Abschlussbericht für eine von der Stiftung Oskar-Helene ...

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22.10.2020 Abschlussbericht für eine von der Stiftung Oskar-Helene-Heim geförderten Forschung/Studie Fachlicher Bericht: Titel der geförderten Studie Prävention von Dysbalancen der Muskel- und Sehnenadapta- tion bei Athleten im Jugendleistungssport Aufgabenstellung der Studie Die Studie untersucht die Entwicklung der mechanischen und morphologischen Eigenschaften der Knieextensoren und der Patellarsehne bei jugendlichen Basketballathleten, einer Risiko- gruppe für Tendinopathien, unter dem Einfluss eines gezielten Trainings der Widerstandsfähigkeit der Sehne. Bericht zur Methode Für die Längsschnittstudie wurden jugendliche Basketballathle- ten (m, 14-15 Jahre) rekrutiert und zwei Gruppen zugeordnet. Während die Kontrollgruppe (n=19) in dem Untersuchungszeit- raum lediglich sportspezifisch trainierte, wurden in der Inter- ventionsgruppe (n=14) drei Mal pro Woche Belastungsformen in das Training integriert, die auf eine Erhöhung der Wider- standsfähigkeit der Sehne abzielten. An drei Messzeitpunkten in einer Wettkampfsaison (M1-3) wurde neben einer Erfassung von Sehnenbeschwerden mittels des VISA-P Fragebogens die Beanspruchung der Sehne (d.h. die Dehnung bei maximalen Muskelkontraktionen), die Widerstandsfähigkeit (Steifigkeit) und die strukturelle Integrität der Sehne mittels Ultraschall und inverser Dynamik bestimmt. 1 Bedingt durch die Corona- Pandemie wurden entgegen der ursprünglichen Planung nur zur Baseline MRT-Aufnahmen angefertigt. Für die Berechnung der Sehnenkraft, und damit auch der Steifigkeit der Sehne, konnte so der Hebelarm der Sehne individuell bestimmt werden. Zu- dem wurde in der Kontrollgruppe (n=16; drei Teilnehmer nah- men nicht an der MRT-Untersuchung teil) der Zusammenhang zwischen der Belastung (Sehnenkraft, maximalen Spannung) und Beanspruchung (Dehnung) der Patellarsehne mit strukturel- len Auffälligkeiten untersucht. Die strukturelle Integrität der Sehne wurde dabei mittels einer Raumfrequenzanalyse von Ultraschallaufnahmen bewertet 2 und Neovaskularisation über Farbdoppler-Bildgebung quantifiziert. 1 Zur Bestimmung des regionalen und mittleren Querschnitts der Sehne wurde in transversalen MRT Aufnahmen dazu die Konturen der Patellar- sehne zunächst manuell segmentiert und anschließend die Seh- ne über ihre Länge rekonstruiert. 3,4 Zur Bestimmung des Hebel- arms wurde in sagittalen MRT Sequenzen die Rollflächen der Femurkondylen segmentiert und die Rotationsachse des Knie- gelenks angenähert. 2 Die statistische Analyse der Längsschnitt- daten erfolgte mittels eines linearen gemischten Modells. Ergebnis der Studie Zunächst zeigte die Analyse der Baseline-Daten der Kontroll- gruppe einen signifikanten inversen Zusammenhang zwischen

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Abschlussbericht für eine von der Stiftung Oskar-Helene-Heim geförderten Forschung/Studie

Fachlicher Bericht: Titel der geförderten Studie

Prävention von Dysbalancen der Muskel- und Sehnenadapta-tion bei Athleten im Jugendleistungssport

Aufgabenstellung der Studie

Die Studie untersucht die Entwicklung der mechanischen und morphologischen Eigenschaften der Knieextensoren und der Patellarsehne bei jugendlichen Basketballathleten, einer Risiko-gruppe für Tendinopathien, unter dem Einfluss eines gezielten Trainings der Widerstandsfähigkeit der Sehne.

