Abdullah Öcalan - Wenn du leben willst, dann lebe in Freiheit

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Viel Spekulatives wurde bisher über das Leben Abdullah Öcalans geschrieben, aber im deutschsprachigen Raum ist bisher nichts von ihm selbst veröffentlicht worden. In Namo Aziz' Buch, 'Kurdistan und die Probleme um Öcalan', (Edition Gallas, 1999) ist ein autobiografischer Beitrag des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan veröffentlicht, den wir hier von Monika Morres redaktionell bearbeitet wiedergeben.

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Wenn du leben willst, dann lebe in Freiheitvon Abdullah calan

Viel Spekulatives wurde bisher ber das Leben Abdullah calans geschrieben, aber im deutschsprachigen Raum ist bisher nichts von ihm selbst verffentlicht worden. In Namo Aziz' Buch, 'Kurdistan und die Probleme um calan', (Edition Gallas, 1999) ist ein autobiografischer Beitrag des Vorsitzenden der PKK, Abdullah calan verffentlicht, den wir hier von Monika Morres redaktionell bearbeitet wiedergeben. Die Freiheit wchst in der Kindheit Fr mich war es das Schnste, mit anderen gemeinsam zu spielen. Allein zu spielen, war kein Spiel. Es reizte mich, Ideen und Fantasie in das Spiel zu bringen. (...) Manche unserer Nachbarn haben ihre Kinder zu Soldaten und Staatsbeamten erzogen. Als Kind ist es mir nicht gelungen, sie zu gewinnen. Aber ich lebe in der Gewissheit, es irgendwann zu knnen. Eines Tages werde ich in das Dorf zurckkehren, werde ihnen mit meinen Freunden auflauern und sie mit einem lauten "Kommt!" auf dem Platz unseres Dorfes versammeln. So wie ich es mir wnschte, habe ich mit anderen Kindern nie spielen knnen. Wir hatten keine Freiheit. Wir lebten im Krieg. (...) Einfache Spiele wie in die Berge gehen, um Wildsafran zu pflcken, Kruter zu sammeln, Vgel zu jagen. (...) Am Rande unseres Dorfes stand ein mchtiger, alter Baum. Wir nannten ihn Dara tavi, Sonnenbaum. Whrend der heien Sommermonate bot er mir stets eine sichere Zuflucht. Es gab drei Bume dieser Art; alle drei sind mir heute noch heilig. Einmal, als die Sonne besonders hei vom Himmel brannte, sa ich in Dara tavis Schatten. Es hie, die Gegend werde bald "technisch erschlossen". Man suchte nach Grundwasser, um Brunnen zu bauen. Fr mich war ein Tropfen Wasser eine Kostbarkeit. (...) Unser Dorf hie merli. Es lag im Kreis Halfeti in der Provinz Urfa. Einst war hier eine frhe Universitt entstanden, und die Stadt war im Besitz groer Reichtmer. Zu unserer Zeit schien sie jedoch wie verdorrt. In der Hitze der Monate Juli und August platzte die Haut der Erde auf und legte aderhnliche Spalten und Risse blo. Alles drstete nach Wasser. Damals bewahrte man das Wasser in Tonkrgen auf. Wenn wir nach der Linsen-, Weizen- oder Gerstenernte mit glhenden Kpfen nach Hause zurckkamen, war es mein dringendstes Bedrfnis, eine Schale Wasser aus unserem Krug zu trinken. (...) Ich besa einige Tauben, die sich oft mit den Tauben unserer Nachbarn zusammenschlossen. Eine meiner Tauben gesellte sich besonders gerne zu den anderen und flog mit ihnen aus. Als sie sich schlielich ganz der anderen Gruppe anschloss, betrachtete ich das als eine Art Verrat. Ich fing die Taube, rupfte sie vollstndig und setzte sie splitternackt aufs Dach. "Jetzt flieg", sagte ich zu ihr. Es ist sonderbar, aber diese grausame Strafe habe ich tatschlich verhngt, und sie schien mir damals gerecht: Niemand sollte mutwillig seine Gruppe verlassen ! Ich besa auch einen weien Hund, der sich merkwrdiger Weise genauso verhielt. Ich versorgte ihn gut. Gemeinsam bewachten wir die Pistazienbume. Sobald ich aber eingeschlafen war, macht er sich davon und ging zum Nachbarn. Er hatte das gut eingefdelt! Er war ein verrterischer Hund, der mich auch in die Irre fhrte. Er war wie jene, die uns heute verraten und in die Irre fhren.

Tag und Nacht, bei jeder Gelegenheit, ging er zu diesem Nachbarn. Er bewachte den Nachbarn so gut, dass es mich in Erstaunen versetzte. Bis heute wei ich nicht, warum er sich so verhielt. Vielleicht hngt es mit unserem Schicksal zusammen. (...) Die Mutter und die Taktik der rollenden Steine Meine Mutter war die erste, die mich lehrte, mich zu wehren. Ich war noch ein kleines Kind. Stndig rauften und schlugen wir uns. Einmal hatte mir jemand eine Platzwunde am Kopf zugefgt. Als ich nach Hause kam, schimpfte meine Mutter sehr. Sie sagte, sie wrde mich erst dann ins Haus lassen, wenn ich mich gercht htte. Sie hatte berhaupt kein Mitleid, jedenfalls zeigte sie keines. Ob ich ihr Sohn war oder nicht, ob ich die Kraft fr Rache hatte oder nicht, spielte keine Rolle. Niemals htte sie gedacht: Dieses Kind ist ngstlich, es traut sich nicht, sich zu wehren. Diese Haltung meiner Mutter hat mich sehr geprgt. Und die Geschichte meiner Aktion gegen Cimo und Miho, die die Steine auf mich geworfen hatten, wurde fr mich genauso wichtig wie der erste Aufstand gegen die unmenschliche Regierung. Weil Cimo und Miho mich verletzt hatten, berlegte ich, wie ich mich wehren konnte, auch wenn es mir schwer fiel. Ich war berzeugt, dass meine Familie mich nicht mehr akzeptieren wrde, wenn ich nichts gegen meine Peiniger unternahm. Es war absolut unausweichlich: Wenn ich passiv blieb, wrde ich nicht mehr lange leben. Was fiel mir nun in diesem Kindesalter ein? Welche Tat schien mir geeignet? (...) Ich verbarg mich oberhalb des Tals und wartete auf Cimo. Schlielich sah ich ihn kommen. Mein Hemd hatte ich mit Steinen gefllt. (...) Ich fing an, grere Steine in Cimos Richtung den Berg hinabzurollen. Cimo war, kein leichter Gegner; vielmehr war er es gewohnt, mich spielend zu berwltigen. Durch die Wucht der herabrollenden Steine gelang es mir aber, Cimo in die Flucht zu schlagen. Ermutigt nahm ich die Verfolgung auf. Cimo lief vom Abhang bis zu seinem Haus, in dem er sich verngstigt einschloss. Fr mich war meine Tat ein riesiger Erfolg, denn er war ein viel streitschtigerer Typ als ich. Bis zu diesem Tag hatte er mich eingeschchtert, ja regelrecht tyrannisiert. Durch meine berlegten Aktion aber hatte ich mich meines Peinigers entledigt. Ich war sehr stolz darauf, da sie ganz auf Eigeninitiative beruhte. Mit Miho wurde ich dann auf dieselbe Art und Weise fertig. (...) Wenn ich heute an diese Aktionen denke, dann stelle ich fest, dass ich bei allen spteren - bei denen es um weit mehr ging als ein wenig Jungenstolz - hnlich vorgegangen bin, dass ich also schon frh im Leben eine eigene Methode entwickelt hatte: Es gibt immer einen Plan, Geheimhaltung und Initiative. Der erste Angriff geht von mir aus und ich verfolge mein Ziel konsequent bis zum Schluss. Bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass diese Methode smtliche Eigenschaften voraussetzt, die ein Guerillakmpfer haben sollte. (...) So erzog ich mich im Alter von sieben Jahren selbst. "Quecksilber kommt wieder", hie es, wenn ich irgendwo hinkam. (...) Im alltglichen berlebenskampf waren Gewandtheit und Disziplin meine Strken. Ich hatte mich streng unter Kontrolle. Auch im Kampf gegen Schlangen, Wlfe und Vgel war Disziplin notwendig, denn ich htte leicht gebissen werden knnen. In den Bergen kannte ich mich aus, ich kannte jeden Felsspalt. Ich versuchte, Herr ber mein Leben zu bleiben. Im Dorf war ich einerseits beliebt. Ich schaffte es, die Dorfbewohner dazu zu bringen, mir mit Interesse zuzuhren. Ich sagte die unglaublichsten Dinge und brachte alle zum Lachen. (...) Zum anderen geschah jedoch immer alles so, wie sie es wollten, nicht wie ich es mir vorstellte. Alle begegneten mir immer auch mit Spott. Man sagte: "Gott mge niemandes Kind so machen wie den Sohn von mer" oder "Um mer ist es geschehen." mer, mein Vater war ein merkwrdiger Mann. Er war der rmste Mann im Dorf und deshalb unbedeutend. Er war sehr schwach und unbeholfen, dafr aber ausgesprochen glubig und fromm. Er hatte Prinzipien und bekannte sich zu verschiedenen Werten. Es wre undankbar und ungerecht, wenn ich sagen wrde, er htte gar keinen Einfluss auf mich gehabt. Er war prinzipientreu, aber sehr schwach. Und er kannte seine Schwchen. Vter sind fr ihre Kinder Vorbilder und auch mein Vater war Vorbild fr mich. Aber er war nicht in der Lage, andere zu fhren. Und so hing es wohl auch mit der Unzulnglichkeit meines Vaters zusammen, dass ich mich bereits frh mit dem Thema Fhrung auseinandersetzte. (...) Er setzte groe Hoffnungen in mich und hatte Vertrauen zu mir. Meist nhrte und besttigte ich diese Hoffnungen. Trotzdem lehnte ich mich oft gegen ihn auf, war also alles andere als ein

