Abschied von der alten Werbewelt

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68 Fischer´s Archiv No 176 FORUM D ie Diskussion über geeignete Messverfahren und Messgrößen in der Werbewirtschaft ist beinahe so alt wie die Werbewirtschaft selbst. Voller Wehmut dürften heute viele Werber auf fünf Jahrzehnte Werbung zurückblicken, in denen die Welt geordnet schien. In Zeiten, in denen Werbedruck vor allem über die klas- sischen Kanäle Print, TV und Radio aufgebaut wurde, war die AIDA-Formel so etwas wie das gemeinsame Mantra der Werbewirtschaft. AIDA war dabei weit mehr als ein Akronym für das Prinzip der Werbewirkung, es entsprach letztlich einer allgemeinen Handlungsemp- fehlung, derzufolge nur die Aufmerksamkeit erhöht werden musste, um den Kaufimpuls anzuregen. Fehlte dieser Kaufimpuls, war entweder der Werbedruck zu gering oder den Kreativen war es nicht gelungen, das Bedürfnis des Konsu- menten zu wecken. In dieser Welt ließ es sich gut leben für Mediaplaner und Werbetreibende und so hatten sie sich entsprechend eingerich- tet. Sämtliche Werbekanäle erhielten allgemein anerkannte Standards, Gleiches galt für die Messung des Werbeerfolgs. Bei aller Kritik, die immer wieder laut wurde, die AIDA-Formel hat fast ein gesamtes Jahrhundert das Denken in der Werbewelt geprägt. Dementsprechend galt es nicht, Werbung zu erklären, sondern vor allem, den Experten zu vertrauen. Werbung und Dialog wussten noch nichts voneinander. Folglich unterlagen Dialogsituationen auch noch nicht der Aufgabe, Mess- und Werbe- instrument gleichzeitig zu sein. Erst wurde ge- worben und anschließend gefragt – manchmal auch andersherum, mit dem Ziel, Werbung auf den Konsumenten abzustimmen. Mit dem Aufkommen und der wachsenden Popularität der Online-Medien ist Unruhe in diese scheinbare Ordnung gekommen. Ein gutes Jahrzehnt hat die Wirtschaft gebraucht, Online – alte Zeitrechnung um das Mysterium Internet so weit zu ent- schlüsseln, dass von ökonomischer Relevanz die Rede sein konnte. Um die Sache Internet nicht noch weiter zu verkomplizieren, wurde es ein- fach als ein weiterer Werbekanal bewertet. Dementsprechend wandten nicht zuletzt Mediaagenturen die bereits vorhandenen Offline-Messgrößen an, um Online-Werbung strategisch zu positionieren. Schließlich tat sich ein neuer Werbekuchen auf und der wollte Tobias Kirchhofer Abschied von der alten We®b(e)welt fachgerecht abgeschöpft werden. Und so ge- schah es. Alle lebten glücklich und zufrieden. Doch dann trat etwas gänzlich Unerwartetes ein: Der einstige Rezipient (alias Werbebot- schaftenempfänger) begann selbst das Web zu nutzen – und brachte das AIDA-Mantra damit gewaltig ins Wanken. Das Internet wurde mobil und das Social Web zu einer nicht mehr wegzudenkenden Größe. Durch die immer benutzerfreundlichere Handhabung von Hard- und Software Online – neue Zeitrechnung entwickelten sich neue konsumimmanente Verhaltensweisen autonom von etablierten Wirkungs- und Messschablonen. Schemata, die dank dem jahrelangen Konsens zwischen Werbetreibenden und Agenturen in der Offline-Welt auf Basis des anerkannten Modus Vivendi nach wie vor funktionieren – aber eben auch nur dort. Und so stehen wir heute vor einer geradezu absurden Situation: Das einzige Medium, das eine sehr detaillierte Analyse von Nutzeraktivitäten ermöglicht, muss sich bis heute auf die zum Teil abenteuerlich konstru- ierten Messgrößen der Offline-Medien einlas- sen, um seinen Teil vom Werbekuchen abzube- kommen. Fragwürdig, aber fraglos gewollt. Mangelndes Verständnis von Mediaplanern und Werbetreibenden für die Funktionsweise des Internetmediums ist eine naheliegende Ur- sache für den Punkt, an dem wir heute stehen. Wider die Bequemlichkeit Eine Ursache, an der alle Branchen mitgearbei- tet haben – unabhängig davon, ob der eine oder andere das Medium Internet nicht schneller oder besser verstehen konnte oder wollte. Doch mangelndes Verständnis hat als Entschuldigung für ein beharrliches Festhalten an verkleideten Offline-Messgrößen und -Methoden ausge- dient – und hat damit auch anderen Indika- toren wie Bequemlichkeit oder Eitelkeit jede Legitimation entzogen. Eine aktuelle Studie (1) der Software- Initiative Deutschland e.V. (SID) und des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informa- tionstechnik (FIT) belegt zweifelsfrei, dass die deutsche Unternehmenslandschaft der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing eine wesentliche Bedeutung für ihr eigenes Geschäft einräumt. FAR_01_11.indd 68 07.01.11 17:58

