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A STREETCAR NAMED DESIRE (ENDSTATION SEHNSUCHT) Oper von André Previn

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A STREETCAR NAMED DESIRE (ENDSTATION SEHNSUCHT)Oper von André Previn

A STREETCAR NAMED DESIRE (ENDSTATION SEHNSUCHT)Oper von André Previn

Premiere14. Mai 2016

Technische Direktion Raphael A. Toth • Assistenz Thomas Kurz  • Produktions- und Werkstattleitung Johannes Kessler • Referent der Technischen Direktion für den Bühnenbetrieb Thomas Wagner • Büh-nenmeister Reinhold Haupt, Erwin Manns • Beleuchtungsmeister Pe-ter Wilhelm Becker, Christofer Zirngibl • Leiter der Tonabteilung Michael Werner • Leiter der Kostümabteilung Claus Doubeck • Kostümassis- tenz Silja Oestmann, Wladimir Trok • Gewandmeister Damen Maik Stüven • Gewandmeisterin Herren Anke Bumiller • Chefmaskenbildnerin Manuela Adebahr • Abendmaske Elisabeth Rabe, Kristin Kühne  • Ankleiderinnen Cornelia Schumann, Rita Busch • Requisite Liana Brodt, Alexandra Klöck-ner, Heike Schmalbach, Katja Schmidt, Elke Wyeisk-Rings • Sprachcoach Martin Shalita

Uraufführung am 19. September 1998 in San FranciscoPremiere am 14. Mai 2016

Dauer der Vorstellung: circa 2 Stunden und 50 Minuten, Pause nach dem II. Akt

Wir bedanken uns beim Freundeskreis Theater Koblenz e.V. für die großzügige Unter-stützung dieser Inszenierung. Wir bedanken uns bei Blumen Hammer für die Unter-stützung der Produktion.

Permission to adapt the play was provided by John L. Eastman, Trustee Under the Will of Tennessee Williams. Productions of the Opera are presented by special arran-gement with The University of South, Sewanee, Tenneessee.

Aufführungsrechte: G. Schirmer/Edition Wilhelm Hansen vertreten durch Bosworth Music GmbH/The Music Sales Group

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A STREETCAR NAMED DESIRE (ENDSTATION SEHNSUCHT)Oper in drei Akten von André PrevinLibretto von Philip Littell

Blanche DuBois Kerrie SheppardStanley Kowalski Michael MrosekStella Kowalski Irina MarinaşHarold Mitchell (Mitch) Juraj HollýEunice Hubbell Anne Catherine WagnerSteve Hubbell Christoph PlessersA Young Collector Junho LeeMexican Woman Haruna YamazakiNurse Raphaela CrosseyDoctor Michael HamlettPablo Gonzales Jona Mues

Staatsorchester Rheinische Philharmonie Musikalische Leitung Enrico DelamboyeInszenierung Markus DietzeBühne Bodo DemeliusKostüme Claudia CaséraDramaturgie Anna Drechsler

Musikalische Einstudierung Karsten Huschke Kristina Ruge Daniel SpogisRegieassistenz undAbendspielleitung Inga SchulteInspizienz Sandra Folz

Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Auf-führungen durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhand-lungen sind nach dem Urheberrechtsgesetz strafbar. Bitte stellen Sie Ihr Mobiltele-fon vollständig aus.

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A Streetcar Named Desire Synopsis

I. Akt1. SzeneBlanche DuBois trifft unerwartet in New Orleans ein, um dort bei ihrer jün-geren Schwester Stella zu wohnen, die mit ihrem Mann Stanley Kowalski in einer viel zu engen Wohnung haust. Da ihr niemand öffnet, wird Blanche von der ein Stockwerk höher lebenden Eunice in die Wohnung gelassen.

Stella kommt zurück. Nervös springt Blanche von einem Thema zum anderen, macht Stella Vorwürfe wegen ihrer Lebensumstände, die sie als Abstieg aus dem gehobenen Elternhaus empfindet. Als sie nach Stanley fragt, taut Stella auf und spricht von der Liebe zu ihrem Mann, aber Blanche hört kaum hin und erzählt stattdessen von all ihren Familienangehörigen, die sie bis zu deren Tod begleitet hat, ohne dass ihr diese etwas hinterlassen haben, sodass sie schließlich den Familienbesitz Belle Reve am Mississippi nicht mehr halten konnte. Stanley und seine Freunde Steve und Mitch treffen ein und verabreden sich für später zum Poker spielen. Stella ist im Bad, als Stanley hereinkommt und Blanche zum ersten Mal begegnet.

2. SzeneAm Abend wollen Stella und Blanche ausgehen, damit Stanley und seine Freunde ungestört Poker spielen können. Stella erzählt Stanley, dass der Familienbesitz verloren ist; er gerät darüber außer sich. Während Blanche badet, durchwühlt er ihren Schrankkoffer und schleudert ihre feinen Kleider und ihren Schmuck herum. Als Blanche hereinkommt, gibt sie sich anfänglich kokett, dann aber trotzig. Sie händigt ihm die Schriftstücke bezüglich des Be-sitzes aus, die Stanley misstrauisch über einen Anwalt prüfen lassen möchte. Stanley offenbart Blanche, dass Stella bald ein Kind bekommen werde.

3. SzeneDer Pokerabend nähert sich seinem Ende. Der grundsolide, unverheirate-te Mitch sorgt sich um seine Mutter. Blanche, die mit Stella zurückkommt, nimmt ihn sofort ins Visier. Sie verwickelt ihn in ein Gespräch und bittet ihn einen Papierlampion über die Glühbirne zu hängen, um das Licht zu dämpfen. Als Blanche das Radio anstellt, fährt Stanley aus der Haut. Stella geht dazwi-schen; er schlägt sie. Die anderen Männer zerren ihn von ihr fort, während Blanche sie schnell nach oben zu Eunice in Sicherheit bringt. Die Männer ge-hen, und Stanley bleibt allein zurück. Er ruft nach Stella; schließlich kommt sie zu ihm. Blanche schleicht am nächsten Morgen die Treppe hinunter. Stella ist glücklich und reagiert nicht auf Blanches immer heftigeren Attacken ge-gen Stanley und seine „animalische Brutalität“.

II. Akt1. SzeneEinige Wochen später. Stanley beginnt, Blanche über ihre Vergangenheit aus-zufragen. Blanche versucht ihrerseits die „Gerüchte“ als unwahre Banalitäten abzuwickeln. Ein junger Mann klingelt an der Tür und bittet um eine Spende für die Abendzeitung. Blanche fühlt sich zu dem jungen Mann hingezogen und umgarnt ihn, bis sie ihn schließlich küsst. Über sich selbst erschrocken, ver-weist sie den jungen Mann der Wohnung. Er sucht das Weite. Mitch kommt mit Blumen zum Rendezvous.

2. SzeneBlanche und Mitch kommen von ihrem gemeinsamen Abend zurück. Mitch wird leutselig, möchte ihr mit seiner Statur und Kraft imponieren. Er vertraut ihr an, dass er mit seiner Mutter, die ihn bei ihrem Tod gerne versorgt wissen möchte, über sie geredet hat und offenbart ihr seine Gefühle. Blanche erzählt ihm von ihrem ersten Geliebten, einem jungen Mann, den sie mit sechzehn Jahren kennenlernte. Blanche rutscht immer tiefer in Wahnvorstellungen ab, die ihr eine gewünschte Realität vorspielen, fernab des Geschehens in ihrer unmittelbaren Umgebung. Um ihre Nerven zu beruhigen, nimmt sie häufig heiße Bäder und betäubt sich mit Alkohol.

III. Akt1. SzeneVier Monate später. Blanche hat Geburtstag, und Mitch ist für sieben Uhr ein-geladen. Stanley erzählt Stella alles, was er über Blanche herausgefunden hat: dass sie in einem dubiosen Hotel gewohnt habe und dass die Affäre mit einem Schüler zu ihrer Entlassung von der Schule geführt habe. All dies hat er auch Mitch erzählt, der in Folge dessen nicht zu dem Fest erschienen ist. Als Blanche vom Baden hereinkommt, erkennt sie an Stellas Gesichtsausdruck, dass etwas vorgefallen ist. Stella reagiert zornig, als Stanley Blanche zum Geburtstag kaltschnäuzig eine Busfahrkarte zurück nach Hause überreicht. Er wird handgreiflich; sie weint, man solle sie ins Krankenhaus bringen.

2. SzeneSpäter am gleichen Abend. Blanche betrinkt sich, als Mitch kommt und an die Tür schlägt. Ihm fällt auf, dass er sie nie im hellen Licht gesehen hat, reißt ihren Lampion herunter und will das Licht einschalten. Trotzig erklärt sie, dass sie es mit der Wahrheit tatsächlich nicht so genau nehme, der Traum sei ihr wichtiger als die Realität. Draußen hört man eine mexikanische Blumen-verkäuferin „Blumen für die Toten“ rufen. Mitch zieht Blanche an sich, aber sie möchte sich ihm erst hingeben, wenn er sie heiratet. Er stößt sie mit der Bemerkung von sich, sie sei es nicht wert, im Hause seiner Mutter zu wohnen; hysterisch jagt sie ihn davon. Sie versinkt in eine Welt aus Wahnvorstellungen, in der die Stimme des Blumenmädchens sie nicht loslässt.

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3. SzeneStanley tritt ein: Stella wird ihr Baby erst am folgenden Morgen bekommen. Er bietet ihr an, Frieden mit ihr zu schließen. Blanche erfindet Geschichten über Mitch, die die Zurückweisung vertuschen und erfindet eine Einladung von einem vermeintlichen reichen Verehrer, der sie auf einen Yachtausflug einladen will. Stanley fährt sie wegen ihrer Allüren harsch an. Während er im Badezimmer ist, versucht sie verzweifelt ein Telegramm zu schicken, weil sie sich durch Stanley bedroht fühlt. Aber er unterbricht sie und fordert sie pro-vozierend auf, doch an ihm vorbei zu gehen. Er packt sie, wirft sie aufs Bett und vergewaltigt sie.

4. SzeneEinige Tage später. Stella packt unter Tränen Blanches Sachen zusammen. Die Männer spielen Karten, das Baby ist oben bei Eunice, und Blanche, die offenbar einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, ist im Badezimmer und bereitet sich auf ihren Verehrer vor, der sie angeblich abholt. Eunice rät Stella, nicht zu glauben, was Blanche ihr erzählt hat. Blanche tritt auf, bereit zum Fortgehen, sie bildet sich ein, das Meer zu riechen, und stellt sich vor, sie wer-de draußen auf dem Meer sterben, während ein gutaussehender Schiffsarzt ihre Hand hält. Ein Arzt und eine Krankenschwester kommen, um sie abzuho-len. Blanche fürchtet sich und läuft zurück in ihr Zimmer; die Krankenschwe-ster folgt ihr und zwingt sie zu Boden. Der Arzt übernimmt und führt sie sanft hinaus, während sie erklärt, sie habe sich stets auf die Güte von Fremden verlassen.

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Wie man in der Bildenden Kunst von

Malern der Farbe spricht, so kann

man in der Literatur auch von Dichtern

der Farbe sprechen. Ein solcher ist

Tennessee Williams, der Dramatiker

der seelischen Zwiespältigkeit des

amerikanischen Menschen, wie ihn

Amerika in solcher Intensität zuvor

noch nicht gekannt hat. Selber

leidend an dieser Zwiespältigkeit,

ist er durch sie zu einem Dichter

menschlicher Süchte und Sehnsüchte

geworden, seelischen, bis zur Neurose

gesteigerten Leidens, an dem er

mehrmals zu zerbrechen drohte, hätte

ihn nicht immer wieder die göttliche,

schöpferische Kraft, „zu sagen, wie

ich leide“, davor bewahrt.

Carol Petersen

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Orpheus kommt zurück ans Licht Über Tennessee Williams Thomas Lanier Williams, bekannt als Tennessee Williams, und sein Werk sind von jeher populär gewesen, aber seit dem Tod des Dichters und Schau-spielautors im Jahre 1983 ist diese Beliebtheit sprunghaft angestiegen. Allein 1996 waren auf New Yorker Bühnen sechs von seinen Stücken zu sehen – das hatte es noch nie gegeben.

Williams sandte seiner Agentin Audrey Wood den detaillierten Plan für ein Stück zu, aus dem dann „Endstation Sehnsucht“ hervorgehen sollte. Er sagte, es handele von „der Schändung des Zarten, des Empfindsamen, des Zerbrech-lichen durch die ungezähmte, brutale Gewalt der modernen Gesellschaft“ und wies sie darauf hin, dass er „in diesem Stück nur ein Hauptthema behandle, nämlich den zerstörerischen Einfluss der Gesellschaft auf das empfindsame, unangepasste Individuum.“ Am Anfang der Konzeption von „Endstation Sehn-sucht“ stand eine einzelne Szene, die er geschrieben hatte und über die er sagte: „Die Handlung war noch diffus, aber mir war, als sähe ich eine Frau, die auf einem Stuhl saß und vergebens auf irgendetwas wartete. Vielleicht die Liebe. Mondlicht strömte durchs Fenster herein; das deutete auf Wahnsinn hin. Ich schrieb die Szene nieder und betitelte sie ,Blanches Stuhl im Mond-schein'.“ Als das Stück allmählich Gestalt annahm, ließ er es zuerst in Chica-go, dann in Atlanta, schließlich in New Orleans spielen. Von seiner Wohnung in New Orleans konnte er zur Ecke Royal Street sehen, wo eine Straßenbahn mit Endstation „Sehnsucht“ auf und ab ratterte. Er konnte die andere Stra-ßenbahn mit Endstation „Friedhof“ in der Canal Street, sechs Blocks entfernt, hören. Irgendwann ging ihm plötzlich auf, dass „ihnen ein ungeheuerer Sym-bolgehalt innewohnte“.