vorbildlicher und folgsamer Sohn. Das heit nun nicht, dass ich keinem Ratschlag zugnglich war, immer nur an Unfug dachte und ausschlielich rebellierte. Ich lehnte nur bestimmte Traditionen, mit denen ich nicht einverstanden war, ab und setzte mich ber viele Gepflogenheiten hinweg. (...) Ich passte mich nicht an, ich befand mich stndig in einem Prozess des Widerstandes, wobei ich gute Arbeit leistete und sehr vorsichtig war. Ich war nicht so leicht kompromissbereit. Einschulung, der lange Vor- und Zuname und die bestandene Prfung Zur Zeit der Einschulung befand ich mich einmal in einem kleinen Hain aus Nuss- und Olivenbumen. Es war bald Herbst, und die Bume trugen reichlich Frchte. (...) Damals konnte ich mir unter einem Lehrer nur jemanden vorstellen, der mich in irgendeiner Form zurechtbiegen wollte. Ich ging noch nicht in die Volksschule und wusste gar nichts. Ich konnte kein Wort Trkisch. Wenn man in die Volksschule kam, wurden einem als erstes der Vor- und Familienname beigebracht. Mein erster Lehrer stammte aus Corum. Er hie Mehmet Maydanbasi. Ich kann mich heute noch daran erinnern, wie ich zum ersten Mal an die schwarze Tafel ging. Der Lehrer hatte mich aufgerufen und gesagt: "Schreibe deinen Vor- und Familiennamen." Das war fr mich eine der wichtigsten Prfungen meines Lebens. Die Buchstaben kannte ich, ich hatte sie mir eingeprgt. Mein Vor- und Zuname sind ziemlich lang, aber ich brachte die Buchstaben alle in die richtige Reihenfolge und als ich fertig war, bekam ich eine gute Note. Ich ging zurck zu meiner Bank mit dem Gefhl, eine schwierige Prfung bestanden zu haben. (...) Ich war der beste Schler meines Lehrers! Seit damals bin ich Lehrern gegenber immer respektvoll gewesen. Und in der Schule blieb ich ehrgeizig, immer wollte ich der Beste sein. Die erste Schulzeit war jedoch sehr schwer fr mich. Ich hatte Sprachschwierigkeiten und Probleme mit dem Auswendiglernen. Zuhause in der Familie hatte ich nie wirklich Ruhe, und das Dorf war voller Konflikte. Jetzt kamen auch noch die Schulprobleme hinzu. Bereits in diesem jungen Alter knnen einem die Probleme ber den Kopf wachsen. Die Realitt ist beunruhigend und erbarmungslos. Ich fhlte mich jedenfalls schutzlos ausgeliefert. Eine Familie, die um das Wohl eines Kindes besorgt ist, bereitet es auch auf die Schulzeit vor und sorgt dafr, dass es langsam und stressfrei in sein neues Leben hineinwchst. Das gibt einem Kind Sicherheit. Ich hatte keinerlei Sicherheit. Vielleicht war das auch ein Vorteil, denn bereits in dem Alter lernte ich dadurch, auf mich selbst zu vertrauen. (...) Dieses Selbstvertrauen fhrte sicherlich auch dazu, dass ich mich bei allen unseren Kinderspielen und -streitigkeiten sowie spter bei den Auseinandersetzungen in der Schule nie unterkriegen lie. Immer stand ich auf der Seite der Sieger und war bis zur Universitt der Liebling aller meiner Lehrer. Die meisten der Lehrer leben heute noch. Deren Lob fr mich und die Gesprche mit ihnen machten zum Einen meine Mitschler eiferschtig und verstrkten zum Andern meinen Einfluss auf sie. Ich strahlte eine natrliche Autoritt aus und man schtzte meine Fhrungsqualitten. Whrend meiner ganzen Ausbildungszeit war ich ernsthaft, sorgfltig und stets respektvoll. Du wirst ein Heiliger sein und fliegen In der Volksschule war ich ein guter Imam (Vorbeter). Ich hatte mich eine Zeit lang intensiv mit der Religion befasst und verrichtete gewissenhaft meine Gebete. Schlielich erhielt ich die Position eines Dorf-Imams. Ich war fr eine kleine Gruppe von etwa fnfzehn Schlern verantwortlich, die ich morgens zur Schule brachte. Ich versuchte mit groem Ernst, sie zu erziehen. Ich habe sie die Gebete verrichten lassen. Wenn es regnete, entstanden Pftzen. In denen lie ich die mir Anvertrauten rituelle Waschungen vornehmen. Sie reihten sich sofort hinter mir auf und verrichteten dann die Gebete. Wichtig war, dass ich die Aufgabe als Imam freiwillig bernommen hatte. Es war eine zentrale Etappe meiner Entwicklung. Imam zu werden ist eine Aufgabe, die ein Kind nur schwer bernehmen kann. Ich versuchte, meiner Schlergruppe auch die Schule schmackhaft zu machen. Ich gab ihnen Nachhilfe beim ABC. Ich glaube, meine Mutter hielt diese freiwillige und unentgeltliche Arbeit fr eine Dummheit. Sie sagte: "Du bist ein Dummkopf. Niemand lsst sich so ausnutzen wie du!" Sie machte mir meine ehrenamtliche Ttigkeit zum Vorwurf und aus ihrer Sicht hatte sie sogar recht. Aber ich strebte nun einmal danach, Menschen zu erziehen. (...) Als ich in meiner Volksschulzeit zum ersten Mal das Gebet verrichtete, sagte mir der Dorfimam:

"Wenn du in diesem Tempo weiter machst, wirst du irgendwann davon fliegen. Du wirst ein Heiliger sein und fliegen." Eigentlich verstand ich nicht viel vom Beten, aber die Art und Weise, wie ich dieses erste Gebet ausfhrte und wie ich die Regeln befolgte, hatte den Imam so sehr beeindruckt, dass er diese Anmerkung machte. Schlangen, buerliche Gottergebenheit und die Gewaltfrage Ich war damals etwa zehn Jahre alt und sehr empfindsam. (...) Wir hatten einen Nachbarn, der lter war als ich und den ich achtete. Er hatte eine Karadag-Waffe, die eine Handspanne lang war und noch aus dem 19. Jahrhundert stammte. Er fllte sie zunchst mit Schrot, dann mit Pulver; erst dann konnte damit geschossen werden. Diese alte Schrotflinte war die erste Waffe, die ich gesehen habe. Wir hatten einen Hhnerstall, in den oft schwarze Schlangen kamen. Sie kamen durch ein Loch in der Wand, das zum Nachbarn fhrte. Ich hatte die Schlangen beobachtet und einmal sagte ich zu unserem Nachbarn: "Du hast doch eine Waffe, setze sie gegen die Schlange ein." Wie er mit der Waffe umging, machte mich ganz krank. Eine halbe Stunde lang hielt er den Finger am Abzug und wartete, wartete, wartete... Ich fragte ihn, was fr eine Waffe er da htte. Er trug sie stndig bei sich, wohl um seine Macht zu demonstrieren; sie gab ihm Selbstbewusstsein und verschaffte ihm Respekt. (...) Als wir eine Schlange aus dem Hhnerstall herauskommen sahen, gerieten wir in Panik. Wir holten eine Leiter, stiegen aufs Dach und hoben Steine ab. Wir fragten uns, wie wir die Schlange am besten totschlagen knnten. Es war ein echter Kampf. Sie war im Hhnerstall gewesen und hatte bereits einige Kken verschlungen. Im Dachgeschoss gab es auch Schlangen. Das heit, sie waren bis ins Haus, bis in unsere Schlafrume, vorgedrungen. Das war eine sehr ernste, gefhrliche Situation. Ich versuchte, die Schlangen zu tten, was mir anfangs nicht gelang. Spter lernte ich aber, Schlangen zu tten, ja die Jagd auf Schlangen wurde zu einer richtigen Sucht. (...) Ich sah, dass ich in einer Familie mit allen ihren Bindungen gro wurde und deshalb gegen feindliche Familien wrde kmpfen mssen. Das gefiel mir nicht und ich nahm heimlich mit den Kindern der verfeindeten Familien Kontakt auf. Diese Freundschaften waren von groer emotionaler, aber auch taktischer und politischer Bedeutung. Sie durchbrachen die feudale Rckstndigkeit der Dorfgesellschaft. Ich mochte die Kinder der verfeindeten Familien, sie zogen mich an. Dagegen hielt ich viele meiner Verwandten fr wenig interessant. Schon frh lehnte ich also die jahrhundertealten feudalen Beziehungen ab und sehnte mich nach Vershnung. Erst spter wurde mir klar, dass es genau diese Art von Konflikten war, die Kurdistan zerstrt hatten. Die Dinge, die ich nicht akzeptieren konnte, nahmen mit der Zeit an Zahl zu. Dazu gehrte auch die Frage der Gewalt. Was konnte man dagegen tun, wenn man nicht damit einverstanden war? Ich setzte Geduld dagegen, eine gewisse Lebenskunst und Sensibilitt fr Feindseligkeiten. (...) Auf der anderen Seite steht die buerliche Gottergebenheit und ein absoluter Pazifismus. Die Folge ist eine Schicksalsergebenheit, die dazu fhrt, dass die Bauern unbeweglich in ihrer Situation verharren. (...) Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich das erste Mal den Schuss einer Pistole hrte. Ich hrte, dass hinter der Moschee geschossen wurde, und erschrak zu Tode. (...) Ein Pistolenschuss in unserem Dorf! Wie war es nur dazu gekommen ?Ich sah in dieser Form, Konflikte auszutragen, keine Lsung. (...) Als der Mann hinter der Moschee mit der Pistole schoss, dachte ich: "Das ist ein Ungeheuer, wieso schiet er mit einer Pistole? Zu unserem Dorf passt keine Pistole." Und das war eine realistische Einschtzung. Widersprche sollten nicht durch Waffengewalt gelst werden. Diese Meinung vertrete ich heute noch. (...) Kampf, solange mein Leben dauert Bei unserem Befreiungskampf war es mir immer wichtig, dass ich mich mit seinen Mitteln identifizieren konnte. Sie mussten akzeptabel sein, sonst htte der Kampf eine unkontrollierbare Dynamik entwickeln knnen. Zwischen meiner Art, Konflikte anzugehen und der kurdischen Art bestand ein groer Unterschied. Ein junger Mann meines Alters war gettet worden. Zwei meiner Freunde hatten aufeinander geschossen. Zum Tten braucht man auergewhnlichen Mut, aber ich habe trotzdem auf die Tat der beiden mit Emprung reagiert, denn sie hatten nichts erreicht als Zerstrung. Beide starben spter. Whrend sie sich in ihren Streitereien zugrunde richteten, versuche ich, meinen Kampf zu einer groen, gemeinschaftlichen Bewegung zu machen. (...) Kmpfen ist eine Kunst.

