß § 104 VersVG.

2. § 102 VersVG ist mit § 158 c Abs 1 VersVG vergleichbar. Wenn

der Versicherer wegen des Verhaltens des VN (also zB wegen Ob-

liegenheitsverletzungen, Verletzungen der vorvertraglichen An-

zeigepflicht, aber auch - im Gegensatz zu § 158 c VersVG - bei

grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Herbeiführung des Versiche-

rungsfalles) leistungsfrei ist, so bleibt gleichwohl seine Ver-

pflichtung gegenüber einem Hypothekargläubiger bestehen. Das

gleiche gilt, wenn der Versicherer nach dem Eintritt des Versi-

cherungsfalles von dem Vertrag zurücktritt oder den Vertrag an-

ficht.

Zur Situation beim Prämienzahlungsverzug vgl § 102 Abs 2 VersVG.

3. Weniger stark ist der Schutz des Hypothekargläubigers, wenn

das Feuerversicherungsverhältnis durch Kündigung, Rücktritt,

Fristablauf etc beendet worden ist (§ 103 VersVG). Es kommt hier

lediglich - vergleichbar der Situation gemäß § 158 c Abs 2

VersVG - zu einer "Nachhaftung" des Versicherers für den Zeit-

raum von drei Monaten. § 103 VersVG gilt nur zugunsten des ange-

meldeten Hypothekargläubigers!

G) Interesseversicherung (vgl § 105 VersVG)

H) Kündigungsschutz (§ 106 VersVG)

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§ 12. Haftpflichtversicherung

I. Allgemeine Vorschriften (§§ 149 bis 158a VersVG)

A) Die beiden Funktionen der Haftpflichtversicherung

1. Befriedigungs- bzw Befreiungsfunktion

Abweichend von § 149 VersVG, der noch davon ausgeht, dass der VN

zuerst den Schaden zu liquidieren hat und dann vom Versicherer

Geldersatz zu fordern berechtigt ist, wird heute die Funktion

der Haftpflichtversicherung darin gesehen, den VN von zu Recht

bestehenden Ansprüchen Dritter zu befreien. Dieser Befreiungs-

anspruch ist ein Naturalanspruch.

2. Rechtschutz- oder Verteidigungsfunktion

Der Versicherer hat im Übrigen den VN auch gegen ungerechtfer-

tigte Ansprüche Dritter zu verteidigen und die dadurch entste-

henden Kosten zu tragen (§ 150 VersVG).

B) Deckungsverhältnis und Haftpflichtverhältnis

1. Haftpflichtverhältnis

Das Haftpflichtverhältnis besteht zwischen dem VN (als Schädi-

ger) und dem Geschädigten. Ob ein Schadenersatzanspruch des Ge-

schädigten vorliegt, bestimmt sich nach den Regeln des Schaden-

ersatzrechts.

2. Deckungsverhältnis (Versicherungsverhältnis)

Vom Haftpflichtverhältnis ist das Deckungsverhältnis zu unter-

scheiden. Das Deckungsverhältnis entscheidet darüber, ob der

Versicherer dem VN aus dem Versicherungsvertrag Deckung zu ge-

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währen hat.

a) Der Dritte kann sich mit seinem Schadenersatzanspruch grund-

sätzlich nur an den VN halten und hat keine Möglichkeit, direkt

an den Versicherer heranzutreten. Der Versicherer schaltet sich

allerdings in die Schadenabwicklung ein und tritt dort als Be-

vollmächtigter des VN auf. Kommt es zu keiner Einigung, dann

muss der Geschädigte den VN klagen. Im Prozess hat sich der Ver-

sicherer ebenfalls weitgehend die Kontrolle gesichert ("Prozess-

muntschaft des Versicherers"). Gewinnt der Dritte den Prozess,

dann kann er gegen den VN in dessen gesamtes Vermögen Exekution

führen, somit auch in dessen Deckungsanspruch gegen den Versi-

cherer. In der Hand des geschädigten Dritten verwandelt sich

dann der Befreiungsanspruch in einen Geldanspruch.

Einen Direktanspruch hat der geschädigte Dritte gegen den Versi-

cherer vor allem in der Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 26 KHVG

1994).

b) Ein Urteil, das im Haftpflichtprozess erstritten wird, hat

für das Deckungsverhältnis nur dann „Bindungswirkung“, wenn dem

Versicherer die Möglichkeit eröffnet worden ist, sich dem Haft-

pflichtprozess als Nebenintervenient anzuschließen.

C) Der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung

Das VersVG enthält keine Festlegung des Versicherungsfalles in

der Haftpflichtversicherung. Heute sind im Wesentlichen drei

Versicherungsfallsdefinitionen üblich:

1. Schadenereignis (Folgeereignis)

Im Bereich der Personen- und Sachschäden ist Versicherungsfall

das Schadenereignis, also ein nach außen hin wirksamer, sinnfäl-

liger Akt, der vom üblichen Geschehnisablauf deutlich abgehoben

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und in seiner Bedeutung jedermann erkennbar ist.