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68 Fischer´s Archiv No 176

Forum

Die Diskussion über geeignete Messverfahren und Messgrößen in der Werbewirtschaft ist

beinahe so alt wie die Werbewirtschaft selbst. Voller Wehmut dürften heute viele Werber auf fünf Jahrzehnte Werbung zurückblicken, in denen die Welt geordnet schien. In Zeiten, in denen Werbedruck vor allem über die klas-sischen Kanäle Print, TV und Radio aufgebaut wurde, war die AIDA-Formel so etwas wie das gemeinsame Mantra der Werbewirtschaft. AIDA war dabei weit mehr als ein Akronym für das Prinzip der Werbewirkung, es entsprach letztlich einer allgemeinen Handlungsemp-fehlung, derzufolge nur die Aufmerksamkeit erhöht werden musste, um den Kaufimpuls anzuregen.

Fehlte dieser Kaufimpuls, war entweder der Werbedruck zu gering oder den Kreativen war es nicht gelungen, das Bedürfnis des Konsu-menten zu wecken. In dieser Welt ließ es sich gut leben für Mediaplaner und Werbetreibende und so hatten sie sich entsprechend eingerich-tet. Sämtliche Werbekanäle erhielten allgemein anerkannte Standards, Gleiches galt für die Messung des Werbeerfolgs. Bei aller Kritik, die immer wieder laut wurde, die AIDA-Formel hat fast ein gesamtes Jahrhundert das Denken in der Werbewelt geprägt. Dementsprechend galt es nicht, Werbung zu erklären, sondern vor allem, den Experten zu vertrauen. Werbung und Dialog wussten noch nichts voneinander. Folglich unterlagen Dialogsituationen auch noch nicht der Aufgabe, Mess- und Werbe-instrument gleichzeitig zu sein. Erst wurde ge-worben und anschließend gefragt – manchmal auch andersherum, mit dem Ziel, Werbung auf den Konsumenten abzustimmen.

Mit dem Aufkommen und der wachsenden Popularität der Online-Medien ist Unruhe in diese scheinbare Ordnung gekommen. Ein gutes Jahrzehnt hat die Wirtschaft gebraucht,

Online – alte Zeitrechnung

um das Mysterium Internet so weit zu ent-schlüsseln, dass von ökonomischer Relevanz die Rede sein konnte. Um die Sache Internet nicht noch weiter zu verkomplizieren, wurde es ein-fach als ein weiterer Werbekanal bewertet. Dementsprechend wandten nicht zuletzt Mediaagenturen die bereits vorhandenen Offline-Messgrößen an, um Online-Werbung strategisch zu positionieren. Schließlich tat sich ein neuer Werbekuchen auf und der wollte

Tobias Kirchhofer Abschied von der alten We®b(e)welt

fachgerecht abgeschöpft werden. Und so ge-schah es. Alle lebten glücklich und zufrieden. Doch dann trat etwas gänzlich Unerwartetes ein: Der einstige Rezipient (alias Werbebot-schaftenempfänger) begann selbst das Web zu nutzen – und brachte das AIDA-Mantra damit gewaltig ins Wanken.

