Abhandlungen [Uber Die Fabel]

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Abhandlungen über die Fabel, von Gotthold Ephraim Lessing

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  • I.

    Von dem Wesen der Fabel

    Jede Erdichtung, womit der Poet einegewisse Absicht verbindet, heit seineFabel. So heit die Erdichtung, welcheer durch die Epopee, durch das Dramaherrschen lt, die Fabel seiner Epopee,die Fabel seines Drama.

    Von diesen Fabeln ist hier die Redenicht. Mein Gegenstand ist diesogenannte sopische Fabel. Auch dieseist eine Erdichtung; eine Erdichtung, dieauf einen gewissen Zweck abzielet.

    Man erlaube mir, gleich Anfangs

  • einen Sprung in die Mitte meinerMaterie zu tun, um eine Anmerkungdaraus herzuholen, auf die sich einegewisse Einteilung der sopischenFabel grndet, deren ich in der Folge zuoft gedenken werde, und die mir sobekannt nicht scheinet, da ich sie, aufgut Glck, bei meinen Lesernvoraussetzen drfte.

    Aesopus machte die meisten seinerFabeln bei wirklichen Vorfllen. SeineNachfolger haben sich dergleichenVorflle meistens erdichtet, oder auchwohl an ganz und gar keinen Vorfall,sondern blo an diese oder jeneallgemeine Wahrheit, bei Verfertigungder ihrigen, gedacht. Diese begngten

  • sich folglich, die allgemeine Wahrheit,durch die erdichtete Geschichte ihrerFabel, erlutert zu haben; wenn jenernoch ber dieses, die hnlichkeit seinererdichteten Geschichte mit demgegenwrtigen wirklichen Vorfallefalich machen, und zeigen mute, daaus beiden, so wohl aus der erdichtetenGeschichte als dem wirklichen Vorfalle,sich eben dieselbe Wahrheit bereitsergebe, oder gewi ergeben werde.

    Und hieraus entspringt dieEinteilung in einfache undzusammengesetzte Fabeln.

    Einfach ist die Fabel, wenn ich ausder erdichteten Begebenheit derselben,blo irgend eine allgemeine Wahrheit

  • folgern lasse. Man machte der Lwinden Vorwurf, da sie nur ein Junges zurWelt brchte. Ja, sprach sie, nur eines;aber einen Lwen1. Die Wahrheit,welche in dieser Fabel liegt, , ' ,leuchtet sogleich in die Augen; und dieFabel ist einfach, wenn ich es bei demAusdrucke dieses allgemeinen Satzesbewenden lasse.

    Zusammengesetzt hingegen ist dieFabel, wenn die Wahrheit, die sie unsanschauend zu erkennen gibt, auf einenwirklich geschehenen, oder doch, alswirklich geschehen, angenommenen Fall,weiter angewendet wird. Ich mache,sprach ein hhnischer Reimer zu dem

  • Dichter, in einem Jahre siebenTrauerspiele; aber du? In sieben Jahreneines! Recht; nur eines! versetzte derDichter; aber eine Athalie! Manmache dieses zur Anwendung dervorigen Fabel, und die Fabel wirdzusammengesetzt. Denn sie bestehtnunmehr gleichsam aus zwei Fabeln, auszwei einzeln Fllen, in welchen beidenich die Wahrheit eben desselbenLehrsatzes besttiget finde.

    Diese Einteilung aber kaumbrauche ich es zu erinnern beruhetnicht auf einer wesentlichenVerschiedenheit der Fabeln selbst;sondern blo auf der verschiedenenBearbeitung derselben. Und aus dem

  • Exempel schon hat man es ersehen, daeben dieselbe Fabel bald einfach, baldzusammengesetzt sein kann. Bei demPhdrus ist die Fabel von demkreienden Berge, eine einfache Fabel.

    Hoc scriptum est tibi,Qui magna cum minaris, extricas nihil.

    Ein jeder, ohne Unterschied, der groeund frchterliche Anstalten einerNichtswrdigkeit wegen macht; der sehrweit ausholt, um einen sehr kleinenSprung zu tun; jeder Prahler, jedervielversprechende Tor, von allenmglichen Arten, siehet hier sein Bild!Bei unserm Hagedorn aber, wird eben

  • die selbe Fabel zu einerzusammengesetzten Fabel, indem ereinen gebrenden schlechten Poeten zudem besondern Gegenbilde deskreienden Berges macht. Ihr Gtter rettet! Menschen flieht!Ein schwangrer Berg beginnt zu kreien,Und wird itzt, eh man sichs versieht,Mit Sand und Schollen um sichschmeien etc. Suffenus schwitzt und lrmt und schumt:Nichts kann den hohen Eifer zhmen;Er stampft, er knirscht; warum? er reimt,Und will itzt den Homer beschmen etc.

  • Allein gebt Acht, was kmmt heraus?Hier ein Sonett, dort eine Maus. Diese Einteilung also, von welcher dieLehrbcher der Dichtkunst ein tiefesStillschweigen beobachten, ohngeachtetihres mannichfaltigen Nutzens in derrichtigern Bestimmung verschiedenerRegeln: diese Einteilung, sage ich,vorausgesetzt, will ich mich auf denWeg machen. Es ist kein unbetretenerWeg. Ich sehe eine Menge Futapfen vormir, die ich zum Teil untersuchen mu,wenn ich berall sichere Tritte zu tungedenke. Und in dieser Absicht will ichsogleich die vornehmsten Erklrungenprfen, welche meine Vorgnger von der

  • Fabel gegeben haben.

    De la Motte

    Dieser Mann, welcher nicht sowohl eingroes poetisches Genie, als ein guter,aufgeklrter Kopf war, der sich anmancherlei wagen, und berallertrglich zu bleiben hoffen durfte,erklrt die Fabel durch eine unter dieAllegorie einer Handlung versteckteLehre.2

    Als sich der Sohn des stolzen

  • Tarquinius bei den Gabiern nunmehr festgesetzt hatte, schickte er heimlich einenBoten an seinen Vater, und lie ihnfragen, was er weiter tun solle? DerKnig, als der Bote zu ihm kam, befandsich eben auf dem Felde, hub seinenStab auf, schlug den hchstenMahnstngeln die Hupter ab, undsprach zu dem Boten: Geh, und erzhlemeinem Sohne, was ich itzt getan habe!Der Sohn verstand den stummen Befehldes Vaters, und lie die Vornehmstender Gabier hinrichten.3 Hier ist eineallegorische Handlung; hier ist eineunter die Allegorie dieser Handlungversteckte Lehre aber ist hier eineFabel? Kann man sagen, da Tarquinius

  • seine Meinung dem Sohne durch eineFabel habe wissen lassen? Gewi nicht!

    Jener Vater, der seinen uneinigenShnen die Vorteile der Eintracht aneinem Bndel Ruten zeigte, das sichnicht anders als stckweise zerbrechenlasse, machte der eine Fabel?4

    Aber wenn eben derselbe Vaterseinen uneinigen Shnen erzhlt htte,wie glcklich drei Stiere, so lange sieeinig waren, den Lwen von sichabhielten, und wie bald sie des LwenRaub wurden, als Zwietracht unter siekam, und jeder sich seine eigene Weidesuchtet:5 alsdenn htte doch der Vaterseinen Shnen ihr Bestes in einer Fabelgezeigt? Die Sache ist klar.

  • Folglich ist es eben so klar, da dieFabel nicht blo eine allegorischeHandlung, sondern die Erzhlung einersolchen Handlung sein kann. Und diesesist das erste, was ich wider dieErklrung des de la Motte zu erinnernhabe.

    Aber was will er mit seinerAllegorie? Ein so fremdes Wort,womit nur wenige einen bestimmtenBegriff verbinden, sollte berhaupt auseiner guten Erklrung verbannt sein. Und wie, wenn es hier gar nicht einmalan seiner Stelle stnde? Wenn es nichtwahr wre, da die Handlung der Fabelan sich selbst allegorisch sei? Und wennsie es hchstens unter gewissen

  • Umstnden nur werden knnte?Quintilian lehret: , quam

    Inversionem interpretamur, aliud verbis,aliud sensu ostendit, ac etiam interimcontrarium.6 Die Allegorie sagt dasnicht, was sie nach den Worten zu sagenscheinet, sondern etwas anders. Dieneuern Lehrer der Rhetorik erinnern, dadieses etwas andere auf etwas andereshnliches einzuschrnken sei, weil sonstauch jede Ironie eine Allegorie seinwrde.7 Die letztern Worte desQuintilians, ac etiam interim contrarium,sind ihnen hierin zwar offenbar zuwider;aber es mag sein.

    Die Allegorie sagt also nicht, wassie den Worten nach zu sagen scheinet,

  • sondern etwas hnliches. Und dieHandlung der Fabel, wenn sieallegorisch sein soll, mu das auch nichtsagen, was sie zu sagen scheinet,sondern nur etwas hnliches?

    Wir wollen sehen! DerSchwchere wird gemeiniglich einRaub des Mchtigern. Das ist einallgemeiner Satz, bei welchem ich mireine Reihe von Dingen gedenke, dereneines immer strker ist als das andere;die sich also, nach der Folge ihrerverschiednen Strke, unter einanderaufreiben knnen. Eine Reihe vonDingen ! Wer wird lange und gern denden Begriff eines Dinges denken, ohneauf dieses oder jenes besondere Ding zu

  • fallen, dessen Eigenschaften ihm eindeutliches Bild gewhren? Ich will alsoauch hier, anstatt dieser Reihe vonunbestimmten Dingen, eine Reihebestimmter, wirklicher Dinge annehmen.Ich knnte mir in der Geschichte eineReihe von Staaten oder Knigen suchen;aber wie viele sind in der Geschichte sobewandert, da sie, so bald ich meineStaaten oder Knige nur nennte, sich derVerhltnisse, in welchen sie gegeneinander an Gre und Macht gestanden,erinnern knnten? Ich wrde meinen Satznur wenigen falicher gemacht haben;und ich mchte ihn gern allen so falich,als mglich, machen. Ich falle auf dieTiere; und warum sollte ich nicht eine

  • Reihe von Tieren whlen drfen;besonders wenn es allgemein bekannteTiere wren? Ein Auerhahn einMarder ein Fuchs ein Wolf Wirkennen diese Tiere; wir drfen sie nurnennen hren, um sogleich zu wissen,welches das strkere oder dasschwchere ist. Nunmehr heit meinSatz: der Marder frit den Auerhahn; derFuchs den Marder; den Fuchs der Wolf.Er frit? Er frit vielleicht auch nicht.Das ist mir noch nicht gewi genug. Ichsage also: er fra. Und siehe, mein Satzist zur Fabel geworden! Ein Marder fra den Auerhahn;Den Marder wrgt ein Fuchs; den Fuchs

  • des Wolfes Zahn.8 Was kann ich nun sagen, da in dieserFabel fr eine Allegorie liege? DerAuerhahn, der Schwchste; der Marder,der Schwache; der Fuchs, der Starke;der Wolf der Strkste. Was hat derAuerhahn mit dem Schwchsten, derMarder mit dem Schwachen, u.s.w. hierhnliches? hnliches! Gleichet hierblo der Fuchs dem Starken, und derWolf dem Strksten; oder ist jener hierder Starke, so wie dieser der Strkste?Er ist es. Kurz; es heit die Worte aufeine kindische Art mibrauchen, wennman sagt, da das Besondere mit seinemAllgemeinen, das Einzelne mit seiner

  • Art, die Art mit ihrem Geschlechte einehnlichkeit habe. Ist dieser Windhund,einem Windhunde berhaupt, und einWindhund berhaupt, einem Hundehnlich? Eine lcherliche Frage! Findet sich nun aber unter denbestimmten Subjekten der Fabel, undden allgemeinen Subjekten ihres Satzeskeine hnlichkeit, so kann auch keineAllegorie unter ihnen Statt haben. Unddas Nmliche lt sich auf die nmlicheArt von den beiderseitigen Prdikatenerweisen.

    Vielleicht aber meinet jemand, dadie Allegorie hier nicht auf derhnlichkeit zwischen den bestimmtenSubjekten oder Prdikaten der Fabel und

  • den allgemeinen Subjekten oderPrdikaten des Satzes, sondern auf derhnlichkeit der Arten, wie ichebendieselbe Wahrheit, itzt durch dieBilder der Fabel, und itzt vermittelst derWorte des Satzes erkenne, beruhe. Dochdas ist so viel, als nichts. Denn kmehier die Art der Erkenntnis inBetrachtung, und wollte man blo wegender anschauenden Erkenntnis, die ichvermittelst der Handlung der Fabel vondieser oder jener Wahrheit erhalte, dieHandlung allegorisch nennen: so wrdein allen Fabeln ebendieselbe Allegoriesein, welches doch niemand sagen will,der mit diesem Worte nur einigenBegriff verbindet.

  • Ich befrchte, da ich von einer soklaren Sache viel zu viel Worte mache.Ich fasse daher alles zusammen undsage: die Fabel, als eine einfache Fabel,kann unmglich allegorisch sein.