Ich werde so lange fr unser Volk kmpfen, wie mein Leben dauert. Noch nie ist es mir in den Sinn gekommen, das Tempo dieses Kampfes zu drosseln. Ich habe ihn frher geplant und arbeite mit jedem Tag an seiner Fortfhrung. Frher kmpfte ich innerhalb der Grenzen des Dorfes; heute kmpfe ich auf nationaler und internationaler Ebene. Meinen Methoden bin ich dabei treu geblieben. (...) Am Anfang das Gefhl Ich entwickelte eine gengsame Haltung. Lieber gab ich mich mit kleinen Dingen zufrieden, als stndig zu klagen und mich erniedrigen zu lassen. Mein Vater sagte: "Du wirst keine Trne verlieren, wenn ich sterbe." Er wusste, dass ich wegen unvermeidlicher Ereignisse niemals weinen wrde. Andererseits wusste er auch, wie sensibel ich bin. Bei mir sind Herz und Gefhl strker ausgeprgt als der Intellekt. Natrlich ist mir letzterer auch wichtig, ich vernachlssige ihn nicht. Jeder wei, dass ich auch der Theorie sehr nahe stehe. Ich bin ein sonderbarer Gefhlskmpfer. Meine Revolution beginnt mit Gefhlen und lebt von ihnen. Bei mir begann alles mit einer Mischung von Gefhlen, die einerseits aus Emprung und Ablehnung, andererseits aber auch aus einem starken Begehren bestand. Am Anfang meines Kampfes stand kein Bewusstsein, stand keine Politik, sondern standen Gefhle. (...) Gleichheit und Geschwisterlichkeit Ich stritt mich viel mit meinen Brdern und Schwestern. Wir waren sieben Geschwister, das heit, wir waren eine jener klassischen armen kurdischen Familien mit vielen Kindern. Ich wurde 1948 nach drei Schwestern als viertes Kind geboren. Ich war der lteste Sohn der Familie und hatte deswegen eine besondere Stellung. Unseren vielen Streitereien zum Trotz waren wir einander verbunden. Wir gingen zusammen pflcken. Ich forderte absolute Gleichheit im Tun. "Ihr werdet arbeiten!", sagte ich. Ich erinnere mich, wie ich eine meiner Schwestern drngte zu arbeiten. Vielleicht war es fr sie eine sehr schwierige Situation. Sie sagte: "Du willst dich nur gegen mich durchsetzen." Das mag tatschlich so gewesen sein. berall wollte ich mich durchsetzen, auch in der Familie. Mein Bruder war sehr passiv. Er lie sich gerne verwhnen, und das blieb auch spter so. Ich glaube, es war sehr wichtig, ihn zu manchem zu drngen. Er konnte sich nicht einmal selbstndig auf einen Esel setzen. Wir Geschwister hoben ihn auf das Tier und brachten ihn so in die Kreisstadt. Er wurde sehr leicht krank und war dann auf die Hilfe anderer angewiesen. Natrlich missfiel mir seine Abhngigkeit sehr. (...) Heute rche ich das Mdchen Ich spielte auch gerne mit Mdchen. Ein Mdchen, mit dem ich gerne spielte, heiratete spter, und es heit, ich htte bei ihrer Hochzeit gesagt: "Komm, wir spielen weiter zusammen." Ich selbst kann mich nicht daran erinnern, aber ich halte es durchaus fr mglich, so etwas gesagt zu haben. Ich befand mich tatschlich in einem groen Widerspruch zum feudalen Leben im Dorf. In unserer Nachbarschaft hatte ein Mann zum zweiten Male geheiratet, und zwar ein Mdchen in meinem Alter. Fr mich war die Ehe damals eine schlechte Sache; dass ein Mdchen in meinem Alter einen solchen unansehnlichen Mann nur wegen des Geldes heiraten musste, war in meinen Augen ein Zeichen von Charakterlosigkeit, wenn nicht sogar ein groes Verbrechen. Wenn ich damals in der Lage dazu gewesen wre, htte ich das Mdchen diesem Mann entrissen. Ich war aber dazu nicht stark genug und hatte auch keinerlei Befugnis. Einmal kamen Leute zu uns, die zwei Tage gereist waren, weil sie um die Hand meiner Schwester anhalten wollten. Dabei hatten sie sie vorher noch nicht einmal gesehen. Fr ein paar Scke Weizen und gegen Zahlung von ein wenig Geld haben sie sie bekommen. Diese Art, mit Menschen umzugehen, verurteile ich heute noch. (...) Ein anderes Mdchen aus unserem Dorf wurde unter Zwang verheiratet, erbarmungslos, unter Verabreichung von Ohrfeigen. Das Mdchen, ein Bauernmdchen brigens, beugte sich dem Mann nicht, sondern flchtete vor ihm. Als ich sie das erste Mal traf, bat sie mich, ihr das Lesen und Schreiben beizubringen. Ich muss oft an sie denken und an meine Ohnmacht in jener Situation. Ich konnte ihr nur ein paar Worte sagen, mehr konnte ich zu meinem groen Bedauern nicht fr sie tun. Damals hatte ich keine Macht. Heute rche ich das Mdchen, indem ich versuche, die Gesellschaft zu ndern. Es wre besser, wenn solche Formen des Zusammenlebens nie existiert htten. In der Gesellschaft, fr die ich kmpfe und die ich herbeisehne, wird es solche Frauen

nicht mehr geben. Eine Frau, die an den alten Machtverhltnissen zwischen den Geschlechtern hngt, wird nur verlieren knnen. Fr mich existiert eine Frau heute nur so weit, wie sie frei ist. Eine von ihrem Mann abhngige Frau ist nicht sie selbst. Meiner Meinung nach hat eine Frau dann verloren, wenn sie sich aus eigener Verantwortung in Abhngigkeit begibt, wenn sie sich nicht mit der Frage ihrer persnlichen Freiheit auseinandersetzt. Die Frau wurde immer idealisiert. Aber ideal kann sie nur in Freiheit sein. Unter uns Freunden gab es damals auch Mdchen. Ich wagte kaum, ihnen meinen Namen zu sagen, geschweige denn, mit ihnen Liebesbeziehungen anzuknpfen. Im Dorf wurden Mdchen fter entfhrt und das emprte mich. (...) Fr mich war es eine frchterliche Sache, ein Mdchen zu entfhren. Unmglich! Auch die Vorstellung, um die Hand eines Mdchens anzuhalten, bereitete mir Schwierigkeiten. Ich erinnere mich, dass meine Mutter einige Versuche unternommen hatte, mich zu verkuppeln. Ich hatte keine Ahnung davon, und als ich es erfuhr, rief ich: "Wie knnt ihr in meinem Namen um die Hand eines Mdchens anhalten?" Kein Verrat an Kindheitstrumen Es wre mir nicht gelungen, Frauen und Mdchen fr unseren gemeinsamen Freiheitskampf zu gewinnen, wenn ich als Kind nicht immer wieder vergeblich versucht htte, auch mit ihnen spielen zu drfen. (...) Was ist denn der tatschliche Grund fr die Zerrissenheit der Erwachsenen? Es ist die Zerrissenheit, die mit dem Verrat der Kindertrume beginnt. Ich wollte damals keinen Verrat begehen. So fngt Freiheit an. Kindheitswnsche sind heilige Wnsche, sind friedliche Wnsche. Diesen treu zu bleiben, ist unsere Aufgabe. Frauen von Fesseln befreien Ich liebe niemanden so ohne weiteres und sehe dafr auch keinen Bedarf. Ich habe mich in das kurdische Volk verliebt, wie hufig behauptet wird. Aber wenn man sich um etwas bemht und viel investiert hat, kann man wohl sagen, dass man es liebt. In diesem Sinne liebe ich dieses Volk und es liebt mich. Gewachsen ist diese Liebe durch die Arbeit und den gemeinsamen Kampf. (...) Es ist sehr gefhrlich, das klassische kurdische Mnnerideal aufrecht erhalten zu wollen. Den Mdchen stellte ich folgende Frage: "Wie knnt ihr einen solchen Mann akzeptieren? Ich knnte eine solche Beziehung nicht leben, auch wenn man mich in Ketten legte." Ich erinnere mich daran, dass man im Dorf eine Frau mit einem Mann verheiratet hatte. Damals war ich noch ein Kind. Es hie, man htte die Frau im Haus festgebunden, damit sie nicht fliehen konnte. Die Frau aber habe die Fesseln abgeschnitten und sei geflohen. Es interessierte mich, warum sie geflohen war. Es kommt heute noch vor, dass Frauen gefesselt werden. Wie kann man aber in einem solchen Fall seine Familie noch als Familie verstehen? Schon als Kind sagte mir meine Mutter, ich knne wohl keine Familie grnden. (...) Ein frher Abschied Da ich meine Familie und ihre Art zu leben nicht akzeptieren konnte, wuchs in mir der Wunsch nach einem Leben in Freiheit, auch wenn man dieses Leben aus heutiger Sicht nicht wirklich als frei bezeichnen kann. Ich wollte mich von den familiren Einflssen befreien und trotzdem Menschen um mich scharen; dies bedeutete, dass ich die freundschaftlichen Beziehungen meiner Kindheit weiter fort entwickeln musste. Im Dorf hie es: "Du hast dich von deinen Fesseln befreit." Aber diese uerung war voller Ironie und Hme. Die ganze Kritik des Dorfes konzentrierte sich auf mich. Dabei wurde mein Zorn auf die Dorfgemeinschaft nur heftiger und ich selbst immer rebellischer. Ein Teufelskreis! (...) Den ohnmchtigen Zorn habe ich aber zu einer vernnftigen Rebellion weiterentwickelt. Ich nahm innerlich Abschied. Trotz meines jugendlichen Alters war es ein schwerer Abschied, der mit heftigen Gefhlen verbunden war; manche Rituale saen sehr tief. (...) Bruderkrieg und Entfremdung Whrend dieser Zeit hatte ich einen Streit mit meinem Bruder. Da mein Vater keine Autoritt besa und ich als ltester Sohn gegen ihn rebellierte, war das Zerwrfnis mit den anderen Familienmitgliedern vorprogrammiert. In diesem Zusammmenhang ist auch die Auseinandersetzung mit meinem Bruder zu verstehen. Ich versuchte, den Garten mglichst in