2. Verstoß (Ursachenereignis)

Bei den reinen Vermögensschäden ist ein solcher sinnfälliger Akt

kaum feststellbar. Daher wird bei der Deckung dieser Schäden auf

die Setzung der Ursache abgestellt, aus der letztlich der Scha-

den entstanden ist.

3. Ansprucherhebung

Im angloamerikanischen Recht wird auf den Zeitpunkt der An-

spruchserhebung abgestellt ("claims made"). Diese Theorie wird

von den Rückversicherern favorisiert, konnte sich jedoch im

deutschsprachigen Raum bis jetzt nur in der „D&O-Versicherung“

durchsetzen.

Die verschiedenen Versicherungsfallsdefinitionen haben Bedeutung

für die zeitliche und örtliche Deckung aus dem Ver-

sicherungsvertrag. Sie stehen nicht völlig im Belieben des Ver-

sicherers, sondern er hat jene Versicherungsfallsdefinition zu

wählen, die den berechtigten Deckungserwartungen des VN ent-

spricht.

D) Betriebshaftpflichtversicherung (§ 151 VersVG)

1. Hinsichtlich der Betriebshaftpflichtversicherung ordnet § 151

Abs 1 VersVG an, dass sich die Deckung des Versicherers auch auf

die Vertreter des VN sowie solcher Personen erstreckt, die er

zur Leitung oder Beaufsichtigung eines Betriebes oder eines Tei-

les des Betriebes angestellt hat. Diesbezüglich gilt die Versi-

cherung als für fremde Rechnung genommen.

Vgl dazu zB EHVB 2005 Abschnitt A 3.1. und 3.2.

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2. Gemäß § 151 Abs 2 VersVG kommen nicht nur bei der Veräuße-

rung, sondern auch bei der Verpachtung, Fruchtnießung und der

Einräumung anderer ähnlicher Rechte an einem Unternehmen die

Vorschriften über die Veräußerung der versicherten Sache zur An-

wendung.

E) Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 152 VersVG)

1. In der Haftpflichtversicherung schadet dem VN nur die vor-

sätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 152 VersVG).

Unter Vorsatz wird auch der sog bedingte Vorsatz verstanden, bei

dem der VN den schädigenden Erfolg seiner Handlung voraussieht

und in Kauf nimmt. Bewusste Fahrlässigkeit, bei der der VN den

schädigenden Erfolg als möglich erkennt, aber hofft, dass er

nicht eintreten wird, genügt nicht.

§ 152 VersVG spricht nur von der vorsätzlichen Herbeiführung des

Versicherungsfalls durch den VN. § 152 ist aber dispositiv, so-

dass die Verschuldensvoraussetzungen herabgesetzt werden können

und auch der Personenkreis vergrößert werden kann, dessen Fehl-

verhalten Leistungsfreiheit bewirkt.

2. Vgl als Beispiele Art 7.2.1. und 7.2.2. AHVB 2005 sowie EHVB

2005 Abschnitt A Punkt 3 ("bewusstes Zuwiderhandeln gegen Vor-

schriften").

3. Darüber hinaus muss der VN nach allgemeinen Grundsätzen zB

für den „Gefahrverwalter“ und seinen Stellvertreter einstehen.

F) Anerkennungsverbot (§ 154 Abs 2 VersVG)

1. § 154 Abs 2 VersVG eröffnet dem Haftpflichtversicherer die

Möglichkeit, in den AVB ein Anerkennungsverbot zu verankern und

bei dessen Verletzung Leistungsfreiheit anzuordnen. Dabei han-

delt es sich um eine sekundäre Obliegenheit, die nur unter den

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Voraussetzungen des § 6 Abs 3 VersVG Leistungsfreiheit bewirken

kann. Der VN kann daher den Entschuldigungsbeweis und vor allem

auch den Kausalitätsgegenbeweis führen. Überdies ordnet § 154

Abs 2 VersVG an, dass dann Leistungsfreiheit nicht eingewendet

werden kann, wenn nach den Umständen der VN die Befriedigung o-

der die Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern

konnte. Das wird aber nur ausnahmsweise der Fall sein.

Die bisher bestehende Möglichkeit, auch ein Befriedigungsverbot

zu vereinbaren, wurde durch die VersVG-Novelle 1994 beseitigt.

2. Die AVB der Haftpflichtversicherung machen von der Möglich-

keit dieses Anerkennungsverbots durchwegs Gebrauch (vgl nur Art

8.1.5.3. AHVB 2005).

G) Rentenkürzung (§ 155 VersVG)

1. Körperverletzungen sind in der Regel in Form einer Rente ab-

zugelten, soferne sie einen Verdienstentgang zur Folge haben.