    Man erinnere sich aber meinerobigen Anmerkung, nach welcher einejede einfache Fabel auch einezusammengesetzte werden kann. Wiewann sie alsdenn allegorisch wrde?Und so ist es. Denn in derzusammengesetzten Fabel wird einBesonderes gegen das andre gehalten;zwischen zwei oder mehr Besondern,die unter eben demselben Allgemeinenbegriffen sind, ist die hnlichkeitunwidersprechlich, und die Allegorie

  • kann folglich Statt finden. Nur mu mannicht sagen, da die Allegorie zwischender Fabel und dem moralischen Satzesich befinde. Sie befindet sich zwischender Fabel und dem wirklichen Falle, derzu der Fabel Gelegenheit gegeben hat, inso fern sich aus beiden ebendieselbeWahrheit ergibt. Die bekannte Fabelvom Pferde, das sich von dem Manneden Zaum anlegen lie, und ihn aufseinen Rcken nahm, damit er ihm nur inseiner Rache, die es an dem Hirschenehmen wollte, behlflich wre: dieseFabel sage ich, ist so fern nichtallegorisch, als ich mit dem Phdrus9blo die allgemeine Wahrheit darausziehe:

  • Impune potius laedi, quam dedi alteri. Bei der Gelegenheit nur, bei welcher sieihr Erfinder Stesichorus erzhlte, wardsie es. Er erzhlte sie nmlich, als dieHimerenser den Phalaris zum oberstenBefehlshaber ihrer Kriegsvlkergemacht hatten, und ihm noch dazu eineLeibwache geben wollten. O ihrHimerenser, rief er, die ihr so festentschlossen seid, euch an euren Feindenzu rchen; nehmet euch wohl in Acht,oder es wird euch wie diesem Pferdeergehen! Den Zaum habt ihr euch bereitsanlegen lassen, indem ihr den Phalariszu eurem Heerfhrer mit unumschrnkter

  • Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gareine Leibwache geben, wollt ihr ihnaufsitzen lassen, so ist es vollends umeure Freiheit getan.10 Alles wird hierallegorisch! Aber einzig und alleindadurch, da das Pferd, hier nicht aufjeden Beleidigten, sondern auf diebeleidigten Himerenser; der Hirschnicht auf jeden Beleidiger, sondern aufdie Feinde der Himerenser; der Mannnicht auf jeden listigen Unterdrcker,sondern auf den Phalaris; die Anlegungdes Zaums nicht auf jeden ersten Eingriffin die Rechte der Freiheit, sondern aufdie Ernennung des Phalaris zumunumschrnkten Heerfhrer; und dasAufsitzen endlich, nicht auf jeden letzten

  • tdlichen Sto, welcher der Freiheitbeigebracht wird, sondern auf die demPhalaris zu bewilligende Leibwache,gezogen und angewandt wird.

    Was folgt nun aus alle dem?Dieses: da die Fabel nur alsdennallegorisch wird, wenn ich demerdichteten einzeln Falle, den sie enthlt,einen andern hnlichen Fall, der sichwirklich zugetragen hat, entgegen stelle;da sie es nicht an und fr sich selbst ist,in so fern sie eine allgemeine moralischeLehre enthlt: so gehret das WortAllegorie gar nicht in die Erklrungderselben. Dieses ist das zweite, wasich gegen die Erklrung des de la Mottezu erinnern habe.

  • Und man glaube ja nicht, da ich esblo als ein miges, berflssigesWort daraus verdrngen will. Es ist hier,wo es steht, ein hchst schdlichesWort, dem wir vielleicht eine Mengeschlechter Fabeln zu danken haben. Manbegnge sich nur, die Fabel, in Ansehungdes allgemeinen Lehrsatzes, bloallegorisch zu machen; und man kannsicher glauben, eine schlechte Fabelgemacht zu haben. Ist aber eine schlechteFabel eine Fabel? Ein Exempel wirddie Sache in ihr vlliges Licht setzen.Ich whle ein altes, um ohne MigunstRecht haben zu knnen. Die Fabelnmlich von dem Mann und dem Satyr.Der Mann blset in seine kalte Hand,

  • um seine Hand zu wrmen; und blset inseinen heien Brei, um seinen Brei zukhlen. Was? sagt der Satyr; du blsestaus einem Munde Warm und Kalt? Geh,mit dir mag ich nichts zu tun haben!11 Diese Fabel soll lehren, , ; die Freundschaft allerZweizngler, aller Doppelleute, allerFalschen zu fliehen. Lehrt sie das? Ichbin nicht der erste der es leugnet, unddie Fabel fr schlecht ausgibt. Richer12sagt, sie sndige wider die Richtigkeitder Allegorie; ihre Moral sei weiternichts als eine Anspielung, und grndesich auf eine bloe Zweideutigkeit.Richer hat richtig empfunden, aber seine

  • Empfindung falsch ausgedrckt. DerFehler liegt nicht sowohl darin, da dieAllegorie nicht richtig genug ist, sonderndarin, da es weiter nichts als eineAllegorie ist. Anstatt da die Handlungdes Mannes, die dem Satyr so anstigscheinet, unter dem allgemeinenSubjekte des Lehrsatzes wirklichbegriffen sein sollte, ist sie ihm blohnlich. Der Mann sollte sich eineswirklichen Widerspruchs schuldigmachen; und der Widerspruch ist nuranscheinend. Die Lehre warnet uns vorLeuten, die von ebenderselben Sache jaund nein sagen, die ebendasselbe Dingloben und tadeln: und die Fabel zeigetuns einen Mann, der seinen Atem gegen

  • verschiedene Dinge verschiedenbraucht; der auf ganz etwas anders itztseinen Atem warm haucht, und auf ganzetwas anders ihn itzt kalt blset.

    Endlich, was lt sich nicht allesallegorisieren! Man nenne mir dasabgeschmackte Mrchen, in welches ichdurch die Allegorie nicht einenmoralischen Sinn sollte legen knnen! Die Mitknechte des Aesopus gelstetnach den trefflichen Feigen ihres Herrn.Sie essen sie auf, und als es zurNachfrage kmmt, soll es der gute sopgetan haben. Sich zu rechtfertigen, trinketsop in groer Menge laues Wasser;und seine Mitknechte mssen eingleiches tun. Das laue Wasser hat seine

  • Wirkung, und die Nscher sindentdeckt. Was lehrt uns diesesHistrchen? Eigentlich wohl weiternichts, als da laues Wasser, in groerMenge getrunken, zu einem Brechmittelwerde? Und doch machte jenerpersische Dichter13 einen weit edlernGebrauch davon. Wenn man euch,spricht er, an jenem groen Tage desGerichts, von diesem warmen undsiedenden Wasser wird zu trinkengeben: alsdenn wird alles an den Tagkommen, was ihr mit so vieler Sorgfaltvor den Augen der Welt verborgengehalten; und der Heuchler, den hierseine Verstellung zu einem ehrwrdigenManne gemacht hatte, wird mit Schande

  • und Verwirrung berhuft dastehen! Vortrefflich!

    Ich habe nun noch eine Kleinigkeitan der Erklrung des de la Motteauszusetzen. Das Wort Lehre(instruction) ist zu unbestimmt undallgemein. Ist jeder Zug aus derMythologie, der auf eine physischeWahrheit anspielet, oder in den eintiefsinniger Baco wohl gar einetranszendentalische Lehre zu legenwei, eine Fabel? Oder wenn derseltsame Holberg erzhlet: Die Mutterdes Teufels bergab ihm einsmals vierZiegen, um sie in ihrer Abwesenheit zubewachen. Aber diese machten ihm soviel zu tun, da er sie mit aller seiner

  • Kunst und Geschicklichkeit nicht in derZucht halten konnte. Diesfalls sagte er zuseiner Mutter nach ihrer Zurckkunft:Liebe Mutter, hier sind Eure Ziegen! Ichwill lieber eine ganze Compagnie Reuterbewachen, als eine einzige Ziege. HatHolberg eine Fabel erzhlet?Wenigstens ist eine Lehre in diesemDinge. Denn er setzet selbst mitausdrcklichen Worten dazu: DieseFabel zeiget, da keine Kreatur wenigerin der Zucht zu halten ist, als eineZiege.14 Eine wichtige Wahrheit!Niemand hat die Fabel schndlichergemihandelt, als dieser Holberg! Undes mihandelt sie jeder, der eine andereals moralische Lehre darin vorzutragen,

  • sich einfallen lt.

    Richer

    Richer ist ein andrer franzsischerFabulist, der ein wenig besser erzhletals de la Motte, in Ansehung derErfindung aber, weit unter ihm stehet.Auch dieser hat uns seine Gedankenber diese Dichtungsart nichtvorenthalten wollen, und erklrt dieFabel durch ein kleines Gedicht, dasirgend eine unter einem allegorischenBilde versteckte Regel enthalte15.

    Richer hat die Erklrung des de la

  • Motte offenbar vor Augen gehabt. Undvielleicht hat er sie gar verbessernwollen. Aber das ist ihm sehr schlechtgelungen.

    Ein kleines Gedicht? (Poeme) Wenn Richer das Wesen eines Gedichtsin die bloe Fiktion setzet: so bin ich eszufrieden, da er die Fabel ein Gedichtnennet. Wenn er aber auch die poetischeSprache und ein gewisses Sylbenma,als notwendige Eigenschaften einesGedichtes betrachtet: so kann ich seinerMeinung nicht sein. Ich werde michweiter unten hierber ausfhrlichererklren.

    Eine Regel? (Precepte) DiesesWort ist nichts bestimmter, als das Wort

  • Lehre des de la Motte. Alle Knste, alleWissenschaften haben Regeln, habenVorschriften. Die Fabel aber steheteinzig und allein der Moral zu. Voneiner andern Seite hingegen betrachtet,ist Regel oder Vorschrift hier so garnoch schlechter als Lehre; weil manunter Regel und Vorschrift eigentlich nursolche Stze verstehet, die unmittelbarauf die Bestimmung unsers Tuns undLassens gehen. Von dieser Art aber sindnicht alle moralische Lehrstze derFabel. Ein groer Teil derselben sindErfahrungsstze, die uns nicht sowohlvon dem, was geschehen sollte, alsvielmehr von dem, was wirklichgeschiehet, unterrichten. Ist die Sentenz:

  • In principatu commutando civiumNil praeter domini nomen mutantpauperes; eine Regel, eine Vorschrift? Undgleichwohl ist sie das Resultat einer vonden schnsten Fabeln des Phdrus.16 Esist zwar wahr, aus jedem solchenErfahrungssatze knnen leichteigentliche Vorschriften und Regelngezogen werden. Aber was in demfruchtbaren Satze liegt, das liegt nichtdarum auch in der Fabel. Und was mtedas fr eine Fabel sein, in welcher ichden Satz mit allen seinen Folgerungenauf einmal, anschauend erkennen sollte?

  • Unter einem allegorischen Bilde? ber das Allegorische habe ich michbereits erklret. Aber Bild! (Image)Unmglich kann Richer dieses Wort mitBedacht gewhlt haben. Hat er esvielleicht nur ergriffen, um von de laMotte lieber auf Geratewohl abzugehen,als nach ihm Recht zu haben? Ein Bildheit berhaupt jede sinnlicheVorstellung eines Dinges nach einereinzigen ihm zukommendenVernderung. Es zeigt mir nicht mehrere,oder gar alle mgliche Vernderungen,deren das Ding fhig ist, sondern alleindie, in der es sich in einem undebendemselben Augenblicke befindet. Ineinem Bilde kann ich zwar also wohl

  • eine moralische Wahrheit erkennen, aberes ist darum noch keine Fabel. Dermitten im Wasser drstende Tantalus istein Bild, und ein Bild, das mir dieMglichkeit zeiget, man knne auch beidem grten berflusse darben. Aber istdieses Bild deswegen eine Fabel? Soauch folgendes kleine Gedicht: Cursu veloci pendens in novacula,Calvus, comosa fronte, nudo corpore,Quem si occuparis, teneas; elapsumsemelNon ipse possit Jupiter reprehendere;Occasionem rerum significat brevem.Effectus impediret ne segnis mora,Finxere antiqui talem effigiem temporis.

  • Wer wird diese Zeilen fr eine Fabelerkennen, ob sie schon Phdrus als einesolche unter seinen Fabeln mitunterlaufen lt?17 Ein jedes Gleichnis,ein jedes Emblema wrde eine Fabelsein, wenn sie nicht eineMannigfaltigkeit von Bildern, und zwarzu Einem Zwecke bereinstimmendenBildern; wenn sie, mit einem Worte,nicht das notwendig erforderte, was wirdurch das Wort Handlung ausdrcken.

    Eine Handlung nenne ich, eineFolge von Vernderungen, diezusammen Ein Ganzes ausmachen.

    Diese Einheit des Ganzen beruhetauf der bereinstimmung aller Teile zu

  • einem Endzwecke.Der Endzweck der Fabel, das,

    wofr die Fabel erfunden wird, ist dermoralische Lehrsatz.