Ordnung zu halten, denn ich hatte ihn sehr schn gestaltet. Mein Bruder aber wollte diese Ordnung zerstren, er wollte den Garten umstrukturieren, weil er an seine Erbschaft dachte. Ich wehrte mich dagegen, denn ich empfand den Garten als mein Werk, als etwas, das ich selbst geschaffen hatte und das ich mir nicht nehmen lassen wollte. Ich versuchte mit allen Mitteln, ihn aus dem Garten zu jagen und es gelang mir auch. Es war mir sehr wichtig, mir ber die Motive fr diesen Streit klar zu werden, denn ich habe auch spter hnliche Verhaltensweisen an den Tag gelegt. Das Vertreiben meines Bruders war ein Schlag gegen Verschwendung und Zerstrung. Niemandem gebe ich die Gelegenheit dazu, auch nicht meinem Bruder. Ihn fortzujagen war eine radikale, revolutionre Handlung und absolut notwendig. Ob Bruder oder nicht: Das Ergebnis menschlicher Arbeit muss respektiert werden! (...) Wenn man seine Interessen in einem Konflikt durchsetzen kann, geht man gestrkt daraus hervor. Man gewinnt eine neue Orientierung und nimmt seine Umgebung nun verndert wahr. (...) Der Streit mit meinem Bruder eskalierte. Mitten im Dorf kam es zu einer heftigen Steinschlacht zwischen mir und ihm. Aber ich musste meine Rechte verteidigen, und wenn der eigene Vater sich in einer solchen Situation gegen einen stellt, setzt man sich auch ber die heiligsten Familienbande hinweg. Nachdem ich meinen Bruder verjagt hatte, mischte sich mein Vater in den Streit ein und sagte: "Der Garten gehrt mir, fr wen hltst du dich denn berhaupt?" Ich hielt ihm seine Ungerechtigkeit vor und sagte: "Warum verteidigst du das Unrecht? Du solltest den Bruder nicht in Schutz nehmen! Wenn du dich aber auf seine Seite stellst, werde ich gegen dich kmpfen mssen!" (...) Die Konsequenz war eine Abnabelung, eine Art zweiter Geburt und: groe Einsamkeit. 10 Lira und der Auszug des Sohnes aus dem Dorf merli Im Anschluss an dieses Ereignis versuchte ich, meinem Vater zehn Lira abzutrotzen. Einen wahren Geldschatz! Angenommen, mein Vater wre ein Staat gewesen, der auer seiner Autoritt noch seine Staatskasse zur Verfgung gehabt htte, so wre dieser Akt einer revolutionren Vergesellschaftung gleichgekommen. (...) Normalerweise wre es einem Kind nicht mglich gewesen, so viel Geld in die Hnde zu bekommen. Kein Vater gab seinem Kind zehn Lira. Damals, es war wohl um 1960, war dies ein Geldbetrag, mit dem man sogar nach Ankara htte fahren knnen. Das Geld zu entwenden, bedeutete einen Schritt mit ernsthaften Folgen, denn ab diesem Punkt gab es keine Mglichkeit mehr zur Verstndigung. Ich wrde in unserem Haus, im ganzen Dorf nicht mehr willkommen sein. In dieser Lage zog ich den Schluss, dass ich mich zurckziehen und dann zur rechten Zeit am richtigen Ort wieder auftauchen musste. Das war wichtig. Ich zog mich zwar zunchst zurck, gab mein Anliegen aber nicht auf. Whrend meines offen dargebotenen Rckzugs machte ich heimlich einen Schritt nach vorn, drang in unser Haus ein und nahm das Geld mit. Bei meinem Kampf mit meinem Vater bemhte ich mich, ihn nicht zu sehr mit den Steinen zu verletzen. Ich wre zwar krftig genug gewesen, um ihn zu tten, aber ich hatte doch noch Achtung vor ihm. Mein Zorn auf ihn und meinen Bruder war jedoch so gro, dass ich einen dritten Weg beschritt und seine ganzen Finanzen in meinen Besitz brachte, ohne dass es jemand hrte oder sah. Danach folgte der vierte Schritt, der Widerstand gegen das ganze Dorf. Aber ich blieb nicht im Dorf, um den Kampf dort aufzunehmen. Vielmehr bewertete ich die Lage realistisch und unternahm einen in dieser Situation sehr ernsten, operativen Schritt. Das war ein Weg, den ich auch spter immer wieder einschlug. Entschlossenheit, Zorn und Willenskraft waren dermaen gro, dass ich keinen Kompromiss mehr eingehen wollte. Bis zum Endpunkt der Welt Mein Ziel war, die Stadt Nizip zu erreichen, die am weitesten entwickelte Stadt der Region. Meine Entfernung zum Dorf sollte grtmglich sein. Nizip war der letzte Ort, in den man ging, um etwas zu erreichen. Ich wollte bis an das Ende der Welt gehen, und dort war der Endpunkt der mir bekannten Welt. Sonst hatte ich keinen Ort. Ich kannte unser Dorf und ein paar weitere Drfer. Indem ich mich von der Dorfgemeinschaft ab- und der Stadtgemeinschaft zuwandte, vollzog ich einen radikalen Bruch. Hierin liegt auch die gesellschaftliche Dimension dieses Schrittes. (...) Ich fhlte mich wie jemand, der ganz allein in einen Krieg gezogen war und sagte mir: "Du musst Freunde finden!" Mir wurde klar, dass eine Organisation absolut notwendig war.

Ich musste widerstandsfhige, solidarische Krfte schaffen. Ich musste Freunde finden, mit denen ich Politik machen konnte, die sich gemeinsam mit mir organisierten. (...) Mein Schritt war der einer revolutionren Persnlichkeit. Ich bin sicher, dass meine Flucht meinen Vater sehr verwirrte. Ich wei nicht einmal mehr ganz genau, ob er sich spter mit mir vershnte. Es war jedenfalls kaum vorstellbar, dass ich etwas noch Schlimmeres htte tun knnen. (...) Blick zurck im Zorn Ich wei noch genau, welcher Zorn in mir hochstieg und wie ich Trnen der Wut und Verzweiflung weinte, als ich mich umdrehte und ein letztes Mal auf das Dorf blickte, das wie ein Punkt vor meinen Augen verschwamm. Als ich in das erste fremde Dorf kam, zuckte ich schon beim Bellen irgendeines Hundes zusammen aus Furcht, Lrm und Unruhe zu verursachen. Ich musste alles dafr tun, dass man mir nicht ansah, dass ich soeben von zu Hause Reiaus genommen hatte. (...) Wie ein Chamleon vernderte ich meine Gangart, meinen Gesichtsausdruck , meine Worte; ich nahm die Farbe des Dorfes an. Niemand identifizierte mich als Flchtenden. Ich wurde zu einem der ihren. Immer wieder dachte ich daran, wie wichtig der Anschein der Normalitt ist. Als ich im zweiten Dorf ankam, war ich innerlich schon etwas ruhiger und nach auen hin voller Gelassenheit. (...) Mit diesem Mut und Selbstbewusstsein wrde ich den Weg bis zur lang ersehnten Brcke schaffen, der ... Brcke, hinter der die Drfer endeten und die Stadt begann Ich versprach mir viel von der Stadt. Anstelle der engen Atmosphre des Dorfes, in der jeder alles vom anderen wusste, gab es in der Stadt Anonymitt, in der ich erleichtert untertauchen konnte. Whrend ich in ein Auto einstieg, vollzog ich den letzten Schritt meiner Befreiung. Mit genauso ruhiger Fassade wie zuvor, zeigte ich mich als ein vernnftiger kleiner Kerl auf seinem Weg. Ich war zu einer festen Gre in meinem eigenen Plan geworden, an mir lag es jetzt, ob der Plan gelang oder scheiterte. 70 Kilometer konnte ich auf diese Weise zurcklegen, ohne irgend jemandem im Geringsten aufzufallen. Ein groer Erfolg und einzigartiges Erlebnis zugleich. Klassenkampf in Nizip Whrend meines Befreiungsprozesses in jenem Alter arbeitete ich in Nizip und verdiente mir meinen Unterhalt. Es war sehr interessant. Ich verdiente zehn Lira. Damit bewies ich mir, dass ich nicht trge von einer groen Erbschaft lebte, sondern durch eigene Arbeit meinen Unterhalt bestreiten konnte. Als ich danach von Nizip zurck in mein Dorf ging, gab ich meinem Vater die zehn Lira zurck, die ich mir von ihm genommen hatte. Ich konnte und wollte sie meinem Vater nicht schuldig bleiben. Zwei Jahre spter begann ich, in Nizip die Mittelschule zu besuchen. Es war nicht einfach. Jeder machte sich lustig ber mich. Da ist ja der Junge, der ausgerissen ist! Manchmal fhlte ich mich wie der hilfloseste Schler der ganzen Schule, aber gleichzeitig war ich der Meinung, der Klgste von allen zu sein. Ich sprte, dass die Lehrerinnen und Lehrer mich schtzten und an meinem Lernfortschritt interessiert waren. (...) Es waren damals noch viele Jahre erforderlich, bis die Menschen ein neues Bewusstsein erlangt hatten. Manche Kinder kamen aus Offiziersfamilien, manche waren die Shne reicher Grogrundbesitzer oder anderer angesehener Familien der Stadt. Ich hatte ein besonderes Gefhl ihnen gegenber. Ich fhlte mich nicht stark. Sie wussten das nur zu genau und lieen es mich durch ihre Herablassung spren. (...) Ich wollte meine Persnlichkeit nicht verlieren, indem ich wie einer von ihnen wurde. Damit hielt ich zu mir selbst und lehnte sie ab. Auf diese Weise wurde ich zu einer Gefahr fr sie, die sie mit ihrem Spott und ihrer Herablassung verringern wollten. Je mehr ich von meinen Mitschlern geschnitten wurde, desto intensiver suchte ich den Kontakt zu meinen Lehrern. In ihnen und den Bchern sah ich den Ausweg aus meiner Einsamkeit. Es dauerte nicht lange, bis ich die Stufen zum Klassenbesten hinaufgeklettert war. (...) Eigentlich war es wie im Brgerkrieg oder im Klassenkampf. Aus der buerlichen Schicht stammend, war es mir gelungen, durch die Aneignung von Wissen Klassenbester zu werden und dadurch die brgerlichen Schler zu besiegen. (...) Was ich damals mit so viel Mhe durchsetzte, hat mich bis heute geprgt: der Wunsch, den eigenen Stil, die eigene Persnlichkeit zu leben. Ich

begriff, dass es nicht ntig ist zu heucheln, um anderen zu gefallen, und dabei stndig die Farbe zu verndern. (...) Verpasste Militrkarriere Als ich den Abschluss der Mittelschule in Nizip gemacht hatte, war es fr meine Familie unmglich, mich auf das Gymnasium zu schicken. Also krempelte ich die rmel hoch und lernte, um die Aufnahme in eine Schule mit Internatsmglichkeit zu bestehen. Dabei hatte ich das Militrgymnasium im Auge. Ich wollte so stark wie die Militrs dort werden. Als Kind war ich fasziniert vom Militrputsch des Jahres 1960. Im Dorf hatte ich Militrspiele entwickelt, Regeln dafr aufgestellt und die anderen Kinder dazu aufgerufen, die Macht zu erobern, um fr das Volk - gemeint waren die Armen - einzutreten. Damals war ich dann stets der Hauptkommandeur und hatte die Strke, die ich brauchte, um meine Trume zu verwirklichen. Aus welchem Grund auch immer, ich bestand die Aufnahmeprfung fr das Militrgymnasium nicht. Ich rgerte mich, weil mein Notendurchschnitt der Mittelschule ziemlich gut war. Ich meinte lange Zeit, ich htte sie eigentlich bestehen mssen, und wollte mich nicht damit abfinden. Heute wei ich, dass ich im Falle des Bestehens vielleicht von der kemalistischen Tradition geprgt worden wre und mich das System geschluckt htte. Denn gerade die militrischen Internatsschulen sind der vollkommenste Teil des in der kemalistischen Tradition angelegten Systems. (...) Der Berg Ankara Auch wenn mir der Zutritt zur militrischen Internatsschule verwehrt blieb, schaffte ich es dennoch, in einer anderen Internatsschule aufgenommen zu werden, dem 'Gymnasium fr Grundbuch und Kataster' im Zentrum von Ankara. (...) Ich bekam die Mglichkeit, im Schutz einer staatlichen Schule die brgerliche Gesellschaft Ankaras zu beobachten. (...) Als ich im Bus nach Ankara sa, lernte ich einen Lehrer kennen. In der Stadt angekommen, fragte ich ihn, ob er mir helfen knne. Es war die gleiche Situation wie bei meinem ersten Stadtbesuch in Birecik und bemerkenswerter Weise hielt ich mich, wie frher am Rockzipfel meiner Mutter, in diesem Moment am Rockzipfel des Lehrers fest. Ankara war zum Berg geworden, der ber mir einzustrzen drohte, bestaunt von meinen groen Augen. (...) Im Grundbuch- und Katastergymnasium gab es fr mich nichts anderes als den Unterricht. Ich sagte mir: "Du musst erfolgreich sein, besser sein als die anderen." Meine Lehrer waren Offiziere von der Militrschule. Sie schtzten mich. (...) In Wahrheit fhlte ich mich wie einer, der keine groen Chancen in der bourgeoisen Gesellschaft hatte. Diese Gefhle unterdrckte ich jedoch. Da sie stark waren, unterdrckte ich viel, zu viel. Moschee und Antikommunismus Irgendwann kam der Punkt, da sprte ich die Anziehungskraft der Religion. Sie wurde zum Ventil, um den Druck durch die vielen mir aufgezwungenen brgerlichen Gesellschaftswerte abzulassen. Es war eine Form von Realitt, die ich von meiner Kindheit im Dorf her kannte, und in der ich mich leichter artikulieren konnte. Unser Imam hatte recht mit seiner Vorhersage, dass ich einmal fliegen wrde. Irgendwann flog ich. Mein Flug war der Befreiungskampf. (...) Die brgerliche Gesellschaft war eine Gefahr fr mich, und ich versuchte, mich vor ihr zu schtzen. Auch mit den Mitteln der Religion. (...) Nach auen hin wirkte ich eher konservativ. Dabei war alles nur ein Schutz, um den widersprchlichen Zustand in mir zu verdecken. Ich hielt mich an meine religisen Gebote und Verbote, achtete mit grter Vorsicht darauf, keines der Verbote zu verletzen - all dies nur, um mich dadurch in strenger Disziplin zu halten und meine eigene Persnlichkeit zu schtzen. Damals gelang es mir, das Buch von Sayyid Kutub mit dem Titel "Das ist die Religion" in die Hnde zu bekommen. Darin wird folgender Gedanke beschrieben: "Dies ist, was ich als den vollkommenen Weg bezeichne, und der Weg ist das Leben." Unter diesem Leitmotiv standen fr mich die letzten, unheimlich langen sechs Jahre meiner ganz eigenen Entwicklung, deren Anfnge bis in die Kindheit in meinem Dorf zurckreichten. In dieser Zeit - ich glaube, es war das letzte Schuljahr - zog es mich in die Maltepe-Moschee in Ankara. Sie war gleich in der Nhe unserer Schule, eine schne Moschee. Mein Weg fhrte mich in meinen Schlertagen dorthin, genauso wie ich zu Vereinen ging, in denen gemeinsam der

