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HILDEGARD STAUSBERG F ür Brasilien ist 2015 ein „Sandwich-Jahr“: Die Fußball- weltmeisterschaft von 2014 ist vorbei, die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 stehen noch bevor. Für die deutsch-brasiliani- schen Beziehungen wiederum gibt es zwei Höhepunkte: im Bereich der Politik die ersten bilateralen Regierungskonsultatio- nen Mitte August – gekrönt vom Treffen zwischen Präsidentin Dilma Rousseff und Bundeskanzlerin Angela Merkel; im Be- reich der Wirtschaft die Deutsch-Brasilia- nischen Wirtschaftstage in der zweiten Septemberhälfte, diesmal in Joinville, der größten Stadt des prosperierenden südbra- silianischen Bundesstaates Santa Catarina. Die Zusammensetzung der deutschen Regierungsdelegation ließ keinen Zweifel aufkommen an der Bedeutung, die Mer- kel den deutsch-brasilianischen Bezie- hungen einräumt: Sie wurde begleitet von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Umweltministerin Barbara Hendricks, Entwicklungsminister Gerd Müller, Ge- sundheitsminister Hermann Gröhe, Ver- kehrsminister Alexander Dobrindt, Land- wirtschaftsminister Christian Schmidt und Kulturstaatsministerin Monika Grüt- ters. Mit diesen ersten Regierungskonsul- tationen rückt Brasilien auf in den klei- nen Kreis von Ländern, mit denen die Bundesrepublik besonders enge Bezie- hungen pflegt: Gegenseitige Kabinetts- besuche gibt es sonst nur noch mit Frankreich, Italien, Polen, China, Indien und Israel. Und die Bundeskanzlerin ließ auch keinen Zweifel daran, warum gerade Brasilien nun dazugehört: „Brasilien ist unser Hauptpartnerland in Lateinameri- ka, und der Ausbau der Beziehungen auf möglichst breiter Ebene ist ein wichtiges Anliegen meiner Regierung.“ Das sieht auch der aus dem BDI Brazil Board hervorgegangene Lateinamerika- Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) so. „Mit dem Lateinamerika- Ausschuss werden wir die Zusammenar- beit der deutschen Wirtschaft mit der Re- gion noch umfassender gestalten. Latein- amerika ist eine chancenreiche und wich- tige Region für deutsche Unternehmen“, so Andreas Renschler, Mitglied des Kon- zernvorstands der Volkswagen AG, der zum Vorsitzenden gewählt wurde. Für Merkel ist es mit Blick auf den Kli- maschutzgipfel in Paris Ende 2015 ein be- sonderer Erfolg, dass Brasilien und Deutschland in der Klimapolitik enger zusammenarbeiten wollen: Rousseff hat zum Abschluss des Besuchs einen schritt- weisen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas angekündigt, um zum weltweiten Ziel beizutragen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Auch rechnen sich deutsche Firmen, immerhin 1600, Chan- cen aus, am neuen Infrastrukturpro- gramm der Regierung von 51 Milliarden Dollar diesmal teilnehmen zu können: In der Vergangenheit hatten sich ausländi- sche Firmen wegen der protektionisti- schen und bürokratischen Hindernisse („Custo Brasil“) kaum beworben. Ein ganz neues Geschäftsfeld öffnet sich in Paraná. Der südliche Bundesstaat will eine Vorreiterrolle übernehmen und als erster in die Massenproduktion von Solarzellen einsteigen. Doch nicht nur das: Es soll eine komplette Wertschöp- fungskette entstehen, die von der Verar- beitung des eigenen Siliziums im „Green Silicon Valley“ bis zum Export von Solar- modulen reicht. Deutsche Experten leg- ten gerade eine Machbarkeitsstudie für das Milliardenprojekt vor. Das Vorhaben könne sich rechnen und auch innerhalb weniger Jahre umgesetzt werden. Deutschland ist nach China, den USA und Argentinien viertgrößter Wirt- schaftspartner Brasiliens. Und die Deut- schen wollen in Brasilien Präsenz zeigen und am Ball bleiben. Ulrich Grillo, Präsi- dent des Bunds der Deutschen Industrie (BDI): „Die deutsche Industrie steht be- reit, Brasilien bei der Modernisierung der Wirtschaft tatkräftig zu unterstützen: Hierfür müssen aber auch die Rahmenbe- dingungen stimmen, insbesondere sollten Strukturreformen, so etwa im Steuer- und Arbeitsrecht, tatkräftig angegangen werden.“ Die deutsche Autoindustrie geht voran. Viele der großen Namen in- vestieren hohe Millionenbeträge in neue Werke und damit auch in Jobs und Infra- struktur. Allerdings ist das Umfeld in Brasilien nicht einfach: Das Land befindet sich in einer tiefen Krise. Das Bruttoinlandpro- dukt (BIP) schrumpft 2015 um mindes- tens zwei Prozent, die Investitionen ge- hen um neun Prozent zurück. Die Indus- Buntes Markttreiben in Salvador de Bahia zeigt dieses Gemälde eines unbekannten Künstlers. Auch in der realen Welt ist Brasilien eine gefragte Handelsnation. Deutschland etwa ist nach China, den USA und Argentinien der viertgrößte Wirtschaftspartner des Landes Tatkraft ist gefragt Brasilien ist für Deutschland ein bedeutender Partner in vielen Bereichen – von der Wirtschaft bis zum Klimaschutz. Den Stellenwert unterstrich jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den ersten bilateralen Regierungskonsultationen in Brasília. Die deutsche Industrie will Brasilien bei der Modernisierung der Wirtschaft unterstützen SONDERAUSGABE BRASILIEN & DEUTSCHLAND HERBST 2015 ANZEIGE 2 Musterknabe ade Brasiliens Wirtschaft ist angeschlagen, doch wenigstens die Autobranche floriert 2 Aufbruch Die Messe „UrbanTech“ will den überfälli- gen Ausbau der Infrastruktur anschieben 3 Mit der Kraft der Sonne Paraná plant, als erster Bundesstaat eine komplette Solarindustrie aufzubauen 4 Die Bohne interessiert Zwei Dürren setzen den Kaffebauern zu. Die Preise könnten bald steigen 6 Das ist „Spitze“ Rios Felsen zu erklimmen ist anstrengend, doch das Abenteuer lohnt sich 6 Die jungen Wilden Brasiliens Kunst gibt Traditionen auf – und ist plötzlich teuer und gefragt 7 Monumental und rätselhaft Berthold Zilly wagt eine Neuübersetzung des Buches „Grande Sertão: Veredas“ 8 Paradies der Drachen Brasiliens Norden bietet Traumstrände, Stille und beste Bedingungen für Sportler INHALT Fläche: 8,5 Mio. Quadratkilometer (fünftgrößtes Land der Erde) Hauptstadt: Brasília Amtssprache: Portugiesisch Währung: Real (R$), ein Real entspricht 100 Centavos Aktueller Wechselkurs: 1 Euro = 4,24 Reales (Sep. 2015) Bevölkerung: Mit 202,6,Mio. Einwohnern (Stand 2014) ist Brasilien das bevölkerungsreichste Land Süd- amerikas (weltweit Platz fünf) Städte: Die fünf einwohnerreichs- ten Städte sind São Paulo (11,96 Mio.), Rio de Janeiro (6,47 Mio.), Salvador (2,92 Mio.), Brasília (2,91 Mio.) sowie Fortaleza (2,59 Mio.) BRASILIEN AUF EINEN BLICK GETTY IMAGES/LONELY PLANET IMAGES trieproduktion ist im ersten Halbjahr um 6,3 Prozent eingebrochen, die Inflations- rate nähert sich gefährlich der Zehn-Pro- zentmarke. Zudem verliert die Landes- währung Real beständig an Wert gegen- über dem Dollar – es ist nicht abzusehen, ob und wann es da wieder ein Halten gibt. Schwer wiegen auch die politische Krise und die immer neuen Enthüllungen um die staatlich kontrollierte Erdölgesell- schaft Petrobras. Es geht um Beste- chungsgelder in Höhe von wohl vier Mil- liarden Dollar. Längst sitzen prominente Unternehmer hinter Gittern, so etwa die Chefs der beiden größten Baukonzerne des Landes und hohe Manager von Petro- bras. Auch sind andere Staatsunterneh- men wie die Entwicklungsbank BNDS oder der Stromkonzern Eletrobras ins Vi- sier der Ermittler geraten. Doch was die die Gemüter am meisten erhitzt, sind die nicht abreißenden Ent- hüllungen über die weitverbreitete Kor- ruption der politischen Klasse des Lan- des. Dabei steht die seit 2003 regierende linke Arbeiterpartei (PT) im Fokus der Ermittlungen. Aber auch die mit ihr koa- lierende Partei der Demokratischen Be- wegung Brasiliens (PMDB) gerät immer mehr in den Strudel der Ereignisse. Die erst im Herbst 2014 wiedergewählte Prä- sidentin Rousseff (PT) hat in den letzten Monaten rasant an Zustimmung verloren. Laut Meinungsumfragen sollen sie nur noch zehn Prozent der Brasilianer unter- stützen. Auch prüft der brasilianische Rechnungshof, ob sie in ihrer ersten Amtszeit gesetzeswidrig das ausufernde Staatsdefizit kleingerechnet hat. So verwundert es nicht, dass ein wach- sender Teil der Bevölkerung der Meinung ist, die Präsidentin müsse zurücktreten, um den Weg frei zu machen für einen Neuanfang. Undenkbar wäre die Abfolge der ganzen Enthüllungen, wenn es in Bra- silien – anders als etwa in Argentinien oder Venezuela – nicht eine lebendige und unabhängige Justiz gäbe. Sie wird tatkräftig unterstützt durch eine Presse, die ebenfalls viel dazu beigetragen hat, dass die Skandale nicht einfach im Sande verlaufen. Beides sind wichtige Faktoren für den reinigenden Erneuerungsprozess, den das Land durchlaufen muss, um zum positiven Kurs zurückzufinden. Ende 2014 setzte Rousseff ein Zeichen, als sie den international anerkannten Bankmanager Joaquim Levy zum neuen Finanzminister ernannte. Ein knappes Jahr danach zeigt sich aber, dass Levy zwar die richtige Medizin verordnen will, mit seinem angepeilten Sparkurs aber bisher zu wenig erreicht: Die Widerstän- de in Regierung und Kongress gegen sei- ne bittere Medizin sind hoch. Inhalte dieser Beilage – darunter ein blätterbares PDF in Portugiesisch – unter: www.welt.de/brasilien ANZEIGE ANZEIGE www.hochtief.com.br www.zech-group.com A company Y Ob brasilianische Eisenbahn oder deutsches Spielzeug … www.tuv.com ... wir sorgen für Qualität und höchste Sicherheit. www.tuv.com

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HILDEGARD STAUSBERG

F ür Brasilien ist 2015 ein„Sandwich-Jahr“: Die Fußball-weltmeisterschaft von 2014 istvorbei, die Olympischen Spielein Rio de Janeiro 2016 stehen

noch bevor. Für die deutsch-brasiliani-schen Beziehungen wiederum gibt es zweiHöhepunkte: im Bereich der Politik dieersten bilateralen Regierungskonsultatio-nen Mitte August – gekrönt vom Treffenzwischen Präsidentin Dilma Rousseff undBundeskanzlerin Angela Merkel; im Be-reich der Wirtschaft die Deutsch-Brasilia-nischen Wirtschaftstage in der zweitenSeptemberhälfte, diesmal in Joinville, dergrößten Stadt des prosperierenden südbra-silianischen Bundesstaates Santa Catarina.Die Zusammensetzung der deutschen

Regierungsdelegation ließ keinen Zweifelaufkommen an der Bedeutung, die Mer-kel den deutsch-brasilianischen Bezie-hungen einräumt: Sie wurde begleitet vonAußenminister Frank-Walter Steinmeier,Umweltministerin Barbara Hendricks,Entwicklungsminister Gerd Müller, Ge-sundheitsminister Hermann Gröhe, Ver-kehrsminister Alexander Dobrindt, Land-wirtschaftsminister Christian Schmidtund Kulturstaatsministerin Monika Grüt-ters. Mit diesen ersten Regierungskonsul-tationen rückt Brasilien auf in den klei-nen Kreis von Ländern, mit denen dieBundesrepublik besonders enge Bezie-hungen pflegt: Gegenseitige Kabinetts-besuche gibt es sonst nur noch mitFrankreich, Italien, Polen, China, Indienund Israel. Und die Bundeskanzlerin ließauch keinen Zweifel daran, warum geradeBrasilien nun dazugehört: „Brasilien istunser Hauptpartnerland in Lateinameri-ka, und der Ausbau der Beziehungen aufmöglichst breiter Ebene ist ein wichtigesAnliegen meiner Regierung.“Das sieht auch der aus dem BDI Brazil

Board hervorgegangene Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft(LADW) so. „Mit dem Lateinamerika-Ausschuss werden wir die Zusammenar-beit der deutschen Wirtschaft mit der Re-gion noch umfassender gestalten. Latein-amerika ist eine chancenreiche und wich-tige Region für deutsche Unternehmen“,so Andreas Renschler, Mitglied des Kon-zernvorstands der Volkswagen AG, derzum Vorsitzenden gewählt wurde.Für Merkel ist es mit Blick auf den Kli-

maschutzgipfel in Paris Ende 2015 ein be-sonderer Erfolg, dass Brasilien undDeutschland in der Klimapolitik engerzusammenarbeiten wollen: Rousseff hatzum Abschluss des Besuchs einen schritt-weisen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gasangekündigt, um zum weltweiten Zielbeizutragen, die Erderwärmung auf zweiGrad zu begrenzen. Auch rechnen sichdeutsche Firmen, immerhin 1600, Chan-cen aus, am neuen Infrastrukturpro-

gramm der Regierung von 51 MilliardenDollar diesmal teilnehmen zu können: Inder Vergangenheit hatten sich ausländi-sche Firmen wegen der protektionisti-schen und bürokratischen Hindernisse(„Custo Brasil“) kaum beworben.Ein ganz neues Geschäftsfeld öffnet

sich in Paraná. Der südliche Bundesstaatwill eine Vorreiterrolle übernehmen undals erster in die Massenproduktion vonSolarzellen einsteigen. Doch nicht nurdas: Es soll eine komplette Wertschöp-fungskette entstehen, die von der Verar-beitung des eigenen Siliziums im „GreenSilicon Valley“ bis zum Export von Solar-modulen reicht. Deutsche Experten leg-ten gerade eine Machbarkeitsstudie fürdas Milliardenprojekt vor. Das Vorhabenkönne sich rechnen und auch innerhalbweniger Jahre umgesetzt werden.Deutschland ist nach China, den USA

und Argentinien viertgrößter Wirt-schaftspartner Brasiliens. Und die Deut-schen wollen in Brasilien Präsenz zeigenund am Ball bleiben. Ulrich Grillo, Präsi-dent des Bunds der Deutschen Industrie(BDI): „Die deutsche Industrie steht be-reit, Brasilien bei der Modernisierung derWirtschaft tatkräftig zu unterstützen:Hierfür müssen aber auch die Rahmenbe-dingungen stimmen, insbesondere solltenStrukturreformen, so etwa im Steuer-und Arbeitsrecht, tatkräftig angegangenwerden.“ Die deutsche Autoindustriegeht voran. Viele der großen Namen in-vestieren hohe Millionenbeträge in neueWerke und damit auch in Jobs und Infra-struktur.Allerdings ist das Umfeld in Brasilien

nicht einfach: Das Land befindet sich ineiner tiefen Krise. Das Bruttoinlandpro-dukt (BIP) schrumpft 2015 um mindes-tens zwei Prozent, die Investitionen ge-hen um neun Prozent zurück. Die Indus-

Buntes Markttreiben in Salvador de Bahia zeigt dieses Gemäldeeines unbekannten Künstlers. Auch in der realen Welt ist Brasilieneine gefragte Handelsnation. Deutschland etwa ist nach China, den

USA und Argentinien der viertgrößte Wirtschaftspartner des LandesTatkraft ist gefragt

Brasilien ist fürDeutschland einbedeutender Partner invielen Bereichen –von der Wirtschaft biszum Klimaschutz. DenStellenwert unterstrichjüngst BundeskanzlerinAngela Merkel mit denersten bilateralenRegierungskonsultationenin Brasília. Die deutscheIndustrie will Brasilien beider Modernisierung derWirtschaft unterstützen

SONDERAUSGABE BRASILIEN & DEUTSCHLAND HERBST 2015

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2 Musterknabe adeBrasiliens Wirtschaft ist angeschlagen,doch wenigstens die Autobranche floriert

2 AufbruchDie Messe „UrbanTech“ will den überfälli-gen Ausbau der Infrastruktur anschieben

3 Mit der Kraft der SonneParaná plant, als erster Bundesstaat einekomplette Solarindustrie aufzubauen

4 Die Bohne interessiertZwei Dürren setzen den Kaffebauern zu.Die Preise könnten bald steigen

6 Das ist „Spitze“Rios Felsen zu erklimmen ist anstrengend,doch das Abenteuer lohnt sich

6 Die jungen WildenBrasiliens Kunst gibt Traditionen auf –und ist plötzlich teuer und gefragt

7Monumental und rätselhaftBerthold Zilly wagt eine Neuübersetzungdes Buches „Grande Sertão: Veredas“

8 Paradies der DrachenBrasiliens Norden bietet Traumstrände,Stille und beste Bedingungen für Sportler

INHALT

Fläche: 8,5 Mio. Quadratkilometer(fünftgrößtes Land der Erde)Hauptstadt: BrasíliaAmtssprache: PortugiesischWährung: Real (R$), ein Realentspricht 100 CentavosAktueller Wechselkurs:1 Euro = 4,24 Reales (Sep. 2015)Bevölkerung: Mit 202,6,Mio.Einwohnern (Stand 2014) ist Brasiliendas bevölkerungsreichste Land Süd-amerikas (weltweit Platz fünf)Städte: Die fünf einwohnerreichs-ten Städte sind São Paulo (11,96Mio.), Rio de Janeiro (6,47 Mio.),Salvador (2,92 Mio.), Brasília (2,91Mio.) sowie Fortaleza (2,59 Mio.)

