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ADHS in der Schule Strategien für den Unterricht

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ADHS in der SchuleStrategien für den Unterricht

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Autoren

Barbara BargeléBundesverband Arbeitskreis Überaktives Kind e.V. (AÜK e.V.)

Dr. Jürgen BauschFacharzt für Kinder- und Jugendmedizin und AllgemeinmedizinEhrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen

Monika BohnGymnasiallehrerin a.D., systemische Beraterin (SG), Coach,Supervisorin LoB, Heilpraktikerin Psychotherapie, Oberursel

Cordula NeuhausDiplom-Psychologin, Diplom-Heilpädagogin, PsychologischePsychotherapeutin, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin,Verhaltenstherapeutin

Dr. Jan-Hendrik PulsFacharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapieHochschulambulanz für Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein Campus Lübeck

Prof. Dr. Franz ReschFacharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapieÄrztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie amUniversitätsklinikum Heidelberg

Gabriele SchmidDiplom-PsychologinHochschulambulanz für Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

Prof. Dr. Michael Schulte-MarkwortFacharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapieÄrztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugend -psychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Wissen, was ADHS bedeutetVorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Was ist ADHS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Symptome, Ursachen, Diagnose und Therapie von ADHS

Was bedeutet ADHS für den Lehrer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Fallbeispiel: Burn-out-Syndrom und vorzeitige Berentung

Was bedeutet ADHS für betroffene Kinder? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Fallbeispiele: Felix und Saskia

Strategie-Bausteine für LehrerVorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Grundlage für weitere pädagogische Maßnahmen

Gesprächsleitfaden Elterngespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Empfehlungen für ein Gespräch mit den Eltern von Felix

Gesprächsleitfaden Schülergespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Empfehlungen für ein Gespräch mit Felix

Modularer Leitfaden für den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Anwendung von ausgewählten Techniken im Unterricht

Hilfreiche InformationenInformationen zu gesetzlichen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45Zusätzliche Unterstützung für ADHS-Kinder und deren Eltern

Informationsquellen zu ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Hilfreiche Empfehlungen für Eltern

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Was versteht man unter …?

Eckpunktepapier des BMGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und

Soziale Sicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur

Verbesserung der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen

mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Kopiervorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

ADHS in der Schule, 6. überarbeitete Auflage, 2012; Océ-Deutschland Business Services GmbH

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Vorwort

Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,

im Januar 2006 ist unser Manual erstmals er -schienen. Dank vieler konstruktiver Rückmel dun-gen liegt Ihnen heute die 5. überarbeitete Auf -lage vor. Rückmeldungen aus Schulen, vonKolleginnen und Kollegen, anderen Fachkräften,die mit Kindern arbeiten, sowie von Eltern zeigenuns, dass unser Thema nach wie vor hoch aktu-ell ist, wobei unser Manual als hilfreiches Instru -ment bewertet wird. So ist es mittlerweile auchals pdf-Datei zum Download auf den Websitesverschiedener Bildungsträger sowie Selbsthilfe -gruppen zu finden.

Wahrscheinlich ist Ihnen bekannt, dass Ange -hörige Ihrer Berufsgruppe im Vergleich zu ande-ren Akademikern vergleichsweise häufig ihrenBeruf frühzeitig aufgeben. Als Grund für das vor-zeitige Ausscheiden aus dem Dienst werden häu-fig psychische wie auch körperliche Erschöpfung(„Burnout“) als Ursache infolge der schwierigenalltäglichen Arbeit in der Schule angegeben1.Eine wunschgemäße Unterrichtsgestaltung undein störungsfreier Unterrichtsablauf scheinenaus außerordentlich vielen Gründen erschwertzu sein – Lehrer zu sein ist offensichtlich keinleichter Job in der heutigen Zeit.

Besonders belastend für den Lehrer ist vorallem der Umgang mit problematischen Kindernin der Klasse. Unruhige und ungezogene Kinderhat es zwar schon immer gegeben, aber es hatden Anschein, dass es nicht nur immer schwieri-ger wird, mit ihnen umzugehen, sondern es auchimmer mehr Kinder gibt, die eine besondereAufmerksamkeit des Lehrers erfordern – einefast unlösbare Aufgabe in Anbetracht großerKlassen und straffer Lehrpläne.

Zu den problematischen Kindern gehören auchdiejenigen, die an der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Bestimmthaben Sie von ADHS schon gehört, gelesen oderauch selbst bereits Erfahrungen mit ADHS-Kin -dern in der Klasse gemacht – bei rund 500.000

betroffenen Kindern in Deutschland müsste sichrein statistisch gesehen in jeder Schulklassedurchschnittlich ein Kind mit ADHS befinden. DieKernsymptome dieser Erkrankung (Unaufmerk -samkeit, Impulsivität, Hyperaktivität) ermögli-chen es den Betroffenen mitunter nicht, demUnterricht zu folgen, und erschweren es Ihnenals Lehrer, einen geordneten Unterricht durchzu-führen.

Dass es sich bei ADHS um eine ernst zu neh-mende Erkrankung handelt (und nicht um einErziehungsproblem o. Ä.), steht außer Zweifel.Dies ist nicht nur Stand der Wissenschaft, son-dern auch die Politik hat sich bereits intensiv mitADHS beschäftigt. So hat das Bundesministe riumfür Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) im Jahre 2002 ein Eckpunktepapier zur Verbes -se rung der Versorgung von Kindern, Jugend -lichen und Erwachsenen mit ADHS verabschie-det, das klare Forderungen hinsichtlich der drin-gend nötigen Aufklärung über das Krankheits -bild ADHS und der Anerkennung der multimoda-len Therapie, inklusive der medikamentösenTherapie, enthält (s. „Hilfreiche Informationen“).

1 Deutsches Ärzteblatt (ab 2003, 2007, Mai 2008)

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In diesem Eckpunktepapier wird vor allemdeutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit allerbeteiligten Gruppen bei der Behandlung vonADHS ist, dass Eltern, Ärzte und Lehrer „aneinem Strang ziehen“. Sie als Lehrer könnenhier einen wichtigen Beitrag leisten, indem Siefrühzeitig auf Auffälligkeiten hinweisen, den Arztmithilfe Ihrer Beobachtungen bei der Diagnose -stellung unterstützen und die in Frage kommen-den Therapiemaßnahmen mittragen. Die Mitar -beit der Eltern vorausgesetzt, können Sie alsoentscheidend dazu beitragen, dass Kindern mitADHS frühzeitig und adäquat geholfen wird,diese somit – nicht nur in schulischer bzw. be -ruflicher Hinsicht – eine Zukunftsperspektivehaben.

Vor diesem Hintergrund, vor allem aber auchangesichts der Probleme, die Sie als Lehrer imUmgang mit ADHS-Kindern tagtäglich zu bewäl-tigen haben, haben wir uns als Autoren diesesManuals zusammengefunden, um Ihnen im Rah -men eines neuen Konzepts Hilfestellung bei die-ser speziellen pädagogischen Herausforderungzu bieten. „Wir“ sind Pädagogen, Psychologen,Psychotherapeuten und Ärzte, die sich in tensivmit dem Thema ADHS in der Schule aus einandergesetzt haben.

Mit dem vorliegenden Manual möchten wirIhnen die erforderliche Kompetenz im Umgangmit ADHS-Kindern vermitteln, dadurch IhrenStress abbauen, was sich positiv auf die gesamteUnterrichtsgestaltung und Ihre Berufsgesund -heit auswirken kann.

Das Manual besteht aus zwei Teilen:

• Im ersten Teil möchten wir Ihnen erklären, wasin Kindern im wahrsten Sinne des Wortes „vor-geht“, die aufgrund von ADHS über Tisch undBänke springen, wie abwesend erscheinenoder sich partout nicht für längere Zeit auf eineSache konzentrieren können. Anhand aktuellermedizinischer Daten zu Ursachen, Diagnostiksowie Therapie von ADHS und Fallbeispielenmöchten wir Ihnen das notwendige Hinter -grundwissen zu ADHS an die Hand geben undIhnen verdeutlichen, welche AuswirkungenADHS für alle Beteiligten haben kann.

• Im zweiten Teil geht es um die konstruktiveBewältigung von typischen Belastungssitu -ationen. Sie finden dort Empfehlungen zuVorgehensweisen, wie zum Beispiel einenmodularen Unterrichtsleitfaden, der Ihnenganz konkret aufzeigt, wie Sie den Unterrichtmit einem ADHS-Kind gestalten können.

Wir hoffen, dass Ihnen das Manual gefällt undes Ihnen vor allem in Ihrer täglichen Arbeit vonNutzen sein wird. Über weitere Rückmeldungenwürden wir uns sehr freuen.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg!

Barbara Bargelé, Dr. Jürgen Bausch, Monika Bohn, Cordula Neuhaus,Dr. Jan-Hendrik Puls, Prof. Dr. Franz Resch,Gabriele Schmid, Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort

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Vorbemerkung

Lösungen für Probleme lassen sich leichter finden, wenn die aktuelleSituation von den Beteiligten in der gleichen Weise wahrgenommen wird,wenn die Erklärungsansätze für die aufgetretenen Probleme ähnlich sind,wenn Einigkeit darin besteht, welche Ziele als Erstes verfolgt werden sol-len, und wenn auf allen Seiten akzeptiert wird, dass es auf diesem Weg zuweiteren Absprachen kommen kann, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

In Bezug auf ADHS ist es für Lehrer und Eltern ein erster wichtigerSchritt, über ein gemeinsames und gut begründetes Wissen zu verfügen,worin sich ADHS äußert und was das für das Kind und alle weiteren Be -teiligten in ihrer besonderen Situation bedeutet.

Aus diesem Grund finden Sie in diesem ersten Kapitel sowohl Infor ma -tionen zum Krankheitsbild ADHS („Was ist ADHS?“) als auch Fallbeispiele,die deutlich zeigen, was ADHS konkret für den Lehrer und die betroffenenKinder bedeuten kann. Sie geben Ihnen die Möglichkeit zu überprüfen, wasIhnen daran bekannt vorkommt oder neu erscheint. Die eine oder andereBeschreibung deckt sich sicherlich mit Ihren Erfahrungen und wird diese –abhängig von Ihrem Vorwissen – gegebenenfalls in ein anderes Licht rücken.

Als Lehrer verbringen Sie viele Stunden des Tages mit Ihren Schüle rin -nen und Schülern. Sie verfügen über die entsprechende pädagogischeKompetenz, Kinder gemäß ihren Fähigkeiten zu fördern, sie zu bilden undzu erziehen. Zudem erleben Sie die Kinder in der Schule in einem völliganderen sozialen Kontext als die Eltern.

Ein geschärfter Blick für das Krankheitsbild ADHS wird es Ihnen ermög-lichen, die ersten Weichen für eine Differenzialdiagnostik von auffälligenKindern zu stellen und – für Sie als Lehrer entscheidend – den Unterrichtmit einem ADHS-Kind in der Klasse so zu gestalten, dass er entspannter ist.

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Was ist ADHS?

NomenklaturMit der Abkürzung ADHS bezeichnet man die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Häufig trifft man auf weitere Bezeichnungen undAbkürzungen, die für bestimmte Ausprägungen oder Subtypen der glei-chen Erkrankung verwendet werden. Wir benutzen in unserem Manual ein-heitlich die Abkürzung ADHS – nur an den Stellen, an denen eine genauereSpezifizierung des Krankheitsbilds für das Verständnis wichtig ist, weichenwir davon ab.

StörungsbildAufmerksamkeitsstörungen können mit und ohne Hyperaktivität (ADHS/

ADS) auftreten. Um von ADHS sprechen zu können, müssen die Symptomebereits vor dem Alter von sieben Jahren aufgetreten sein und länger alsein halbes Jahr vorliegen. Insgesamt entsprechen die Auffälligkeiten unddas Verhalten der Kinder nicht ihrem Alter. Betroffen sind etwa 3 bis 7 Pro -zent der Kinder im schulpflichtigen Alter.

Es fällt den Kindern schwer, ihre Aufmerksamkeit gezielt und über einelängere Zeitspanne hinweg Aufgaben zu widmen, besonders wenn diesesubjektiv als schwierig oder langweilig erachtet werden. Auch können siesich nicht schnell von einer Situation auf eine andere umorientieren, wennihre Aufmerksamkeit bereits durch eine bestimmte Sache oder Person ge -bunden ist. Dazu kommt, dass der Wahrnehmungsstil dieser Kinder ober-flächlich und flüchtig und dadurch mit einer entsprechend hohen Fehler -wahrscheinlichkeit behaftet ist. Sie nehmen oft ihre Umwelt nicht wertungs-frei wahr, sondern eher einseitig, direkt bewertend und polarisierend.

Begleitet wird dies häufig von raschen Stimmungsumschwüngen mitextremen Gefühlsausprägungen: Die Kinder sind in einem Moment über-schwänglich begeistert, im nächsten beleidigt und im übernächsten „stink-sauer“. Sie steigern sich in diese Gefühle hinein, ohne dies zu wollen.

Symptome, Ursachen, Diagnose und Therapie von ADHS

Häufige ADHS-KernsymptomeUnaufmerksamkeit • schlechte Konzentration

• leichte Ablenkbarkeit• Vergesslichkeit

Impulsivität • ständiges Unterbrechen und Stören anderer• Herausplatzen mit Antworten• nicht warten können

Hyperaktivität • extremer Bewegungsdrang• motorische Unruhe• ständiges Laufen und Klettern• Ruhelosigkeit/Getriebenheit

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Beson ders problematisch für die soziale Interaktion ist, dass kein „auto-matischer Perspektivwechsel“ heranreift: ADHS-Kinder können sich nichtwie ihre Altersgenossen in andere hineinversetzen oder automatisch vor-wegnehmen, was der andere sieht oder wie er handeln wird. Auch ist dieLatenz, bis sie Regeln oder sie nicht interessierende Lerninhalte verinner-licht haben, bedeutend höher als bei Nichtbetroffenen. Bei ADHS-Kindernkann man sozusagen von einer „seelischen Entwicklungsverzögerung“ spre-chen.

Die Probleme sind nicht nur auf bestimmte Situationen wie Schule oderHausaufgaben beschränkt, sondern treten fast durchgehendauf. Nur bei optimalen Bedingungen und in Einzelfällen könnenKinder mit ADHS etwa gleich lange bei der Sache bleiben wieihre Al ters genossen. Die Kernsymp to me Unaufmerksamkeit,Impulsivität und Hyperaktivität können durch weitere Schwierig -keiten wie z.B. eine schlechte soziale Inte gration, Ag gressivität,mangelhafte Schulleistungen und ge fahrenträchtiges Verhaltener gänzt werden. Dabei handelt es sich um sekundäre Probleme,die aufgrund von ADHS erst entstehen.

Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen, manchmal wirddas Vorlie gen der Störung bei Mädchen aber auch einfach über-sehen. Besonders weil sie häufiger an der eher unauffälligenVariante dieser Er krankung leiden – ADS –, die ohne Hyperakti -vi tät einhergeht. Die Kinder gelten als verträumt oder abwesendund vergesslich, an eine behandlungsbedürftige Störung denktoft zu nächst niemand.

Ursachen und deren AuswirkungenADHS ist eine neurobiologische Erkrankung: Im Vergleich zu Nichtbe -

troffenen zeigen sich bei Erkrankten neben strukturellen UnterschiedenAuffälligkeiten in bestimmten Botenstoffsystemen im Gehirn, die für dieInformationsübertragung von Zelle zu Zelle zuständig sind. InsbesondereDopamin und Noradrenalin spielen hier eine wichtige Rolle. Offensichtlichnutzen Betroffene in der Folge ihre neuronalen Netzwerke anders. Es fälltihnen schwer, in einer vernetzten und geordneten Arbeitsweise komplexeAufgaben zu bewältigen, wichtige und unwichtige Wahrnehmungen vonein-ander zu unterscheiden und diese Informationen in der Handlungsplanungzu berücksichtigen. Ihr Kurzzeitspeicher entwickelt nicht die normale Ka -pazität, der Spontanabruf von Gedächtnisinhalten und die Integration neuerInformationen sind ebenfalls problematisch. Dadurch können ADHS-Kindernicht effektiv aus Erfahrungen lernen, und es entsteht kein Gefühl für Zeit,so dass das Einteilen von Zeit oft misslingt. Das Ungleichgewicht im Stoff -wechsel des Stirnhirns, in dem die so genannten exekutiven Funktionenreguliert werden, macht es den Kindern schwer, Prioritäten zu setzen. DieFähigkeiten, reife und ausgewogene Entscheidungen zu treffen sowie plan-voll und zielgerichtet zu handeln, sind nicht ausreichend entwickelt.

Symptome, Ursachen, Diagnose und Therapie von ADHS

In Deutschland sind ca. 500.000 Kinder imschulpflichtigen Alteran ADHS erkrankt. Dasbedeutet, dass sich imDurchschnitt in jederSchulklasse ein betrof-fenes Kind befindet.1

Stille Mädchen, dieeine ADS ohne Hyper -aktivität zeigen, wer-den oft übersehen und in Ihrem Potenzialunter schätzt.

1 R. Schlack, H. Hölling, B.-M. Kurth and M. Huss: Die Prävalenz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Erste Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), Bundesgesund-heitsblatt, Volume 50, 827-835.

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Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat deutliche Fortschritte gemacht,aber noch keine vollständige Aufklärung der Ursachen von ADHS erzielenkönnen. Man geht heute davon aus, dass viele verschiedene Faktoren an

der Entstehung und Ausprägung von ADHS beteiligt sind(z.B. biologische und/oder psychosoziale Einflüsse). Alsgesichert kann gelten, dass die Dysregula tion des Hirn -stoffwechsels in hohem Maße von genetischen Faktorenabhängt. Darum sind nicht nur häufig meh rere Kindereiner Familie betroffen, sondern möglicherweise auch ihreEltern und später ihre eigenen Kinder.

Entsprechend den neurobiologischen Befunden zeigendie wissenschaftlichen Studien klar, dass die elterlicheErziehung keinesfalls die Ursache von ADHS ist.

VerlaufIn der Rückschau berichten Eltern häufig, dass schon die allerersten Lebens-

jahre anders verlaufen seien als bei anderen Kindern. Im Kinder garten wer-den viele Familien erstmals auf das schwierige Verhalten ihrer Kinder ange-

sprochen. Mit dem Schulbeginn können die Kernsymptomeimmer eindeutiger beschrieben werden. Wenn in der Pu ber -tät bei vielen Patienten die motorische Unruhe spürbarnachlässt, hoffen viele, die Probleme seien nun zu Ende.Doch Unaufmerksamkeit und Impulsivität bestehen oft fort,und insbesondere ihr vorschnelles und unüberlegtes Han -deln bringt die Jugendlichen bei fehlender Unterstützungimmer wieder in Schwie rig keiten. Der Kon sum von legalenund illegalen Drogen ist höher als bei Alters genossen, undoft kommt es zu kleineren oder größeren Straftaten. DieBetroffenen sind häufiger in Verkehrs unfälle verwickelt

VorderesAufmerksam-keitssystem

Präfrontaler Kortex(Großhirnrinde im vorderenStirnlappen)

Hinterer parietaler Kortex

(Großhirnrinde im Scheitel-

lappen)

AufmerksamkeitImpulsivität

Motorik

Noradrenalin:spielt eine wesentliche

Rolle bei derAufmerksamkeit

Dopamin:spielt eine wesentlicheRolle bei Antrieb undMotivation

HinteresAufmerksam-keitssystem

Modifiziert nach Pliska et al. (1996): Catecholamines in attention-deficit hyperactivity disorder. J Am Acad Cild Adolesc Psychiatry, 35 (3): 264–272, sowie Himelstein et al. (2001): The neurobiology of attention-deficit hyperactivity disorder. Front Biosci 5: D461–78

1 Trott GE. Attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in the course of life. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2006 Sep;256 Suppl 1:i21-5.

