A.DIE THEORIE DER THEORIEN ALS GRUNDLEGUNG DER METHODOLOGIE DER ERKENNTNISLOGIK BEI KARL R. POPPER

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Georg Wolfgang Cernoch DIE THEORIE DER THEORIEN ALS GRUNDLEGUNG DER METHODOLOGIE DER ERKENNTNISLOGIK BEI KARL RAIMUND POPPER . Eine kritische Untersuchung der »Logik der Forschung« unter dem Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit der »logischen Form« von Basissatz und Naturgesetz. DIE THEORIE DER THEORIEN 1. Die fragliche Form des Satzes als Grund der Einheit der Aussage: Allsätze, Sätze numerischer Allgemeinheit, spezifische allgemeine Sätze. Dazu: Eine Kontroverse von Wolfgang Stegmüller mit Karl Popper Man kann eine Arbeit über Grundlagen der Methodologie eines Prüfungsverfahrens von naturwissenschaftlichen Theorien, welche die »Leistung« solcher naturwissenschaftlichen Theorien vergleichbar machen soll, schwerlich eine Erkenntnislogik nennen, wenn nicht ernsthaft der Versuch unternommen worden ist, die Methode der (naturwissenschaftlichen) Erkenntnis an formale Grundsätze der Logik und Mathematik zu binden. Daß eine Erkenntnislogik hingegen nicht aus rein formalwissenschaftlichen Grundsätzen gewonnen werden kann, sollte gerade im ausgehenden Zwanzigsten Jahrhundert keinerlei Erwähnung mehr bedürfen. Diese Selbstverständlichkeiten verhindern zuweilen, die Brisanz der Inbeziehungsetzung solcher als selbstverständlich vorausgesetzen Grundsätze wahrzunehmen. Ich sehe in der »Logik der Forschung« 1 das grundlegende Werk für alle weiteren erkenntnistheoretischen Arbeiten von Karl Raimund Popper und ich halte das dritte Kapitel (Theorie) für den Versuch, zunächst Begriffe wie Sätze der Form nach zu bestimmen, um deren Tauglichkeit für naturwissenschaftlichen Theorien zu beurteilen. Das geschieht, wie man sich gleich überzeugen wird können, zuerst ohne Hinzuziehung des Prinzips der Falsifizierbarkeit. Die vorliegende Arbeit soll unter anderem zeigen, daß Poppers theoretischer Grundlegungsversuch einer Methodologie des Prüfungsverfahrens naturwissenschaftlicher Theorien schon im Kern der Bemühungen nicht 1 Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen 5 1973. Seitenangaben beziehen sich, wenn nich anders angegeben, auf diese Arbeit.

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EUROPA UND ÖSTERREICH Vorliegende Arbeit besteht im Wesentlichen aus zwei Schwerpunkten: In der ersten Themenstellung wird das Ungenügen der Bestimmung der logischen Form von Naturgesetzen und Basissätzen durch Popper wie die damit in Verbindung stehende Schwierigkeit der Unterscheidung von reiner Logik und einer Erkenntnislogik (Logik der Forschung) behandelt. Es wird gezeigt, daß die Logik der Forschung nicht mehr als ein Gegenstand einer reinen Erkenntnistheorie zu behandeln ist, sondern zu einer Strategie wird, die konkurrierende Theorien nur mehr untereinander zu vergleichen vermag, ohne diesen Vergleich anders als nach mehr oder weniger aussagekräftig bzw. falsifizierbar darstellen zu können.Im Rahmen der zweiten Themenstellung wird gezeigt, daß sich Popper durchaus den metaphysischen Implikationen seines Entwurfes bewußt geworden ist, wenn er auch versucht hat, die metaphysischen Vorentscheidungen einer jeden Epistemologie nicht nur aus den Naturwissenschaften selbst auszuschließen sondern auch aus der erkenntnistheoretischen Reflexion der Naturwissenschaft, was die Aufgabe der Wahrheit nicht nur als ontologisches Apriori sondern auch als bloß regulative Idee des Erkenntnisvorganges zur Folge hätte.Publiziert in: Jahrbuch der Sir Karl Popper Gesellschaft, Bd. 8, Frankfurt/Main, Bern, Berlin, New York, Paris, Wien, Peter Lang Verlag 2003InhaltsverzeichnisDIE THEORIE DER THEORIEN1. Die fragliche Form des Satzes als Grund der Einheit der Aussage: Allsätze, Sätze numerischer Allgemeinheit, spezifische allgemeine Sätze. Dazu: Eine Kontroverse von Wolfgang Stegmüller mit Karl Popper2. Allaussage und Gesetzesaussage bei Wolfgang Stegmüller3. Die Interpretationsregeln der Axiome (Der Beschluß)4. Undefinierte, implizit definierte und explizit definierte UniversalienDIE LOGISCHE FORM DER NATURGESETZE5. Allsätze und universielle Es-gibt-Sätze6. Die Darstellung des Syllogismus von Franz Brentano. Eine Alternative?7. Die entscheidende Differenz zwischen extensionaler und intensionaler Darstellung der universiellen Sätze8. Die »logische Form« einer empirischen Theorie9. Das Problem der Regel der Anerkenntnis von Basissätzen10. Die »logische Form« des Basissatzes. Instantialsätze (Die Festsetzung)11. Dialektik oder Täuschung?12. Die schwache und die starke Definition der Instantialsätze. Die Analogie zur »logischen Form« der BasissätzeDIE METAPHYSISCHEN SÄTZE13. Der allgemeinste Satz14.Die erwartete Gesetzmäßigkeit der Universalien und die Strukturtheorie15. Allgemeine empirische Sätze und Randbedingungen (besondere Sätze)16. Die logische Stärke der Naturgesetze und deren Kontingenz17. Der Ausschluß metaphysischer Sätze: »Die Welt ist von strengen Gesetzen beherrscht.«18. Der Ausschluß metaphysischer Sätze: Es gibt Naturgesetze. Der ontologische Status allgemeiner Gesetze19. Zur Möglichkeit qualifizierter metaphysischer SätzeSchlußbetrachtung

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Georg Wolfgang Cernoch

DIE THEORIE DER THEORIEN ALS GRUNDLEGUNG DERMETHODOLOGIE DER ERKENNTNISLOGIK

BEI KARL RAIMUND POPPER .Eine kritische Untersuchung der »Logik der Forschung«

unter dem Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit der »logischen Form«von Basissatz und Naturgesetz.