BRASILIENAUF EINEN BLICK

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trieproduktion ist im ersten Halbjahr um6,3 Prozent eingebrochen, die Inflations-rate nähert sich gefährlich der Zehn-Pro-zentmarke. Zudem verliert die Landes-währung Real beständig an Wert gegen-über dem Dollar – es ist nicht abzusehen,ob und wann es da wieder ein Haltengibt. Schwer wiegen auch die politischeKrise und die immer neuen Enthüllungenum die staatlich kontrollierte Erdölgesell-schaft Petrobras. Es geht um Beste-chungsgelder in Höhe von wohl vier Mil-liarden Dollar. Längst sitzen prominenteUnternehmer hinter Gittern, so etwa dieChefs der beiden größten Baukonzernedes Landes und hohe Manager von Petro-bras. Auch sind andere Staatsunterneh-men wie die Entwicklungsbank BNDSoder der Stromkonzern Eletrobras ins Vi-sier der Ermittler geraten.Doch was die die Gemüter am meisten

erhitzt, sind die nicht abreißenden Ent-hüllungen über die weitverbreitete Kor-ruption der politischen Klasse des Lan-des. Dabei steht die seit 2003 regierendelinke Arbeiterpartei (PT) im Fokus derErmittlungen. Aber auch die mit ihr koa-lierende Partei der Demokratischen Be-wegung Brasiliens (PMDB) gerät immermehr in den Strudel der Ereignisse. Dieerst im Herbst 2014 wiedergewählte Prä-sidentin Rousseff (PT) hat in den letztenMonaten rasant an Zustimmung verloren.Laut Meinungsumfragen sollen sie nurnoch zehn Prozent der Brasilianer unter-stützen. Auch prüft der brasilianischeRechnungshof, ob sie in ihrer erstenAmtszeit gesetzeswidrig das ausuferndeStaatsdefizit kleingerechnet hat.So verwundert es nicht, dass ein wach-

sender Teil der Bevölkerung der Meinungist, die Präsidentin müsse zurücktreten,um den Weg frei zu machen für einenNeuanfang. Undenkbar wäre die Abfolgeder ganzen Enthüllungen, wenn es in Bra-silien – anders als etwa in Argentinienoder Venezuela – nicht eine lebendigeund unabhängige Justiz gäbe. Sie wirdtatkräftig unterstützt durch eine Presse,die ebenfalls viel dazu beigetragen hat,dass die Skandale nicht einfach im Sandeverlaufen. Beides sind wichtige Faktorenfür den reinigenden Erneuerungsprozess,den das Land durchlaufen muss, um zumpositiven Kurs zurückzufinden.Ende 2014 setzte Rousseff ein Zeichen,

als sie den international anerkanntenBankmanager Joaquim Levy zum neuenFinanzminister ernannte. Ein knappesJahr danach zeigt sich aber, dass Levyzwar die richtige Medizin verordnen will,mit seinem angepeilten Sparkurs aberbisher zu wenig erreicht: Die Widerstän-de in Regierung und Kongress gegen sei-ne bittere Medizin sind hoch.

Inhalte dieser Beilage – darunter einblätterbares PDF in Portugiesisch – unter:www.welt.de/brasilien

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WR 2 21.09.15 Montag, 21. September 2015 DWBE-VP1Belichterfreigabe: -- Zeit:::Belichter: Farbe:

DW_Dir/DW/DWBE-VP121.09.15/1/DWBE-VP1-002 PPLATE 5% 25% 50% 75% 95%

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SEITE I I DIE WELT HERBST 2015

Drei Persönlichkeiten werdenin diesem Jahr ausgezeichnetTraditionell werden im Rahmen der jähr-lichen bilateralen Wirtschaftstage zweiPersönlichkeiten ausgezeichnet, die sichsowohl beruflich als auch privat um diegegenseitigen Beziehungen verdient ge-macht haben. Auf brasilianischer Seitegeht die Auszeichnung an Weber Porto,auf deutscher Seite an Heinz HermannThiele. Dazu wurde ein gesonderter Jour-nalistenpreis ausgelobt. Er geht an dieLateinamerika-Korrespondentin der Tages-zeitung „Die Welt“, Hildegard Stausberg.Die Veranstaltung findet im Theater Har-monia Lyra in Joinville statt.

Weber Porto ist CEO der Evonik Degus-sa Brasil Ltda., seine Karriere begann derChemieingenieur 1983 bei Evonik Degussa,genauer gesagt beim Joint Venture Meta-cril. 1984 kam er erstmalsnach Deutschland,leitete im Anschlussin Brasilien dasManagement in derAbteilung Anorgani-sche Chemie. Nachweiteren internenStationen trat er 2000 diePräsidentschaft von Evonik Degussa Brasi-lien an und übernahm 2001 auch dieVerantwortung für Zentral- und Südame-rika. Im Februar 2005 wechselte er einweiteres Mal nach Deutschland, um dortdie Neuorganisation eines Unternehmens-zweigs der Gruppe zu leiten. Mit derGründung der Evonik-Degussa-Gruppewurde er von Evonik ab 2007 zum Firmen-präsidenten in Lateinamerika mit Haupt-sitz in Brasilien berufen. Weber Portobekleidet zudem mehrere Ehrenämter. Soist er Präsident der Deutsch-Brasilia-nischen Industrie- und Handelskammer,Beiratsmitglied im Krankenhaus OswaldoCruz und unternehmerischer Koordinatorder deutsch-brasilianischen Agrobusiness-Initiative.

Heinz Hermann Thiele ist Aufsichts-ratsvorsitzender der Vossloh AG undEigentümer der Knorr-Bremse AG, einemder weltweit führenden Hersteller vonBremssystemen für Schienen- und Nutz-fahrzeuge. Thiele ist ein klassischer Self-mademan. 1969 begann erals Sachbearbeiter beiKnorr-Bremse inMünchen, rücktezehn Jahre später indie Geschäfts-führung auf und istseit 1985 nicht nurangestellter Manager,sondern auch Eigentümer des Unter-nehmens. Seit 1977 ist Knorr-Bremse inBrasilien aktiv, heute ist man Südamerikasführender Hersteller komplexer Sicher-heitssysteme bei Bremsen und Kom-ponenten. Vor zwei Jahren wurden 40Millionen Euro in den Neubau eines Ent-wicklungs-, Produktions- und Vertriebs-standortes in Itupeva investiert, der dasWerk im nahen São Paulo ersetzt, dasaufgrund des Wachstums der vergange-nen Jahre an Kapazitätsgrenzen gestoßenwar.

Hildegard Stausberg promovierte sichnach dem Studium von Politik, Volkswirt-schaft, Geschichte und Rechtswissen-schaften in Hamburg, Köln und BuenosAires 1975 mit der Arbeit „Argentinien unddie Revolución Liberta-dora von 1955 bis1958“. Von 1980 bis1987 berichtete siefür die „FAZ“über Latein-amerika, von 1988bis 1993 war siedort Korrespondentinfür Mexiko, Mittelamerika,Venezuela und die Karibik.Ab Mai 1993 leitete Hildegard Stausberg dieibero-lateinamerikanischen Programmeder Deutschen Welle (DW) in ihrer Hei-matstadt Köln, von 1994 bis 1999 verant-wortete sie als Chefredakteurin alleFremdsprachenprogramme der DW. ImAugust 1999 wechselte sie als Ressortleite-rin Außenpolitik zur „Welt“ nach Berlin, fürdie sie seit 2001 als Diplomatische Korres-pondentin tätig ist. Zudem ist HildegardStausberg ehrenamtliche Vorsitzende desKölner Presseclubs und Vorstandsmitglieddes Lateinamerika Vereins e. V. (LAV).

IMPRESSIONENEINESLANDES

IMPRESSUMEine Veröffentlichung der Redaktion

Sonderthemen für die Zeitung „Die Welt“Redaktionsleitung: Astrid Gmeinski-Walter(V.i.S.d.P.); Redaktion: Jochen Clemens

Produktion und Gestaltung: Elke KaufmannGesamtanzeigenleiter: Stefan Mölling

Nationale Vermarktung:Christoph Schmidt, Alexander Kühl –[email protected]

Verlag:Welt N24 GmbH Druck: Axel Springer SE,Berlin, Axel-Spinger-Straße 65, 10888 Berlin

Redaktionsschluss: 14. SeptemberErscheinungstag: 21. September

ALBERT KOCK

W er in Rio de Janeiros interna-tionalem Flughafen AntônioCarlos Jobim aus dem Flie-

ger steigt und mit dem Taxi oder BusRichtung Zentrum der Millionenme-tropole am Zuckerhut fährt, bekommtdie Herausforderungen von Ballungs-räumen in Brasilien oder ganz Latein-amerika hautnah zu spüren. Der Ver-kehr auf Rios Straßen sowie den Fern-verbindungen von hier zu den anderengrößeren Städten im Süden Brasiliensist dramatisch angewachsen. Der Bauvon neuen innerstädtischen Verkehrs-verbindungen oder auch von solchenim Bereich des öffentlichen Nahver-kehrs kommt der wachsenden Zahlvon Verkehrsteilnehmern und dem ex-orbitant anwachsenden Güterverkehrnicht ansatzweise nach. BrasiliensGroßstädte platzen aus allen Nähten,und der brasilianische Staat, wie auchdie größeren Städte und Ballungsräu-me, haben einen erheblichen Nachhol-bedarf.

Verschiedene Studien und Untersu-chungen über urbanisierte Räume inBrasilien ergaben: Es muss schnell undnachhaltig in die Infrastruktur inves-tiert werden. Nicht nur in die Verkehrs-infrastruktur, sondern auch in Energie-versorgung, Abfall- und Wasserwirt-schaft sowie die Qualität der öffentli-chen Verwaltung. Noch deutlicher als inRio wird dies am Beispiel von Brasiliensultimativer Megacity São Paulo: Ver-stopfte Straßen so weit das Auge reicht,der öffentliche Nahverkehr ist zu Stoß-zeiten hoffnungslos überlastet. Dies hatauch Brasiliens größter und bedeutend-ster Thinktank erkannt, die StiftungVargas (FGV), und drängt auf rascheVeränderung. Aufgrund ihrer Größe undBedeutung hat die FGV nicht unerhebli-chen Einfluss auf Strategie und Maß-nahmen der brasilianischen Bundesre-gierung sowie deren 27 Bundesstaaten.Fundação Getulio Vargas richtet nun

gemeinsam mit der Koelnmesse GmbHeinen eigenen Kongress aus, der als „Ur-banTec Brasil“ praxisorientierte Lösun-gen und Modelle („smart solutions for

better cities“) mit Experten aus allerWelt diskutieren und entwickeln will.„Die brasilianische Denkfabrik FGV istein idealer Partner, um die für Brasilienso wichtigen Themen der Stadtentwick-lung und gesamten Infrastrukturent-wicklung zu begleiten“, betont der deut-sche Generalkonsul in Rio de JaneiroHarald Klein. Dieser hatte die FGV unddas Messeunternehmen zusammenge-bracht.Auch andere engagieren sich laut des

Ausstellungs- und Messe-Ausschussesder Deutschen Wirtschaft (AUMA) inBrasilien: die NürnbergMesse GmbH,die Deutsche Messe AG Hannover, dieMesse Düsseldorf GmbH, die Messe Es-sen GmbH sowie die Freiburg MesseGmbH & Co. KG. Insgesamt zehn Mes-sen veranstalteten deutsche Ausrichter2014 dort. 2015 werden es voraussicht-lich zwölf sein. Damit ist Brasilien dergrößte Messemarkt für deutsche Veran-stalter in Lateinamerika, und São Pauloist für sie die wichtigste Stadt. Es folgenCaxias do Sul und Curitiba. Die deut-schen Veranstalter organisieren in Bra-

silien Messen in den Bereichen Metall-bearbeitung, Schweißtechnik, erneuer-bare Energien, Logistik, Labor- und Me-dizintechnik sowie Nahrungs- und Ver-packungsmaschinen. „Brasilien ist we-gen der Größe des Landes, der wirt-schaftlichen Entwicklung in den letzten

Jahren und des großen Potenzials eininteressanter Markt für ausländischeUnternehmen und damit auch ein at-traktiver Standort für Messeveranstalteraus Deutschland“, sagt Marco Spinger,AUMA-Geschäftsbereichsleiter GlobaleMärkte.

Zur „UrbanTec“ sind vor allem dieEntscheidungsträger aus Politik undVerwaltung mittlerer und großer StädteBrasiliens eingeladen. Die Messe findetvom 30. September bis 2. Oktober 2015im neuen Centro Cultural der StiftungVargas in Rios Stadtteil Botafogo statt.Nicht ohne Hintergrund, denn 2016 istRio Gastgeber der Olympischen Som-merspiele. Derzeit ist die Stadt eine gro-ße Baustelle, müssen doch Wettkampf-stätten, Olympisches Dorf und Medien-zentrum neu errichtet werden. Zudemwerden das U-Bahn-Netz erweitert undviele Straßen erneuert oder ausgebaut.„Wir sehen daher mit der ersten ,Urban-Tec Brasil‘ gerade in Rio de Janeiro ei-nen wichtigen Event, um dieses für Bra-silien so wichtige Thema zu besetzenund den Transformationsprozess vonbrasilianischen Städten und Ballungs-räumen professionell zu begleiten“, soGerald Böse, Vorsitzender der Ge-schäftsführung der Koelnmesse GmbH.

Weitere Infos: www.auma.dewww.urbantec-brasil.com

Die Städte platzen aus allen NähtenEine Messe will Entscheider zusammenbringen und so den überfälligen Ausbau der Infrastruktur anstoßen

Abfall, Energie,Verkehr, Wasser,Verwaltung:Es muss überallinvestiert werden

PETER RÖSLER

E s war einmal ein märchen-haft reiches Land, in demtrotzdem viele Menschendarbten. Aus deren Mittekam ein Präsident, der die

Gunst der Stunde nutzte. Er förderteWachstum und Umverteilung, verrin-gerte die Armut und schützte die imLand ansässigen Unternehmen vor in-ternationaler Konkurrenz. Brasilien istauch weiterhin märchenhaft reich, dochdie Einnahmen aus dem Rohstoffexportsprudeln nicht mehr so stark wie früher.Niedrige Erdölpreise machen die Förde-rung der riesigen Erdölvorkommen, dietief unter dem Meeresboden liegen,weitgehend unrentabel. Der Konsum imLand schrumpft, weil Inflation und Ver-schuldung die Kaufkraft großer Teileder Bevölkerung aushöhlen. BrasiliensWirtschaft stagniert schon seit vier Jah-ren. Für das laufende Jahr wird sogarmit einem Rückgang um zwei Prozentgerechnet. Auch für 2016 sind die Erwar-tungen eher gedämpft. Tatsächlichdroht Brasilien die schlimmste Wirt-schaftskrise seit 25 Jahren.Der Spielraum für staatliche Kon-

junktur- und Fördermaßnahmen istspürbar enger geworden. Bisher konn-ten bestimmte Branchen mit Steuerer-leichterungen und Subventionen rech-nen. Außerdem wurden sie durch hoheAußenzölle und lokale Fertigungsvor-schriften vor ausländischer Konkurrenzgeschützt. Die Zeche dafür zahlte undzahlt das ganze Land, weil diese Politiknicht nur die internationale Wettbe-werbsfähigkeit der brasilianischen Wirt-schaft beschädigt hat, sondern nebenhohen Steuern, Lohnkosten und Logis-tikaufwendungen auch eine der Ursa-chen für den „Custo Brasil“ ist, der dieInlandsproduktion unnötig verteuert.Aber nicht nur die brasilianischen In-

dustrieunternehmen haben Problememit dem Export ihrer Erzeugnisse. AuchRohstoffexporteure spüren den schärfe-ren Wind auf dem Weltmarkt. Bei Berg-bauprodukten ging die Nachfrage deut-lich zurück. Parallel dazu geriet dasPreisniveau für Rohstoffe unter Druck.Im ersten Halbjahr 2015 konnte Brasi-lien nur einen geringen Außenhandels-überschuss von 2,2 Milliarden US-Dol-lar erzielen. 2014 hatte das Land sogarein Defizit von vier Milliarden US-Dol-lar hinnehmen müssen. Immerhin ver-fügt die brasilianische Zentralbank wei-terhin über hohe Devisenreserven von360 Milliarden US-Dollar.Dazu kommt, dass die Rezession von

einer Abwertung begleitet wird. Zwi-schen Januar 2014 und Juli 2015 verlordie Landeswährung Real gegenüber demUS-Dollar um rund 40 Prozent. Ein US-Dollar entspricht nun 3,55 Real (StandAugust). Allerdings ist das per se keineschlechte Nachricht. Von der Abwer-tung werden nicht nur die Exporte Bra-siliens profitieren, sondern wegen stei-gender Preise für Importprodukte auchder Absatz teurer brasilianischer Indus-trieerzeugnisse auf dem Inlandsmarkt.Die hohe Verschuldung der Mittel-

schicht und die Beschleunigung des In-flationstempos auf neun Prozent spre-chen jedoch gegen eine baldige Erho-lung des Binnenkonsums. Die Regierungversucht, das Inflationsniveau mit Hilfevon Zinserhöhungen zu kontrollieren.Ende Juli setzte die Zentralbank denLeitzinssatz auf 14,25 Prozent herauf.Brasilien nimmt damit wieder die Spit-zenposition bei der Realverzinsung ein.Vielleicht gelingt es auf diese Weise so-gar, das Inflationstempo zu verringern.