    Folglich hat die Fabel eineHandlung, wenn das, was sie erzhlt,eine Folge von Vernderungen ist, undjede dieser Vernderungen etwas dazubeitrgt, die einzeln Begriffe, auswelchen der moralische Lehrsatzbestehet, anschauend erkennen zu lassen.

    Was die Fabel erzhlt, mu eineFolge von Vernderungen sein. EineVernderung, oder auch mehrereVernderungen, die nur neben einanderbestehen, und nicht auf einander folgen,wollen zur Fabel nicht zureichen. Und

  • ich kann es fr eine untriegliche Probeausgeben, da eine Fabel schlecht ist,da sie den Namen der Fabel gar nichtverdienet, wenn ihre vermeinteHandlung sich ganz malen lt. Sieenthlt alsdenn ein bloes Bild, und derMaler hat keine Fabel, sondern einEmblema gemalt. Ein Fischer, indemer sein Netz aus dem Meere zog, bliebder grern Fische, die sich daringefangen hatten, zwar habhaft, diekleinsten aber schlupften durch das Netzdurch, und gelangten glcklich wiederins Wasser. Diese Erzhlung befindetsich unter den sopischen Fabeln,18 abersie ist keine Fabel; wenigstens eine sehrmittelmige. Sie hat keine Handlung,

  • sie enthlt ein bloes einzelnes Faktum,das sich ganz malen lt; und wenn ichdieses einzelne Faktum, diesesZurckbleiben der grern und diesesDurchschlupfen der kleinen Fische, auchmit noch so viel andern Umstndenerweiterte, so wrde doch in ihm allein,und nicht in den andern Umstndenzugleich mit, der moralische Lehrsatzliegen.

    Doch nicht genug, da das, was dieFabel erzhlt, eine Folge vonVernderungen ist; alle dieseVernderungen mssen zusammen nureinen einzigen anschauenden Begriff inmir erwecken. Erwecken sie derenmehrere, liegt mehr als ein moralischer

  • Lehrsatz in der vermeinten Fabel, sofehlt der Handlung ihre Einheit, so fehltihr das, was sie eigentlich zur Handlungmacht, und kann, richtig zu sprechen,keine Handlung, sondern mu eineBegebenheit heien. Ein Exempel: Lucernam fur accendit ex ara Jovis,Ipsumque compilavit ad lumen suum;Onustus qui sacrilegio cum discederet,Repente vocem sancta misit Religio:Malorum quamvis ista fuerint munera,Mihique invisa, ut non offendar subripi;Tamen, sceleste, spiritu culpam lues,Olim cum adscriptus venerit poenaedies.Sed ne ignis noster facinori praeluceat,

  • Per quem verendos excolit pietas Deos,Veto esse tale luminis commercium.Ita hodie, nec lucernam de flamma DemNec de lucerna fas est accendi sacrum. Was hat man hier gelesen? EinHistrchen; aber keine Fabel. EinHistrchen trgt sich zu; eine Fabel wirderdichtet. Von der Fabel also mu sichein Grund an geben lassen, warum sieerdichtet worden; da ich den Grund,warum sich jenes zugetragen, weder zuwissen noch anzugeben gehalten bin.Was wre nun der Grund, warum dieseFabel erdichtet worden, wenn es anderseine Fabel wre? Recht billig zuurteilen, knnte es kein andrer als dieser

  • sein: der Dichter habe einenwahrscheinlichen Anla zu demdoppelten Verbote, weder von demheiligen Feuer ein gemeines Licht,noch von einem gemeinen Lichte dasheilige Feuer anzuznden, erzhlenwollen. Aber wre das eine moralischeAbsicht, dergleichen der Fabulist dochnotwendig haben soll? Zur Not knntezwar dieses einzelne Verbot zu einemBilde des allgemeinen Verbots dienen,da das Heilige mit dem Unheiligen,das Gute mit dem Bsen in keinerGemeinschaft stehen soll. Aber wastragen alsdenn die brigen Teile derErzhlung zu diesem Bilde bei? Zudiesem gar nichts; sondern ein jeder ist

  • vielmehr das Bild, der einzelne Falleiner ganz andern allgemeinen Wahrheit.Der Dichter hat es selbst empfunden, undhat sich aus der Verlegenheit, welcheLehre er allein daraus ziehen solle, nichtbesser zu reien gewut, als wenn erderen so viele daraus zge, als sich nurimmer ziehen lieen. Denn er schliet: Quot res contineat hoc argumentumutiles,Non explicabit alius, quam qui repperit.Significat primo, saepe, quos ipsealueris,Tibi inveniri maxime contrarios.Secundo ostendit, scelera non ira Dem,Fatorum dicto sed puniri tempore.

  • Novissime interdicit, ne cum maleficoUsum bonus consociet ullius rei. Eine elende Fabel, wenn niemand andersals ihr Erfinder es erklren kann, wieviel ntzliche Dinge sie enthalte! Wirhtten an einem genug! Kaum sollteman es glauben, da einer von denAlten, einer von diesen groen Meisternin der Einfalt ihrer Plane, uns diesesHistrchen fr eine Fabel19 verkaufenknnen.

    Breitinger

  • Ich wrde von diesem groenKunstrichter nur wenig gelernt haben,wenn er in meinen Gedanken nochberall Recht htte. Er gibt uns abereine doppelte Erklrung von der Fabel.20Die eine hat er von dem de la Motteentlehnet; und die andere ist ihm ganzeigen.

    Nach jener versteht er unter derFabel eine unter der wohlgeratenenAllegorie einer hnlichen Handlungverkleidete Lehre und Unterweisung. Der klare, bersetzte de la Motte! Undder ein wenig gewsserte: knnte mannoch dazusetzen. Denn was sollen dieBeiwrter: wohlgeratene Allegorie;hnliche Handlung? Sie sind hchst

  • berflssig.Doch ich habe eine andere

    wichtigere Anmerkung auf ihn versparet.Richer sagt: die Lehre solle unter demallegorischen Bilde versteckt (cach)sein. Versteckt! welch einunschickliches Wort! In manchem Rtselsind Wahrheiten, in den PythagorischenDenksprchen sind moralische Lehrenversteckt; aber in keiner Fabel. DieKlarheit, die Lebhaftigkeit, mit welcherdie Lehre aus allen Teilen einer gutenFabel auf einmal hervor strahlet, httedurch ein ander Wort, als durch das ganzwidersprechende versteckt, ausgedrcktzu werden verdienet. Sein Vorgnger dela Motte hatte sich um ein gut Teil feiner

  • erklrt; er sagt doch nur, verkleidet(deguis). Aber auch verkleidet ist nochviel zu unrichtig, weil auch verkleidetden Nebenbegriff einer mhsamenErkennung mit sich fhret. Und es mugar keine Mhe kosten, die Lehre in derFabel zu erkennen; es mte vielmehr,wenn ich so reden darf, Mhe undZwang kosten, sie darin nicht zuerkennen. Aufs hchste wrde sichdieses verkleidet nur in Ansehung derzusammengesetzten Fabel entschuldigenlassen. In Ansehung der einfachen ist esdurchaus nicht zu dulden. Von zweihnlichen einzeln Fllen kann zwar einerdurch den andern ausgedrckt, einer inden andern verkleidet werden; aber wie

  • man das Allgemeine in das Besonderever kleiden knne, das begreife ich ganzund gar nicht. Wollte man mit allerGewalt ein hnliches Wort hierbrauchen, so mte es anstatt verkleidenwenigstens einkleiden heien.

    Von einem deutschen Kunstrichterhtte ich berhaupt dergleichenfigrliche Wrter in einer Erklrungnicht erwartet. Ein Breitinger htte esden schn vernnftelnden Franzosenberlassen sollen, sich damit aus demHandel zu wickeln; und ihm wrde essehr wohl angestanden haben, wenn eruns mit den trocknen Worten der Schulebelehrt htte, da die moralische Lehrein die Handlung weder versteckt noch

  • verkleidet, sondern durch sie deranschauenden Erkenntnis fhig gemachtwerde. Ihm wrde es erlaubt gewesensein, uns von der Natur dieser auch derrohesten Seele zukommenden Erkenntnis,von der mit ihr verknpften schnellenberzeugung, von ihrem darausentspringenden mchtigen Einflusse aufden Willen, das Ntige zu lehren. EineMaterie, die durch den ganzenspekulativischen Teil der Dichtkunst vondem grten Nutzen ist, und von unsermWeltweisen schon gnugsam erlutertwar!21 Was Breitinger aber damalsunterlassen, das ist mir, itzt nachzuholen,nicht mehr erlaubt. Die philosophischeSprache ist seit dem unter uns so bekannt

  • geworden, da ich mich der Wrteranschauen, anschauender Erkenntnis,gleich von Anfange als solcher Wrterohne Bedenken habe bedienen drfen,mit welchen nur wenige nicht einerleiBegriff verbinden.

    Ich kme zu der zweiten Erklrung,die uns Breitinger von der Fabel gibt.Doch ich bedenke, da ich diesebequemer an einem andern Orte werdeuntersuchen knnen. Ich verlasse ihnalso.

    Batteux

  • Batteux erklret die Fabel kurz wegdurch die Erzhlung einerallegorischen Handlung.22 Weil er eszum Wesen der Allegorie macht, da sieeine Lehre oder Wahrheit verberge, sohat er ohne Zweifel geglaubt, desmoralischen Satzes, der in der Fabelzum Grunde liegt, in ihrer Erklrung garnicht erwhnen zu drfen. Man siehetsogleich, was von meinen bisherigenAnmerkungen, auch wider dieseErklrung anzuwenden ist. Ich will michdaher nicht wiederholen, sondern blodie fernere Erklrung, welche Batteuxvon der Handlung gibt, untersuchen.

    Eine Handlung, sagt Batteux, isteine Unternehmung, die mit Wahl und

  • Absicht geschiehet. Die Handlungsetzet, auer dem Leben und derWirksamkeit, auch Wahl und Endzweckvoraus, und kmmt nur vernnftigenWesen zu.

    Wenn diese Erklrung ihreRichtigkeit hat, so mgen wir nur neunZehnteile von allen existierenden Fabelnausstreichen. Aesopus selbst wirdalsdann, deren kaum zwei oder dreigemacht haben, welche die Probe halten. Zwei Hhne kmpfen mit einander.Der Besiegte verkriecht sich. Der Siegerfliegt auf das Dach, schlgt stolz mit denFlgeln und krhet. Pltzlich schiet einAdler auf den Sieger herab, undzerfleischt ihn.23 Ich habe das allezeit

  • fr eine sehr glckliche Fabel gehalten;und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, dieHandlung. Denn wo ist hier eineUnternehmung, die mit Wahl und Absichtgeschhe? Der Hirsch betrachtet sichin einer spiegelnden Quelle; er schmtsich seiner drren Lufte; und freuet sichseines stolzen Geweihes. Aber nichtlange! Hinter ihm ertnet die Jagd; seinedrren Lufte bringen ihn glcklich insGehlze; da verstrickt ihn sein stolzesGeweih; er wird erreicht.24 Auch hiersehe ich keine Unternehmung, keineAbsicht. Die Jagd ist zwar eineUnternehmung, und der fliehende Hirschhat die Absicht sich zu retten; aber beideUmstnde gehren eigentlich nicht zur

  • Fabel, weil man sie, ohne Nachteilderselben, weglassen und verndernkann. Und dennoch fehlt es ihr nicht anHandlung. Denn die Handlung liegt indem falsch befundenen Urteile desHirsches. Der Hirsch urteilet falsch; undlernet gleich darauf aus der Erfahrung,da er falsch geurteilet habe. Hier istalso eine Folge von Vernderungen, dieeinen einzigen anschauenden Begriff inmir erwecken. Und das ist meine obigeErklrung der Handlung, von der ichglaube, da sie auf alle gute Fabelnpassen wird.

    Gibt es aber doch wohlKunstrichter, welche einen noch engern,und zwar so materiellen Begriff mit dem

  • Worte Handlung verbinden, da sienirgends Handlung sehen, als wo dieKrper so ttig sind, da sie einegewisse Vernderung des Raumeserfordern. Sie finden in keinemTrauerspiele Handlung, als wo derLiebhaber zu Fen fllt, die Prinzessinohnmchtig wird, die Helden sichbalgen; und in keiner Fabel, als wo derFuchs springt, der Wolf zerreiet, undder Frosch die Maus sich an das Beinbindet. Es hat ihnen nie beifallenwollen, da auch jeder innere Kampfvon Leidenschaften, jede Folge vonverschiedenen Gedanken, wo eine dieandere aufhebt, eine Handlung sei;vielleicht weil sie viel zu mechanisch

  • denken und fhlen, als da sie sichirgend einer Ttigkeit dabei bewutwren. Ernsthafter sie zu widerlegen,wrde eine unntze Mhe sein. Es istaber nur Schade, da sie sicheinigermaen mit dem Batteux schtzen,wenigstens behaupten knnen, ihreErklrung mit ihm aus einerlei Fabelnabstrahiert zu haben. Denn wirklich, aufwelche Fabel die Erklrung des Batteuxpasset, passet auch ihre, soabgeschmackt sie immer ist.