ADHS ist eine neuro-biologische Funktions -störung mit einer ho -hen genetischen Kom -po nente. ADHS wirdkeinesfalls durch dasVerhalten oder dieErziehung der Elternverursacht.

ADHS wächst sich nichtaus. Bei rund zwei Drit -teln bleiben die Symp -tome bis ins Erwachse -nenalter – wenn auchin veränderter Form –erhalten. Meist domi-niert die Aufmerksam -keitsstörung.1

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und haben Probleme in der Schule sowie späteram Ausbildungs- und Ar beitsplatz. Rund zweiDrittel der Kinder werden auch als Erwachsenenoch unter den Symp tomen von ADHS leiden.

SelbstbildIm Gegensatz zu ihrer Umwelt nehmen beson-

ders Kindergarten- und Grundschulkinder dieKernprobleme der Aufmerksamkeitsstörung kaumselbst wahr. Sie tun einfach das, was ihnen im je -weiligen Augenblick richtig und wichtig er scheint.Jugendliche sind zunehmend mehr in der Lage,ihre Konzentrationsprobleme zu be schreiben undzu bemerken, dass sie oft vorschnell handeln.Was sie aber in der Regel sehr deutlich realisie-ren, ist, dass sie es mit den Men schen in ihrerUmgebung schwer haben. Sie spüren, dass eszunehmend problematischer wird, Freunde zufinden, und dass sie ausgegrenzt werden. Häufiggibt es Streit zu Hause, und in der Schule fälltdas Lernen schwer. Die Hausauf gaben sind eineQual, die Lehrer sind unzufrieden, weil Unter -richtsmaterial häufig vergessen wird und der Ab -

lauf in der Klassegestört wird. Kindermit ADHS bringendiese Dinge nichtunbedingt mit eige-nem Fehlverhal tenin Verbindung, abersie fühlen sich vonihren Mitmen schenoft ungerecht be -

handelt. Wut und Aggression, aber auch sozialerRück zug, Ängste und Depressionen können dieFolge sein.

FamilieFür die Familie stellt sich bald die Frage, ob

die eigene Erziehung schuld an dem auffälligenVerhalten des Kindes ist – häufig wird diese Fra -ge auch von anderer Seite an die sich zuneh-mend überfordert fühlenden Eltern herangetra-gen. Partnerschaftskonflikte um Erziehungsfra -gen entstehen, und die Erwachsenen leiden ins-gesamt unter der ständig herrschenden An span -nung. Die schulischen Probleme führen zu Ängs-ten, mit der Schule in offenem Kontakt zu blei-ben. Nicht betroffene Geschwister fühlen sich insAbseits gestellt und werben selbst auf ihre Artund Weise um die Aufmerksamkeit von Mutter

und Vater. Zusätzlich erschwert werden kann dieSituation durch die ebenfalls vorliegende ADHS-Erkrankung eines oder beider Elternteile. DieBetreuung der von ADHS betroffenen Kinder istschwierig, ihr lautes und ungestümes Verhaltenführt dazu, dass sie nicht immer gern geseheneGäste bei den Eltern anderer Kinder sind. Groß -eltern, Freunde und Babysitter fühlen sich derAufgabe häufig nicht gewachsen.

SchuleObwohl die besonderen Probleme der Kinder

auch im Kindergartenalter oft schon erkennbarsind, stellt die Schule die entscheidende Hürdefür die meisten Kinder mit ADHS dar. Das unge-wohnte Stillsitzen und die notwendige Selbst -kontrolle überfordern sie, es fällt schwer abzu-warten. Und 45 Minuten sind eine sehr langeZeit, wenn die Konzentration nach zehn Minutenbereits am Ende ist. Kinder mit ADHS sind alsGruppe nicht mehr und nicht weniger intelligentals ihre Altersgenossen. Natürlich gibt es auchunter ihnen Kinder mit hoher oder niedriger In -telli genz, doch weder sind sie übermäßig häufighochbegabt, noch in ihrer Mehrzahl Kandidatenfür die Förderschule. In jedem Fall aber fällt esihnen schwer, ihr intellektuelles Potenzial vollauszuschöpfen. Damit enttäuschen sie nicht nursich selbst und ihre Eltern, sondern auch ihreLehrer, die nicht selten annehmen, das Kindkönne, wolle aber nicht mitarbeiten. Auch werals Lehrer um die besondere Problematik derKinder weiß, empfindet sie häufig als sehranstrengend. Oft scheint die Mühe, die sich vieleLehrkräfte machen, nicht so recht zu fruchten.Der Kontakt zu den Eltern wird zunehmendangespannt. Die Konsequenz daraus ist, dass die

Quote der ADHS-Kinder, die eineKlasse wiederholenoder gar die Schuleohne Abschluss ver-lassen müssen,deutlich erhöht ist.

Wird ADHS nicht früh-zeitig diagnostiziertund adäquat behan-delt, können diversesekundäre Begleit-erkrankungen undProbleme auftreten.

Kinder mit ADHS sindim Durchschnitt NICHTmehr und NICHT weni-ger intelligent als ihreAltersgenossen. Siekönnen aber aufgrundvon ADHS ihr intellek-tuelles Potenzial oftnicht voll ausschöpfen.

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AnsprechpartnerDie Diagnose sollte von Fachleuten gestellt

wer den – dies sind Fachärzte für Kinder- undJugendpsychiatrie, aber auch erfahrene und ent-sprechend qualifizierte Fachärzte für Kinder-und Jugendmedizin sowie Klinische Psychologen.Vorausgegangen sein sollte die körperliche undneurologische Untersuchung durch einen Kin -der- und Jugendarzt. Sinnvoll ist oft auch dieVorstellung bei HNO- und Augenärzten, um ent-sprechende Beeinträchtigungen nicht zu überse-hen. Weitere mögliche Ansprechpartner sindsozialpädiatrische Zentren sowie der Schulpsy -chologische Dienst.

UntersuchungUm andere Erkrankungen auszuschließen, ge -

hört zur Basisdiagnostik eine eingehende kör -per lich-neurologische Untersuchung, gegebe-nenfalls ergänzt durch Laboranalysen und einEEG. Entscheidend ist die ausführliche Erhebungder Vorgeschichte des Kindes und seiner Fami -lie, die durch Fragebögen und Angaben von Drit -ten ergänzt wird. Die Durchsicht der Zeugnisse,aber auch aktuelle Situationsbeschreibungen derLehrer und von ihnen ausgefüllte Fragebögensind unverzichtbarer Bestandteil der Diagnostik.Standardmäßig werden darüber hinaus Intelli -genz- und Aufmerksamkeitstest durchgeführt

und Teilfunktionenüberprüft (Gedächt -nis, Wahr nehmung).Psycho logische Test -ver fahren könnendie Diagnostik er -gän zen. Kein Teildieser Unter suchungkann allein die Diag -nose ADHS sichern.

Differenzialdiagnostik und AusschlussdiagnostikDie Symptome von ADHS können oberflächlich

betrachtet mit denen anderer Probleme, Störun -gen oder Krankheiten verwechselt werden. Fürden Bereich der Kinderheilkunde sind dies zumBeispiel Schilddrüsenstörungen oder Anfalls -leiden. Kinder- und jugendpsychiatrisch solltedie Problematik von Sozialverhaltensstörungen,Ängsten, Depressionen oder autistischen Stö run -gen abgegrenzt werden. Vor allem bei Ju gend -lichen muss auch an eine beginnende Psychose

oder eine Persönlichkeitsentwicklungsstörunggedacht werden. Auch Kinder mit einer Lernbe -hinderung oder, seltener, einer Hochbegabungkönnen sich ähnlich auffällig verhalten. Gleichesgilt bei einer schulischen Überforderung – etwaan der weiterführenden Schule – oder bei ande-ren Aus lösern in der aktuellen Lebenssituationdes Kindes. Manchmal verbergen sich nämlichhinter ähnlichen Symptomen auch traumatischeErfahrungen wie Unfälle, Krankenhausaufenthalte,Operationen oder der Verlust von bedeutsamenBezugspersonen, ja sogar von Haustieren.

BegleiterkrankungenKinder mit ADHS haben häufig noch andere

kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen.Neben einem trotzig-oppositionellen Verhalten

oder einer Sozial -verhaltensstörungkönnen dies auchDepressionen, Äng-ste oder Zwängesein. Auch Tics unddas Tourette-Syn -drom, also Er kran -kungen mit unwill-kürlichen Muskel -

zuck un gen, vor allem im Ge sichts- und Schul -terbereich, oder auch plötzlichen und un ge woll -ten stimmlichen Äußerungen, treten bei Kindernmit ADHS gehäuft auf. Oftmals finden sich außer -dem um schrie be ne Entwicklungs stö rungen undTeil leis tungs schwächen wie Legasthenie undDyskal ku lie. Schließlich kann ADHS auch voneiner Lern behinderung begleitet werden.

TherapieDie Therapie von ADHS sollte in der Regel

immer multimodalangelegt sein. Dabeiergänzen sich opti-malerweise verschie -dene Behand lungs -methoden, so dassmit ihrem Zusam -men wirken der best -mögliche Erfolg er -zielt wird. Gleichesgilt für die Integra -

tion verschiedener Ansprechpart ner in die Be -handlung.

Entscheidend ist: KeineTherapie ohne vorher-gehende Diagnostik!ADHS kann nicht durcheine „Blickdiag nose“oder ein kurzes Ge -spräch festgestelltwer den und erfordertviel fachliche Erfahrung.

Die Bausteine eines mul -ti modalen Therapie -kon zepts sind Beratungund Aufklärung, Ver -haltenstherapie sowiemedikamentöse Be -hand lung, die einzel-fallabhängig kombiniertwerden.

In mehr als der Hälftealler Fälle haben Kin -der mit ADHS eine Be -gleiterkrankung, einesogenannte KomorbideStörung. Diese kann dieEntwicklung des Kindeszusätzlich erschweren.

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Neben diesen wichtigsten Bausteinen des multimodalen Therapiekonzeptskönnen zusätzlich Trainings zur Konzentrations- und Wahrnehmungs för de -rung und sozialen Kompetenz hilfreich sein.

Verhaltensthera-peutische Verfahren(z.B. Elterntrainings,siehe nachfolgend)helfen, störende Ver -haltensweisen zu er -kennen und abzulegensowie neue gewünsch-te lösungs- und ziel-orientiert zu erlernen.Hierbei ist es wichtig,die Entwicklungs be rei -che (positiver Begrifffür die zu verändern-den Verhaltensweisen)ressourcenorientiert,d.h. unter Einbindungvorhandener Stärkender betroffenen Kin der,anzugehen.

Nicht alle ADHS-Kin -der benötigen Medika -mente. Wenn diese aberangezeigt sind, könnensie die Sympto me die-ser Störung deutlichmindern. Oft sind sieerst die Grundvor aus -setzung dafür, dassweitere MaßnahmenErfolg bringend durch-geführt werden können.

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Grundlage jeder The ra -pie muss wie bei al lenchronischen Er kran -kun gen die gründlicheAufklärung und Infor -ma tion der Familie,also altersentspre-chend auch des Kindesoder Jugendlichen,über das Störungsbildund seine Ursachensein. Eine kontinuierli-che Betreuung und Be -ratung zu den im merwieder auftretendenFragen ist unerlässlich.Auch die Schule solltegut informiert sein. Nurdann kann der Erfah -rungs schatz der Lehrer,aber auch ihre präziseBe obachtung der er -reichten Fortschritte,für die Behandlunggenutzt werden.

Multimodale Therapie

Verhaltens-therapie

MedikamenteBeratung undAufklärung

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VerhaltenstherapieVon den verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren konnte insbe-

sondere für die Verhaltenstherapie nachgewiesen werden, dass mit ihreine Reduktion der ADHS-typischen Symptome gelingt. In der Verhaltens -therapie, die als Einzel-, aber auch als Gruppentherapie angewendet wer-den kann, geht es um die gezielte Veränderung des täglichen Verhaltens.So kann mit dem Kind herausgefunden werden, welche Verhaltensformenbesonders gut und welche weniger gut zur Bewältigung einer bestimmtenSituation geeignet sind. Die Therapie zielt darauf ab, das erwünschte Ver -halten zu verstärken, also zu belohnen, so dass es häufiger angewendetwird. Dazu ist die enge Kooperation mit den Eltern, aber auch mit derSchule notwendig. Die Verhaltensänderungen können sich dabei auf dieMitarbeit im Unterricht oder die Erledigung von Pflichten wie Haus auf -gaben, aber auch auf den Umgang mit Stress und Streit oder negativenGefühlen wie Angst, Wut oder Selbstunsicherheit beziehen.

ElterntrainingStörungsspezifisch orientierte Elterntrainings sind eine Quelle der Ent -

lastung und Information zugleich. Wie bei anderen Elterntrainings undErziehungsberatungen auch, liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlungeines wohlwollenden, aber konsequenten Erziehungsansatzes sowie vonSachwissen über die kindliche Entwicklung. Zudem wird Eltern erläutert,wie sie auf die Besonderheiten ihrer Kinder mit ADHS eingehen können.Durch die Begegnung mit anderen betroffenen Vätern und Müttern habenviele Eltern erstmals das Gefühl, mit ihren speziellen Problemen nichtallein zu stehen. In der Gruppe wird auch deutlich, dass es keine Patent -lösungen gibt – wohl aber Erfahrungen, von denen andere profitieren kön-nen. Schließlich wird deutlich gemacht, dass die Eltern mit der Verände -rung eigenen Verhaltens auch das Verhalten des Kindes beeinflussen kön-nen und so wesentlich zu seiner positiven Entwicklung beitragen können.

MedikamenteDie medikamentöse Behandlung ist eine der Säulen der Behandlung.

Während es in der Öffentlichkeit immer wieder Vorbehalte gibt, zeigen dieForschungsergebnisse aus mehreren Jahrzehnten, dass diese Therapie in der Regel wirksam und gut verträglich ist. Die Behandlung sollte sichimmer auf eine solide Diag nose stützen. Eine Medikation vor dem sechstenLebensjahr wird in der Regel nicht empfohlen. Danach sollte die Wirksam -keit ebenso wie mögliche Neben wirkungen von Eltern und Lehrkräftengemeinsam beurteilt werden. Die zur Behandlung einer ADHS eingesetztenMedikamente unterscheiden sich zum einen in ihrem Wirkmechanismus(Stimulanzien und selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) und inihrer Wirkdauer (von 2 bis 4 Stunden bis hin zu einer länger anhaltendenWirkung). Dabei unterliegen die Stimulanzien dem Betäubungsmittelgesetz,weshalb sie auf einem speziellen Rezept (dem sogenannten BtM-Rezept)verordnet werden müssen, während selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-hemmer auf einem normalen Rezept verordnet werden können. Ein Teilder Medikamente erlauben eine Behand lung über den ganzen Tag hinwegmit einer einmaligen morgendlichen Gabe.

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Ergänzende TherapieoptionenViele Familien haben Erfahrungen mit weiteren therapeutischen Mög lich -

keiten gemacht, die allerdings bisher in ihrer Wirksamkeit nicht wissen-schaftlich nachgewiesen wurden. So werden nicht nur die Verhaltensthera -pie, sondern auch viele weitere psychotherapeutische Verfahren bei derBehandlung der ADHS eingesetzt, unter anderem oftmals ergänzend dieFamilientherapie.Der verhaltenstherapeutische Ansatz selbst wird zunehmend durch Ver -

fahren wie z.B. „kreatives Malen mit Fingermax®“ oder „tiergestützteThera pie und Pädagogik“, die die individuelle Bedürfnislage der Kinderberücksichtigen, erweitert. Gerade der Einsatz von Tieren in der Therapiekann den Zugang zu den Kindern erleichtern, was beispielhaft durch einLudwigshafener Projekt mit Schulverweigerern belegt worden ist.Soziale Kompetenztrainings werden bei Kindern an Grundschulen und

weiterführenden Schulen vor allem in Gruppen angewendet. Die Ergo -therapie wird hauptsächlich mit Kindern im Vor- und Grundschulalterdurchgeführt. Psychomotorik, Musiktherapie und Reittherapie können beiKindern dieser Altersgruppe die Freude an Bewegung und den Umgangmit Tieren aufgreifen und sowohl die motorische als auch die emotionaleEntwick lung fördern. Biofeedbackverfahren haben ebenso wie Seh- undHörver arbeitungstrainings erste ermutigende Ergebnisse gebracht.Darüber hinaus gibt es Angebote für Kurse zur Konzentrationsförderungsowie lerntherapeutische Methoden.

ZusammenfassungDer Wissensstand zu ADHS ist umfangreich. Manche Details können Ein -

steigern als verwirrend erscheinen. Die wichtigsten Fakten sind jedochsehr eindeutig belegt. ADHS ist eine neurobiologische Erkrankung mit er -heblichen psychosozialen Auswirkungen. Die Diagnostik erfordert einenhohen Aufwand und viel Erfahrung. Die Therapie sollte multimodal ange-legt sein und dabei vor allem auf die Elemente Elterntraining, Verhaltens -therapie und Medikation zurückgreifen. Durch fachgerechte Behandlungkann der Verlauf positiv beeinflusst werden.

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Was bedeutet ADHS für den Lehrer?

Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,

Sie sind in Ihrer pädagogischen Rolle eigentlichSchwerstarbeiter. Große Klassen, ein enormerLärmpegel, häufig unmotivierte Kinder und Ju -gend liche, fehlende Kollegialität sowie belasten-de Kon ferenzen sind nur einige der Aufgaben,denen Sie sich täglich stellen müssen.2 Währendsich der Lehrberuf in der Vergangen heit keinerallzu großen Beliebtheit erfreute, ent steht inunserer Bevölkerung glücklicherweise ein wach-sendes Verständnis für das, was Sie täglich inder Arbeit mit jungen Menschen und bei sichstetig wandelnder Bildungspolitik meistern. Lauteiner durch DIE ZEIT 2009 in Auftrag gegebenUmfrage sind 64 % der erwachsenen Be völke -rung Deutsch lands der Auffassung, dass Sie gute Ar beit innerhalb eines herausforderndenSystems leisten. Dass Sie einer Profession ange-hören, die zu den am meisten von gesundheitli-chen Beein trächtigungen betroffenen Berufs -gruppen zählt, ist mittlerweile unbestritten.

Von daher ist „Lehrergesundheit“ ein wichtigesThema auch für die Bildung und Gesundheit vonSchülerinnen und Schülern. Denn gesunde Leh -rer können mit Freude und Engagement am Werksein, ohne sich selbst aufzugeben, und sind da -mit wertvolle Lernbegleiter und Rollen modelleunserer Kinder und Jugendlichen. PädagogischeSupervision und kollegiale Fallarbeit können da -zu dienen, dass Sie Unterstützung und Entlas tungfinden. Wie wohltuend dies sein kann, könnenÄrzte und Therapeuten schon seit Jahrzehntenberichten, für die diese Form der „Selbsthygiene“zum Pflichtprogramm gehört.

Unser Fallbeispiel beschreibt Ihren Kollegen,Herrn Arno B., der mit seinem Schicksal leiderkeinen Einzelfall darstellt. Seine Situation de -monstriert eine Entwicklung, die Sie mit hoherWahrscheinlichkeit so oder so ähnlich schon ein-mal selbst in Ihrem Kollegenkreis miterlebt ha -ben. Das folgende Beispiel zeigt deutlich, wie dieAnforderungen des Lehrer berufes, vor allem kon-tinuierlich problematische Unterrichtssitua tio -nen und Auseinander setzun gen mit Eltern auflange Sicht ernsthaft krank machen können. Undnicht selten sind die vermeintlichen „Stören -friede“ und „Klassen kasper“ ADHS-Kinder, dieden Unterrichtsrah men schnell sprengen können.