Bericht zur Methode Für die Längsschnittstudie wurden jugendliche Basketballathle-ten (m, 14-15 Jahre) rekrutiert und zwei Gruppen zugeordnet. Während die Kontrollgruppe (n=19) in dem Untersuchungszeit-raum lediglich sportspezifisch trainierte, wurden in der Inter-ventionsgruppe (n=14) drei Mal pro Woche Belastungsformen in das Training integriert, die auf eine Erhöhung der Wider-standsfähigkeit der Sehne abzielten. An drei Messzeitpunkten in einer Wettkampfsaison (M1-3) wurde neben einer Erfassung von Sehnenbeschwerden mittels des VISA-P Fragebogens die Beanspruchung der Sehne (d.h. die Dehnung bei maximalen Muskelkontraktionen), die Widerstandsfähigkeit (Steifigkeit) und die strukturelle Integrität der Sehne mittels Ultraschall und inverser Dynamik bestimmt.1 Bedingt durch die Corona-Pandemie wurden entgegen der ursprünglichen Planung nur zur Baseline MRT-Aufnahmen angefertigt. Für die Berechnung der Sehnenkraft, und damit auch der Steifigkeit der Sehne, konnte so der Hebelarm der Sehne individuell bestimmt werden. Zu-dem wurde in der Kontrollgruppe (n=16; drei Teilnehmer nah-men nicht an der MRT-Untersuchung teil) der Zusammenhang zwischen der Belastung (Sehnenkraft, maximalen Spannung) und Beanspruchung (Dehnung) der Patellarsehne mit strukturel-len Auffälligkeiten untersucht. Die strukturelle Integrität der Sehne wurde dabei mittels einer Raumfrequenzanalyse von Ultraschallaufnahmen bewertet2 und Neovaskularisation über Farbdoppler-Bildgebung quantifiziert.1 Zur Bestimmung des regionalen und mittleren Querschnitts der Sehne wurde in transversalen MRT Aufnahmen dazu die Konturen der Patellar-sehne zunächst manuell segmentiert und anschließend die Seh-ne über ihre Länge rekonstruiert.3,4 Zur Bestimmung des Hebel-arms wurde in sagittalen MRT Sequenzen die Rollflächen der Femurkondylen segmentiert und die Rotationsachse des Knie-gelenks angenähert.2 Die statistische Analyse der Längsschnitt-daten erfolgte mittels eines linearen gemischten Modells.

Ergebnis der Studie Zunächst zeigte die Analyse der Baseline-Daten der Kontroll-gruppe einen signifikanten inversen Zusammenhang zwischen

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der Beanspruchung der Patellarsehne und der Spitzenraumfre-quenz der Ultraschallaufnahmen des proximalen Sehnenanteils (r = −0.652, p = 0.006), was auf eine schlechtere strukturelle Integrität bei Sehnen, die hohen Dehnungen ausgesetzt sind, hindeutet. Ein Zusammenhang mit der Belastung (Sehnenkraft und -Spannung) zeigte sich hingegen nicht (p > 0,05). Ebenfalls deutete sich kein direkter Zusammenhang der strukturellen In-tegrität des distalen Anteils der Sehne oder der Farbfläche des Dopplersignals mit Belastungs- oder Beanspruchungsparame-tern an (p > 0,05).1 In der Längsschnittstudie zeigte sich in der Interventionsgruppe eine Reduktion des Anteils der Athleten, bei denen Sehnendeh-nungen von mehr als 9% festgestellt wurden, die als potenziell gewebeschädigend eingeschätzt werden (Abbildung 1).5 Ledig-lich in der Interventionsgruppe nahm die Widerstandsfähigkeit der Sehne zu (p = 0,004; Abbildung 2). Zudem bestand in der Interventionsgruppe (p = 0,91) im Gegensatz zur Kontrollgrup-pe (p < 0,001) kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Beanspruchung und der strukturellen Integrität der proximalen Sehne (Abbildung 3). Während der Anteil beschwerdefreier Sportler in der Baseline in beiden Gruppen ähnlich war (~70%), stieg dieser in der Interventionsgruppe kontinuierlich auf 100% bei M3 an, was auf eine stetige Abnahme der Patellarsehnen-schmerzen hinweist. In der Kontrollgruppe sanken die Werte bei M2 und erreichten bei M3 lediglich den Ausgangswert (Abb. 4).