Das Internet wurde mobil und das Social Web zu einer nicht mehr wegzudenkenden Größe. Durch die immer benutzerfreundlichere Handhabung von Hard- und Software

Online – neue Zeitrechnung

ent wickelten sich neue konsumimmanente Ver haltensweisen autonom von etablierten Wirkungs- und Messschablonen. Schemata, die dank dem jahrelangen Konsens zwischen Werbe treibenden und Agenturen in der Offline-Welt auf Basis des anerkannten Modus Vivendi nach wie vor funktionieren – aber eben auch nur dort. Und so stehen wir heute vor einer geradezu absurden Situation: Das einzige Medium, das eine sehr detaillierte Analyse von Nutzeraktivitäten ermöglicht, muss sich bis heute auf die zum Teil abenteuerlich konstru-ierten Messgrößen der Offline-Medien einlas-sen, um seinen Teil vom Werbekuchen abzube-kommen. Fragwürdig, aber fraglos gewollt.

Mangelndes Verständnis von Mediaplanern und Werbetreibenden für die Funktionsweise des Internetmediums ist eine naheliegende Ur-sache für den Punkt, an dem wir heute stehen.

Wider die Bequemlichkeit

Eine Ursache, an der alle Branchen mitgearbei-tet haben – unabhängig davon, ob der eine oder andere das Medium Internet nicht schneller oder besser verstehen konnte oder wollte. Doch mangelndes Verständnis hat als Entschuldigung für ein beharrliches Festhalten an verkleideten Offline-Messgrößen und -Methoden ausge-dient – und hat damit auch anderen Indika-toren wie Bequemlichkeit oder Eitelkeit jede Legitimation entzogen.

Eine aktuelle Studie (1) der Software-Initiative Deutschland e.V. (SID) und des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informa-tionstechnik (FIT) belegt zweifelsfrei, dass die deutsche Unternehmenslandschaft der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Xing eine wesentliche Bedeutung für ihr eigenes Geschäft einräumt.

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Drei Viertel der Unternehmen sind davon überzeugt. 80 Prozent gehen sogar von einer steigenden Bedeutung aus – ein Wert, der so-gar über sämtlichen Vorbehalten und Ängsten (Datensicherheit, Verrat etc.) liegt.

Dass sich überhaupt noch althergebrachte Messgrößen auf dem Markt verkaufen lassen, könnte unter anderem daran liegen, dass Un-ternehmen dahingehend einfach noch nicht ausreichend genug sensibilisiert sind. Dafür spricht die Tatsache, dass Social Media immer noch weit davon entfernt ist, Chefsache zu sein. Denn nach der Studie obliegt die Zuständig-keit für Twitter, Facebook & Co. zu 45 Prozent der Presse- und PR-Abteilung, zu 33 Prozent dem Marketing und zu 11 Prozent der IT.

Aufmerksamkeit wird zur Banalität

Die Studie ist übrigens auch ein bemer-kenswertes Indiz dafür, dass viele Unternehmen Social Media gar nicht unbedingt nach Zielen wie ROI (Return On Investment) ausrichten. Bei der Frage nach den wichtigsten Zielen für den Einsatz von Social Media landete „der rasche Informationsaustausch“ auf dem ersten Platz – vor „zielgruppenorientiertem Marke-ting“ und „Kanal für den Kundensupport“.

Was taugen also all die konventionellen Messgrößen? Was sagen Ad-Impressions, Visits

oder die Verweildauer heute noch über den Er-folg von Werbemaßnahmen aus? Ich behaupte: nichts! Aufmerksamkeit ist nach Auffassung vieler Werbeprofis ein hohes Gut. Und doch: Aufmerksamkeit ist nicht alles. Sie kommt und geht. Gerade in Zeiten sprunghaften Medien-konsums, paralleler Nutzung von TV, Internet und Mobile braucht es mehr als flüchtige Wahrnehmung. Klickraten auf Banner im Promillebereich sprechen Bände und sind ein sicheres Indiz für den Abstumpfungsgrad, den Werbung auf allen Kanälen inzwischen gerade bei den jüngeren Zielgruppen erreicht hat. Da-bei führt gerade online die Detailversessenheit der deutschen Werbeeffizienz-Messmeister dazu, dass der Blick für die eigentliche Interes-senlage der (potenziellen) Käufer verstellt wird.