Williams eigene widerstreitende Seiten zeigen sich klar in dem Stück. Er war vom Wesen her gespalten, eine geteilte Persönlichkeit. Den ständigen Kon-flikt mit sich selbst projizierte er auf Blanche DuBois und Stanley Kowalski. Williams hob das Stück über das Melodramatische hinaus und verlieh ihm Wahrhaftigkeit und „eine gewisse Lebenstreue“. Das Stück bezieht seine Kraft aus der tragischen Ausweglosigkeit der Situation, in die Blanche und Stanley geraten, weil sie ihre tiefsten Ängste und Gefühle verbergen und nicht in der Lage sind, sie mitzuteilen oder die des anderen zu erkennen.

Als Williams sich für New Orleans als Schauplatz entschieden hatte, blieb das Problem der Konfliktlösung. Er entschied sich dafür, dass Blanche den Ver-stand verlieren sollte. Allerdings hatte er große Schwierigkeiten damit, über ihren Wahnsinn zu schreiben, darüber, wie Stanley sie zerstört; zudem quälte ihn die Angst, er könnte, wie seine in einer Anstalt lebende Schwester Rose, ebenfalls wahnsinnig werden. Mehr als einmal legte er das Stück beiseite, weil er das Gefühl hatte, es übersteige seine Kräfte.

Lyle Leverich

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Vom Schauspiel zur Oper Ein Gespräch mit André Previn

A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht) ist André Previns erste Oper, aber Previn schreibt schon seit fünfzig Jahren handlungsbezogene Musik. Bereits als Teenager begann er, Filmmusiken zu komponieren und zu arran-gieren; zwischen 1949 und 1973 entstand Musik zu über vierzig Filmen. 1969 schrieb er ein Musical für den Broadway (Coco), 1974 ein weiteres für London (The Good Companions). Das erste Konzertstück, mit dem er per Plattenauf-nahme ein internationales Publikum erreichte, ging aus einem gemeinsamen Musiktheaterprojekt mit Tom Stoppard hervor: Every Good Boy Deserves Favor für Schauspieler und Orchester wurde 1976 von der Royal Shakespeare Com-pany und dem London Symphony Orchestra uraufgeführt.

Es hat lange gedauert, bis Sie Ihre erste Oper schrieben. Wie kam es zum Projekt Endstation Sehnsucht?

Ich fürchte, da gibt es nicht viel zu erzählen. Lotfi Mansouri, der Leiter der San Francisco Opera, rief mich Ende 1994 an und fragte, ob ich nicht eine Oper schreiben wolle. „So ganz allgemein?“, fragte ich. Ich hatte mit einer französischen Operngesellschaft verhandelt, aber wir hatten noch nicht das richtige Sujet gefunden. Er sagte: „Nein. Was würden Sie von Endstation Sehn-sucht halten?“ Ich war sofort Feuer und Flamme – kein Wunder. Also habe ich zugesagt.

Was musste im Vorfeld geklärt werden, damit Sie mit dem Komponieren an-fangen konnten?

Wir brauchten einige Zeit, um mit Tennessee Williams' Nachlassverwaltern zu verhandeln und nach einem geeigneten Librettisten zu suchen. Wir entschie-den uns für Philip Littell; er hatte schon ein Libretto zu einer in San Francis-co uraufgeführten Oper geschrieben, nämlich Les Liaisons dangereuses von Conrad Susa. Außerdem wollte ich mich möglichst rasch auf eine Besetzung festlegen. Wie Benjamin Britten habe ich meine Musik immer für bestimmte Interpreten komponiert. Als Blanche kam von vornherein nur Renée Fleming in Frage. Die drei anderen Hauptdarsteller habe ich zuerst in Britten-Opern gesehen. Colin Graham, der Regisseur, hatte die Uraufführungen der letzten Britten-Opern inszeniert. Renée machte mir ein ungewöhnliches, sehr nettes Kompliment, als ich ihr von meinem Endstation Sehnsucht-Projekt erzählte. Ich fragte sie: „Hätten Sie Interesse?“. „Keine Frage“, sagte sie. „Ich habe Stücke von Ihnen gehört, also – wann geht's los?“

Ich sehe Sie noch in der Pause eines Renée Fleming-Konzertes in Tangle-wood den Mittelgang entlangkommen. Sie lächelten und sagten: „Ich bin der glücklichste Komponist der Welt.“ Wie gestaltete sich ihre Zusammenarbeit mit Philip Littell?

Tennessee Williams' Nachlassverwaltern lag vor allem daran, dass möglichst viel von der ursprünglichen Sprache erhalten blieb. Wie Philip das Stück ge-kürzt und komprimiert hat – das war schon toll. Endstation Sehnsucht dauert vier Stunden. Hätte ich versucht, es ganz zu vertonen, wäre es so lang gewor-den wie Messiaens Saint François d'Assise. Wir haben manches vorab geklärt, so etwa die günstigen Stellen für die Arien, und er war sehr entgegenkom-mend. Er hatte einen enormen Arbeitsvorsprung – ich habe erst angefangen, als er schon fertig war und ich sorgenvolle Anrufe vom Musikverleger be-kam. Philip, Colin und ich sprachen oft über unser Bild von Blanche. Sie hat mein uneingeschränktes Mitgefühl; Philip findet sie moralisch fragwürdig. Ich glaube, das Stück handelt ausschließlich von Blanche und nur am Rande von Stanley; das Gegenteil hat uns erst Marlon Brando weisgemacht. Was für ein Leben – Blanche kann ihrem Schicksal nicht entrinnen. Sie ist eine traurige Frau, zum Scheitern verurteilt, verletzlich; deswegen ist sie auch so faszinie-rend. Genau diese Eigenschaften hat Claire Bloom im Schauspiel so brillant dargestellt. Ich habe mir natürlich viele Gedanken über die Vergewaltigungs-szene gemacht. Ich habe Colin gefragt: „Wie viel davon möchtest du zeigen?“ Er meinte, die Bühne sollte völlig abgedunkelt sein, und er dächte an zwei Minuten Musik. Darauf ich: „Colin, man kann Blanche nicht in zwei Minuten vergewaltigen, gib mir vier oder fünf.“

Blanche beherrscht dieses Stück, wie ein Sopran eine Puccini-Oper be-herrscht, aber auch die anderen Charaktere haben ihren Reiz, zum Beispiel Stanleys pokerspielender Kumpel Mitch …

Das stimmt. Auch Mitch ist verloren, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Mitch und Blanche sind maßlos einsam und geben die Hoffnung nicht auf, sie könnten im anderen finden, was ihnen fehlt. Dabei müssten sie es doch besser wissen. Es paßt überhaupt nicht zu ihr, dieses traurige, zart besaitete Muttersöhnchen. Auch wenn Tennessee Williams Charaktere zeichnete, mit denen er selbst nichts anfangen konnte, hat er ihnen doch stets etwas Mitlei-derregendes eingehaucht.

Blanches Arie „I want Magic!“ wurde als erstes Stück aus der Oper aufge-zeichnet. Es ist schwül, träge, man spürt förmlich die drückende Hitze von New Orleans und empfindet gleichzeitig Blanches Verzweiflung und ihre ei-genartige Zartheit. Ist diese Stelle typisch für die Tonsprache dieses Stücks?

Bei so einem Stück kann man als Komponist nicht andauernd schöne Mu-sik schreiben. Musik mit tonalem Schwerpunkt war mir immer lieber, aber ich finde, einige heutige Komponisten drehen die Uhr etwas zu weit zurück. Die Arie „I want Magic!“ ist ein Sonderfall – ich hielt es an diesem Punkt der Handlung für angezeigt, zu Klängen zurückzukehren, die nach den Maßstäben moderner Musik völlig irreal sind.

Das Stück hat eine musikalische Struktur, und oft erklingt sogar Musik. Wil-liams schreibt ein „melancholisches Jazzpiano“ hinter der Bühne vor, das

„mit der hingebungsvollen Geläufigkeit brauner Finger“ gespielt werden soll und das „das hiesige Lebensgefühl ausdrückt“. Blanche singt Paper Moon in der Badewanne. Haben Sie solche Anregungen aufgegriffen?

Musik verleiht diesem dem Wesen nach un-musikalischen Stück in der Tat eine neue Dimension, aber ausgerechnet diese speziellen Klänge, die auf der Theaterbühne hervorragend wirken, hätten in der Oper eher gestört. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, New Orleans-Jazz zu zitieren. Es ist allgemein bekannt, dass ich in meinem Leben viel Jazz gespielt habe, also werden manche Leute sagen, es gäbe Jazz-Einflüsse in der Harmonik oder in den rhythmischen Patterns. Ich habe mir nicht vorgenommen, ein Stück voller Jazz-Anklänge zu schreiben, aber auch nicht, sie zu vermeiden. Ein an-derer Vorsatz war, mich eng am Sprachduktus zu orientieren – ich mag es nicht, wenn Silben verlängert und gedehnt werden. Ich musste mich ständig an musikalische Entscheidungen halten, die ich im Voraus getroffen hatte – Entscheidungen mit weitreichenden Folgen. Wenn ich eine Passage schrieb, die später in der Oper wiederkehren musste, war ich mir darüber schon im Klaren. Darüber hinaus hatte ich keinen exakten Bauplan, als ich anfing, ab-gesehen davon, dass ich angestrichen habe, was zwangsläufig eine Arie oder ein Duett werden würde.

Das Gespräch führte Richard Dyer vom Boston Globe.

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André Previn Chameleon Virtuosity

Man übertreibt gewiss nicht, wenn man André Previn eine der schillernds-ten Musikerpersönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts nennt. Schillernd meint weniger biografische Faktoren, die seinem Werdegang als Kreativem zeitlebens ein nicht geringes Maß an Gla-mour verliehen. Stattdessen bezeichnet dieser Ausdruck eine musikalische Spezifik – und damit einhergehend die auffälligste Eigenart dieses Künstlers: Zahlreiche musikalische Milieus und Professionen, die weiterhin als vonei-nander verschieden, bisweilen sogar gegensätzlich rezipiert werden, konnte er zur selben Zeit in sich und seinen Arbeiten vereinigen und dies über Jahr-zehnte hinweg. Bis ins hohe Alter hat er sich auf diese Weise als ein wahr-haftes Chamäleon in Sachen Anverwandlung musikalischer Aufgaben und Stile erwiesen.

Es wäre ohne weiteres zu begründen und für sich schon ebenso lehrreich wie unterhaltsam, sich nur mit einem Aspekt seines Wirkens zu beschäftigen, etwa seinen Jahren in Hollywood, seinen Jazzalben, seiner Arbeit als Dirigent von Sinfonieorchestern und Pianist klassischen Repertoires, den von ihm ini-tiierten Fernsehformaten oder seinen Kunstmusikkompositionen.

Für die Gefährten seiner Jugend ist er auf dem Weg zum Interpreten Klas-sischer Musik. Nach 1945 stößt man für gut zweieinhalb Jahrzehnte meist zuerst auf ihn als Jazz- oder Filmmusiker. Bis Anfang der 1990er-Jahre wird er dann vor allem als Dirigent klassischer Musik rezipiert. Das verlagert sich hiernach wiederum Schritt für Schritt in Richtung eines Komponisten von Kunstmusik. Sein Werdegang erscheint hierdurch als eine Abfolge von Brü-chen zwischen musikalischen Milieus und Professionen – was allerdings nicht zutrifft. Binnen zwanzig Jahren erhielt Previn allein dreizehn Oscar-Nominie-rungen und vier Oscars.

A Streetcar Named Desire – Crossover und Eklektizismus

Hatte er noch seine erste Nennung als Filmkomponist auf der Leinwand für den Lassie-Film The Sun Comes Up (1949) erhalten, verfasste er 50 Jahre später mit A Streetcar Named Desire (1998) eine der meistgespielten zeitge-nössischen Opern überhaupt. Mehr als zwei Dutzend Inszenierungen binnen gut eines Jahrzehnts zu erreichen, ist etwas, das neuen Opern heutzutage nur selten vergönnt ist, von einem Musiker erreicht, der diesen Bereich klas-sischer Musik als Dirigent gemieden hat.