    Batteux, wie ich wohl daraufwetten wollte, hat bei seiner Erklrungnur die erste Fabel des Phdrus vorAugen gehabt; die er, mehr als einmal,une des plus belles et des plus celebres

  • de l'antiquit nennet. Es ist wahr, indieser ist die Handlung einUnternehmen, das mit Wahl und Absichtgeschiehet. Der Wolf nimmt sich vor,das Schaf zu zerreien, fauce improbaincitatus; er will es aber nicht so plumpzu, er will es mit einem Scheine desRechts tun, und also jurgii causamintulit. Ich spreche dieser Fabel ihrLob nicht ab; sie ist so vollkommen, alssie nur sein kann. Allein sie ist nichtdeswegen vollkommen, weil ihreHandlung ein Unternehmen ist, das mitWahl und Absicht geschiehet; sondernweil sie ihrer Moral, die von einemsolchen Unternehmen spricht, einvlliges Genge tut. Die Moral ist:25

  • , ' . Wer den Vorsatzhat, einen Unschuldigen zu unterdrcken,der wird es zwar ' zutun suchen; er wird einen scheinbarenVorwand whlen; aber sich imgeringsten nicht von sei nem einmalgefaten Entschlusse abbringen lassen,wenn sein Vorwand gleich vllig zuSchanden gemacht wird. Diese Moralredet von einem Vorsatze (dessein); sieredet von gewissen, vor andernvorzglich gewhlten Mitteln, diesenVorsatz zu vollfhren (choix): undfolglich mu auch in der Fabel etwassein, was diesem Vorsatze, diesengewhlten Mitteln entspricht; es mu in

  • der Fabel sich ein Unternehmen finden,das mit Wahl und Absicht geschiehet.Blo dadurch wird sie zu einervollkommenen Fabel; welches sie nichtsein wrde, wenn sie den geringsten Zugmehr oder weniger ent hielte, als denLehrsatz anschauend zu machen ntig ist.Bat teux bemerkt alle ihre kleinenSchnheiten des Ausdrucks und stelletsie von dieser Seite in ein sehrvorteilhaftes Licht; nur ihre wesentlicheVortrefflichkeit lt er unerrtert, undverleitet seine Leser sogar, sie zuverkennen. Er sagt nmlich, die Moraldie aus dieser Fabel fliee, sei: que leplus foible est souvent opprim par leplus fort. Wie seicht! Wie falsch! Wenn

  • sie weiter nichts als dieses lehren sollte,so htte wahrlich der Dichter die fictaecausae des Wolfs sehr vergebens, sehrfr die lange Weile erfunden; seineFabel sagte mehr, als er da mit httesagen wollen, und wre, mit einemWorte, schlecht.

    Ich will mich nicht in mehrereExempel zerstreuen. Man untersuche esnur selbst, und man wird durchgngigfinden, da es blo von derBeschaffenheit des Lehrsatzes abhngt,ob die Fabel eine solche Handlung, wiesie Batteux ohne Ausnahme fodert, habenmu oder entbehren kann. Der Lehrsatzder itzt erwhnten Fabel des Phdrus,machte sie, wie wir gesehen, notwendig;

  • aber tun es deswegen alle Lehrstze?Sind alle Lehrstze von dieser Art?Oder haben allein die, welche es sind,das Recht, in eine Fabel eingekleidet zuwerdern? Ist z.E. der Erfahrungssatz: Laudatis utiliora quae contemserisSaepe inveniri nicht wert, in einem einzeln Falle,welcher die Stelle einer Demonstrationvertreten kann, erkannt zu werden? Undwenn er es ist, was fr ein Unternehmen,was fr eine Absicht, was fr eine Wahlliegt darin, welche der Dichter auch inder Fabel auszudrcken gehalten wre?

    So viel ist wahr: wenn aus einem

  • Erfahrungssatze unmittelbar einePflicht, etwas zu tun oder zu lassen,folget; so tut der Dichter besser, wenn erdie Pflicht, als wenn er den bloenErfahrungssatz in seiner Fabelausdrckt. Gro sein, ist nicht immerein Glck Diesen Erfahrungssatz ineine schne Fabel zu bringen, mchtekaum mglich sein. Die obige Fabel vondem Fischer, welcher nur der grtenFische habhaft bleibet, indem diekleinern glcklich durch das Netzdurchschlupfen, ist, in mehr als einerBetrachtung, ein sehr milungenerVersuch. Aber wer heit auch demDichter, die Wahrheit von dieserschielenden und unfruchtbaren Seite

  • nehmen? Wenn gro sein nicht immer einGlck ist, so ist es oft ein Unglck; undwehe dem, der wider seinen Willen groward, den das Glck ohne sein Zutunerhob, um ihn ohne sein Verschuldendesto elender zu machen! Die groenFische muten gro werden; es standnicht bei ihnen, klein zu bleiben. Ichdanke dem Dichter fr kein Bild, inwelchem eben so viele ihr Unglck, alsihr Glck erkennen. Er soll niemandenmit seinen Umstnden unzufriedenmachen; und hier macht er doch, da esdie Groen mit den ihrigen sein mssen.Nicht das Gro Sein, sondern die eiteleBegierde gro zu werden (),sollte er uns als eine Quelle des

  • Unglcks zeigen. Und das tat jenerAlte,26 der die Fabel von den Musenund Wieseln erzhlte. Die Museglaubten, da sie nur deswegen in ihremKriege mit den Wieseln so unglcklichwren, weil sie keine Heerfhrer htten,und beschlossen dergleichen zu whlen.Wie rang nicht diese und jene ehrgeizigeMaus, es zu werden! Und wie teuer kamihr am Ende dieser Vorzug zu stehen!Die Eiteln banden sich Hrner auf, ut conspicuum in praelioHaberent signum, quod sequerenturmilites, und diese Hrner, als ihr Heer dennoch

  • wieder geschlagen ward, hinderten sie,sich in ihre engen Lcher zu retten, Haesere in portis, suntque capti abhostibusQuos immolatos victor avidis dentibusCapacis alvi mersit tartareo specu. Diese Fabel ist ungleich schner.Wodurch ist sie es aber andersgeworden, als dadurch, da der Dichterdie Moral bestimmter und fruchtbarerangenommen hat? Er hat das Bestrebennach einer eiteln Gre, und nicht dieGre berhaupt, zu seinemGegenstande gewhlet; und nur durchdieses Bestreben, durch diese eitle

  • Gre, ist natrlicher Weise auch inseine Fabel das Leben gekommen, dasuns so sehr in ihr gefllt.

    berhaupt hat Batteux dieHandlung der sopischen Fabel, mit derHandlung der Epopee und des Dramaviel zu sehr verwirrt. Die Handlung derbeiden letztern mu auer der Absicht,welche der Dichter damit verbindet,auch eine innere, ihr selbst zukommendeAbsicht haben. Die Handlung der ersternbraucht diese innere Absicht nicht, undsie ist vollkommen genug, wenn nur derDichter seine Absicht damit erreichet.Der heroische und dramatische Dichtermachen die Erregung der Leidenschaftenzu ihrem vornehmsten Endzwecke. Er

  • kann sie aber nicht anders erregen, alsdurch nachgeahmte Leidenschaften; undnachahmen kann er die Leidenschaftennicht anders, als wenn er ihnen gewisseZiele setzet, welchen sie sich zu nhern,oder von welchen sie sich zu entfernenstreben. Er mu also in die Handlungselbst Absichten legen, und dieseAbsichten unter eine Hauptabsicht so zubringen wissen, da verschiedeneLeidenschaften neben einander bestehenknnen. Der Fabuliste hingegen hat mitunsern Leidenschaften nichts zu tun,sondern allein mit unserer Erkenntnis. Erwill uns von irgend einer einzelnmoralischen Wahrheit lebendigberzeugen. Das ist seine Absicht, und

  • diese sucht er, nach Magebung derWahrheit, durch die sinnlicheVorstellung einer Handlung bald mit,bald ohne Absichten, zu erhalten. Sobald er sie erhalten hat, ist es ihm gleichviel, ob die von ihm erdichtete Handlungihre innere Endschaft erreicht hat, odernicht. Er lt seine Personen oft mittenauf dem Wege stehen, und denket imgeringsten nicht daran, unsererNeugierde ihretwegen ein Genge zu tun.Der Wolf beschuldiget den Fuchs einesDiebstahls. Der Fuchs leugnet die Tat.Der Affe soll Richter sein. Klger undBeklagter bringen ihre Grnde undGegengrnde vor. Endlich schreitet derAffe zum Urteil:27

  • Tu non videris perdidisse, quod petis;Te credo surripuisse, quod pulchrenegas. Die Fabel ist aus; denn in dem Urteil desAffen liegt die Moral, die der Fabulistzum Augenmerke gehabt hat. Ist aber dasUnternehmen aus, das uns der Anfangderselben verspricht? Man bringe dieseGeschichte in Gedanken auf diekomische Bhne, und man wird sogleichsehen, da sie durch einen sinnreichenEinfall abgeschnitten, aber nichtgeendigt ist. Der Zuschauer ist nichtzufrieden, wenn er voraus siehet, dadie Streitigkeit hinter der Szene wieder

  • von vorne angehen mu. Ein armergeplagter Greis ward unwillig, warfseine Last von dem Rcken, und rief denTod. Der Tod erscheinet. Der Greiserschrickt und fhlt betroffen, da elendleben doch besser als gar nicht leben ist.Nun, was soll ich? fragt der Tod. Ach,lieber Tod, mir meine Last wiederaufhelfen.28 Der Fabulist istglcklich, und zu unserm Vergngen anseinem Ziele. Aber auch die Geschichte?Wie ging es dem Greise? Lie ihn derTod leben, oder nahm er ihn mit? Umalle solche Fragen bekmmert sich derFabulist nicht; der dramatische Dichteraber mu ihnen vorbauen.

    Und so wird man hundert Beispiele

  • finden, da wir uns zu einer Handlungfr die Fabel mit weit wenigermbegngen, als zu einer Handlung fr dasHeldengedichte oder das Drama. Willman daher eine allgemeine Erklrungvon der Handlung geben, so kann manunmglich die Erklrung des Batteuxdafr brauchen, sondern mu sienotwendig so weitlufig machen, als iches oben getan habe. Aber derSprachgebrauch? wird man einwerfen.Ich gestehe es; dem Sprachgebrauchenach, heit gemeiniglich das eineHandlung, was einem gewissen Vorsatzezu Folge unternommen wird; demSprachgebrauche nach, mu dieserVorsatz ganz erreicht sein, wenn man

  • soll sagen knnen, da die Handlung zuEnde sei. Allein was folgt hieraus?Dieses: wem der Sprachgebrauch so garheilig ist, da er ihn auf keine Weise zuverletzen wagt, der enthalte sich desWortes Handlung, insofern es einewesentliche Eigenschaft der Fabelausdrcken soll, ganz und gar.

    Und, alles wohl berlegt, dem Ratewerde ich selbst folgen. Ich will nichtsagen, die moralische Lehre werde inder Fabel durch eine Handlungausgedrckt; sondern ich will lieber einWort von einem weitern Umfange suchenund sagen, der allgemeine Satz werdedurch die Fabel auf einen einzeln Fallzurckgefhret. Dieser einzelne Fall

  • wird allezeit das sein, was ich obenunter dem Worte Handlung verstandenhabe; das aber, was Batteux darunterverstehet, wird er nur dann und wannsein. Er wird allezeit eine Folge vonVernderungen sein, die durch dieAbsicht, die der Fabulist damitverbindet, zu einem Ganzen werden.Sind sie es auch auer dieser Absicht;desto besser! Eine Folge vonVernderungen da es aberVernderungen freier, moralischerWesen sein mssen, verstehet sich vonselbst. Denn sie sollen einen Fallausmachen, der unter einemAllgemeinen, das sich nur vonmoralischen Wesen sagen lt, mit

  • begriffen ist. Und darin hat Batteuxfreilich Recht, da das, was er dieHandlung der Fabel nennet, blovernnftigen Wesen zukomme. Nurkmmt es ihnen nicht deswegen zu, weiles ein Unternehmen mit Absicht ist,sondern weil es Freiheit voraussetzt.Denn die Freiheit handelt zwar allezeitaus Grnden, aber nicht allezeit ausAbsichten.

    Sind es meine Leser nun baldmde, mich nichts als widerlegen zuhren? Ich wenigstens bin es. De laMotte, Richer, Breitinger, Batteux, sindKunstrichter von allerlei Art;mittelmige, gute, vortreffliche. Man istin Gefahr sich auf dem Wege zur

  • Wahrheit zu verirren, wenn man sich umgar keine Vorgnger bekmmert; undman versumet sich ohne Not, wenn mansich um alle bekmmern will.

    Wie weit bin ich? Hui, da mirmeine Leser alles, was ich mir somhsam erstritten habe, von selbstgeschenkt htten! In der Fabel wirdnicht eine jede Wahrheit, sondern einallgemeiner moralischer Satz, nichtunter die Allegorie einer Handlung,sondern auf einen einzeln Fall, nichtversteckt oder verkleidet, sondern sozurckgefhret, da ich, nicht bloeinige hnlichkeiten mit demmoralischen Satze in ihm entdecke,sondern diesen ganz anschauend darin

  • erkenne.Und das ist das Wesen der Fabel?