DIE THEORIE DER THEORIEN

1. Die fragliche Form des Satzes als Grund der Einheit der Aussage:Allsätze, Sätze numerischer Allgemeinheit, spezifische allgemeine Sätze.

Dazu: Eine Kontroverse von Wolfgang Stegmüller mit Karl Popper

Man kann eine Arbeit über Grundlagen der Methodologie einesPrüfungsverfahrens von naturwissenschaftlichen Theorien, welche die»Leistung« solcher naturwissenschaftlichen Theorien vergleichbar machen soll,schwerlich eine Erkenntnislogik nennen, wenn nicht ernsthaft der Versuchunternommen worden ist, die Methode der (naturwissenschaftlichen)Erkenntnis an formale Grundsätze der Logik und Mathematik zu binden. Daßeine Erkenntnislogik hingegen nicht aus rein formalwissenschaftlichenGrundsätzen gewonnen werden kann, sollte gerade im ausgehendenZwanzigsten Jahrhundert keinerlei Erwähnung mehr bedürfen. DieseSelbstverständlichkeiten verhindern zuweilen, die Brisanz derInbeziehungsetzung solcher als selbstverständlich vorausgesetzen Grundsätzewahrzunehmen.

Ich sehe in der »Logik der Forschung«1 das grundlegende Werk für alleweiteren erkenntnistheoretischen Arbeiten von Karl Raimund Popper und ichhalte das dritte Kapitel (Theorie) für den Versuch, zunächst Begriffe wie Sätzeder Form nach zu bestimmen, um deren Tauglichkeit fürnaturwissenschaftlichen Theorien zu beurteilen. Das geschieht, wie man sichgleich überzeugen wird können, zuerst ohne Hinzuziehung des Prinzips derFalsifizierbarkeit.

Die vorliegende Arbeit soll unter anderem zeigen, daß Poppers theoretischerGrundlegungsversuch einer Methodologie des Prüfungsverfahrensnaturwissenschaftlicher Theorien schon im Kern der Bemühungen nicht

1 Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen 51973. Seitenangaben

beziehen sich, wenn nich anders angegeben, auf diese Arbeit.

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ausreicht, um qualifiziert von einer Erkenntnislogik zu sprechen. — Daß diesnicht zu einer einfachen Widerlegung des Falsifikationsprinzips als das derVergleichung des Falsifizierbarkeitsgrades naturwissenschaftlicher Theorienvorausgesetzte Prinzip führen muß, soll ebenfalls gleich im Anschlußdemonstriert werden.

Ich beginne mit der Untersuchung der klassischen Problemaufstellung jederErkenntnistheorie, nämlich mit der Unterscheidung in Erkenntnisgründe undin Seinsgründe. Popper behandelt diese Differenz am deutlichsten unter § 13im dritten Kapitel anhand der Differenzen von Allsatz, spezifischer allgemeinerSatz und Sätzen von numerischer Allgemeinheit. Obgleich sich herausstellt, daßhier zwischendurch Erkenntnisgrund und Seinsgrund hinterrücks identifiziertwird, wird der Fortgang der Untersuchung zeigen, daß schon hier der vonPopper eingeschlagene Weg fruchtbarer ist als die Strategie des von mir alsReferenz ausgewählten Autors, der von einer deutlich klareren Vorstellungdes Verhältnisses von Erkenntnisgrund und Seinsgrund ausgeht.

Popper behauptet zunächst, daß zwischen erkenntnislogischen Grundsätzenund arithmetischen Grundsätzen ein wesentlicher Unterschied in derKonsequenz hinsichtlich ihrer Satzformen besteht:

»Wir können synthetische Sätze von „spezifischer“ und von „numerischerAllgemeinheit unterscheiden; nur die spezifisch-allgemeinen entsprechen dem,was wir bisher allgemeine Sätze genannt haben — den Theorien, denNaturgesetzen; die „numerisch-allgemeinen“ sind mit besonderen Sätzen(oder Konjunktionen von besonderen Sätzen) äquivalent und werden von unsauch so bezeichnet.«2

Vergleiche man diese Feststellung mit einer späteren Auffassung über den»besonderen Satz«: In § 13 sind besondere Sätze eindeutig weder Allsätze nochspezifische allgemeine Sätze. Sogenannte »besondere Sätze« beinhalten auchIndividualien (§ 14). Im X. Kapitel des neuen Anhangs (1973) hingegen sindbesondere Sätze von den allgemeinen empirischen Sätzen hinsichtlich ihrerAllgemeinheit nicht zu unterscheiden. Von den Fortschritten, die Popper in derBestimmung der logischen Form des besonderen Satzes seit der Abfassung desdritten Kapitels der Forschungslogik gemacht hat, ist auch die in § 13unternommene Unterscheidung von Sätzen in spezifischer und in numerischer

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Allgemeinheit betroffen. Allsätze seien demnach in § 13 noch spezifischeallgemeine Sätze, die nicht nur für alle empirisch möglichen Individuen geltensollen, sondern für alle möglichen Individuen dieser Art überhaupt. Popperwählt hier als Beispiel das Gesetz für Oszillatoren, das er der empirischenBehauptung, daß Menschen eine empirisch angebbare Größe nichtüberschreiten können, gegenüberstellt. Letztere Aussage sei nur durch eineendliche Konjunktion von empirischen Einzelaussagen zu bekommen, undzwar, dadurch man die Größe eines jeden Menschen zu einem bestimmtenZeitraum mißt.