Arno B. aus C., 56 Jahre, ist Witwer, der in ei nerneuen Beziehung lebt. Er ist Grund schul lehrerund gilt in seiner Schule als schwierig und min-der belastbar. Nach einem vergeblichen und lau-ten Disput mit einer allein erziehenden Mutterbekommt er einen Hörsturz. Er hatte versucht,der Frau begreiflich zu machen, dass ihr 9-jähri-ger Sohn als „Klassenkasper“ nahezu jede Unter -richtsstunde sprengt und außerdem erheblicheLeistungsdefizite aufweist. Die gewünschte Un -terstützung der Mutter zur Erziehung des unru-higen Jungen bleibt jedoch nicht nur aus, son-dern wird von ihr umgemünzt als eine notwendi-ge Reaktion des Buben auf seine Voreingenom -menheit und Erziehungsschwäche. Nach einigenTagen kehrt das Gehör wieder zurück, jedochnur allmählich, und hinterlässt ein an Intensitätwechselndes störendes und einseitiges Ohrge -räusch. Schlaf und Konzentration leiden; Korrek -turen, Unterrichtsvorbereitungen und das Dis -ziplinieren der Klassen im Unterricht fallen ihmimmer schwerer. Am Morgen klagt er über Un -woh lsein und Lustlosigkeit. Innerlich plagt ihnauch die zunehmende Angst, allmählich zumVersager zu werden und den Anforderungennicht mehr gewachsen zu sein – Arno B. hatschließlich nicht nur diesen einen „Klassen -kasper“ …Die Schulleitung lässt ihn nach einer Attacke

des Elternbeirates im Regen stehen. Es folgt einerneuter Hörsturz. Trotz längerer Arbeitsun -fähig keit tritt keine Erholung ein. Es folgt eineantidepressive medikamentöse Thera pie, dieerfolglos bleibt. Nach einem vergeblichen Ver -such der Wie der aufnahme des Unterrichts amEnde eines eineinhalbjährigen, auch psychothe-rapeutisch be gleiteten Leidenswegs ist die vor-zeitige Ver setzung in den Ruhestand ausKrankheitsgrün den unvermeidlich.

Fallbeispiel: Burn-out-Syndrom und vorzeitige Berentung

2 Schaarschmidt et al.: Potsdamer Lehrerstudie (2006)

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Was bedeutet ADHS für betroffene Kinder?

Die Fallbeispiele der Grundschulkinder Felixund Saskia sind so ausgewählt, dass sie einer-seits typische Merkmale von ADHS aufzeigen.Andererseits beschreiben sie unterschiedlichePerspektiven (Kind, Eltern, Lehrer) und machenschließlich gleichzeitig auf schulrelevante For -mulierungen aufmerksam, wie sie sich auch inverbalisierten Zeugnissen finden.

Wir laden Sie an dieser Stelle explizit ein, sichauf die verschiedenen Perspektiven einzulassenund auf Ihre unterschiedlichen Wahrnehmungenzu achten. Perspektivwechsel können nützlichsein, um die Situation der betroffenen Kinderund ihrer Familien noch besser zu verstehen.Dieser Ansatz wird bereits durch ein altes india-nisches Sprichwort zum Ausdruck gebracht:

„Um jemanden wirklich verstehen zu können,musst du mindestens tausend Meilen in seinenSchuhen gegangen sein.“

Fallbeispiel 1: Felix (2. Schuljahr)Der 8-jährige Felix besucht die zweite Grund -

schulklasse und fragt sich, warum das ganzeLeben so „blöd“ ist und ob es nicht viel besserwäre, niemals geboren worden zu sein. In derFamilie sei alles nur „blöd“. Der jüngere Bruderwerde mehr geliebt und dürfe alles, er dürfenichts. Die Mama habe ihn eh nicht lieb, und derPapa habe nie Zeit für ihn. Am liebsten ginge erauch nicht in die Schule, weil dort alle nur gegenihn seien. Er werde ungerechterweise von denLehrerinnen immer beschuldigt, an allem schuldzu sein. Und ständig werde er von anderen Kin -dern so provoziert, dass er nur noch wie wild umsich schlage. Er wisse gar nicht, was mit ihm lossei.

Die Lehrerinnen sehen Felix als Klassenkas -per, der sich ständig in den Vordergrund spielenmuss. Besonders montags sei er kaum zu brem -sen und störe massiv den Unterricht durch Zwi -schenrufe und Umherlaufen. Aufgrund seinerniedrigen Frustrationsgrenze sei der Junge stän-dig in Streitereien und Schlägereien verwickelt.Seine Leistungen seien schwankend und tages-formabhängig. Sein Schriftbild müsste Felixdringend verbessern und er müsse mehr Ord -nung halten. Er staunlicherweise sei der Junge inder Zweier situation wie verwandelt und sehr zu -gänglich. Die Lehrerinnen sind der Auffassung,dass die Eltern ihren Sohn nicht richtig erzögen.Felix müsse einfach lernen, motivierter und ehr-geiziger zu sein.

Vor allem die Mutter ist verzweifelt. Sie hat dasGefühl, dass ihr der ältere Sohn entgleitet, undaufgrund der zahlreichen Klagen aus der Schulebefürchtet sie ein massives Schulversagen. Vonder Schule habe Felix eine sehr schlechte Mei -nung, alle Lehrerinnen seien „blöd“, „doof“ undungerecht. Keine verstehe ihn. Oft müsse er Straf -arbeiten erledigen, die seinen Hass auf dieSchule noch verstärkten.

Zudem attackiere Felix ständig seinen kleine-ren Bruder. Seine Unruhe und Zerstreutheit habeer kaum unter Kontrolle, und er fühle sich be -reits durch die kleinste Kritik grundsätzlich inFrage gestellt. Seine Essmanieren ließen sehr zuwünschen übrig, und es falle immer etwas aufden Boden.

Fallbeispiele: Felix und Saskia

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Von ihrem Mann fühlt sich Felix’ Mutter nichtsehr verstanden und unterstützt. Er vertritt dieAuffassung, dass Felix ein wilder Junge sei, dersich „die Hörner noch abstoße“.

Vorgehensweise und weitere EntwicklungAls sich die Situation immer mehr zu spitzt,

suchen die Eltern einen Facharzt auf. Die psy-chologische Testung zeigt, dass Felix über ei negute Intelligenz verfügt, sich aber nur kurze Zeitkonzentrieren kann. Jedes Geräusch und jedeBewegung lenken ihn ab. Nach der an schlie -ßenden medizinischen Untersuchung stellt derArzt die Diagnose ADHS mit ausgeprägterHyperaktivität und Impulsivität. Er empfiehlt, dasKind zunächst psychotherapeutisch und gegebe-nenfalls medikamentös zu behandeln. Er rät denEltern, parallel dazu an einem Elterntrainingteil zunehmen. Sie stimmen diesem Vorgehen zu.

Felix lernt im verhaltenstherapeutischen Ein zel -training, mit seiner Impulsivität umzugehen undProvokationen zu ignorieren, so dass sich dieLage in der Schule und zu Hause etwas ent-spannt. Sein Selbstwertgefühl steigt, indem seinFokus auf das gelenkt wird, was ihm gelingt undwas er gut kann. Auch die Eltern profitieren vonihrem Training. Sie lernen, auf die Unruhe ihresKindes gelassener zu reagieren und klarereStrukturen und Regeln in den Familienalltag zubringen. Zudem informieren Felix’ Eltern seineLehrer und vereinbaren, dass der Junge Aus -zeiten erhält. Außerdem binden die Lehrer sei-nen Be wegungsdrang in hilfreiche Aktionen wieTafel putzen positiv ein. Der feste Sitzplatz aneinem Tisch mit ruhigeren Kindern erleichtertFelix die konstruktive Mitarbeit im Unterricht.Aufgrund seiner guten schulischen Leistungenerhält Felix Mitte der 4. Klasse die Empfehlungzum Wechsel auf das Gymnasium.

Fallbeispiel 2: Saskia (4. Schuljahr)Saskia ist zehn Jahre alt und besucht die vierte

Grundschulklasse. Sie weiß, dass die Zeugnis -noten des 1. Halbjahres darüber entscheiden,welche weiterführende Schule sie besuchen darf.Obwohl sie fleißig lerne, wisse sie in den meistenKlassenarbeiten nur noch wenig. Irgendwie fühlesich das an, als wäre alles wie weggeblasen.Saskia habe das Gefühl, „doof“ zu sein und nichtso gut mitzukommen wie die anderen. Dabeistrenge sie sich doch so an. Während des Unter -richts sitze sie ganz still da und merke dannplötzlich, dass sie in einer ganz anderen Welt ge -wesen sei. Die Wolken am Himmel oder der sin-gende Vogel auf dem Baum vor dem Fensterihrer Klasse wüssten ja auch so interessante Ge schichten zu erzählen. Abends falle ihr dasEinschlafen immer schwerer. Vor lauter Bauch -schmerzen und Kopfschmerzen wisse sie manch -mal nicht mehr ein noch aus. Auch Mama sei niezufrieden mit ihr. Die „blöden“ Aufträge, wie Ge -tränke holen oder Wäsche sortieren, könne sichdoch keiner merken. Es ist alles viel zu viel für sie.

Die Lehrerinnen können sich über SaskiasSozialverhalten nicht beklagen. Das Mädchensitze ruhig an seinem Tisch und störe keinen.Auch sei es in der Lage, seinen Platz in Ordnungzu halten. Sogar der Ranzen wirke aufgeräumt.Wenn Saskia wolle, zeige sie ein sehr ordentli-ches Schriftbild. Umso unverständlicher sei esihnen, dass das Mädchen in seinen Leistungenso sehr nachgelassen habe. Ge träumt habeSaskia schon immer, aber sie sei bis zum drittenSchuljahr doch noch ganz gut mitgekommen.Nun ja, wahrscheinlich brauche sie noch mehrZeit, sich zu entwickeln. Sie sei eben extremlangsam und lasse sich schnell ablenken.

Die Eltern verstehen die Welt nicht mehr. Ihrebeiden ältesten Kinder besuchen erfolgreich dasGymnasium, und auch für Saskia sah es bis zumdritten Schuljahr so aus, als könne sie den älte-ren Geschwistern folgen. Gut, so selbstständigwie die Großen sei sie nie gewesen. Oft sei es

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notwendig, wegen der Hausaufgaben bei denKlassenkameradinnen anzurufen, da Saskia ver-gessen habe, sie aufzuschreiben. Zudem müsseman bei der Erledigung der Aufgaben im merneben ihr sitzen, weil sie einfach keinen Anfangfindet. Mit etwas Unterstützung funktioniere esdann aber eigentlich doch recht gut. Am Fleißkönne es nicht liegen, denn Saskia verbringemittlerweile den ganzen Nachmittag mit Schul -aufgaben. Umso bedauerlicher sei es, dass dasKind das, was es zu Hause gekonnt habe, in denArbeiten nicht zeigen könne. Eine positive Aus -nahme habe es allerdings gegeben, als Sas kiawegen einer Erkrankung die Deutscharbeit alleinmit der Lehrerin habe nachschreiben müssen.

Der Mutter tut es Leid, dass sie so oft barschauf die Misserfolge des Kindes reagiert und ihrdie klugen Geschwister immer wieder vor Augenführt. Schon seit einiger Zeit will sich Saskianicht einmal mehr mit Schulfreunden verabreden.

Vorgehensweise und weitere EntwicklungDas Gespräch mit den Lehrerinnen am Eltern -

sprechtag zeigt Saskias Eltern, dass ihre TochterHilfe braucht. Das einst so fröhliche Kind hatsich immer mehr in sich zurückgezogen und imReligionsunterricht sogar gesagt, dass es gutverstehen könne, wenn sich Menschen auf denTod freuen.

Der Kinderarzt überweist Saskia zu einer Fach -ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, diesich sehr viel Zeit für Gespräche und sorgfältigeDiagnostik nimmt. Nach eingehenden organi-schen, neurologischen und psychologischen Un -tersuchungen kommt die Ärztin zu dem Ergeb -nis, dass bei Saskia eine Aufmerksamkeits defi -zitstörung, jedoch ohne Hyperaktivität (ADS) vor-liege. Sie klärt die Eltern über mögliche Thera -pien auf, die Saskia unterstützen könnten. Nachsorgfältigen Überlegungen stimmen sie zu, dassSaskia mit einem aufmerksamkeitsförderndenMedikament behandelt wird und zusätzlich eineVerhaltenstherapie erhält.

Dank verständnisvoller Lehrerinnen, die Saskianun verstärkt Strukturierungshilfe geben, ihreKonzentration immer wieder zum Unterricht zu -rücklenken und es ihr ermöglichen, die Klassen -arbeiten in der Zweiersituation zu schreiben,kann das Mädchen aufatmen und erste kleineErfolgserlebnisse verbuchen. Nach der viertenKlasse wechselt sie auf eine Realschule, wo sieunter Berücksichtigung des Nachteilsaus gleicheserfolgreich am Unterricht teilnehmen kann(Informationen zum Nachteilsausgleich siehe„Informationen zu gesetzlichen Ansprüchen“).

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Vorbemerkung

Sie halten dieses Manual in den Händen, weil Sie auf der Suche nachpädagogisch sinnvollen Möglichkeiten sind, ein Kind mit ADHS zu unter-richten und den Umgang mit diesem Kind in Ihren Schulstunden positiv zugestalten. Jedes Kind mit dem Störungsbild ADHS ist anders und in unter-schiedlichen schulischen Bereichen beeinträchtigt – es benötigt also indi-viduelle pädagogische Strategien, die Ihnen und dem Kind das schulischeMiteinander erleichtern können.

Dieses Manual bezieht sich auf einen konkreten Schüler, von dem Sie wissen oder vermuten, dass er ADHS hat. Vielleicht haben Sie schonKontakt zu den Eltern oder einem Arzt/Psychologen und erste Möglich -keiten zum Umgang mit diesem Kind erarbeitet, oder aber Sie stehen erst am „Anfang“ eines solchen Weges …

In jedem Fall besteht der erste logische Schritt – noch vor der Erarbei -tung geeigneter pädagogischer Maßnahmen für ein Kind – in einer mög-lichst genauen Beschreibung des Verhaltens des Kindes: Was fällt imUnterricht im Einzelnen auf? Mit welchen Verhaltensweisen behindert dasKind sich selbst oder auch andere Kinder der Klasse? Andererseits:Welche Stärken bzw. positiven Aspekte bringt das Kind in den Unterrichtein? Der „Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung“ soll Ihnen hier eineHilfestellung geben.

Das weitere Vorgehen hängt natürlich von der jeweiligen Situation ab.Aus diesem Grund haben wir für Sie in diesem Kapitel einzelne Bausteinezusammengestellt, die wir für die Erarbeitung einer individuellen pädago-gischen Strategie als wichtig erachten, die Sie aber unabhängig voneinan-der nutzen können. Sie finden dort – neben dem Fragebogen, der quasi dieGrundlage bildet – Empfehlungen für die Gespräche mit den Eltern unddem Kind („Gesprächsleitfaden Eltern- bzw. Schülergespräch“) sowie Vor -schläge zu konkreten Strategien für den Unterricht („Modularer Leitfadenfür den Unterricht“).

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

Die Beantwortung der folgenden Fragen kannIhnen helfen, einen konkreten Schüler, von demSie wissen oder vermuten, dass er ADHS hat, bes-ser einzuschätzen. Der Fragebogen führt Sie durchverschiedene Verhaltens-, Persönlich keits- undLeistungsmerkmale des Kindes und Ihres pädago-gischen Handelns. Dimensional angelegte Beur -tei lungsskalen sollen die Aus prägung des in Fra -ge stehenden Verhaltens des Kindes bildhaft ver-deutlichen – für Sie selbst oder z.B. als Grund -lage für ein Elterngespräch oder das Gesprächmit den betroffenen Schülerinnen und Schülern.

Sie sind die anerkannten Experten und Expertin-nen in der Schule. Nur mithilfe Ihrer wertvollenInformationen kann das Kind optimal begleitetund gefördert werden.

Bitte füllen Sie den Bogen so genau wie mög-lich aus! Nutzen Sie bei Unsicherheiten einigeTage der Verhaltensbeobachtung im Unterrichtoder den Kontakt zu Lehrerkollegen, um dasKind möglichst exakt beschreiben zu können.Greifen Sie z.B. diejenigen Verhaltensweisenheraus, die Sie als am meisten störend empfin-den, und führen Sie in der kommenden Wocheeine Strich liste über die Auftretenshäufigkeit injeder einzelnen Schulstunde – ohne Ihr üblichesLehr verhalten zu verändern („beobachten undfesthalten“). Dies kann Ihnen das Ausfüllen desBogens erleichtern und eine gute Grundlage fürIhr weiteres pädagogisches Vorgehen sein.

(Eine Kopiervorlage dieses Bogens finden Sie amEnde des Manuals.)

Grundlage für weitere pädagogische Maßnahmen

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A. RAHMENBEDINGUNGEN

Name des Kindes:

Alter des Kindes: Jahre Klasse:

Unterrichtsfächer:

Wochenstunden: Klassengröße:

Ich unterrichte das Kind seit:

Meine Beziehung zum Kind bewerte ich wie folgt:

Sitznachbar des Kindes (falls zutreffend):

Sitzt eher � vorn � mittig � hinten

Gute/Eher gute Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:

Schlechte/Eher schlechte Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:

Der letzte Elternkontakt (telefonisch, persönlich) fand vor Wochen/Tagen statt.

Anlass:

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Besteht eine formale ADHS-Diagnose? � ja � nein

Falls ja, ist mir diese bekannt seit

Gibt es bereits laufende Behandlungen/Unterstützungen, von denen ich weiß?

� Medikamente � Ergotherapie � Verhaltenstherapie� Elternberatung � Nachhilfe � andere:

Behandelnder Arzt/Therapeut (falls bekannt):

Telefonnummer (falls bekannt):

Bestand bereits Kontakt zum Arzt/Therapeuten? Wenn ja, wann zuletzt?

Wie sehen die Schulleistungen des Kindes derzeit in einer Schulnote ausgedrückt aus?

Deutsch schriftlich mündlich

Mathematik schriftlich mündlich

Sachkunde schriftlich mündlich

In welchen Fächern erbringt das Kind nicht mehr ausreichende Leistungen?

Welche Fächer liegen dem Kind besonders?

In welchen Fächern/bei welchen Kollegen bestehen die größten Verhaltens- bzw. Konzentrations schwierigkeiten?

Welche Note hat das Kind in den Kopfnoten?

Arbeitsverhalten Sozialverhalten

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Womit beschäftigt sich das Kind gerne oder erfolgreich in seiner Freizeit?

Welche besonderen Interessen oder Begabungen, die außerhalb der Schule zum Tragen kommen,sind Ihnen bekannt?

Gibt es einen „typischen Verlauf“ der Auffälligkeiten

� im Vergleich der einzelnen Wochentage (z.B. schlechter am Wochenanfang)

� innerhalb des Schulvormittags (z.B. auffälliger in den ersten Stunden)?

Unter welchen Rahmenbedingungen gelingt es dem Kind, sich konstruktiv am Unterricht zu beteiligen oder etwas weniger stark aufzufallen?

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B. VERHALTENSBEOBACHTUNGEN

Block 1Worin bestehen leistungsbehindernde Verhaltensweisen im Unterricht? Welche leistungsbezogenen Fähigkeiten sind wie gut entwickelt?

Fängt sofort mit der Arbeit an

Kann sich längere Zeit auf eine Aufgabe konzentrieren

Nimmt konzentriert am Unterricht teil

Merkt sich Arbeitsanweisungen

Beteiligt sich aktiv am Unterricht

Erledigt schriftliche Arbeiten zügig

Sauberes Schriftbild

Drückt beim Schreiben/Malen normal auf

Kann seine Arbeitsmaterialien organisieren

Hat seine Materialien vollständig dabei

Kann sauber arbeiten

Weiß, was zu tun ist

Hausaufgaben werden vollständig erledigt

Schafft das komplette Pensum

Beherrscht Unterrichtsstoff auch während der Arbeiten

Erledigt anstehende Arbeiten sorgfältig und genau

Gut integriert bei Gruppenarbeiten

Sonstige:

Block 2Was sind positive Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes?