Kampf gegen die Kommunisten erklrt wurde, oder zu idealistischen Vereinigungen. Mit keiner konnte ich mich auf Dauer anfreunden. (...) Damals lernte ich Refik Korkut kennen, den Theoretiker und Verantwortlichen des Vereins fr den Kampf gegen den Kommunismus. Bei einer von ihm organisierten Veranstaltung sah ich Demirel. Die Religion verliert, Marx gewinnt Eines der vielen Bcher, die ich in jenen Tagen las, war das von Leo Hubermann: "ABC des Sozialismus". Nach anfnglichem Widerstand whrend der ersten paar Seiten interessierte es mich mehr und mehr, insbesondere als ich den Satz las: "Religion verliert, Marx gewinnt." Der Satz wurde zum Auslser einer inneren Vernderung. Fr mich bedeutete er: "Die traditionelle Ideologie verliert, das sozialistische Leben gewinnt." Es war 1969, als ich zu dieser Wahrheit gekommen war. Ich hatte diesen Satz auch zu mir selbst gesprochen. Staatsbeamter in Diyarbakir Nach Abschluss des Gymnasiums flog ich als Grundbuch- und Katasterbeamter nach Diyarbakir, um dort den einjhrigen obligatorischen Staatsdienst abzuleisten. Es war eine einjhrige Beamtenttigkeit, die durchaus interessant war. Ein wenig lernte ich ber Geld und ber Bestechung, hrte Wrter wie "Mein Efendi, mein Herr" und machte mir als Beamter eigene Vorstellungen ber die Beziehungen zwischen den Bauern und dem Staat. Ich verglich das Leben der Bauern mit dem Leben eines Beamten. Whrend wir als Bauern frher auf den Weizen- und Baumwollfeldern so hart arbeiteten, dass wir nicht einmal die Augen aufmachen konnten, war das Leben eines Beamten angenehm und ermutigend. (...) Wenn ich in meiner Eigenschaft als Katasterbeamter in die Drfer ging, sagten mir die Dorfbewohner: "Aus unseren Nasen fliet Blut." Sie sprachen von der grausamen Unterdrckung durch die Grogrundbesitzer - eine Meinung, die ich nur besttigen konnte. Zu dieser Zeit machte ich viele Spaziergnge entlang der Burgmauern von Diyarbakir. Es gab ein Hotel namens Sur Palas, mein damaliges Quartier. Wie ich erfuhr, soll der Name spter in "Demirel Hotel" gerndert worden sein. Es war ein Hotel, das viele Eindrcke vermittelte, die mit den Kurden und ihrer Geschichte zusammenhingen. Als mir das erste Bestechungsgeld zugesteckt wurde, wehrte sich alles in mir, es anzunehmen. (...) Zu dieser Zeit hatte Kurdistan fr mich bei weitem noch nicht den Stellenwert, den es spter bekommen sollte. Aber als ich selbst in Drfern und von Grogrundbesitzern Gelder angeboten bekam, dachte ich bei mir: "Warum soll man das Geld nicht einfach fr die Revolution verwenden?" Ich akzeptierte unter dieser Bedingung und dachte an das Geld meines Vaters, das ich fr meine Flucht - oder meine Befreiung, wie ich es nannte - verwendet hatte. "Eines Tages wirst du dieses Geld fr den Generalaufstand ausgeben", dachte ich bei mir. Auf diese Weise konnte ich es relativ beruhigt annehmen. (...) Ich sehe es noch deutlich vor mir, wie es war, als ich in den siebziger Jahren die damals enorme Summe von 3.000 bis 4.000 Lira erhielt, das Zwei- bis Dreifache meines Gehaltes. (...) Bestechungsgelder fr Kurdistan Die Idee, die Gelder fr Kurdistan zu verwenden, kam mir durch die Zwangslage, in die ich durch die Bestechung gebracht worden war. Es war widersinnig, denn gleichzeitig war die Korruption selbst die Ursache fr das Zugrundegehen Kurdistans und der ganzen Gesellschaft. (...) Ich wusste nicht genau, welchen Weg ich einschlagen sollte, aber durch diesen Bestechungfall wurde vieles in mir beschleunigt und ich wurde zu einer Entscheidung gezwungen. Und whrend ich ber die Zukunft des Geldes entschied, entschied ich eigentlich ber meine eigene Zukunft. "Denk an Kurdistan! Nur dafr hast du das Geld genommen", sagte ich mir. Die Entscheidung war gefallen, und so vergrerte ich die Summe getrost, bis ich bei 10.000 Lira angekommen war. (...) Fr mich stand fest, dass ich kein kleiner Beamter des Grundbuch- und Katasteramtes bleiben wollte. Also berlegte ich mir, ob es nicht einen weiterfhrenden Ausbildungsweg geben wrde, durch den ich Aufstiegsmglichkeiten htte. Wissen wollen, wie es funktioniert Bald stand als Ziel ein Universittsstudium fest und ich begann mit den Vorarbeiten. (...) Ich bestand die Eignungsprfungen zur Studentenauswahl fr die Universitt und erlangte damit

das Recht, an der juristischen Fakultt der Universitt Istanbul zu studieren, aber ich wollte die Fakultt fr politische Wissenschaften der Universitt Ankara besuchen. Sie war der Magnet fr revolutionr denkende Studenten. Fr meine Ziele war das ein wichtiger Schritt vorwrts. Mit dem Studium wollte ich mich nicht zum Brokraten entwickeln mit groartigen Aufstiegschancen, sondern ich wollte Einblick gewinnen in das politische Klima und die politische Geschichte der Trkei. (...) Von Istanbul ... Mit der Ankunft in Istanbul begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Ich trat dem Verein DDKO (Revolutionre Kulturzentren des Ostens) als aktives Mitglied bei und hielt Vortrge. In einem von ihnen stellte ich die Frage, warum es keinen kurdischen Staat geben sollte. Das war 1970, also vor 28 Jahren. (...) Ein ganzes Jahr blieb ich in Istanbul. Dann nahm ich erneut an den Prfungen zur Zulassung an der Universitt teil, wobei ich nur mein Wunschfach Politikwissenschaft nannte. Ich bestand die Prfung, kam ... nach Ankara ...und freute mich auf das Studium. Das war Ende 1971. Damals beherrschte der Widerstand der Anfhrer der revolutionren Jugend in der Trkei, Mahir Cayan und Deniz Gezmis, das Stadtgesprch. (...) Nachdem die Anhnger von Mahir Cayan aus dem Gefngnis geflchtet waren, dauerte es nicht lange, bis man sie wieder gefangen nahm und verurteilte. Die Hinrichtung von Mahir Cayan und seinen neun Anhngern am 30. Mrz 1972 war wie ein Schock fr mich. (...) Mahir Cayan hatte ich 1971 im Konferenzsaal der Universitt Istanbul gehrt. Whrend der Veranstaltung hatte Mahir auch ber die Kurdistanfrage gesprochen. Ich hatte Sympathie fr seine Organisation, die THKP-C-Bewegung (Trkische Volksbefreiungspartei-Front). Als er mit seinen Anhngern am 30. Mrz in Kizildere ermordet wurde, organisierte ich gemeinsam mit meinem Freund Dogan Firtina Anfang April 1972 zu ihrem Gedenken die erste Streikaktion an der SFB und fhrte sie durch. Eine unbesiegbare Organisation nicht ohne die Kraft aus dem kurdischen Volk Am 7. April wurden wir gemeinsam inhaftiert. Sieben Monate war ich im Militrgefngnis Mamak in Haft. In dieser Zeit wurden Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hseyin Inan vor unseren Augen hingerichtet. Gleichzeitig erlebte ich in diesem Gefngnis die Zerschlagung anderer linker Organisationen durch Militraktionen. Ich lernte daraus, wie wichtig eine grndliche Planung und ihre konsequente berarbeitung ist. Bei mir selbst stellte ich fest, dass mein ueres wie eine eiserne Maske erstarrt war und ich nichts von den ermordeten Helden preisgab. Nach ihrem Tod schwor ich mir, das Andenken dieser Revolutionre niemals mit Fen zu treten, sie hoch leben zu lassen und ihre Gedanken zu verwirklichen. Gleichzeitig schwor ich mir, alles zu tun, um nie wieder als Gefangener dem Feind ausgeliefert zu sein, mich nie wieder so entwrdigend ohrfeigen zu lassen wie im Gefngnis von Mamak und: eine unbesiegbare Organisation zu grnden. Auf der Suche nach Weggefhrten fr mein Ziel schaute ich mich eine ganze Weile vergeblich um. Es gab Momente, da wollte ich mit bestehenden Kreisen zusammenarbeiten, bis ich feststellte, dass auch sie an entscheidenden Punkten Zugestndnisse machten. Mir war klar: mein Ziel konnte ich nur mit einer stabilen und andauernden Organisation erreichen. Ebenso klar wurde mir, dass ein Befreiungskampf solange hinken musste, bis der kurdische Fu geheilt war. Das bedeutete, dass der Kampf fr die Befreiung zwar von mir organisiert werden wrde, seine Wurzeln, sein Leben und seine Kraft aber dem kurdischen Volk entstammen musste. Fr die Realisierung meines Zieles setzte ich alles ein, was mir an Talent, Kraft und Willensstrke zur Verfgung stand. Gefhrlicher Weg mit Kemal Pir und Hakki Karer In Kemal Pir und Hakki Karer traf ich schlielich zwei Menschen, die bereit und fhig waren, den schwierigen und gefhrlichen Weg mit mir zu gehen. Lange Gesprche zwischen uns schufen eine starke Bindung. Zum Einen legte ich meine Ziele offen dar und machte sie damit angreifbar und berprfbar; um Anderen nahm ich damit auf die beiden wichtigen Menschen neben mir Einfluss. Auf Drngen des Militrregimes lie der Staat die Hochschulen besetzen und nahm