»Vergleichen wir z. B. die beiden folgenden Sätze: (a) Für alle Oszillatoren gilt,daß ihre Energie niemals unter einen gewissen Betrag (nämlich hυ/2) sinkt; (b)für alle (jetzt, auf der Erde) lebende Menschen gilt, daß ihre Körperlängeimmer unter einem gewissen Betrag (etwa 2 1/2 Meter) bleibt. Für die nur ander Theorie der Schlüsse interesierte Logik (oder Logistik) wären diese beidenSätze „generelle Sätze“ (bzw. „generelle Implikationen“). Wir legen aber Wertauf den zwischen ihnen bestehenden Unterschied: Der Satz (a) beansprucht, fürjeden beliebigen Orts- und Zeitpunkt richtig zu sein. Der Satz (b) hingegenbezieht sich auf eine endliche Klasse von Elementen innerhalb einesindividuellen Raum-Zeit-Bereichs; Sätze von dieser Art könnten abergrundsätzlich durch eine Konjunktion von singulären Sätzen ersetzt werden.[...] Wir sprechen deshalb in diesem Fall von numerischer Allgemeinheit.Dagegen könnte der Satz über die Oszillatoren nur dann durch eineKonjunktion von singulären Sätzen ersetzt werden, wenn wir annehmen, daßdie Welt zeitlich begrenzt ist und daß es in dieser Welt nur endlich vieleOszillatoren gibt.«3

In X. des neuen Anhangs würde Popper die Tatsache, daß die Menschen einegewisse Körpergröße nicht überschreiten, zumindest auf Randbedingungenzurückführen und so daraus doch allgemeine empirische Sätze machen, odergleich genetische Gründe dafür anführen. Die Gründe, die im gegebenenBeispiel zur Unterscheidung in Allsätze und in Sätze von numerischerAllgemeinheit angeführt werden, sind also unzureichend.

Es soll deshalb nur der rein formale Grund der Unterscheidung vonnumerischer Allgemeinheit und erkenntnislogisch geprägter Allheit diskutiertwerden. Popper führt aus:

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»Wir [...] fassen den Satz (a) [den Allsatz für Oszillatoren] als eine Allsatz, d. h.als eine Aussage über unbegrenzt viele Elemente auf. In dieser Interpretationkann er natürlich durch eine Konjunktion von endlich vielen singulären Sätzennicht ersetzt werden.

Unser Gebrauch des Begriffes „Allsatz“ steht im Gegensatz zu derAuffassung, daß synthetische Allsätze grundsätzlich eine Konjunktion vonendlich vielen singulären Sätzen übersetzbar sein müssen. Die Vertreter dieserMeinung berufen sich darauf, daß ein spezifisch-allgemeiner Satz niemalsverifizierbar wäre, und lehnen nichtverifizierbare Sätze mit Rücksicht auf dasSinnkriterium oder ähnlicher Überlegungen ab.

Es ist klar, daß einer solchen Auffassung der Naturgesetze, die denGegensatz zwischen Allsätzen und besonderen Sätzen verwischt, dasInduktionsproblem als lösbar erscheinen muß, denn Schlüsse von besonderenSätzen auf numerisch-allgemeine Sätze sind natürlich zulässig.«4

Damit erweist sich Popper im Moment der Grundlegung seiner Begriffe nichtals Realist: er beansprucht eine Geltung für Allsätze (und spezifische allgemeineSätze), die nicht in der Existenz der als endliche Menge gegebener Individuenbegründet liegt, sondern in der inneren Notwendigkeit eines Konzepts. Wirdberücksichtigt, daß darauffolgend in § 14 ein Satz, der Individualien beinhaltet,ebenso als besonderer Satz behandelt wird, wie die Sätze der Konjunktionender numerischen Allgemeinheit von Sätzen auch schon zu »besonderenSätzen« ernannt wurden, kann nicht die Rede davon sein, daß die zweiDefinitionen der »besonderen Sätze« im dritten Kapitel (13. und 14 Punkt) zueiner einheitlichen Auffassung gebracht worden sind.

Allein die Behauptung in § 13, daß die numerische (endliche) Anzahl vongleichlautetenden Befunden über Individuen einer mit einem Namenbezeichneten Klasse notwendigerweise keine Allaussage ergeben kann, bleibtalso für Diskussion der entscheidene Gegenstand. — Die Lage ist nicht einfach:Die numerische Allgemeinheit von der logischen Allheit zu unterscheiden,besitzt durchaus gute Gründe. Die logische Allheit mag die Abzählbarkeit ihrerElemente behaupten, eine numerische Bestimmung ist (mit Ausnahme einesmöglichen singulären Urteils) von der logischen Quantifikation jedenfalls nichtzu behaupten. Zweifellos ist das ein Argument, daß auch Popper im Augegehabt hat. Andererseits bleibt zu fragen, worin die Notwendigkeit der

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numerischen Allgemeinheit des Zählens und Rechnens liegt, was weiters zurrein logischen Frage nach den Gründen der Notwendigkeit der Geltung einesAllsatzes und der Geltung der formalen Implikation führt. Zweifellos ist das einArgumentationsgang, den Popper hier nicht direkt ins Auge gefaßt hat,obwohl gerade Popper die Identität der Menge A mit der Menge B als Grundder Allheit gegenüber der bloß numerischen Allgemeinheit in Stellunggebracht hat. Es ist zu vermuten, daß die Unterscheidung in bloßerAbzählbarkeit und bloßen Größenvergleichs einerseits und in die rechnerischeGrößenbestimmung einer Anzahl als Zahl andererseits stark genug ist, um dieUnterscheidung Poppers zu rechtfertigen.

Hinter diesem Argument verbirgt sich aber eine andere Unterscheidung, diePopper vielleicht im Auge hat, aber wohlweislich an dieser Stelle nichtdiskutiert: Es handelt sich dabei um die nämliche Unterscheidung in den reinlogisch quantifizierenden Grund der Notwendigkeit der Allheit (der freilichnichts mit einem rechnerischen Begriff von Einheit und Notwendigkeit zu tunhat) und den Begriff einer Notwendigkeit, die weder auf die logische noch aufdie arithmetische Quantifikation zurückgeführt werden kann. Es ist hier abernicht die formale Implikation der Kandidat, diese Notwendigkeit zudemonstrieren, sondern der spezifische allgemeine Satz, den Popper als dieerste nähere Bestimmung einer naturwissenschaftlichen Theoriehervorgehoben hat. — Eigentlich geht es hier nicht vorrangig um die Form der»besonderen Sätze« (obgleich solche als Randbedingungen auch »Ursache«genannt werden), sondern es geht hier schon darum, die spezifischenallgemeinen Sätze gemeinsam mit den Allsätzen von den Sätzen numerischerAllgemeinheit und anderen »besonderen Sätzen« abzugrenzen. Popper stelltspezifisch allgemeine Sätze (wie die Theorie der Oszillatoren) nur als Allsätzedar und nicht als Es-gibt-Sätze. Diese Willkürlichkeit ist leicht zu übersehen,aber für den Fortgang der Überlegungen Poppers zu einer Theorie derTheorien, welche eine Methodologie der Erkenntnislogik rechtfertigen soll,von Bedeutung: Hier verschmilzt mit dem spezifisch allgemeinen Satz unddem Allsatz bereits der Grund der Notwendigkeit einer empirischen Aussagemit dem Grund der Notwendigkeit einer logischen Aussage.