Doch der Anstieg des Zinsniveausbremst das Wachstum ab, da es Investi-tionen verteuert. Bereits im vergange-nen Jahr war das Investitionsvolumenum 4,4 Prozent geschrumpft.Das Investitionsklima Brasiliens lei-

det auch unter den unsäglichen Korrup-tionsskandalen, die ein bisher nicht ge-kanntes Ausmaß erreicht haben. Petro-bras, das Schlachtschiff der brasiliani-schen Wirtschaft, musste zwar dieschwersten Blessuren einstecken, aber

auch viele andere Unternehmen sindbetroffen. Das Vertrauen der internatio-nalen Investoren in Brasilien ist sicht-lich erschüttert. Es droht nicht nur derVerlust der politischen Stabilität, son-dern auch ein Reformstau im Parla-ment. Die anhaltende Rezession hat zueiner Verschlechterung der Haushaltsla-ge der Regierung geführt. Die Ratingge-sellschaft Standard & Poor’s senkte imJuli 2015 den Ausblick für Brasilien vonstabil auf negativ. Im August folgte

Moody’s mit einer Herabsetzung derBonitätsnote auf die unterste Invest-ment-Grade-Stufe, wobei allerdings derAusblick auf stabil angehoben wurde. Soerhielt Brasilien eine Atempause.Präsidentin Dilma Rousseff hat längst

erkannt, dass ein Kurswechsel unver-meidlich ist. Auf der Agenda in ihrerzweiten Amtszeit steht unter anderemeine drastische Kürzung der Regie-rungsausgaben. Wegen der Korruptions-skandale ist aber unsicher, ob sie im

Parlament ausreichende Unterstützungfür diese Sparpolitik erhält. Ein wach-sender Teil ihrer Bündnispartner undsogar ihrer Parteimitglieder distanziertsich inzwischen von ihr. Fraglich istauch, ob die Regierung bereit ist, weitgenug zu gehen. Das Absenken der Vor-gaben für den Primärüberschuss imStaatshaushalt ist kein gutes Zeichen.Nach Einschätzung des World Eco-

nomic Forum steht Brasilien beim welt-weiten Infrastrukturvergleich lediglichauf dem 120. Platz von 144 gelistetenLändern. Dilma Rousseff will diesenMangel in einen Wachstumsmotor um-wandeln: Für den Ausbau der Infra-struktur in den Bereichen Straße, Schie-ne, Flughäfen und Seehäfen kündigte sieProjekte im Gesamtwert von 64 Milliar-den US-Dollar an. Die Mittel dafür sol-len aber vor allem von der Privatwirt-schaft aufgebracht werden. Um die insBoot holen zu können, ist aber einegrundsätzliche Änderung der Rahmen-bedingungen unabdingbar.Doch umfassende Strukturreformen

in den Bereichen Steuern, Lohnkosten,Arbeitsgesetzgebung, Sozialversiche-rung und Infrastruktur sowie Bildungund Politik sind ebenso wenig in Sichtwie der überfällige Kahlschlag der Büro-kratie. Die Regierung ist stattdessen da-mit beschäftigt, immer neue Löcher zustopfen. Dass die Bekämpfung der Kor-ruption Vorrang haben muss, weiß inBrasilien jeder. Inwieweit ist man aberdazu bereit, wenn eigene Parteimitglie-der betroffen und Regierungskoalitio-nen gefährdet sind?Aufhorchen lässt, dass wenigstens die

Automobilunternehmen trotz innenpo-litischer Instabilität und Rezession wei-tere Großinvestitionen realisieren. Zuihnen gehören Audi, BMW und Merce-des. Der Grund ist leicht zu verstehen:Produziert werden soll für das obereMarktsegment, in dem nach wie vor vielGeld vorhanden ist. Bereits 2014 deck-ten die deutschen Lieferanten fast dreiViertel des brasilianischen Bedarfs anOberklassewagen ab. Allerdings spieltebei ihren Investitionsentscheidungenauch Brasiliens Marktabschottungspoli-tik eine gewichtige Rolle.Für mehr als 260 Millionen US-Dollar

errichtete BMW eine neue Fabrik inSanta Catarina. Audi investiert im WerkSão José dos Pinhais 195 Millionen US-Dollar in zwei neue Produktionslinien.Die neue Mercedes-Fabrik in Iracemáp-olis wird 200 Millionen US-Dollar kos-ten und 2016 die Produktion aufneh-men. Philipp Schiemer, Präsident vonMercedes-Benz do Brasil, bemerkte beider Grundsteinlegung: „Wir glaubenfest an das Wachstumspotenzial desbrasilianischen Marktes.“ Von 2010 bis2020 strebt das Unternehmen eine Ver-vierfachung der Absatzzahlen von Lu-xuswagen an. Dagegen ist im Lkw-Sek-tor die Nachfrage stark eingebrochen.Nach Angaben des brasilianischen

Automobilherstellerverbands Anfaveaging der Absatz der gesamten Brancheim ersten Halbjahr 2015 gegenüber demVorjahr um erschreckende 21 Prozentzurück. Trotzdem sind selbst in den un-teren Pkw-Segmenten umfangreicheNeuinvestitionen geplant oder auch be-reits umgesetzt worden. Zu ihnen gehö-ren Land Rover und Fiat sowie chinesi-sche, koreanische und japanische Her-steller. General Motors hat in Koopera-tion mit der staatlichen chinesischenShanghai Automotive Industry Corp. fürdie kommenden Jahre Investitionen vonzwei Milliarden US-Dollar in Brasilienangekündigt. Ein beeindruckender Ver-trauensvorschuss, der Hoffnung macht.

VomMusterknabenzum SorgenkindBrasiliens Wirtschaft ist angeschlagen, eine schnelle Genesungnicht in Sicht. Doch wenigstens die Automobilbranche floriert

Auch Volkswagen setzt auf den brasilianischen Markt. Im Werk Anchieta in São Bernardo do Campo bei São Paulo wird derSaveiro gefertigt, die Pick-up-Version des in Südamerika angebotenen Kleinwagens Gol

PA/DPA

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (r.) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brasília im August. Rousseffkündigte Wiederaufforstungen im Regenwald, den Stopp illegaler Rodung und das Ende fossiler Rohstoffnutzung an

PA/Z

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Brasilien & Deutschland

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Das ist nicht gestellt: In Joinville, Ausrichter der deutsch-brasilianischen Wirtschafts-tage 2015, sind Einfluss und Herkunft der Vorfahren noch deutlich sichtbar

PETER RÖSLER

Joinville ist nicht nur Standort derdiesjährigen deutsch-brasilianischenWirtschaftstage, sondern auch die

bevölkerungsreichste Stadt des brasilia-nischen Bundesstaates Santa Catarina.1851 wurde sie von deutschen Einwan-derern gegründet. Der Bundesstaat, indem sie liegt, ist etwas größer als Bay-ern, hat aber nur 6,7 Millionen Einwoh-ner. Am Bruttoinlandsprodukt Brasi-liens ist Santa Catarina mit vier Pro-zent beteiligt. Im landesweiten Ver-gleich der Wirtschaftskraft steht er da-mit an sechster Stelle. Noch ein paarweitere Fakten sind von Bedeutung:Santa Catarina nimmt in Brasilien dieführende Position in den Bereichen Bil-dung, medizinische Versorgung und Le-benserwartung ein. Nach Brasilia, Riode Janeiro und Espírito Santo verfügtder Bundesstaat zudem über das höchs-te Pro-Kopf-Einkommen Brasiliens.Und für Wirtschaftstreibende und po-tenzielle Investoren ein wichtiger Fakt:

Die Korruption ist niedriger als anders-wo in dem Riesenland.Seine beachtenswerte Position ver-

dankt Santa Catarina nicht zuletzt denfleißigen Menschen. Fast 45 Prozent derEinwohner sind deutschen oder österrei-chischen Ursprungs. In vielen Dörfern,aber auch in Städten wie Blumenau undPomerode, findet man Einwohner, dieHochdeutsch oder deutsche Dialektesprechen können. Auch die Architekturkann ihre Herkunft nicht verhehlen. Diezweitwichtigste Bevölkerungsgruppesind mit einem Anteil von rund 30 Pro-zent die Menschen, deren Vorfahren ausNorditalien kamen. Auch die Nachfahrender Einwanderer aus den portugiesi-schen Azoren und aus Polen sind starkvertreten. Insgesamt stammen etwa 85Prozent der Einwohner beziehungsweiseihrer Vorfahren aus Europa.Santa Catarina besitzt eine breit gefä-

cherte Wirtschaft. Die Industrie, die fürrund die Hälfte der Wirtschaftsleistungverantwortlich ist, umfasst Metallbear-beitung, Maschinenbau, Möbelherstel-

lung, Holzverarbeitung, Kohlebergbau,Papiererzeugung, Lebensmittelprodukti-on, Textilien und Bekleidung, Keramik,Kunststoffe, Informations- und Kommu-nikationstechnologie und Schiffbau.Santa Catarina ist außerdem Brasiliensgrößter Schweinefleisch- und Geflügel-exporteur. Insgesamt nimmt der Bun-desstaat den vierten Platz bei den Ex-porten des Landes ein. Die führendenAgrarprodukte sind Mais und Soja. DieFischerei ist ebenfalls von Bedeutung.Der Bundesstaat ist zudem die Heimat

einiger großer brasilianischer Unterneh-men. Zu ihnen gehören Brasil Foods, dergrößte Lebensmittelproduzent Brasi-liens, der Elektromotorenhersteller Weg,der Produzent von Kompressoren undKühlungssystemen Embraco sowie dasweltweit operierende Gießereiunterneh-men Tupy. Die großen Elektrogeräteher-steller Consul und Brastemp haben dortebenfalls ihren Sitz. Typischer für dieWirtschaft des Bundesstaates sind aller-dings die vielen kleinen und mittelstän-dischen Industrieunternehmen. 45.000sind es, die 800.000 Arbeitsplätze ga-rantieren. Der weltweit berühmte deut-sche Mittelstand lässt grüßen.Eine wichtige Rolle für die Wirtschaft

des Bundesstaates spielt der Tourismus.Die Strände Santa Catarinas gehören zuden schönsten in Brasilien. Dass sie außer-halb nicht annähernd die Bekanntheit be-sitzen wie Rios Copacabana, ist für Touris-ten, die das Besondere abseits der übli-chen Routen suchen, eher eine gute Nach-richt. Ein Kontrastprogramm bieten dieBerge und die vielen Orte mit ihrer ausder Kolonialzeit stammenden Architektur.Einen weiteren Anreiz bieten kulturelleGroßveranstaltungen wie das Tanzfestivalvon Joinville oder das Oktoberfest vonBlumenau, das als zweitgrößtes der Weltgilt und ein Publikumsmagnet ist. Jährlichkommen etwa genauso viele in- und aus-ländische Touristen nach Santa Catarinawie der Bundesstaat Einwohner hat.

Mittelstand, Oktoberfest und FerienparadiesDie Wirtschaftstage 2015 finden im „deutschen“ Santa Catarina statt

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HERBST 2015 D IE WELT SEITE I I I

Brasilien & Deutschland

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Wassermangel: Zwei Großstädtesitzen auf dem TrockenenWasser gibt es manchmal nur noch fünfStunden am Tag: Im Südosten Brasiliensleiden die Menschen zunehmend anWassermangel, besonders hart trifft esBallungszentren wie Rio und São Paulo.Landesmedien zufolge haben die Men-schen der größten Stadt des Landesderzeit rund 30 Prozent weniger Wasserzur Verfügung als im Januar 2014. DieRegierung des Teilstaats São Pauloreagiert mit dem Einleiten von Wasseraus entfernten Flüssen. Die Wasser-speicher trocknen aus. Cantareira, dergrößte städtische Stausee, verfügtgerade noch über 14 Prozent der nor-malen Füllmenge. Farmer rings um SãoPaulo klagen, dass wohl ganze Erntenverloren gehen. Experten sprechenbereits vom bevorstehenden Ernte-ausfall als dem schlimmsten seit 50Jahren.Unerwartet indes kommt all das nicht.Es gibt viele Ursachen. Dazu gehörenverseuchte Gewässer ebenso wie dasandauernde Abholzen des Regenwalds,das sich in Extremwettersituationen wieÜberschwemmungen und Dürren be-merkbar macht. Dazu gehören auch derbislang verschwenderische Umgang mitWasser und marode Netze. Die größtenVerbraucher sind Industrie und Land-wirtschaft. In und um São Paulo und Riogehen zwischen 30 und 40 Prozent desWassers verloren, weil die Leitungs-systeme veraltet und löchrig sind.Abhilfen wie Meerwasserentsalzungs-anlagen oder besonders leistungsfähigeKläranlagen, die Abwässer noch einmalaufbereiten sollen, sind teuer und keinedauerhaften Lösungen. Weil Brasilienprinzipiell ein wasserreiches Land ist –etwa ein Achtel des Frischwassers derWelt sind hier konzentriert –, könnteder Bau riesiger Leitungssysteme, dieWasser über Tausende von Kilometerntransportieren können, die nahelie-gendste Alternative darstellen. cle

IMPRESSIONENEINESLANDES

JOCHEN CLEMENS

D ie Sonne scheint in Brasi-lien fast immer und überall.Die logische Konsequenzwäre, dass das Land diesenVorteil nutzt und sich als

einer der größten Produzenten von Solar-strom, -zellen und -anlagen etabliert.Doch weit gefehlt: „Brasilien ist 20-malso groß wie Deutschland, verfügt abernur über ein Tausendstel der installiertenSolarleistung“, sagt Carsten Tschamber,Geschäftsführer des Solar Clusters Ba-den-Württemberg mit 40 Mitgliedern.„Das sind unter 30 Megawatt.“ Ein ver-schwindend geringer Wert, wenn mandas Potenzial betrachtet und weiß, dassauch der Standort mit den schlechtestenEinstrahlungswerten noch anderthalbmalertragreicher ist als der beste in Deutsch-land.Nachdem der südliche brasilianische

Bundesstaat Paraná angekündigt hatte,künftig auf Sonnenkraft zu setzen und ei-ne komplette Wertschöpfungskette auf-bauen zu wollen, wandte sich unter ande-rem der dortige Industrieverband an dasSolar-Cluster und gab eine Machbarkeits-studie für eine brasilianische Fotovoltaik-Produktion in Auftrag. Drei der Cluster-Mitglieder, das Zentrum für Sonnenener-gie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und zwei Fraunho-fer-Institute, machten sich ans Werk undkamen jetzt zu einem eindeutigen Ergeb-nis: ja, es ist nicht nur möglich, sondernauch absolut ratsam.Mithilfe des ZSW soll nun in Paraná

der Einstieg in die Herstellung von Foto-voltaik-Modulen gelingen. Gelingt das,könnten auch andere Landesteile nach-ziehen und für Brasilien ein dringend be-nötigtes zusätzliches wirtschaftlichesStandbein schaffen. Was die Nutzung vonWind- und Solarenergie angeht, ist mantatsächlich ein Entwicklungsland. Bisheute steuern diese beiden regenerativenEnergieformen nur rund ein Prozent zurgesamten Energieproduktion bei. Das istvorwiegend ein Erbe politischer Zielvor-gaben aus den 70er-Jahren, in deren Folgevor allem in Wasserkraftwerke und denBau von Staudämmen investiert wurde.So bezieht Brasilien nach wie vor denüberwiegenden Teil seiner Energie ausWasserkraft.Die Voraussetzungen, Solarkraft zu-

nächst in dem an Paraguay grenzendenBundesstaat Paraná zu etablieren, sindbestens. Mehrere Energie- und Wirt-schaftsverbände sowie der brasilianisch-paraguayische Energieversorger Itaiputräumen vom „Green Silicon Project“und dem Aufbau einer neuen Industriemit einer vollständigen Wertschöpfungs-kette. Die soll von der Bereitstellung und

Verarbeitung von rund 10.000 Tonnen Si-lizium pro Jahr bis hin zur Produktionvon Solarzellen reichen, denn die Realitätderzeit ist aberwitzig: Zwar verfügt Brasi-lien über bedeutende Vorkommen deszur Herstellung von Solarzellen benötig-ten Halbmetalls Silizium, doch wird derRohstoff fast ausschließlich exportiert.Ein Hauptabnehmer ist China, das damitbillig Solarzellen produziert. Brasilienwiederum kauft diese ein, weil sie günsti-ger sind, als eigene Produkte es wären.Das soll sich nun ändern.Standort für das anbrechende Solar-

zeitalter soll das von Brasilien und Para-guay gemeinsam betriebene WasserwerkItaipu sein. Mit einer Leistung von 14 Gi-gawatt zählt es zu den größten Kraftwer-ken der Welt. Die geplante Fotovoltaik-Fabrik soll in unmittelbarer Nähe entste-hen und mit seinem Strom betriebenwerden. Somit ließen sich die „Solarmo-dule völlig CO2-frei produzieren“, heißtes seitens des ZSW. Ein günstiger Um-stand ist, dass die meisten der rund 200brasilianischen Unternehmen der Solar-branche ohnehin im Süden konzentriertsind. Das Gros, rund 80 Prozent, sind Mi-kro- und Kleinunternehmen.Carsten Tschamber nennt eine Solar-

zellenproduktion mit einer jährlichenGesamtleistung von mindestens einem

Gigawatt als Orientierungspunkt. „Dasbraucht man schon, um preislich mitden Chinesen konkurrieren zu können.“Die Investitionskosten für das ehrgeizigeZukunftsprojekt lägen im Milliardenbe-reich. „Das Geld muss nicht von einemeinzigen Investor kommen, es könnenauch mehrere sein.“ Als einen realisti-schen Zeitraum zur Umsetzung siehtTschamber eine Spanne von drei bis fünfJahren an. „Es ginge sicherlich auchschneller, aber es wäre nicht sinnvoll,weil es in der Infrastruktur noch an eini-gem fehlt, etwa an ausreichend qualifi-ziertem Personal.“ Für deutsche Unter-nehmen eröffnen sich in jedem Fall loh-nenswerte Perspektiven, zumal die deut-sche Expertise auf diesem Gebiet be-kannt ist und auch geschätzt wird. „Wir

bekommen hier viele Anfragen aus Brasi-lien“, so Carsten Tschamber.2008 unterzeichneten Deutschland

und Brasilien ein Abkommen über eineZusammenarbeit im Energiesektor mitSchwerpunkt auf erneuerbaren Energienund Energieeffizienz. In der Folge wur-den bereits mehrere Projekte realisiert,darunter die Installation einer Fotovol-taik-Anlage auf dem Dach des Fußballsta-dions von Belo Horizonte, die seit 2013rund 2000 Megawattstunden Strom proJahr erzeugt. Elektrisiert hatte dieses Vor-zeigeprojekt ein Jahr später offenbar diedeutsche Fußballnationalmannschaft. ImStadion von Belo Horizonte feierte sie ih-ren epochalen 7:1-Erfolg im Halbfinale ge-gen Gastgeber Brasilien, um dann auchnoch den WM-Titel zu gewinnen.