Ist anderen gegenüber hilfsbereit

Hat freundliches Wesen/interessiert an seiner Umwelt /neugierig

Ist spontan

Hat viele, oft kreative Ideen

Kann sich für vieles begeistern

Besitzt ausgeprägtes Mitgefühl

Bringt andere zum Lachen

Hat ausgeprägten Gerechtigkeitssinn

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Ist anderen gegenüber nicht nachtragend

Setzt sich für andere ein

Kann den Unterricht oft bereichern

Begeistert sich für Sport

Sonstige:

Block 3Worin bestehen den Unterricht störende Verhaltensweisen?Welche sozialen Fähigkeiten sind wie gut entwickelt?

Meldet sich und wartet, bis das Wort erteilt wird

Kommentiert die Beiträge anderer angemessen

Bleibt an seinem Sitzplatz

Bewahrt am Sitzplatz/Tisch Ruhe

Bleibt auf dem Stuhl sitzen (ohne umzufallen)

Lässt Sitznachbarn in Ruhe arbeiten

Kann auch verlieren/akzeptiert,wenn andere Erster sind

Integriert sich bei Gruppenaktivitäten

Streitet im Unterricht mit anderen konstruktiv

Lässt andere Kinder in Ruhe arbeiten

sonstige:

Block 4Worin bestehen mich persönlich störende Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes (über das bereits Gesagte hinaus)?

Widersetzt sich oft meinen Anweisungen

Beeinflusst andere Kinder/das Klassenklima negativ

Ist mir gegenüber oft frech und anmaßend

Bindet meine Aufmerksamkeit zu oft und zu lange

Kostet mich viel Zeit im Unterricht

Erfordert viele Kontakte zu Eltern/anderen Lehrern

Sonstige:

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C. MEIN EIGENES PÄDAGOGISCHES HANDELN

Was ich bereits versucht habe, um das problematische Verhalten des Kindes zu beeinflussen (Eltern -kontakt, Gespräche mit dem Kind, Veränderung des Sitzplatzes, Sanktionen, Positivverstärker etc.):

Benennen Sie ein Problemverhalten konkret, formulieren Sie es in ein zu erreichendes Ziel um, ord-nen Sie die bereits durchgeführte Maßnahme zu und bewerten Sie den Erfolg Ihrer Maßnahme miteiner Zahl der Skala 0 – 10 (Null = nutzlos, Zehn = sehr hilfreich).

Problemverhalten Entwicklungsziel Pädagogische Datum undMaßnahme Mein Erfolg (0–10)

z.B. Hausaufgaben Hausaufgaben z.B. nacharbeiten lassen (01.04.2012)vergessen immer erledigen ohne positive Rückmeldung 3

z.B. Hausaufgaben Hausaufgaben z.B. nacharbeiten lassen mit (01.04.2012)vergessen immer erledigen pos. Rückmeldung (Kompliment) 8

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Gesprächsleitfaden Elterngespräch

„Viele LehrerInnen sind auch Eltern. Alle Eltern waren auch SchülerInnen.Viele SchülerInnen werden Eltern. Manche SchülerInnen werden Lehrer.Sollte es da kein Verstehen, keine Gemeinsamkeiten geben?“

Reinhold Miller

Erziehungsgemeinschaft von Eltern und LehrernEltern und Lehrer tragen eine gemeinsame Verantwortung für die Bil -

dung und Erziehung der Kinder. Sie haben es mit denselben Kindern zutun, die einen als professionelle und die anderen als natürliche Erzieher.Da ist es absolut logisch, dass Erziehung am besten funktioniert, wenn dieBemühungen von Eltern und Erziehern gut aufeinander abgestimmt sind.Im Schulalltag hingegen ergeben sich immer wieder Situationen, in denensich Schüler, Eltern und Lehrer uneins sind, denn Konfliktfelder gibt esgenug. Hier ist Kommunikation dringend notwendig. Jeder sollte die Mög -lichkeit haben, bei auftretenden Problemen Gespräche zu führen, und mitseinen Problemen ernst genommen werden.

Ziel des ElterngesprächsDas Elterngespräch sollte ergebnisorientiert sein. Es sollte das Ziel ver-

folgen, ein Bündnis zwischen Lehrern und Eltern zu schließen, um demKind gemeinsam helfen zu können.

Kontaktaufnahme mit den ElternWenn Sie den Verdacht haben, dass das Kind ADHS hat:

• Laden Sie die Eltern frühzeitig zu einem Gespräch ein.• Teilen Sie den Eltern Ihre Sorge um das Kind mit.• Schildern Sie das Verhalten des Kindes im Unterricht, etwa: Im Gegensatz zu den anderen Kindern der Klasse ist es (z.B. unruhig, ruft dazwischen, zieht sich zurück, zeigtVermeidungsverhalten, ist oft traurig, kaspert).

• Verweisen Sie auch auf die Stärken, die Sie bei dem Kindwahrnehmen.

• Ermuntern Sie die Eltern, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchenund/oder zu einem Facharzt Kontakt aufzunehmen.

Voraussetzungen für ein erfolgreiches ElterngesprächVor dem Gespräch sollten die folgenden Punkte abgeklärt wer-den:

• Gibt es unterschiedliche Sichtweisen über das Störungsbild ADHS?Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Eltern und Lehrer zu einergemeinsamen Sichtweise des Störungsbildes ADHS finden, ggf. unterEinbeziehung von Fachleuten (behandelndem Arzt/Psychologen, Vertretereines Selbsthilfeverbandes). Nur auf dieser Grundlage kann auch ein einheitlicher Lösungsweg (Hilfeplan) für das Kind entwickelt werden.Beispiel: Aus Sicht der Lehrkraft sind die Verhaltensschwierigkeiten desKindes die Folge von übermäßigem TV-Konsum oder vernachlässigenderErziehung. Tatsächlich wurde jedoch bereits fachärztlich das Krankheits -bild ADHS festgestellt. Die pädagogischen und therapeutischen Maß -nahmen für dieses Kind würden somit sehr unterschiedlich ausfallen.

Empfehlungen für ein Gespräch mit den Eltern von Felix

Je früher ein Gesprächmit den Eltern stattfin-det, umso früher kannauch dem betroffenenKind geholfen werden,und die Situation in derKlasse kann sich ent-spannen.

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Eine gemeinsame Grundlage könnte z.B. die Lektüre des „LeitfadensADS/ADHS“ des Hamburger Arbeitskreises sein (siehe „Informations -quellen zu ADHS“).

• Wie stark sind die aufgestauten Gefühle – bei mir und bei den Eltern?Häufig wird erst das Gespräch mit den Eltern gesucht, wenn eine Situ -ation bereits eskaliert ist. Dies ist keine gute Voraussetzung für ein kon-struktives Gespräch. Eltern von ADHS-Kindern reagieren meist ausge-sprochen sensibel, da sie oft schon jahrelang Schuldzuweisungen, Ableh -nung und Ausgrenzung erfahren haben. Viele Eltern müssen erst verste-hen, welche Schwierigkeiten das Verhalten ihres Kindes im Unterrichtmit sich bringt.

Durch eigene Erfahrungen – wie Sie wissen, ist ein Mitglied unseres Au -torenteams selbst Lehrerin – sowie aus Gesprächen mit Ihren Kolle gin -nen und Kollegen wissen wir, wie belastend herausfordernde Kinder imUnterricht sein können. Wir sind davon überzeugt, dass Sie Ihr Bestesgeben, und es ist nur zu menschlich, wenn Sie emotional reagieren, weilSie sich hilflos, überfordert oder einfach nur genervt fühlen. Wir meinen,Sie haben das Recht, sich zu entlasten, damit Sie bereit sind, im Kontaktmit den Eltern und den Kindern professionell und authentisch zugleich zureagieren. Seien Sie Gastgeber in der Schule und entwickeln Sie gemein-sam mit den Eltern erste Lösungsschritte. Und denken Sie daran: Elternsind oft in großer Sorge, fühlen sich auch nur hilflos und reagieren dannmenschlich, vielleicht sogar sehr emotional.

Das folgende Interview mit einer besorgten Mutter kann verdeutlichen, wiesich die andere Perspektive anfühlen mag.

Interview mit Mutter (*1963) zweier Kinder vom 8. Februar 2010:

Wie alt sind Ihre Kinder?M: Beide sind 13 und 11 Jahre alt.

Was für eine Schulform besuchen die beiden?M: Beide gehen auf das Gymnasium.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das Stichwort „Lehrer-Elterngespräche“ hören?M: Ich mache ein Brainstorming: Chaotische Regelungen, wenig Zeit (15 Minuten), gemischte Gefühle, aneinander vorbeireden; ich habe oftdas Gefühl, dass ich nichts dazu beitragen kann, weil ich selbst nichtdabei war. Das, was besprochen wird, wird oft nicht weiter geführt. Eswird meistens nur das Negative in den Vordergrund gestellt. Die Kindersind meistens nicht mit eingeladen, das finde ich nicht richtig. Meistensmuss ich auf die Lehrer zugehen, wenn ich etwas über meine Kindererfahren will.

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Was ist im Zusammenhang mit „Lehrer-Elterngesprächen“ Ihre größte Befürchtung?

M: Dass mir etwas über mein Kind erzählt wird, was ich überhauptnicht verstehen oder nachvollziehen kann.

Was meinen Sie damit?M: Dass zum Beispiel mein Kind Verhaltensweisen aufzeigt, die ich sonicht kenne oder nicht nachvollziehen kann. Oder dass nur das Nega -tive gesehen wird und die Stärken gar nicht mit berücksichtigt werden,dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit nicht da ist und dass dasKind einfach in eine Schublade gesteckt wird.

Wie würde eine Lehrerin, ein Lehrer mit Ihnen reden, wenn Sie hinterhersagen würden: Das war das schlechteste Gespräch, was ich jemals erlebthabe?

M: Herablassend, arrogant, nicht einfühlsam, nur aus seiner Sichtredend, nur negativ, pädagogisch inkompetent.

Angenommen, Sie würden zu einem „Lehrer-Elterngespräch“ gehen,nach dem Sie sich sagen können: Wow, das war das beste Gespräch, dasich jemals geführt habe? Was würde in dieser Situation passieren?

M: Ich habe mich dann gut aufgehoben gefühlt. Es wurden positiveAspekte (z.B. Stärken, Gelingendes) genannt. Zusammenarbeit wurdeangeboten. Es war effektiv genug. Und ich konnte aus dem Gesprächauch etwas mit nach Hause nehmen. Mir wurden neue Impulse gege-ben, wie ich mit meinen Kindern weiterarbeiten kann. Ich hätte danndas Gefühl, dass ich meine eigene Wahrnehmung zunächst hätte schil-dern können. Mein Anliegen wäre angekommen und ich hätte michernst genommen gefühlt. Statt mein Kind gleich in eine Schublade zustecken, hätte man auf seine Entwicklungsfähigkeit geschaut.

Angenommen, man könnte Ihre Erfahrungen mit „Lehrer-Elterngesprächen“auf einer Skala von 0 bis 10 verdeutlichen, wobei 0 sehr schlecht und 10sehr positiv bedeuten würde, wo würden Sie Ihre Erfahrungen ansiedeln?

M: Im Durchschnitt 5-6.

Welchen Unterschied sehen Sie hier zwischen Grundschule undGymnasium?

M: In der Grundschule habe ich positivere Erfahrungen gemacht. Manhatte auch mehr Kontakt zu den Lehrern. Heute kenne ich die meistenLehrer meiner Kinder nur vom Namen her. Eine Vorstellung allerunterrichtenden Lehrer z.B. am ersten Elternabend eines neuenSchuljahres hat bedauerlicherweise nicht stattgefunden.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

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GesprächsstrategieEin Elterngespräch kann im Sinne der Zielrichtung vorbereitet werden.

Dabei ist die Berücksichtigung der Gesprächsstrategien entscheidend:

• Suchen Sie das frühe Gespräch.• Führen Sie kein Gespräch im Affekt, auch nicht zwischen „Tür und Angel“.

• Benennen Sie konkret die positiven Seiten des Kindes und signalisierenSie so den Eltern, dass auch diese im Unterricht registriert werden. Soentschärfen Sie die oft negativ behaftete Gesprächssituation. (Im Frage -bogen zur Verhaltensbeobachtung finden Sie dazu Anregungen!)

• Benennen Sie konkrete Verhaltensweisen des Kindes, zum Beispiel: „Er verlässt in der Deutschstunde mehrmals den Platz, während er dasim Sozialkunde-Unterricht nur selten tut.“ (Bei der genauen Beschrei -bung des Problemverhaltens kann Ihnen auch der Fragebogen helfen!)

• Entwickeln Sie ein gemeinsames Störungsmodell (sieheVoraussetzungen).

• Tauschen Sie sich über Erziehungsgrundsätze aus.• Bewerten Sie nicht, sondern schildern Sie Ihre Wahr -nehmung in Ich-Bot schaften wie zum Beispiel: „Ich er -lebe Ihren Sohn als sehr unkonzentriert“ oder „Ich habeden Eindruck, dass Ihr Kind unter der Situation leidet“.

• Vermeiden Sie Killerphrasen wie zum Beispiel: „Als verantwortungsvolleEltern müssen Sie doch einsehen …“, „ Ihr Sohn ist immer in Streitereienverwickelt“, „Er hat nie seine Hausaufgaben gemacht“, „Es wäre nett,wenn auch Ihr Sohn mal sein Turnzeug dabei hätte“, „Es muss sichumgehend was ändern“.

• Erheben Sie keine Anschuldigungen und Vorwürfe.• Bitten Sie die Eltern um Rat.• Stellen Sie keine Forderung auf, sondern finden Sie gemeinsame Ziele.

• Halten Sie den Kontakt zu den Eltern. Wichtig ist dabeiRegelmäßigkeit und dass Absprachen bei kleinen undgroßen Problemen verbindlich eingehalten werden.

• Vermitteln Sie die Botschaft „Wir sitzen in einem Boot“Ziel ist es, gemeinsam einen Hilfeplan für das Kind zuerstellen.

Fazit:• Stimmen Sie mit den Eltern Ihre Bemühungen ab.• Nehmen Sie dabei keine Monopolstellung ein.• Setzen Sie die Eltern nicht unter Druck.• Tauschen Sie Wissen aus.• Übernehmen Sie gemeinsam Erziehungsverantwortung für ein und dasselbe Kind.

• Zeigen Sie Gesprächsbereitschaft und Akzeptanz.

Das KonfliktgesprächNicht immer gelingt es frühzeitig, mit den Eltern in Kontakt zu treten. Sei

es, weil die Eltern sich weigern, wenig Zeit haben oder man selbst die Si tu -ation nicht richtig eingeschätzt hat. Hier ist es besonders wichtig, sachlich

Ich-Botschaften helfen,dass ein Gespräch mitden Eltern eines betrof-fenen Kindes positivverläuft.

Entwickeln Sie gemein-sam mit den Elterneinen Plan, wie demKind geholfen werdenkann.

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und zum Wohle des Kindes zu handeln, denn es geht um das Kind undnicht um die Erwachsenen. Häufig ist es sehr hilfreich, auch andere betei-ligte Personen zum Gespräch einzuladen, z.B. den behandelnden Arzt,Psychologen, Therapeuten oder Kollegen (natürlich in Absprache mit denEltern).

• Wenn es einen Konflikt gibt, versuchen Sie sachlich aufzuklären.

• Benennen Sie den Gesprächsanlass und beschreiben Sie dabeisachlich, was genau vorgefallen ist. Darüber hinaus skizzierenSie den Ablauf des Gespräches.

• Fragen Sie die Eltern nach deren subjektiver Sicht des Geschehens. DieEltern berichten zum Beispiel: „Bei Felix wurde bereits vor der Einschu -lung ADHS diagnostiziert. Felix entwickelt auch zu Hause zunehmendWiderstand gegen schulische Anforderungen und verhält sich in derFamilie oft aggressiv.“ Die Eltern zeigen sich ratlos und verärgert, da die ersten beiden Schuljahre recht gut verlaufen sind.

• Schildern Sie dann Ihre subjektive Sicht.• Stellen Sie dar, wie sich die Verhaltensweisen des betroffenen Schülersauf die Klasse bzw. den Unterricht auswirken. Zum Beispiel: „Felix istseit einiger Zeit sehr unruhig und abgelenkt. Er stört durch dieses Ver-halten massiv seine Mitschüler, die ihn aufgrund seiner Kaspereieninzwischen ausgrenzen. Ermahnungen und gutes Zureden zeigen wenigErfolg. Zunehmend reagiert er aggressiv, verweigert sich oder gibt sichbetont gleichgültig.“

• Bitten Sie die Eltern um Unterstützung, zum Beispiel um Informationen über ADHS, Tipps im Umgang mitAggressionen, welche Hilfen braucht das Kind etc.

• Stellen Sie den Eltern daraufhin vor, welche Maßnahmen Sie sich überlegt haben, um ihrem Kind zu helfen. (Geeignete Strategien werden Ihnen in „Modularer Leit-faden für den Unterricht“ vorgestellt.)

• Beziehen Sie gegebenenfalls andere Helfer mit ein. • Halten Sie Abmachungen verbindlich ein.• Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, halten Sie den weiterenDienstweg ein und ziehen Sie zum Beispiel einen weiteren Beratungs -lehrer hinzu.

Verlieren Sie nicht den Humor, denn diese kleinen „Teufelchen“ habenauch ihre guten Seiten. Zitat einer Mutter: „Ich glaube, mein Sohn ist alsDenkanstoß auf die Welt gekommen. Nehmen wir diese Herausforderungdoch einfach an!

Bleiben Sie auch ineinem Konfliktgesprächimmer sachlich.

Denken Sie daran, dieEltern kennen ihr Kindam besten. Fragen Sienach, welcheStrategien sie imUmgang mit dem Kind

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Sie haben in Ihrer Klasse ein Kind, auf das die weiter vorne ausgeführtendiagnostischen Beschreibungen zutreffen. Oder Sie sind von Eltern darüberinformiert worden, dass bei Felix (das ist unser Beispielkind) ADHS vorliegt.

Dieser Gesprächsleitfaden soll Ihnen helfen, ein Gespräch mit Felix unterverschiedenen Bedingungen zu führen:

• Einmal kann es darum gehen, Ihren Verdacht weiter zu erhärten, um da -nach mit den Eltern zu besprechen, dass Sie eine vertiefte kinder- undjugendpsychiatrische bzw. -psychologische Diagnostik empfehlen würden.

• Andererseits könnten Ihnen die Eltern bereits mitgeteilt haben, dass beiihrem Felix ADHS vorliegt, und Sie wollen auf der Grundlage des vorliegen-den Manuals dem Kind das Lernen und sich den Unterricht erleichtern.

Allgemeiner GrundsatzDas Gespräch mit Felix soll und kann keine Diagnostik ersetzen. Es kann

Ihnen aber helfen – auch in anderen Fällen als beim Verdacht auf ADHS –Ihre Beziehung zum Kind zu verbessern, zu vertiefen oder überhaupt einetragfähige Beziehung zum Kind anzubahnen.

Zum besseren Verständnis haben wir den Gesprächsleitfaden schrittwei-se aufgebaut.

Schritt 1 – Das SettingUnter Setting versteht man die Festlegung der Strukturen und Rahmen -

be dingungen, unter denen ein Gespräch stattfinden soll (z. B. Häufigkeitund Dauer). Auch für das Gespräch mit Felix ist es wichtig, zunächst dasSetting festzulegen. Nur wenn der Rahmen für Sie ebenfalls stimmt, kanndas Gespräch erfolgreich verlaufen. Im Allgemeinen sollte das Gesprächnur angeregt werden, wenn vorher die Eltern darüber informiert wurdenund sie einverstanden sind (siehe „Gesprächsleitfaden Elterngespräch“).