    Das ist es, ganz erschpft? Ich wolltees gern meine Leser bereden, wenn iches nur erst selbst glaubte. Ich lese beidem Aristoteles:29 Eine obrigkeitlichePerson durch das Los ernennen, ist ebenals wenn ein Schiffsherr, der einenSteuermann braucht, es auf das Losankommen liee, welcher von seinenMatrosen es sein sollte, anstatt da erden allergeschicktesten dazu unter ihnenmit Flei aussuchte. Hier sind zweibesondere Flle, die unter eineallgemeine moralische Wahrheitgehren. Der eine ist der sich eben itztuernde; der andere ist der erdichtete.

  • Ist dieser erdichtete, eine Fabel?Niemand wird ihn dafr gelten lassen. Aber wenn es bei dem Aristoteles sohiee: Ihr wollt euren Magistrat durchdas Los ernennen? Ich sorge, es wirdeuch gehen wie jenem Schiffsherrn, der,als es ihm an einem Steuermanne fehlteetc. Das verspricht doch eine Fabel?Und warum? Welche Vernderung istdamit vorgegangen? Man betrachte allesgenau, und man wird keine finden alsdiese: Dort ward der Schiffsherr durchein als wenn eingefhrt, er ward bloals mglich betrachtet; und hier hat erdie Wirklichkeit erhalten; es ist hier eingewisser, es ist jener Schiffsherr.

    Das trifft den Punkt! Der einzelne

  • Fall, aus welchem die: Fabel bestehet,mu als wirklich vorgestellet werden.Begnge ich mich an der Mglichkeitdesselben, so ist es ein Beispiel, eineParabel. Es verlohnt sich der Mhediesen wichtigen Unterschied, auswelchem man allein so vielzweideutigen Fabeln das Urteil sprechenmu, an einigen Exempeln zu zeigen. Unter den sopischen Fabeln desPlanudes lieset man auch folgendes:Der Biber ist ein vierfiges Tier, dasmeistens im Wasser wohnet, und dessenGeilen in der Medizin von groemNutzen sind. Wenn nun dieses Tier vonden Menschen verfolgt wird, und ihnennicht mehr entkommen kann; was tut es?

  • Es beit sich selbst die Geilen ab, undwirft sie seinen Verfolgern zu. Denn eswei gar wohl, da man ihm nurdieserwegen nachstellet, und es seinLeben und seine Freiheit wohlfeilernicht erkaufen kann.30 Ist das eineFabel? Es liegt wenigstens einevortreffliche Moral darin. Und dennochwird sich niemand bedenken, ihr denNamen einer Fabel abzusprechen. Nurber die Ursache, warum er ihrabzusprechen sei, werden sich vielleichtdie meisten bedenken, und uns dochendlich eine falsche angeben. Es istnichts als eine Naturgeschichte: wrdeman vielleicht mit dem Verfasser derKritischen Briefe31 sagen. Aber

  • gleichwohl, wrde ich mit eben diesemVerfasser antworten, handelt hier derBiber nicht aus bloem Instinkt, erhandelt aus freier Wahl und nach reiferberlegung; denn er wei es, warum erverfolgt wird ( ) Diese Erhebung des Instinktszur Vernunft, wenn ich ihm glauben soll,macht es ja eben, da eine Begegnis ausdem Reiche der Tiere zu einer Fabelwird. Warum wird sie es denn hiernicht? Ich sage: sie wird es deswegennicht, weil ihr die Wirklichkeit fehlet.Die Wirklichkeit kmmt nur demEinzeln, dem Individuo zu; und es ltsich keine Wirklichkeit ohne dieIndividualitt gedenken. Was also hier

  • von dem ganzen Geschlechte der Bibergesagt wird, htte mssen nur von einemeinzigen Biber gesagt werden; undalsdenn wre es eine Fabel geworden. Ein ander Exempel: Die Affen, sagtman, bringen zwei Junge zur Welt,wovon sie das eine sehr heftig liebenund mit aller mglichen Sorgfalt pflegen,das andere hingegen hassen undversumen. Durch ein sonderbaresGeschick aber geschieht es, da dieMutter das Geliebte unter hufigenLiebkosungen erdrckt, indem dasVerachtete glcklich aufwchset.32Auch dieses ist aus eben der Ursache,weil das, was nur von einem Individuogesagt werden sollte, von einer ganzen

  • Art gesagt wird, keine Fabel. Als daherLestrange eine Fabel daraus machenwollte, mute er ihm dieseAllgemeinheit nehmen, und dieIndividualitt dafr erteilen.33 Eineffin, erzhlt er, hatte zwei Junge; in daseine war sie nrrisch verliebt, an demandern aber war ihr sehr wenig gelegen.Einsmals berfiel sie ein pltzlicherSchrecken. Geschwind rafft sie ihrenLiebling auf, nimmt ihn in die Arme, eiltdavon, strzt aber, und schlgt mit ihmgegen einen Stein, da ihm das Gehirnaus dem zerschmetterten Schdel springt.Das andere Junge, um das sie sich imgeringsten nicht bekmmert hatte, warihr von selbst auf den Rcken

  • gesprungen, hatte sich an ihre Schulternangeklammert, und kam glcklichdavon. Hier ist alles bestimmt; undwar dort nur eine Parabel war, ist hierzur Fabel geworden. Das schon mehrals einmal angefhrte Beispiel von demFischer, hat den nmlichen Fehler; dennselten hat eine schlechte Fabel einenFehler allein. Der Fall ereignet sichallezeit, so oft das Netz gezogen wird,da die Fische welche kleiner sind, alsdie Gitter des Netzes, durchschlupfenund die grern hangen bleiben. Vorsich selbst ist dieser Fall also keinindividueller Fall, sondern htte esdurch andere mit ihm verbundeneNebenumstnde erst werden mssen.

  • Die Sache hat also ihre Richtigkeit:der besondere Fall, aus welchem dieFabel bestehet, mu als wirklichvorgestellt werden; er mu das sein, waswir in dem strengsten Verstande eineneinzeln Fall nennen. Aber warum? Wiesteht es um die philosophische Ursache?Warum begngt sich das Exempel derpraktischen Sittenlehre, wie man dieFabel nennen kann, nicht mit der bloenMglichkeit, mit der sich die Exempelandrer Wissenschaften begngen? Wieviel liee sich hiervon plaudern, wennich bei meinen Lesern gar keine richtigepsychologische Begriffe voraussetzenwollte. Ich habe mich oben schongeweigert, die Lehre von der

  • anschauenden Erkenntnis aus unsermWeltweisen abzuschreiben. Und ich willauch hier nicht mehr davon beibringen,als unumgnglich ntig ist, die Folgemeiner Gedanken zu zeigen.

    Die anschauende Erkenntnis ist vorsich selbst klar. Die symbolischeentlehnet ihre Klarheit von deranschauenden.

    Das Allgemeine existieret nur indem Besondern, und kann nur in demBesondern anschauend erkannt werden.

    Einem allgemeinen symbolischenSchlusse folglich alle die Klarheit zugeben, deren er fhig ist, das ist, ihn soviel als mglich zu erlutern; mssenwir ihn auf das Besondere reduzieren,

  • um ihn in diesem anschauend zuerkennen.

    Ein Besonderes, in so fern wir dasAllgemeine in ihm anschauend erkennen,heit ein Exempel.

    Die allgemeinen symbolischenSchlsse werden also durch Exempelerlutert. Alle Wissenschaften bestehenaus dergleichen symbolischenSchlssen; alle Wissenschaften bedrfendaher der Exempel.

    Doch die Sittenlehre mu mehr tun,als ihre allgemeinen Schlsse bloerlutern; und die Klarheit ist nicht dereinzige Vorzug der anschauendenErkenntnis.

    Weil wir durch diese einen Satz

  • geschwinder bersehen, und so in einerkrzern Zeit mehr Bewegungsgrnde inihm entdecken knnen, als wenn ersymbolisch ausgedrckt ist: so hat dieanschauende Erkenntnis auch einen weitgrern; Einflu in den Willen, als diesymbolische.

    Die Grade dieses Einflusses richtensich nach den Graden ihrerLebhaftigkeit; und die Grade ihrerLebhaftigkeit, nach den Graden dernhern und mehrern Bestimmungen, indie das Besondere gesetzt wird. Je nherdas Besondere bestimmt wird, je mehrsich darin unterscheiden lt, destogrer ist die Lebhaftigkeit deranschauenden Erkenntnis.

  • Die Mglichkeit ist eine Art desAllgemeinen; denn alles was mglichist, ist auf verschiedene Art mglich.

    Ein Besonderes also, blo alsmglich betrachtet, ist gewissermaennoch etwas Allgemeines, und hindert, alsdieses, die Lebhaftigkeit deranschauenden Erkenntnis.

    Folglich mu es als wirklichbetrachtet werden und die Individualitterhalten, unter der es allein wirklichsein kann, wenn die anschauendeErkenntnis den hchsten Grad ihrerLebhaftigkeit erreichen, und so mchtig,als mglich, auf den Willen wirken soll.

    Das Mehrere aber, das dieSittenlehre, auer der Erluterung, ihren

  • allgemeinen Schlssen schuldig ist,bestehet eben in dieser ihnen zuerteilenden Fhigkeit auf den Willen zuwirken, die sie durch die anschauendeErkenntnis in dem Wirklichen erhalten,da andere Wissenschaften, denen es umdie bloe Erluterung zu tun ist, sich miteiner geringern Lebhaftigkeit deranschauenden Erkenntnis, deren dasBesondere, als blo mglich betrachtet,fhig ist, begngen.

    Hier bin ich also! Die Fabelerfordert deswegen einen wirklichenFall, weil man in einem wirklichen Fallemehr Bewegungsgrnde und deutlicherunterscheiden kann, als in einemmglichen; weil das Wirkliche eine

  • lebhaftere berzeugung mit sich fhret,als das blo Mgliche.

    Aristoteles scheinet diese Kraft desWirklichen zwar gekannt zu haben; weiler sie aber aus einer unrechten Quelleherleitet, so konnte es nicht fehlen, ermute eine falsche Anwendung davonmachen. Es wird nicht undienlich sein,seine ganze Lehre von dem Exempel( ) hier zubersehen.34 Erst von seiner Einteilungdes Exempels: ' , sagt er, , , , . ' : :

  • . Die Einteilungberhaupt ist richtig; von einemKommentator aber wrde ich verlangen,da er uns den Grund von derUnterabteilung der erdichteten Exempelbeibrchte, und uns lehrte, warum esderen nur zweierlei Arten gbe, undmehrere nicht geben knne. Er wrdediesen Grund, wie ich es oben getanhabe, leicht aus den Beispielen selbstabstrahieren knnen, die Aristotelesdavon gibt. Die Parabel nmlich fhrt erdurch ein ein; und dieFabeln erzhlt er als etwas wirklichGeschehenes. Der Kommentator mtealso diese Stelle so umschreiben: DieExempel werden entweder aus der

  • Geschichte genommen, oder inErmangelung derselben erdichtet. Beijedem geschehenen Dinge lt sich dieinnere Mglichkeit von seinerWirklichkeit unterscheiden, obgleichnicht trennen, wenn es ein geschehenesDing bleiben soll. Die Kraft, die es alsein Exempel haben soll, liegt alsoentweder in seiner bloen Mglichkeit,oder zugleich in seiner Wirklichkeit.Soll sie blo in jener liegen, sobrauchen wir, in seiner Ermangelung,auch nur ein blo mgliches Ding zuerdichten; soll sie aber in dieser liegen,so mssen wir auch unsere Erdichtungvon der Mglichkeit zur Wirklichkeiterheben. In dem ersten Falle erdichten

  • wir eine Parabel, und in dem anderneine Fabel. (Was fr eine weitereEinteilung der Fabel hieraus folge, wirdsich in der dritten Abhandlung zeigen).

    Und so weit ist wider die Lehre desGriechen eigentlich nichts zu erinnern.Aber nunmehr kmmt er auf den Wertdieser verschiedenen Arten vonExempeln, und sagt: ' : , , , . , , . : ,

  • : , , .Ich will mich itzt nur an den letztenAusspruch dieser Stelle halten.Aristoteles sagt, die historischenExempel htten deswegen eine grereKraft zu berzeugen, als die Fabeln,weil das Vergangene gemeiniglich demZuknftigen hnlich sei. Und hierin,glaube ich, hat sich Aristoteles geirret.Von der Wirklichkeit eines Falles, denich nicht selbst erfahren habe, kann ichnicht anders als aus Grnden derWahrscheinlichkeit berzeugt werden.Ich glaube blo deswegen, da ein Dinggeschehen, und da es so und sogeschehen ist, weil es hchst

  • wahrscheinlich ist, und hchstunwahrscheinlich sein wrde, wenn esnicht, oder wenn es anders geschehenwre. Da also einzig und allein dieinnere Wahrscheinlichkeit mich dieehemalige Wirklichkeit eines Fallesglauben macht, und diese innereWahrscheinlichkeit sich eben so wohl ineinem erdichteten Falle finden kann: waskann die Wirklichkeit des erstern freine grere Kraft auf meineberzeugung haben, als die Wirklichkeitdes andern? Ja noch mehr. Da dashistorische Wahre nicht immer auchwahrscheinlich ist; da Aristoteles selbstdie Sentenz des Agatho billiget:

  • ' ' : : da er hier selbst sagt, da dasVergangene nur gemeiniglich ( ) dem Zuknftigen hnlich sei; derDichter aber die freie Gewalt hat, hierinvon der Natur abzugehen, und alles, waser fr wahr ausgibt, auch wahrscheinlichzu machen: so sollte ich meinen, wre eswohl klar, da den Fabeln, berhaupt zureden, in Ansehung derberzeugungskraft, der Vorzug vor denhistorischen Exempeln gebhre etc.