revolutionren Studenten frmlich die Luft zum Atmen. Ich selbst beteiligte mich an der Organisation des Widerstands. Es gelang uns, ADYD (Studentenvereinigung in Ankara) zu befreien, an deren Leitung ich gemeinsam mit Hakki Karer beteiligt war. (...) Am 1. Mai 1973 fhrte ich am Staudamm Cubuk in Ankara eine Veranstaltung durch. Eine ganze Reihe von Menschen hatte sich um mich versammelt. Es war der Tag der Arbeit, und die trkische Regierung hatte zur Feier des Frhlingsfestes aufgerufen, wobei jedermann blicherweise ein Picknick im Freien machte. Auch meine Freunde und ich waren dem Aufruf zum Picknicken gefolgt, ja, der Anlass diente uns dazu, die Veranstaltung zu tarnen: Wir sahen nicht anders aus als die vielen Idealisten beim Picknick, die in Gruppen zusammensaen. Kurdistan ist eine Kolonie In diesem Umfeld bildete sich meine erste Gruppe. Von Anfang an beherrschte Vorsicht all mein Tun. Es war wie die Lftung eines groen Geheimnisses, als ich bei jener Veranstaltung meine Gedanken zur Kurdistanfrage und deren Lsung mitteilte (...) Im Vergleich zu meinen heutigen Vorstellungen muss ich sagen, dass wir damals ohne ideologischen Unter- oder berbau sehr pragmatisch dachten. Ich wei noch, wie atemlos ich war, als ich sagte: "Unser Land Kurdistan ist eine Kolonie. Es ist ntig, unser Land und unser Volk aus der Kralle des Kolonialismus zu befreien, und dafr brauchen wir eine Organisation." (...) Von da an begannen wir, eine Gruppe zu bilden. Es fiel uns sehr schwer, unsere kleine Studentenwohnung im Stadtteil Dikmen von Ankara zu verlassen. Aber die Gruppe hielt es fr notwendig, in die kurdischen Drfer zu gehen. (...) Also verlieen wir Ankara. Als wir dabei in mein Heimatdorf kamen, begegnete ich meinem Vater. "Mein Sohn", sagte er, "frher hatten wir gehrt, du seiest Kommunist geworden. Jetzt haben wir erfahren, du seiest ein kurdischer Befreiungskmpfer geworden. Wenn du Propaganda fr Kurdistan treibst, wirst du groen Schaden erleiden. Die Sache ist tot." (...) Alles schien gegen uns zu arbeiten. Was war das fr ein Volk? Hatte es keine Hoffnung mehr? Keinen Stolz? Ein Mann im Schatten der Moschee sagte mir: "Wir knnen nicht wieder auferstehen. Die Toten im Grab sind lebendiger als wir." (...) Er hatte es angenommen, wie ein Trke in einer trkischen Gesellschaft zu leben, und schien damit ganz zufrieden. (...) Morde durch trkische Linke Sobald wir in Kurdistan angekommen waren, wurden wir von Anhngern der trkischen Linken angegriffen. KDP-Anhnger teilten mir durch Sirac Bilgin mit: "Wenn ihr versucht, die Idee des Sozialismus nach Kurdistan zu bringen, werden wir euch die Beine brechen." Fast die ganze trkische Linke war gegen uns und warf uns Separatismus vor. In Kurdistan, so sagten sie uns, msse man keine getrennten Revolutionen entwickeln. Ihren Drohungen folgten unverzglich Taten. Mehrere Freunde und Sympathisanten wurden von ihnen ermordet. Zu unseren Gegnern zhlten trkische Nationalisten, Agenten und Spione. (...) Im Mrz 1977 hielt ich auf einer Versammlung in der Kammer der Architekten und Ingenieure Ankaras einen mehrstndigen Vortrag ber "Die Geschichte und die nationale Frage Kurdistans". (...) Ich wusste, dass ich nur einmal die Chance hatte, eine ffentliche Versammlung ohne Schaden zu berstehen. Mir war klar, dass ich von nun an verfolgt und beobachtet wrde und entschied deshalb, von nun an die Arbeit in strikter Geheimhaltung fortzusetzen. (...) So konnten wir unsere Gruppe geheim halten und geschtzt agieren. (...) Whrend ich versuchte, in der kurdischen Bevlkerung das Bewusstsein fr eine nationale Revolution zu schaffen, bemhte sich die unter dem kemalistischen Einfluss stehende trkische Linke zu beweisen, warum keine gesonderte kurdische Revolution erfolgen knne. Zu meinen engsten Vertrauten zhlten die beiden Trken Hakki und Kemal. Wir gehrten derselben Gruppe innerhalb der trkischen Linken an. Vier Jahre lang fragten sie sich, ob wir eher zur kurdischen oder zur trkischen Linken gehrten. Am Ende wussten sie es immer noch nicht. Eine politische Ehe und MIT-Pilot Kaya Dem trkischen Staat war jedes Mittel recht, um uns zu bespitzeln. Immer wieder versuchte er, Agenten in unsere Gruppe einzuschleusen. Unter ihnen war auch Kesire Yildirim und deren Familie, die bei der Niederschlagung des Dersim-Aufstandes eine Schlsselrolle gespielt hatte. Wir wussten davon und machten uns die Familie deswegen nicht weniger zunutze, als es der

trkische Sicherheitsdienst getan hatte. (...) "Wenn der Feind in unserer Mitte ist", dachte ich mir, "ist es gut, ihn erst einmal in Sicherheit zu wiegen durch irrefhrende Manahmen und ihm dadurch die Furcht zu nehmen, unter einer Kontrolle zu stehen, die Lebensgefahr bedeutet." Auch meine Eheschlieung mit Kesire Yildirim im Frhling 1977 erfolgte vor diesem Hintergrund. Natrlich war es eine politische Entscheidung mit vielseitigen und risikoreichen Konsequenzen. In diesem Versuch einer Beziehung war alles enthalten: von kalter Berechnung bis hin zu spontanen Gefhlen. (...) Die gleiche Taktik verfolgten wir beim Piloten Necati Kaya, den wir bald schon als gut ausgebildeten MIT-Mitarbeiter identifizierten. Daraufhin gaben wir ihm falsche Informationen, so dass er falsche Berichte ablieferte. (...) Necati Kaya schlug uns zur Beschaffung noch fehlender Gelder vor, einen Raub durchzufhren. Er habe darin Erfahrung. Doch wir wussten, dass er die Gruppe damit provozieren und in Situationen bringen wrde, die eine Verurteilung zur Folge gehabt htten. (...) Wir nutzten Necati weiter fr unsere Zwecke. (...) Deswegen nahm ich ihn sogar im Frhjahr 1977 auf eine Reise mit der gesamten Gruppe in meine Heimat mit. Mit ihm an unserer Seite glaubte der Feind, uns bestens zu kontrollieren, und wir wussten uns in Sicherheit. (...) Ermordung von Hakki Karer und Warnschsse Am 18. 5. 1977 wurde unser Genosse Hakki Karer von feindlichen Agentenorganisationen ermordet. Der Mord war nichts anderes als eine Warnung des kemalistischen Systems, die an uns gerichtet war. (...) Der Mord wurde durch eine Organisation namens Sterka Sor durchgefhrt, die bei uns unter dem Namen "Besparcacilar" (Fnfstckler) bekannt war. Nach diesem Mord feuerten Anhnger dieser Organisation zwei Schsse von hinten auf mich ab. Es waren offensichtlich nur Warnschsse, denn wenn sie gewollt htten, htten sie mich in diesem Moment erschieen knnen. Fr mich war es das Startsignal zur Vorbereitung und Ausarbeitung des Parteiprogramms. (...) Nachdem unsere Ideen in der kurdischen Bevlkerung langsam angenommen wurden, beschloss ich, mich in Diyarbakir niederzulassen und von dort aus die Arbeiten zu koordinieren. Fr unsere eigene Sicherheit mussten wir darauf achten, dass meine Frau weiterhin streng kontrolliert wurde. (...) Mir war klar, dass sie einen Anschlag plante, und ich flchtete aus der Wohnung. (...) Als mein Freund Kemal von diesem Vorfall erfuhr, beschloss er gemeinsam mit Cuma, sie zu bestrafen. Spter aber verzichteten sie auf ihr Vorhaben... Die Versuche, unsere Entwicklung hin zu einer Massenbewegung zu verhindern, schlugen fehl. Sowohl die trkisch-kurdische Linke als auch Agentenorganisationen bzw. Spitzel sowie Stammesgruppen, die in Kurdistan wie in Agentenverbnden zusammengeschlossen waren, bemhten sich vergeblich darum. (...) Der Grndungskongress der PKK 1978 und seine Folgen Wir wussten ziemlich frh von dem bevorstehenden Putsch. (...) Eine Vernderung war ntig, um ein Voranschreiten der Arbeit zu ermglichen. Die ntigen Vorbereitungen dazu hatte ich bereits getroffen. In diesem Zusammenhang mchte ich auch Sevfettin Zogurlu erwhnen, einen sehr wertvollen Mann aus dem Kreis Lice. Bei ihm zu Hause im Dorf Fis im Kreis Lice hielten wir am 27. November 1978 unseren ersten Parteikongress ab. Keiner der Teilnehmer am Grndungskongress hatte eine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Partei zu grnden. Am ehesten dazu fhig waren Hayri Durmus und Mazlum Dogan wie auch Ferhat Kurtay. (...) Nachdem wir die Partei gegrndet hatten, richtete kurz darauf das trkische Militr unter Mithilfe von Soldaten, Polizei und den Faschisten der MHP ein riesiges Blutbad in der Stadt Maras an, die an der Grenze zwischen Kurdistan und der Trkei liegt. (...) Das Massaker diente als Abschreckung und gleichzeitig als Mittel, um mglichst schnell und gezielt die Voraussetzungen fr einen Militrputsch zu schaffen. (...) Nach dem Massaker wurde nach und nach ber ganz Kurdistan der Ausnahmezustand verhngt. (...) Whrend dieser Periode hatten unsere Leute immer noch nicht die alten Propagandastrategien aus der Zeit der Gruppenarbeit berwunden und noch nicht zu einer Parteistruktur gefunden. Sie blieben nach wie vor ihrem amateurhaften Vorgehen verhaftet, was zu einer organisatorischen Krise fhrte. (...) All das war der Grund, dass sie von trkischen Sicherheitskrften festgenommen und erschossen wurden. (...) Mit anderen Worten: Es wurde zwar fr unsere Sache gekmpft, aber unter vlliger Abweichung von der von uns vorgegebenen Linie.