Die damit verbundenen Problemstellungen werden im Rahmen dieser Arbeitim Kapitel »Allsätze und universielle Es-gibt-Sätze« eingehend behandelt. Hierist vorrangig die unterschlagene Unterscheidung des Grundes derNotwendigkeit eines spezifischen allgemeinen Satzes vom Grund eineslogischen Allsatzes selbst von Bedeutung. — Diese Unterscheidung halte ich

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deshalb für zentral, weil es Popper im dritten Kapitel um die grundlegendenund konstituierenden Entscheidungen gehen muß, welche eineErkenntnislogik möglich machen soll, die selbstständig und aus Gründen, dievon den Grundsätzen der formalen Logik unabhängig sind, theoretischformuliert werden kann. Im dritten Kapitel hat sich Popper offenbarentschlossen, in § 13 vorübergehend (logische) Erkenntnisgründe undSeinsgründe zu identifizieren. (Es sollte nicht notwendig sein, ich füge aber füralle Fälle hinzu, daß ich das nicht für charakteristisch für die Vorgangsweise inder »Logik der Forschung« halte).

Eine ganz ähnliche Problematik, wenn auch unter den entgegengesetztenVoraussetzungen einer induktiven Erkenntnislogik, ist bei WolfgangStegmüller beobachten. Ich will zur Gegenbeleuchtung der Ausgangslage imdritten Kapitel der »Logik der Forschung« die Auffassung von Stegmüllerskizzieren, die eines mit der Auffassung Poppers gemeinsam hat: beidebetreiben die Aufhebung des Unterschiedes zwischen logischem Grund derAllaussage und einer Gesetzesaussage; bei beiden geht es um einen spezifischallgemeinen Satz in seiner Selbstständigkeit gegenüber der Möglichkeit derlogischen Form, als Allsatz formuliert werden zu können.

Um zum Vergleich mit Auffassung Wolfgang Stegmüllers in dieser Frage, diedieser anhand von Goodmann diskutiert, fortgehen zu können, steht nun an,die Auffassung von Allaussage und Gesetzesaussage von Popper undStegmüller gegenüberzustellen.

Stegmüller vertritt, was die Allklasse betrifft, soweit die entgegengesetzteAuffassung Poppers, indem der bloßen Konjunktion von analytisch möglichenSätzen über rote Äpfel (»Alle Äpfel sind rot«) von Stegmüller die Eigenschaftder »Allklasse« zugeschrieben wird. Was vordergründig bloß wie eineterminologische Schwierigkeit ausssieht, hat einen tieferen Hintergrund:Popper beansprucht im dritten Kapitel für Allsätze noch die Eigenschaft,unabhängig von regionalen Randbedingungen zu gelten. Stegmüllerbezeichnet nun die Allaussage »Alle Äpfel sind rot« als akziendtiell, weil nichtalle Äpfel ihre Reife mit der Farbe Rot anzeigen, sondern nur die imbetrachteten Korb befindlichen Äpfel alle rot sind. Der Grund, den Stegmüllerhier für den Allsatz anführt, ist frei von jeder Konnotation mit irgendwelchenwesensnotwendigen Gründen der Verknüpfung der Röte mit den Äpfeln.

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Was versteht nun Popper unter der »Akzidentialität« eines Allsatzes? Im neuenAnhang wird die Randbedingung als akzidentiell bezeichnet (und zwar dieViruserkrankung des Vogel Moa in der Frage des durchschnittlich erreichtenLebensalters). Diese Interpretation aus dem neuen Anhang ist deutlich stärkerals Poppers Position im dritten Kapitel, denn sie vermag oberste allgemeineempirische Sätze und Randbedingungen (besondere Sätze) mit gleich strengallgemeinen Sätzen auszudrücken. Für Popper bedeutet dann der Terminus»Allklasse« einmal mehr etwa so viel wie Stegmüllers Gesetzesbegriff. Dasheißt, Stegmüllers Beispiel »Alle Äpfel sind rot« erweist sich wegen derAbwesenheit jedweiliger »empirischer« Gründe für die Notwendigkeit dieserAussage als sowohl von der Strategie Poppers im dritten Kapitel wie von derStrategie im zehnten Kapitel des neuen Anhangs verschieden, da in beidenDarstellungen Poppers ungeachtet der Differenzen hinsichtlich des besonderenSatzes gerade die Verbindung von spezifischen allgemeinen Sätzen undAllsätzen beschwört wird. — Es können hier nur die vordringlichstenProblemstellungen behandelt werden:

Zwischen Stegmüller und Popper besteht zuerst Uneinigkeit in der Frage, was»akzidentiell« bedeuten solle. — Popper versteht unter akzidentiell alleAussagen, die nicht universal für alle vorkommende Objekte gelten, sonderndurch geeignete Randbedingungen (besondere Sätze) einen endlichen Begriffder logischen Allheit liefern können, der kontingent und zufällig ist. SeineSchwierigkeit, besondere Sätze im neuen Anhang dann dochkonsequenterweise nicht nur als allgemeine Sätze, sondern auch als Allsätzebehandeln zu müssen, ändert nichts an der von Popper in Gang gesetzteAnnäherung des logischen Grundes und des empirischen Grundes.

Stegmüllers Bestimmung des Akzidentiellen ist nicht so stark, sondernbeschränkt sich von vorneherein auf den logischen Grund selbst, der beiStegmüller konsequenterweise auf die numerische Allgemeinheit allermöglichen analytischen Sätze über rote Äpfel zurückgeführt wird. StegmüllersKriterien bewegen sich auf der Ebene der Unterscheidung von Notwendigkeitund Akzidenz als Kontingenz, sodaß akzidentielle Beziehungen solche genanntwerden, die weder im Sinne eines universiellen oder auch universalenNaturgesetzes notwendig sind, auch wenn die Tatsache, daß alle Äpfel imuntersuchten Korb rot sind, unbestreitbar ist und auch den Naturgesetzennicht widerspricht.