Zur Durchführung des Gesprächs sind ein paar Regeln hilfreich:

• Führen Sie kein Pausengespräch.• Planen Sie mindestens 30 Minuten Zeit ein.• Lassen Sie das Gespräch in einer „Extrazeit“ stattfinden, am besten vor oder nach der Schule. Sollte dies aus organisatorischen Gründen (z. B. Schulbus) nicht möglich sein, so sprechen Sie mit einem Kollegenab, dass Felix im Rahmen einer Ihrer Frei stunden ausnahmsweise vom

Unterricht befreit wird. • Sorgen Sie dafür, dass Sie ungestört miteinander sprechen können.

• Achten Sie nach Möglichkeit auf einen für beideGesprächs partner angenehmen Raum.

Schritt 2 – Ihre HaltungGehen Sie immer davon aus, dass sich Ihre Haltung

einem Kind gegenüber ausdrückt und vermittelt, auchwenn Sie bewusst versuchen, diese – z. B. ablehnendeHaltung – zu verbergen.

Gesprächsleitfaden SchülergesprächEmpfehlungen für ein Gespräch mit Felix

Es macht wenig Sinn,mit einem Kind ein kon-struktives Gespräch zusuchen, wenn man esnicht mag. Deshalb:Suchen Sie aktiv nachliebenswerten Eigen -schaften des Kindes –erst dann sollten Siedas Gespräch planen!

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• Versuchen Sie, sich für das Gespräch mit Felix in eine mög-lichst unvoreingenommene Haltung zu bringen. ÜberprüfenSie Ihre Vorannahmen über ihn (z. B.: Er ist faul; er ist daraufaus, mich zu provozieren) und sorgen Sie dafür, dass dieseVor annahmen unwirksam werden. Hilfreich ist hierbei dieTechnik des Reframings (Umdeutung). So könnte man „Ge -schwätzigkeit“ umdeuten in „interessiert an sozialem Aus -tausch“, „faul“ könnte bedeuten „Fähigkeit, Arbeit aus demWeg zu gehen“ oder „sucht emotionale Motivation durch denLehrer/die Lehrerin“. Bringen Sie sich in eine Haltung, die voneinem positiv-neugierigen Interesse für Felix gekennzeichnetist. Je mehr Sie sich authentisch (!) für Felix interessierenkönnen, desto mehr werden Sie erfahren – und desto mehrwerden Sie an Felix entdecken können, was Sie für ihn ein-nimmt.

• Überprüfen Sie, wie sympathisch Felix Ihnen ist. • Grundsätzlich sollte Ihre Haltung dadurch gekennzeichnetsein, dass Sie Informationen sammeln wollen über Felix. Jemehr er dabei Ihr Verbün deter ist („Wir erkunden gemeinsam den unbe-kannten Kontinent Felix“), desto mehr werden Sie erfahren und umsoweniger wird er sich bedrängt fühlen.

• Gehen Sie davon aus, dass es sich bei dem Verhalten von Felixprimär um ein nicht beabsichtigtes Fehlverhalten handelt. Pri-mär ist kein Kind – auch Felix nicht – bösartig. Immer wird esLebensgeschichten geben, die uns ein solches Verhalten er-klären können.

Je besser es Ihnen gelingt, sich in eine Haltung voller Respekt Felix ge -genüber zu bringen, desto effektiver wird jedes Gespräch und jeder Kon -takt sein – und desto respektvoller wird Felix Sie behandeln. Und es könntesein, dass Sie dann merken, dass Felix eigentlich Ihr größter Fan ist, dernur NOCH NICHT gelernt hat, sich Aufmerksamkeit und Zuwendung positiveinzuholen.

Schritt 3 – GespächsbegründungWenn Sie Felix zum Gespräch bitten oder seine Eltern ihm dies ankündi-

gen, nachdem Sie sich mit ihnen abgestimmt haben, gehen Sie davon aus,dass allein diese Ankündigung beim Kind Befürchtungen undÄngste auslöst. Deshalb:

• Räumen Sie potenzielle Befürchtungen aus, auch wenn diesevon Felix nicht explizit benannt worden sind.

• Sprechen Sie aktiv an, dass das Gespräch nicht zensurenabhängig ist,oder auch, dass es sich nicht um eine Strafe, ein Nachsitzen handelt.Machen Sie stattdessen deutlich, dass Sie gemeinsam mit Felix überle-gen möchten, was ihn in der Schule unterstützen könnte.

Sowohl in der Ankündigung für das Gespräch als auch in der unmittelba-ren Gesprächseröffnung sollten Sie kurz und genau darstellen, worum esgeht. Was Sie wie lange und mit welchem Motiv und welchen Konsequen -zen mit Felix besprechen wollen. Drücken Sie dabei immer Ihre Sorge aus,

Kontrolle ist gut,Vertrauen ist besser!

Schaffen SieTransparenz!

Folgende bewährteÜbun gen sind in der pä -dagogischen Super vi sion(Ansatz der systemisch-lösungsorientiertenPädagogik) entwickeltworden. Schreiben Sie,auch wenn es zunächstschwer fällt, doch „ein-fach“ einmal einen Lie -besbrief an Ihren gräss-lichsten Schüler. (Siemüssen ihn ja nichtabschicken.)Deuten Sie die Eigen -schaften des nervigenKindes positiv um(Reframing). Beispiel:geschwätzig � sozialinteressiert.

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lassen Sie nie Ihrer Skepsis oder Ihren – verständlichen – Vorwürfen freienLauf. („Ich möchte gerne mit dir sprechen, weil ich mir Sorgen mache darüber,

wie du im Unterricht mitkommst. Obwohl du ein kluger Junge bist, habeich den Eindruck, du stehst dir manchmal selbst im Weg und möchtest dasselbst nicht. Lass uns gemeinsam am XY in der Zeit von XY bis XY heraus-finden, was los sein könnte. Du darfst ganz gelassen bleiben – es geht mirdarum, ob ich herausfinden kann, wie ich dir helfen und dich besser ver-stehen kann.“)

Bei der konkreten Gesprächseröffnung kann es darüber hinaus hilfreichsein, darauf hinzuweisen, dass alles (wirklich alles!) gesagt werden darfund dass sich das Gespräch insofern deutlich vom Unterricht unterschei-det. Machen Sie sich vorher klar, worüber Sie Stillschweigen bewahrenkönnen und worüber Sie sich mit anderen möglicherweise austauschenmöchten. Besprechen Sie mit Felix die Frage der Vertraulichkeit vor Ge -sprächsbeginn. Und zeigen Sie dem Kind sowohl zu Gesprächsbeginn alsauch während des weiteren Gesprächsverlaufs immer wieder, dass Ihnensein Wohlergehen und seine gute Weiterentwicklung am Herzen liegen.

Schritt 4 – Das ZielZentrales Ziel des Gespräches mit Felix ist, seine Sicht der Dinge zu ver-

stehen. Die Kindersicht ist das, was Sie interessiert. Interessieren Sie sichfür die Zufriedenheit von Felix, dafür, wie er sich selbst erlebt. FormulierenSie konstruktive W-Fragen:

• Wer sind deine Freunde?• Wie gefällt es dir in deiner Klasse?• Was für Hobbys hast du?• Was machst du gerne in deiner Freizeit?• Wie gerne machst Du Schularbeiten?• Wie verbringst du deine Pausen?• Wann macht dir Unterricht am meisten Freude?• Wer zu Hause ist besonders wichtig für dich?

Stellen Sie diese Fragen so, dass Felix sich nicht wie am Richtertischfühlt. Wenn Sie den Eindruck haben, er reagiert auf manche Fragen abwei-send oder wundert sich über Ihre „Neugier“ („Das geht Sie doch gar nichtsan!“), erklären Sie noch einmal, worum es Ihnen geht, und überprüfen SieIhre Haltung. Im Zweifelsfall fragen Sie nicht weiter und verabreden sichlieber ein zweites Mal.

Interessieren Sie sich dafür, was aus der Sicht von Felix schwierig ist und was nicht. Falls Felix „alles normal“ findet, insistieren Sie nicht, undvor allem: keine Moralisierungen („Du musst doch selbst merken …“)!

Vielleicht ergibt sich sogar die Gelegenheit, näher über ein Hobby vonFelix zu sprechen und ihn hierzu als Experten zu befragen. Und wenn Sieeinen kleinen Anlass für ein gemeinsames Lachen finden können, wird esFelix (und auch Sie) entlasten. Viele Kinder lieben es, wenn man ihreStärken in ihrer Lieblingsfarbe auf einem unlinierten DINA-4 – Blatt stich-

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punktartig festhält und es Ihnen als wohltuenden Stimmungsaufheller„Felix’ Ressourcenposter“ abschließend schenkt.

Und nicht zuletzt: Interessieren Sie sich für die Position von Felix imKlassenverband. Wer oder was hilft ihm, wer oder was hilft ihm nicht undschließlich: Wer stört ihn und wodurch?

Schritt 5 – Das SpiegelnEin weiteres Ziel des Gespräches ist eine möglichst umfassende Infor ma -

tionssammlung. Es darf keine Vorwürfe und auch keine Moralisie run gengeben. Wichtiger ist die Frage: Wie reagiert Felix, wie kann er das Ge -sprächs- und Beziehungsangebot annehmen? Kann er – gemeinsam mitIhnen – Hilfsangebote entwickeln bzw. annehmen?

Verstärken Sie allenfalls Gedanken oder Gefühle, die von Felix selbstkommen: „Das macht dich bestimmt traurig“, oder: „Da hast du es wirklichschwer“, oder: „Da bist du bestimmt manchmal sehr wütend …“Verhalten Sie sich wie ein Spiegel für Felix, und zwar einer, in dem er

sich auch wirklich sehen kann! Die vermeintlichen Spiegel kennt er zurGenüge („Du musst dich eben mehr anstrengen; so unordentlich will dichkeiner …“).

Fassen Sie am Ende von Schritt 5 zusammen, welche Stärken – und zwarausschließlich diese ohne Wenn und Aber – Sie an Felix wahrgenommenhaben und formulieren Sie Ihre Komplimente als Ich-Botschaft.

Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Lob „Du bist ein tol-les Kind …“ in den wenigsten Fällen positiv ankommt und eherwie eine Bewertung wirkt. Einen Austausch auf Augenhöhe, derdas Selbstwertgefühl des Kindes steigert, stellt hingegen dasauthentische, echte Kompliment dar: „Ich bin beeindruckt/mirgefällt gut … , wie sehr du dich anstrengst, still zu sein, dich zumelden und auch noch zu warten, bis du an der Reihe bist.“„Und richtig gut getan hat mir während unseres Gespräches,dass du mich zu 90 % hast ausreden lassen.“

Schritt 6 – Die VerabredungWenn Sie genügend Informationen gesammelt haben, können Sie Felix

damit vertraut machen, dass Sie entweder seinen Eltern empfehlen wer-den, ihn einmal genauer untersuchen zu lassen (Version 1 des Gesprächs),oder dass Sie sich gerne mit ihm für bestimmte Unterrichtstechniken ver-abreden möchten, um gemeinsam herauszufinden, ob der Unterricht fürFelix nicht besser gestaltet werden kann.Besprechen Sie nun genau mit Felix, welche Inhalte des Gesprächs an

wen und zu welchem Zweck weitergegeben werden sollen. Auf keinen Falldarf Felix das Gefühl bekommen, sein Vertrauen Ihnen gegenüber könntemissbraucht werden.

Schenken Sie dem Kindzum Abschluss vonSchritt 5 eine wohltu-ende „Öldusche“ inForm von als Ich-Bot -schaft formuliertenKomplimenten. Be -schreiben Sie das Posi -tive so konkret wiemöglich.

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Schritt 7 – Die DokumentationEs gibt verschiedene Möglichkeiten, das Gespräch mit Felix so zu doku-

mentieren, dass Sie auch später und anderen gegenüber darauf zurück-greifen können.

• Eine Möglichkeit sind standardisierte Verfahren, wie zum Beispiel dieTRF (teacher report form), ein Verfahren, mit dem man allgemeine Ver -haltensauffälligkeiten von Kindern erfassen kann.

• Eine zweite Möglichkeit sind die Connors-Skalen, mit denen man gezielt– auch im Verlauf – Auffälligkeiten im Zusammenhang mit ADHS erfas-sen kann.

• Eine dritte Möglichkeit ist ein eigenes freies Protokoll, in dem Sie fest-halten, wie das Gespräch verlaufen ist, was Ihnen aufgefallen ist und mitwelchen Absprachen es geendet hat. Dabei ist es für den weiteren Fort -gang besonders wichtig, einzuschätzen und zu dokumentieren, wie gutsich Felix auf Sie und das Gesprächsangebot einlassen konnte, wie er dieBeziehung zu Ihnen gestaltet hat und wie hoch Ihnen seine Reflexions -fähigkeit erscheint. Diese letzten Punkte sind wichtig, weil nur auf einerfreundlich-kooperativen Grundlage das „10-Stunden-Projekt“ (sieheKapitel „Modularer Leitfaden für den Unterricht“) gelingen kann.

Sollten Sie den Eindruck haben, mit dem Gespräch gescheitert zu sein,überlegen Sie, ob Sie nicht erst noch einmal das Elterngespräch suchen,um eine bessere Basis auf der Erwachsenenebene zu finden. Suchen Sie

lieber erneut das Gespräch mit Felix, als dass Sie denUnterrichtsversuch auf einer Basis starten, die nicht aus-reichend tragfähig ist!

Man kann nicht alleFamilien und alleKinder erreichen!

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Modularer Leitfaden für den UnterrichtAnwendung von ausgewählten Techniken im Unterricht

Inzwischen haben Sie alle Vorbedingungen geschaffen, um jetzt IhrenUnterricht mit Felix anzugehen und ihn zu verbessern. Denn wenn Felixdas Aufpassen leichter fällt, kann der Unterricht ruhiger und konzentrier-ter und somit für alle ergiebiger verlaufen.

Das „10-Stunden-Projekt“Wir schlagen vor, dass Sie nun ein kleines „Projekt“ starten, das zu nächst

auf die Dauer von 10 Unterrichtsstunden beschränkt ist. Ziel ist es, ausge-wählte Techniken – die wir Ihnen unten näher vorstellen – zunächst übereinen begrenzten Zeitraum anzuwenden. Damit steigt bei dem Kind undauch bei Ihnen die Motivation, neue Verhaltensweisen auszuprobieren undsich über die Erfolge (oder Misserfolge) in kurzen Abständen auszutau-schen. Beginnen Sie mit den Techniken, die Ihnen leicht umzusetzen er -scheinen, und wählen Sie nicht mehr als drei auf einmal.

VoraussetzungVoraussetzung für den Start dieses 10-Stunden-Projekts ist das Ge -

spräch mit Felix und seinen Eltern und dass ein Konsens zwischen allenBeteiligten hergestellt wurde.

Vereinbarung von ZielenFalls im Gespräch mit Felix noch nicht geschehen, sollten Sie nun einen

gemeinsamen Zielplan mit ihm erstellen. Achten Sie darauf, dass die Zielemöglichst konkret, überschaubar und umsetzbar, d. h. realistisch, sind (z. B.als Ziel für Felix möglichst nicht vereinbaren: „Ich will ruhiger werden“, son-dern: „Ich möchte es schaffen, 10 Minuten am Stück sitzen zu bleiben“ oder:„Ich möchte mein Hausaufgabenheft während der nächsten Woche mitbrin-gen“). Entscheidend ist, dass es wirklich gemeinsame Ziele sind. Sollte Felixkeine eigenen benennen können, schlagen Sie welche vor. Nehmen Sie abernur solche auf, die das Kind authentisch bejaht. Sie können die Ziele für jedeStunde neu oder gleich für alle 10 Stunden festlegen. Nach Möglichkeit sollteFelix die Ziele selbst aufschreiben (siehe Kopier vorlage „Zielplan“).

Informieren der KlasseBevor Sie mit den konkreten Unterrichtseinheiten beginnen, kann es sinn-

voll sein, die Klasse zu informieren. Sprechen Sie diesen Schritt aber unbe-dingt im Vorfeld mit Felix und den Eltern ab. Erklären Sie, dass Trans parenzdas Vorgehen erleichtern kann, akzeptieren Sie aber auch, wenn diesem Vor -gehen nicht zugestimmt wird. Wenn Sie die Klasse in Kenntnis setzen, beob-achten Sie, wie die Information aufgenommen wird, wer eventuell eifersüch-tig reagiert oder wer auch gerne einbezogen wäre, wer das Projekt störenkönnte usw. Informieren Sie so sachlich wie möglich (Bei spiel: „Ihr wisst jaalle, dass Felix manchmal Probleme mit dem Aufpassen hat und dann sehrunruhig wird. Manche von euch fühlen sich dadurch ge stört. Um Felix zu hel-fen, besser zurechtzukommen, habe ich mit ihm für die nächsten 10 Unter -richtsstunden ein kleines Hilfeprojekt abgesprochen. Wundert euch also bittenicht, wenn ich z. B. Felix bestimmte Zeichen gebe oder mich anders verhal-te als sonst. Ich bitte euch herzlich, Felix und mich in unserem Projekt zuunterstützen.“ Und es könnte ja auch sein, dass einige in der Klasse auchIhre Konzentration verbessern möchten und einfach mitmachen und unsereZeichen auch nutzen.

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StundenprotokollZwecks einer kontinuierlichen Dokumentation und zu Ihrer eigenen Kon -

trolle bietet es sich an, nach jeder Stunde ein kurzes Protokoll auszufüllen,in dem Sie angeben, welche Technik(en) Sie mit welchem Erfolg angewandthaben, sei es in Bezug auf das Verhalten von Felix oder Ihr eigenes Verhal -ten bzw. den Einsatz der beschriebenen Techniken (siehe Kopiervorlage„Stundenprotokoll“).

ZufriedenheitsthermometerAm Ende jeder Stunde (oder auch am Ende einer internen Unterrichts -

einheit) kann es hilfreich sein, von Felix ein Zufriedenheitsthermometeraktivieren zu lassen. Das Thermometer hat 100 Grad, 100 bedeutet einemaximale Zufriedenheit und 0 völlige Unzufriedenheit mit seinem eigenenVerhalten. Halten Sie sich mit Einschätzungen gegenüber Felix zurück – essei denn, Sie sind selbst sehr zufrieden. Schätzt Felix sich selbst schlechtein und deckt sich diese Einschätzung mit Ihrer, so ermuntern Sie ihn da -hingehend, dass er morgen wieder eine neue Chance bekommt (siehe Ko -piervorlage „Zufriedenheitsthermometer“).

Einschätzung der ZielerreichungIn mit Felix abgesprochenen Zeitabständen sollten Sie gemeinsam den

Grad der Zielerreichung einschätzen. Dies kann von den Werten IhresStun denprotokolls bzw. Felix’ Zufriedenheitsthermometer (s. o.) abwei-chen, weil die subjektive Zufriedenheit nicht unbedingt mit erreichtenZielen identisch ist (siehe Kopiervorlage „Gradmesser Zielerreichung“).

Implementierung in den AlltagWaren die Interventionen erfolgreich, sollten Sie nun überlegen, welche

Strategien sich von jetzt an dauerhaft in den Unterrichtsalltag implemen-tieren lassen. Wichtig dabei ist, nicht nachzulassen, weil Sie nicht davonausgehen können, dass veränderte Verhaltensweisen von Felix dauerhafterhalten bleiben. So können sich von Zeit zu Zeit „Auffrischeinheiten“ loh-nen, die Sie nach Absprache mit Felix einsetzen. Unterstützen Sie ihn weiter!

Vorab: Durchführung einer SoziometrieWenn es Ihnen hilfreich erscheint, können Sie zusätzlich vor

Beginn des Projekts eine Soziometrie durchführen, die esIhnen erleichtert, sich das soziale Beziehungsgefüge derKlasse zu vergegenwärtigen und es unter Umständen für dasProjekt einzusetzen.