    Und nunmehr glaube ich meineMeinung von dem Wesen der Fabelgenugsam verbreitet zu haben. Ich fasse

  • daher alles zusammen und sage: Wennwir einen allgemeinen moralischenSatz auf einen besonderen Fallzurckfhren, diesem besondern Falledie Wirklichkeit: erteilen, und eineGeschichte daraus dichten, in welcherman den allgemeinen Satz anschauenderkennt: so heit diese Erdichtung eineFabel.

    Das ist meine Erklrung, und ichhoffe, da man sie, bei der Anwendung,eben so richtig als fruchtbar finden wird.

  • II.

    Von dem Gebrauche der Tiere in derFabel

    Der grte Teil der Fabeln hat Tiere,und wohl noch geringere Geschpfe, zuhandelnden Personen. Was ist hiervonzu halten? Ist es eine wesentlicheEigenschaft der Fabel, da die Tieredarin zu moralischen Wesen erhobenwerden? Ist es ein Handgriff, der demDichter die Erreichung seiner Absichtverkrzt und erleichtert? Ist es einGebrauch, der eigentlich keinenernstlichen Nutzen hat, den man aber, zu

  • Ehren des ersten Erfinders, beibehlt,weil er wenigstens schnakisch ist quod risum movet? Oder was ist es?

    Batteux hat diese Fragen entwedergar nicht vorausgesehen oder er warlistig genug, da er ihnen damit zuentkommen glaubte, wenn er denGebrauch der Tiere seiner Erklrungsogleich mit anflickte. Die Fabel, sagter, ist die Erzhlung einer allegorischenHandlung, die gemeiniglich den Tierenbeigelegt wird. Vollkommen laFranoise! Oder, wie der Hahn ber dieKohlen! Warum, mchten wir gernewissen, warum wird sie gemeiniglichden Tieren beigelegt? O, was einlangsamer Deutscher nicht alles fragt!

  • berhaupt ist unter allenKunstrichtern Breitinger der einzige, derdiesen Punkt berhrt hat. Er verdient esalso um so viel mehr, da wir ihn hren.Weil Aesopus, sagt er, die Fabel zumUnterrichte des gemeinen brgerlichenLebens angewendet, so waren seineLehren meistens ganz bekannte Stze undLebensregeln, und also mute er auch zuden allegorischen Vorstellungenderselben ganz gewohnte Handlungenund Beispiele aus dem gemeinen Lebender Menschen entlehnen: Da nun aberdie tglichen Geschfte und Handlungender Menschen nichts ungemeines odermerkwrdig reizendes an sich haben, somute man notwendig auf ein neues

  • Mittel bedacht sein, auch derallegorischen Erzhlung eine anzglicheKraft und ein reizendes Ansehenmitzuteilen, um ihr also dadurch einensichern Eingang in das menschliche Herzaufzuschlieen. Nachdem man nunwahrgenommen, da allein das Seltene,Neue und Wunderbare, eine solcheerweckende und angenehm entzckendeKraft auf das menschliche Gemt mitsich fhret, so war man bedacht, dieErzhlung durch die Neuheit undSeltsamkeit der Vorstellungenwunderbar zu machen, und also demKrper der Fabel eine ungemeine undreizende Schnheit beizulegen. DieErzhlung bestehet aus zween

  • wesentlichen Hauptumstnden, demUmstande der Person, und der Sacheoder Handlung; ohne diese kann keineErzhlung Platz haben. Also mu dasWunderbare, welches in der Erzhlungherrschen soll, sich entweder auf dieHandlung selbst, oder auf die Personen,denen selbige zugeschrieben wird,beziehen. Das Wunderbare, das in dentglichen Geschften und Handlungender Menschen vorkmmt, bestehetvornehmlich in dem Unvermuteten,sowohl in Absicht auf die Vermessenheitim Unterfangen, als die Bosheit oderTorheit im Ausfhren, zuweilen auch ineinem ganz unerwarteten Ausgange einerSache: weil aber dergleichen

  • wunderbare Handlungen in demgemeinen Leben der Menschen etwasungewohntes und seltenes sind; dahingegen die meisten gewhnlichenHandlungen gar nichts ungemeines odermerkwrdiges an sich haben; so sah mansich gemiget, damit die Erzhlung alsder Krper der Fabel, nicht verchtlichwrde, derselben durch die Vernderungund Verwandlung der Personen, einenangenehmen Schein des Wunderbarenmitzuteilen. Da nun die Menschen, beialler ihrer Verschiedenheit, dennochberhaupt betrachtet in einerwesentlichen Gleichheit undVerwandtschaft stehen, so besann mansich, Wesen von einer hhern Natur, die

  • man wirklich zu sein glaubte, als Gtterund Genios, oder solche die man durchdie Freiheit der Dichter zu Wesenerschuf, als die Tugenden, die Krfte derSeele, das Glck, die Gelegenheit etc. indie Erzhlung einzufhren; vornehmlichaber nahm man sich die Freiheit heraus,die Tiere, die Pflanzen, und nochgeringere Wesen, nmlich die leblosenGeschpfe, zu der hhern Natur dervernnftigen Wesen zu erheben, indemman ihnen menschliche Vernunft undRede mitteilte, damit sie also fhigwrden, uns ihren Zustand und ihreBegegnisse in einer uns vernehmlichenSprache zu erklren, und durch ihrExempel von hnlichen moralischen

  • Handlungen unsre Lehrer abzugebenetc.

    Breitinger also behauptet, da dieErreichung des Wunderbaren dieUrsache sei, warum man in der Fabeldie Tiere, und andere niedrigereGeschpfe, reden und vernunftmighandeln lasse. Und eben weil er diesesfr die Ursache hlt, glaubt er, da dieFabel berhaupt, in ihrem Wesen undUrsprunge betrachtet, nichts anders, alsein lehrreiches Wunderbare sei. Dieseseine zweite Erklrung ist es, welche ichhier, versprochnermaen, untersuchenmu.

    Es wird aber bei dieserUntersuchung vornehmlich darauf

  • ankommen, ob die Einfhrung der Tierein der Fabel wirklich wunderbar ist. Istsie es, so hat Breitinger viel gewonnen;ist sie es aber nicht, so liegt auch seinganzes Fabelsystem, mit einmal, berdem Haufen.

    Wunderbar soll diese Einfhrungsein? Das Wunderbare, sagt eben dieserKunstrichter, legt den Schein derWahrheit und Mglichkeit ab. Dieseanscheinende Unmglichkeit alsogehret zu dem Wesen desWunderbaren; und wie soll ich nunmehrjenen Gebrauch der Alten, den sie selbstschon zu einer Regel gemacht hatten,damit vergleichen? Die Alten nmlichfingen ihre Fabeln am liebsten mit dem

  • , und dem darauf folgendenKlagefalle an. Die griechischenRhetores nennen dieses kurz, die Fabelin dem Klagefalle ( )vortragen; und Theon, wenn er in seinenVorbungen35 hierauf kmmt, fhret eineStelle des Aristoteles an, wo derPhilosoph diesen Gebrauch billiget, undes zwar deswegen fr ratsamer erklret,sich bei Einfhrung einer Fabel lieberauf das Altertum zu berufen, als in dereigenen Person zu sprechen, damit manden Anschein, als erzhle man etwasunmgliches, vermindere. ( ). War also das der Alten ihreDenkungsart, wollten sie den Schein der

  • Unmglichkeit in der Fabel so viel alsmglich vermindert wissen: so mutensie notwendig weit davon entfernt sein,in der Fabel etwas Wunderbares zusuchen, oder zur Absicht zu haben; denndas Wunderbare mu sich auf diesenSchein der Unmglichkeit grnden.

    Weiter! Das Wunderbare, sagtBreitinger an mehr als einem Orte, seider hchste Grad des Neuen. DieseNeuheit aber mu das Wunderbare,wenn es seine gehrige Wirkung auf unstun soll, nicht allein blo in Ansehungseiner selbst, sondern auch in Ansehungunsrer Vorstellungen haben. Nur das istwunderbar, was sich sehr selten in derReihe der natrlichen Dinge erugnet.

  • Und nur das Wunderbare behlt seinenEindruck auf uns, dessen Vorstellung inder Reihe unsrer Vorstellungen eben soselten vorkmmt. Auf einen fleiigenBibelleser wird das grte Wunder, dasin der Schrift aufgezeichnet ist, denEindruck bei weitem nicht mehr machen,den es das erstemal auf ihn gemacht hat.Er lieset es endlich mit eben so wenigemErstaunen, da die Sonne einmal stillegestanden, als er sie tglich auf undniedergehen sieht. Das Wunder bleibtimmer dasselbe; aber nicht unsereGemtsverfassung, wenn wir es zu oftdenken. Folglich wrde auch dieEinfhrung der Tiere uns hchstens nurin den ersten Fabeln wunderbar

  • vorkommen; fnden wir aber, da dieTiere fast in allen Fabeln sprchen undurteilten, so wrde diese Sonderbarkeit,so gro sie auch an und vor sich selbstwre, doch gar bald nichts Sonderbaresmehr fr uns haben.

    Aber wozu alle diese Umschweife?Was sich auf einmal umreien lt,braucht man das erst zu erschttern? Darum kurz: da die Tiere, und andereniedrigere Geschpfe, Sprache undVernunft haben, wird in der Fabelvorausgesetzt; es wird angenommen; undsoll nichts weniger als wunderbar sein. Wenn ich in der Schrift lese:36 Da tatder Herr der Eselin den Mund auf undsie sprach zu Bileam etc. so lese ich

  • etwas wunderbares. Aber wenn ich beidem Aesopus lese:37 , , : Damals, als die Tierenoch redeten, soll das Schaf zu seinemHirten gesagt haben: so ist es ja wohloffenbar, da mir der Fabulist nichtswunderbares erzhlen will; sondernvielmehr etwas, das zu der Zeit, die ermit Erlaubnis seines Lesern annimmt,dem gemeinen Laufe der Naturvollkommen gem war.

    Und das ist so begreiflich, sollteich meinen, da ich mich schmen mu,noch ein Wort hinzuzutun. Ich kommevielmehr sogleich auf die wahreUrsache, die ich wenigstens fr die

  • wahre halte, warum der Fabulist dieTiere oft zu seiner Absicht bequemerfindet, als die Menschen. Ich setze siein die allgemein bekannte Bestandheitder Charaktere. Gesetzt auch, es wrenoch so leicht, in der Geschichte einExempel zu finden, in welchem sichdiese oder jene moralische Wahrheitanschauend erkennen liee. Wird siesich deswegen von jedem, ohneAusnahme, darin erkennen lassen?

    Auch von dem, der mit denCharakteren der dabei interessiertenPersonen nicht vertraut ist? Unmglich!Und wie viel Personen sind wohl in derGeschichte so allgemein bekannt, daman sie nur nennen drfte, um sogleich

  • bei einem jeden den Begriff von derihnen zukommenden Denkungsart undandern Eigenschaften zu erwecken? Dieumstndliche Charakterisierung daher zuvermeiden, bei welcher es doch nochimmer zweifelhaft ist, ob sie bei allendie nmlichen Ideen hervorbringt, warman gezwungen, sich lieber in die kleineSphre derjenigen Weseneinzuschrnken, von denen man eszuverlssig wei, da auch bei denUnwissendsten ihren Benennungen dieseund keine andere Idee entspricht. Undweil von diesen Wesen die wenigsten,ihrer Natur nach geschickt waren, dieRollen freier Wesen ber sich zunehmen, so erweiterte man lieber die

  • Schranken ihrer Natur, und machte sie,unter gewissen wahrscheinlichenVoraussetzungen, dazu geschickt.