Kapitalzahlungen sind hier nur ausnahmsweise zulässig. Bei un-

zureichender Versicherungssumme kann sich die Frage ergeben, ob

der Versicherer die Rente ungekürzt auszahlen soll, bis die Ver-

sicherungssumme erschöpft ist, oder ob er eine Rentenkürzung

vornehmen soll. § 155 Abs 1 VersVG entscheidet sich vor allem im

Interesse des geschädigten Dritten für die zweite Lösung.

2. Für die Berechnung von Renten sind Rententafeln erforderlich.

Vgl dazu § 10 KHVG 1994, Art 6.3. AKHB 2004, Art 5.4. AHVB 2005.

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H) Schutz des Dritten in der Haftpflichtversicherung (§§ 156,

157 VersVG)

1. Unwirksamkeit von Verfügungen über die Entschädigungsforde-

rung

Gemäß § 156 Abs 1 VersVG sind Verfügungen über die Entschädi-

gungsforderung aus dem Versicherungsverhältnis dem Dritten ge-

genüber unwirksam. Durch diese Anordnung soll verhindert werden,

dass der VN zB auf die Deckungsforderung verzichtet oder die

Entschädigungsforderung entgegennimmt. Damit wird dem Gedanken

Rechnung getragen, dass die Haftpflichtversicherung eine soziale

Reflexwirkung zugunsten des geschädigten Dritten hat.

An sich würde sich diese Rechtsfolge aber auch schon aus der mo-

dernen Konzeption der Haftpflichtversicherung ergeben, nach der

der VN nur einen Befreiungsanspruch gegenüber dem Versicherer

hat, der sich erst in der Hand des Dritten in einen Geldersatz-

anspruch verwandelt. Durch diese Konzeption wird ja auch verhin-

dert, dass sonstige Gläubiger auf die Deckungsforderung greifen

können.

2. Verteilung der unzureichenden Versicherungssumme

§ 156 Abs 3 VersVG legt dem Versicherer die Verpflichtung auf,

eine unzureichende Versicherungssumme auf die geschädigten Drit-

ten (bzw die an ihre Stelle tretenden Legalzessionare) verhält-

nismäßig zu verteilen. Diese Verteilungslast ist für den Versi-

cherer gefährlich, da er Dritte, die er fahrlässigerweise bei

der Verteilung nicht berücksichtigt hat, auf seine eigenen Kos-

ten mit dem Betrag befriedigen muss, den diese Dritten bei Be-

teiligung an der Verteilung bekommen hätten müssen.

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Der Versicherer kann sich von dieser Verteilungsverpflichtung

nicht durch "Abandon" befreien. Er kann die Versicherungssumme

also nicht gerichtlich hinterlegen, damit sich die Dritten darum

streiten, sondern hat das Verfahren gemäß § 156 Abs 3 VersVG

durchzuführen. Ein "Abandon" ist nur im Innenverhältnis zum VN

möglich.

3. Absonderungsrecht an der Deckungsforderung

Gemäß § 157 VersVG hat der geschädigte Dritte im Konkurs des VN

ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Deckungs-

forderung. Die Deckungsforderung ist also für den Dritten "re-

serviert".

Dieser Gedanke ist analogiefähig. Die Deckungsforderung bildet

daher auch im Ausgleich und im Nachlassverfahren ein Son-

dervermögen.

I. Schadenfallkündigung (§ 158 VersVG)

1. Gemäß § 158 VersVG können sowohl der Versicherer als auch der

VN nach einem Versicherungsfall das Versicherungsverhältnis kün-

digen. Zu den näheren Modalitäten vgl § 158 Abs 2 und Abs 3

VersVG.

2. § 158 VersVG behandelt Versicherer und VN bei der Kündigungs-

möglichkeit gleich. Diese "Parität" des Kündigungsrechts wurde

durch die VersVG-Novelle 1994 zwingend gestellt (§ 158 a Abs 2

VersVG). Wenn die Möglichkeit der Kündigung im Schadenfall ein-

geschränkt wird, so müssen diese Einschränkungen also für beide

Parteien gelten.

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II. Pflichthaftpflichtversicherung (§§ 158b bis 158h VersVG)

A) Schutz des Dritten

1. Der Schutz des Dritten wird in der Pflichthaftpflichtver-

sicherung gegenüber der normalen Haftpflichtversicherung we-

sentlich verstärkt. Der Schutz der §§ 156, 157 VersVG wirkt ja

nur dann, wenn ein "gesundes" Versicherungsverhältnis gegeben

ist, also Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem VN

vorliegt. Ist dagegen das Versicherungsverhältnis "krank", dann

würde dieser Schutz versagen.

2. In der Pflichthaftpflichtversicherung wird daher der Schutz

des Dritten auf Fälle des "kranken Versicherungsverhältnisses"

ausgedehnt.

a) § 158c Abs 1 VersVG regelt die Fälle, in denen das Versiche-

rungsverhältnis als solches noch besteht, der Versicherer aber

intern (dem VN gegenüber) leistungsfrei ist (zB aufgrund einer

Obliegenheitsverletzung, einer Verletzung der vvAnzPfl, einer

Verletzung der Obliegenheiten bei GE, wegen Prämienzahlungsver-

zugs, solange das Versicherungsverhältnis noch besteht, etc).