Sonne im Blick: Der südlich Bundesstaat Paraná macht den Anfang und will mit dem „Green Silicon Project“ eine vollständige Wertschöpfungskette aufbauen

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Mit derKraft derSonne

Mit derKraft derSonne

Der BundesstaatParaná will eineSolarindustrieaufbauen. Eine Studiesieht beste Chancen –auch für deutscheUnternehmen

Das Stadion von Belo Horizonte mit der aufdem Dach installierten Fotovoltaik-Anlage

PA/APPH

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Auch in Brasilien schaffen wir mit eigenen Messeveranstaltungen optimale Business-Kontakte understklassige Services auf höchstem internationalen Niveau. Unsere Schwerpunkte in Brasilien liegenin den zukunftsorientierten Bereichen Ernährungstechnologie, Kindermode und urbaner Infrastruktur.So verbinden wir große Ideen und Menschen mit Visionen weltweit.

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20 km

Grafik: H. Anders

Valença

Festival Vale do Café

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Mendes Eng. Paulo de Frontin

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Vale do CaféVale do CaféVale do Café

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SOLVEIG FLÖRKE UND NADIA PONTES

José Américo Goulart fährt sich mit seinen kräf-tigen Arbeiterhänden durch die glatten, graumelierten Haare. Der Brasilianer ist 46 Jahre alt,ein schlanker Mann, der jeden Tag durch dieReihen seiner Kaffeepflanzen geht. Er kenntpraktisch jeden einzelnen der insgesamt 10.000Sträucher. Seine Farm liegt im Süden des Bun-desstaates Minas Gerais. Nirgendwo sonst aufder Welt wird so viel Kaffee angebaut. Doch im

letzten Jahr hat es kaum geregnet. Für die Ernte sieht esnicht gut aus. In José Américos von der Sonne braun ge-branntem Gesicht kann man die Sorgenfalten auf derStirn gut erkennen, während er kopfschüttelnd über diePlantage stapft. „Ohne Wasser keine Frucht“, sagt er vorsich hin.

In ganz Brasilien fällt die Kaffeeernte im Vergleich zumVorjahr sehr viel schlechter aus. Und schon 2014 war dasErgebnis kein gutes. Eine harte Prognose für den weltweitgrößten Kaffee-Exporteur. Von Rückgängen zwischen dreibis 20 Prozent ist die Rede. Grund seien die klimatischenBedingungen, besonders die Dürre zu Beginn des Jahres.Vor allem zwischen Januar und März benötigt die Pflanzewichtige Nährstoffe, um die Bohnen entwickeln zu kön-nen. Auch von Mai bis September braucht sie Wasser, umden Wachstumsprozess abschließen und Blüten treiben zukönnen. „Aber genau in dieser Zeit hat es gar nicht gereg-net“, sagt Luiz Carlos Machado Rodrigues. Der Direktordes Instituto Federal Sul de Minas Gerais sieht spezielleSchwierigkeiten in der Bergregion: „Hier ist es nicht ein-fach, ein Bewässerungssystem aufzubauen. Wenn es dannnicht regnet, ist die Ernte sofort betroffen.“

Die erste Kaffeepflanze kam 1727 nach Brasilien. Nurein Jahrhundert später waren die Kaffeebohnen bereitsdas Hauptexportprodukt des südamerikanischen Landes.1845 stammten auf dem Weltmarkt fast die Hälfte allerKaffeebohnen aus Brasilien. Seitdem ist Brasilien weltwei-ter Spitzenreiter, gefolgt von Vietnam, Indonesien undKolumbien, die sich ebenfalls als Kaffeeanbaugebiete eig-nen. Die Entwicklung hat alle Länder geprägt, in Brasilienwird auf knapp 2,3 Millionen Hektar Fläche Kaffee ange-baut, allem voran in den Bundesstaaten Minas Gerais, SãoPaulo und Paraná. Laut dem brasilianischen Landwirt-schaftsministerium gibt es 287.000 Kaffeebauern wie JoséAmérico.

Von den 45.000 Kaffeesäcken zu jeweils 60 Kilo ausdem letzten Jahr gingen mehr als 36.000 in den Export.„Um ehrlich zu sein: Hier produziert niemand, weil er anden heimischen Markt denkt“, räumt Fernando Barbosada Silva ein. „Alle produzieren für das Ausland“, sagt derRatspräsident der Kaffee-Vereinigung AMOG. Die USAund Deutschland wechseln sich an der Spitze der größtenKaffee-Abnehmer Brasiliens unregelmäßig ab. Die deut-schen Kaffeehändler sind vor allem an grünen Kaffeeboh-nen interessiert, nicht geröstet und nicht entkoffeiniert.Für den Konsum vorbereitet, reexportieren die deutschenHändler den Kaffee später wieder ins Ausland, wie bei-spielsweise in die USA, nach Österreich, Polen oder in dieNiederlande.

Nicht verwunderlich, dass die Exportfirma Stockler, diezur Neumann Kaffee Gruppe gehört, ein Büro im Südenvon Minas Gerais unterhält. Genau dort, wo auch JoséAmérico seine Kaffeeproduktion hat. Die Stockler-Ge-schäftsstelle in Muzambinho kauft die Kaffeebohnen di-rekt von den Bauern und Kooperationen vor Ort bezie-hungsweise von Vermittlern und Kaffeemaklern. Jede Kaf-feeprobe, die ankommt, wird von Stockler zunächst aufdie Qualität der Bohnen getestet, unter anderem von Kaf-feetestern, die in weißen Kitteln ein Schlückchen nachdem anderen über ihre Zungen schlürfen und nach genau-em Erschmecken wieder ausspucken.

Das Verfahren ist einheitlich und verläuft in Muzambin-ho genauso wie in Santos, dem Hauptsitz des Kaffee-Ex-porteurs. Auf den kopfsteingepflasternten Straßen Santos’liegen zwischen den einzelnen Steinen und am Bordstein-rand überall trockene, grüne Kaffeebohnen auf dem Bo-den. „Kaffee“ ist hier das bestimmende Thema, auch inden meisten kleinen Restaurants, wo sich mittags die Kaf-fee-Experten zu Tisch setzen und fachsimpeln.

Um die Ecke steht die Kaffee-Börse von Santos. Hierkann man ein Museum besuchen, das sich mit der Ge-schichte des Kaffees in Brasilien beschäftigt. Es führtdurch die prunkvollen Räume und Hallen des monumen-talen Gebäudes. Überall wird der Kaffee assoziiert mit et-was Edlem, etwas Besonderem und Kostbarem. Auch des-halb kommt es einem Außenstehenden vor, als machtendie Kaffee-Experten aus simplen Bohnen eine eigene,komplexe Philosophie.

Vielleicht ist es das auch. Denn gefragt ist – vor allemfür den Export – nur die allerbeste Qualität. Genau dieseAnsprüche können die Kaffeebauern nach der Dürre aberkaum bieten. „Das ist allgemein die größte Schwierigkeit“,bestätigt José Américo. „Viele können bei der Ernte nichtunterscheiden, welcher Klasse die Bohnen entsprechen.Ob ‚weich‘ oder ‚hart‘, wie die Käufer sagen.“ Um die Pro-duzenten grundsätzlich zu unterstützen, hat das InstitutoFederal Sul de Minas Gerais ein Labor für die Klassifikati-on und Geschmacksprobe von Kaffee eingerichtet, dasvon den regionalen Bauern genutzt werden kann. Gleich-zeitig dient das Labor Auszubildenden im technischen Be-reich der Kaffeekultur.

Mittlerweile hat José Américo sich einige Kenntnisseangeeignet. Oft gelingt es ihm schon während der Ernte,die Bohnen zu unterscheiden. „Aber trotzdem ist es nochsehr schwierig, mit den Käufern zu verhandeln. Ich bin si-cher, dass mein Kaffee einer weichen Bohne entspricht,aber wenn es zum Check kommt, sagen die Tester das Ge-genteil. Das müsste sich noch verbessern“, sagt er. Undweil er sich nicht einzig und allein auf die Kaffeetesterund den Regen verlassen will, hat sich José Américo nochein zweites Standbein zugelegt: Honig. „Kaffeepflanzenund Honigbienen, das geht gut zusammen“, findet er. SeinZiel ist es, ein Zertifikat für organischen Honig zu bekom-men. „Aber dafür müsste auch mein Kaffee bio sein, weilsich die Bienen ja davon ernähren. Das versuche ich jetzt.“

Mit Blick auf Europa gar keine schlechte Idee: Hiersteigt die Nachfrage nach organischem, nachhaltig ange-bautem und zertifiziertem Kaffee. Bisher kaufen die Deut-schen den meisten Biokaffee. Und noch eine gute Nach-richt gibt es aus Sicht der brasilianischen Kaffeebauern:Nach zwei aufeinanderfolgenden Ernten unterhalb der Er-wartungen gehen Experten für die nächsten Jahre von gu-ten Ernten aus. Auch, weil die Bauern viel Arbeit in dieAufwertung ihrer Flächen gesteckt haben.

Brasiliens Krise hat auch das wichtigste

Exportgut des Landes erfasst, den Kaffee.

Doch die Gründe sind andere: zwei Dürren.

Schon 2014 wogen die Ernteausfälle schwer,

2015 fallen sie noch kräftiger aus. Manch eine

Plantage setzt nun auf höhere Qualität, will

mit Bio punkten – vor allem in Deutschland

Das interessiert Sie nicht die

Bohne? Dann wird’s teuer!

Deutsche Kaffee-Händler bevorzugen die grünen Bohnen,die sie dann weiterverarbeiten.Ein Teil wird exportiert undgeht an Abnehmer wie die USA,Österreich, Polen oder Holland

„Um ehrlich zu sein:Hier produziertniemand, weil er an den heimischenMarkt denkt. Alle produzieren für das Ausland“ Fernando Barbosa da Silva,Ratspräsident der Kaffee-Vereinigung AMOG

José Américo betreibteine Farm mit 10.000Kaffee-Sträuchern.Seine Felder liegen im Süden des Bundes-staates Minas Gerais(unten). So wie fast alleAnbauer leidet auch er unter der Dürre. Mit Honig hat sich der46-Jährige nun einzweites Standbeingeschaffen

WR 421.09.15 Montag, 21. September 2015 DWBE-VP1Belichterfreigabe: -- Zeit:::Belichter: Farbe:

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Brasilien & Deutschland

Globales Kochen in Berlin ist viel spannender als jeder Krimi„Atelier Culinário“ – der Name machtdeutlich, dass die Brasilianerin SabineHueck Interessierten nicht nur beibrin-gen möchte, wie man brasilianischesPão de queijo, Maniok-Käsebällchenoder Feijoada, den typischen Bohnen-eintopf, zubereitet, sondern auch, wasdie Kunst beim Kochen ausmacht. DasBesondere an der Küche ihrer Heimatbestehe darin, dass sie die verschiedens-ten Einflüsse aufgreife, mit denen Portu-giesen, afrikanische Sklaven, japanische,italienische oder deutsche Einwandererdie Küche der indigenen Bevölkerungbereichert haben. Das versucht SabineHueck in ihrem kulinarischen Atelier inBerlin-Schöneberg zu praktizieren.

Kreolische Sacher-Schnitten, Rösti ausManiok-Mehl oder peruanisches Cevichemit einer Koriander-Vinaigrette ausTeltower Rübchen sind einige der lecke-ren Ergebnisse. „Die Küchen der ver-schiedenen Länder zu verstehen, ist diekulturelle Herausforderung überhaupt,die globale Küche ist spannender alsjeder Krimi“, schreibt Hueck in ihremKochbuch „Höllisch scharf und himm-lisch süß“. In São Paulo aufgewachsen,hat die Brasilianerin deutscher Ab-stammung zunächst ihrer Großmutterin deren Strand-Konditorei über dieSchulter geschaut. Später machte sie inDeutschland eine Ausbildung zur Hotel-und Gastronomiemanagerin, lebte zwi-schenzeitlich in Peru und betrieb eineKonditorei in Florianópolis. In Berlin, wosie seit etwa 30 Jahren wohnt, hat siejahrelang erfolgreich einen Catering-Service betrieben und mehrere Kochbü-cher geschrieben. Eines davon auch mitdeutschen Rezepten. Damit die, die siewährend des Deutschlandjahres inBrasilien im Auftrag von Visit Berlin mitihren Frikadellen-, Sauerkraut- oderWurstkreationen beglückt hat, nichtganz hilflos dastehen. Ulrike Wiebrecht

Cachaça – hochprozentiges Nationalgetränk aus Zuckerrohr

Echter Whisky kann aus vielen Ländernkommen, echte Cachaça dagegen nuraus Brasilien. Rund 1,3 Milliarden Literdes Zuckerrohrbrands werden dort imJahr von mehr als 4000 Produzentenund rund 60.000 Beschäftigten her-gestellt. Der Alkoholgehalt ist auf maxi-mal 48 Prozent begrenzt, muss abermindestens 38 Prozent betragen. Ist dasProdukt gehaltvoller – bis 54 Prozent –,ist es als „Aguardente“ (Feuerwasser) zukennzeichnen. Wichtigster Rohstoff istfrisch geerntetes Zuckerrohr. Weil es inBrasilien rund 600 verschiedene Sortengibt, ist die Variationsbreite der Cachaçagroß. Bei ihrer Herstellung wird Zucker-rohr mit Wasser verdünnt und mit Hefeversetzt. Im industriellen Prozess gärtdie Mischung dann rund 24 Stunden inEdelstahlbehältern. Weil das Ge-schmackspotenzial des Zuckerrohrs ineinem Tag nicht auszuschöpfen ist,dürfen anschließend bis zu 30 GrammZucker pro Liter hinzugefügt werden.Connaisseure verachten das, sie schwö-ren auf die traditionelle Herstellungs-weise, bei der der Fermentierungs-prozess 36 Stunden dauert und dasDestillat in Kupfer-Brennblasen ge-brannt wird. Cachaça kann „jung“ abge-füllt werden oder aber in Fässern einJahr oder länger reifen. 28 Holzsortendürfen für die Fässer, in denen „CachaçaArtesanal“ (also traditionell erzeugteCachaça) reift, verwendet werden,darunter einheimische Hölzer wie Um-burana oder Bálsamo. Besonders beliebtaber sind Eichenholzfässer, vorzugs-weise solche, in denen zuvor Whisky,meist Bourbon, oder Cognac lagerte. Sobetört jedes Cachaça-Fass mit einersehr speziellen Note. cle

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Brasilien & Deutschland

Forscher hoffen auf den erstenImpfstoff gegen das Dengue-Virus

Als „Geißel Brasiliens“ bezeichnetejüngst Edivaldo Velini, Präsident derKommission für Biosicherheit (CTNBio),das Dengue-Virus. Allein zwischen Janu-ar und Mitte April wurden rund 745.000Fälle von Dengue im Land bekannt. DemGesundheitsministerium zufolge sinddas 234,2 Prozent mehr als im Ver-gleichszeitraum 2014, aber auch 48,6Prozent weniger als zur selben Zeit 2013.Offiziell starben in den ersten vier Mo-naten des laufenden Jahres 229 Men-schen an den Folgen der Viruserkran-kung. In sieben Bundesstaaten sieht dieWeltgesundheitsorganisation WHOderzeit eine „epidemiologische Situati-on“ – in Acre, Tocantins, Rio Grande doNorte, São Paulo, Paraná, Mato Grossodo Sul und Goiás. Bislang gibt es welt-weit keinen wirksamen Impfstoff gegendas durch den Stich der Tigermückeübertragene Virus, doch nun hofft dieCTNBio auf einen baldigen Durchbruch.Kürzlich gab die Kommission bekannt,die kommerzielle Nutzung gentechnischveränderter Organismen für die Her-stellung von Impfstoff gegen die vierDengue-Serotypen DENV-1 bis DENV-4genehmigt zu haben. Damit könntedieser nun in klinischen Studien anPatienten getestet werden. Im Erfolgs-fall muss das Wissenschaftsministeriumdie Zulassung erteilen. Andere Forscher widmen sich demÜberträger und wollen die Tigermückeunschädlich machen. Gelingen soll dasmittels einer resistenten Mückenart,deren Züchtung jetzt brasilianischenWissenschaftlern gelungen ist. Dieersten Schwärme entließen sie bereitsin die freie Wildbahn und hoffen nun,dass sie sich mit den Tigermückenpaaren und diese langfristig verdrängenkönnen. In zwei Jahren könnten Tenden-zen erkennbar sein, in fünf bis zehnJahren sollen handfeste, überprüfbareDaten für ganz Brasilien vorliegen. cle