Die sozialen und mobilen Medien ebnen den Weg in eine „neue We®b(e)welt“. Einfach nur die neuen Kanäle zu befeuern und Flagge zu zeigen über Mobile Ads, recycelten TV-Spots in YouTube, als Pre-Roll oder Störer-Werbung, noch so zielgruppengenaues Targeting – sei es

Neue Wertmaßstäbe und „Verdienste“

in Communitys oder sonstwo – verringert den Nervfaktor auf Seiten der Nutzer keineswegs. Es wird Zeit, das Wissen über die eigenen Zielgruppen endlich wirkungsvoll zum Einsatz zu bringen, anstatt reflexartig den Werbedruck zu erhöhen, um den Erfolg an der Ladentheke zu sichern. Wer nicht länger marktschreierisch um vorübergehende Aufmerksamkeit buhlen will und anschließend stereotyp entlang vor-handener Rechtfertigungsmuster seinen Kam-pagnenerfolg deklarieren will, für den werden Kooperation, Relevanz und Mehrwert die neuen Wertmaßstäbe – nicht Messgrößen.

Apple und Nike (kooperatives Marketing), Starbuck’s (Social Media, Location-Based-Services) oder auch McDonald’s, die von der Burgerkette dank der Kooperation mit der Deutschen Telekom zum Café mit (begrenzt) freiem WLAN mutiert sind, sind nur einige leuchtende Beispiele für die neue Verbrau-cherorientierung. Es geht um die Gunst (!) der Verbraucher. Es geht darum, die eigenen Markenversprechen mit Relevanz, Mehrwert oder wenigstens echtem Entertainment zu unterfüttern. Entsprechend der klassischen Betrachtungsweise nach Medialeistung diffe-renziert Forrester Research Inc. nach „paid me-dia“ (klassisches Advertising), „owned media“

Tobias Kirchhofer, Managing Partner Blue Mars – Gesellschaft für digitale Kommunikation in Frankfurt

(1) „SID/FIT Social Media Report 2010/11”; Autoren: Dieter Böttcher, Valentina Kerst (beide Mitglied im Präsidium der Software-Initiative Deutschland SID), Prof. Wolfgang Prinz (stellv. Leiter Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT), Thomas Gronenthal (Vorsitzender Deutsches Social Media Forum und European Marketing Communi-cations), Prof. Dr. Andreas Schümchen (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg).

(unternehmenseigene Kanäle, etwa der eigene Webauftritt) und „earned media“. Letzteres beschreibt die völlig unabhängige Kommuni-kation auf Kunden ebene – eben das, was ein Unternehmen als Ergebnis aus Produkt und initiierter Kommunikation „verdient“ hat. Die traditionelle Denkweise in Ad-Impressions, Werbeklicks, Reichweite der eigenen Weban-gebote und Publikationen wird demzufolge ergänzt um die Belohnung durch den Konsu-menten. In meinen Augen ein probater Weg für die Übergangsphase, in der wir uns derzeit befinden.

Diese Dreiteilung verdeutlicht eine wich-tige Schlussfolgerung: Social Media und mobile Medien haben keine Revolution angezettelt, sie haben einfach nur eine Tür aufgemacht. Sie machen nur deutlich, was Konsumenten sich wünschen. Dem sollte die ganze Aufmerksam-keit gelten! Aussagekräftige Mess parameter ergeben sich dabei zwangsläufig aus der

Die neue Werbewelt setzt weniger auf Werbung

Zielsetzung, und zwar ohne sie nach den Gesetz mäßigkeiten der alten We®b(e)welt konstruieren zu müssen. Die Zeichen hierfür stehen günstig. Ein nachfragedominierter Käufermarkt braucht keine Marktschreier, son-dern Unternehmen, die sensibel auf die Bedürf-nisse der Konsumenten reagieren. Genau dabei hilft Online – und zwar so wie kein anderer Kanal. Dem gilt es gerecht zu werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. <

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