Für diese Fälle wird angeordnet, dass die Verpflichtung in Anse-

hung des Dritten gleichwohl bestehen bleibt. Der Dritte ist also

voll geschützt.

b) Prekärer ist die Situation für den VN, wenn das Versiche-

rungsverhältnis bereits erloschen ist oder überhaupt nie wirksam

zustande kam. § 158c Abs 2 VersVG, der diese Konstellation re-

gelt, ordnet an, dass Umstände, die das Nichtbestehen oder die

Beendigung des Versicherungsverhältnisses zur Folge haben (also

zB Rücktritt, Kündigung, Anfechtung, Nichtigkeit etc), in Anse-

hung des Dritten erst mit Ablauf eines Monats (in der KFZ-

Haftpflichtversicherung: von drei Monaten; vgl § 24 Abs 2 KHVG

1994) wirken, nachdem der Versicherer diesen Umstand der hiefür

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zuständigen Stelle angezeigt hat. Dasselbe gilt, wenn das Versi-

cherungsverhältnis durch Zeitablauf endet.

Der Dritte bekommt hier also nur eine "Gnadenfrist", die hin-

sichtlich ihres Beginns durch den Versicherer beeinflusst werden

kann. Je schneller er der zuständigen Stelle anzeigt, desto ge-

ringer ist sein Deckungsrisiko.

Nach Ablauf der Frist kann sich der Dritte nur noch an den VN

halten. Vgl aber für den Bereich der KFZ-Haftpflichtversicherung

das Verkehrsopfer-EntschädigungsG.

3. Gemäß § 158c Abs 3 VersVG haftet der Versicherer jedoch nur

im Rahmen der amtlich festgesetzten Mindestversicherungssummen

und der von ihm übernommenen Gefahr. Risikoausschlüsse schlagen

also zB gegenüber dem Dritten durch.

§ 158c Abs 4 VersVG enthält zudem eine gesetzliche Subsi-

diaritätsklausel. § 158c Abs 5 VersVG stellt schließlich klar,

dass auch in der Pflichthaftpflichtversicherung keine direkte

Klagsmöglichkeit gegen den Versicherer besteht (Ausnahme: KFZ-

Haftpflichtversicherung, § 26 KHVG 1994).

B) Mitwirkungspflichten des Dritten

1. Gemäß § 158d VersVG treffen den Dritten gewissermaßen zum

Ausgleich für seinen verstärkten Schutz gemäß § 158c VersVG Mit-

wirkungspflichten, und zwar die Anzeigepflicht (§ 158d Abs 1 und

Abs 2 VersVG) und die Auskunft- und Belegpflicht (§ 158d Abs 3

VersVG). Schließlich lässt sich aus § 158e Abs 2 VersVG ab-

leiten, dass der Dritte auch nicht an einem Vergleich oder einem

Anerkenntnis des VN mitwirken darf.

2. § 158e VersVG sanktioniert diese Pflichten des Dritten. Die

Haftung des Versicherers nach § 158c VersVG beschränkt sich auf

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den Betrag, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Ver-

pflichtungen zu leisten gehabt hätte.

C) Legalzession

Soweit der Versicherer den Dritten nach § 158c VersVG befrie-

digt, geht die Forderung des Dritten gegen den VN auf ihn über

(§ 158f VersVG). Zum Ausgleich für seine Leistung dem Dritten

gegenüber, zu der er im Innenverhältnis ja nicht verpflichtet

war, erhält der Versicherer also einen Legalzessionsanspruch ge-

gen seinen VN. Dieser Übergang kann jedoch nicht zum Nachteil

des Dritten geltend gemacht werden.

D) Veräußerung der versicherten Sache

In der Passivenversicherung sind die §§ 69 bis 73 VersVG nicht

anwendbar. § 158h VersVG sieht jedoch vor, dass die Vorschriften

über die Veräußerung der versicherten Sache in der Pflichthaft-

pflichtversicherung sinngemäß gelten.

§ 13 Lebensversicherung (§§ 159 bis 178 VersVG)

Vorbemerkung

Im Folgenden werden aus dem Bereich der Personenversicherung nur

die Lebens- und die Unfallversicherung behandelt, um den Rahmen

der Vorlesung nicht zu sprengen. Unberücksichtigt bleibt also

der durch die VersVG-Novelle 1994 neu eingefügte Vierte Ab-

schnitt des VersVG, der erstmals die Krankenversicherung regelt

(§§ 178 a bis 178 n VersVG). Auch der Dritte Abschnitt über die

Lebensversicherung, der durch die Novelle ebenfalls, allerdings

nur leicht modifiziert wurde, wird hier nur in seinen Grundzügen

behandelt.