Was macht nun Previns Kunstmusik aus? Schaut man auf die Urteile über sie und sucht hieraus zu rekonstruieren, welche Art ästhetischer Erfahrung sie typischerweise auszulösen vermag, stößt man vor allem auf zwei Begriffe: Crossover und Eklektizismus. Crossover bezeichnet im Kontext der Kunst-musik Previns die Verbindung von musikalischen Charakteristika, die unter-

schiedlichen musikalischen Milieus zugeordnet werden. Eklektizismus meint hingegen das Arbeiten mit präexistenten Musikformen, Stilen, Klangcharak-teristika usw. Ein eklektisches Komponieren kann daher zugleich Crossover sein, muss es aber nicht, solange man nämlich bei seinem Zurückgreifen auf musikalisch Etabliertes und Bewährtes in einem Musikbereich verbleibt. Mit dem Begriff Eklektizismus und dem, wofür er steht, tut sich Previn ver-gleichsweise leicht. Gelassen urteilte er: „I mean, none of us grows up in a vacuum. So we all relate to things we hear.“ Ungleich komplizierter gestaltet sich eine Bestimmung seiner Position zu Crossover. Seit Jahrzehnten ist er immer wieder bemüht, fein säuberlich Trennlinien zwischen den etablierten musikalischen Milieus zu markieren, z.B. zwischen Kunstmusik und Jazz: „I dont't want to hear (John) Coltrane playing Debussy or the other way around.“

Previn geht zwar davon aus, dass Musiker wie Publikum entsprechend in-formiert in Sachen sinfonischer Filmmusik und Jazz seine Kunstmusikwerke spielen und hören. Er weist aber einen darüber hinausgehenden substanti-ellen Bezug zu diesen beiden musikalischen Milieus für seine Opernpartitur zurück. „Meine letzte Filmmusik schrieb ich vor 35 Jahren. Ich habe ja schon vergessen, wie das geht. Und mein Interesse, mich daran zu erinnern, ist ziem-lich gering – obwohl ich sehr gerne Filmmusik machte. Doch als Filmkompo-nist musste ich etwas komponieren, was bereits als Bild existierte. Jetzt kom-poniere ich abstrakt, unabhängig.“ Im Film käme regelmäßig das Bild zuerst, in der Oper zuletzt. Im Film sei das für die Musik verfügbare Zeitfenster durch den Schnitt meist sekundengenau vorbestimmt. In Kunstmusikwerken wie ei-ner Oper habe der Komponist dagegen ungleich mehr Spielraum, seine Idee zu entwickeln und auszugestalten. Das habe weitreichende Konsequenzen, etwa für die Auswahl des thematischen Materials. Dieses müsse in Kunstmu-sik viel größere Strecken tragen und das in einem Setting, in dem der Fokus der Rezipienten und damit deren Aufmerksamkeit gemeinhin auf der Musik läge. Im Film sei die Musik ein Begleiter eines konkreten Bildes, in der Oper eine Erweiterung des Textes. Jene könne dann zahllose visuelle Lösungen erfahren, wie etwa das zeitgenössische Regietheater vorführt. In ihrer Pau-schalität ist eine solch strenge Beschreibung selbstredend zu kurz gegriffen.

Für die Rezipienten von Previns Kunstmusik, im Speziellen jener von A Street-car Named Desire, sind nämlich jene Differenzen, auf die er in seinen Erwide-rungen hinweist, nachrangig. Das überrascht nicht, sind die Hörer doch auch nicht Teil des Produktionsprozesses. Vielmehr vertrauen sie auf ihre ästhe-tische Erfahrung mit dieser Musik. Und diese vermittelt ihnen das Erlebnis von Klängen, die sie als Idiome identifizieren, die von ihnen offenkundig un-terschiedlichen Musikbereichen zugeordnet werden.

Frédéric Döhl

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Das bin ich mir selbst schuldig Über Versagen und Versagensängste

Die Lust am Selbstbetrug Manchmal wird der Traum zur Lebenslüge – und das Selbstbild zum Trugbild

Selbstachtung, so scheint es, gedeiht nicht in allen Milieus gleichermaßen. Denn Selbstachtung setzt voraus, dass man Pflichten gegen sich selbst hat. Man ist sich selbst etwas schuldig. In der amerikanischen Trivialversion, die uns, je einfacher sie dargeboten wird, umso mehr ans Herz geht, ist man es sich schuldig, angesichts der Wechselfälle des Lebens, besonders der Tiefschläge des Schicksals und Angriffe des Bösen, nicht aufzugeben.

Das Zweitschlimmste ist es für die amerikanische Idee vom guten Leben, trotz menschenmöglicher Anstrengung als Versager zu enden. „Loser“, wer das von sich sagen muss, hat vom tragischen Helden einen Hauch Tragik mitbekom-men; man wird ihn bedauern, aber wie einen, der an einer tödlichen Krank-heit leidet. Das ist der Unterschied. Der tragische Held stirbt und dafür gilt ihm posthum unsere tiefe Verehrung. Der „loser“ hingegen lebt, als ob er schon tot wäre, und dafür verachten wir ihn insgeheim (und er sich selbst). Ist er dann tot, haben wir ihn ohnehin gleich vergessen. Das Schlimmste jedoch, was dem ame-rikanischen Menschen zustoßen kann, besteht darin, dass er versagt, weil er es erst gar nicht versuchte – erst gar nicht versuchte, nicht zu versagen. Denn zu versuchen, kein „loser“ zu sein, auch wenn man weiß, dass man es nicht schaf-fen kann (und die meisten wissen, dass sie es nicht schaffen können, sie können sich am Ende höchstens einreden, es nicht völlig „verbockt“ zu haben): das ist es, was man sich selbst schuldig ist. Die amerikanische Trivialversion von dem, was man sich selbst schuldig ist, ist freilich nur deshalb trivial, weil sie sich im Laufe der Zeit – im Anfang war der Mythos: „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ – unter dem Druck der Ökonomie veräußerlicht hat. Sie hat sich veräußerli-cht, weil nicht aufgegeben zu haben nicht mehr reicht. Nun lautet die brutale Gleichung: „Versagt hat, wer arm bleibt.“ Wer es nicht zum sprichwörtlich be-scheidenen Wohlstand bringt, ist ein „loser“. Du sollst nicht aufgeben! Das ist ein kategorischer Imperativ. Aber was soll man nicht aufgeben? Es ist doch das Wichtigste, dabei gewesen zu sein, oder? Nun, das ist zweifellos eine kleine Lüge im Dienste einer größeren Wahrheit. Es ist eine Lüge, weil das, was am meisten zählt, wenn am Ende des Tages die Rechnungen beglichen werden und jeder bei sich Nachschau hält (unter den wachsenden Blicken der anderen), das ist, was unterm Strich übrig bleibt: weil dann zuallererst der Reingewinn zählt, die errungenen Punkte, die Etappensiege, die gewonnenen Schlachten, die von allen anerkannt sind. Am Ende des Tages gehören die meisten Menschen nicht zu den Gewinnern. Sie werden unterm Strich keine Siegestrophäen vorweisen können. Dennoch werden viele zu Recht darauf beharren dürfen, das sie getan haben, „was sie sich selbst schuldig waren“. Schuldig ist man sich nicht den Sieg im Leben; schuldig ist man sich selbst, es immerhin versucht und dabei aus den eigenen Niederlagen das Beste gemacht zu haben.

Peter Strasser

Selbsttäuschungen sind nicht nur der Stoff, aus dem Krimis, Theaterdramen und Filmtragödien sind. Die harmlose Variante hat wohl jeder schon einmal praktiziert: Wir verstellen die Waage und mogeln uns zwei Kilo leichter. So-lange wir die Realität nicht vollkommen ausblenden, helfen uns derlei kleine Schummeleien, den Alltag leichter zu nehmen. Doch zwischen einer Illusion, die uns Auftrieb gibt, und einer Lebenslüge, die uns schadet, liegt manch-mal nur ein schmaler Grat. „Es gibt einfach keine interessanten Männer. Ich bin total offen für eine neue Liebe, aber ich treffe keinen, der infrage kommt“, klagen attraktive, erfolgreiche Frauen. Und übersehen, dass ihr Leben ebenso voll ist mit Terminen wie ihr Kopf mit Vorstellungen vom perfekten Mann. In ihren Zeitplan und ihr Beuteschema kann gar keiner passen. „Wir brauchen Sehnsüchte, Hoffnungen und Träume, um im Leben voranzukommen“, sagt die Psychoanalytikerin Brigitte Boothe. „Doch wir müssen sie regelmäßig einem Realitätscheck unterziehen.“ Bin ich tatsächlich so unternehmungslustig wie ich glaube, oder in Wahrheit doch eher ein Couchpotato? Habe ich genug Talent, um eine erfolgreiche Schauspielerin zu werden? Oder reicht es realistisch be-trachtet eigentlich nur für die Laiengruppe? Menschen, die sich in Lebenslügen verstricken, so Boothe, haben nicht gelernt, im Kontakt mit anderen ihre Mög-lichkeiten und Grenzen durchzuspielen und so zu einem realistischen Selbst-bild zu kommen. Die Absicht, die hinter Selbsttäuschungen steckt, ist eigent-lich positiv, sagt der Heidelberger Gestalttherapeut und Buchautor Victor Chu: „Lebenslügen sind eine Art Überlebensstrategie – sie verhüllen unsere per-sönlichen Schwächen und schützen vor der Kritik anderer.“ Doch irgendwann werden sie zum Boomerang. Zur Lebenslüge gehört ein geschickt gewobenes Netz aus Selbsttäuschung, Vermeidung und Verdrängung. Ein guter Schutz davor, sich in Trugbilder zu verstricken, ist die Bereitschaft, sich von anderen ehrliche Rückmeldungen geben zu lassen und Freunde zu fragen: Wie wirke ich auf dich? Wie findest du die Geschichten, die ich geschrieben habe? Was hältst du von meiner Geschäftsidee? Lebenslügen, glaubt Boothe, haben auch mit ge-sellschaftlichen Erwartungen zu tun. Heute sei es vor allem der Erfolgsdruck im Job und in der Liebe, der Menschen dazu bringt, ihre Biografie glattzubügeln und sich und anderen etwas vorzumachen. Doch was hindert uns daran, uns so zu sehen und zu zeigen, wie wir wirklich sind, und selbstbewusst zu unserem Alter, unseren Vorlieben oder Schwächen zu stehen? Eines der stärksten Motive für eine Lebenslüge ist laut Victor Chu die Scham – denn sie sei ein wesent-licher Pfeiler unserer Identität. Bin ich stolz auf mich? Oder schäme ich mich meiner selbst? „Das Gefühl der Scham ist deshalb so mächtig, weil es nicht nur die individuelle, sondern auch die familiäre und nationale Scham gibt“, so Chu. „Letzlich geht es darum, dass ich nicht versuche, einen anderen zu kopieren“, sagt Chu. „Wichtig ist lediglich, ich selbst zu sein.“

Birgit Schönberger

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Kerrie Sheppard

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Rezept

STELLA FOR STAR

1 cl Grenadine 1 cl Zitronensaft

4 cl brauner Rum2 cl weißer Rum 4 cl Orangensaft 2 cl Ananassaft

2 cl Southern Comfort Ergibt ca. 16 cl ohne Eis.

ZubereitungDie Zutaten mit einigen Eiswürfeln shaken und

in ein Cocktailglas geben. Mit tropischen Früchten

dekorieren.

CHEERS!

Über Southern ComfortSouthern Comfort ist ein Likör, der ursprünglich auf Whiskey basierte. Der aus Irland stammende Barkee-per Martin Wilkes Heron mixte ihn 1874 zunächst als Cocktail. 1895 er-sann er den Namen Southern Com-fort. Zunächst bestand der auch SoCo genannte Likör aus Whiskey, Orangen und Pfirsichen, Zimt, Vanille und weiteren Gewürzen. Heute wird er mit Neutralalkohol hergestellt. Der US-amerikanische Likör hat 35 Vol.-% Alkohol. Als Southern Comfort Reserve gibt es ihn mit Bourbon, dann mit 40 Vol.-% Alkohol.

Die Geschichte des amerikanischen LikörsDer irischstämmige Saloon- und Bar-keeper Martin Wilkes Heron arbeitete in den 1870ern in Arthur McCauley´s Saloon (Mc Cauley´s Tavern) im Lo-wer Garden District in New Orleans, Louisiana. Dort mixte er 1874 als 24-Jähriger einen neuen Cocktail, den er als Pendant zum damals be-liebten "White Tie and Tales"-Cock-tail erklärte und "Cuffs and Buttons" nannte. 1895 erfolgte die Umbenen-nung wahrscheinlich aufgrund von Namensrechten, denn die Industrie nutze die Phrase ebenfalls.

Mit der Prohibition wurde die nach Memphis, Tennessee, verlagerte Produktion eingestellt. Heron starb noch während des Alkoholverbots. Die Marke wurde zunächst von Fran-cis Fowler gekauft, heute gehört sie zur Brown-Forman-Corp und bildet zusammen mit Jack Daniel´s deren wichtigste Produkte. Heute gehört der Whiskey-Likör zu den erfolgreichsten Likören weltweit.

Irina Marinaş Kerrie Sheppard, Michael Mrosek

Kerrie Sheppard, Michael Mrosek Irina Marinaş, Michael Mrosek

Kerrie Sheppard, Michael Mrosek Irina Marinaş, Kerrie Sheppard

Kerrie Sheppard, Irina Marinaş, Jona Mues, Juraj Hollý, Michael Mrosek, Christoph Plessers

Anne Catherine Wagner, Kerrie Sheppard Christoph Plessers, Anne Catherine Wagner, Jona Mues

Michael Mrosek, Jona Mues, Christoph Plessers, Juraj Hollý

Juraj Hollý, Kerrie Sheppard Junho Lee, Kerrie Sheppard

Kerrie Sheppard, Michael Mrosek Haruna Yamazaki

Raphaela Crossey, Kerrie Sheppard, Michael Hamlett, Irina Marinaş, Michael Mrosek Raphaela Crossey, Kerrie Sheppard, Michael Hamlett

Kerrie Sheppard

A STREETCAR NAMED DESIRE/ ENDSTATION SEHNSUCHTLIBRETTO

I. AKT

1. SZENE

BlancheMan sagte mir, ich soll mit der Straßenbahn bis zur Endstation „Sehnsucht“ fahren, dann umsteigen in die Bahn Richtung „Friedhof“ und sechs Straßen weiter aussteigen bei den „Elysischen Gefilden“.