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2. Allaussage und Gesetzesaussage bei Wolfgang Stegmüller5

Zuerst stellt Stegmüller fest, daß auch innerhalb der Theorie der Induktion einKriterium der Gesetzesartigkeit benötigt wird. Nachdem Stegmüller gezeigthat, daß aus Allaussagen und Einzelaussagen in einem Syllogismus nichtnotwendigerweise Naturgesetze gebildet werden, kommt er zu folgendemSchluß (S. 275 f.):

»Die Adequatheitsbedingung B2 , welche verlangt, daß unter den Prämissenzumindest eine Gesetzesaussage vorkommen müsse, ist also verletzt. Umallerdings eine solche Verletzung auch nachweisen zu können, müßte einKriterium der Gesetzesartigkeit verfügbar sein. Der [...] naheliegensteVorschlag würde vermutlich dahin gehen, Allsätze mit bloß endlich vielenAnwendungsfällen nicht als Gesetze zuzulassen. [...] Dieser sowie andereLösungsvorschläge, die sich leider alle nicht als tauglich erweisen, sollen anspäterer Stelle genauer erörtert werden.«6

Hier ist an Popper zu denken, der zunächst zwischen »allgemeinenempirischen Sätzen« und »besonderen Sätzen« (als Randbedingungen) auf eineWeise unterscheidet, die gut zwischen gesetzesmäßige Allaussagen undakzidentielle Allausagen zu diskriminieren scheint. Offensichtlich handelt essich um das Problem des Überganges von Allausagen über endliche Bereichezu Allaussagen über unendliche Bereiche.

Das Problem zwischen akzidentiellen Aussagen (»Alle Äpfel im Korb sind rot«)und naturgesetzlichen Aussagen zu unterscheiden bleibt auch für Stegmüllerbestehen:

»H sei etwa der Satz, daß alles Kupfer Elektrizität leitet. Einige positive Fällebestätigen diese Hypothese, d.h. diese positiven Fälle erhöhen beträchtlich dieGlaubhaftigkeit der Behauptung, daß auch andere Kupfergegenständeelektrische Leiter sind. Wenn hingegen H eine akzidentielle Aussage ist, soerscheint ein solcher Schluß von den tatsächlich überprüften positivenEinzelfällen auf noch nicht überprüfte Fälle als unberechtigt. Wenn ich erfahre,daß einige Männer, die sich in einem Vortragssaal oder bei einer

5 Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band I.

Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, (Studienausgabe, Teil 2). Kap. V., Das Problem desNaturgesetzes, der irrealen Konditionalsätze und des hypothetischen Räsonierens

6 cit. op., S. 275

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Opernveranstaltung aufhalten, dritte Söhne sind, so erhöht dies, auch wennkein Gegenbeispiel vorhanden [schlage vor: bekannt] ist, nicht dieGlaubhaftigkeit der Hypothese H, daß alle Männer in diesem Raum dritteSöhne sind.«7

Stegmüller wiederholt hier den Fehler, den er vorhin (V. 2, S. 274, »Alle Äpfelin diesem Korb sind rot«) vermieden hat, nämlich deshalb, weil die Theorie derelektrischen Ladung eine Hypothese formuliert, nur die gesetzesartigenAllaussagen für empirisch bestätigbar zu halten, aber nicht die akzidentiellenAllaussagen.8 Die diskutierten Beispiele Goodmans sind aber nicht alle analog,wie Stegmüller behauptet.9 Daß bisher gefundene Smaragde alle grün waren,schließt nicht aus, daß in Hinkunft rote gefunden werden könnten. Hierhandelt es sich um eine akzidentielle Aussage. Daß Kupfer Elektrizität leitet, istaber nicht bloß eine akzidentiell festgestellte Eigenschaft, sondern noch dazuanhand einer Theorie »erklärt« worden, weshalb in Metallen freie Elektronenvorkommen, die Metalle insgesamt zum Leiter machen. Kupfer ist ein Metall,etc.. Würde man eine Erklärung finden, wie Smaragde entstehen und dabeiherausfinden, daß die grüne Färbung zur Entstehung nicht notwendig ist, dannwäre es eine Erklärung dafür, das die Aussage, Smaragde seien grün, nur eineakzidentielle Aussage ist. Trotzdem könnte sie eine Allaussage sein, erstensweil bis jetzt nur grüne Smaragde gefunden worden sind, oder weil überall aufder Erde eben derjenige Umstand bei der Entstehung von Smaragdenmitwirkt, der die grüne Farbe bewirkt, gleich ob dieser Umstand zurEntstehung von Smaragden notwendig ist oder nicht.

Es gibt also durchaus eine Unterscheidung in gesetzesartige und inakzidentielle Allaussagen. Die gesetzesartigen Allaussagen sind einer Ableitungfähig, welche Gründe für die zu beobachtete Eigenschaft angiebt und erlaubt,auch für noch nicht beobachteten Einzelfälle unter anderer Randbedingungeneine Prognose zu erstellen. Allerdings hat diese Unterscheidung einen Nachteil:sie garantiert mitnichten die Wahrheit oder Richtigkeit der Theorie, sondernnur einen Vorteil in der Konkurrenz mit anderen Theorien.

Auf S. 318 geht Stegmüller selbst auf eine Schwierigkeit der GoodmanschenAuffassung ein, deren Bedeutung m. E. von Stegmüller aber viel zu wenig

7 cit. op. S. 277, — Dieses Problem hat schon Bolzano in der Wissenschaftslehre II behandelt, und zwar

anhand der Unterscheidung in imaginäre und in gegenstandslose Vorstellungen.8 cit. op. S. 2809 cit. op. S. 281, N. Goodman, Forecast, III, S. 59. ff.

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gewürdigt worden ist: Goodman diskutiert nur einzelne Aussagen anhandeines syntaktisch zu formulierenden Kriteriums und nicht Aussagesysteme.Diese Schwäche ist aber nicht nur eine vorläufige Unvollkommenheit, sondernist als entscheidender Nachteil zur Unterscheidbarkeit von gesetzesmäßigenund akzidentiellen Allaussagen zu betrachten. Als gesetzmäßig sind immerjene Aussagen zu betrachten, welche die Form oder den Inhalt besondererSätze bestimmen; das aber verbietet soetwas wie akzidentielle Allausagen.Popper zeigt nun im neuen Anhang, daß auch besondere Sätze Allsätze sind,ohne dabei auf die bloß numerische Allgemeinheit von Sätzen zurückkommenzu müssen. Nur das stimmt im übrigen mit der im dritten Kapitel exponiertennach oben und unten offenen Hierarchie von immer allgemeineren (bzw.immer weniger allgemeinen) Sätzen überein.