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I. Allgemeine Vorschriften

A) Personenfremdversicherung (§ 159 VersVG)

1. Die Lebensversicherung kann auch auf die Person eines ande-

ren genommen werden ("Personenfremdversicherung"). Diese Person

ist in der Lebensversicherung, wie sich aus der Gegenüberstel-

lung zur Regelung der Unfallversicherung (§ 179 Abs 2 VersVG)

ergibt, nur Gefahrsperson und nicht Versicherter. Die Leistung

aus der Versicherung steht also dem VN zu.

2. Aus dieser Konstellation ergeben sich naturgemäß gewisse Ri-

siken für die Gefahrsperson, weshalb in den Absätzen 2 und 3 des

§ 159 VersVG prinzipielle Zustimmungspflichtigkeit des Vertrages

vorgesehen ist.

3. Die Risiken, die für den Versicherer aus der Rollenspaltung

entstehen, werden durch § 161 VersVG bekämpft, der der Kenntnis

und dem Verhalten des VN die Kenntnis und das Verhalten der Ge-

fahrsperson gleichstellt.

B) Sondervorschriften über vvAnzPfl und GE

1. Die §§ 162 und 163 VersVG enthalten Sondervorschriften über

die vvAnzPfl. Die falsche Altersangabe wird besonders nach-

sichtig behandelt und führt im Allgemeinen nicht zur Lei-

stungsfreiheit des Versicherers, sondern nur zu einer Vertrags-

anpassung. Lediglich, wenn das richtige Alter außerhalb der im

Geschäftsplan für den Abschluss von Verträgen festgesetzten

Grenzen liegt, hat der Versicherer ein Rücktrittsrecht (§ 162

VersVG).

Auf sonstige Anzeigepflichtsverletzungen kann sich der Ver-

sicherer gemäß § 163 VersVG nach dem Verstreichen einer 3-

Jahresfrist ab dem Abschluss des Vertrages nicht mehr berufen,

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es sei denn, dass die Anzeigepflicht arglistig verletzt wurde.

2. Der Einwand der GE kann gemäß § 164 VersVG im Bereich der Le-

bensversicherung nur dann erhoben werden, wenn eine Änderung von

Gefahrumständen kraft ausdrücklicher Vereinbarung als GE angese-

hen werden soll. Auch in diesem Fall kann der Versicherer - den

Fall der Arglist ausgenommen - die GE nur innerhalb von 3 Jahren

geltend machen.

Im Allgemeinen werden in der Lebensversicherung allerdings sol-

che Umstände meist in die Form von Risikoausschlüssen gekleidet.

Vgl § 9 ALB ("Sondergefahren").

C) Bezugsberechtigung (Begünstigung)

1. § 166 VersVG sieht die Möglichkeit vor, dass der VN über sei-

ne Forderung aus der Lebensversicherung in einer spezifisch ver-

sicherungsrechtlichen Weise, nämlich durch Bezugsberechtigung

(Begünstigung) verfügt. Neben dieser Verfügungsmöglichkeit be-

steht aber selbstverständlich auch die Möglichkeit einer Abtre-

tung, Verpfändung oder Vinkulierung der Versicherungsforderung.

2. § 166 VersVG unterscheidet zwischen der widerruflichen und

der unwiderruflichen Einsetzung eines Bezugsberechtigten. Im

Zweifel ist widerrufliche Bezugsberechtigung anzunehmen.

Bei der widerruflichen Bezugsberechtigung kann der VN jederzeit

einen anderen Bezugsberechtigten einsetzen, und zwar sogar auch

letztwillig. Die Einsetzung und der Widerruf erfolgt allerdings

in der Regel durch einseitige Erklärung gegenüber dem Versiche-

rer. Der widerruflich Bezugsberechtigte erlangt erst mit dem

Versicherungsfall (also meist mit dem Tod des VN) ein Vollrecht.

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103

Demgegenüber ist die Stellung des unwiderruflich Bezugsberech-

tigten wesentlich stärker. Er erwirbt eine Anwartschaft, über

die er verfügen kann und auf die auch von seinen Gläubigern ge-

griffen werden kann.

3. § 167 VersVG enthält die Regelung einiger problematischer

Fälle der Bezugsberechtigung. Bedeutsam ist insbesondere § 167

Abs 2 VersVG, der einen alten Streitfall entschied. Wenn "die

Erben" bezugsberechtigt sind, so erwerben sie die Versicherungs-

leistung doch nicht in ihrer Funktion als Erben, sondern als Be-

zugsberechtigte; die Versicherungssumme fällt daher nicht in den

Nachlass.

D) Herbeiführung des Versicherungsfalles

1. § 169 VersVG (Selbstmordklausel) steht in Verwandtschaft mit

den Vorschriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalles.

In der Ablebensversicherung ist der Versicherer leistungsfrei,

wenn derjenige, auf dessen Person die Versicherung genommen ist,

Selbstmord begangen hat. Die Leistungspflicht bleibt jedoch be-

stehen, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung aus-

schließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit

begangen worden ist. Die Beweislast für den Selbstmord trifft

den Versicherer, der einen äußeren Sachverhalt nachzuweisen hat,

aus dem sich erfahrungsgemäß das Erscheinungsbild eines Selbst-

mordes ergibt. Den Gegenbeweis des Zustandes der krankhaften

Störung der Geistestätigkeit haben die Anspruchsberechtigten

(Erbe bzw Bezugsberechtigter etc) zu führen.