Ein Koloss für die Wissenschaftmitten im RegenwaldEs bietet den mit Abstand spektakulärs-ten Ausblick über den Amazonas-Regen-wald, jedoch nicht für Touristen: Rund150 Kilometer nordöstlich von Manauseröffnete im August das Amazonian TallTower Observatory. Es besteht ausStahl, misst 325 Meter und ist damit 24Meter höher als der Eiffelturm in Paris.Der weltweit höchste Klimamessungs-turm ist ein gemeinschaftliches For-schungsprojekt von Brasilien undDeutschland; beide Länder steuernjeweils 8,4 Millionen Euro für den Bauund die ersten fünf Betriebsjahre bei.„Atto“, so Brasiliens Wissenschafts-minister Aldo Rebelo, solle „Daten zumZusammenspiel zwischen Natur und derEntwicklung des Klimas“ liefern, darun-ter zur Verteilung der klimaschädlichenTreibhausgase, zu Wolkeneigenschaften,Grenzschichtprozessen und dem Trans-port von Luftmassen in der für dasWeltklima wichtigen Regenwaldregion.Rebelo sprach von einem „Koloss für dieWissenschaft“. Für den Standort habeman sich entschieden, weil er „weitest-gehend abseits menschlicher Einflüssegelegen ist und uns somit relativ unver-fälschte Daten gewährleistet“, sagtMeinrat Andreae vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. „Atto“ermögliche es den Wissenschaftlern,„ihre Messungen in höheren Luftschich-ten und kontinuierlicher als bisherdurchzuführen, sodass verlässlichereAussagen über die Entwicklung unsererAtmosphäre zu erwarten sind“. Diebeiden Partner der Mainzer sind dasbrasilianische Bundesinstitut für Amazo-nasforschung (INPA) und die Uni desStaates Amazonas UEA. cle

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ULRIKE WIEBRECHT

Da steht sie auf dem Rasenmit weißer Spitzenbluseund langem, violettemRock. Auf dem Kopf einHütchen, in der Hand ein

weißer, mit Rüschen besetzter Sonnen-schirm. Ein Bild von Monet? Oder Au-guste Renoir? Auch wenn es aussieht,als wollte sie einem impressionisti-schen Maler Modell stehen – es ist ein-fach nur Elisabeth Dolsons Art, Besu-cher auf ihrer Farm, der denkmalge-schützten Fazenda Santa Eufrásia, zuempfangen. Und sie damit sogleich indie Zeit um 1830 zurückzuversetzen, alsEzequiel de Araújo Padilha das Haus er-baute, um hier Kaffee anzubauen.

Ein halbes Jahrhundert lang hatte erdamit Erfolg. Die schwarzen Bohnen be-scherten ihm so viel Reichtum, dass eres sich auch leisten konnte, eine Gondelaus Venedig kommen zu lassen, um da-mit über den Teich in seinem Garten zugleiten. „Ja, hier wurde einst viel Geldmit dem Kaffee verdient“, meint Elisa-beth, „aber auch verloren.“ Denn ir-gendwann gaben die Böden nichts mehrher. Deshalb ließ ihr Urgroßvater, derdie Farm 1905 übernahm, die Pflanzenverbrennen und sattelte um auf Rinder-zucht. Zwar gedeihen hier heute wiederKaffeebohnen neben Mangobäumen,bengalischen Feigen- und rosa blühen-den Baumwollbäumen. Doch die sindeher für den Hausgebrauch. Schließlichgehört es sich für die Dame des Hauses,zum Abschluss des Besuchs im originalerhaltenen Salon zwischen alten Mö-beln, Spiegeln, Kamin und verblichenenFotos am sechs Meter langen HolztischKaffee aus eigenem Anbau und allerleisüße Köstlichkeiten zu servieren.

Die Fazenda Santa Eufrásia ist ein ty-pisches Beispiel für die Farmen im Valedo Café, im Tal des Kaffees, das etwas120 Kilometer nordwestlich von Rio deJaneiro im gleichnamigen Bundesstaatliegt. Hunderte solcher Kaffeefarmengibt es hier. 1860 machte ihre Produkti-on 75 Prozent des Weltmarkts aus.Nachdem die Goldminen erschöpft wa-ren, halfen sie, das Kaiserreich zu fi-nanzieren, wobei die Bohnen sogar lu-krativer als das Edelmetall waren. Mitden Steuereinnahmen konnte der Kai-ser Eisenbahnen und elektrische Stra-ßenbeleuchtung finanzieren. Dochlangfristig war das wirtschaftliche Mo-dell zum Scheitern verurteilt. Zum ei-nen, weil die Monokultur die Bödenauslaugte. Zum anderen versäumten esdie Kaffeebarone, beizeiten in andereBereiche zu investieren.

Stattdessen haben sie einfach gut ge-lebt und von den billigen Sklaven profi-tiert, bis die Sklaverei 1888 abgeschafftwurde. Spätestens da ging die Rechnungnicht mehr auf. Im Übrigen hatten in-zwischen die Bundesstaaten São Paulound Minas Gerais längst mit einem ef-fektiveren Anbau von Kaffee begonnen.

Die Kaffeebarone verarmten, musstenihre Farmen größtenteils verkaufen, dasTal versank in der Bedeutungslosigkeit.Einziger Hoffnungsschimmer ist heuteder Tourismus. Warum sollten Besucherauch nicht Gefallen finden an der üppiggrünen Hügellandschaft, an hübschenKolonialstädtchen wie Vassouras, denfreundlichen Menschen und dem rei-chen architektonischen Erbe der Kaffee-fazendas? Und doch sind es bislang vorallem Insider aus Rio, die für ein Wo-chenende der Millionenmetropole ent-fliehen, um sich in diesem friedlichenFlecken Brasiliens zu erholen. „Das tou-ristische Potenzial ist groß, aber es fehltam Know-how. Zum Beispiel um richti-ges Marketing zu betreiben“, erklärt Mi-riam Cutz, die bei der Tourismusbehör-de Turisrio für internationale Beziehun-gen verantwortlich ist.

Wer sich dennoch auf den Wegmacht, kommt aus dem Staunen nichtmehr heraus. Nicht allein über die Kaf-feefarmen, von denen 30 zugänglichsind und sich zum Teil als wahre Paläs-te in einzigartigen Parkanlagen entpup-pen. Was ebenso überrascht, ist die le-bendige Volkskultur im Vale do Café.Noch immer praktizieren die Nachfah-ren afrikanischer Sklaven das Jongo ge-nannte Tanzritual, das sogar Bestand-teil des Schulunterrichts ist. Und wennBeatriz Vidal in ihrem KeramikstudioBarro & Arte – „Lehm und Kunst“ – dietraditionelle Handwerkskunst der Regi-on aufrechterhält, ist Cristina Braga, in-ternational renommierte Harfenistinund Sängerin, die auch schon mehrfach

in Deutschland zu hören war, dabei,die Farm ihres Großvaters in ei-

nen „jardim de música“, ei-nen Musikgarten, zu ver-

wandeln. Räume fürWorkshops und Konzer-te gibt es bereits, baldwerden sie sich mit Le-ben füllen.

Dass sie etwas vonOrganisation versteht,hat die Musikerin be-

reits bewiesen: mit demFestival Vale do Café, das

sie begründet und zum Hö-hepunkt im Kulturleben des

Vale do Café gemacht hat. Seit2003 bringt sie anerkannte Orches-

ter, Jazzcombos und andere Musiker insKaffeetal, fast den ganzen Juli bringensie Plätze, Kirchen, Kulturzentren undKaffeefarmen zum Klingen. Natürlichauch die Fazenda Santa Eufrásia von Eli-sabeth Dolson. Die dann wieder wie einModel von Monet aussieht.

Informationen zum Tal des Kaffees und den Kaffeefazendas sind im Netz unter www.portalvaledocafe.com.br zu finden, zum Musikfestival gibt es Infos unter www.festivalvaledocafe.com.br

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Elisabeth Dolson empfängt die Besucher ihrer denkmalgeschützten Fazenda SantaEufrásia in der Kleidung, die zur Blütezeit des Kaffee-Tals getragen wurde

Oben: Das Tal besteht aus 15 Gemeinden,einer der Hauptorte ist das malerischeVassouras. Unten: Diese Fazenda heißtCasa da Hara, sie ist ein Museum undinformiert über die Historie der Region

Wo einst die Kaffeebarone in

venezianischen Gondeln schwebten

Im 19. Jahrhundert war das Tal des Kaffees wirtschaftliches Rückgrat

des Kaiserreichs. Heute ist es Provinz, hat aber touristisches Potenzial.

Hier lässt sich Brasilien von seiner liebenswertesten Seite erleben

Brasilien ist das Kaffee-Land Nummereins – mit weitem Abstand vor Vietnam.Mit rund 3,03 Mio. Tonnen pro Jahrträgt Brasilien ein Drittel der weltweiten Kaffeeproduktionvon rund 8,8 Mio. Tonnen(Stand 2014). Vier Milliardender weltweit 15 MilliardenKaffeebäume wachsen hier.Kaffee wird in 17 der 26 Bun-desstaaten kultiviert, wobeiParaná, São Paulo, Minas Ge-rais und Espirito Santo für 98Prozent des Gesamtproduktion stehen.Herausragend ist das südliche Paraná,auf das die Hälfte der brasilianischenGesamtproduktion entfällt.Mit seinen üppigen Hochland- undBergregionen eignet sich Paraná idealfür die Kultivierung der Arabica-Bohne,die dementsprechend rund 80 Prozentder Gesamtproduktion ausmacht. Imkleineren Maße werden auch Robusta-Bohnen in Brasilien angebaut. Die edels-ten Sorten allerdings, allen voran derBahia, gehen seltener in den Export. Sie

werden von den Brasilianern lieberselbst konsumiert. Kaffee zählt zu denwichtigsten Agrarerzeugnissen Brasilien,er sichert den Lebensunterhalt von

etwa vier Millionen Menschen. Dieenorme Ertragssteigerung der

vergangenen Jahre hat al-lerdings auch eine bedenklicheSchattenseite. Möglich war(und ist) das nur durch denausgedehnten Einsatz che-

mischer Schädlingsbekämp-fungsmittel. Ein Thema, das Pro-

duzenten, Exporteure, Importeure undHandelsketten gleichermaßen aufgrundder enormen wirtschaftlichen Bedeu-tung des Handelsgutes Kaffee tot-schweigen möchten. Deutschland istBrasiliens wichtigster und größter Ab-satzmarkt. 2014 bezog Deutschland rund380.000 Tonnen Kaffee aus Brasilien.Hinter den USA ist Deutschland derweltweit zweitgrößte Kaffee-Importeur.Umgerechnet auf die Bevölkerung istder Kaffeekonsum in beiden Ländernannähernd identisch. cle

BEGEHRTES HANDELSGUT

IMPRESSIONENEINES LANDES

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/ZB „Das touristische

Potenzial ist groß,aber es fehlt amKnow-how“Miriam Cutz, Tourismusbehörde Turisrio

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SOLVEIG FLÖRKE UND NADIA PONTES

J osé Américo Goulart fährt sich mit seinen kräf-tigen Arbeiterhänden durch die glatten, graumelierten Haare. Der Brasilianer ist 46 Jahre alt,ein schlanker Mann, der jeden Tag durch dieReihen seiner Kaffeepflanzen geht. Er kenntpraktisch jeden einzelnen der insgesamt 10.000Sträucher. Seine Farm liegt im Süden des Bun-desstaates Minas Gerais. Nirgendwo sonst aufder Welt wird so viel Kaffee angebaut. Doch im

letzten Jahr hat es kaum geregnet. Für die Ernte sieht esnicht gut aus. In José Américos von der Sonne braun ge-branntem Gesicht kann man die Sorgenfalten auf derStirn gut erkennen, während er kopfschüttelnd über diePlantage stapft. „Ohne Wasser keine Frucht“, sagt er vorsich hin.In ganz Brasilien fällt die Kaffeeernte im Vergleich zum

Vorjahr sehr viel schlechter aus. Und schon 2014 war dasErgebnis kein gutes. Eine harte Prognose für den weltweitgrößten Kaffee-Exporteur. Von Rückgängen zwischen dreibis 20 Prozent ist die Rede. Grund seien die klimatischenBedingungen, besonders die Dürre zu Beginn des Jahres.Vor allem zwischen Januar und März benötigt die Pflanzewichtige Nährstoffe, um die Bohnen entwickeln zu kön-nen. Auch von Mai bis September braucht sie Wasser, umden Wachstumsprozess abschließen und Blüten treiben zukönnen. „Aber genau in dieser Zeit hat es gar nicht gereg-net“, sagt Luiz Carlos Machado Rodrigues. Der Direktordes Instituto Federal Sul de Minas Gerais sieht spezielleSchwierigkeiten in der Bergregion: „Hier ist es nicht ein-fach, ein Bewässerungssystem aufzubauen. Wenn es dannnicht regnet, ist die Ernte sofort betroffen.“Die erste Kaffeepflanze kam 1727 nach Brasilien. Nur

ein Jahrhundert später waren die Kaffeebohnen bereitsdas Hauptexportprodukt des südamerikanischen Landes.1845 stammten auf dem Weltmarkt fast die Hälfte allerKaffeebohnen aus Brasilien. Seitdem ist Brasilien weltwei-ter Spitzenreiter, gefolgt von Vietnam, Indonesien undKolumbien, die sich ebenfalls als Kaffeeanbaugebiete eig-nen. Die Entwicklung hat alle Länder geprägt, in Brasilienwird auf knapp 2,3 Millionen Hektar Fläche Kaffee ange-baut, allem voran in den Bundesstaaten Minas Gerais, SãoPaulo und Paraná. Laut dem brasilianischen Landwirt-schaftsministerium gibt es 287.000 Kaffeebauern wie JoséAmérico.Von den 45.000 Kaffeesäcken zu jeweils 60 Kilo aus

dem letzten Jahr gingen mehr als 36.000 in den Export.„Um ehrlich zu sein: Hier produziert niemand, weil er anden heimischen Markt denkt“, räumt Fernando Barbosada Silva ein. „Alle produzieren für das Ausland“, sagt derRatspräsident der Kaffee-Vereinigung AMOG. Die USAund Deutschland wechseln sich an der Spitze der größtenKaffee-Abnehmer Brasiliens unregelmäßig ab. Die deut-schen Kaffeehändler sind vor allem an grünen Kaffeeboh-nen interessiert, nicht geröstet und nicht entkoffeiniert.Für den Konsum vorbereitet, reexportieren die deutschenHändler den Kaffee später wieder ins Ausland, wie bei-spielsweise in die USA, nach Österreich, Polen oder in dieNiederlande.Nicht verwunderlich, dass die Exportfirma Stockler, die

zur Neumann Kaffee Gruppe gehört, ein Büro im Südenvon Minas Gerais unterhält. Genau dort, wo auch JoséAmérico seine Kaffeeproduktion hat. Die Stockler-Ge-schäftsstelle in Muzambinho kauft die Kaffeebohnen di-rekt von den Bauern und Kooperationen vor Ort bezie-hungsweise von Vermittlern und Kaffeemaklern. Jede Kaf-feeprobe, die ankommt, wird von Stockler zunächst aufdie Qualität der Bohnen getestet, unter anderem von Kaf-feetestern, die in weißen Kitteln ein Schlückchen nachdem anderen über ihre Zungen schlürfen und nach genau-em Erschmecken wieder ausspucken.Das Verfahren ist einheitlich und verläuft in Muzambin-

ho genauso wie in Santos, dem Hauptsitz des Kaffee-Ex-porteurs. Auf den kopfsteingepflasternten Straßen Santos’liegen zwischen den einzelnen Steinen und am Bordstein-rand überall trockene, grüne Kaffeebohnen auf dem Bo-den. „Kaffee“ ist hier das bestimmende Thema, auch inden meisten kleinen Restaurants, wo sich mittags die Kaf-fee-Experten zu Tisch setzen und fachsimpeln.Um die Ecke steht die Kaffee-Börse von Santos. Hier

kann man ein Museum besuchen, das sich mit der Ge-schichte des Kaffees in Brasilien beschäftigt. Es führtdurch die prunkvollen Räume und Hallen des monumen-talen Gebäudes. Überall wird der Kaffee assoziiert mit et-was Edlem, etwas Besonderem und Kostbarem. Auch des-halb kommt es einem Außenstehenden vor, als machtendie Kaffee-Experten aus simplen Bohnen eine eigene,komplexe Philosophie.Vielleicht ist es das auch. Denn gefragt ist – vor allem

für den Export – nur die allerbeste Qualität. Genau dieseAnsprüche können die Kaffeebauern nach der Dürre aberkaum bieten. „Das ist allgemein die größte Schwierigkeit“,bestätigt José Américo. „Viele können bei der Ernte nichtunterscheiden, welcher Klasse die Bohnen entsprechen.Ob ‚weich‘ oder ‚hart‘, wie die Käufer sagen.“ Um die Pro-duzenten grundsätzlich zu unterstützen, hat das InstitutoFederal Sul de Minas Gerais ein Labor für die Klassifikati-on und Geschmacksprobe von Kaffee eingerichtet, dasvon den regionalen Bauern genutzt werden kann. Gleich-zeitig dient das Labor Auszubildenden im technischen Be-reich der Kaffeekultur.Mittlerweile hat José Américo sich einige Kenntnisse

angeeignet. Oft gelingt es ihm schon während der Ernte,die Bohnen zu unterscheiden. „Aber trotzdem ist es nochsehr schwierig, mit den Käufern zu verhandeln. Ich bin si-cher, dass mein Kaffee einer weichen Bohne entspricht,aber wenn es zum Check kommt, sagen die Tester das Ge-genteil. Das müsste sich noch verbessern“, sagt er. Undweil er sich nicht einzig und allein auf die Kaffeetesterund den Regen verlassen will, hat sich José Américo nochein zweites Standbein zugelegt: Honig. „Kaffeepflanzenund Honigbienen, das geht gut zusammen“, findet er. SeinZiel ist es, ein Zertifikat für organischen Honig zu bekom-men. „Aber dafür müsste auch mein Kaffee bio sein, weilsich die Bienen ja davon ernähren. Das versuche ich jetzt.“Mit Blick auf Europa gar keine schlechte Idee: Hier

steigt die Nachfrage nach organischem, nachhaltig ange-bautem und zertifiziertem Kaffee. Bisher kaufen die Deut-schen den meisten Biokaffee. Und noch eine gute Nach-richt gibt es aus Sicht der brasilianischen Kaffeebauern:Nach zwei aufeinanderfolgenden Ernten unterhalb der Er-wartungen gehen Experten für die nächsten Jahre von gu-ten Ernten aus. Auch, weil die Bauern viel Arbeit in dieAufwertung ihrer Flächen gesteckt haben.