EuniceSie sind schon angekommen.

BlancheBei den Elysischen Gefilden?

EuniceDas ist richtig.

BlancheIch suche meine Schwester Stella DuBois. Ich meine – Frau Stanley Kowalski.

EuniceSie ging gerade weg.

BlancheWohnt sie hier?

EuniceSie wohnt unten und ich über ihr.

BlancheUnd sie ist ausgegangen?

EuniceHat sie Sie erwartet?

BlancheNein. Nicht heute Abend.

EuniceKommen Sie herein und fühlen Sie sich wie zu Hause.Wenn es sauber ist, ist es sehr reizend.Sie sind also Stellas Schwester …

BlancheStimmt.

EuniceSie sagte, Sie wären Lehrerin …

BlancheStimmt.

EuniceUnd Sie kommen aus Mississippi.

BlancheJa.

EuniceIch habe ein Bild von Ihrem Anwesen gesehen.

BlancheJa.

EuniceEin sehr großes Haus.

BlancheBelle Reve!Ich möchte etwas allein sein.(Sieht in den Spiegel.)Ich sehe so alt aus.Ich muss ...Ich muss mich beherrschen!Ich muss …

(Stella kommt eilig nach Hause.)

StellaBlanche!

BlancheStella! Oh, Stella! Stella, mein Stern!Sieh mich nicht an! In diesem unbarmherzigen Licht.Mach es aus, und komm her zu mir!Oh, meine kleine Stella … Stella, „Stern“.Ich war besorgt, du kämest gar nicht mehr in diese schreckliche Wohnung zurück!Entschuldige, ich wollte das nicht sagen!Ich wollte nett sein und sagen, es muss sehr komfortabel sein, hier zu wohnen.Mein Lämmchen, du sagst kein Wort.

StellaDu gabst mir gar nicht die Gelegenheit.

BlancheGut, dann redest du jetzt, während ich uns was zu trinken suche.Ich bin sicher, dass du was zu trinken hast. Aber wo?Lass mich raten ...

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Lass mich raten …Gefunden!Komm, setz dich. Erzähl!

StellaNun Blanche …

BlancheWas machst du an einem solchen Ort?Warum hast du mir nicht gesagt, dass du in solchen Verhältnissen lebst?Entschuldige, Kleines. Mein liebes Kleines, du bist alles, was ich auf der Welt noch habe und du freust dich nicht, mich zu sehen!

StellaBlanche, du weißt, dass das nicht wahr ist.

BlancheNein? Ich hatte ganz vergessen, wie still du sein kannst.Du hast mich gar nicht gefragt, wie es möglich sein konnte, dass ich schon hier bin …Hast du gedacht, ich wäre entlassen worden? Ich war so erschöpft. Und meine Nerven … Ich war nah am … Nun, dann hat mir Herr Graves, der Schuldirektor, vorgeschlagen … (trinkt) Oh, es durchdringt mich ganz. Das tut so gut.

StellaNoch einen?

BlancheDu hast nichts zu meinem Aussehen gesagt.

StellaDu siehst gut aus.

BlancheDu lügst.Stella hast du eine Angestellte?

StellaMit zwei Zimmern?

BlancheZwei Zimmer, sagst du?

StellaJa, dieses hier und das da drüben.Es ist unglaublich, wie gut du aussiehst.

BlancheZwei Zimmer, Stella?Ich sehe nicht, wo ihr mich unterbringen wollt?

StellaWir werden dich hier unterbringen …

BlancheAber zwischen den Zimmern ist keine Tür!Ich vermute, du hoffst, ich gehe in ein Hotel, aber ich werde nicht in ein Hotel gehen. Ich möchte in deiner Nähe sein. Ich kann nicht allein sein. Ich muss mit Menschen zusammen sein, Stella.Ich kann nicht alleine sein.Es geht mir nicht gut.Wird Stanley mich mögen?

StellaIhr zwei werdet euch gut verstehen, wenn du ihn nicht mit den Männern vergleichst, mit denen wir ausgingen, als wir noch zu Hause lebten.

BlancheIst er so anders? Wie ist er denn?

StellaBlanche, du kannst unmöglich jemanden beschreiben, den du liebst.Hier ist ein Bild von ihm.Das ist er! Oberstabsfeldwebel im Armeecorps bei den Pionieren.Das sind seine Auszeichnungen.Aber ich kann dir versichern, dass ich nicht nur von dem ganzen Metall geblendet war. Natürlich gab es später einiges, an das ich mich gewöhnen musste.

BlancheHast du ihm gesagt, dass ich komme?

StellaOh, er weiß es noch nicht.

BlancheDu hast es ihm nicht gesagt?

StellaEr ist viel unterwegs.

BlancheOh … gut.

StellaIch kann es kaum ertragen, wenn er eine Nacht nicht da ist. Und wenn er eine Woche nicht da ist, werde ich fast verrückt.Wenn er zurück kommt, weine ich auf seinem Schoß wie ein Kind.Wie ein kleines Kind krabbele ich auf seinen Schoß und weine.

BlancheDu bist gegangen! Ich blieb und kämpfte.Du hast dich nur um dich selbst gekümmert.Ich blieb. Die ganze Last lag auf meinen Schultern.Du bist die, die Belle Reve verlassen hat. Ich kämpfte! Ich blutete!Ich bin fast gestorben!

StellaWas meinst du mit: Du hast gekämpft, geblutet?

BlancheIch wusste, dass du diese Haltung hast.

StellaZu was?

BlancheBitte!Der Verlust. Unser Verlust. Belle Reve!

StellaIst verloren? Was ist geschehen?

BlancheDas sieht dir ähnlich. Das sieht dir ähnlich, mich das zu fragen.Das sieht dir ähnlich, dass du mich beschuldigst.

StellaBlanche!

BlancheIch … Ich … Ich … habe die Schläge ins Gesicht und auf meinen Körper bekommen.Ein Toter nach dem anderen. All diese Toten!Vater, Mutter, Margaret, so schwanger, dass sie nicht in den Sarg passte.

Wie Abfall wurde sie verbrannt. Du bist zurück gekommen. Für die Begräbnisse bist du nach Hause gekommen.Beerdigungen sind still. Der Tod nicht immer. Manchmal ist ihre Atmung heiser, rauh und röchelnd. Manchmal schreien sie. Manchmal schreien selbst die Alten.Sie schreien: „Lass mich nicht gehen!“Die Begräbnisse mit all den Blumen sind so schön, aber ich stand an ihrem Bett, als sie schrien: “Halt mich fest! … Halt mich fest! ... Halt mich fest! ...“Du kannst dir das im Traum nicht vorstellen, Fräulein Stella, aber ich habe es gesehen.Und nun sitzt du hier und sagst mir mit deinen Blicken, dass ich Belle Reve verloren habe.Wie zur Hölle glaubst du wurden das Röcheln, das Blut, die Tränen, die Krankheiten und die Toten bezahlt? Der Tod ist teuer! Und unsere alte Cousine Jessie folgte gleich auf Margarets Begräbnis. Der Tod hat sein Zelt vor unserer Haustür aufgeschlagen. Belle Reve war sein Hauptquartier.Und ich hatte nur mein kleines Gehalt von der Schule.Ich habe das Anwesen weggegeben! Und wo warst du?Im Bett mit deinem Polacken.

StellaSchweig, Blanche! Es reicht!

BlancheWohin gehst du?

StellaIns Badezimmer, um mein Gesicht zu waschen.

BlancheOh, Stella! Stella, du weinst?

StellaDas überrascht dich?

(Stanley, Steve und Mitch kommen vom Bowling zurück.)

StanleyHey Mitch!Komm her.

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SteveSpielen wir heute Abend Poker?

StanleySicher. Bei Mitch.

MitchDas geht nicht. Meine Mutter ist immer noch krank.

StanleyOkay, dann halt bei mir.Aber ihr bringt das Bier mit.

EuniceSchluss jetzt! Hey, Steve!Ich habe Spaghetti gekocht und sie ganz alleine gegessen.

SteveIch habe angerufen ...Ich habe dich am Mittag angerufen.Ich habe gesagt …

EuniceDu sagst mir nie irgendwas!Warum kommst du nicht ab und zu nach Hause?

SteveMein Gott, Eunice!Schreib es gleich in die Zeitung.

(Blanche geht auf Stanley zu, der zur Tür eintritt.)

BlancheSie sind bestimmt Stanley.Ich bin Blanche.

StanleyStellas Schwester?

BlancheJa.

StanleyHallo. Wo ist meine Kleine?

BlancheIm Badezimmer.

StanleyIch wusste nicht, dass Sie in die Stadt kommen. Woher kommen Sie, Blanche?

BlancheIch lebe in Laurel.

StanleyLaurel.Stört es Sie, wenn ich es mir bequem mache?

BlancheNein, nicht im Geringsten.

StanleyDa ,wo ich herkomme, mögen wir es leger.

BlancheIch auch.(Blanche begutachtet Stanleys freien Oberkörper.)Hier sind Sie also.

StanleySie sind Lehrerin?

BlancheJa.

StanleyWas unterrichten Sie?

BlancheEnglische Literatur.

StanleyWollen Sie bei uns unterkommen?

BlancheIch dachte vielleicht, wenn es Sie nicht stört.

StanleyOkay.

BlancheDas Reisen macht mich ganz schön müde.

StanleySchon gut, immer mit der Ruhe.Hey, Stella!

Stella (aus dem Badezimmer)Ja, Stanley?

StanleyBist du reingefallen?(zu Blanche) Ich fürchte, ich bin Ihnen zu grob.Stella hat viel von Ihnen erzählt.Sie waren verheiratet.

BlancheJa, war ich, als ich noch sehr jung war.

StanleyWas ist geschehen?

BlancheEr starb.

2. SZENE

StanleyHey, Schätzchen.

StellaStanley …

StanleyWas ist los?

StellaOh Stan, ich lade Blanche zum Essen bei „Galatoire“ ein …

StanleyUnd mein Abendessen?

Stella… und dann ins Kino.

StanleyIch gehe nicht zum „Galatoire“.

StellaEs ist dein Pokerabend.Im Kühlschrank liegt Aufschnitt.Ich versuche Blanche rauszuhalten, bis der Pokerabend vorbei ist.

Stanley (sieht in den Kühlschrank)Das soll alles sein?

StellaAnschließend gehen wir in ein Lokal um die Ecke.

StanleyWo ist sie?

StellaGibst du mir etwas Geld?Sie badet, um ihre Nerven zu beruhigen.Sie ist ziemlich mitgenommen. Sie hat eine schlimme Zeit hinter sich.Oh, Stanley! Wir haben Belle Reve verloren. Wir haben es verloren.Wir mussten es opfern oder so ähnlich.Wenn sie rein kommt, sag ihr was Nettes über ihr

Aussehen.Und erwähne das Baby nicht, Stan,ich habe ihr nichts davon gesagt …Versuche nett und verständnisvoll zu sein.Bewundere ihr Kleid und sag ihr, dass sie wunderschön aussieht.

StanleyJa. Moment mal … du sagtest, das Anwesen sei weg?

StellaOh!

StanleyJa, und …?Gib mir weitere Einzelheiten darüber.

StellaEs ist besser, jetzt nicht darüber zu reden.

StanleyDas soll der Deal sein, ja?Schwester Blanche darf jetzt nicht mit finanziellen Sachen gequält werden?

StellaHast du gesehen, in welchem Zustand sie gestern Abend war?

StanleyOh, ja, das habe ich gesehen.Komm, zeig mir die Verkaufsakte.

StellaEs gibt keine.

StanleyHat sie sie dir nicht gezeigt?

StellaEs wurde nicht verkauft.

StanleyWas zum Teufel dann?Weggegeben?

StellaSie wird dich hören.

Stanley Das ist mir egal.Ich werde dich über einiges aufklären.Im Staat Louisiana gilt der Napoleonische Kodex.

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StellaOh Stan, bitte nicht …

StanleyDas bedeutet, dass, was dir gehört, auch mir gehört und umgekehrt.Ich glaube, du wurdest betrogen.Und wenn du dich betrügen lässt, werde ich auch betrogen.

StellaStanley, Blanche würde nie …

StanleyWo ist das Geld, wenn das Haus verkauft wurde?

StellaNicht verkauft.Verloren.

StanleyMach die Augen auf und sieh, was sie hier alles hat.Was glaubst du, wie sie das alles gekauft hat?Von ihrem Lehrergehalt?(Nimmt ein Kleid aus dem Schrankkoffer.)Dieses Kleid ist reines Gold.Und das hier …Und was haben wir hier?Fuchs! Sie besitzt kilometerweise Pelz!Wo sind deine?Wo sind deine Weißfuchspelze?

StellaSei nicht albern, Stanley!

StanleyIch wette, sie besitzt Kleider für 1000 Dollar.Und was sehen wir hier?Ihre Piratenschatzkiste.