Nach den Bedingungen der Lebensversicherung wird nach einer ge-

wissen Zeit der Selbstmord nicht mehr eingewendet (vgl § 10 ALB:

3 Jahre).

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2. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört § 170 VersVG.

§ 170 Abs 1 VersVG sieht Leistungsfreiheit des Versicherers für

den Fall vor, dass der VN in der Ablebensversicherung vor-

sätzlich den Tod der Gefahrsperson herbeiführt.

Wenn der Bezugsberechtigte den Tod des VN herbeiführt, so gilt

die Bezeichnung als Bezugsberechtigter als nicht erfolgt; die

Versicherungssumme fällt daher (sofern nicht zB ältere Bezugsbe-

rechtigungen wieder aufleben) in den Nachlass.

II. Besondere Vorschriften für die rückkaufsfähige Versicherung

(§§ 173 bis 176 VersVG)

A) Begriff der rückkaufsfähigen Versicherung

Vor der VersVG-Novelle 1994 setzte die "Rückkaufsfähigkeit" der

Lebensversicherung voraus, dass die Prämie für einen Zeitraum

von 3 Jahren bezahlt worden ist. Diese Voraussetzung besteht nun

nicht mehr. „Rückkaufsfähigkeit“ ist jedoch nur gegeben, wenn

der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers gewiss ist (§

176 Abs 1 VersVG), sodass jedenfalls ein Sparanteil vorhanden

ist („Versicherung mit unbedingter Leistungspflicht“). Für die

Rückkaufsfähigkeit kann überdies eine Bagatellegrenze vereinbart

werden (174 VersVG).

Eine „Versicherung mit unbedingter Leistungspflicht“ liegt bei

einer Todesfallversicherung, die auf Lebenszeit geschlossen

wird, sowie bei einer gemischten Er- und Ablebensversicherung

vor. Gegenstück dieser Versicherungsform ist die reine „Risiko-

lebensversicherung“, bei welcher eine Todesfallversicherung für

eine bestimmte Zeit geschlossen wird.

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105

B) Gewillkürte Umwandlung (§§ 173, 174 VersVG)

Gemäß § 173 VersVG kann der VN jederzeit für den Schluss der

laufenden Versicherungsperiode die Umwandlung der Versicherung

in eine prämienfreie Versicherung verlangen. In diesem Fall

braucht er keine Prämie mehr zu zahlen, hat aber natürlich auch

im Versicherungsfall nur einen reduzierten Anspruch. Zur Höhe

dieses Anspruches vgl § 173 Abs 2 VersVG ("Zeitwertprinzip"),

zur Möglichkeit von Abzügen durch den Versicherer vgl § 173 Abs

3 VersVG.

§ 174 neu VersVG sieht allerdings die Möglichkeit vor, dass im

Vertrag eine "Bagatellegrenze" vereinbart wird, bei deren Unter-

schreitung keine Umwandlung verlangt werden kann, sodass es zu

einem "Zwangsrückkauf" kommt.

C) Selbsttätige Umwandlung (§ 175 VersVG)

Wenn der Versicherer das Versicherungsverhältnis wegen Folge-

prämienzahlungsverzuges nach § 39 VersVG kündigt, so wandelt

sich die Versicherung automatisch mit der Kündigung in eine prä-

mienfreie Versicherung um. Auf diese Wirkung muss gemäß § 175

Abs 3 VersVG gesondert hingewiesen werden. Auch hier gibt es ei-

ne „Bagatellegrenze“.

D) Erstattung der Prämienreserve ("Rückkauf") (§ 176 VersVG)

1. Wird eine Kapitalversicherung für den Todesfall, die in der

Art genommen ist, dass der Eintritt der Verpflichtung des Ver-

sicherers zur Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiss ist,

durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung aufgehoben, oder ist

der Versicherer im Versicherungsfall leistungsfrei, so hat der

Versicherer dennoch den auf die Versicherung entfallenden Rück-

kaufswert zu erstatten. Ausgenommen ist nur der Fall, dass der

VN die Gefahrsperson tötet (§ 176 Abs 2 VersVG).

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2. Die AVB der Lebensversicherung hatten sich in der Vergangen-

heit bezüglich der Berechnung des Rückkaufswerts oft mit dem

Hinweis begnügt, dass diese „nach versicherungsmathematischen

Grundsätzen“ erfolge, oder auf den Tarif verwiesen. Diese Klau-

seln hat der OGH als intransparent angesehen.