    Man hrt: Britannicus und Nero.Wie viele wissen, was sie hren? Werwar dieser? Wer jener? In welchemVerhltnisse stehen sie gegen einander? Aber man hrt: der Wolf und dasLamm; sogleich wei jeder, was erhret, und wei, wie sich das eine zudem andern verhlt. Diese Wrter,welche stracks ihre gewissen Bilder inuns erwecken, befrdern dieanschauende Erkenntnis, die durch jeneNamen, bei welchen auch die, denen sienicht unbekannt sind, gewi nicht allevollkommen eben dasselbe denken,

  • verhindert wird. Wenn daher derFabulist keine vernnftigen Individuaaustreiben kann, die sich durch ihrebloe Benennungen in unsereEinbildungskraft schildern, so ist es ihmerlaubt, und er hat Fug und Recht,dergleichen unter den Tieren oder unternoch geringern Geschpfen zu suchen.Man setze, in der Fabel von dem Wolfeund dem Lamme, anstatt des Wolfes denNero, anstatt des Lammes denBritannicus, und die Fabel hat aufeinmal alles verloren, was sie zu einerFabel fr das ganze menschlicheGeschlecht macht. Aber man setzeanstatt des Lammes und des Wolfes, denRiesen und den Zwerg, und sie verlieret

  • schon weniger; denn auch der Riese undder Zwerg sind Individua, derenCharakter, ohne weitere Hinzutuung,ziemlich aus der Benennung erhellet.Oder man verwandle sie lieber gar infolgende menschliche Fabel: EinPriester kam zu dem armen Manne desPropheten38 und sagte: Bringe deinweies Lamm vor den Altar, denn dieGtter fordern ein Opfer. Der Armeerwiderte: mein Nachbar hat einezahlreiche Herde, und ich habe nur daseinzige Lamm. Du hast aber den Gtternein Gelbde getan, versetzte dieser, weilsie deine Felder gesegnet. Ich habekein Feld; war die Antwort. Nun sowar es damals, als sie deinen Sohn von

  • seiner Krankheit genesen lieen O,sagte der Arme, die Gtter haben ihnselbst zum Opfer hingenommen.Gottloser! zrnte der Priester; dulsterst! und ri das Lamm aus seinemSchoe etc. Und wenn in dieserVerwandlung die Fabel noch wenigerverloren hat, so kmmt es blo daher,weil man mit dem Worte Priester denCharakter der Habschtigkeit, leider,noch weit geschwinder verbindet, alsden Charakter der Blutdrstigkeit mitdem Worte Riese; und durch den armenMann des Propheten die Idee derunterdrckten Unschuld noch leichtererregt wird, als durch den Zwerg. Derbeste Abdruck dieser Fabel, in welchem

  • sie ohne Zweifel am allerwenigstenverloren hat, ist die Fabel von der Katzeund dem Hahne.39 Doch weil man auchhier sich das Verhltnis der Katze gegenden Hahn nicht so geschwind denkt, alsdort das Verhltnis des Wolfes zumLamme, so sind diese noch immer dieallerbequemsten Wesen, die der Fabulistzu seiner Absicht hat whlen knnen.

    Der Verfasser der oben angefhrtenKritischen Briefe ist mit Breitingerneinerlei Meinung, und sagt unter andern,in der erdichteten Person des HermannAxels:40 Die Fabel bekmmt durchdiese sonderbare Personen einwunderliches Ansehen. Es wre keineungeschickte Fabel, wenn man dichtete:

  • Ein Mensch sah auf einem hohen Baumedie schnsten Birnen hangen, die seineLust davon zu essen, mchtig reizeten. Erbemhte sich lange, auf denselben hinaufzu klimmen, aber es war umsonst, ermute es endlich aufgeben. Indem erwegging, sagte er: Es ist mir gesunder,da ich sie noch lnger stehen lasse, siesind doch noch nicht zeitig genug. Aberdieses Geschichtchen reizet nicht starkgenug; es ist zu platt etc. Ich gestehees Hermann Axeln zu; das Geschichtchenist sehr platt, und verdienet nichtsweniger, als den Namen einer gutenFabel. Aber ist es blo deswegen soplatt geworden, weil kein Tier darinredet und handelt? Gewi nicht; sondern

  • es ist es dadurch geworden, weil er dasIndividuum, den Fuchs, mit dessenbloem Namen wir einen gewissenCharakter verbinden, aus welchem sichder Grund von der ihm zugeschriebenenHandlung angeben lt, in ein andersIndividuum verwandelt hat, dessenName keine Idee eines bestimmtenCharakters in uns erwecket. EinMensch! Das ist ein viel zu allgemeinerBegriff fr die Fabel. An was fr eineArt von Menschen soll ich dabeidenken? Es gibt deren so viele! Aberein Fuchs! Der Fabulist wei nur voneinem Fuchse, und sobald er mir dasWort nennt, fallen auch meine Gedankensogleich nur auf einen Charakter. Anstatt

  • des Menschen berhaupt htte HermannAxel also wenigstens einen Gasconiersetzen mssen. Und alsdenn wrde erwohl gefunden haben, da die Fabel,durch die bloe Weglassung des Tieres,so viel eben nicht verlre, besonderswenn er in dem nmlichen Verhltnisseauch die brigen Umstnde gendert, undden Gasconier nach etwas mehr, alsnach Birnen, lstern gemacht htte.

    Da also die allgemein bekanntenund unvernderlichen Charaktere derTiere die eigentliche Ursache sind,warum sie der Fabulist zu moralischenWesen erhebt, so kmmt mir es sehrsonderbar vor, wenn man es einem zumbesondern Ruhme machen will, da der

  • Schwan in seinen Fabeln nicht singe,noch der Pelikan sein Blut fr seineJungen vergiee.41 Als ob man in denFabelbchern die Naturgeschichtestudieren sollte! Wenn dergleichenEigenschaften allgemein bekannt sind, sosind sie wert gebraucht zu werden, derNaturalist mag sie bekrftigen odernicht. Und derjenige, der sie uns, es seidurch seine Exempel oder durch seineLehre, aus den Hnden spielen will, dernenne uns erst andere Individua, vondenen es bekannt ist, da ihnen dienmlichen Eigenschaften in der Tatzukommen.

    Je tiefer wir auf der Leiter derWesen herabsteigen, desto seltner

  • kommen uns dergleichen allgemeinbekannte Charaktere vor. Dieses ist dennauch die Ursache, warum sich derFabulist so selten in dem Pflanzenreiche,noch seltener in dem Steinreiche und amallerseltensten vielleicht unter denWerken der Kunst finden lt. Denn daes deswegen geschehen sollte, weil esstufenweise immer unwahrscheinlicherwerde, da diese geringern Werke derNatur und Kunst empfinden, denken undsprechen knnten; will mir nicht ein. DieFabel von dem ehernen und dem irdenenTopfe ist nicht um ein Haar schlechteroder unwahrscheinlicher als die besteFabel, z. E. von einem Affen, so naheauch dieser dem Menschen verwandt ist,

  • und so unendlich weit jene von ihmabstehen.

    Indem ich aber die Charaktere derTiere zur eigentlichen Ursache ihresvorzglichen Gebrauchs in der Fabelmache, will ich nicht sagen, da dieTiere dem Fabulisten sonst zu weiter garnichts ntzten. Ich wei es sehr wohl,da sie unter andern in derzusammengesetzten Fabel dasVergngen der Vergleichung um eingroes vermehren, welches alsdennkaum merklich ist, wenn sowohl derwahre als der erdichtete einzelne Fallbeide aus handelnden Personen voneinerlei Art, aus Menschen, bestehen. Daaber dieser Nutzen, wie gesagt, nur in

  • der zusammengesetzten Fabel Stattfindet, so kann er die Ursache nicht sein,warum die Tiere auch in der einfachenFabel, und also in der Fabel berhaupt,dem Dichter sich gemeiniglich mehrempfehlen, als die Menschen.

    Ja, ich will es wagen, den Tieren,und andern geringern Geschpfen in derFabel noch einen Nutzen zuzuschreiben,auf welchen ich vielleicht durchSchlsse nie gekommen wre, wennmich nicht mein Gefhl darauf gebrachthtte. Die Fabel hat unsere klare undlebendige Erkenntnis eines moralischenSatzes zur Absicht. Nichts verdunkeltunsere Erkenntnis mehr als dieLeidenschaften. Folglich mu der

  • Fabulist die Erregung derLeidenschaften so viel als mglichvermeiden. Wie kann er aber anders,z.B. die Erregung des Mitleidsvermeiden, als wenn er die Gegenstndedesselben unvollkommener macht, undanstatt der Menschen Tiere oder nochgeringere Geschpfe annimmt? Manerinnere sich noch einmal der Fabel vondem Wolfe und Lamme, wie sie oben indie Fabel von dem Priester und demarmen Manne des Prophetenverwandelt worden. Wir habenMitleiden mit dem Lamme; aber diesesMitleiden ist so schwach, da es unsereranschauenden Erkenntnis desmoralischen Satzes keinen merklichen

  • Eintrag tut. Hingegen wie ist es mit demarmen Manne? Kmmt es mir nur so vor,oder ist es wirklich wahr, da wir mitdiesem viel zu viel Mitleiden haben, undgegen den Priester viel zu viel Unwillenempfinden, als da die anschauendeErkenntnis des moralischen Satzes hier i,eben so klar sein knnte, als sie dort ist?

  • III.

    Von der Einteilung der Fabeln

    Die Fabeln sind verschiedenerEinteilungen fhig. Von einer, die sichaus der verschiednen Anwendungderselben ergibt, habe ich gleichAnfangs geredet. Die Fabeln nmlichwerden entweder blo auf einenallgemeinen moralischen Satzangewendet, und heien einfacheFabeln; oder sie werden auf einenwirklichen Fall angewendet, der mit derFabel unter einem und eben demselbenmoralischen Satze enthalten ist, und

  • heien zusammengesetzte Fabeln. DerNutzen dieser Einteilung hat sich bereitsan mehr als einer Stelle gezeiget.

    Eine andere Einteilung wrde sichaus der verschiednen Beschaffenheit desmoralischen Satzes herholen lassen. Esgibt nmlich moralische Stze, die sichbesser in einem einzeln Falle ihresGegenteils, als in einem einzeln Falle,der unmittelbar unter ihnen begriffen ist,anschauend erkennen lassen. Fabelnalso, welche den moralischen Satz ineinem einzeln Falle des Gegenteils zurIntuition bringen, wrde man vielleichtindirekte Fabeln, so wie die anderndirekte Fabeln nennen knnen.

    Doch von diesen Einteilungen ist

  • hier nicht die Frage; noch vielwenigervon jener unphilosophischen Einteilungnach den verschiedenen Erfindern oderDichtern, die sich einen vorzglichenNamen damit gemacht haben. Es hat denKunstrichtern gefallen, ihre gewhnlicheEinteilung der Fabel von einerVerschiedenheit herzunehmen, die mehrin die Augen fllt; von derVerschiedenheit nmlich der darinhandelnden Personen. Und dieseEinteilung ist es, die ich hier nherbetrachten will.

    Aphthonius ist ohne Zweifel derlteste Skribent, der ihrer erwhnet. , sagt er in seinen Vorbungen, , ,

  • . : : .Es gibt drei Gattungen von Fabeln; dievernnftige, in welcher der Mensch diehandelnde Person ist; die sittliche, inwelcher unvernnftige Wesenaufgefhret werden; die vermischte, inwelcher so wohl unvernnftige alsvernnftige Wesen vorkommen. DerHauptfehler dieser Einteilung, welchersogleich einem jeden in die Augenleuchtet, ist der, da sie das nichterschpft, was sie erschpfen sollte.Denn wo bleiben diejenigen Fabeln, dieaus Gottheiten und allegorischen

  • Personen bestehen? Aphthonius hat dievernnftige Gattung ausdrcklich aufden einzigen Menschen eingeschrnkt.Doch wenn diesem Fehler auchabzuhelfen wre; was kann demohngeachtet roher und mehr von derobersten Flche abgeschpft sein, alsdiese Einteilung? ffnet sie uns nur auchdie geringste freiere Einsicht in dasWesen der Fabel?

    Batteux wrde daher ohne Zweifeleben so wohl getan haben, wenn er vonder Einteilung der Fabel gargeschwiegen htte, als da er uns mitjener kahlen aphthonianischen abspeisenwill. Aber was wird man vollends vonihm sagen, wenn ich zeige, da er sich

  • hier auf einer kleinen Tcke treffen lt?Kurz zuvor sagt er unter andern von denPersonen der Fabel: Man hat hier nichtallein den Wolf und das Lamm, dieEiche und das Schilf, sondern auch deneisernen und den irdenen Topf ihreRollen spielen sehen. Nur der HerrVerstand und das FruleinEinbildungskraft, und alles, was ihnenhnlich siehet, sind von diesem Theaterausgeschlossen worden; weil es ohneZweifel schwerer ist, diesen blogeistigen Wesen einen charaktermigenKrper zu geben; als Krpern, die einigeAnalogie mit unsern Organen haben,Geist und Seele zu geben.42 Merktman wider wen dieses geht? Wider den

  • de la Motte, der sich in seinen Fabelnder allegorischen Wesen sehr hufigbedienet. Da dieses nun nicht nach demGeschmacke unsers oft mehr ekeln alsfeinen Kunstrichters war, so konnte ihmdie aphthonianische mangelhafteEinteilung der Fabel nicht anders alswillkommen sein, indem es durch siestillschweigend gleichsam zur Regelgemacht wird, da die Gottheiten undallegorischen Wesen gar nicht in diesopische Fabel gehren. Und dieseRegel eben mchte Batteux gar zu gernfestsetzen, ob er sich gleich nichtgetrauet, mit ausdrcklichen Wortendarauf zu dringen. Sein System von derFabel kann auch nicht wohl ohne sie

  • bestehen. Die sopische Fabel, sagt er,ist eigentlich zu reden, das Schauspielder Kinder; sie unterscheidet sich vonden brigen nur durch dieGeringfgigkeit und Naivitt ihrerspielenden Personen. Man sieht aufdiesem Theater keinen Csar, keinenAlexander; aber wohl die Fliege und dieAmeise etc. Freilich; dieseGeringfgigkeit der spielenden Personenvorausgesetzt, konnte Batteux mit denhhern poetischen Wesen des de laMotte unmglich zufrieden sein. Erverwarf sie also, ob er schon einen gutenTeil der besten Fabeln des Altertumszugleich mit verwerfen mute; und zogsich, um den kritischen Anfllen

  • deswegen weniger ausgesetzt zu sein,unter den Schutz der mangelhaftenEinteilung des Aphthonius. Gleich als obAphthonius der Mann wre, der alleGattungen von Fabeln, die in seinerEinteilung nicht Platz haben, ebendadurch verdammen knnte! Und diesenMibrauch einer erschlichenenAutoritt, nenne ich eben die kleineTcke, deren sich Batteux in Ansehungdes de la Motte hier schuldig gemachthat.