Dass primitive Nationalisten in unserem Land Verrat ben, hat Tradition. In der Zeit zwischen 1979 und 1980 trat die KUK (Nationale Befreiung Kurdistans in Trkisch-Kurdistan), hinter der die KDP steckte, verstrkt auf den Plan. (...) Viele von unseren Leuten wurden von ihnen in Diyarbakir, Mardin und Siirt niedergemetzelt. (...) Der Weg nach Palstina In dieser uerst kritischen Situation war schnelles Handeln geboten. Nach kurzer berlegung plante ich einen gewaltigen Vorsto. Es war ein Schritt, an den niemand, weder die PKK noch der Staat, bisher auch nur im entferntesten gedacht hatte. Ich entschloss mich, in den Nahen Osten zu gehen, genauer gesagt, nach Palstina. (...) So schlich ich vorsichtig, sozusagen whrend der Feind noch schlief, mit der gleichen ueren Gelassenheit wie frher als Junge an der Wache vorbei. Im Grenzdorf hielten mich die Wachposten fr einen kleinen Schmuggler. (...) Ich musste vorsichtig sein, sehr vorsichtig. (...) In dem Augenblick, als ich die Grenze berschreiten wollte, sagte jemand: "Ach, gerade kommt ja der Soldat." Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie der Soldat mir entgegenkam, den Draht des Grenzzaunes anhob und mir sagte: "Los, mach schon Landsmann, sonst sieht dich noch der Kommandant." (...) Der mir untergebene Kamerad Mehmet war fr diese Minuten whrend des gefhrlichen Ganges durch ein Minenfeld zum Anfhrer geworden.(...) Ich dachte an meine Zeit in Nizip. Dabei kam mir der Libanon in den Sinn. (...) Ich kannte dort zwar niemanden, aber ich glaubte fest daran, dass es auch im Libanon Revolutionre geben wrde. (...) Die Mnner, die mich begleiteten, verschafften mir Ausweispapiere von der YNK (Patriotische Union Kurdistans in Irakisch-Kurdistan). Sie wussten nicht, wer ich war. Spter sagten sie oft, wenn sie es gewusst htten, htten sie mich nicht so einfach laufen lassen, aber alles lief glatt. Selbst der Staat merkte erst zwei Jahre spter, was geschehen war. (...) Whrend der ersten sechs Monate kannte mich niemand unter meinem richtigen Namen. (...) Danach folgte eine neue, beschwerliche Phase. (...) Ich war nicht dogmatisch, hielt nicht an irgendwelchen Prinzipien fest, sondern stellte immerfort all mein Tun und Denken neu in Frage. (...) Alles musste schnell entschieden und umgesetzt werden - auf umfassende, planvolle und zielgerichtete Art und Weise. (...) Sozialistische Solidaritt und viele Hindernisse In einer Woche schlielich wurde all mein Denken und Handeln gefordert. Ich ging ins Bro der Demokratischen Front fr die Befreiung Palstinas und stellte mich dort als `Abu Ali vor. (...) "Ich bin ein Revolutionr und kmpfe in meinem Land fr die Befreiung unseres Volkes. Von euch erwarte ich, dass ihr mir zu einer Identitt verhelft, die es mir erlaubt, mich hier frei zu bewegen. Auerdem brauche ich einen Platz, um ein Ausbildungslager einzurichten. Wenn ihr Sozialisten seid, wie ihr sagt, dann msst ihr mir gegenber diese internationale Solidaritt beweisen." (...) Sie sahen keine Mglichkeit mich loszuwerden, woraufhin sie zustimmten und mich fragten, ob ein Ausbildungskontingent von 300 Mann ausreichend sein wrde.(...) Fr mich war es nicht akzeptabel, ohne Alternative vorzugehen oder auch nur, eine einzige Alternative zu haben. Also bemhte ich mich auch um die Untersttzung der Al-Fatah-Partei (PLO). Ich erreichte, dass auch sie mir ein Ausbildungslager anboten. (...) Von allen Seiten wurden uns Hindernisse in den Weg gelegt. Vor allem die klassischen kommunistischen Parteien wie UDG, TKP und IKP und die von ihnen gesteuerten und kontrollierten kleinbrgerlichen kurdischen Bewegungen wie die KUK und PERSENG wollten nicht, dass wir uns auf diesem Gebiet bettigten. So hatten sie noch vor unserem Eintreffen in Palstina die Propaganda verbreitet, dass wir eine Organisation seien, die mit dem MIT und der CIA in Verbindung stnden und von ihnen untersttzt wrden. Selbstverstndlich bestanden daher von Seiten der palstinensischen Organisationen erhebliche Vorbehalte uns gegenber. Wie wir es bewerkstelligten, diese Vorurteile abzubauen, mit wie vielen Worten der Zusicherung und Vertrauensbeweisen, wissen nur wir allein. Ich hatte einen Kurierweg zu unseren Freunden daheim eingerichtet. ber diesen erteilte ich die Weisung, mir 300 Ausbildungsanwrter zu schicken. (...) Aufgrund des Mangels an Leuten war ich gezwungen, die militrische Ausbildung den palstinensischen Kameraden zu bertragen. Die ideologisch-politische Ausbildung der Kmpfer bernahm ich. Die Auszubildenden lernten von mir, warum sie Waffen benutzen sollten und wie sie die gelernte militrische Technik einsetzen

konnten. Ich beschftigte mich intensiv mit jedem Einzelnen. Keiner von ihnen sollte im Kampf ein leichtes Opfer fr den Feind sein, womit wir ihn verlieren wrden. Kein Mangel an Gegnern Nach Abschluss der Ausbildung kehrten die Kameraden nach Hause zurck, um dort eine Guerillaorganisation aufzubauen. Auch Kemal Pir wollte heimkehren, wogegen wir heftig protestierten. Aber er tat es dennoch, wurde gefangengenommen und inhaftiert. Spter erfuhren wir, dass Kesire der Anlass war, warum er das Lager verlie.(...) Sie fhrte geradezu einen psychologischen Krieg gegen uns und die Kameraden. (...) Unmittelbar vor dem 12. September (1980) wollte ich alle Kameraden - auer einigen, die die notwendige Basiskommunikation im Land aufrechterhalten sollten - im Nahen Osten um mich versammeln. Wir entwickelten eine Rckzugstaktik. (...) Mitglieder der Gruppen von DEV-Yol, die TKP, der Kurtulus und anderer Bewegungen der trkischen Linken versuchten sich in unsere Reihen einzuschleusen und uns dadurch langsam zu verdrngen. Ihr Ziel war es, uns aus dem Weg zu schaffen, indem wir nach Europa gingen und dort Asyl beantragten. Meiner Ansicht nach waren einem NATO-Plan gem einflussreiche europische Sozialdemokraten beteiligt. (...) Gleichzeitig arbeiteten Teile der KDP, IKP, CUD und hnliche Bewegungen und Organisationen geradezu fieberhaft daran, uns den Rckweg in unsere Heimat zu versperren und den Aufbau der Guerilla lahm zu legen. Wir bestanden aber fest auf unseren Zielen und verteidigten sie unerbittlich gegen deren Entschluss, uns nicht einreisen zu lassen und uns keinen Spielraum zu gewhren. (...) Der Mrtyrertod von Kemal, Hayri, Mazlum, Ferhad und vielen anderen Auf unserer ersten Parteikonferenz und dem ersten Parteikongress im Nahen Osten verurteilten wir jede Art von Kapitulation. Auf beiden Veranstaltungen setzte sich die revolutionre Linie unserer Partei erfolgreich durch. Das fhrte dazu, dass die Angriffe jener nur um so erbitterter gefhrt wurden. (...) In dieser Zeit waren die Putschgenerle vom 12. September an der Macht. Jeden Tag wurden in den Gefngnissen, den Drfern und Stdten unsere Landsleute auf grausame Art und Weise wie Vieh niedergemetzelt. Unsere teuersten Kameraden wie Kemal, Hayri, Mazlum oder Ferhad starben den Mrtyrertod, als sie im Protest gegen diese unvorstellbare Roheit im monatlichen Hungerstreik allmhlich wie Blumen verwelkten oder sich selbst verbrannten. (...) Der trkische Staat wurde nicht mde, immer neue Provokationen zu finden. So lie er in einem Gefngnis die Grndung der Vereinigung "Junge Kemalisten-Union" zu. Wir aber verloren nicht unsere Ruhe und Besonnenheit und setzten geduldig unseren Kampf fort. Es war ein Kampf, der auch Zivilpersonen, ja ganze Familien traf, deren Mitglieder sich als Verrter erwiesen haben. Das waren Aktionen gegen die Menschlichkeit, die ich heute sehr bedaure. (...) Wir arbeiteten an mehreren Bchern: "Der Aufbau der Organisation", "Die Rolle der Gewalt in Kurdistan", "Das Problem der nationalen Befreiung Kurdistans" und "Der Lsungsweg".(...) Der 15. August 1984 und die destruktive Rolle der KDP 1982 schickten wir die ersten Guerillatruppen in unser Land. Infolge eines von der KDP angezettelten Komplotts wurden aber dreizehn von ihnen, darunter Sahin Klavuz, am Fluss Hezil umgebracht. Die KDP ist auch verantwortlich fr die Ermordung vieler unserer Kameraden in Ostkurdistan. (...) In diese schwierige Zeit fielen die Vorbereitungen fr die Offensive des 15. August 1984 (Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK, Anm. d. .). Die ersten 24 Stunden vergingen, und der Feind hatte uns noch nicht besiegen knnen. Ebenso nach 48 Stunden nicht und genauso wenig nach weiteren 48 Stunden. Das war der Punkt, von dem an ich aufatmete und mir sagte, sie knnen der Guerilla nichts anhaben. (...) 300 Guerilleros waren in enormer Intensitt und Schnelligkeit ausgebildet worden und wurden in die Heimat geschickt. (...) Das Jahr 1985 wurde zum Alptraum. Durch kontinuierliche negative Manipulation von innen wie von auen war unsere Guerilla nahe der Niederlage, so dass es unmglich war, den bewaffneten Kampf koordiniert weiterzufhren. Das alles war die Folge der Einflussnahme durch die KDP. Es gab Leute unter uns, die sich gegenseitig zuflsten, wenn es gar keinen anderen Ausweg mehr gbe, wrden sie eben zur KDP berlaufen. Tatschlich haben das etwa 30 Leute getan. (...) In