StellaOh, Stanley …

Stanley Perlen!Lauter Perlenketten! Was ist deine Schwester?Perlentaucherin? Goldene Armbänder, Perlen,Stella, wo sind deine?

StellaRuhe. Sei still!

StanleyUnd das, was ist das?Eine Königskrone?Ich werde das alles schätzen lassen.

StellaLass das!

StanleyDie Kowalskis und die DuBois haben unterschiedliche Ansichten!

StellaOh, allerdings, das haben sie.Ich gehe nach draußen. Du kommst mit mir, während Blanche sich anzieht.

StanleySeit wann gibst du Befehle?

Stella Willst du hier bleiben und sie beleidigen?

StanleyDas will ich, richtig geraten.

BlancheHallo Stanley. Erlaubst du? (Stanley schließt den Vorhang und geht ins Wohnzimmer.)Ich habe gehört, Sie machen heute eine kleine Party, zu der Damen nicht eingeladen sind?Wo ist Stella?

StanleyAuf der Veranda.

BlancheIch werde Sie gleich um einen Gefallen bitten.

StanleyIch frage mich, was das wohl sein könnte.

BlancheDie Kleidknöpfe am Rücken!Herein!(Stanley betritt das Schlafzimmer und schließt die Knöpfe.)Wie sehe ich aus?

StanleyDu siehst toll aus!

BlancheAch, ihr Männer, mit euren großen Händen.Danke.Sieht aus, als wäre ein Tornado durch meinen Koffer gefegt …

StanleyWas hat das alles gekostet?

BlancheDas waren Geschenke von einem Verehrer.Es ist schwer zu glauben, aber als ich jung war, hatte ich noch Verehrer.Ach, und sieh mich jetzt an …

StanleyDu siehst okay aus.

BlancheIch wollte dir ein Kompliment entlocken.

StanleyDarauf falle ich nicht rein.

BlancheDu weißt, dass du etwas primitiv bist.Um dich zu interessieren, müsste eine Frau doch -

StanleyIhre Karten auf den Tisch legen.

BlancheAls du letzte Nacht herein kamst, sagte ich mir „Meine Schwester hat einen Kerl geheiratet!“

StanleySchluss mit dem Unsinn!?

StellaStanley, komm sofort da raus!Lass Blanche ...

BlancheStella, Liebling, tu mir einen Gefallen, geh zum Kiosk und hol mir eine Coke Lemon. Bitte!(Stella geht zum Kiosk.)Nun, Herr Kowalski.Ich habe nichts zu verbergen. Was ist los?

StanleyIm Staat Louisiana …

BlancheMeine Güte, was für ein richterlicher Ton!

StanleyWo sind die Papiere?

BlancheIm Koffer. Alles, was ich habe, ist in dem Koffer drin.Was geht in deinem Kleinjungenkopf vor?

(Stanley öffnet den Koffer und findet eine Menge Papiere.)

Komm, lass mich das machen.

StanleyWas ist das dort?

BlancheLiebesbriefe. Gib sie mir zurück.

StanleyZuerst werde ich sie mir ansehen.

BlancheFass sie nicht an!

StanleyHör auf damit!

BlancheIch werde sie verbrennen! Verbrennen!Weil du sie angefasst hast.

StanleyWas soll das sein?

BlancheDas sind Gedichte …und ein verstorbener junger Mann hat sie geschrieben.

StanleyWarum willst du die Briefe verbrennen? Was meinst du damit?

BlancheEnschuldige, ich war nicht bei mir.Jeder hat doch etwas, das andere nicht berühren dürfen.Hier! Es gibt tausende Dokumente, die über viele Jahrhunderte zurück reichen. Sie zeigen auf, wie meine Vorfahren den Besitz nach und nach für die Liebe entäußert haben.Wegen ihrer ständigen Unzucht blieb nichts von Belle

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Reve übrig.Die Brüder und Onkel, Ehemänner und Väter und ihre Vorfahren, alle Diebe!Was blieb war das Haus mit dem Friedhof. Für Stella und mich blieb nichts als die Papiere.Kein Geld, ein Haus, ein Friedhof und Hypotheken für Stella und mich. Nimm alles. Lies es aufmerksam und merke es dir.Nichts als Papiere. Alles weg, Haus und Land. Papierschnipsel … tausende Papierschnipsel, die ich deinen großen, starken Händen übergebe.

StanleyEin befreundeter Anwalt wird sich damit beschäftigen.Ein Mann muss sich für die Geschäfte seiner Frau in-teressieren, besonders jetzt, wo sie ein Baby erwartet.

BlancheStella erwartet ein Kind?Das wusste ich nicht.

(Stella steht mit der Lemon Coke in der Tür.)

Ach, Stella! Stella! Wie schön ist es, ein Baby zu haben.Das ist gut. Alles ist gut.

StellaTut mir leid, wie er mit dir umgeht.

BlancheVielleicht brauchen wir diese Konfrontation jetzt, wo Belle Reve verloren ist.Wir haben es friedlich ausdiskutiert. Ich habe ihn einen kleinen Jungen genannt. Wir haben gelacht und geflirtet. Ja, ich habe mit deinem Ehemann geflirtet.

StellaHier entlang, Blanche.

3. SZENE

(Stanley, Mitch, Steve und Pablo spielen Poker. Sie trinken Bier.)

MitchIch denke, ich gehe nach Hause.

StanleyKlappe.

MitchMeine Mutter ist krank …sie schläft nicht, bevor ich wieder zu Hause bin.Sie sagt, ich soll ausgehen …Aber ich amüsiere mich nicht.

SteveDann geh nach Hause!

MitchIch frage mich dauernd, wie es ihr geht.

StanleyUm Gottes Willen, dann hau doch ab.

MitchIch gehe auf die Toilette.Ihr seid alle verheiratet. Wenn sie stirbt, bin ich alleine. (Mitch geht ins Badezimmer.)

StanleyWas hast du, Steve?

StevePik-Straße.

(Blanche und Stella kommen zurück.)

StanleyWo wart ihr?

StellaBlanche und ich waren im Kino. Das sind Herr Gonzales und Herr Hubbell ...

BlancheBitte bleiben Sie sitzen.

StanleyNiemand wird aufstehen. Mach dir keine Gedanken.

BlancheDarf ich in deine Karten schauen?

StanleyDarfst du nicht.

BlancheEntschuldige.(Blanche geht ins Schlafzimmer.)

StellaKönntet ihr nach dieser Runde aufhören?

(Stanley haut ihr auf den Hintern. Sie folgt Blanche.)

StellaDas ist nicht lustig, Stanley.(zu Blanche) Ich hasse es, wenn er das vor anderen Leuten tut.

BlancheIch glaube, ich nehme ein Bad.

StellaSchon wieder?

BlancheIch bin ganz verspannt.Ist das Badezimmer belegt?

StellaIch weiß es nicht.

(Mitch begegnet Stella und Blanche.)

Guten Abend.

MitchHallo.

StellaDas ist Harold Mitchell, Blanche.Meine Schwester, Blanche DuBois.

(Mitch geht zurück zum Spiel.)

BlancheEr scheint besser als die anderen zu sein.Stella, ist er verheiratet?

StellaNein.

BlancheWas macht er?

StellaEr arbeitet in der Fabrik.Stanley ist der Einzige, der es zu was bringen wird. Du müsstest die anderen Frauen sehen …

BlancheIch kann es mir vorstellen …

StellaDu kennst die von oben?

BlancheGruselig!

StellaNun, eines Abends kam der Putz von der Decke!

StanleyKönnt ihr Hühner aufhören?

StellaDu kannst uns doch gar nicht hören.

StanleyAber du hörst mich und ich sage, halte den Mund!

StellaIch rede so viel, wie ich will.(zu Blanche) Er ist halb betrunken.

SteveHey, Mitch! Spielst du?

MitchIch muss mal, diese Runde nicht.

SteveAlso gut, Jungs … noch eine Runde.

(Mitch klopft an die Schlafzimmertür.)

BlancheHerein. Ach, hallo ...

MitchHallo ...

BlancheDas Badezimmer ist besetzt.

MitchWir haben viel Bier getrunken …

BlancheOh, Bier …Haben Sie eine Zigarette?Oh, wie schön! Was für ein schönes Etui. Silber?(Sie liest die Gravur.)„So Gott will ...“

Mitch„So Gott will ...“

Blanche„Werde ich dich nach dem Tod noch mehr lieben ...“

MitchSie kennen das!

BlancheJa, das tue ich …

MitchDas Mädchen, das sie mir schenkte, ist tot.

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Sie gab sie mir und wusste, dass sie sterben würde.

BlancheLeiden erzeugt Aufrichtigkeit.

MitchEs fördert sie zutage.

BlancheNur oberflächliche Leute … Hören Sie!Ich habe heute etwas mehr getrunken, als ich gewohnt bin, und das ist nur eure Schuld …

StanleyMitch!

MitchIch spiele nicht!Ich spreche mit Fräulein …

BlancheDuBois.Würden Sie etwas für mich tun?Sehen Sie, was ich in einem chinesischen Laden in der Bourbon Straße gekauft habe. Ist sie nicht bezaubernd?Die kleine, bunte Papierlaterne soll über der Glühbirne hängen. Würden Sie bitte?

MitchIch wette, wir wirken wie ein grober, roher Haufen auf sie …

BlancheIch bin anpassungsfähig.

StanleyHey, Mitch!

MitchIch komme!Sind sie verheiratet?

BlancheNein, ich bin Lehrerin und eine alte Jungfer.

MitchSie sind sicher keine alte Jungfer.

BlancheIch danke Ihnen.

(Stella kommt aus dem Badezimmer)

Oh, bist du fertig?

StellaOh, ja …

Blanche(zu Mitch) Warten Sie. Ich schalte das Radio ein!Schalten Sie jetzt das Licht an!Sehen Sie, welchen Zauber wir geschaffen haben!

SteveDrei Punkte? Ich hab dich!(Ohne Vorwarnung stürmt Stanley ins Schlafzimmer und greift das Radio.)

BlancheStella!

StellaStanley, das gehört mir …Was machst du mit meinem Radio?

StanleyAus dem Weg!

StellaDu bist doch betrunken!

SteveBeruhige dich, Stanley!

StanleyDas Radio während meines Pokerspiels anmachen …

BlancheStella pass auf!

(Stanley schlägt Stella.)

StellaRühr mich nicht an …

SteveHey, bleib locker, Stanley!

BlancheSie bekommt ein Baby!

MitchDas ist entsetzlich!

BlancheEin Wahnsinn!

MitchSperren wir ihn hier ein, Männer …

StellaIch will weg.Ich will …

BlancheWir gehen zur Nachbarin …Stella, Stella, mein Schatz.Hab keine Angst, hab keine Angst.(Blanche bringt Stella zur Nachbarin. Stanley kommt aus der Dusche und lässt sich auf das Bett fallen.)

StanleyWas ist los?Was ist passiert?

MitchWas passiert ist? Ich werde dir sagen, was passiert ist!

SteveKomm, lass ihn.

MitchMan sollte nicht in einem Haus mit Frauen Poker spielen.Ihr geht jetzt besser.

EuniceSteve!

SteveUh – Oh.

StanleyEunice!Ist mein Mädchen bei dir?

EuniceHör auf zu schreien und geh ins Bett!

StanleyIch will meine Frau.Ich will meine Frau zurück!

EuniceSie wird nicht runter kommen.

StanleyStella!

EuniceMan schlägt eine Frau nicht und ruft sie dann zurück.Sie kommt nicht. Sie erwartet ein Kind …

StanleyEunice, ich will meine Frau hier bei mir!

EuniceMistkerl!

StanleyStella!

BlancheNein, Stella! Stella!

EuniceIch rufe die Polizei!

StanleyStella! Stella!(Stella erscheint im Treppenhaus.)

StanleyVerlass mich nicht, Baby …

(Am nächsten Morgen kommt Blanche die Treppen von Eunices und Steves Appartement runter. Es ist nicht zu übersehen, dass sie eine harte Nacht hatte. Stella liegt auf ihrem Bett und summt eine leise Melodie.)

BlancheStella? Stella?Oh, Stella, geht es dir gut?Oh, Stella, ich zittere für dich mit.Ehrlich, ich zittere. Stella, Dein Mann … Entschuldige meine Direktheit, aber er ist gewöhnlich.

StellaJa, ich glaube, das stimmt.

Blanche„Glaube ...“Du kannst doch nicht so viel von deiner Erziehung vergessen haben, dass du „glaubst“, er hätte etwas von einem Gentleman in sich.Bestialisch! Er ist unmenschlich.Ein Tier! Ein Affe!Es ist, als wären wir um Tausende Jahre in der Zeit zurück versetzt. Und da steht er! Stanley Kowalski! König des Dschungels.Und du? Hier! Lebst hier auf diese Weise! Du wartest auf ihn. Auf seinen Pokerabend.

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Eine Affenparty!Meine Güte, Stella, es gibt auch noch andere Menschen. Andere Menschen.

II. AKT

1.SZENE

Einige Wochen später

StanleySag mal Blanche …Kennst du einen Typen, der Shaw heißt?

BlancheJeder kennt wohl einen Typen, der Shaw heißt.

StanleyNun gut, der Shaw, den ich kenne, glaubt dich in Laurel gesehen zu haben.Aber er muss dich mit jemand anderem verwechseln, denn er sah die Person im Hotel Flamingo.