Brasiliens Krise hat auch das wichtigsteExportgut des Landes erfasst, den Kaffee.Doch die Gründe sind andere: zwei Dürren.Schon 2014 wogen die Ernteausfälle schwer,2015 fallen sie noch kräftiger aus. Manch einePlantage setzt nun auf höhere Qualität, willmit Bio punkten – vor allem in Deutschland

Das interessiert Sie nicht dieBohne? Dann wird’s teuer!

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SEITE IV DIE WELT HERBST 2015

Brasilien & Deutschland

Globales Kochen in Berlin istviel spannender als jeder Krimi„Atelier Culinário“ – der Name machtdeutlich, dass die Brasilianerin SabineHueck Interessierten nicht nur beibrin-gen möchte, wie man brasilianischesPão de queijo, Maniok-Käsebällchenoder Feijoada, den typischen Bohnen-eintopf, zubereitet, sondern auch, wasdie Kunst beim Kochen ausmacht. DasBesondere an der Küche ihrer Heimatbestehe darin, dass sie die verschiedens-ten Einflüsse aufgreife, mit denen Portu-giesen, afrikanische Sklaven, japanische,italienische oder deutsche Einwandererdie Küche der indigenen Bevölkerungbereichert haben. Das versucht SabineHueck in ihrem kulinarischen Atelier inBerlin-Schöneberg zu praktizieren.

Kreolische Sacher-Schnitten, Rösti ausManiok-Mehl oder peruanisches Cevichemit einer Koriander-Vinaigrette ausTeltower Rübchen sind einige der lecke-ren Ergebnisse. „Die Küchen der ver-schiedenen Länder zu verstehen, ist diekulturelle Herausforderung überhaupt,die globale Küche ist spannender alsjeder Krimi“, schreibt Hueck in ihremKochbuch „Höllisch scharf und himm-lisch süß“. In São Paulo aufgewachsen,hat die Brasilianerin deutscher Ab-stammung zunächst ihrer Großmutterin deren Strand-Konditorei über dieSchulter geschaut. Später machte sie inDeutschland eine Ausbildung zur Hotel-und Gastronomiemanagerin, lebte zwi-schenzeitlich in Peru und betrieb eineKonditorei in Florianópolis. In Berlin, wosie seit etwa 30 Jahren wohnt, hat siejahrelang erfolgreich einen Catering-Service betrieben und mehrere Kochbü-cher geschrieben. Eines davon auch mitdeutschen Rezepten. Damit die, die siewährend des Deutschlandjahres inBrasilien im Auftrag von Visit Berlin mitihren Frikadellen-, Sauerkraut- oderWurstkreationen beglückt hat, nichtganz hilflos dastehen. Ulrike Wiebrecht

Cachaça – hochprozentigesNationalgetränk aus Zuckerrohr

Echter Whisky kann aus vielen Ländernkommen, echte Cachaça dagegen nuraus Brasilien. Rund 1,3 Milliarden Literdes Zuckerrohrbrands werden dort imJahr von mehr als 4000 Produzentenund rund 60.000 Beschäftigten her-gestellt. Der Alkoholgehalt ist auf maxi-mal 48 Prozent begrenzt, muss abermindestens 38 Prozent betragen. Ist dasProdukt gehaltvoller – bis 54 Prozent –,ist es als „Aguardente“ (Feuerwasser) zukennzeichnen. Wichtigster Rohstoff istfrisch geerntetes Zuckerrohr. Weil es inBrasilien rund 600 verschiedene Sortengibt, ist die Variationsbreite der Cachaçagroß. Bei ihrer Herstellung wird Zucker-rohr mit Wasser verdünnt und mit Hefeversetzt. Im industriellen Prozess gärtdie Mischung dann rund 24 Stunden inEdelstahlbehältern. Weil das Ge-schmackspotenzial des Zuckerrohrs ineinem Tag nicht auszuschöpfen ist,dürfen anschließend bis zu 30 GrammZucker pro Liter hinzugefügt werden.Connaisseure verachten das, sie schwö-ren auf die traditionelle Herstellungs-weise, bei der der Fermentierungs-prozess 36 Stunden dauert und dasDestillat in Kupfer-Brennblasen ge-brannt wird. Cachaça kann „jung“ abge-füllt werden oder aber in Fässern einJahr oder länger reifen. 28 Holzsortendürfen für die Fässer, in denen „CachaçaArtesanal“ (also traditionell erzeugteCachaça) reift, verwendet werden,darunter einheimische Hölzer wie Um-burana oder Bálsamo. Besonders beliebtaber sind Eichenholzfässer, vorzugs-weise solche, in denen zuvor Whisky,meist Bourbon, oder Cognac lagerte. Sobetört jedes Cachaça-Fass mit einersehr speziellen Note. cle

IMPRESSIONENEINESLANDES

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Brasilien ist das Kaffee-Land Nummereins – mit weitem Abstand vor Vietnam.Mit rund 3,03 Mio. Tonnen pro Jahrträgt Brasilien ein Drittel derweltweiten Kaffeeproduktionvon rund 8,8 Mio. Tonnen(Stand 2014). Vier Milliardender weltweit 15 MilliardenKaffeebäume wachsen hier.Kaffee wird in 17 der 26 Bun-desstaaten kultiviert, wobeiParaná, São Paulo, Minas Ge-rais und Espirito Santo für 98Prozent des Gesamtproduktion stehen.Herausragend ist das südliche Paraná,auf das die Hälfte der brasilianischenGesamtproduktion entfällt.Mit seinen üppigen Hochland- undBergregionen eignet sich Paraná idealfür die Kultivierung der Arabica-Bohne,die dementsprechend rund 80 Prozentder Gesamtproduktion ausmacht. Imkleineren Maße werden auch Robusta-Bohnen in Brasilien angebaut. Die edels-ten Sorten allerdings, allen voran derBahia, gehen seltener in den Export. Sie

werden von den Brasilianern lieberselbst konsumiert. Kaffee zählt zu denwichtigsten Agrarerzeugnissen Brasilien,er sichert den Lebensunterhalt von

etwa vier Millionen Menschen. Dieenorme Ertragssteigerung dervergangenen Jahre hat al-lerdings auch eine bedenklicheSchattenseite. Möglich war(und ist) das nur durch denausgedehnten Einsatz che-

mischer Schädlingsbekämp-fungsmittel. Ein Thema, das Pro-

duzenten, Exporteure, Importeure undHandelsketten gleichermaßen aufgrundder enormen wirtschaftlichen Bedeu-tung des Handelsgutes Kaffee tot-schweigen möchten. Deutschland istBrasiliens wichtigster und größter Ab-satzmarkt. 2014 bezog Deutschland rund380.000 Tonnen Kaffee aus Brasilien.Hinter den USA ist Deutschland derweltweit zweitgrößte Kaffee-Importeur.Umgerechnet auf die Bevölkerung istder Kaffeekonsum in beiden Ländernannähernd identisch. cle

BEGEHRTES HANDELSGUT

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20 km

Grafik: H. Anders

Valença

Festival Vale do Café

VassourasBarra do Piraí

Conservatória

Mendes Eng. Paulode Frontin

Paracambí

Vol ta RedondaBarra Mansa

Barra do Pirai

Rio de Flores

Paraibado Sul

Paty do Alferes

Miguel Pereira

Rio de Janeiro

RIO DE JANEIRO

Petrópolis

Magé

Nova IguaçuDuquede Caxias

Vale do CaféVale do CaféVale do Café

Rio Paraíb

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Espírito SantoMinas Gerais

ParanáRio de Janeiro(Bundesstaat)

São Paulo

BRASILIEN

Vale do Café

FazendaSanta Eufrasia

essiert Sie nicht dieeuer!

Deutsche Kaffee-Händlerbevorzugen die grünen Bohnen,die sie dann weiterverarbeiten.Ein Teil wird exportiert undgeht an Abnehmer wie die USA,Österreich, Polen oder Holland

„Um ehrlich zu sein:Hier produziertniemand, weil eran den heimischenMarkt denkt.Alle produzierenfür das Ausland“Fernando Barbosa da Silva,Ratspräsident der Kaffee-Vereinigung AMOG

José Américo betreibteine Farm mit 10.000Kaffee-Sträuchern.Seine Felder liegenim Süden des Bundes-staates Minas Gerais(unten). So wie fast alleAnbauer leidet aucher unter der Dürre.Mit Honig hat sich der46-Jährige nun einzweites Standbeingeschaffen

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HERBST 2015 D IE WELT SEITE V

Brasilien & Deutschland

Forscher hoffen auf den erstenImpfstoff gegen das Dengue-Virus

Als „Geißel Brasiliens“ bezeichnetejüngst Edivaldo Velini, Präsident derKommission für Biosicherheit (CTNBio),das Dengue-Virus. Allein zwischen Janu-ar und Mitte April wurden rund 745.000Fälle von Dengue im Land bekannt. DemGesundheitsministerium zufolge sinddas 234,2 Prozent mehr als im Ver-gleichszeitraum 2014, aber auch 48,6Prozent weniger als zur selben Zeit 2013.Offiziell starben in den ersten vier Mo-naten des laufenden Jahres 229 Men-schen an den Folgen der Viruserkran-kung. In sieben Bundesstaaten sieht dieWeltgesundheitsorganisation WHOderzeit eine „epidemiologische Situati-on“ – in Acre, Tocantins, Rio Grande doNorte, São Paulo, Paraná, Mato Grossodo Sul und Goiás. Bislang gibt es welt-weit keinen wirksamen Impfstoff gegendas durch den Stich der Tigermückeübertragene Virus, doch nun hofft dieCTNBio auf einen baldigen Durchbruch.Kürzlich gab die Kommission bekannt,die kommerzielle Nutzung gentechnischveränderter Organismen für die Her-stellung von Impfstoff gegen die vierDengue-Serotypen DENV-1 bis DENV-4genehmigt zu haben. Damit könntedieser nun in klinischen Studien anPatienten getestet werden. Im Erfolgs-fall muss das Wissenschaftsministeriumdie Zulassung erteilen.Andere Forscher widmen sich demÜberträger und wollen die Tigermückeunschädlich machen. Gelingen soll dasmittels einer resistenten Mückenart,deren Züchtung jetzt brasilianischenWissenschaftlern gelungen ist. Dieersten Schwärme entließen sie bereitsin die freie Wildbahn und hoffen nun,dass sie sich mit den Tigermückenpaaren und diese langfristig verdrängenkönnen. In zwei Jahren könnten Tenden-zen erkennbar sein, in fünf bis zehnJahren sollen handfeste, überprüfbareDaten für ganz Brasilien vorliegen. cle

Ein Koloss für die Wissenschaftmitten im RegenwaldEs bietet den mit Abstand spektakulärs-ten Ausblick über den Amazonas-Regen-wald, jedoch nicht für Touristen: Rund150 Kilometer nordöstlich von Manauseröffnete im August das Amazonian TallTower Observatory. Es besteht ausStahl, misst 325 Meter und ist damit 24Meter höher als der Eiffelturm in Paris.Der weltweit höchste Klimamessungs-turm ist ein gemeinschaftliches For-schungsprojekt von Brasilien undDeutschland; beide Länder steuernjeweils 8,4 Millionen Euro für den Bauund die ersten fünf Betriebsjahre bei.„Atto“, so Brasiliens Wissenschafts-minister Aldo Rebelo, solle „Daten zumZusammenspiel zwischen Natur und derEntwicklung des Klimas“ liefern, darun-ter zur Verteilung der klimaschädlichenTreibhausgase, zu Wolkeneigenschaften,Grenzschichtprozessen und dem Trans-port von Luftmassen in der für dasWeltklima wichtigen Regenwaldregion.Rebelo sprach von einem „Koloss für dieWissenschaft“. Für den Standort habeman sich entschieden, weil er „weitest-gehend abseits menschlicher Einflüssegelegen ist und uns somit relativ unver-fälschte Daten gewährleistet“, sagtMeinrat Andreae vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. „Atto“ermögliche es den Wissenschaftlern,„ihre Messungen in höheren Luftschich-ten und kontinuierlicher als bisherdurchzuführen, sodass verlässlichereAussagen über die Entwicklung unsererAtmosphäre zu erwarten sind“. Diebeiden Partner der Mainzer sind dasbrasilianische Bundesinstitut für Amazo-nasforschung (INPA) und die Uni desStaates Amazonas UEA. cle

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PA/DPA

ULRIKE WIEBRECHT

D a steht sie auf dem Rasenmit weißer Spitzenbluseund langem, violettemRock. Auf dem Kopf einHütchen, in der Hand ein

weißer, mit Rüschen besetzter Sonnen-schirm. Ein Bild von Monet? Oder Au-guste Renoir? Auch wenn es aussieht,als wollte sie einem impressionisti-schen Maler Modell stehen – es ist ein-fach nur Elisabeth Dolsons Art, Besu-cher auf ihrer Farm, der denkmalge-schützten Fazenda Santa Eufrásia, zuempfangen. Und sie damit sogleich indie Zeit um 1830 zurückzuversetzen, alsEzequiel de Araújo Padilha das Haus er-baute, um hier Kaffee anzubauen.Ein halbes Jahrhundert lang hatte er

damit Erfolg. Die schwarzen Bohnen be-scherten ihm so viel Reichtum, dass eres sich auch leisten konnte, eine Gondelaus Venedig kommen zu lassen, um da-mit über den Teich in seinem Garten zugleiten. „Ja, hier wurde einst viel Geldmit dem Kaffee verdient“, meint Elisa-beth, „aber auch verloren.“ Denn ir-gendwann gaben die Böden nichts mehrher. Deshalb ließ ihr Urgroßvater, derdie Farm 1905 übernahm, die Pflanzenverbrennen und sattelte um auf Rinder-zucht. Zwar gedeihen hier heute wiederKaffeebohnen neben Mangobäumen,bengalischen Feigen- und rosa blühen-den Baumwollbäumen. Doch die sindeher für den Hausgebrauch. Schließlichgehört es sich für die Dame des Hauses,zum Abschluss des Besuchs im originalerhaltenen Salon zwischen alten Mö-beln, Spiegeln, Kamin und verblichenenFotos am sechs Meter langen HolztischKaffee aus eigenem Anbau und allerleisüße Köstlichkeiten zu servieren.Die Fazenda Santa Eufrásia ist ein ty-

pisches Beispiel für die Farmen im Valedo Café, im Tal des Kaffees, das etwas120 Kilometer nordwestlich von Rio deJaneiro im gleichnamigen Bundesstaatliegt. Hunderte solcher Kaffeefarmengibt es hier. 1860 machte ihre Produkti-on 75 Prozent des Weltmarkts aus.Nachdem die Goldminen erschöpft wa-ren, halfen sie, das Kaiserreich zu fi-nanzieren, wobei die Bohnen sogar lu-krativer als das Edelmetall waren. Mitden Steuereinnahmen konnte der Kai-ser Eisenbahnen und elektrische Stra-ßenbeleuchtung finanzieren. Dochlangfristig war das wirtschaftliche Mo-dell zum Scheitern verurteilt. Zum ei-nen, weil die Monokultur die Bödenauslaugte. Zum anderen versäumten esdie Kaffeebarone, beizeiten in andereBereiche zu investieren.Stattdessen haben sie einfach gut ge-

lebt und von den billigen Sklaven profi-tiert, bis die Sklaverei 1888 abgeschafftwurde. Spätestens da ging die Rechnungnicht mehr auf. Im Übrigen hatten in-zwischen die Bundesstaaten São Paulound Minas Gerais längst mit einem ef-fektiveren Anbau von Kaffee begonnen.

