ADDENDUM ZUM BESCHREIBENDEM VERZEICHNIS: … · Ein Zwischenstadium mit dem Umbau zu einer Viola da...

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ADDENDUM ZUM BESCHREIBENDEM VERZEICHNIS: BARYTON TIEWV 37A 1 TieWV 37a – Baryton, um 1685 München, Münchner Stadtmuseum Inv.-Nr. 44-87 Signatur: keine, kein Reparaturvermerk. Decke: Fichte(?), dreiteilig. Doppelte Randeinlage; unten, wo der Umriss eingezogen, kleines Rautenornament von der in- neren Einlage ausgehend. Schallloch in Flammenform. – Dek- kenholz oben angesetzt zur Verlängerung des Umrisses bzw. zur Verschmälerung, um den Violoncellohals besser einsetzen zu können. In die Decke ein ca. 7,5 cm breiter Mittelspan eingesetzt, ver- mutlich in Zusammenhang mit der Verschmälerung des Kor- pus. – Unten breiter, neuer Untersattel. Zargen: Ahorn. – Ganz oben verlängert um einen zusätzli- chen geschwungenen Teil für einen übergroßen Oberklotz, in dem der Hals eingesetzt ist. Der oberste originale Teil zum Boden hin keilförmig angesetzt, um durch eine größere Zar- genhöhe dem Hals am Oberklotz eine bessere Auflage zu ge- ben. Am unteren Ende drei Ebenholzspäne über die gesamte Zargenhöhe und zur Decke hin ein großes Stück Ahorn ein- gesetzt, möglicherweise um Spuren einer älteren Anhängung der Saiten zu verdecken. Oberklotz neu, ebenso ist der breite Unterklotz neu. Schmale Eckklötze aus Nadelholz, wohl original. Reifchen zur Decke hin teilweise alt? Boden: Ahorn, zweiteilig. – Flach, oben abgeknickt; in die Mittelfuge zwischen unterem Bodenrand und Knick ein ca. 3 mm breiter, dunkler Span eingesetzt (vermutlich in Zusam- menhang mit der Verschmälerung des Korpus, s.u.). Keine Randeinlage. Oberhalb des Knicks Flachschnitzerei mit Dar- stellung der Amphitrite auf punziertem Grund (in Original- größe der Vorlage bei Cornelis Danckerts’ Nouveau Libre ...); Ornament vermutlich aufgeleimt. Darüber Flachschnitzerei mit einem Tritonen, ein Horn blasend (diese Darstellung nicht bei Danckerts; gr. B zwischen erhobenem Arm und Horn 3,6); der Grund ebenfalls punziert, aber deutlich anders Abb. 1a und b TieWV 37a: Korpus

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Page 1: ADDENDUM ZUM BESCHREIBENDEM VERZEICHNIS: … · Ein Zwischenstadium mit dem Umbau zu einer Viola da gam-ba ist denkbar, aber durch keine Spuren eindeutig zu belegen. Die ursprüngliche

ADDENDUM ZUM BESCHREIBENDEM VERZEICHNIS: BARYTON TIEWV 37A 1

TieWV 37a – Baryton, um 1685

München, Münchner Stadtmuseum

Inv.-Nr. 44-87

Signatur: keine, kein Reparaturvermerk.

Decke: Fichte(?), dreiteilig. Doppelte Randeinlage; unten, wo

der Umriss eingezogen, kleines Rautenornament von der in-

neren Einlage ausgehend. Schallloch in Flammenform. – Dek-

kenholz oben angesetzt zur Verlängerung des Umrisses bzw.

zur Verschmälerung, um den Violoncellohals besser einsetzen

zu können.

In die Decke ein ca. 7,5 cm breiter Mittelspan eingesetzt, ver-

mutlich in Zusammenhang mit der Verschmälerung des Kor-

pus. – Unten breiter, neuer Untersattel.