Abbildung 1 Häufigkeit von Athleten mit einer maximalen Sehnen-dehnung von ≥ 9% in der Kontroll- und Interventionsgruppe (schraf-fiert) über die drei Messzeitpunkte (M1-3).

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Abbildung 2 Steifigkeit der Patellarsehne der jugendlichen Basketballathle-ten der Kontroll- und Interventionsgruppe an den drei Messterminen (M1-3). Die Boxplots zeigen die gegebenen experimentellen Daten. Die weißen Kreise zeigen den durch das linear gemischte Modell geschätzten Gruppen-mittelwert. * signifikanter Haupteffekt der Zeit; die Klammern indizieren signifikante post hoc Vergleiche; p < 0,05.

Abbildung 3 Zusammenhang zwischen maximaler Dehnung der Patel-larsehne und proximaler Spitzenraumfrequenz (PSF) als Indikator für die strukturelle Integrität der Sehne (niedrigere Werte entsprechen einer geringeren Packungsdichte und weniger gleichmäßigen Orientierung der Kollagenfaszikel). Der Zusammenhang war nur in der Kontrollgruppe signifikant (p < 0,05).

Abbildung 3 Häufigkeit von Athleten, die VISA-P Scores in den jeweiligen 10-Punkte-Intervallen angaben (100 Punkte = symptomfrei).

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Im Rahmen des Forschungsprojektes konnte Evidenz erbracht werden, dass – im Gegensatz zu Kraft oder Spannung – hohe Sehnendehnungen mit Einschränkungen der strukturellen Integ-rität des kollagenen Netzwerks der proximalen Patellarsehne von jugendlichen Basketballern zusammenhängen. Darüber hinaus wiesen Athleten, die an einer Tendinopathie litten oder eine solche entwickelten, sowohl eine stärkere Beanspruchung der Sehnen als auch eine geringere Packungsdichte und Aus-richtung der Faszikel auf,1 was die Ansicht unterstützt, dass die mechanische Beanspruchung der primäre mechanische Faktor für die Akkumulation von Sehnenschäden und das Fortschreiten von Überbeanspruchung ist.6-8 Obwohl es aus methodologischer Perspektive noch immer eine Herausforderung ist,9,10 könnte ein Screening der Beanspruchung der Sehne (i.e. Dehnung bei ma-ximaler Muskelanspannung) von Athleten perspektivisch ein vielversprechender Ansatz sein, um das Verletzungsrisiko der Sehne zu beurteilen.11,12 Die Bestimmung der Sehnenmikro-morphologie könnte zusätzlich genutzt werden, um die struktu-relle Entwicklung der Sehne abzuschätzen, wobei die Analyse der proximalen Sehne vermutlich sensibler ist, um gesundes und betroffenes Gewebe zu unterscheiden. Die Vaskularität der Sehne scheint auf der anderen Seite nicht mit der mechanischen Beanspruchung in Zusammenhang zu stehen und könnte eine physiologische Antwort der Sehne auf häufiges Training bei jugendlichen Spitzensportlern sein. Diese Ergebnisse wurden bereits in Frontiers in Physiology publiziert (Mersmann et al. 2019, Front Physiol 10:963). Die Integration spezifischer Übungen, welche einen evidenzba-sierten Stimulus für Sehnenadaptation liefern, in die Trainings-routine jugendlicher Sportler scheint ein wirksames Mittel zu sein, die Häufigkeit hoher Sehnendehnungen zu reduzieren, belastungsinduzierte Schädigungen der strukturellen Integrität der Sehne abzuschwächen und die Prävalenz von Sehnen-schmerzen zu verringern. Während die zugrundeliegenden Me-chanismen auf zellulärer Ebene noch unbekannt sind, lassen sich direkte Empfehlungen für die Praxis ableiten. Fünf Sätze je vier Wiederholungen von Übungen, die eine ausreichende Seh-nendehnung (d.h. 4,5 % bis 6,5 %) hervorrufen und über min-destens 3 Sekunden pro Wiederholung gehalten werden, dauern etwa 15 – 20 Minuten und können dreimal wöchentlich in Trai-ningspläne von Spitzensportlern integriert werden. Insbesonde-re in Sportarten mit einer hohen plyometrischen Belastung durch Sprünge und Richtungswechselbewegungen könnten spe-zifische Sehnentrainingsprogramme fest in Modellen zur kör-perlichen Entwicklung etabliert werden. Referenzen 1. Mersmann, F., Pentidis, N., Tsai, M. S., Schroll, A. & Arampatzis, A. Patellar