BlancheEr verwechselt mich sicher mit jemand anderem.Das Hotel Flamingo ist nicht der Ort, an dem ich gesehen werden möchte.

StanleyAber du kennst es.

BlancheIch habe es gesehen. Ich habe es gesehen und gerochen.

StanleyNa, da musst du aber ziemlich nah dran gewesen sein, um es zu riechen.

BlancheBilliges Parfum hat einen penetranten Geruch.

StanleyDas hat es sicher.Wie dem auch sei, er geht in Laurel ein und aus. Er braucht den Sachverhalt nur noch mal zu prüfen, das ist alles, was er tun muss, um Missverständnisse zu bereinigen. (zu Stella) Ich sehe dich im „Four Deuces“!

StellaHey! Habe ich keinen dicken Kuss verdient?

StanleyNicht vor deiner Schwester.

(Stanley verlässt die Wohnung.)

BlancheStella!

StellaFürchtest du dich immer noch vor dem Donner?

BlancheWas haben sie dir über mich gesagt?

StellaGesagt?

BlancheHaben sie …Hast du irgendwelchen üblen Klatsch über mich gehört?

StellaNein, Blanche.Ach, wen kümmert solches Geschwätz?

BlancheIst die Cola für mich?

StellaFür niemand anderen sonst!

BlancheMein Schatz! Ist das NUR Cola?

StellaDu meinst, du möchtest einen Schuss?

BlancheEin Schuss hat noch nie jemandem geschadet.Lass mich das machen. Du musst mich nicht bedienen.

StellaIch bediene dich gerne. Das erinnert mich an zu Hause.

BlancheIch gebe zu, ich liebe es bedient zu werden...(Blanche bedeckt ihre Augen und läuft ins Schlafzimmer.)

StellaBlanche! Liebes …Was ist los?

BlancheDu bist so gut zu mir. Und ich!Ich war in den vergangenen Jahren nicht sehr nett. Aber, Liebes, glaube mir, ich werde nicht lange bleiben. Ich verspreche es dir.Ich verspreche es dir, dass ich bald wieder gehen werde. Ich werde nicht warten, bis er mich hinaus wirft.

StellaErzähl keinen Unsinn.

BlanchePass auf beim Einschenken. Das sprudelnde Getränk läuft über …Ausgerechnet auf mein schönstes Kleid!

StellaGroßer Gott! Nimm mein Taschentuch … leicht abtupfen.

BlancheSanft … sanft … ich weiß …

StellaGab es Flecken?

BlancheÜberhaupt nicht.Was für ein Glück.

StellaWarum machst du so ein Aufsehen darum?

BlancheIch weiß nicht, warum ich geschrien habe.Es ist wegen Mitch. Er kommt um sieben Uhr.Stella, alles was er bekommen hat, war ein Abschiedskuss.Er glaubt, ich will ihn täuschen, damit er mich begehrt.

StellaBlanche, willst du ihn denn?

BlancheIch begehre ihn unheimlich. Ja! Ich muss zur Ruhe kommen. Ich will wieder ruhig atmen können.Ich könnte weg von hier …

(Stanley kommt angetrunken zurück. Er ruft nach Stella.)

StanleyHey! Stella! Hey! Steve! Eunice!

StellaEs wird geschehen.

BlancheGlaubst du?

StellaJa, das wird es, das wird es, das wird es!Aber trink jetzt nichts mehr.

StanleyNa, Pummelchen.

StellaAh, lass mich los!

(Stelle ab.)

Blanche (alleine)Sanftmütige Menschen schimmern und glänzen in leichten Farben.In den Farben eines Schmetterlingsflügels und eines Regenbogens.Sanftmütige Menschen schimmern und glänzen.Das Licht kann mit einer Papierlaterne gedämpft werden.Aber Sanftheit reicht nicht aus. Schönheit und Sanftheit zählen.Ich vergehe. Halt mich fest.

(Es klopft. Ein junger Mann steht in der Tür.)

Herein!Was kann ich für sie tun?

Junger MannIch sammle für den „Abendstern“.

BlancheIch wusste nicht, dass Sterne Geld sammeln.

Junger MannEs ist der Name der Zeitung.

BlancheWeiß ich … ich habe gescherzt.Möchten Sie etwas trinken?

Junger MannNein danke, nicht während der Arbeit.

BlancheMal sehen …

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Ich habe keinen Cent.Das ist nicht meine Wohnung.Ich bin eine der armen Verwandten, über die man spricht.

Junger MannVielleicht komme ich später wieder …

BlancheHey! Hey. Haben Sie Feuer?Danke.Wie spät ist es?

Junger MannZehn vor sieben.

BlancheSo spät …Mögen Sie diese regnerischen Nachmittage?Die langen Nachmittage von New Orleans.Wenn es so aussieht, als wäre eine Stunde nicht nur eine Stunde, wenn es aussieht, als wäre eine Stunde wie ein Stück Ewigkeit, die man in der Hand hält.Und man weiß nicht, was man damit anfangen soll. Sie sind doch nicht im Regen nass geworden?

Junger MannNein, ich habe mich untergestellt.

BlancheSie waren im Kiosk … und haben eine Limonade getrunken …

Junger MannJa.

BlancheMit Schokoladengeschmack?

Junger MannNein, Kirsche.

BlancheKirsche?

Junger MannIch hatte eine Kirschlimonade.

BlancheSie machen mir den Mund wässrig!

Junger MannIch werde besser gehen.

BlancheJunger Mann!Junger Mann!Junger, junger, junger, junger Mann. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie wie ein junger Prinz aussehen?

Junger MannNein, nie.

BlancheSo ist es aber, mein Lämmchen.Kommen Sie zu mir. Kommen Sie her, wie ich es Ihnen gesagt habe.Ich möchte Sie küssen.Einmal sanft und süß küssen.Sanft auf den Mund.(Blanche küsst ihn.)Und jetzt, gehen Sie.Es wäre schön, Sie hier zu behalten. Aber ich muss mich beherrschen und meine Hände bei mir behalten …(Der junge Mann geht. Blanche ist ungeduldig.)Wie spät ist es? Komm schon, Mitch, komm. Ich warte, ich vergehe.(Sie öffnet die Tür. Mitch tritt ein.)

MitchGuten Abend, Blanche.

BlancheMein Rosenkavalier!(Mitch möchte ihr Blumen überreichen.)

BlancheNein, begrüßen Sie mich erst …Und jetzt überreichen Sie mir die Blumen.Ahh … danke!

2. SZENE

(Später. Gegen zwei Uhr nachts kommen Blanche und Mitch zurück.)

BlancheIch fürchte, Sie haben sich nicht amüsiert.

MitchIch fürchte, ich war nicht …

BlancheSehen Sie! Sehen Sie den Himmel.Wo sind die Pleiaden?Man sieht sie heute nicht. Oh, doch, dort sind sie. Gott segne sie. Alle zusammen ziehen sie nach Hause nach ihrer kleinen Bridge-Partie.

MitchDarf ich Ihnen einen Gutenachtkuss geben?

BlancheWarum fragen Sie mich immer?

MitchIch weiß nicht, ob es Ihnen recht ist oder nicht.

BlancheWarum so viele Zweifel?

MitchNun, an jenem Abend am See, als ich Sie küsste …

BlancheDas ist die andere Vertrautheit, die ich ablehnte.Mein Lieber, eine alleinstehende Frau muss sich beherrschen, sonst ist sie verloren.Sie sind bestimmt Frauen gewohnt, die es mögen sich zu verlieren.

MitchIch mag Sie, so wie Sie sind.Trotz all meiner Erfahrung habe ich noch nie jemanden wie Sie kennen gelernt.Machen Sie sich über mich lustig?

BlancheNein …Nein, Lieber!Nein, ich mache mich nicht über Sie lustig.

MitchMöchten Sie etwas trinken?

BlancheSie brauchen einen Drink.Sie waren so besorgt und ernst …Wir waren so besorgt und ernst …Für die letzten Augenblicke, die uns noch bleiben, will ich „joie de vivre“ schaffen.Verstehen Sie Französisch?

MitchNein, verstehe ich nicht.

BlancheVoulezvous coucher avec moi ce soir? (Möchtest du heute Nacht mit mir schlafen?)Vous ne comprenez pas? (Du verstehst nichts?)Quel dommage! (Wie ärgerlich!)Ich meine …Warum ziehen Sie nicht ihre Jacke und Krawatte aus?

MitchIch sollte sie anbehalten.

BlancheWarum?

MitchIch schäme mich, weil ich so schwitze.Mein Hemd klebt mir am Leib.

BlancheWas ist das für ein Stoff?

MitchMan nennt ihn Alpaka.

BlancheOh, Alpaka.

MitchEs ist ein sehr leichtes, luftiges Material.Ich trage nicht gerne ein Unterhemd, auch nicht im Sommer, weil ich es verschwitze.

BlancheSie haben eine sehr imposante Statur.

MitchDankeschön!Ich mache Krafttraining, schwimme und halte mich in Form.Mein Bauch ist straff.So straff, dass ein Bauchstoß mir nichts anhaben kann.Boxen Sie mich!Nur zu!Sehen Sie?

BlancheMeine Güte!

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MitchDarf ich Sie hoch heben?

BlancheMitch. Sie können mich jetzt wieder loslassen.

MitchBlanche …

BlancheIch sagte, lassen Sie mich los.Jetzt, Mitch …

(Er lässt sie runter.)

MitchGeben Sie mir jedes Mal eine Ohrfeige, wenn ich zu weit gehe.

BlancheDas ist nicht nötig.Sie sind ein geborener Gentleman, einer der wenigen, die es auf der Welt noch gibt.

MitchBlanche, wie alt sind Sie?

BlancheWarum wollen Sie das wissen?

MitchIch habe meiner Mutter von Ihnen erzählt.Sie hat mich gefragt: “Wie alt ist Blanche?“Ich habe ihr gesagt, wie sehr ich Sie mag.Sie wird nicht mehr lange leben. Sie will, dass ich versorgt bin, bevor …

BlancheSie lieben sie sehr.Sie sind zu großer Hingabe fähig.Sie werden nach ihrem Tod einsam sein.Ich kenne das.

MitchDie Einsamkeit?Sie sagte, ich sei kein kleiner Junge mehr. Ich werde nicht mehr jünger.Ich weiß, dass sie recht hat.Sie hat nicht mehr viel Zeit. Sie möchte Sie kennen lernen, Blanche. Sie möchte Sie sehen.Man spürt, wenn etwas das Richtige ist. Man spürt es. Und man macht es.

Man macht es, das ist alles.Das ist, was die Liebe ausmacht.Die wahre Liebe.Aber wenn …Aber manchmal …Wenn man die, die man liebt, verliert, die einzige wahre Liebe, was machst du da?Man glaubt noch an die Liebe.Wer man auch ist. Was man auch erlebt hat.Man braucht die Liebe.

BlancheEr war noch ein Junge und ich war ein junges Mächen. Als ich 16 war, habe ich die Liebe mit allem, was dazu gehört, kennen gelernt. Sie kam wie ein blendendes Licht, mit einem Schlag war die Welt erleuchtet. Aber ich war unglücklich, so unglücklich. Der Junge war anders als andere Jungen. Er war sensibel.Aber er war zarter als ein Mann, er hatte eine besondere Art.Er bat mich um Hilfe.Ich wusste es allerdings nicht.Ich begriff gar nichts.Ich wusste es erst, nachdem wir zusammen wegge-gangen und zurückgekehrt waren.Ich habe nur bemerkt, dass ich ihn enttäuscht hatte. Auf wundersame Weise enttäuscht.Ich wusste nur, dass ich ihm und mir nicht helfen konnte.Ich kam einmal in ein Zimmer, das ich für leer hielt. Aber es war nicht leer, zwei Leute waren drinnen, mein Freund und ein älterer Mann, sein bester Freund.So habe ich die Wahrheit entdeckt.Ich habe so getan, als wäre nichts geschehen.Als wir zum Tanzen ins „Moon Lake Casino“ fuhren, haben wir den ganzen Weg getrunken und gelacht. Während des Tanzes riss sich mein Mann von mir los und rannte raus.Ich hörte einen Schuss. Ich rannte!Alle rannten raus und versammelten sich am Ufer des Sees.„Bleiben Sie weg.“„Kommen Sie nicht näher heran!“

„Sie dürfen es nicht sehen.“Was nicht sehen?Dann hörte ich Stimmen sagen:„Es ist ihr Ehemann.“Er hat sich mit einem Revolver in den Mund geschossen.Sein Hinterkopf war völlig entstellt.Es war, weil …auf der Tanzfläche …ich habe gesagt …ich war nicht fähig, mich zu beherrschen.Ich habe gesagt: „Ich weiß es, ich habe es gesehen. Du widerst mich an!“

MitchBlanche, Sie brauchen jemanden, und ich brauche auch jemanden.Wäre das nicht möglich, Sie und ich?

BlancheUnd da war das eine brennende Licht, das die Welt erhellt hatte, wieder ausgelöscht worden.Seit jenem Augenblick hat kein einziges Licht mehr die Welt für mich erhellt, das stärker ist als diese Kerzenflamme.Seit jenem Augenblick,hat es kein einziges Licht mehr gegeben.

III. AKT

1. SZENE

StanleyWozu ist das alles?

StellaEs ist Blanches Geburtstag.

StanleyIst sie hier?

StellaIm Badezimmer.

StanleyWäscht sie sich?

StellaIch nehme es an.