Zargen: Ahorn. – Ganz oben verlängert um einen zusätzli-

chen geschwungenen Teil für einen übergroßen Oberklotz, in

dem der Hals eingesetzt ist. Der oberste originale Teil zum

Boden hin keilförmig angesetzt, um durch eine größere Zar-

genhöhe dem Hals am Oberklotz eine bessere Auflage zu ge-

ben. Am unteren Ende drei Ebenholzspäne über die gesamte

Zargenhöhe und zur Decke hin ein großes Stück Ahorn ein-

gesetzt, möglicherweise um Spuren einer älteren Anhängung

der Saiten zu verdecken.

Oberklotz neu, ebenso ist der breite Unterklotz neu. Schmale

Eckklötze aus Nadelholz, wohl original. Reifchen zur Decke

hin teilweise alt?

Boden: Ahorn, zweiteilig. – Flach, oben abgeknickt; in die

Mittelfuge zwischen unterem Bodenrand und Knick ein ca. 3

mm breiter, dunkler Span eingesetzt (vermutlich in Zusam-

menhang mit der Verschmälerung des Korpus, s.u.). Keine

Randeinlage. Oberhalb des Knicks Flachschnitzerei mit Dar-

stellung der Amphitrite auf punziertem Grund (in Original-

größe der Vorlage bei Cornelis Danckerts’ Nouveau Libre ...);

Ornament vermutlich aufgeleimt. Darüber Flachschnitzerei

mit einem Tritonen, ein Horn blasend (diese Darstellung

nicht bei Danckerts; gr. B zwischen erhobenem Arm und

Horn 3,6); der Grund ebenfalls punziert, aber deutlich anders

Abb. 1a und b TieWV 37a: Korpus

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2 ADDENDUM ZU FRIEDEMANN UND BARBARA HELLWIG, JOACHIM TIELKE. KUNSTVOLLE MUSIKINSTRUMENTE DES BAROCK

als bei Amphitrite darunter; Ornament vermutlich aufgeleimt.

Breiter Stimmbalken. Im Zuge der Veränderung des Instru-

ments zahlreiche breite Beläge quer zur Mittelfuge, Balken im

unteren und oberen Teil angebracht. Der oberste neue Teil

des Bodens ist auf der Innenseite dick mit Nadelholz belegt

(Faserrichtung parallel zur Mittelfuge).

Wirbelkasten/Kopf: Hals in der Art eines Violoncellohalses

n.o. – Wirbelkasten mit drei(!) Wänden und hinten einer

durchgehenden Platte. Die Wände mit jeweils beidseitig einer

Blindlinie, dazwischen einer einfachen Stichreihe, die Seiten-

flächen der beiden äußeren Wände belegt mit einer nach

oben aufsteigenden Blattranke. Die Rückseite mit der Darstel-

lung der Venus (in Originalgröße der Vorlage bei Cornelis

Danckerts) auf punziertem Grund. Oben ein vierfacher Moh-

renkopf aus geschwärztem Ahorn; vermutlich zwischen die

äußeren Wände (Wangen) des Wirbelkastens eingesetzt sowie

seitlich auf diese aufgesetzt und dann beschnitzt (vgl. insbe-

sondere TieWV 37); die Augen jeweils aus kleinen Perlen mit

schwarz gemalter Pupille, auch die Halskette mit eingesetzten

Perlen.

Besaitung: Sie lässt sich nur mühsam anhand der zugedübel-

ten Wirbellöcher in den drei Wänden des Wirbelkastens be-

stimmen; die Bestimmung der Saitenzahl wird behindert

durch die Verkürzung des Wirbelkastens um ca. 3 cm am un-

teren Ende und durch den Anschäfter. Die Zahl der Aliquot-

saiten muss auf jeden Fall gering gewesen sein.

Maße: Boden B oben/Mitte/unten/ganz unten 32,6/24,2/

37,5/35,5; Zargen H oben/unten 9/11,3, Wirbelkasten B vorn

oben >6, hinten unten 9,3.

Vorbesitzer: Ankauf 1944 aus dem Münchner Kunsthandel.

Literatur: Ausstellung Bayerisches Nationalmuseum 1951,

Kat.-Nr. 157 (damals hatte das Instrument anscheinend noch

einen Zettel von Nicola Amati). – Weitere Literatur bei Frie-

demann und Barbara Hellwig, Joachim Tielke. Kunstvolle

Musikinstrumente des Barock, Berlin/München 2011.