Insofern empfiehlt es sich, trotz der verhehlten Identifizierung von Allsätzenund spezifischen allgemeinen Sätzen im § 13 der L. d. F., den Überlegungenvon Karl Popper weiter zu folgen. Stegmüller stellt zwar das Problemzwischen logischem Allsatz und Gesetzesaussage deutlicher heraus als Popper,vermag aber diese Unterscheidung ebensowenig aufrecht zu erhalten wiePopper. Diesem ist zweifellos zu Gute zu halten, daß er diese Schwierigkeitgleich zu Beginn seines Grundlegungsversuches durch Identifizierungkurzgeschlossen hat, und versucht hat, die nämliche Problemstellung anhandder logischen Unterschiede von Allsätzen und universiellen Es-gibt-Sätzen zuuntersuchen.

Mit anderen Worten, der Begriff der Gesetzesartigkeit ist zwar das Ergebnisder Methode, diese ist aber nicht im gleichen Sinne der Logik vorausgesetzt,sondern die Logik ist sowohl der Methode wie ihrem Gegenstand, derGesetzesartigkeit, vorausgesetzt, gerade weil die Gesetzesartigkeit als Artefaktder Methode auftritt. Den eigentümlichen Grund der Gesetzesartigkeit,welcher von den logischen Gründen korrekten Aussagens und Schlußfolgernsunabhängig ist, gilt es anhand der Bestimmung der Methode dingfest zumachen. Vergleiche dazu den Grund der Asymmetrie zwischen Verifikationund Falsifikation: Anfangs werden alleine logische Gründe für dieFalsifizierbarkeit ausfindig gemacht (§ 6):

»Unsere Auffassung stützt sich auf eine Asymmetrie zwischen Verifizierbarkeitund Falsifizierbarkeit, die mit der logischen Form der allgemeinen Sätze

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zusammenhängt; diese sind nämlich nie aus besonderen Sätzen ableitbar,können aber mit besonderen Sätzen in Widerspruch stehen.«10

In § 15 kommt Popper dann zum Schluß:

»Denn wir sehen jetzt, daß eine Asymmetrie der logischen Verhältnisse nichtvorausgesetzt wird; in diesen herrscht Symmetrie: Allsätze und universielleSätze sind zueinander symmetrisch gebaut. Erst unser Abgrenzungskriteriumzieht eine Grenzlinie, durch die die Asymmetrie entsteht.«11

Popper geht in § 15 womöglich schon davon aus, daß die Unterscheidung vonAllsätzen und universiellen Es-gibt-Sätzen nicht eine logische Unterscheidung,sondern e ine Angelegenheit d e s Falsifikationsprinzips alsAbgrenzungskriterium ist.

3. Die Interpretationsregeln der Axiome (Der Beschluß)

Popper hat in § 17 drei Fassungen eines axiomatischen Satzsystems mit demZweck vorgestellt, mit der dritten Fassung eben jenen Verhältnisse genüge zutun, die für eine naturwissenschaftliche Theorie geeignet sind. Das heißt, dieInterpretation muß die Anwendung des Falsifikationsprinzip erlauben. Dieerste Darstellung Poppers bezieht sich auf uninterpretierte Satzsysteme, diezweite auf anhand von Modellbegriffen interpretierte Satzsysteme, die er ausder Naturwissenschaft ausschließen will, weil deren Folgesätze als analytischabgeleitete nicht falsizierbar sind. Dann stellt er drittens die Frage, wie esmöglich ist, ein axiomatisches Satzsystem als ein System von »empirischen«Hypothesen zu interpretieren, was alleine naturwissenschaftlich genanntwerden kann.

»Als Festsetzungen aufgefaßt, legen die Axiome den Gebrauch der in ihnenauftretenden Begriffe fest; es wird durch sie bestimmt, was von diesenBegriffen ausgesagt werden darf und was nicht. Man pflegt zu sagen, daß dieAxiome die impliziten Definitionen der in ihnen auftretenden Begriffe sind.«12

10 S. 15 f., Hinweis auf das Postskript des Abschnitts 2211 S. 4112 S. 42

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Nachdem Popper ein Beispiel gebracht hat, worin anhand des Unterschiedesvon (uninterpretierten) Aussagefunktionen und (interpretierten)Aussagegleichungen die Analogie zwischen Mathematik und Logik in derAxiomatik dargetan wird, schreibt Popper weiters:

»Ein Axiomensystem kann zunächst, da seine undefinierten Grundbegriffe alsLeerstellen betrachtet werden können, als ein System von Aussagefunktionenaufgefaßt werden; setzt man fest, nur solche Wertsysteme zu substituieren, diees befriedigen, so ist es ein System von Aussagegleichungen; als solchedefiniert es implizit eine Klasse von Begriffsystemen. Jede das Axiomensystembefriedigende Begriffssystem kann man auch ein „Modell“ desAxiomensystems nennen.«13

»Wie kann nun ein Axiomensystem im Sinne eines Systems von empirisch-wissenschaftlichen Hypothesen interpretiert werden? Die gewöhnlicheAuffassung ist, daß die in dem Axiomensystem auftretenden Zeichen nicht alsimplizit definiert anzusehen sind, sondern als „außerlogische Konstanten“. Sokönnen die in einem Axiomensystem der Geometrie auftretenden Begriffe„Gerade“ und „Punkt“ als „Lichtstrahl“ und „Fadenkreuz“ interpretiertwerden. Damit, so meint man, werden die Sätze des Axiomensystems zuAussagen über empirische Gegenstände, zu synthetischen Sätzen.«14

Die in einem Axiomensystem der Geometrie auftretenden Zeichen für»Gerade« und »Punkt« sind zwar als außerlogische, aber nicht alsaußergeometrische Konstanten ohne jede explizite Definition anzusehen. Hierhandelt es sich meiner Auffassung nach vielmehr bereits um eine Zuordnungzwischen zwei Axiomsystemen (Geometrie und Physik) und nicht um eineZuordnung von Geometrie als uninterpretiertes oder nur mittels implizitdefinierter Universalien interpretiertes Axiomensystem einerseits und vonempirisch-wissenschaftlichen Hypothesen als mittels explizit definierterUniversalien interpretiertes Axiomensystem andererseits. Popperberücksichtigt allem Anschein nach dieses Problem aber im nächsten Schritt:

»Diese vorerst einleuchtende Auffassung führt zu gewissen Schwierigkeiten,die mit den Basisproblemen zusammenhängen. Es ist nämlich keineswegs klar,wie ein Begriff empirisch zu definieren ist. Häufig spricht man von„Zuordnungsdefinitionen“, womit man etwa folgendes meint: Dem Begriff 13 S. 4314 l. c.