    Wolf43 hat die Einteilung desAphthonius gleichfalls beibehalten, abereinen weit edlern Gebrauch davongemacht. Diese Einteilung in vernnftigeund sittliche Fabeln, meinte er, klinge

  • zwar ein wenig sonderbar; denn manknnte sagen, da eine jede Fabelsowohl eine vernnftige als einesittliche Fabel wre. Sittlich nmlich seieine jede Fabel in so fern, als sie einersittlichen Wahrheit zum Besten erfundenworden; und vernnftig in so fern, alsdiese sittliche Wahrheit der Vernunftgem ist. Doch da es einmalgewhnlich sei, diesen Worten hier eineandere Bedeutung zu geben, so wolle erkeine Neuerung machen. Aphthoniushabe brigens bei seiner Einteilung dieAbsicht gehabt, die Verschiedenheit derFabeln ganz zu erschpfen, und mehrnach dieser Absicht, als nach denWorten, deren er sich dabei bedient

  • habe, msse sie beurteilet werden. Absitenim, sagt er und o, wenn alleLiebhaber der Wahrheit so billigdchten! absit, ut negemus accuratecogitasse, qui non satis accurateloquuntur. Puerile est, erroris redarguereeum, qui ab errore immunem posseditanimum, propterea quod parum aptasuccurrerint verba, quibus mentem suamexprimere poterat. Er behlt daher dieBenennungen der aphthonianischenEinteilung bei, und wei die Wahrheit,die er nicht darin gefunden, soscharfsinnig hinein zu legen, da sie dasvollkommene Ansehen einer richtigenphilosophischen Einteilung bekmmt.Wenn wir Begebenheiten erdichten,

  • sagt er, so legen wir entweder denSubjekten solche Handlungen undLeidenschaften, berhaupt solchePrdikate bei, als ihnen zukommen; oderwir legen ihnen solche bei, die ihnennicht zukommen. In dem ersten Falleheien es vernnftige Fabeln; in demandern sittliche Fabeln; und vermischteFabeln heien es, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichenals vernnftigen Fabel haben.

    Nach dieser WolfischenVerbesserung also, beruhet dieVerschiedenheit der Fabel nicht mehrauf der bloen Verschiedenheit derSubjekte, sondern auf derVerschiedenheit der Prdikate, die von

  • diesen Subjekten gesagt werden. Ihr zuFolge kann eine Fabel Menschen zuhandelnden Personen haben, unddennoch keine vernnftige Fabel sein;so wie sie eben nicht notwendig einesittliche Fabel sein mu, weil Tiere inihr aufgefhret werden. Die obenangefhrte Fabel von den zweikmpfenden Hhnen, wrde nach denWorten des Aphthonius eine sittlicheFabel sein, weil sie die Eigenschaftenund das Betragen gewisser Tierenachahmet; wie hingegen Wolf den Sinndes Aphthonius genauer bestimmt hat, istsie eine vernnftige Fabel, weil nichtdas geringste von den Hhnen daringesagt wird, was ihnen nicht eigentlich

  • zukme. So ist es mit mehrern: Z.E. derVogelsteller und die Schlange;44 derHund und der Koch;45 der Hund und derGrtner;46 der Schfer und der Wolf:47lauter Fabeln, die nach der gemeinenEinteilung unter die sittlichen undvermischten, nach der verbesserten aberunter die vernnftigen gehren.

    Und nun? Werde ich es bei dieserEinteilung unsers Weltweisen knnenbewenden lassen? Ich wei nicht. Widerihre logikalische Richtigkeit habe ichnichts zu erinnern; sie erschpft alles,was sie erschpfen soll. Aber man kannein guter Dialektiker sein, ohne einMann von Geschmack zu sein; und dasletzte war Wolf, leider, wohl nicht. Wie,

  • wenn es auch ihm hier so gegangenwre, als er es von dem Aphthoniusvermutet, da er zwar richtig gedacht,aber sich nicht so vollkommen gutausgedruckt htte, als es besonders dieKunstrichter wohl verlangen drften? Erredet von Fabeln, in welchen denSubjekten Leidenschaften undHandlungen, berhaupt Prdikate,beigelegt werden, deren sie nicht fhigsind, die ihnen nicht zukommen. Diesesnicht zukommen, kann einen belnVerstand machen. Der Dichter, kann mandaraus schlieen, ist also nicht gehalten,auf die Naturen der Geschpfe zu sehen,die er in seinen Fabeln auffhret? Erkann das Schaf verwegen, den Wolf

  • sanftmtig, den Esel feurig vorstellen; erkann die Tauben als Falken brauchenund die Hunde von den Hasen jagenlassen. Alles dieses kmmt ihnen nichtzu; aber der Dichter macht eine sittlicheFabel, und er darf es ihnen beilegen. Wie ntig ist es, dieser gefhrlichenAuslegung, diesen mit einerberschwemmung derabgeschmacktesten Mrchen drohendenFolgerungen, vorzubauen!

    Man erlaube mir also, mich aufmeinen eigenen Weg wiederzurckzuwenden. Ich will denWeltweisen so wenig als mglich ausdem Gesichte verlieren; und vielleichtkommen wir, am Ende der Bahn,

  • zusammen. Ich habe gesagt, und glaubees erwiesen zu haben, da auf derErhebung des einzeln Falles zurWirklichkeit, der wesentlicheUnterschied der Parabel, oder desExempels berhaupt, und der Fabelberuhet. Diese Wirklichkeit ist der Fabelso unentbehrlich, da sie sich eher vonihrer Mglichkeit, als von jener etwasabbrechen lt. Es streitet minder mitihrem Wesen, da ihr einzelner Fallnicht schlechterdings mglich ist, da ernur nach gewissen Voraussetzungen,unter gewissen Bedingungen mglich ist,als da er nicht als wirklich vorgestelltwerde. In Ansehung dieser Wirklichkeitfolglich, ist die Fabel keiner

  • Verschiedenheit fhig; wohl aber inAnsehung ihrer Mglichkeit, welche sievernderlich zu sein erlaubt. Nun ist,wie gesagt, diese Mglichkeit entwedereine unbedingte oder bedingteMglichkeit; der einzelne Fall der Fabelist entweder schlechterdings mglich,oder er ist es nur nach gewissenVoraussetzungen, unter gewissenBedingungen. Die Fabeln also, dereneinzelner Fall schlechterdings mglichist, will ich (um gleichfalls bei den altenBenennungen zu bleiben) vernnftigeFabeln nennen; Fabeln hingegen, wo eres nur nach gewissen Voraussetzungenist, mgen sittliche heien. Dievernnftigen Fabeln leiden keine

  • fernere Unterabteilung; die sittlichenaber leiden sie. Denn dieVoraussetzungen betreffen entweder dieSubjekte der Fabel, oder die Prdikatedieser Subjekte: der Fall der Fabel istentweder mglich, vorausgesetzt, dadiese und jene Wesen existieren; oder erist es, vorausgesetzt, da diese und jenewirklich existierende Wesen (nichtandere Eigenschaften, als ihnenzukommen; denn sonst wrden sie zuanderen Wesen werden, sondern) dieihnen wirklich zukommendenEigenschaften in einem hhern Grade,in einem weitern Umfange besitzen. JeneFabeln, worin die Subjektevorausgesetzt werden, wollte ich

  • mythische Fabeln nennen; und diese,worin nur erhhtere Eigenschaftenwirklicher Subjekte angenommenwerden, wrde ich, wenn ich das Wortanders wagen darf, hyperphysischeFabeln nennen.

    Ich will diese meine Einteilungnoch durch einige Beispiele erlutern.Die Fabeln, der Blinde und der Lahme;die zwei kmpfenden Hhne; derVogelsteller und die Schlange; der Hundund der Grtner, sind lauter vernnftigeFabeln, ob schon bald lauter Tiere, baldMenschen und Tiere darin vorkommen;denn der darin enthaltene Fall istschlechterdings mglich, oder mitWolfen zu reden, es wird den Subjekten

  • nichts darin beigelegt, was ihnen nichtzukomme. Die Fabeln, Apollo undJupiter;48 Herkules und Plutus;49 dieverschiedene Bume in ihren besondernSchutz nehmende Gtter;50 kurz alleFabeln, die aus Gottheiten, ausallegorischen Personen? aus Geisternund Gespenstern, aus andern erdichtetenWesen, dem Phoenix z.E. bestehen, sindsittliche Fabeln, und zwar mythischsittliche; denn es wird darinvorausgesetzt, da alle diese Wesenexistieren oder existieret haben, und derFall, den sie enthalten, ist nur unterdieser Voraussetzung mglich. DerWolf und das Lamm;51 der Fuchs und derStorch;52 die Natter und die Feile;53 die

  • Bume und der Dornstrauch;54 derlbaum und das Rohr etc.55 sindgleichfalls sittliche, aber hyperphysischsittliche Fabeln; denn die Natur dieserwirklichen Wesen wird erhhet, dieSchranken ihrer Fhigkeiten werdenerweitert. Eines mu ich hierbeierinnern! Man bilde sich nicht ein, dadiese Gattung von Fabeln sich blo aufdie Tiere, und andere geringereGeschpfe einschrnke: der Dichterkann auch die Natur des Menschenerhhen, und die Schranken seinerFhigkeiten erweitern. Eine Fabel z. E.von einem Propheten wrde einehyperphysisch sittliche Fabel sein; denndie Gabe zu prophezeien, kann dem

  • Menschen blo nach einer erhhternNatur zukommen. Oder wenn man dieErzhlung von den himmelstrmendenRiesen, als eine sopische Fabelbehandeln und sie dahin verndernwollte, da ihr unsinniger Bau vonBergen auf Bergen, endlich von selbstzusammenstrzte und sie unter denRuinen begrbe: so wrde keine andereals eine hyperphysisch sittliche Fabeldaraus werden knnen.

    Aus den zwei Hauptgattungen, dervernnftigen und sittlichen Fabel,entstehet auch bei mir eine vermischteGattung, wo nmlich der Fall zum Teilschlechterdings, zum Teil nur untergewissen Voraussetzungen mglich ist.

  • Und zwar knnen dieser vermischtenFabeln dreierlei sein; die vernnftigmythische Fabel, als Herkules und derKrner,56 der arme Mann und der Tod;57die vernnftig hyperphysische Fabel,als der Holzschlger und der Fuchs,58der Jger und der Lwe;59 und endlichdie hyperphysisch mythische Fabel, alsJupiter und das Kamel,60 Jupiter und dieSchlange etc.61

    Und diese Einteilung erschpft dieMannigfaltigkeit der Fabeln ganz gewi,ja man wird, hoffe ich, keine anfhrenknnen, deren Stelle, ihr zu Folge,zweifelhaft bleibe, welches bei allenandern Einteilungen geschehen mu, diesich blo auf die Verschiedenheit der

  • handelnden Personen beziehen. DieBreitingersche Einteilung ist davon nichtausgeschlossen, ob er schon dabei dieGrade des Wunderbaren zum Grundegelegt hat. Denn da bei ihm die Gradedes Wunderbaren, wie wir gesehenhaben, grten Teils, auf dieBeschaffenheit der handelnden Personenankommen, so klingen seine Worte nurgrndlicher, und er ist in der Tat in dieSache nichts tiefer eingedrungen. DasWunderbare der Fabel, sagt er, hat seineverschiedene Grade Der niedrigsteGrad des Wunderbaren findet sich inderjenigen Gattung der Fabeln, inwelchen ordentliche Menschenaufgefhret werden Weil in denselben

  • das Wahrscheinliche ber dasWunderbare weit die Oberhand hat, soknnen sie mit Fug wahrscheinliche,oder in Absicht auf die Personenmenschliche Fabeln benennet werden.Ein mehrerer