Technologische Dokumentation: Die dendrochronologi-

sche Datierung durch Dr. Micha Beuting vom 27.10.2014 er-

gab für den jüngsten Jahresring der Bassseite das Jahr 1650,

für den der Diskantseite 1606; der Mittelstreifen konnte we-

gen der zu geringen Anzahl von Jahresringen nicht datiert

werden.

Dieses Instrument ist bei allen späteren Veränderungen den-

noch zweifelsohne eine Arbeit aus der Werkstatt Tielke und

keine Kopie einer solchen! Dafür sprechen zahlreiche Einzel-

heiten, die sich aus dem Vergleich mit den beiden Barytons

TieWV 40 und 48 sowie dem Fragment TieWV 37 leicht ab-

lesen lassen: Der geschweifte Umriss des Korpus gleicht dem

von TieWV 40 und noch eher TieWV 48. Auch die Form der

Schalllöcher ist dieselbe. – Die Anlage des Wirbelkastens ent-

spricht der von TieWV 37 und 40, dasselbe gilt für dessen De-

kor. – Über die ursprüngliche Art der Anhängung der

Abb. 2 a–d TieWV 37a: Wirbelkasten und Kopf

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Aliquotsaiten ist genauso wenig Eindeutiges zu sagen wie bei

TieWV 37 und 48.

Der Dekor des Bodens ist in zweierlei Hinsicht beachtens-

wert: Die große Darstellung der Amphitrite, deren Wagen von

zwei Delphinen gezogen wird, fährt durch Wasser! Bei Tielke

fährt der Wagen im Gegensatz zu den Vorlagen immer auf fe-

stem Boden – mit einer Einschränkung: Bei der Gitarre

TieWV 135 fährt Amphitrites Wagen wie auf dem hier disku-

tierten Instrument durch Wasser! Die Darstellung eines Trito-

nen, der ein Horn bläst, lässt sich nicht auf Danckerts

zurückführen, auch wenn dort mehrere ähnliche Figuren zu

finden sind.

Die Datierung ergibt sich aus dem Vergleich mit den übrigen

Barytons aus der Werkstatt Tielkes. – Die dendrochronologi-

sche Analyse der Decke bestätigt die Richtigkeit der Zuschrei-

bung des Instruments an die Werkstatt von Joachim Tielke.

Gegenwärtig befindet sich das Instrument im Zustand eines

Violoncellos; dafür gibt es vier Wirbel im Wirbelkasten (alle

übrigen Wirbellöcher sind zugesetzt). Der absurd schmal wir-

kende Hals ist im Oberklotz auf „moderne“ Weise eingelassen

und in den Wirbelkasten eingeschäftet. Der Wirbelkasten ist

in diesem Zusammenhang am unteren Ende beschnitten, was

besonders am rückseitigen Ornament deutlich wird.

Die Veränderungen des Korpus sind im Einzelnen gut nach-

zuvollziehen:

Die Verschmälerung erfolgte durch Entfernung von Material

längs der Mittelfuge des Bodens und der Decke – an dieser

Stelle wurde dann der breite Mittelstreifen eingesetzt – sowie

durch Verkürzung der Zargen am Unterklotz. Weiterhin wur-

de oben auf den Zargenkranz ein zusätzlicher, geschwungener

Teil angebracht, um dem schmalen Cellohals eine optisch an-

gemessenere Basis zu geben. Damit wurde auch die Verlänge-

rung des Bodens nach oben hin notwendig.

Ein Zwischenstadium mit dem Umbau zu einer Viola da gam-

ba ist denkbar, aber durch keine Spuren eindeutig zu belegen.

Die ursprüngliche Besaitung ist aus der Zahl der zugedübel-

ten Wirbellöcher nur schwer abzulesen.

Mit diesem Instrument erhöht sich die Zahl der Barytons aus

der Werkstatt Tielke auf vier (und noch immer ist der Ver-

bleib des Instruments des Joseph Lidl ungeklärt; vgl. FBH

2011, S. 48 f.).

Dank an Pierre Bohr, Mailand, der uns auf dieses Instrument

aufmerksam machte.