3. Lange Zeit war es üblich, die Provision des Vermittlers und

die sonstigen einmaligen Abschlusskosten am Beginn des Lebens-

versicherungsverhältnisses zu verrechnen, sodass der VN bei ei-

ner Kündigung des Vertrages nach wenigen Jahren kaum einen Rück-

kaufswert erhielt. Dieser Möglichkeit wurde durch die „5-Jahres-

Regel“ des § 176 Abs 5 und 6 VersVG ein Riegel vorgeschoben, die

nun auch im System der „Nettopolizze“ zur Anwendung kommt.

4. Eine Vorauszahlung der Versicherungsleistung bis zur Höhe

des Rückkaufswerts ("Polizzendarlehen") kennt das VersVG nicht.

Sie hat sich jedoch in der Vertragspraxis herausgebildet (vgl §§

7, 7a ALB).

E) Eintrittsrecht (§ 177 VersVG)

Wenn auf den Versicherungsanspruch Zwangsvollstreckung geführt

oder über das Vermögen des VN der Konkurs eröffnet wird, so ge-

fährdet dieser Umstand die Versorgung bestimmter Personen, für

die die Lebensversicherung wirtschaftlich gedacht ist. § 177

VersVG sieht daher die Möglichkeit vor, dass der namentlich be-

zeichnete Bezugsberechtigte oder (in dessen Ermangelung) der

Ehegatte und die Kinder des VN durch Anzeige an den Versicherer

in den Versicherungsvertrag eintreten können. In diesem Fall ha-

ben die Eintrittsberechtigten allerdings die Forderungen der

Gläubiger bzw der Konkursmasse bis zur Höhe des Rückkaufwerts zu

befriedigen.

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F) Verwertung gepfändeter Ansprüche (§ 177a VersVG)

Gepfändete Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag werden

durch Überweisung zur Einziehung verwertet. Diese ermächtigt den

betreibenden Gläubiger insbesondere, das Versicherungsverhältnis

namens des Verpflichteten zu kündigen und dadurch auf den Rück-

kaufswert greifen zu können.

§ 14 Unfallversicherung (§§ 179 bis 185 VersVG)

I. Personenfremdversicherung (§ 179 VersVG)

A) Unfallversicherungen können gegen Unfälle, die dem VN, oder

gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, genommen werden. Im

zweiten Fall liegt eine Personenfremdversicherung vor.

B) § 179 Abs 2 VersVG stellt diesbezüglich klar, dass in der Un-

fallversicherung eine Versicherung gegen Unfälle, die einem an-

deren zustoßen, im Zweifel als VffR gilt, auf die die §§ 75 bis

79 VersVG entsprechend anzuwenden sind. Dem Versicherten stehen

also im Zweifel auch die Leistungen aus der Versicherung zu.

C) Handelt es sich bei dem anderen doch um eine reine Gefahrs-

person, so besteht auch hier wieder die Zustimmungsnotwendigkeit

(§§ 179 Abs 3 VersVG). Diesbezüglich ordnet § 179 Abs 4 VersVG

an, dass die Kenntnis und das Verhalten der Gefahrsperson der

Kenntnis und dem Verhalten des VN gleichgehalten werden.

II. Bezugsberechtigung (§ 180 VersVG)

Auch in der Unfallversicherung kann ein Bezugsberechtigter ein-

gesetzt werden (§ 180 VersVG).

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III. Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 181 VersVG)

A) Der VN bzw der Versicherte führt den Unfall vorsätzlich

herbei (§ 181 Abs 1 Satz 1 VersVG).

B) Der VN führt den Unfall der Gefahrsperson vorsätzlich herbei

(§ 181 Abs 1 Satz 2 VersVG).

C) Der Bezugsberechtigte führt den Unfall des VN vorsätzlich

herbei (§ 181 Abs 2 VersVG).

In den ersten beiden Fällen ist der Versicherer leistungsfrei,

im dritten Fall gilt die Bezugsberechtigung als nicht erfolgt.

IV. Schadenabwendungs- und Minderungspflicht (§ 183 VersVG)

Auch in der Unfallversicherung gibt es eine "Rettungspflicht"

(vgl § 62 VersVG). Es handelt sich um eine sekundäre Obliegen-

heit, aufgrund derer sich der VN zB gewissen Behandlungen und

Operationen unterziehen muss, um die Unfallsfolgen zu reduzie-

ren. Das gilt freilich nur, wenn ihm dadurch nichts Unbilliges

zugemutet wird.

V. Sachverständigenverfahren (§ 184 VersVG)

Die Regelung des Sachverständigenverfahrens in der Unfallver-

sicherung ist im Wesentlichen gleich wie jene in der Schadens-

versicherung (vgl §§ 64, 65 VersVG). Vgl Art 15 AUVB 1988 ("Ärz-

tekommission").

VI. Unfallermittlungskosten (§ 185 VersVG)

Die Regelung über die Ersatzfähigkeit von Unfallermittlungs-

kosten entspricht ebenfalls im wesentlichen jener der Schadener-

mittlungskosten gemäß § 66 VersVG.