Die Kaffeebarone verarmten, musstenihre Farmen größtenteils verkaufen, dasTal versank in der Bedeutungslosigkeit.Einziger Hoffnungsschimmer ist heuteder Tourismus. Warum sollten Besucherauch nicht Gefallen finden an der üppiggrünen Hügellandschaft, an hübschenKolonialstädtchen wie Vassouras, denfreundlichen Menschen und dem rei-chen architektonischen Erbe der Kaffee-fazendas? Und doch sind es bislang vorallem Insider aus Rio, die für ein Wo-chenende der Millionenmetropole ent-fliehen, um sich in diesem friedlichenFlecken Brasiliens zu erholen. „Das tou-ristische Potenzial ist groß, aber es fehltam Know-how. Zum Beispiel um richti-ges Marketing zu betreiben“, erklärt Mi-riam Cutz, die bei der Tourismusbehör-de Turisrio für internationale Beziehun-gen verantwortlich ist.Wer sich dennoch auf den Weg

macht, kommt aus dem Staunen nichtmehr heraus. Nicht allein über die Kaf-feefarmen, von denen 30 zugänglichsind und sich zum Teil als wahre Paläs-te in einzigartigen Parkanlagen entpup-pen. Was ebenso überrascht, ist die le-bendige Volkskultur im Vale do Café.Noch immer praktizieren die Nachfah-ren afrikanischer Sklaven das Jongo ge-nannte Tanzritual, das sogar Bestand-teil des Schulunterrichts ist. Und wennBeatriz Vidal in ihrem KeramikstudioBarro & Arte – „Lehm und Kunst“ – dietraditionelle Handwerkskunst der Regi-on aufrechterhält, ist Cristina Braga, in-ternational renommierte Harfenistinund Sängerin, die auch schon mehrfach

in Deutschland zu hören war, dabei,die Farm ihres Großvaters in ei-

nen „jardim de música“, ei-nen Musikgarten, zu ver-wandeln. Räume fürWorkshops und Konzer-te gibt es bereits, baldwerden sie sich mit Le-ben füllen.

Dass sie etwas vonOrganisation versteht,hat die Musikerin be-reits bewiesen: mit demFestival Vale do Café, das

sie begründet und zum Hö-hepunkt im Kulturleben des

Vale do Café gemacht hat. Seit2003 bringt sie anerkannte Orches-

ter, Jazzcombos und andere Musiker insKaffeetal, fast den ganzen Juli bringensie Plätze, Kirchen, Kulturzentren undKaffeefarmen zum Klingen. Natürlichauch die Fazenda Santa Eufrásia von Eli-sabeth Dolson. Die dann wieder wie einModel von Monet aussieht.

Informationen zum Tal des Kaffees undden Kaffeefazendas sind im Netz unterwww.portalvaledocafe.com.br zu finden,zum Musikfestival gibt es Infos unterwww.festivalvaledocafe.com.br

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Elisabeth Dolson empfängt die Besucher ihrer denkmalgeschützten Fazenda SantaEufrásia in der Kleidung, die zur Blütezeit des Kaffee-Tals getragen wurde

Oben: Das Tal besteht aus 15 Gemeinden,einer der Hauptorte ist das malerischeVassouras. Unten: Diese Fazenda heißtCasa da Hara, sie ist ein Museum undinformiert über die Historie der Region

Wo einst die Kaffeebarone invenezianischen Gondeln schwebtenIm 19. Jahrhundert war das Tal des Kaffees wirtschaftliches Rückgratdes Kaiserreichs. Heute ist es Provinz, hat aber touristisches Potenzial.Hier lässt sich Brasilien von seiner liebenswertesten Seite erleben

IMPRESSIONENEINESLANDES

PA/ZB „Das touristische

Potenzial ist groß,aber es fehlt amKnow-how“Miriam Cutz, TourismusbehördeTurisrio

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WR 6 21.09.15 Montag, 21. September 2015 DWBE-VP1Belichterfreigabe: -- Zeit:::Belichter: Farbe:

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SEITE VI DIE WELT HERBST 2015

Rio setzt auf vier Austragungsortebei den Olympischen SpielenDie Sportstätten der OlympischenSpiele in Rio 2016 verteilen sich auf dievier Örtlichkeiten Deodoro, Maracanã,Copacabana und Barra. Im OlympiaparkBarra wird das Gros der Wettkämpfestattfinden. Rund drei Viertel der Ar-beiten dort seien abgeschlossen, heißtes. Es fehlt noch die Dachkonstruktion.Das prestigeträch-tige Maracanã-Stadion ist dieKulisse für dieEröffnungs- undAbschlussfeiern.Zudem ist derFußballtempelAustragungsortder meisten Be-gegnungen desFußballturniers. Inder Umgebung werden in anderenStadien unter anderem die Leichtath-letik-Wettbewerbe ausgetragen. Zweit-größter Veranstaltungsort ist der Stadt-teil Deodoro im Westen Rios. Der dorti-ge Sportkomplex ist für Rugby, Moder-nen Fünfkampf und Hockey eingeplantund soll noch 2015 fertiggestellt werden.Im Zeitplan ist auch die Copacabana, woetwa Schwimmer, Kanuten und Be-achvolleyballer um Medaillen kämpfen.Die Fertigstellung des zentral gelegenenOlympischen Dorfes ist für März 2016angekündigt. 34 zwölfstöckige Apart-mentblocks sollen 17.700 Athleten undFunktionären Quartier bieten. Nach denSpielen sollen die Hochhäuser zu Luxus-apartments umgebaut werden. cle

Rückkehr auf Raten: Die Tramvon Santa Teresa fährt wiederDie Bonde, wie die Tramlinie von SantaTeresa genannt wird, fährt seit Juliwieder – zumindest auf einem einenKilometer langen Abschnitt. Die übrigenneun Kilometer sollen bis zu den Olym-pischen Spielen wieder befahrbar sein.Als 2011 ein Waggon entgleiste undsechs Tote zu beklagen waren, wurdedie Strecke eingestellt. 110 Millionen Real(circa 25 Millionen Euro) wurden imNovember 2013 für die Sanierung desUntergrunds, die Verlegung neuerSchienen und den Kauf einer aus 14

Waggons bestehenden neuen Flottebewilligt. Der Zeitplan sah vor, die seit1877 befahrene Strecke zur Fußball-WM2014 wiederzueröffnen, doch das gelangnicht. Daraufhin drehten Spaßvögel einVideo, bei dem die Baustelle in Anspie-lung auf die Olympischen Spiele alsWettkampfstätte fungierte. So dientedas sandige Gleisbett als Weitsprung-anlage. Der Clip wurde im Netz millio-nenfach geklickt. Die Bonde ist eine derbeiden letzten Tram-Linien Rios. Sieschlängelt sich durch anmutige Gassendes auf einem Hügel gelegenen Stadt-teils, führt vorbei an Villen und gewährtherrliche Aussichten. cle

Köln unterstützt Rio de Janeirobeim Recycling und Klimaschutz„Grüne“ Olympische Spiele möchte Rioim kommenden Jahr ausrichten, dazugehört auch eine deutliche Steigerungder Recycling-Quote: Bislang wird kaumgetrennt, Wertstoffe landen auf derMüllkippe. Bis 2016 soll ein Viertel derkommunalen Abfallmenge wieder-verwertet werden können, so das Ziel.Derzeit sind es rund zehn Prozent.Dabei setzt Rio auf eine 2011 mit Kölngeschlossene Städtepartnerschaft, dieausdrücklich auch als eine Klimapart-nerschaft verstanden wird. Ein Projekt,das zwischen den beiden städtischenGesellschaften AVG Ressourcen (Köln)und Comlurb (Rio de Janeiro) verein-bart wurde, dient der Aufbereitung vonGrünabfällen, um klimaschädliche Gasezu reduzieren. Viel fällt etwa in dengroßen innerstädtischen Regenwald-flächen an. Bislang wurden organischeAbfälle zur städtischen Mülldeponie vonSeropédica transportiert. Das soll sichmittels einer vom Bundesministeriumfür wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung (BMZ) auch an anderenStandorten weltweit eingesetzten An-lage ändern, die das BMZ mit 640.000Euro finanziert hat. Die aktive Umset-zung vor Ort obliegt vor allem Expertender Kölner Abfallwirtschaft. ako

IMPRESSIONENEINESLANDES

BERN

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ULRIKE WIEBRECHT

E ndlich, endlich überschautman die ganze Stadt mit ih-rer Bucht, ihren Bergen undSeen, ihren Inseln undSchiffen, ihren Häusern und

ihrem Strand! Endlich sieht man, mitblauen, grünen, weißen Linien gezeich-net, den Grundriss ihrer Anlage undgleichzeitig ihre Mächtigkeit ... es istwahrhaftig der Blick aller Blicke“, be-schreibt Stefan Zweig in seinem Buch„Brasilien – ein Land der Zukunft“ dieAussicht vom Corcovado, auf dem dieberühmte Christus-Figur steht. Auch 75Jahre später genießen Tag für Tag Tau-sende von Menschen diesen Blick derBlicke – und verfallen meist einem wah-ren Selfie-Wahn. Was viele nicht wissen:Das Erlebnis lässt sich noch toppen, in-dem man, anstatt mit der Zahnradbahnauf das Felsmassiv zu fahren, es zu Fußerklimmt. Bei 30 oder 35 Grad Hitzeund einer Luftfeuchtigkeit von 80 oder90 Prozent 700 Meter durch echten at-lantischen Regenwald aufsteigen, umschließlich am Gipfel vom Cristo Re-dentor begrüßt zu werden – diesesAbenteuer ist anstrengend, aber manvergisst es nicht so schnell.Schon allein der Ausgangspunkt der

Tour ist eine Entdeckung: der ParqueLage, eine romantische Parkanlage nahedem Botanischen Garten mit hundert-jährigen Baumriesen, Höhlen, Grottenund kleinen Wasserbecken. Einst wurdehier Zuckerrohr angebaut, 1840 gestalte-te der englische LandschaftsarchitektJohn Tyndale das Gelände zu einer ro-mantischen Gartenanlage um. Mitten-drin steht der römische Palast, den der

kunstliebende Henrique Lage 1920 fürseine Frau, die Sängerin Gabriella Be-sanzoni, nachbauen ließ. Hier kann manunter den Arkaden im Atrium noch maleinen letzten Kaffee trinken, bevor es zudem schmalen Pfad im hinteren Teil desParks geht, der zum Corcovado hinauf-führt. Ein kleines Wärterhäuschen regis-triert jeden, der sich auf den Wegmacht. „Für den Fall, dass später je-mand vermisst wird“, erklärt Robsonvon Rio Ecoesporte. Mancher mag danoch etwas ungläubig gucken. Aber baldwird klar, dass die knapp dreistündigeTour kein Spaziergang ist. Schlingpflan-zen, Mangobäume, umgefallene Baum-stämme säumen den Weg, ab und zu

schaut die pelzige Schale einer fauligenJackfrucht aus dem dichten Grün her-vor. Geheimnisvolle Vogelstimmen wer-den vom Plätschern eines Wasserfallsübertönt, währenddessen muss manaufpassen, dass einem stachelige Sträu-cher nicht die Beine zerkratzen. Es istwie im Dschungelcamp, die Zivilisationscheint meilenweit entfernt. Tatsächlichhat sich hier auch schon so mancherverirrt. „Es gab selbst tödliche Unfälle“,erinnert sich Robson. Insofern sollteman sich im Zweifelsfall einem Guidewie ihm anschließen. Wie die anderenMitarbeiter von Rio Ecoesporte – zuDeutsch „Rio Ökosport“ – ist er ausge-bildeter Sportlehrer, erfahrener Berg-

steiger und begleitet regelmäßig kleineGruppen. Nicht nur auf den Corcovado,sondern auch auf andere „morros“, diecharakteristischen Felsen, mit denenRio reichlich gesegnet ist. Sein persönli-cher Lieblingsgipfel ist die 842 Meterhohe Pedra da Gávea. Aber die meistenwollen auf den Zuckerhut, wo man aller-dings ein Stück am Seil klettern muss.Die Nachfrage nach derartigen Tou-

ren wächst stetig. Wer einen Gipfel er-klimmt und die Aussicht genossen hat,wird schnell zum Wiederholungstäter.Das gilt nicht nur für Touristen. AuchCariocas, wie die Bewohner von Rio hei-ßen, entdecken nach und nach die Bergein der Stadtlandschaft. Denn viele wa-ren bis vor einiger Zeit noch ein No-Go.Erst nach der Befriedung einiger Favelastrauen sich viele etwa auf den Doppel-gipfel Dois Irmãos, der vom Strand vonIpanema so schön anzusehen, aber nurüber die Favela Vidigal zu erreichen ist.Tatsächlich sind Stadtbewohner sel-

ten so sportlich wie die von Rio. Aberselten ist eine Stadt auch so verwöhntmit Natur. Mit Stränden, Felsmassiven,üppiger tropischer Vegetation, einem 40Quadratkilometer großen atlantischenRegenwald und dem wunderbaren Bin-nensee Lagoa Rodrigo de Freitas. So isthier zu jeder Tageszeit alles in Bewe-gung. Nicht allein, dass das ganze Jahrüber im Atlantik geschwommen und ge-surft wird. Geht man morgens an denStrand von Copacabana, Ipanema oderLeblon, ist man umgeben von Joggernund Walkern, die vor der Arbeit, mitWalkman und Wasserflasche bewaffnet,mehrere Kilometer zurücklegen. Anderespielen Beachvolleyball oder Strandten-nis. Außerdem hat die NGO Arte e Vida

an vielen Stellen „academias ao ar livre“eingerichtet. Diese Akademien sind kei-ne intellektuellen Einrichtungen, viel-mehr kostenlose Fitness-Parcours, diedazu einladen, an der frischen Luft einpaar Klimmzüge zu machen. Einige, diesich speziell an die ältere Generationrichten, haben sich zu wichtigen sozia-len Treffpunkten entwickelt, die auchder Vereinsamung älterer Menschenentgegenwirken. Erst wird gemeinsamgestrampelt, anschließend bei einemeisgekühlten Kokosnusswasser geplau-dert. Das Gute an alldem: Es kostetnichts. Und für ein bisschen Kleingeldkann man sich auch aufs Fahrradschwingen und um die Lagoa oder anden Stränden entlangradeln – das un-komplizierte Leihsystem nach dem Vor-bild anderer Städte hat hier einen wah-ren Zweiradboom ausgelöst. Dem folgtjetzt der Wander- und Kletterboom.Insofern ist es nur konsequent, dass

die ersten Olympischen Sommerspieleauf südamerikanischem Boden in Riostattfinden. Mag sein, dass das Großer-eignis vom 5. bis 21. August 2016 vonKorruptionsskandalen, dem Ärger überden Bau eines Golfplatzes im Natur-schutzgebiet Marapendi und anderemüberschattet wird, doch die Cariocaslassen sich die Freude am Sport nichtverdrießen. Und Besucher sind dazueingeladen, es ihnen gleichzutun unddie Gipfel zu stürmen. Zumal man obenvon Staus, Verkehrslärm, Gerüchen undGerüchten verschont bleibt!

Infos zu den Gipfeltouren von Rio Ecoe-sporte unter www.rioecoesporte.com.brInfos zu Rio de Janeiro und Sportangebo-ten unter www.rioguiaoficial.com.br

Den „Blick aller Blicke“ nannte Stefan Zweig das, was sich ihm vom Corcovado bot. Wer sich für eine dreistündige, durch Regenwald führende Klettertour entscheidet, sollte körperlich fit sein

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Das istSpitze!