Überlegen Sie sich spezifische Fragen, nach denen Sie dassoziale Geflecht der Klasse besser verstehen möchten. ZumBeispiel:

Wer sitzt gerne neben wem? Wer möchte auf keinen Fall neben wem sitzen? Wer verbringt die Pausen am liebsten mit wem? Wer meidet den Pausenkontakt mit wem?Wer ist mit wem über die Schule hinaus befreundet?Wer hasst wen? Wer hilft wem? Wer ärgert wen?

Unter Soziometrie ver-steht man eine Metho -de der Sozialpsycho lo -gie, mit der man sozialeBeziehungen in einerGruppe von Menschenin Bezug auf vorher de -finierte Kriterien sicht-bar macht.

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(Hier können Sie auch den ausgefüllten Frage bogen zur Verhaltensbe -obach tung zu Rate ziehen.)

Sie können sich natürlich auch eigene Fragen überlegen. Am einfachstenist es, wenn Sie die Fragen (nicht zu viele!) selbst beantworten können. Siekönnen Sie aber auch der Klasse kurz schriftlich geben. Vorsicht: AchtenSie darauf, dass jeder seinen Bogen für sich allein ausfüllt und die anderendie Antworten nicht zu sehen bekommen, weil dies eventuell sehr kränkendund verletzend sein kann! Dasselbe gilt für Ihre eigene Einschätzung: Be -halten Sie sie für sich und nutzen Sie die Ergebnisse der Soziometrie nurfür sich.

Geben Sie für die Auswertung jedem Kind eine Nummer oder ein Kürzel.Tragen Sie diese Kür zel als Kreise in gleichmäßiger Verteilung auf ein BlattPapier auf. Verbinden Sie dann die Kreise mit Pfeilen analog zu den Ant -worten, wobei Sie die jeweilige Wahl farblich markieren (positive Wahl ist z. B. grün und Abwahl rot). Sortieren Sie dann die Kreise neu so, dass dasGefüge übersichtlich wird. Sie werden sehen, dass es wenige sehr beliebteund wenige unbeliebte Kinder gibt. Besonders wichtig – weil potenziellkon fliktreich – sind gegenläufige Wahlen (ein Kind wählt ein anderes posi-tiv, dasselbe wählt im Gegenzug je doch ab).

Beispiel einer Klassensoziometrie „Sitzordnung“Fragestellung: Neben wem sitzt du am liebsten (grün)? Neben wem

möchtest du auf keinen Fall sitzen (rot)?

Sie können die Ergebnisse der Soziometrie nun nutzen, um z. B. denSitzplan der Klasse so zu gestalten, dass möglichst wenig Reibung durchnebeneinander sitzende Kinder mit negativen Wahlen entsteht. Gleichzeitigkönnen Sie die Position von Felix besser einschätzen und gerade ihm je -manden an die Seite geben, der – soziometrisch betrachtet – hilfreich seinkönnte.

Lucas

Anna

Felix Florian

LisaSarah

Jakob

Hannah

Jan

Maria

Max

Achten Sie darauf, dasskeine Schüler durchden Sitzplan miss-braucht werden! Nurweil ein bestimmtesMädchen z. B. ruhigund verträglich ist, darf über dessen Wahlnicht hinweggegangenwerden!

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In unserem Beispiel wird klar ersichtlich, dassneben Felix die wenigsten sitzen möchten (3 Ab -wahlen), wohingegen Lisa sich großer Beliebtheiterfreut (3 positive Wahlen). Haben sich zwei Kin -der gegenseitig als liebste Tischnachbarn ge -wählt (z. B. Lucas und Jan oder Anna und Lisa),bietet es sich an, die beiden nebeneinander zusetzen – vorausgesetzt, sie haben sich im Unter -richt nicht „zu viel zu erzählen“. Als Tischnach -bar für Felix kämen z. B. Maria, Sarah oder Maxin Frage – diese haben Felix nicht „abgewählt“und haben keine „besten“ Freunde, durch die siegewählt wurden.

TechnikenEs gibt bestimmte, aus der Verhaltenspädagogik

abgeleitete Techniken, die nun im Unterrichts -projekt eingesetzt werden sollen. Sie sollten allevor ihrem Einsatz daraufhin überprüfen, ob sieIhnen in Ihrem speziellen Fall sinnvoll und ein-setzbar erscheinen. Diese sollten mit Felix abge-sprochen sein, denn sie helfen nur, wenn alleBeteiligten über deren Sinn und Zweck umfas-send informiert sind.

Technik 1 – BlickkontaktVerabreden Sie mit Felix, dass Sie häufig Blick -

kontakt zu ihm aufnehmen und halten werden.Ermuntern Sie ihn, diesen Blickkontakt zu erwi-dern.

Technik 2 – ZeichenspracheZusätzlich kann eine verabredete Zeichen spra -

che hilfreich sein. Denken Sie sich gemeinsammit Felix eines oder mehrere „Geheimzeichen“aus, die Sie fortan einsetzen. Achten Sie darauf,dass diese Zeichen nach Möglichkeit ermunternd

und eher sekundärermahnend sind!

Technik 3 – KörperkontaktNutzen Sie die beruhigende Wirkung eines

freundlich-ermunternden Körperkontakts.Gehen Sie während des Unterrichts an Felix vor-bei und legen Sie ihm die Hand auf die Schulter.Nach Möglichkeit immer dann, wenn ein Abfallseiner Konzentration kurz bevorsteht, aber auchdann, wenn er gerade wieder „aus dem Ruder“läuft. Achten Sie auch hier darauf, dass der Kon -takt vorher abgesprochen ist und ein „informedconsent“ (Einver ständ nis) besteht. Bei gegenge-

schlechtlichen Kon -takten ist es beson-ders wichtig, die Zu-stimmung dazu vor-her einzuholen undden Körperkon taktnur sehr sparsamund unzweideutigeinzusetzen.

Technik 4 – KartenSetzen Sie farbige Karten (siehe Literaturver -

zeich nis) ein, um mit Felix während des Unter -richts nonverbal zu kommunizieren und ihm eineRück meldung über sein Verhalten zu geben bzw.um ihn anzuspornen.Zeigen Sie ihm immerwieder die grüne Kartefür ein „Go“, ein„Weiter so“. NutzenSie die gelbe Karte,wenn Sie den Eindruckhaben, dass ein„Stopp“ notwendig ist. Optimal wäre es, wenn Siejedes Mal, wenn etwas gut gelingt, die grüne Kar -te zeigen könnten. Positive Rückmeldungen ver-stärken die erwünschten Verhaltensweisen mitNachhaltigkeit.

Technik 5 – Time-outBei manchen Kin -

dern kann es hilf-reich sein, ihnen vonZeit zu Zeit eine Aus -zeit zu gewähren.Dies sollte am bes -ten im Unterricht er -folgen, da mit Felix

Ein erhobener Zeige fin -ger ist ein Drohsig nalund keine Ermunte -rung. Ein Victory-Zei -chen dagegen erinnertan die gemeinsam for-mulierte Ziellinie, dieerreicht werden will!

Körperkontakt solltenur bis zu einem be -stimmten Alter einge-setzt werden. Spätes -tens mit dem Eintritt indie Pubertät kann dieseTechnik kontraproduk-tiv werden!

Stopp-Regeln verbrau-chen sich schnell inihrer Wirksamkeit!Deshalb: sparsamerEinsatz!

Erwarten Sie nicht, dassFelix nach einem klei-nen Lauf ruhiger ist.Kinder mit ADHS wer-den nicht automatischruhiger, wenn man siegewähren lässt!

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nicht ausgeschlossen wird („Du brauchst jetzt 5Minu ten nicht aufzupassen – entspann dich mit …“Hier können z. B. kleine Aufgaben eingesetzt wer -den, die ein motorisches „Austo ben“ ermögli-chen.) Es gibt aber auch Kin der, de nen besser da -mit ge holfen ist, wenn sie 5 Minuten um den Pau sen -hof laufen dürfen.

Hierbei ist es jedoch wichtig, unkontrolliertesAus toben, das die Problematik verschärfen kann,zu verhindern. Wenn das Laufen oder Hüpfen miteiner Auf gabe verbunden wird, vermindert diesden Erregungs zustand. Beispiele: 5 Schritte vor-,2 Schritte rückwärts laufen; Seil springen oderHüpfen und rückwärts zählen; 10 Schritte rennen,5 Schritte schleichen.

Technik 6 – Positive VerstärkungFühren Sie mit Felix ein Punktesystem ein,

mit dem er sich an das gemeinsame Ziel heran-arbeiten kann. Unterteilen Sie, soweit möglich,den Unterricht in kleinere Einheiten, für die es je -weils zwei oder drei Punkte gibt. So kann Felix z. B. neun Punkte pro Stunde sammeln, die dannschon erreichte Subziele dokumentieren. DiesesPunktesystem kann auch mit den Eltern abge-sprochen werden, die dann für alle 40 bis 50Punkte (Achtung: auf Erreichbarkeit achten!) ei -ne besondere Aktivität mit Felix unternehmen(nach Möglichkeit keine Geschenke im üblichenSinn, sondern eher gemeinsam verbrachte Zeit/gemeinsame Aktivitäten – und nur, wenn dieEltern bereit dazu sind und es sich leisten kön-nen).

Technik 7 – FeedbackFühren Sie mit Felix ein Rückmeldesystem ein,

das ihm möglichst zeitnah und knapp einen Ein -druck über das Geleistete verschafft. Achten Sieprimär auf das, was er geschafft hat, das Nicht-erreichte wird nach Möglichkeit nicht erwähnt.Nur in Ausnahmefällen und wenn Sie sicher seinkönnen, dass Felix die Kritik vertragen kann, er -wähnen Sie auch das, was nicht so gut geklappthat. Sie können dieses System auch verschriftli-chen und nach jeder Stunde bzw. nach der je -weils verabredeten Einheit Felix (auch für zuHause) mitgeben oder Sie führen jeweils einekurze Gesprächsrunde am Beginn der Pause ein.(„Mir hat heute gefallen …“ Zuerst berichtet Felixund dann Sie).

Technik 8 – AnspornenWenn es der Unterricht zulässt, sollten Sie

Felix immer dann anspornen, wenn Sie merken,dass seine Aufmerksamkeit nachlässt. „Versuch,noch länger durchzuhalten“ oder „Komm, nochfünf Minuten – das kannst du schaffen“. AchtenSie darauf, Felix nicht zu überfordern. Anspornenmacht nur Sinn, wenn die geforderte Leistungauch zu schaffen ist. Wenn Felix nicht folgenkann: „Macht nichts – bestimmt klappt es beimnächsten Mal.“

Technik 9 – RückfragenBehalten Sie Felix im Auge und überprüfen Sie

sooft es geht, ob er dabeibleiben konnte. Unter -stellen Sie dabei immer ein Nichtkönnen – nieein Nichtwollen. Fragen Sie z. B. in Verbindungmit einem kurzen, freundlichen Körperkontakt:„Wie gut konntest du zuhören?“ oder „Was konn-test du verstehen?“ Überprüfen Sie, ob Ihre Auf -gabenstellungen auch wirklich bei Felix ange-kommen sind.

Technik 10 – HausaufgabenheftFühren Sie für alle Schüler Ihrer Klasse ein

Hausaufgabenheft ein, das im Fall Felix nachAbsprache mit den Eltern von diesen gegenge-zeichnet wird. Setzen Sie dieses Instru mentimmer als Unterstützung für Felix ein – nie so,dass er das Gefühl bekommt, es handele sichum ein Kontroll- und Reglementierungsinstru ment.

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Informationen zu gesetzlichen Ansprüchen

Die meisten ADHS-Kinder benötigen in der Schu-le besondere Unterstützung und Förderung, da -mit sie ihre Möglichkeiten ausschöpfen und so -mit den schulischen Erfordernissen gerecht wer-den können. Sie als Lehrer können den Fami lien –neben einer adäquaten Unterrichtsgestaltung –zusätzlich helfen, indem Sie die Eltern betroffe-ner Kinder auf in gesetzlichen Regelungen vor-gesehene Fördermöglichkeiten aufmerksammachen und sie dahingehend beraten.

Folgende gesetzliche Regelungen können vonADHS-Kindern bzw. deren Eltern in Anspruchgenommen werden:

A. Regelungen der Kultusministerien zum sogenannten Nachteilsausgleich

HintergrundDie Regelung des Umgangs mit kranken Kin -

dern in den Schulen obliegt den Kultusministe -rien der Länder. Ein Vergleich der Regelungender Kultusministerien zeigt, dass keiner der Er -lasse ADHS namentlich ausweist. Somit fälltADHS unter die Erlasse zu „Krankheiten“ allge-mein und unter den Punkt „SonderpädagogischeFörderung“. Voraussetzung dafür ist, dass eineärztliche Diagnose mit entsprechender Empfeh -lung für die Schule vorliegt.

NachteilsausgleichDer so genannte Nachteilsausgleich wird in

den meisten Bundesländern in den Schulge set-z en für kranke Schülerinnen und Schüler gere-gelt. Er sieht besondere Maßnahmen seitens derSchule vor (z. B. Zeitverlängerung bei Klassen -arbeiten). Ob ein solcher Nachteilsausgleichgewährt wird, entscheidet die Schule selbst;Antragsteller sind bei minderjährigen Kinderndie Eltern.

Stellvertretend für die verschiedenen Rege lun -gen in den einzelnen Bundesländern folgt nunein Ausschnitt aus einem Erlass zum „Nachteils -ausgleich für Menschen mit Behinderungen beiPrüfungen und Leistungsnachweisen“ des Hes -sischen Kultusministeriums vom 19. Dezember1995:

„Aufgrund des ¤ 50 Hessisches Schulgesetzhaben die allgemeinen Schulen und die Sonder -schulen den gemeinsamen Auftrag, bei der Re -habilitation und Eingliederung von Kindern undJugendlichen mit Behinderungen bzw. mit son-derpädagogischem Förderbedarf in die Gesell -schaft mitzuwirken. Dieser Auftrag und Artikel 3Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes erfordern diebesondere Fürsorge der Schule im täglichenSchulleben in und außerhalb von Unterricht. BeiPrüfungen ist Schülern und Schülerinnen nachdem Grundsatz des ¤ 6 Abs. 2 Hessische Lauf -bahnverordnung (HLVO) ein ihrer körperlichenBehinderung angemessener Nachteilsausgleichzu gewähren, die fachlichen Anforderungen dür-fen jedoch nicht geringer bemessen werden.

¤ 9 Abs. 2 der Verordnung über die sonderpäd-agogische Förderung regelt die Gestaltung desgemeinsamen Unterrichts für Schüler und Schü -lerinnen mit abweichender Zielsetzung.

Schüler und Schülerinnen mit Behinderungen,die zielgerichtet unterrichtet werden können, ha -ben Anspruch auf Nachteilsausgleich bei Leis -tungs anforderungen im Rahmen der allgemei-nen Fürsorgepflicht der Schule und der entspre-chenden Regelungen im Schwerbehindertenge -setz (Nachteilsausgleich ¤ 48 Schwerbehinder -ten ge setz [SchwbG]).

Schülern und Schülerinnen mit Behinderun gen,die gemeinsam mit Nichtbehinderten unterrich-tet werden, darf bei der Leistungsvermittlungkein Nachteil aufgrund ihrer Behinderung ent-stehen. Bei mündlichen, schriftlichen, prakti-schen und sonstigen Leistungsanforderungen istauf die Behinderung des Schülers bzw. der Schü-lerin angemessen Rücksicht zu nehmen und ggf.ein Nachteilsausgleich zu schaffen bzw. eine dif-ferenzierte Leistungsanforderung zu stellen, z. B.:

• verlängerte Arbeitszeiten bei Klassenarbeiten; • Bereitstellen bzw. Zulassen spezieller Arbeits -mittel (Einmaleinstabelle, Schreibmaschine,Computer, Kassettenrecorder, größere bzw.spezifisch gestaltete Arbeitsblätter, größereLinien, spezielle Stifte u. Ä.);

• mündliche statt schriftlicher Prüfung (z. B. einen Aufsatz auf Band sprechen);

Zusätzliche Unterstützung für ADHS-Kinder und deren Eltern

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• unterrichtsorganisatorische Veränderungen (z.B. individuell gestaltete Pausenregelungen,individuelle Arbeitsplatzorganisation, Verzichtauf Mitschrift von Tafeltexten);

• differenzierte Hausaufgabenstellung; • individuelle Sportübungen.

Ein Nachteilsausgleich ist auch bei einer nurvorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung (z. B. bei Armbruch) zu gewähren.

Antragsberechtigt sind für minderjährigeSchü lerinnen und Schüler die Eltern, im Übrigendie volljährige Schülerin bzw. der Schüler selbst.Der Antrag ist an die Leiterin bzw. den Leiter derbesuchten Einrichtung zu richten.

Über eine Behinderung oder eine vorüberge-hende Beeinträchtigung ist ein entsprechenderNachweis zu erbringen.

Über Art und Umfang eines zu gewährendenNachteilsausgleiches entscheidet die Leiterinbzw. der Leiter der besuchten Schule in Ab -sprache mit den unterrichtenden Lehrkräften.

Ihre bzw. seine Entscheidung ist zu den Aktenzu nehmen. In Zweifelsfällen ist die Entschei -dung der Schulaufsichtsbehörde einzuholen.

Ein Vermerk über den gewährten Nachteils -aus gleich darf nicht in Arbeiten und Zeugnissenerscheinen (siehe ¤ 52 SchwbG).“

B. Regelungen im Kinder- und Jugend hilfe gesetz

Das bundesweit geltende Kinder- und Jugend -hilfegesetz (KJHG) wird als Instrument zur Vor -

beugung, zur Hilfe -stellung und zumSchutz von Kindernund Jugendlichenverstanden. Im Vor -der grund stehen dieFörderung der Ent -wicklung jungerMen schen und dieIntegration in die Ge -sellschaft durch all-

gemeine Förderungsangebote und Leistungen inunterschiedlichen Lebens si tuationen. Das KJHGist identisch mit dem achten Buch des Sozialge -setzbuches (SGB VIII).

In besonderenEinzelfällen bietetdas KJHG Familien z. B. die Möglichkeit,staatliche Mittel zurFörderung ihrerKinder in Anspruchzu nehmen. Dennnicht immer werdendie Kosten für not-wendige spezielleFördermaßnahmen

(v. a. Unterstützungsangebote freier Anbieter)von den Krankenkassen gedeckt.

AnspruchsgrundlagenEltern von ADHS-Kindern können sich insbe-

sondere auf den vierten Abschnitt des KJHGberufen, der die „Hilfe zur Erziehung“ und die„Eingliederungshilfe für seelisch behinderteKinder und Jugendliche“ regelt:

Hilfe zur Erziehung gem. ¤ 27 KJHG (1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei derEr ziehung eines Kindes oder eines JugendlichenAnspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenneine dem Wohl des Kindes oder des Jugendli-ch en entsprechende Erziehung nicht gewährlei-stet ist und die Hilfe für seine Entwicklunggeeignet und notwendig ist.

(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nachMaßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Um -fang der Hilfe richten sich nach dem erzieheri-schen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engeresoziale Umfeld des Kindes oder des Jugendli-ch en einbezogen werden. Die Hilfe ist in derRegel im Inland zu erbringen; sie darf nur dannim Aus land erbracht werden, wenn dies nachMaß gabe der Hilfeplanung zur Erreichung desHilfe zieles im Einzelfall erforderlich ist.

Viele Eltern haben Be -rührungsängste mitdem Jugendamt. Siewollen auf keinen Fallals „Sozialfall“ gelten.Wichtig ist, die Elternauf den unterstützen-den Charakter derJugendhilfe aufmerk-sam zu machen.

Ob und welche Zuwen -dungen Familien aller-dings erhalten, hängtvon den einzelnen Ju gendämtern ab. Oftwerden Anträge aufKostenübernahme privater Anbieter ange-sichts leerer Kassenabgelehnt.