StanleyWeicht sie sich in einer heißen Wanne ein?

StellaJa.

StanleyDraußen ist es heiß und sie badet!

StellaSie sagt, es erfrische sie für den Abend.

StanleySetzt dich hierhin.Setz dich.Ich habe mich über deine Schwester erkundigt.

BlancheHallo Stanley. (Geht zurück ins Badezimmer.)

StanleyEin Kanarienvögelchen.Du solltest mal hören, was sie Mitch vormacht!Er dachte, ihre Erfahrungen mit Männern beschränken sich auf das Küssen.Lüge Nummer 1: Schwester Blanche ist nicht unschuldig wie eine Lilie. Unser Lieferant in der Fabrik geht schon seit Jahren nach Laurel.Er weiß alles über sie.Zum Teufel! Jeder in Laurel weiß alles über sie.Wenn der Typ dort hin fährt, übernachtet er in einem Hotel, das sich das Flamingo nennt.

StellaWas ist mit diesem Flamingo?

StanleySie wohnte dort.

StellaNein!

StanleyNachdem sie das Anwesen durch ihre lilienweißen Hände gleiten ließ.Sie war im Flamingo, ganz sicher!Im Flamingo ist man so einiges gewohnt.Ihr Motto lautet, sich nicht in die Angelegenheiten der Gäste einzumischen.Aber sogar im Flamingo war man von ihr beeindruckt.Sogar so beeindruckt, dass man sie gebeten hat, ihren Schlüssel wieder abzugeben.

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Das geschah ein paar Wochen, bevor sie hier auftauchte.

StellaDas ist reine Erfindung.Kein einziges Wort stimmt.

StanleyLiebling, ich habe jede Geschichte überprüft.Du weißt, dass in der Nähe ein Armeecamp war.Nun, liebe Stella, rate mal, zu wem die Soldaten nicht gehen durften.Der Bürgermeister der Stadt hat sie gebeten, die Stadt zu verlassen.Das bringt uns zu Lüge Nr. 2 ...

StellaIch möchte nichts mehr hören.

StanleySie hat nicht wegen ihrer nervlichen Verfassung einen Urlaub beantragt.Man hat sie hinaus geschmissen.Sie hatte was mit einem 17-Jährigen.

StellaMir wird schlecht.

StanleySein Vater erfuhr das. Da wäre ich zu gern dabei gewesen, als die alte Dame Blanche sich rechtfertigen musste.Ich hätte gerne gewusst, wie sie sich herausredet.

BlancheStella, bringst du mir ein Handtuch? Ich brauche eines.

(Stella reicht ihr ein Handtuch ins Badezimmer.)

Was hast du Schätzchen?

StellaNichts. Warum?

BlancheDu hast einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht.

StellaIch bin nur etwas abgespannt.

BlancheWarum nimmst du nicht auch ein warmes Bad, wenn ich fertig bin?

StanleyWie viele Kerzen steckst du in den Kuchen?

StellaIch höre bei 25 Kerzen auf.

StanleyErwarten wir Besuch?

StellaWir haben Mitch zu Kuchen und Eis eingeladen.

StanleyEs hat keinen Sinn, auf Mitch zu warten.

StellaWarum?

StanleyStella, Mitch ist mein Freund ...

StellaStanley Kowalski, hast du ihm erzählt, was der Mann sagte?

StanleyDa hast du ganz Recht, das habe ich!

StellaWill Mitch nichts mehr von ihr wissen?

(Stanley schweigt.)

Ich habe dich gefragt, ob Mitch nichts mehr von ihr wissen will.

StanleyNicht wirklich, aber er weiß es.

StellaStanley, sie glaubte, Mitch würde sie heiraten.

StanleyNun, jetzt wird er sie nicht heiraten, wenn das ihr Ziel war.Blanche! Oh, Blanche! Darf ich wieder ins Badezimmer?

BlancheÜben Sie sich in Geduld, mein Herr!

StanleyMeine Nieren bereiten mir Sorgen!

StellaStanley, sie hat keine Arbeit. Was soll sie nur machen?

StanleyIch will, dass sie Dienstag abreist.Um sicher zu sein, habe ich ihr eine Karte gekauft.

StellaWas soll sie machen? Was zum Teufel soll sie machen?

StanleyIhre Zukunft ist gezeichnet.

StellaWas meinst du?

StanleyEin Kanarienvögelchen. Eine Kokotte.Komm jetzt aus dem Badezimmer!

BlancheIch fühle mich ja so wohl nach meinem ausgiebigen warmen Bad.Ich fühle mich so wohl und ausgeruht.Ja, das tue ich.Etwas ist vorgefallen.

StellaNein, nichts ist vorgefallen.

BlancheWas?

StellaBlanche …

BlancheEtwas ist vorgefallen.

(Zeitsprung.)

BlancheWie spät ist es?

StellaEtwa 18 Uhr.

BlancheWie spät ist es?

Stella18 Uhr 20.

BlancheWie spät ist es?

Stella18 Uhr 45.

BlancheEs ist 19 Uhr. 19 Uhr 30. 20 Uhr.Wie spät ist es?

StanleyHörst du auf zu fragen!

StellaWarte etwas, Blanche.

BlancheEr ist verspätet.Stanley, erzähle uns einen Witz, oder eine Geschichte, die uns zum Lachen bringt.Eine lustige, kleine Geschichte, um uns zu unterhalten.

StanleyIch dachte, du magst meine Geschichten nicht, Blanche.

BlancheIch mag sie, wenn sie witzig sind, nicht wenn sie anstößig sind.

StanleyIch kenne keine Geschichten, die deinem Geschmack entsprechen.

BlancheDann erzähle ich eine. Also …Es ist eine Papageiengeschichte.Ich liebe Papageiengeschichten.Herr Kowalski scheint nicht besonders interessiert zu sein.

StellaHerr Kowalski ist damit beschäftigt, sich wie ein Schwein zu benehmen.

StanleySprich nicht so mit mir!Wofür haltet ihr euch?Für zwei Königinnen?Ich bin hier der König, vergiss das nicht!

BlancheWas hat er dir gesagt, Stella?

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StellaNichts, nichts.

BlancheHat er dir etwas über Mitch und mich gesagt?Ich werde ihn anrufen.

StellaDas würde ich nicht tun, Blanche.

BlancheGuten Abend, Herrn Mitchell, bitte.Ich möchte eine Adresse hinterlassen: Magnolia 9047.Sagen Sie, dass es wichtig ist.Ja, sehr wichtig.

(Stella und Stanley gehen ins Schlafzimmer.)

StanleyStella, es wird sich alles klären.

StellaOh nein, wird es nicht.

StanleyEs wird sich alles klären.Es wird wieder wie früher.Wie es einmal war, zwischen dir und mir.

StellaWann wird es wieder wie früher?

StanleyWie früher …

StellaWie früher …

StanleyDenke daran.Die Nächte, die wir zusammen hatten, Liebling, wird das schön.

StellaWas wird aus Blanche?

StanleyDie Nächte, die wir zusammen verbrachten, meine Kleine.

StellaUnd Blanche, Stan?Und Blanche?Sie ist meine Schwester.

StanleyWann können wir nachts wieder laut sein, wie wir es waren?Wie wir es gewohnt sind, bis wir „bunte Lichter“ sehen, ohne die Schwester hinter dem Vorhang, die uns hören kann.

StellaKomm, wir gehen wieder rein.Blanche?

BlancheJa …Zünde die schönen, kleinen Kerzen nicht an.Bewahre sie für die Geburt deines Kindes.Die Kerzen werden sein Leben erhellen.Seine Augen werden wie Kerzen sein.Wie zwei blaue Kerzen auf einem weißen Kuchen.

StanleyHa! Wie poetisch.(Stanley geht ins Badezimmer.)

BlancheIch hätte nicht anrufen sollen.

StanleyHey Blanche, es ist heiß hier im Badezimmer mit dem ganzen Dampf.

BlancheVerzeihung, Verzeihung, Verzeihung, Verzeihung!Die heißen Bäder beruhigen meine Nerven!Du hast ja keine Nerven in deinem Körper.Du kennst keine Angstneurosen.Du gesunder Polacke!

StanleyIch bin kein Polacke!Wir heißen Polen, nicht Polacken.Nenne mich nie mehr einen Polacken.Ich bin in den Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen.

(Das Telefon klingelt.)

BlancheDas ist für mich. Ich bin sicher.

StanleyIch bin mir nicht so sicher.Bleib sitzen.

BlancheLass mich los, Stella.Was ist los mit dir?

StanleyWillst du endlich ruhig sein!(Geht an das Telefon.)Sag schon, Mac. „Riley's“?Nein, das „West Side“ oder „Gala“.Okay. Bis gleich, Mac.Schwester Blanche, ich habe dir etwas zum Geburtstag gekauft.

BlancheWas denn, Stanley?

StanleyIch hoffe, du magst es.

BlancheDas habe ich nicht erwartet.Oh, das ist …

StanleyEine Rückfahrkarte! Zurück nach Laurel!Mit dem Greyhound Bus, am Dienstag.

StellaDas hättest du nicht tun sollen.Warum tust du ihr das an?Warum?Ich möchte wissen warum!Sag mir warum!Sag mir warum!

StanleyAls wir uns kennen lernten, hieltest du mich für ordinär.Du hattest Recht. Du hattest so Recht, Schätzchen.Ich war so ordinär wie Dreck.War nicht alles in Ordnung, bis sie kam?Wir waren doch glücklich?Alles lief doch bestens?(Er bemerkt, dass etwas nicht stimmt.)Was ist, Stella?Habe ich dir weh getan?Was ist, mein Kleines?

StellaBring mich ins Krankenhaus!

2. SZENE

BlancheWer ist da?

MitchIch bin es, Mitch.

BlancheIch dürfte Sie eigentlich nicht rein lassen, so wie Sie mich behandelt haben.Aber was soll's. Hallo, Schöner!(Blanche sucht den Alkohol.)Verzeihen Sie, dass ich nicht ordentlich angezogen bin.Ich dachte, Sie würden nicht mehr kommen.

MitchIch wollte Sie eigentlich nicht mehr sehen.

BlancheWarten Sie eine Minute. Ich kann nicht verstehen, was Sie sagen.Was suche ich? Alkohol.Hier … Southern Comfort. Was soll das sein?

MitchSie sollten nicht das Zeug von Stan trinken.Er sagt, Sie hätten sich den ganzen Sommer daran gelabt.

BlancheWas für eine tolle Behauptung.Ich sehe etwas in Ihrem Blick.Was geht in Ihrem Kopf vor?

MitchEs ist dunkel hier.

BlancheIch mag es, wenn es dunkel ist.Ich finde es beruhigend.

MitchIch habe Sie noch nie im Licht gesehen.

BlancheLicht? Welches Licht? Wofür?

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MitchDieses hier, mit dem Papier-Ding ringsherum.(Mitch reißt die Laterne herunter.)

BlanchWarum tun Sie das?

MitchDamit ich Sie klar und deutlich sehen kann.Ich hatte noch nie einen klaren Blick auf Sie, das ist Fakt.

BlancheWollen Sie mich beleidigen?

MitchNein, ich bin bloß realistisch.

BlancheDie Realität! Wer braucht schon die Realität?Ich jedenfalls nicht.Ich suche den Zauber.Den Zauber, ja.Den will ich.Den möchte ich den Menschen geben.Ich stelle alles in einem falschen Licht dar und sage nicht die Wahrheit.Ich sage das, was die Wahrheit sein sollte.So, wie sie sein sollte.Ja, den Zauber versuche ich den Menschen zu geben.Wenn es Sünde sein sollte, wenn das eine Sünde ist, dann soll ich verdammt sein.

(Mitch möchte das Licht anschalten.)

Schalten Sie es nicht an. Alles ist so hässlich in diesem Licht.Warum sehen wir uns nicht bei Kerzenschein oder im Mondschein oder im Licht der Sterne?Sie sind hell genug, um uns zu sehen.Manchmal sind sie sogar zu hell.Schalten Sie das Licht nicht an!

MitchEs ist egal, wenn Sie älter sind, als ich glaubte, älter, als Sie sagten.Aber Sie haben gelogen, Blanche.

BlancheSagen Sie nicht, dass ich gelogen habe.

MitchSie haben über Ihr Inneres und Ihr Äußeres gelogen.

BlancheNein, nie über mein Inneres. Ich war immer zu allen ehrlich.

BlumenfrauFlores … Flores …

BlancheDraußen ist jemand.

BlumenfrauFlores …Blumen für die Toten.

BlancheNein, nicht jetzt.

BlumenfrauBlumen für die Toten,Kränze, Blumen.

BlancheTod. Ich saß hier und meine Mutter saß dort.Und der Tod war so nahe wie Sie jetzt.

BlumenfrauBlumen für die Toten,Kränze, Blumen.

BlancheWir gaben nicht zu, dass wir jemals davon gehört hatten.

BlumenfrauBlumen, Kränze!

BlancheTotenkränze.Der Tod.Das Gegenteil ist Sehnsucht.In der Nähe war ein Camp, in dem junge Soldaten ausgebildet wurden.Am Samstagabend gingen sie in die Stadt und betranken sich.Auf dem Heimweg kamen sie an Belle Reve vorbei.Manchmal torkelten sie auf dem Rasen herum und riefen:„Blanche!“Manchmal reagierte ich auf die Rufe.„Blanche!“

Später gabelten sie die Feldjäger auf.Was wollen Sie?