Rio de Janeiro bereitet sich fleißig auf dieOlympischen Spiele 2016 vor. Wer nicht nurzusehen mag, kann auch selbst aktiv werdenund etwa beim Erklimmen der markantenFelsen den Regenwald durchqueren

ANTONIA STAUSBERG

Für den immer rasanter wachsen-den internationalen Kunstmarktist Brasilien längst ein attraktives

und wichtiges Ziel. Das liegt am Erfolgder beiden wichtigsten Kunstmessendes Landes, der 2005 begründeten SãoPaulo International Art Fair – kurz: SãoPaulo Arte – und der 2009 initiiertenFeira Internacional de Arte do Rio deJaneiro, kurz: Arte Rio. Hohes Ansehengenießt auch die 1951 ins Leben gerufeneBiennial de São Paulo, die nach Venedigzweitälteste Kunst-Biennale der Welt.Ihr traditioneller Standort ist der nachihrem Gründer benannte Pavillon „Cic-cillo Matarazzo“ mit einer Ausstellungs-fläche von 30.000 Quadratmetern. Ent-worfen haben den Pavillon die legendä-ren Architekten Oscar Niemayer undHélio Uchôa.Daniel Hug, Chef der Kölner Art Co-

logne, weist darauf hin, dass der aktuel-le Boom zeitgenössischer Kunst in Bra-silien sehr wesentlich mitgeprägt wurdevon dem früh verstorbenen Mar-cantônio Vilaça und seiner in den1990er-Jahren gegründeten Galerie Ca-margo Vilaça. Sie besteht noch heute,allerdings unter dem Namen Fortes Vi-laça. Hug nennt sie „wahrscheinlich im-mer noch Brasiliens wichtigste Galerie“.Axel Stein, Lateinamerika-Spezialist

bei Sotheby’s, bekräftigte vor Kurzem,dass das Wachstum des brasilianischenKunstmarktes in den letzten fünf Jahren

„absolut rasant“ verlaufen sei. Er führtdies vor allem darauf zurück, dass diebrasilianische Kunst eine internationaleAufwertung erfahren habe, die mit denKünstlern der 1960er-Jahre begonnenhätte, also etwa Hélio Oiticica, LygiaClark, oder Mira Schendel. Natürlichbestehe auch weiterhin ein Interesse anWerken des weltweit bekannten brasi-lianischen Modernisten Candido Porti-nari (1902–1962) oder der Künstlerin Ly-gia Pape (1927–2004), die als Vorläuferinfür die Beton- und Neo-Beton-Bewe-gung in Brasilien in den 1950er- und

1960er Jahren gilt. Auch der 1948 gebo-rene Konzeptkünstler Cildo Meireles istinternational sehr bekannt, er wurde et-wa auf der Kasseler Documenta 11 oderder Biennale Venedig 2005 ausgestellt.Aber auch brasilianische Gegenwarts-

künstler erzielten schon beachtlichePreise, so die 1960 in Rio geborene Bea-triz Milhazes, deren Werk „Meu Limao“aus dem Jahr 2000 in New York bei Sot-heby’s vor drei Jahren für 2,1 MillionenDollar einen Käufer fand. Oder auch dasWerk „Parede com Incisões a la FontanaII“ der 51-jährigen Adriana Varejão, das

bei Christie’s imposante 1,8 MillionenDollar erzielte.Und auch zeitgenössische Künstler

wie Ernesto Neto werden internationalimmer bekannter. Er blickt gerade zu-rück auf eine spannende Ausstellung inden Räumlichkeiten der Thyssen-Bor-nemisza Art Contemporary in Wien.Dort zeigte er seine elastischen Installa-tionen mit oft amorphen Formen undSkulpturen, die mit den verschiedens-ten Gewürzen gefüllt sind und den Be-sucher zu Interaktionen einladen. Aller-dings entfällt der überwiegende Teil

der Käufer brasilianischer Kunst nochimmer auf die Brasilianer selbst. An-ders als früher ist diese Käuferschichtjedoch längst international vernetztund nimmt weltweit an vielen Kunst-messen teil. Für den brasilianischenGaleristen Alexandre Gabriel ist eineder wichtigsten Entwicklungen derletzten Jahre, dass sich die brasiliani-schen Künstler aus dem lateinamerika-nischen Gesamtkontext gelöst hättenund in engem Austausch stünden mitder internationalen Szene der zeitge-nössischen Kunst. Das habe wie ein be-freiender Impuls gewirkt und die ganzeSzene nachhaltig verändert.Allan Schwartzman, Kurator des

Skulpturenparks „Inhotim“ im Bundes-staat Minas Gerais, glaubt sogar, dasses in Brasilien mittlerweile mehr Ge-genwartskünstler gebe als in den meis-ten Staaten Europas. Gegründet wurdedieser 110 Hektar große Park von demBergbaumagnaten Bernardo Paz. Er isteines von vielen Beispielen großzügi-gen Mäzenatentums, dessen sich Brasi-lien erfreut.Informationen über die junge brasi-

lianische Kunstszene vermittelt auchdie 2007 gegründete Plattform „Latitu-de“. Sie betreut mittlerweile 49 Gale-rien in sechs Bundesstaaten, die mehrals 1000 zeitgenössische Künstler ver-treten. Wie jung diese Szene ist, ist auchdaran zu erkenne, dass gut 50 Prozentaller Galerien in Brasilien nach der Jahr-tausendwende entstanden sind.

Die jungenWildenwerdenattraktivBrasiliens Kunstlöst sich aus demLateinamerika-Kontext und floriert

„Guerra e Paz“ (Krieg und Frieden) heißt das aus zwei jeweils 14 mal zehn Metermessenden Gemälden bestehende monumentale Werk von Candido Portinari

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Brasilien & Deutschland

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WR 8 21.09.15 Montag, 21. September 2015 DWBE-VP1Belichterfreigabe: -- Zeit:::Belichter: Farbe:

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SEITE VI I I DIE WELT HERBST 2015

Brasilien & Deutschland

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Die heiligen Flussdelfine desAmazonas sind bedrohtFür die Indianer des Amazonas ist derFlussdelfin heilig, sie verehren ihn alsBoten der Göttin des Wassers, nennenihn „Boto“. Doch die Zahl der bis zu dreiMeter langen und bis zu 160 Kilogrammschweren Delfine nimmt stetig ab, in-zwischen stehen sie auf der Liste derbedrohten Tierarten. Sie leben in denunzugänglicheren Bereichen des Ama-zonas. Bedroht sind sie von Fischern, dieihr Fleisch als Köder für Welse ver-wenden. Nun aber wurde ein Fang-verbot für den Gefleckten Silberanten-nenwels erlassen, von Januar 2015 bisJanuar 2020 ist sein Fang zum Schutzder Delfine unter Strafe gestellt. MitFlipper haben die Botos wenig zu tun.Auffallend sind vor allem die dicke,wulstige Stirn und die pinzettenartigeSchnauze. Sie haben zudem kleinere

Augen als Flipper, von dem sie sichdurch weitere körperliche Merkmaleunterscheiden. Die Botos stammen vonden Urwalen ab, ihre Linie zweigte vorcirca 15 Millionen Jahren von diesen ab.Die Theorie von Healy Hamilton, Biolo-gin an der kalifornischen Akademie derWissenschaften in San Francisco: Weilder Meeresspiegel damals höher lag,könnten weite Teile Südamerikas über-flutet gewesen sein. Als die Pegel fielenund das Binnenmeer schrumpfte, könn-ten einige Tiere im Amazonasbeckenverblieben sein und sich zu den heuti-gen Flussdelfinen entwickelt haben. cle

IMPRESSIONENEINESLANDES

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SOLVEIG FLÖRKE

B unte Drachen und Segel,wohin man blickt. Die brasi-lianische Kite-Saison ist invollem Gange; vielerorts istsie das sogar ganzjährig. Im-

mer mehr Urlauber zieht der TrendsportLenkdrachen deshalb nach Brasilien. AnKite-Hotspots mangelt es dem südameri-kanischen Land nicht, kein Wunder bei ei-ner Küstenlänge von insgesamt 8000 Kilo-metern. Besonders ideale Voraussetzungenfinden die Drachenfreunde im Nordostendes Landes. Was im Bundesstaat Bahialangsam Fahrt aufnimmt, wird zum abso-luten Renner, je weiter man nach Cearákommt. Hier tummeln sich Anfänger undfortgeschrittene Kiter gleichermaßen, umsich am Drachen und auf dem Brett übersWasser ziehen zu lassen. Zwar dauert esbei den meisten, bis sie mit der Kombina-tion aus Wind, Wasser, Surfing und Ge-schwindigkeit technisch einigermaßen

klarkommen, aber dann erwartet die Lenk-drachensurfer ungebremster Spaß. DasGute für Kitesurfer aus Europa: Bis nachFortaleza, der Hauptstadt von Ceará, sindes mit dem Flugzeug nur knapp zehnStunden. Von da aus geht es zum Beispielweiter nach Cumbuco, wo rund 400 Kilo-meter goldene Sandstrände warten.Doch die würden nichts nützen, je-

denfalls nicht zum Kiten, wenn es kei-nen perfekten und beständigen Windgäbe. Genau den suchen und finden Ki-tesurfer hier von Mai bis Dezember beiSonne und recht gleichbleibenden Tem-peraturen. Je nach Gezeiten ist derStrand von Cumbuco zwischen 30 und100 Meter breit. Palmen sorgen für diepassende tropische Kulisse. Frode Her-nes aus Norwegen kommt seit zehnJahren zum Kiten nach Ceará, denn fürihn gibt es keinen besseren Ort, um miteiner Geschwindigkeit von bis zu 50Stundenkilometern übers Wasser zu ra-sen: „Das ist der beste Platz der Welt

zum Kitesurfen“, sagt er begeistert. Ei-ne Woche lang lässt sich der Informati-ker in seinem persönlichen Surfpara-dies den Wind um die Ohren wehen.Mano Haupp bleibt zum Kiten sogar

noch länger in Cumbuco, allerdingsnicht als Urlauber, sondern zum Geld-verdienen. Der Brasilianer aus dem Sü-den des Landes ist Kitesurf-Lehrer.Weil er seine Schule in Porto Alegrewährend der Wintermonate schließt,unterrichtet er im Nordosten, wo dieSaison ganzjährig läuft. „Ich bleibe bisSeptember. Trotz Flug und Aufenthaltlohnt sich das für mich, wenn ich hierUnterricht gebe“, sagt er.Etwa fünf Kilometer nördlich von

Cumbuco erwartet Wasserfreunde einweiterer Genuss: Die Lagune Cauípe istein Süßwassersee, den ein weißer Sand-strand vom Meer trennt. Hier könnenNicht-Kiter auch einfach nur badenoder schwimmen – das aber in spekta-kulärem Ambiente. Etwa 270 Kilometernördlich von Cumbuco liegt Jericoacoa-ra. Umgeben von Dünen, erinnert „Je-ri“, wie die Einheimischen sagen, eheran eine Oase, so groß und endlosscheint der Sandstrand rundherum.Seit 1984 sind das Fischerdorf sowie derUmkreis als Naturschutzgebiet ausge-wiesen. Hier gibt es weder Straßenbelä-ge noch hohe Gebäude, wodurch sichJeri seinen besonderen Charme bislangbewahren konnte. Einfache und liebe-voll eingerichtete Pensionen, die Pousa-das, aber auch elegantere Hotels, Res-taurants und Bars bieten dennoch dienötige Infrastruktur für einen angeneh-men Urlaub. Der kleine Ort, der kom-plett auf Sand gebaut ist, gilt eher alsKitesurf-Ziel für Könner, die die Verbin-

dungen zu den nördlich gelegenen Lagu-nen schätzen.Wer es ruhiger mag, der ist im benach-

barten Préa richtig. Auch in diesem klei-nen Dorf leben die meisten Menschenvom Fischfang und vom Tourismus. Party-Touristen kommen hier wahrscheinlichnicht auf ihre Kosten, denn in Préa geht esbeschaulich zu. Eine Tankstelle, ein paarBars von Einheimischen, jede Menge Fi-scherboote und kleine Geschäfte für dentäglichen Bedarf – das ist es schon. IdealeBedingungen zum Runterkommen undAusspannen. Viel Zeit kann man etwabeim Betrachten des Sternenhimmels ver-bringen, denn meistens sieht man die fun-kelnden Punkte am schwarzen Nachthim-mel hier klar und deutlich.Zunehmend trifft man entlang der Küs-

te im Nordosten auch Menschen, die diewuseligen Metropolen wie São Paulo oderRio de Janeiro bewusst verlassen haben,um in den kleinen Ortschaften dieser Re-gion ein neues Leben zu beginnen. OhneStau und ohne Stress. Vor drei Jahrenpackten Zilda und Oswaldo ihre Kofferund brachen Richtung Norden auf. In SãoPaulo hatten es die beiden Renter nichtmehr ausgehalten und suchten mehr Le-bensqualität im Bundesstaat Paraíba. DerPlan ging auf. „Es ist wirklich anders hier.Die Sonne scheint, unser tägliches Vita-min D. Mir tun die Knochen nicht mehrweh, ich fühle mich gesünder“, sagt Zilda.Und Oswaldo? „Ich bin fit. Jeden Tag be-wegen wir uns am Strand, das Essen istgesund und frisch. Der Rhythmus hier isteinfach ein anderer.“ Von den Drachenlassen die beiden mit über 60 zwar dieFinger, dafür betreiben sie Pilates undschauen den Kitesurfern zu, wenn dieseihre Freestyles springen.

Paradies derParadies derDrachenDrachen

Der NordostenBrasiliens ist vonspektakulärerSchönheit.Freunde weißerTraumstrände,romantischerBeschaulichkeitund sportlicherBetätigung kommengleichermaßen aufihre Kosten

SÜDAMERIKA

Ceará

Fortaleza

Cumbuco

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Préa

BRASILIEN

AtlantischerOzean

Paraíba

Nicht nur Kitesurfer lieben den Norden. In den Dünen am Strand von Jericoacoara finden auch Sand-Surfer beste Bedingungen

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SOLVEIG FLÖRKE

D ie Abkürzung BH. Na? Worandenken Sie als Deutscher? Körb-chengröße, Unterwäsche, Frau-

en? Das war klar. Und als Brasilianer?7 : 1, Hauptstadt des Bundesstaates Mi-nas Gerais, Mineirāo? Auch klar. In Bra-silien hat BH mit dem Büstenhalternichts zu tun. Wenn von „be agá“ dieRede ist, weiß jeder, dass die Metropoleim Südosten gemeint ist. Übersetztheißt Belo Horizonte übrigens „schönerHorizont“, und tatsächlich soll derHimmel über Minas besonders blau undstrahlend sein. Für viele änderten 2014aber auch die Schäfchenwolken am hell-blauen Himmel über dem Fußballstadi-on „Mineirão“ nichts daran, dass dieser8. Juli zum schwärzesten Tag der brasi-lianischen Fußballgeschichte wurde.7 : 1 schlug die deutsche Mannschaft imWM-Halbfinale die brasilianische Sele-çao. Für die stolze Fußballnation eineKatastrophe. Fernando Pimenta war da-mals im Stadion. Der Tierarzt weißnoch ganz genau, wie die Atmosphärewar: „Das hatte etwas von Beerdigung“,sagt er. „Als wir nach dem Spiel ausdem Stadion gingen, sprach niemandein Wort, es war traurig, genau wie nacheinem Begräbnis.“ Deshalb ist der Aus-druck „7 : 1“ mittlerweile zu einer ge-bräuchlichen Redewendung geworden.Vergleichbar mit dem, was wir als per-sönliches „Waterloo“ bezeichnen.Neben diesen jüngsten Assoziationen

mit BH gibt es natürlich auch traditio-nelle. Eine davon ist die Kulinarik. InMinas denkt dabei erst mal jeder an denberühmten „queijo mineiro“, den typi-schen brasilianischen Käse. Der istschneeweiß, feucht und weich und wirdoft als runder Klotz verkauft. Es gibt ge-

fühlt 3000 Witze in Brasilien, in denenes um Käse und Menschen aus MinasGerais geht. Tatsächlich haben sich so-wohl der Käse als auch die kleinen, hei-ßen Käsebrötchen „pão de queijo“ inganz Brasilien durchgesetzt. In BeloHorizonte gibt es fantastische Restau-rants, in denen vor allem schmackhafteFleischgerichte angeboten werden.Wer zum ersten Mal nach BH kommt,

der wird die auf- und abfallenden Stra-ßen bemerken. Ständig geht es rauf undrunter in dieser knapp drei MillionenEinwohner zählenden Stadt. Zwar hatteein Stadtplaner anfangs alles hübsch ge-plant, mit Straßen, die in einem schach-brettartigen Muster mit diagonal ver-laufenden Hauptalleen angeordnet sind,aber davon merkt man heute kaumnoch etwas. Viel zu schnell ist BH inden letzten 50 Jahren gewachsen, undbis heute kommen die Menschen aus

den ländlichen Gegenden hierher. So er-gibt sich das vielleicht größte Problemder Stadt: die schlechte Infrastruktur.Staus und etliche Umwege muss jederin Kauf nehmen, der sich in BH fortbe-wegt. Um von A nach B zu gelangen, istes oft sinnvoller, zu Fuß zu gehen alsdas Auto zu benutzen. Das gilt vor al-lem im Stadtzentrum. Hier zählt die al-te Markthalle, der „mercado central“,zu den sehenswerten Schauplätzen. Esgibt nichts, was es hier nicht gibt: vonlebenden bis zu toten Tieren, von Holz-spielzeug bis Metallwaren, von Klei-dung bis zu Schmuck und Schuhen. DasTreiben im „mercado central“ gleichtdem auf einem Basar und hat so garnichts von der Ruhe, die man im Nobel-stadtteil Pampulha findet. Hier gibt esviele schmucke Villen, außerdem einenSee, an dem eine unverkennbar von Os-car Niemeyer entworfene Kirche steht.

Was sich hinter „BH“ so alles verbirgtIn Brasilien sind es Belo Horizonte, Käse, blauer Himmel und ein 1 : 7

Die 1943 eingeweihte Kirche São Francisco de Assis findet sich im NobelviertelPampulha. Gebaut wurde sie nach einem Entwurf des Architekten Oscar Niemeyer

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Undwann kommenSie nach Köln?Braskem, E2PS, IP Real State, Nacional Ossos, Russer, Soluparts, Tramontina, X Works Solutions – als Standort internationaler Top-Unternehmen ist Köln mit seiner Wirtschaftskraft zunehmend auch die erste Adresse für brasilianische Firmen. Die zentrale Lagein Europa, die optimale Verkehrsinfrastruktur und der ausgezeichnete Messe- und Tagungsstandort sind Garanten für die Dynamikder Stadt.

Köln ist bunt und aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen und verschiedenen Kulturen. Menschen aus über 180 Nationen sind inder lebenswerten Metropole zuhause, darunter viele aus Brasilien. Die Städtepartnerschaft, die Köln seit 2011 mit Rio de Janeiroverbindet, ist Ausdruck der engen wirtschaftlichen und kulturellen Verbindung.

Die Rheinmetropole ist auch für die Zukunft bestens aufgestellt und bietet beste Perspektiven. Überzeugen Sie sich selbst.

Der Oberbürgermeister

Amt fürWirtschaftsförderung · Stadthaus · Willy-Brandt-Platz 2 · 50679 KölnTel. +49 (0)221 221-25765 · Fax +49 (0)221 [email protected] · www.stadt-koeln.de · www.stadt.koeln