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§ 15 Die Auswirkungen des Beitritts Österreichs zur EU auf das

österreichische Versicherungsvertragsrecht

1. Mit 1.1.1995 ist Österreich Vollmitglied der Europäischen

Union geworden. Dadurch kam es (neben den politischen Zielen der

EU) zur Schaffung eines homogenen Wirtschaftsraumes, in dem

gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen und nationale Handels-

hemmnisse beseitigt werden. Dazu kennt der EU-Vertrag insbeson-

dere die Freiheit des Warenverkehrs, die Freizügigkeit der Per-

sonen und Unternehmen (Niederlassungsfreiheit), den freien

Dienstleistungsverkehr (Dienstleistungsfreiheit) und den freien

Kapitalverkehr.

Für den Bereich des Versicherungswesens sind vor allem die Vor-

schriften des EU-Vertrages über die Niederlassungs- und Dienst-

leistungsfreiheit von Bedeutung. Österreich musste eine ganze

Reihe von versicherungsrechtlichen Richtlinien umsetzen, die der

Verwirklichung dieser Freiheiten dienen, und zwar insbesondere

- die 1. Richtlinie Schaden (1973) und 1. Richtlinie Leben

(1979) ("1. Richtliniengeneration")

- die Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie (1987)

- die 2. Richtlinie Schaden (1988) und die 2. Richtlinie Leben

(1990) ("2. Richtliniengeneration") und

- 5 KFZ-Haftpflichtversicherungs-Richtlinien, die mit der

Richtlinie 2009/103/EG aus 2009 zusammengefasst wurden

- die 3. Richtlinie Schaden (1992) und die 3. Richtlinie Leben

(1992) ("3. Richtliniengeneration")

- die Versicherungsvermittlungs-Richtlinie aus 2002, die Ende

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2017, Anfang 2018 von der Richtlinie über den Versicherungsver-

trieb (Insurance Distribution Directive – „IDD“) abgelöst wird

- die PRIIP-Verordnung, welche die Versicherer ab 31.12.2016 da-

zu verpflichten wird, „Basisinformationsblätter“ für bestimmte

Lebensversicherungsprodukte zu erstellen

- zahlreiche Richtlinien, die das Aufsichtsrecht betreffen, wie

insbesondere Solvabilität I und II

Der österreichische Gesetzgeber ist seinen Umsetzungsverpflich-

tungen durch die Erlassung von zahlreichen Novellen zum VAG 1978

und nun zur völligen Neufassung des Versicherungsaufsichtsrechts

im VAG 2016, zum VersVG, zum KHVG, zum Verkehrs-

opferentschädigungsgesetz, zum Versicherungssteuergesetz und zum

Feuerschutzsteuergesetz nachgekommen. Außerdem wurde im Bereich

des Internationalen Privatrechts das BG über Internationales

Versicherungsvertragsrecht für den EWR erlassen (IVVG);das In-

ternationale Privatrecht für Versicherungsverträge ist zum Teil

aber auch in Art 7 Rom I geregelt.

2. Was sind nun die wesentlichsten Inhalte jener Richtlinien,

die schon umgesetzt wurden? Niederlassungsfreiheit und Dienst-

leistungsfreiheit sind nun bereits voll verwirklicht.

Niederlassungsfreiheit bedeutet, dass ausländische Versicherer,

die in Österreich eine Niederlassung gründen wollen, grund-

sätzlich nach den gleichen Regeln behandelt werden müssen wie

Inländer (Diskriminierungsverbot). Dienstleistungsfreiheit be-

deutet, dass ausländische Versicherer in Österreich ihre Produk-

te ungehindert und unter den gleichen Voraussetzungen wie Inlän-

der anbieten können müssen, ohne dass sie im Inland eine Nieder-

lassung haben.

Diese beiden Freiheiten haben seit der Umsetzung der 3. Richt-

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liniengeneration auch wesentliche Auswirkungen auf das System

der Versicherungsaufsicht. Für Zulassung und laufende Kontrolle

der Versicherungsunternehmen ist nur noch die Aufsichtsbehörde

des Herkunftslandes zuständig. Es gilt der Grundsatz der "single

licence": Aufgrund einer im Herkunftsland erteilten Zulassung

kann ein Unternehmen im gesamten EWR-Raum tätig werden und benö-

tigt im Tätigkeitsland weder eine Niederlassung noch eine Zulas-

sung zum Dienstleistungsverkehr. AVB, BVB und Tarife bedürfen

grundsätzlich keiner Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde

mehr, sondern es kann nur noch eine (nachträgliche) Missbrauchs-

kontrolle vorgenommen werden. Lediglich in der Pflichtversiche-

rung und der sogenannten substitutiven Krankenversicherung darf

das Tätigkeitsland die Vorlage - nicht etwa die Genehmigung! -

der AVB bzw BVB verlangen. In der Lebensversicherung und in der

substitutiven Krankenversicherung kann das Tätigkeitsland über-

dies die Übermittlung der Rechnungsgrundlagen verlangen.