MitchDas, was mir den ganzen Sommer gefehlt hat.

BlancheDann heiraten Sie mich, Mitch!

MitchSie sind es nicht würdig, im Haus meiner Mutter zu leben.

Blanche (im Wahn)Hauen Sie schnell ab! Bevor ich „Feuer!“ schreie!Schnell, bevor ich schreie: “Feuer! Feuer! Feuer! Feuer!“

BlumenfrauBlumen für die Toten …Blumen und Kränze …Blumen und Dornen …Feuer! Feuer! Feuer!In der Hölle gibt es Blumen, Blumen aus Flammen, rot und gelb,die Lilie der Sünde und die Rosen der Scham.Kauf sie, meine Dame.Kauf sie, denn du bist tot.Du bist tot wie meine schwarz gewordenen Buketts.Obwohl du blond und schön warst, wirst du erblassen, runzlig werden und verbrennen und keinen wird es kümmern.Blumen für die Toten im Feuer, Feuer, Feuer!Es sind durstige Blumen und nichts zu trinken. Nichts zu trinken! Nichts zu trinken!

3. SZENE

BlancheUnd wenn wie schwimmen gingen, im Mondschein beim alten Steinbruch, wenn jemand nüchtern genug ist, um zu fahren. Es ist das beste Mittel gegen Schädelbrummen.Aber man muss vorsichtig sein, sehr vorsichtig, dass man nicht ins tiefe Wasser fällt, sonst taucht man erst am nächsten Morgen wieder auf.Guten Abend, meine Damen.Darf ich den Kopf auf Ihre Schulter legen?

(Stanley kommt nach Hause. Er schaltet das Licht an und zerstört Blanches Illusion.)

StanleyHallo Blanche.

BlancheWie geht es meiner Schwester?

StanleyGut.

BlancheUnd wie geht es dem Kind?

StanleyEs kommt nicht vor morgen früh.Sie haben mich nach Hause geschickt, um ein wenig auszuruhen.

BlancheHeißt das, dass wir alleine hier sind?

StanleyJa, nur du und ich.Warum bist du so aufgetakelt?

BlancheEin alter Verehrer hat mich auf seine Yacht eingeladen.(Stanley zieht sein T-Shirt aus.)

BlancheSchließe den Vorhang, bevor du dich weiter ausziehst.

StanleyIch werde mich vorläufig nicht weiter ausziehen.(Stanley schüttelt eine Flasche Bier und spritzt das Bier über sich.)Alles Gute kommt von oben!Was meinst du, Blanche, sollen wir das Kriegsbeil begraben?Lass uns den Liebesbecher teilen.

BlancheNein, danke!

StanleyKomm schon, Blanche.

BlancheWas machst du hier drinnen?

StanleyIch hole etwas, das ich immer

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für besondere Gelegenheiten aufhebe. Den Seidenpyjama, den ich in meiner Hochzeitsnacht trug.

BlancheWenn ich daran denke, wie himmlisch es sein wird, wenn ich wieder meine Privatsphäre habe.Ich war so dumm und habe meine Perlen vor die Säue geworfen.

StanleySäue, ja?

BlancheIch rede nicht nur von dir, sondern auch von Herrn Mitchell.Er war heute Abend bei mir.Er wagte es, in seiner Arbeitskleidung zu kommen.Er äußerte Verleumdungen und gemeine Geschichten, die von dir stammen.Aber er kam zurück. (Verliert sich in Fantasien.)Ja, er kam zurück und bat mich um Verzeihung mit einem Strauß Rosen.Aber gewisse Dinge sind unverzeihlich. Gewalt. Vorsätzliche Gewalt ist unverzeihlich. Das kann ich nicht vergeben.Und es ist die einzige Sache, derer ich mich nie schuldig gemacht habe. Niemals.

StanleySieh dich doch an!Ja, sieh dich ganz genau an in deinem abgewetzten Karnevalskostüm!Für wie viel hast du es gemietet?Fünfzig Cent beim Lumpenhändler?Und das alberne Diadem auf dem Kopf. Welche Art von Königin bist du?Hältst du dich für eine Königin?Ich habe dich sofort durchschaut.Du kommst hier an und verteilst deinen Puder, besprühst alles mit Parfüm und verhängst die Lampe mit einem Papierlampion und verwandelst mein Zimmer in das verdammte Ägypten und fühlst dich wie die Königin vom Nil.Du sitzt auf deinem Thron und trinkst meinen Schnaps.

Da kann ich nur lachen: Ha! Ha! Ha!Kannst du mich hören? Ha! Ha! Ha!

(Stanley geht ins Badezimmer. Blanche geht panisch zum Telefon.)

BlancheHallo, Vermittlung?Ein Ferngespräch bitte.Die Nummer?Die habe ich nicht.Vergessen Sie das Ferngespräch.Geben Sie mir die Western Union.Bitte beeilen Sie sich!Ich habe eine Nachricht.Notieren Sie bitte:Ich bin in einer Notlage! Ich sitze in der Falle! …

(Die Badezimmertür öffnet sich. Stanley kommt im roten Pyjama zurück.)

StanleyBlanche, du hast den Hörer nicht aufgelegt.(Stanley versperrt Blanche den Weg.)

BlancheLass mich vorbei!

StanleyOkay, Blanche. Geh vorbei.

BlancheGeh dort rüber!

StanleyDu hast hier genügend Platz. Geh schon.Glaubst du, ich werde mich an dir vergehen?Ach, vielleicht ist es gar nicht so übel, sich an dir zu vergehen.

BlancheGeh weg!(Will eine Flasche nach Stanley werfen.)

StanleyDu willst eine Tracht Prügel, richtig?Lass es uns gewaltsam machen.Lass los! Lass los!Blanche, diese Verabredung hatten wir von Anfang an miteinander.(Er wirft sie auf das Bett.)

4. SZENE

Einige Tage später

SteveDu hast Glück.

StanleyWeißt du, was Glück bedeutet?Man hat Glück, wenn man an das Glück glaubt. Deshalb gewinne ich immer dieses Spiel.

MitchDu Angeber!Lügner und Angeber!

StanleyWas hat er?

EuniceIch habe immer gesagt, Männer sind gefühllos, aber das übertrifft alles!Ihr seid Schweine.

StanleyWas hat sie?

StellaWo ist mein Baby?

EuniceEs schläft wie ein kleiner Engel. Gott beschütze es.Ich habe dir Trauben mitgebracht.

StellaIch leide, wenn ich nicht mit ihm im selben Zimmer bin.

EuniceDu kannst es besser bei mir lassen, bis die Situation hier geklärt ist.Wo ist sie?

StellaSie badet.

EuniceWie geht es ihr?

StellaSie wollte nicht essen, hat aber um einen Drink gebeten.

EuniceWas hast du ihr gesagt?

(Blanche öffnet die Badezimmertür einen Spalt.)

BlancheStella.

StellaJa, Blanche.

BlancheWenn jemand für mich anruft, notiere die Nummer und sag ihm, ich rufe gleich zurück.

StellaJa.(Zu Eunice.)Habe ich richtig gehandelt?

EuniceWas hättest du tun sollen?

StellaWie kann ich ihr ihre Geschichte glauben?Und wie sollte ich dann mit Stanley weiter leben?Hast du es jemals geglaubt?Du darfst es nicht glauben.Wir müssen alle weiter machen.

(Blanche öffnet die Tür.)

BlancheStella, ist die Luft rein?

StellaJa, Blanche.

BlancheZieh die Vorhänge zu. Ich komme.

StellaSie sind zugezogen.

(Mitch ist in Gedanken versunken.)

StanleyKomm, wach auf!

BlancheIch habe mir gerade die Haare gewaschen.

StellaWirklich?

BlancheIch bin nicht sicher, ob ich sie richtig gespült habe.Hat jemand angerufen?

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StellaNein.

BlancheSeltsam.

StanleyHey, Mitch. Wach auf!

BlancheWas passiert hier?Ich will wissen, was los ist.

EuniceOh, mein Liebes!

StellaIch bitte dich, Blanche!

BlancheWarum schaut ihr mich so an?Ist mit mir etwas nicht in Ordnung?

EuniceDu siehst wundervoll aus, Blanche.Sieht sie nicht wundervoll aus?

StellaJa.

BlancheIch bin bereit zu gehen.

EuniceSie will gehen, bevor sie ankommen.

StellaWarte, Blanche!

BlancheIch möchte nicht an diesen Männern vorbei gehen.

EuniceDann warte, bis das Spiel vorbei ist.

StellaJa, Blanche, setz dich und …

(Blanche ist mit den Gedanken woanders.)

BlancheIch rieche die Seeluft.Oh, das Meer … der größte Segen, den Gott in sieben Tagen geschaffen hat. Ich werde das Ende meiner Tage am Meer verbringen. Und wenn ich sterbe, dann am Meer.

Ich werde sterben und ein gut aussehender Schiffsarzt, mit einem kleinen blonden Schnurrbart, hält meine Hand. Er trägt eine Silberuhr und er schaut mich an. Er sieht auf seine Silberuhr und wird traurig sagen: Arme Frau.Mein Körper wird auf hoher See über Bord geworfen. In ein sauberes Leintuch eingenäht.An einem Mittag im Hochsommer in einen Ozean, der so blau ist, wie die Augen von meiner ersten großen Liebe.

(Der Doktor klingelt an der Haustür.)

EuniceDas müssen sie sein.

StanleyDoktor.

BlancheWer ist da?

EuniceEntschuldige mich.

StanleyDer Arzt ist gekommen.

BlancheIch frage mich, ob es für mich ist.

EuniceJemand fragt nach Blanche.

BlancheDann ist es also für mich.

EuniceJa, ist es.

BlancheIch bin noch nicht ganz fertig.Bitte ihn, draußen zu warten.

StellaHast du alles?

EuniceSie warten vor dem Haus.

StellaGehen wir Blanche?

BlancheMüssen wir durch den Raum gehen?

StellaIch begleite dich.

BlancheWie sehe ich aus?

StellaBezaubernd.

Blanche (zu den Männern)Bitte stehen Sie nicht auf. Ich gehe nur vorbei.(Blanche sieht den Arzt.)Sie sind nicht der Mann, den ich erwartete.(Läuft ins Schlafzimmer.)Ich habe etwas vergessen.

KrankenschwesterHallo Blanche.

BlancheIch kenne Sie nicht. Ich kenne Sie nicht. Ich will, dass man mich in Ruhe lässt.Bitte!

StanleyWas ist … was hast du vergessen?Doktor, Sie sollten reingehen.

StellaMein Gott. Helft mir! Sie dürfen ihr nicht weh tun.

EuniceNein, Schätzchen. Bleib hier. Sieh nicht hin.

StellaWas tun sie ihr an?Was habe ich meiner Schwester angetan?

Eunice Du hast das getan, was nötig war.Das einzige, was du tun konntest.Sie kann nicht bleiben und sie könnte nirgendwo anders hin.

Mitch (zu Stanley)Du hast das getan, du! Du verdammter …

StellaBlanche! Blanche! Blanche!

StanleyStella! Liebes, hör zu …

KrankenschwesterDie Fingernägel müssen geschnitten werden. Die Jacke, Doktor?

DoktorNein, das ist nicht nötig.Miss DuBois …

BlancheBitten Sie sie, mich loszulassen.

DoktorJa, lassen Sie sie los.

BlancheWer immer Sie sind, ich habe mich immer auf die Liebenswürdigkeit Unbekannter verlassen.

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Textnachweise

Döhl, Frédéric: „Chamaleon virtuosity“. In: André Previn. Musikalische Vielseitigkeit und ästhetische Erfahrung, Stuttgart 2012

Döhl, Frédéric: „A Streetcar Named Desire: Crossover und Eklektizismus“. In: André Previn. Musi-kalische Vielseitigkeit und ästhetische Erfahrung, Stuttgart 2012

Dyer, Richard: „Vom Schauspiel zur Oper“. In: UA Programmheft A Streetcar Named Desire, San Francisco 19. September 1998

Leverich, Lyle: „Orpheus kommt zurück ans Licht“. In: UA Programmheft A Streetcar Named Desire, San Francisco 19. September 1998

Petersen, Carol: „Tennessee Williams. Das Werk eines Dichters ist das Leben eines Dichters“. In: Programmheft A Streetcar Named Desire, Eisenach 2005/06

Strasser, Peter: „Das bin ich mir selbst schuldig“. In: Über Selbstachtung, München 2009

Schönberger, Birgit: „Die Lust am Selbstbetrug“. In: emotion 11/2008

http://www.cocktaildatenbank.de/cocktail-rezepte/1397-bahama-mama

Libretto-Übersetzung für das Theater Koblenz: Anna Drechsler

Bildnachweis

Caséra, Claudia: Figurien für die Produktion A Streetcar Named Desire am Theater Koblenz, Spielzeit 2015/16

Alle Texte wurden gekürzt und redaktionell eingerichtet.

Die Rechtschreibung folgt der jeweiligen Vorlage.

Intendant: Markus Dietze (V.i.S.d.P.)Redaktion: Anna DrechslerFotos: Matthias Baus (von der Klavierhauptprobe am 9. Mai 2016)Grafik: Katharina DielenheinAnzeigen: Druckerei Fuck, KoblenzHerstellung: Druckerei Fuck, Koblenz

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