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wird eine bestimmte empirische Bedeutung dadurch zugewiesen, daß man ihmgewisse Gegenstände der wirklichen Welt zuordnet, ihn als Zeichen für dieseGegenstände auffaßt. Aber durch Hinweis auf „wirkliche Gegenstände“können wir offenbar nur den Gebrauch von Individualien festlegen — etwa inder Weise, daß wir auf den betreffenden Gegenstand hinzeigen und einenNamen nennen oder daß wir ihm ein Zeichen, seinen Namen, anheften usw.Die Begriffe, die wir dem Axiomensystem zuordnen sollen, sind aberUniversalien, die wir nicht durch empirische Anweisung, Zuordnung oder dgl.,sondern nur explizit mit Hilfe anderer Universalien definieren können oderaber undefiniert lassen müssen. Es ist also unvermeidlich, gewisse Universalienundefiniert zu lassen, und darin liegt die Schwierigkeit: Diese undefiniertenBegriffe können wir immer in nichtempirischem Sinn (i), d. h. wie implizitdefinierte Begriffe verwenden, wodurch das System tautologisch wird. —Diese Schwierigkeit werden wir nur durch den methodologischen Beschlußbeheben können, die undefinierten Begriffe nicht in dieser Weise zuverwenden [...].«15

Der Gebrauch der Individualien wird mit dem Hinweis auf »wirklicheGegenstände« geregelt; wodurch wird der Gebrauch von Universaliengeregelt? Durch andere Universalien. Sind diese durch die Prädikation vonUniversalien durch Universalien entstehenden Sätze Allsätze, universielle Es-gibt-Sätze (§ 15), oder spezifische allgemeine Sätze (§ 13)? In § 15 bestimmtPopper gleich zu Beginn, daß universielle Es-gibt-Sätze wie Allsätze Sätze sind,die nur aus Universalien bestehen.

Die Erörterungen Poppers zum Gesamtproblem der Interpretation vonAxiomensysteme gehen vom letzten Punkt in § 17 (Interpretation durchimplizit und explizit definierte Universalien; S. 44) aus, und führen zu zweiFragen:1) Wie steht der »methodologische Beschluß«, von dem Popper auf S. 44spricht, welcher die empirische und nichtempirische Verwendung von implizitdefinierten Universalien zur Interpretation von axiomatischen Satzsystemenregelt, in näherem Zusammenhang mit der Unterscheidung in die zwei Artenempirischer Interpretation eines axiomatischen Satzssystems, die Popper zuvorzwischen »Modell« und »empirischer Hypothese« getroffen hat? Ich vermute,daß doch nur die nichtempirische Verwendung von implizit definiertenBegriffen (Universalien) als Begriffe durch diesen Beschluß ausgeschlossen

15 S. 43

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werden soll, und daß die empirische Verwendung von implizit definiertenUniversalien zur Interpretation eines axiomatischen Satzssystems führt, die als»Modell« desselben bezeichnet worden ist. Die Interpretation des Systems vonAussagefunktionen mittels Modellbegriffen schließt Popper zwar ebenfalls vonder Interpretation des Axiomensystems mittels Hypothesen aus, welches ernatürlich für die alleinige Form einer naturwissenschaftlichen Theorie hält.Doch wird hier offensichtlich die nichtempirische Verwendung implizitdefinierter (undefinierter) Universalien aus anderen Gründen ausgeschlossenals dort die Modellbegriffe, weil sie nicht falsifizierbare »analytische«Folgesätze besitzen.

2) Die Interpretation mittels implizit definierten (undefinierten) Universalien inempirischem Gebrauch, und die Interpretation mittels implizit definiertenModellbegriffen (die offensichtlich doch explizite definierbar ist, wenn derenInterpretation analytische Folgesätze besitzt), führt in der Axiomatik zu einerSchwierigkeit, die ganz ähnlich auch bei der Festsetzung der logischen Formdes Basissatzes auftritt: Von den Instantialsätzen, die Popper dann doch aus»negierten« Allsätzen ableitet, wird eben die gleiche Analyzität einesnaturwissenschaftlichen Axiomensystems behauptet (Wahrheits- oderFalschheitswahrscheinlichkeit = 1, S. 204, Fußnote), wie in § 17 bei derInterpretation als Modell aus impliziten Begriffen.

4. Undefinierte, implizit definierte und explizit definierte Universalien

Universalien enthalten immer irgend eine Art von Definition oder Merkmal;weshalb werden sie einmal als undefiniert und einmal als implizit definiertbehandelt? Es sind mehrere Unterschungsschritte zu machen:

Ist die Behauptung richtig, daß Universalien nicht durch »empirischeAnweisung, Zuordnung oder dgl.« (S. 44) definiert werden können?Vermutlich ist es nicht möglich, allein mit dem deictischen Gestus (Intention)Universalien zu definieren, aber ist es möglich, ohne demselben Universalienzu definieren? — Carnaps Darstellung des Individualiensproblems(individuelle Verwendung und allgemeine Verwendung eines Begriffesunterscheiden sich in rein logischer Hinsicht nicht, § 14)16 scheint daraufhinzuweisen, daß dem nicht möglich ist. Doch übersieht Carnap, daß zwar

16 S. 38, Popper bezieht sich auf die Arbeit »Der logische Aufbau der Welt« (S. 213)

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singuläre Es-gibt-Sätze ohne individualisierende Namen möglich sind, abergerade Individualien nicht ohne (freilich nur implizite) Raum-Zeit-Bestimmung,und wird von Popper insofern zu recht kritisiert.