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(2 a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugend -lichen außerhalb des Elternhauses erforderlich,so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehungnicht dadurch, dass eine andere unterhalts -pflich tige Person bereit ist, diese Aufgabe zuübernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Er -zieh ung setzt in diesem Fall voraus, dass diesePerson bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentli-chen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und37 zu decken.

(3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere dieGewährung pädagogischer und damit verbunde-ner therapeutischer Leistungen. Sie soll beiBedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaß -nahmen im Sinne von § 13 Abs. 2 einschließen.

(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche währendihres Aufenthaltes in einer Einrichtung odereiner Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes,so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch dieUnterstützung bei der Pflege und Erziehung die-ses Kindes.

Eingliederungshilfe für seelisch behinderteKinder und Jugendliche gem. § 35a SGB VIII(1) Kinder und Jugendliche haben Anspruch aufEingliederungshilfe, wenn

1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahr -scheinlichkeit länger als sechs Monate von demfür ihr Lebensalter typischen Zustand abweichtund2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesell -schaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beein -trächtigung zu erwarten ist. Von einer seelischenBehinderung bedroht im Sinne dieses Buchessind Kinder oder Jugendliche, bei denen eineBeeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mithoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27Abs. 4 gilt entsprechend.

(1 a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischenGesundheit nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 hat der Trä -ger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellung -nahme

1. eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychia -trie und -psychotherapie2. eines Kinder- und Jugendpsychotherapeutenoder3. eines Arztes oder eines psychologischenPsychotherapeuten, der über besondere Erfah -rungen auf dem Gebiet seelischer Störungen beiKindern und Jugendlichen verfügt, einzuholen.Die Stellungnahme ist auf der Grundlage derInternationalen Klassifikation der Krankheiten inder vom Deutschen Institut für medizinischeDokumentation und Information herausgegebe-nen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei istauch darzulegen, ob die Abweichung Krankheits -wert hat oder auf einer Krankheit beruht. DieHilfe soll nicht von der Person oder dem Dienstoder der Einrichtung, der die Person angehört,die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

AblaufGrundsätzlich sollten zunächst die schulinter-

nen Möglichkeiten ausgeschöpft werden (Durch -führung von speziellen Maßnahmen wie Gesprä -chen, schulischen Fördermaßnahmen, Erarbei -tung eines qualifizierten Förderangebots etc.).Wenn diese Maßnahmen nicht zu einer Besse -rung der Lernsituation bzw. des Verhaltens füh-ren und es zu Integrationsproblemen kommt,kann die Inanspruchnahme von außerschuli-schen Hilfemöglichkeiten – wie z. B. ein Antragauf Leistungen nach dem KJHG – sinnvoll sein.

Der Ablauf für die Inanspruchnahme vonLeistungen nach dem KHJG ist wie folgt:

• Die Eltern des betroffenen Kindes stellen einenAntrag auf Leistungen nach dem KJHG bei demzuständigen Jugendamt.

• In Abstimmung mit den Eltern, dem Kind sowiein Kooperation mit den beteiligten Institutionenprüft der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) dieVoraussetzungen zur Gewährung von ambulan-ten Hilfen zur Erziehung (§ 27 KJHG) sowie vonEingliederungshilfe für seelisch Behinderte (§ 35a KJHG).

• Es werden Stellungnahmen des beteiligten

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Facharztes, der Schule etc. eingeholt und Ge -spräche mit den Eltern und dem Kind überseine soziale Integration durchgeführt. DieUnter suchung muss in der Regel der Amtsarztdes Gesundheitsamtes vornehmen.

• Sind die Voraussetzungen für ambulante Hilfenzur Erziehung nach § 27 KJHG oder Eingliede -rungshilfe nach § 35a KJHG gegeben, wird inder Regel im Zusammenwirken mehrererFach kräfte gemeinsam mit den Eltern und demKind ein Hilfeplan gemäß § 36 KJHG erstellt;dieser macht Feststellungen über den Bedarf,die zu gewährende Art der Hilfe sowie die not-wendigen Leistungen. Bei der Fortschreibungdes Hilfeplans, dessen Realisierung regelmä-ßig zu prüfen ist, sind die Schule, der beteiligteArzt, die Eltern und das Kind erneut hinzuzu-ziehen.

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Informationsquellen zu ADHS

Die Arbeit mit Schulen zeigt uns immer wieder,dass in Lehrerkreisen oftmals Unsicherheit darinbesteht, die Eltern betroffener Kinder gut zu be -raten. Dabei mangelt es nicht an Informations -quellen, die man zu Rate ziehen kann. NebenBüchern und Broschüren bietet insbesonderedas Internet eine nahezu unüberschaubare Da -tenfülle zum Thema ADHS, die für jeden frei ver-fügbar ist. Gibt man in eine der gängigen Such -ma schinen den Begriff ADHS ein, erhält manüber 200.000 Einträge. Bei einer solchen Füllevon Informationen fällt es natürlich nicht immerleicht, seriös von unseriös zu unterscheiden.

ElternselbsthilfegruppenSie werden es bestimmt auch schon erlebt

haben, dass Eltern von Kindern mit ADHS Hilfesuchend auf Sie zugekommen sind und um IhrenRat gebeten haben, an wen sie sich wenden kön-nen und wo sie Unterstützung erhalten.

Über hervorragendes Informationsmaterialund kompetente Ansprechpartner verfügen inder Regel die Elternselbsthilfegruppen. Hier er -fahren Eltern Unterstützung und Begleitung inallen Fragen, die ADHS betreffen. Auch Schulenerhalten Hilfestellung durch Fortbildungsange -bote und unterrichtsrelevante Broschüren.

Aufgrund ihres meist ausgezeichneten Infor -ma tionsnetzes können Elternselbsthilfegruppendarüber hinaus eine erste Orientierung geben,an welche qualifizierten Fachärzte oder sonsti-gen kompetenten Anlaufstellen sich Eltern be -troffener Kinder wenden können.

Die Adressen der Verbände der bundesweitagierenden ADHS-Selbsthilfegruppen finden Sieam Ende des Kapitels aufgeführt. Deren Regi o -nalgruppen können Sie ausfindig machen entwe-der über deren Webseite oder über

• die Gelben Seiten,• die Krankenkassen,• den Schulpsychologischen Dienst des zuständigen Schulamtes,

• Beratungsschulen (Förderschulen)• den behandelnden Arzt/Psychologen.

Hilfreiche Empfehlungen für Eltern

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LiteraturZum Thema ADHS gibt es mindestens so vieleBücher und Ratgeber, wie es Meinungen zu die-sem Thema gibt. Wir beschränken uns daherdarauf, Sie auf ein Standardwerk und eine Bro -schüre des Hamburger Arbeitskreises zu verwei-sen. Hilfreiche Fachliteratur zu Unterrichts -methodik finden Sie bei den Schulbuchverlagen,die sich auf handlungsorientierten Unterrichtspezialisiert haben.

Staatsinstitut für Schulpädagogik undBildungsforschung München (Hrsg.):Aufmerksamkeitsgestörte, hyperaktive Kinderund Jugendliche im Unterricht. Auer Verlag. ISBN 3-403-03248-5

Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS: Informationsbroschüre „Leitfaden ADS/ADHS“ inklusive einer Übersicht praktischer Tipps„ADS/ADHS im Alltag“

Der Leitfaden kann kostenlos angefordert werden, entweder per Brief/Postkarte oder per E-Mail.

Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHSPostfach 65 22 40, 22373 [email protected]

LehrergesundheitUwe Schaarschmidt und Ulf Kiesche (Hrsg.):Gerüstet für den Schulalltag. PsychologischeUnterstützungsangebote für Lehrerinnen undLehrer. Weinheim 2007

Uwe Schaarschmidt: Halbtagsjobber?Psychische Gesundheit von Lehrerinnen undLehrern. Analyse eines veränderungsbedürftigenZustandes. Weinheim 2005

Im Rahmen der Potsdamer Lehrerstudie wurdenauch die beiden Verfahren „Fit für den Lehrer -beruf“ sowie „Arbeitsbewertungscheck für Lehr -kräfte“ entwickelt.

„Pädagogische Supervision“ kann über die ent-sprechenden Landesverbände „AssociationPädagogische Supervision“ angefordert werden.

SignalkartenEs geht auch ohne Worte. Signalkarten für den Unterricht.Hund, Wolfgang, Verlag an der Ruhr

Orientierung ohne Worte.Kirschner, Jens und Treu, Sabine, Verlag an der Ruhr

Weitere Informationen erhalten Sie auch unter:www.info-adhs.de

Adressen Selbsthilfegruppen*ADHS Deutschland e. V.Poschingerstraße 16, 12157 BerlinTelefon 030 85605902, Fax 030 [email protected]

AG ADHS – Arbeitsgemeinschaft ADHS derKinder- und Jugendärzte e. V.Gleiwitzer Straße 15, 91301 [email protected]

ADS e. V.Elterninitiative zur Förderung von Kindern,Jugendlichen und Erwachsenen mitAufmerksamkeitsDefizitSyndrom (ADS) mit/ohne HyperaktivitätPostfach 11 65, Im Tiefentobel 28, 73055 EbersbachTelefon 07161 920225, Fax 07161 920226www.ads-ev.de [email protected]

zentrales adhs-netzUniversitätsklinikum Köln (AöR)Robert-Koch-Straße 10, 50931 KölnTelefon 0221 478-89876, Fax 0221 478-89879zentrales-adhs-netz@uk-koeln.dewww.zentrales-adhs-netz.dewww.adhs.info

Besuchen Sie auch den Online-Workshop fürLehrerinnen und Lehrer mit Infos und prakti-schen Tipps zu ADHS im Schulalltag:www.info-adhs.de/workshop.html

* An dieser Stelle sind nur die größten Verbände aufgeführt. Auf den Internetseiten dieser Ver bände finden Sie aber eine Vielzahl von Links und Hinweisen zu weiteren Verbänden und regionalen Gruppen.

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Glossar

Multimodale TherapieBehandlung, die sich aus einer jeweils individu-ellen Kombination unterschiedlicher Therapie -formen zusammensetzt. Der multimodale The rapieansatz bei ADHS umfasst das Eltern -training, psychotherapeutische Maßnahmen(z. B. Verhaltenstherapie) und die medikamen-töse Therapie.

NachteilsausgleichVorschriften über Hilfen für behinderte Men -schen zum Ausgleich behinderungsbedingterNachteile oder Mehraufwendungen.

NeurotransmitterIm Nervensystem wirkende körpereigene Sub -stanzen (Botenstoffe), die für die Reizüber tra -gung zwischen Nervenzellen zuständig sind. Die wichtigsten im Zusammenhang mit ADHSsind � Dopamin und � Noradrena lin.

Noradrenalin� Neurotransmitter (Botenstoff), der eine wich-tige Rolle bei der Reizweiterleitung im Gehirnspielt.

Pädagogische SupervisionSupervision ist eine professionelle Beratung zurQualitätssicherung am Arbeitsplatz. Sie reflektiertden Zusammenhang von handelnder Person, be -ruflicher Rolle, Organisation und Klientel im be -ruflichen Alltag. Die pädagogische Supervision bezieht sich dabeiauf psychische, soziale und institutionelle Fakto -ren in pädagogischen Kontexten wie z.B. Kinder -tagesstätten, Schulen, Hochschulen, Universi tä -ten und alle Einrichtungen und Situationen, diemit Bildung zu tun haben. Sie nützt der Verbes -serung der Kommunikations- und Kooperations -fähigkeit von Einzelpersonen, Gruppen, Arbeits -teams und Organisationen und fördert ihr Lern enin gemeinsamer Suche nach Alternativen. Damit dient sie der Prävention und dem Erhaltder Gesundheit pädagogischer Fachkräfte undLernender (Kinder, Jugendlicher und Erwach -sener).

Was versteht man unter…?

ADHSAufmerksamkeitsdefizitstörung mit � Hyper akti -vität. Kernsymptome sind eine verminderteKonzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit,gesteigerter Bewegungsdrang sowie � Impul -sivität.

ADSAufmerksamkeitsdefizitstörung ohne � Hyper -aktivität. Die Kernsymptome sind verminderteKonzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit,� Impulsivität sowie ein normaler oder redu-zierter Bewegungsdrang. Der Begriff ADHS wirdgewöhnlich für beide Varianten (ADS und ADHS)verwandt.

Dopamin� Neurotransmitter (Botenstoff), der eine wich-tige Rolle bei der Reizweiterleitung im Gehirnspielt.

EEGElektroenzephalogramm: das Aufzeichnen undAuswerten des Hirnstrombildes.

Hyperaktivität Gesteigerter Bewegungsdrang und körperlicheUnruhe.

Impulsivität, impulsives VerhaltenSpontanes, plötzliches Ausführen von Hand lun -gen, ohne zu überlegen und/oder die Folgen zubedenken. Führt bei ADHS-Kindern häufig zuUnfällen und Verletzungen.

KomorbiditätenBegleiterkrankungen, die neben ADHS auftretenund gesondert diagnostiziert und behandelt wer-den müssen.

Lese-Rechtsschreib- und Rechen-SchwächeTeilleistungsstörungen, bei denen durch spezifi-sche und umschriebene Funktionsstörungen inbestimmten Hirnbereichen die Lese- und/oderRecht schrei bleistungen des betroffenen Kindesbeeinträchtigt sind bzw. eine spezifische Rechen-schwäche vorliegt. Beide Störungen gehen in derRegel mit normaler Intelligenz einher.

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PsychostimulanzienSubstanzen (Psychopharmaka), die über einedirekte Beeinflussung des ZentralnervensystemsErleben und Verhalten des Patienten verändernkönnen. Bei Gesunden können sie den Antriebsteigern und psychisch anregend wirken. BeiADHS hingegen wirken sie nicht anregend, son-dern eher ausgleichend. Die Verordnung dieserMedika men te unterliegt in Deutschland demBetäu bungs mittelgesetz.

ReframingDer Begriff Umdeutung von englisch Reframing,bezeichnet eine Technik, die aus der Systemi schenFamilientherapie stammt und von Virginia Satireingeführt wurde. Dem Reframing kommt be -sonders in der Hypnotherapie nach Milton H.Erickson ein hoher Stellenwert zu. Auch die sys -temisch-lösungsorientierte Pädagogik deutet mitHumor vieles um/neu. Durch Umdeutung wirdeiner Situation oder einem Geschehen eineandere Bedeutung oder ein anderer Sinn zuge-wiesen, und zwar dadurch, dass man versucht,die Situation in einem anderen Kontext (oder"Rahmen") zu sehen.

Selektive Noradrenalin-WiederaufnahmehemmerSubstanzen (Psychopharmaka), die zu einerRegulation des � Noradrenalin-Systems imGehirn beitragen können. Erste medikamentöseBehandlungsoption für ADHS, die kein Psycho -stimulanz ist.

SkalierungsfrageDie Skalierung eines Aspektes, Verhaltens,Zieles von 0 bis 10 ist eine Technik aus der syste-misch-lösungsorientierten Therapie, die auchpädagogisch genutzt wird. Die Skalierungs fragedient der Unterschiedsbildung und Ent wicklungeines Zielzustandes.

SoziometrieEine Methode der Sozialpsychologie, mit derman soziale Beziehungen in einer Gruppe vonMenschen in Bezug auf vorher definierte Kri -terien sichtbar macht.

Stimulanzien� Psychostimulanzien

TeilleistungsstörungenLeistungsstörungen, die bestimmte Funktionendes Gehirns betreffen (Lesen, Schreiben, Rech -nen). Zusammen mit ADHS können � Lese-Rechtschreib- und Rechen-Schwäche vorkommen.

Tic-StörungenUnwillkürliche Muskelzuckungen, besonders imGesicht, die bei ADHS häufig begleitend auftreten.

Tourette-Syndrom (TS)Eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durchkomplexe (vokal/motorische) Tics charakterisiertist. Tics sind spontane, plötz liche und häufig hef-tige Bewegungen oder Lautäußerungen. Benanntnach dem französischen Arzt Gilles de la Tourette,der die Sympto matik erstmals um 1885 beschrieb.

VerhaltenstherapiePsychotherapeutische Behandlung, bei der uner-wünschte Verhaltensweisen abgebaut und ge -zielt durch neu erlernte ersetzt werden. Bausteinder � multimodalen Therapie von ADHS.

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Eckpunktepapier des BMGS

Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 27. Dezember 2002:Zur Verbesserung der Versorgung von Kindern,Jugendlichen sowie von Erwachsenen mit derAufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts -störung (ADHS) wurde auf Einladung des Bun -des ministeriums für Gesundheit und SozialeSicherung eine Konferenz durchgeführt, auf derein weit reichender Konsens über verbindlicheStandards in der Diagnose und Behandlung desADHS erzielt wurde. An der Konferenz warenVertreter der Kinder- und Jugendmedizin, derKinder- und Jugendpsychiatrie, der Psychologie,weiterer Berufsgruppen sowie der Elternver bän -de beteiligt. Hierzu erklärt die Drogenbeauf tragteder Bundesregierung und ParlamentarischeStaatssekretärin im Bundesministerium fürGesundheit und Soziale Sicherung, MarionCaspers-Merk:

„Ich begrüße es sehr, dass die unterschiedlichenBerufs- und Fachgruppen, die mit der Behand -lung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi -täts störung konfrontiert sind, sich über wesentli-che Kriterien zur Diagnose und Therapie einigenkonnten. Es geht dabei in erster Linie um dieSicherstellung einer qualitätsgesicherten undbedarfsgerechten Versorgung von Kindern undJugendlichen sowie der Gruppe von Erwachse -nen mit ADHS. Dabei ist mir sehr wichtig, dassüber den erzielten Konsens nun:

• den betroffenen Familien und der Öffentlichkeitein gemeinsames Verständnis über das Krank -heitsbild und die Behandlung vermittelt wird,

• die Verschreibung von Methylphenidat auf derGrundlage wissenschaftlicher Standards imRahmen einer abgestimmten Diagnosestellungund multimodalen Therapie erfolgt,

• eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnenBerufsgruppen über den Aufbau von regionalenund überregionalen Netzwerken unter Beteili -gung der Elternverbände verbessert werdensoll sowie

• die Fachkompetenz der jeweiligen ärztlichenund nichtärztlichen Berufsgruppen über denAufbau eines fachübergreifenden modularenFortbildungsangebotes zur ADHS sichergestelltwird.

Mit der Einigung verbinde ich die Hoffnung, dasswir die gesundheitliche Versorgung in der Diag -no se und multimodalen Behandlung der Auf -merk samkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungwesentlich verbessern können. Ich erhoffe mirauch, dass die öffentliche Diskussion nicht wei-terhin mit widersprüchlichen und unverantwort-lichen Botschaften zur medikamentösen Behand-lung behaftet ist.“

Der Inhalt der Übereinkunft ist in einem Eck -punkte papier zusammengefasst.

Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und SozialeSicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserungder Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeits -defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (Oktober 2002)

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1. Aktuelle Prävalenzschätzungen zur ADHSgehen von 2 bis 6 % betroffenen Kindern undJugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren aus.ADHS ist damit eines der häufigsten chronischverlaufenden Krankheitsbilder bei Kindern undJugendlichen. Die bedarfsgerechte Versorgungdieser Patienten – die durch unterschiedlicheBerufsgruppen getragen wird – ist derzeit nichtflächendeckend gewährleistet. Es besteht nochoft eine ungenügende Verzahnung kooperativerDiagnostik. Es fehlt häufig an verlaufsbegleiten-den Überprüfungen der Diagnostik nach demEinsetzen therapeutischer Maßnahmen.

2. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Be -troffenen dauern die Symptome bis ins Erwach -senenalter an. ADHS stellt somit auch bei Er -wachsenen eine behandlungsbedürftige psychi-sche Störung dar. Es fehlen hier verbindlichediagnostische Kriterien und angemessene Ver -sorgungsstrukturen. Die Behandlung mit Methyl -phenidat erfolgt derzeit im Erwachsenenalter„off label“, da dieses Medikament für die Be -hand lung von Erwachsenen bei dieser Indikationnicht zugelassen ist.