tendon strain associates to tendon structural abnormalities in adolescent athletes. Front. Physiol. 10, 963 (2019).

2. Bashford, G. R., Tomsen, N., Arya, S., Burnfield, J. M. & Kulig, K. Tendino-pathy Discrimination by Use of Spatial Frequency Parameters in Ultrasound B-

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Mode Images. IEEE Trans. Med. Imaging 27, 608–615 (2008). 3. Marzilger, R., Schroll, A., Bohm, S. & Arampatzis, A. Muscle volume

reconstruction from several short magnetic resonance imaging sequences. J Bi-omech 84, 269–273 (2019).

4. Mersmann, F. et al. Evidence of imbalanced adaptation between muscle and tendon in adolescent athletes. Scand J Med Sci Spor 24, E283–E289 (2014).

5. Wang, T. et al. Programmable mechanical stimulation influences tendon home-ostasis in a bioreactor system. Biotechnol. Bioeng. 110, 1495–1507 (2013).

6. Schechtman, H. & Bader, D. L. In vitro fatigue of human tendons. J Biomech 30, 829–835 (1997).

7. Wren, T. A. L., Lindsey, D. P., Beaupré, G. S. & Carter, D. R. Effects of creep and cyclic loading on the mechanical properties and failure of human Achilles tendons. Ann Biomed Eng 31, 710–717 (2003).

8. Fung, D. T. et al. Subrupture tendon fatigue damage. J Orthop Res 27, 264–273 (2009).

9. Seynnes, O. R. et al. Ultrasound-based testing of tendon mechanical properties: a critical evaluation. J Appl Physiol 118, 133–141 (2015).

10. Mersmann, F., Seynnes, O. R., Legerlotz, K. & Arampatzis, A. Effects of tra-cking landmarks and tibial point of resistive force application on the assessment of patellar tendon mechanical properties in vivo. J Biomech 71, 176–182 (2018).

11. Arampatzis, A., Mersmann, F. & Bohm, S. Individualized Muscle-Tendon Assessment and Training. Front. Physiol. 11, 723 (2020).

12. Mersmann, F., Bohm, S. & Arampatzis, A. Imbalances in the Development of Muscle and Tendon as Risk Factor for Tendinopathies in Youth Athletes: A Re-view of Current Evidence and Concepts of Prevention. Front. Physiol. 8, Article 987: 1–18 (2017).

Publikationen Bitte Belegexemplar/e beifügen

Mersmann, F., Pentidis, N., Tsai, M. S., Schroll, A. & Aram-patzis, A. Patellar tendon strain associates to tendon structural abnormalities in adolescent athletes. Front. Physiol. 10, 963 (2019).

Projektverantwortliche/r Univ.-Prof. Dr. Adamantios Arampatzis Dr. Falk Mersmann (stellv.)

Fachliche Beurteilung: Begleitung und Evaluati-on:

Beurteilung Bitte um Rückgabe an: Thomas Michael Höhn Stiftung Oskar-Helene-Heim Walterhöferstr. 11 14165 Berlin Oder per Email: [email protected]