den Frhjahr- und Sommermonaten 1985 war Massud Barzani etwa fnf oder sechs Mal bei mir. Immer wieder sagte er, so ginge es aber doch nicht. (...) Entweder wollte er mich durch seine Treffen zu einer Teilnahme an seinem Vorhaben bewegen oder einfach nur aushorchen. (...) Uns war klar, dass eine Zusammenarbeit mit der KDP, Yekyeti (PUK) und anderen kleinbrgerlichen Strukturen fr uns sehr schwierig war, weil diese versuchten, die PKK unterzukriegen. Wir aber beharrten auf unserer Haltung sowohl in politischer als auch in ideologischer Hinsicht. (...) Weiterbestand der Guerilla ernsthaft gefhrdet Noch im Dezember 1984 hatte sich alles um die Frage gedreht, wie wir das kommende Jahr am besten nutzen knnten. (...) Wir fragten uns ernsthaft, wie wir den Winter berstehen wrden. Unser Gegner hatte gerade die Gesetze der Beschtzer und reuigen Rckkehrer erlassen. Unsere Fhrung in den Bergen litt an einer gravierenden taktischen Schwche. Unerfahrene Gruppen versprengten sich ungeordnet mal hierhin, mal dahin, ohne auch nur den Ansatz einer Guerillataktik zu zeigen. In der Weisung vom Vormonat November hatten wir die Losung ausgegeben: "Jede Abweichung von der Parteilinie fhrt zur Auflsung, ihre treue Befolgung zum Sieg." Wir sahen, dass man nichts von diesem Gedanken in die Tat umsetzte. Im Hauptkampfgebiet kam es zu Stockungen durch Sabotage, und 90 Prozent unserer Guerillakmpfer fielen. Der Grund war Fhrungsschwche. Soldaten und Kmpfer hnelten aufstndischen Bauern. Beide Gruppen empfanden berlegungen zu Kampfstrategien als berflssig. (...) Es blieb ein harter PKK-Kern an Kmpfern zurck. (...) Es fehlte an strategisch begabten Kommandanten. Ich erinnere mich daran, wie leicht Dersim verloren wurde. In Amed kehrten die Kmpfer eines Abends in eines der Huser ein, um dort zu bernachten und am kommenden Morgen wurden sie wie Geschenkpakete dem Feind bergeben. In Botan ging in der Umgebung verdchtiger Drfer eine Gruppe nach der anderen verloren. (...) Defizitre Persnlichkeitsstrukturen fr Verluste verantwortlich Wir beschlossen in jedem Falle die Einberufung unseres dritten Kongresses. In dessen Vorfeld wurde umfangreiche Arbeit geleistet. Auf jedes einzelne Fehlverhalten seitens der Kommandeure und Kmpfer gingen wir genau ein. Wir begannen zu analysieren. (...) Wir erkannten, dass unser momentaner Kampf nicht wegen des starken feindlichen Druckes zum Scheitern verurteilt war, sondern wegen defizitrer Persnlichkeitsstrukturen der Mitglieder. (...) Der Schlssel zum Erfolg lag in einer guten Ausbildung und in der przisen Vorstellung, wie ein revolutionrer Kampf beschaffen sein muss. Whrend wir versuchten, die Ergebnisse der Analyse 1987 in die Heimat zu vermitteln, bemerkten wir, wie sehr von Seiten der Kmpfer und Kommandanten in Kurdistan versucht wurde, den Kampf zu sabotieren. Beispielsweise durch die Kr-Cemal-Praxis, eine Banditenmethode. (...) Kr Cemal machte sein Geschft damit, Straensperren zu errichten und arme, unschuldige Leute auszurauben. Als sich ihm die einmalige Gelegenheit bot, mit niedertrchtigen Kollaborateuren aus der Gegend gemeinsame Sache zu machen und dadurch die Bewegung zu vernichten, da hat er auch das getan. (...) Die Kader waren in einem Zustand der Verwahrlosung. (...) Untergeordnete Kameraden schickten sie in Einstzen, bei denen keinerlei Erfolgsaussicht bestand, bedenkenlos in den Tod. Den Kmpfern bot sich lediglich die Mglichkeit zu sterben oder zu desertieren. Wenn sie flohen, wurden sie als Verrter erschossen. Das war eine der Methoden, die Strke der PKK zu zerstren. (...) Die Entstehung der Mahsum-Korkmaz-Akademie Den Winter 1987 brachten wir wieder im Lager im Nahen Osten zu. Ich erinnere mich an die Direktive vom 1. Januar. Darin wurde erarbeitet, wer Kommandant sein knne und ber welche Eigenschaften dieser verfgen msse. Wir waren bemht, die Persnlichkeit des Kommandanten von allen Seiten zu erfassen und seine Ttigkeitsbereiche genau festzulegen. (...) Das Jahr 1987 wurde zum Jahr des erweiterten Widerstandes. Unsere Guerillaeinheiten konnten wieder Fu fassen. (...) Unser Ziel war es, ein neues Selbstbewusstsein zu schaffen, ein Gefhl der Freiheit bei jedem Kurden und jeder Kurdin. Zu diesem Zweck haben wir das Lager im Nahen Osten in eine Akademie umgestaltet, in der Diskussionen zu geschichtlichen, naturwissenschaftlichen, philosophischen und politischen Inhalten gefhrt wurden. (...) Getreu diesem Grundsatz haben

wir auf unserem Areal im Nahen Osten mindestens 30.000 Menschen fr unser Volk ausgebildet und dann auf sicherem Weg in die Berge Kurdistans geschickt. Trotz aller Bemhungen und groer Erfolge bin ich mir bewusst, dass die jahrhundertealte kurdische Geschichte der Unterdrckung es unmglich macht, in wenigen Jahren aus einem unterdrckten Volk ein selbstbewusstes Volk zu machen. (...) Dieses Thema war im Grund auch das Hauptthema all unserer rund 100 herausgegebenen Bcher sowie das Ergebnis unserer etwa tausendseitigen Persnlichkeitsanalysen. (...) Das Jahr 1987 wurde zu einem Jahr des Erfolges, indem wir uns dem Thema Bildung zuwandten. Das Folgejahr war beherrscht von Versuchen, diesen Erfolg durch Komplotte zu stoppen. Mit Slogans wie "Ja zur PKK, nein zu Apo!" wollte man die PKK spalten. (...) Die Befreiung der kurdischen Frau 1988, zum vierten Jahrestag des 15. August, hatte sich unser Gegner in den Kopf gesetzt, unsere Partei zu zerschlagen. (...) Wir waren zu dieser Zeit mit der Frauenfrage beschftigt. In diesem Zusammenhang spielte erneut meine Frau Kesire Yildirim eine wichtige Rolle. Mit den Jahren hatte sie sich zu einem echten Gegner entwickelt. Ihr Ziel war es, den kurdischen Widerstand unbedingt mitzukontrollieren. Sie wandte sich besonders gegen jene PKKKmpferinnen, die sich sowohl von den traditionellen Fesseln der Gesellschaft als auch der nationalen Unterdrckung befreien wollten. (...) Auch ein Attentatsversuch gegen uns wurde von ihr organisiert. Unsere Auseinandersetzungen mit Kesire fhrten am Ende zu einer Intensivierung unserer Analysen des weiblichen Charakters. Unser Ziel war eine selbstbewusste, frei denkende Frau, wobei diese sich nicht nur in den Reihen der Armee, sondern auch in den oberen Ebenen der Partei wiederfinden sollte. (...) Schritt fr Schritt hat sie sich der Rolle als Objekt entzogen. Sie hat aufgehrt, ein Spielzeug in der Hand des Mannes zu sein und von ihm beliebig ausgenutzt zu werden. Unsere Arbeit zur Befreiung der kurdischen Frau hat nicht nur fr diese ihren Wert, sondern fr die Frauen in aller Welt. (...) Erfolgreiche Jahre der Guerilla und der trkische Sonderkrieg ab Newroz 1992 Das Volk trat fr die Partei und die Guerilla ein und wurde mit ihnen zu einer Einheit. Von nun an war die Partei das Volk und das Volk die Guerilla. (...) Die Jahre 1990, 1991 und 1992 waren Jahre eines andauernden Aufstandes und kontinuierlicher Aktionen aus den Reihen der Bevlkerung. Bald waren 70 Prozent Kurdistans unter der Kontrolle der Guerilla und unserer Partei. (...) Ab dem Newrozfest 1992 begann der trkische Sonderkrieg gegen das kurdische Volk und die Guerilla mit einem unglaublichen Vernichtungspotential. In der ersten Kriegsphase wurde gegen unsere Guerilla mit massiver technologischer Untersttzung der USA und Israels sowie der Kollaborateure der KDP und YNK vorgegangen. (...) Immer, wenn sie zur nationalen Einheit aufriefen, liefen sie zur USA, Trkei oder zu England und suchten deren Zustimmung. Sie wollten nicht begreifen, dass ihnen nur wegen der PKK ein Wert beigemessen wurde und ihnen im Falle unserer Zerstrung nicht der geringste Respekt entgegengebracht wrde. (...) Der Massenmord begann in Kulp-Lice und breitete sich ber ganz Kurdistan aus. Unter Nutzung von Hizbollah und berlufern aus der PKK begannen sie damit, alles, was mit dem Wort "Kurde" auch nur im Entferntesten zu tun hatte, zu liquidieren. (...) Kurdische Parteien und Institutionen wurden angegriffen. Die DEP wurde unter dem Vorwurf, sie sei eine Partei der PKK, verboten und ihre Abgeordneten inhaftiert. So viele Menschen aus Kurdistan wurden in die Gefngnisse eingesperrt, wo man sie schlug und misshandelte. Das internationale Komplott als Antwort auf die Friedensangebote Wir waren fr eine friedliche, politische Lsung des Problems. Fr eine Lsung im Dialog. (...) Niemand in der PKK wie auch im kurdischen Volk liebt Waffen und Gewalt. Man kann die PKK nicht einmal als militrische Bewegung bezeichnen. Sie ist eher eine an Ideen orientierte Bewegung mit philosophischem Hintergrund. (...) Um einer politischen Lsung und dem Frieden eine Chance zu geben, erklrten wir am 17. Mrz 1993 in einer Pressekonferenz in der Gemeinde Bar Elias im Libanon einen einseitigen Waffenstillstand. Auch der damalige trkische Staatsprsident Turgut zal versuchte sich einer politischen Lsung durch einen Dialog anzunhern. Es ist bekannt, welche Folgen seine positive Haltung uns gegenber hatte. Auf der einen Seite kam es zur Erschieung von 33 entwaffneten

Soldaten, auf der anderen zur Ermordung zals. Am Tag seiner Ermordung hatte Herr zal mitgeteilt, dass er eine neue Erklrung zur Lsung der kurdischen Frage abgeben werde. Einige Stunden vor dieser Erklrung wurde er ermordet. (...) In den Jahren 1994 bis 1995 war die Guerilla massiven Angriffen ausgesetzt im Rahmen der feindlichen Versuche, ihre Gebiete zu erobern. Dabei wurden intensiv Waffentechnologien eingesetzt. Wir verteidigten uns aktiv und waren gleichzeitig sicher, dass der Sieg ber die PKK und Guerilla unmglich war. Dennoch wollten wir durch eine politische Einigung eine Lsung erzielen und erklrten zum zweiten Mal einen einseitigen Waffenstillstand. (...) Von Seiten der Trkei wurde keinerlei Annherung auf diesen Vorschlag hin unternommen. (...) Mein Ziel war, das kurdische Problem auf eine menschliche und politische Ebene und damit einer Lsung nher zu bringen. (...) Obwohl nichts von unseren Bemhungen auf eine positive Reaktion stie, konnten wir beweisen, dass wir nicht nur zum Krieg, sondern vor allem auch zum Frieden bereit sind. Am 1. September 1998 erklrten wir auf Wunsch der westlichen Gromchte in naivem Vertrauen - wie ich es heute nicht anders bezeichnen kann - zum dritten Mal einen einseitigen Waffenstillstand. Schon bald stellte sich dieser internationale Wunsch als Teil eines Komplotts heraus. (...) In Folge des Komplotts begannen wir unseren Marsch fr Frieden und Freiheit im Mittleren Osten, kamen zuerst nach Russland und spter nach Italien. (...) Wir wissen nur zu gut, dass die USA und die Trkei alles dafr tun, dass wir ihn abbrechen. Dennoch wird er fortgesetzt. Quelle: Kurdistan Report Nr.96 September/Oktober 1999