3. In der Öffentlichkeit besteht noch weitgehendeUnkenntnis und Fehlinformation über das Krank-heitsbild. Schulen, Tageseinrichtungen und an -dere Erziehungsinstitutionen sowie an der öffent-lichen Gesundheitsfürsorge beteiligte Verwal tun -gen (Jugendamt, Gesundheitsamt, Sozialamt,Strafvollzug und Polizei) sollten verstärkt überADHS informiert werden. Die Konsensuskon fe -renz erhebt die Forderung nach einem Aware -ness-Programm als gemeinsame Aktion.

4. Für eine korrekte Diagnosestellung der ADHSist eine umfassende Diagnostik und Differenzial -diagnostik anhand anerkannter Klassifikations -schemata (ICD 10 oder DSM IV) erforderlich.Grundlage der Diagnosestellung sind Explorationund klinische Untersuchung mit Verhaltensbe -obachtung. Die störungsspezifische Anamnesesoll Familie und weiteres Umfeld (z. B. Schule)einbeziehen und zusätzlich erschwerende sowieentlastende Umgebungsfaktoren berücksichti-

gen. Fremdbeurteilungen durch Lehrer und Er -zieher sollen einbezogen werden. Die Benutzungvon Fragebögen als diagnostische Hilfen ist sinn-voll. Intelligenzdiagnostik und Untersuchung vonTeilleistungsschwächen sollen das diagnostischeMosaik ergänzen. Die differenzialdiagnostischeAbklärung zu anderen Erkrankungen mit ähnli-chen (Teil-) Symptomen und die Erfassung vonBegleiterkrankungen bilden einen notwendigenBaustein zur Diagnosesicherung. Eine solchemehrdimensionale Diagnostik bildet die Grund -lage der multimodalen Behandlung. Die Diag -nos tik der ADHS ebenso wie die Therapie, auchdie psychotherapeutische Behandlung, orientie-ren sich an den evidenzbasierten Leitlinien derbeteiligten Fachverbände. Derzeit scheitert diemultimodale Diagnostik noch in einigen Regio -nen Deutschlands an der Versorgungsrealität.Um die Versorgungsstruktur zu verbessern, istUnterstützung der Politik erforderlich.

5. Eine qualitätsgesicherte Versorgung von ADHSist unter Einbeziehung aller beteiligten Berufs -gruppen notwendig. Die Therapie der ADHS istals multimodales Behandlungsangebot definiert.Nur ein Teil der Kinder bedarf der medikamentö-sen Therapie. Nach ausführlicher Diagnostik underst wenn psychoedukative und psychosozialeMaßnahmen nach angemessener Zeit keine aus-reichende Wirkung entfaltet haben, besteht dieIndikation zu einer medikamentösen Therapie.Stimulanzien wie Methylphenidat stellen empi-risch gesicherte Medikamente zur Behandlungder ADHS dar, wobei der langfristige Einflussdieser Medikation auf die Entwicklung des Kin -des verstärkt erforscht werden muss. Auchandere Medikamente haben ihre Wirksamkeitbewiesen. Im Vorschulalter soll erst nach Aus -schöpfung aller Maßnahmen eine medikamentö-se Behandlung im Einzelfall in Erwägung gezo-gen werden. Für die Behandlung sind spezielleKenntnisse der biologischen, psychischen undsozialen Entwicklung des Kindes Voraussetzung.

6. Die spezielle Indikationsstellung zur medika-mentösen Behandlung mit Stimulanzien ist imEinzelfall ebenso wie die Entscheidung über

Eckpunkte der Ergebnisse der vom Bundesministerium für Gesundheit und SozialeSicherung durchgeführten interdisziplinären Konsensuskonferenz zur Verbesserungder Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeits -defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). (Bonn, 28. und 29. Oktober 2002)

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Zeit punkt, Dauer und Dosis sorgfältig und ent-sprechend dem aktuellen wissenschaftlichenStandard zu treffen. Auf altersspezifische Beson -derheiten im Kindes-, Jugend- und Erwachse -nen alter ist zu achten. Jede medikamentöseBehandlung mit Stimulanzien ist in ein umfas-sendes Therapiekonzept im Sinne einer multi-modalen Behandlung einzubinden. Jede medika-mentöse Behandlung bedarf als Mindest stan -dard einer intensiven ärztlichen Begleitung undausführlichen Beratung. Die alleinige Verab -reich ung von Stimulanzien ist keine ausreichen-de Behandlungsmethode. Der Ausbau von Ver -sorgungsstrukturen für begleitende psychosozia-le und andere therapeutische Maßnahmen sollvon der Politik intensiv unterstützt werden.

7. Die bedarfsgerechte Versorgung erfordert eineenge Zusammenarbeit der Ärzte untereinander(Kinder- und Jugendärzte, Kinder- und Jugend -psy chiater, Psychiater, Allgemeinmediziner) undmit Psychologen, Psychotherapeuten, Pädago -gen, Heilmittelerbringern (z. B. Ergotherapeuten)und Selbsthilfeverbänden. Die enge Zusammen -arbeit mit weiteren an der gesundheitlichen Ver -sorgung beteiligten Berufsgruppen ist notwendig.Erziehungsberatungsstellen sollen unter einerpädagogischen Zielsetzung im Rahmen koopera-tiver Netzwerke tätig werden. Auch Kindergär -ten, Tagesstätten und Schulen sowie weitere psy -chosoziale Bereiche sollen unter Einschluss derJugendhilfe in das Behandlungsnetzwerk als Kom -petenzpartner einbezogen werden, um einer schäd -lichen Desintegration der Kinder vorzubeugen.

8. Je nach Fachgruppe und therapeutischer Aus -bildung besteht eine unterschiedliche Quali fika -tion zur Behandlung von ADHS. Die Verbesse -rung der Qualifikation muss daher differenziellerfolgen. Angestrebt wird ein modulares Fort -bildungskonzept mit unterschiedlicher Gewich -tung der Inhalte. Grundlage dieses Konzeptessoll empirisches Tatsachenwissen über Ent -stehung, Verlauf und Therapie von ADHS sein.

Die Grundlage für interdisziplinäre Zusammen -arbeit bildet ein allen Berufsgruppen zugängli-ches Basiswissen, dessen Vermittlung eine ge -zielte Fortbildung der unterschiedlichen Beteilig -ten erfordert. Eine fachübergreifende gemeinsa-me Fortbildung im Sinne einer wechselseitigenErkenntniserweiterung ist anzustreben und er -möglicht eine qualifizierte Kooperation.

9. Interdisziplinäre Zusammenarbeit beruht aufder Fachkompetenz und dem wechselseitigenRespekt der beteiligten Berufsgruppen. Die Ver -antwortung für die Koordination der interdiszipli-nären Behandlung liegt in der Hand des zustän-digen Arztes. Ziel ist ein abgestimmtes multimo-dales störungsspezifisches Vorgehen zur Be -hand lung der Kernsymptomatik und der Begleit -störungen auf Evidenzbasis.

10. Aus berufspolitischer Sicht der beteiligtenVerbände besteht Klärungsbedarf im Hinblickauf Leistungsanreize und eine leistungsgerechteHonorierung bzw. Finanzierung der Versor gungs-tätigkeit. Unter Einbezug von Leistungsträgernund Leistungserbringern müssen solidarischeFinanzierungsmodelle im Rahmen der Leis tun -gen der SGB V, VIII und IX gewährleistet sein. DiePolitik soll ihren Einfluss im Rahmen der Zustän-digkeiten geltend machen.

11. Regionale und überregionale Netzwerke sol-len gebildet und die vorhandenen Netzwerkeaus gebaut werden. Von der Politik wird eineHilfestellung bei der Bestandsaufnahme beste-hender regionaler Netzwerke gewünscht. Dieseregionalen Netzwerke sollen die Umsetzung derLeitlinien in die Praxis unterstützen. Die Politiksoll die Bildung qualifizierter interdisziplinär orientierter Arbeitsgruppen zum Thema ADHSunter Einbezug von Betroffenenvertretern beglei-ten und unterstützen.

12. Zum Thema ADHS besteht weiterhin erhebli-cher Forschungsbedarf. Dies betrifft sowohl denlangfristigen Einfluss medikamentöser Thera -pien, besonders des Methylphenidats auf dieEnt wicklung des Kindes, als auch empirischeUntersuchungen zur Wirkungsweise weiterer

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Be handlungsmaßnahmen bei ADHS. Auch dieIntensivierung der Forschung zur Evaluation derStruktur-, Verlaufs- und Ergebnisqualität in Be -zug auf diese unterschiedlichen Therapie verfah -ren und die bedarfsgerechte Versorgung ist not-wendig und erwünscht.

Parlamentarische Staatssekretärin undDrogenbeauftragte der Bundesregierung Frau Caspers-Merk

Deutsche Gesellschaft für Kinder- undJugendpsychiatrie Prof. Dr. Resch

Für die Gesellschaften der Kinderheilkunde und Jugendmedizin Dr. Skrodzki

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Kopiervorlagen

• Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

• Zielplan „10-Stunden-Projekt“

• Stundenprotokoll „10-Stunden-Projekt“

• Zufriedenheitsthermometer „10-Stunden-Projekt“

• Gradmesser Zielerreichung „10-Stunden-Projekt“

• Ideen für einen Aufmerksamkeit fördernden Unterricht

• Ideen für einen rhythmisierten Unterricht

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

A. RAHMENBEDINGUNGEN

Name des Kindes:

Alter des Kindes: Jahre Klasse:

Unterrichtsfächer:

Wochenstunden: Klassengröße:

Ich unterrichte das Kind seit:

Meine Beziehung zum Kind bewerte ich wie folgt:

Sitznachbar des Kindes (falls zutreffend):

Sitzt eher � vorn � mittig � hinten

Gute/Eher gute Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:

Schlechte/Eher schlechte Kontakte hat das Kind derzeit zu folgenden Mitschülern:

Der letzte Elternkontakt (telefonisch, persönlich) fand vor Wochen/Tagen statt.

Anlass:

Besteht eine formale ADHS-Diagnose? � ja � nein

Falls ja, ist mir diese bekannt seit

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

Gibt es bereits laufende Behandlungen/Unterstützungen, von denen ich weiß?

� Medikamente � Ergotherapie � Verhaltenstherapie� Elternberatung � Nachhilfe � andere:

Behandelnder Arzt/Therapeut (falls bekannt):

Telefonnummer (falls bekannt):

Bestand bereits Kontakt zum Arzt/Therapeuten? Wenn ja, wann zuletzt?

Wie sehen die Schulleistungen des Kindes derzeit in einer Schulnote ausgedrückt aus?

Deutsch schriftlich mündlich

Mathematik schriftlich mündlich

Sachkunde schriftlich mündlich

In welchen Fächern erbringt das Kind nicht mehr ausreichende Leistungen?

Welche Fächer liegen dem Kind besonders?

In welchen Fächern/bei welchen Kollegen bestehen die größten Verhaltens- bzw. Konzentrations schwierigkeiten?

Welche Note hat das Kind in den Kopfnoten?

Arbeitsverhalten Sozialverhalten

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

Womit beschäftigt sich das Kind gerne oder erfolgreich in seiner Freizeit?

Welche besonderen Interessen oder Begabungen, die außerhalb der Schule zum Tragen kommen,sind Ihnen bekannt?

Gibt es einen „typischen Verlauf“ der Auffälligkeiten

� im Vergleich der einzelnen Wochentage (z.B. schlechter am Wochenanfang)

� innerhalb des Schulvormittags (z.B. auffälliger in den ersten Stunden)?

Unter welchen Rahmenbedingungen gelingt es dem Kind, sich konstruktiv am Unterricht zu beteiligen oder etwas weniger stark aufzufallen?

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

B. VERHALTENSBEOBACHTUNGEN

Block 1Worin bestehen leistungsbehindernde Verhaltensweisen im Unterricht? Welche leistungsbezogenen Fähigkeiten sind wie gut entwickelt?

Fängt sofort mit der Arbeit an

Kann sich längere Zeit auf eine Aufgabe konzentrieren

Nimmt konzentriert am Unterricht teil

Merkt sich Arbeitsanweisungen

Beteiligt sich aktiv am Unterricht

Erledigt schriftliche Arbeiten zügig

Sauberes Schriftbild

Drückt beim Schreiben/Malen normal auf

Kann seine Arbeitsmaterialien organisieren

Hat seine Materialien vollständig dabei

Kann sauber arbeiten

Weiß, was zu tun ist

Hausaufgaben werden vollständig erledigt

Schafft das komplette Pensum

Beherrscht Unterrichtsstoff auch während der Arbeiten

Erledigt anstehende Arbeiten sorgfältig und genau

Gut integriert bei Gruppenarbeiten

Sonstige:

Block 2Was sind positive Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes?

Ist anderen gegenüber hilfsbereit

Hat freundliches Wesen/interessiert an seiner Umwelt /neugierig

Ist spontan

Hat viele, oft kreative Ideen

Kann sich für vieles begeistern

Besitzt ausgeprägtes Mitgefühl

Bringt andere zum Lachen

Hat ausgeprägten Gerechtigkeitssinn

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

Ist anderen gegenüber nicht nachtragend

Setzt sich für andere ein

Kann den Unterricht oft bereichern

Begeistert sich für Sport

Sonstige:

Block 3Worin bestehen den Unterricht störende Verhaltensweisen?Welche sozialen Fähigkeiten sind wie gut entwickelt?

Meldet sich und wartet, bis das Wort erteilt wird

Kommentiert die Beiträge anderer angemessen

Bleibt an seinem Sitzplatz

Bewahrt am Sitzplatz/Tisch Ruhe

Bleibt auf dem Stuhl sitzen (ohne umzufallen)

Lässt Sitznachbarn in Ruhe arbeiten

Kann auch verlieren/akzeptiert,wenn andere Erster sind

Integriert sich bei Gruppenaktivitäten

Streitet im Unterricht mit anderen konstruktiv

Lässt andere Kinder in Ruhe arbeiten

sonstige:

Block 4Worin bestehen mich persönlich störende Verhaltensweisen und Eigenschaften des Kindes (über das bereits Gesagte hinaus)?

Widersetzt sich oft meinen Anweisungen

Beeinflusst andere Kinder/das Klassenklima negativ

Ist mir gegenüber oft frech und anmaßend

Bindet meine Aufmerksamkeit zu oft und zu lange

Kostet mich viel Zeit im Unterricht

Erfordert viele Kontakte zu Eltern/anderen Lehrern

Sonstige:

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

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Fragebogen zur Verhaltensbeobachtung

C. MEIN EIGENES PÄDAGOGISCHES HANDELN

Was ich bereits versucht habe, um das problematische Verhalten des Kindes zu beeinflussen (Eltern -kontakt, Gespräche mit dem Kind, Veränderung des Sitzplatzes, Sanktionen, Positivverstärker etc.):

Benennen Sie ein Problemverhalten konkret, formulieren Sie es in ein zu erreichendes Ziel um, ord-nen Sie die bereits durchgeführte Maßnahme zu und bewerten Sie den Erfolg Ihrer Maßnahme miteiner Zahl der Skala 0 – 10 (Null = nutzlos, Zehn = sehr hilfreich).

Problemverhalten Entwicklungsziel Pädagogische Datum undMaßnahme Mein Erfolg (0–10)

z.B. Hausaufgaben Hausaufgaben z.B. nacharbeiten lassen (01.02.2010)vergessen immer erledigen ohne positive Rückmeldung 3

z.B. Hausaufgaben Hausaufgaben z.B. nacharbeiten lassen mit (01.02.2010)vergessen immer erledigen pos. Rückmeldung (Kompliment) 8

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Zielplan „10-Stunden-Projekt“

Unsere gemeinsamen Ziele für morgen/die nächsten 3 Stunden/die nächsten 10 Stunden:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Unsere gemeinsamen Ziele für die Zeit bis zu den Ferien/zum Halbjahreszeugnis/zum Zeugnis:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

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Stundenprotokoll „10-Stunden-Projekt“

Stunde Nr.

Eingesetzte Techniken:

1.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

2.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

3.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

4.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

5.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

6.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

7.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

8.

Erfolg: nutzlos 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sehr nützlich

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Zufriedenheitsthermometer „10-Stunden-Projekt“

Ich fand mein Verhalten heute

109876543210

super

schlecht

ganz o.k.

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Gradmesser „10-Stunden-Projekt“

Haben wir die vereinbarten Ziele erreicht?

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 1

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 3

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 2

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 4

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 6

109876543210 nein

ein wenig

fast

ja

Ziel 5

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Ideen für einen Aufmerksamkeit fördernden UnterrichtRhythmisierung des Unterrichts• Deutliche Methoden- und Phasenwechsel (nach ca. 20 Minuten)• Wechsel zwischen aktiven und passiven Phasen- Bewegungsspiele- Interaktionsspiele- Konzentrations- u. Stilleübungen (Lauschen, Atemübung, Körperwahrnehmung, Fantasiereise, Ausmalen von vorgegebenen Strukturen oder Malen von Fantasiebildern)

Unterrichtsrituale• Stuhlkreis am Montag Morgen (1. Stunde)• Tägliche Begrüßungs- u. Abschiedsrituale• Arbeit mit Signalkarten• Feiern des Geburtstagskindes• Hausaufgaben 5 Minuten vor Unterrichtsende auf derselben Tafelseite anschreiben

Lernen mit allen Sinnen• „Be-greifen“ der Lerninhalte(Montessorimaterialien; AOL-Verlag, Verlag an der Ruhr)

• Visualisierung von Unterrichtsinhalten und –strukturen (Einsatz von farbstarkem Papier)

• Verwendung von Farben, Bildern, Anschauungsmaterialien,Lernspielen, Rollenspielen• Weniger an Stoff anbieten (im Sinne exemplarischen Lernens nach Klafki),dafür immer wieder auf Strukturen achten, häufige Vertiefungsphasen

Klarheit, Strukturen sowie Empathie• Erarbeiten von klaren Regeln mit der Klasse(positiv formuliert; 1. Person Singular, Präsens Aktiv; gut sichtbar im Klassenraum aufgehängt:Beispiel: „Ich melde mich und spreche erst, wenn ich an der Reihe bin“ statt „Nicht reinrufen!“)

• Sofortige Rückmeldung über die Genauigkeit der geleisteten Aufgabe (hilfreich ist die Metaebene:Skalierung von Null bis Zehn)

• Ständige Ermutigung, Hervorheben der Stärken, Fortschritte verbalisieren, Mutmachersätze unterArbeiten schreiben! Wachstumsbereiche liebevoll oder sachlich benennen und über Skalierungs -fragen entwickeln.

Prüfungssituationen• Bei Leistungsbewertung und Testsituationen die Möglichkeiten des „Nachteilsausgleichs beiBehinderungen“ berücksichtigen:1/3 mehr Zeit oder 1/3 weniger Aufgaben geben; Arbeit nur mit einer Bezugsperson in ruhigemRaum außerhalb des Klassenraums schreiben lassen (Kooperation mit KollegInnen), Notenschutzbei zusätzlichen LRS-Problemen neben gleichzeitiger Förderung.

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Ideen für einen rhythmisierten Unterricht

Beispiel zur Struktur einer rhythmisierten Unterrichtsstunde

• Einstimmung mit einer kurzen Geschichte (Vorlesen ohne Gespräch 2 Minunten)

• Thematisches Arbeiten (Phasenwechsel beachten; ca. 20 Minunten)

• Interaktionsspiel zur Stärkung des guten Klassenklimas – Bewegung(2 bis 5 Minuten)

• Thematisches Arbeiten(15 bis 20 Minuten)

• Hausaufgaben anschreiben, abschreiben (5 Minuten)

Was hat sich für Sie als hilfreich erwiesen? Was hat sich in Ihrer Arbeit bewährt?

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Und mit ruhiger Musikentspannt es sich meistnoch leichter.

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