Popper meint also: Universalien können wir explizit nur mit Hilfe andererUniversalien definieren, oder müssen sie undefiniert lassen. Es ist alsounvermeidlich, gewisse Universalien undefiniert zu lassen. — Die erste Frageist, was unter »explizite« an dieser Stelle nun genau verstanden wird: Dieexplizite Definition bezieht sich offensichtlich auf inhaltliche Qualität, diesekann in der Tat nur durch Universalien ausgedrückt werden. Das Individuelleselbst kann mittels dem deictischen Gestus (der Intentionalität) nicht explizitdefiniert werden in dem Sinne, daß damit ein Merkmal allgemeinausgesprochen wird, sondern es werden durch den deictischen Gestus (undsomit aber auch durch Raum-Zeit-Bestimmungen) die universiellen Merkmalezugesprochen oder aber bloß ein Name genannt, der zwar implizite Raum-Zeit-Bestimmungen, aber kein allgemeines Merkmal des Gegenstandes (oderseiner Klasse) bedeuten muß.17 — Namen sind selbst aber nichtnotwendigerweise nur als Individualien zu gebrauchen. Ein Name kann alssolcher sehr wohl auch als Bezeichnung einer Klasse von Gegenständendienen, auch wenn als »Name« zumeist derjenige Wortgebrauch bezeichnetwird, der individualisiert. Eines der seltenen Beispiele, wo zunächst eineindeutig auf die individualisierende Funktion des Namens festgelegtes Wortzur Bezeichnung einer Klasse herangezogen wurde, wäre »Caesar Augustus«.Häufiger ist das umgekehrte Beispiele, wenn ein Haustier, daß vor Ort daseinzige seiner Gattung ist, obwohl es einen individualisierenden Namen hat,mit seinem Gattungsnamen angesprochen wird.

Diese Ausdrucksweisen sind natürlich situativ normativ festzulegen, dennzweifellos kann entweder durch einmalige Kombinationen von universiellenMerkmalen, oder durch die Bestimmbarkeit des Prädikats vom Subjekt aus(die Weiße des Knochens, die Weisheit des Sokrates) mehr oder weniger dasIndividuelle auch mittels Universalien ausgedrückt werden. Im letzten Beispiel(die Weiße des Knochens, die Weisheit des Sokrates) wird noch die universielleVerwendung von Merkmalsbegriffen problematisiert, doch aber bleibt zusagen, daß mit dieser Art der Bestimmung des Individuellen sinnvoll die Rededavon sein kann, daß mit den zuletzt gegebenen Beispielen vonPrädikatisierung eine »explizite« Darstellung gegeben werden konnte. — Im 17 »Nicht „Raum und Zeit“, sondern individuelle, also auf Eigennamen zurückgehende (Raum-, Zeit-

oder andere) Bestimmungen sind „Individuationsprinzipien“«, S. 37

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Zusammenhang mit dem Individualen eben schon mit der Verminderung derGeltung solcher Sätze, weshalb ich vorgezogen habe, in der ersten Frage liebervon »expliziter Darstellung« als von Definition zu sprechen. Es ist die Frageaufzuwerfen, ob ein derart bestimmter Begriff überhaupt zur Interpretationvon Axiomensystemen herangezogen werden kann, wenn er zwar einempirischer, in allgemein-logischer Hinsicht aber ein »undefinierter« Begriff ist.

Die zweite Frage ist, ob die »explizite Darstellung«« sinnvoll gemeinsam mitdem Begriff der »expliziten Definition« verwendet werden kann. Hier einenUnterschied zu machen, wie ich es eben mit der Verwendung des Ausdruckes»explizite Darstellung« getan habe, scheint unumgänglich zu sein.

Die dritte Frage ist, ob das nun der Grund ist, deshalb zu beschließen, daß mangewisse Universalien undefiniert lassen müsse. Ist damit gemeint, daß ein ebennur implizit definiertes Universale zwar nicht als, aber wie ein Individuale»definiert« wird? Allerdings ist zu sagen, daß dieser Art von Individualisierungkeine Raum-Zeit-Bedingung mehr ausspricht, und sich insofern von denIndividualien, wie Popper sie anhand von Eigennamen eingeführt hat,unterscheidet:

»Hingegen können die Maßeinheiten des Koordinatensystems, die manvorerst gleichfalls durch Individualien (Erdrehung, Pariser Urmeter) festlegt,grundsätzlich durch Universalien definiert werden, z. B. durch die Wellenlängebzw. Frequenz des monochromatischen Lichtes, das in bestimmter Weisebehandelte Atome aussenden.«18

Dieser Individualisierung kann jede Universale unterzogen werden: dieser TonRot, Färbigkeit, Räumlichkeit, Zeitlichkeit, das allgemeine Dreieck, derallgemeine Kreis etc.. Jedes Konzept, sei es eines Dinges oder eines komplexenMerkmales ist als solches nur eines. Napoleon Bonaparte ist in der Geschichteeinmalig, es gibt nur einen Raum, es gibt nur die Färbigkeit (und nicht nocheine zweite), es gibt nur einen Begriff vom allgemeinsten Dreieck, etc..Allerdings sollen einige Individualien doch grundsätzlich durch Universaliendefinierbar sein: Poppers Beispiel der Definition der Maßeinheit anhand von»Wellenlänge bzw. Frequenz des monochromatischen Lichtes, das inbestimmter Weise behandelte Atome aussenden« hat aber den Mangel, daßnicht nur die Weise, in welcher bestimmte Atome behandelt werden,

18 S. 36, Fußnote

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entscheidend ist, sondern auch die Art der bestimmten Atome, die dochgleichfalls Individualien sind.

Ich muß mich in dieser Frage der Auffassung von Russell und Witheheadanschließen, die chemische Elemente als Individuen betrachten, gestehe aberzu, daß wesentliche Merkmale einer Klasse von Individuuen allgemeinausgesprochen werden können. Popper geht auf die Unterschiede seinerAuffassung zur Auffassung von Russell und Withehead näher ein:

»Auch die Unterscheidung, die Russell und Withead zwischen den„Individuen“ (oder „Partikularien“) einerseits, den „Universalien“ andererseitsmachen, hat mit der Unterscheidung von „Individualien“ und „Universalien“,wie sie hier eingeführt wurde, nichts zu tun. Nach der RussellschenTerminologie ist in dem Satz: »Napoeleon ist ein französischer Feldherr“ zwar— wie bei uns — „Napoleon« ein „Individuum“, jedoch „französischerFeldherr“ ein Universale; und umgekehrt in dem Satz: „Stickstoff ist einNichtmetall“, zwar „Nichtmetall“ — wie bei uns — ein Universale, „Stickstoff“jedoch ein Individuum“. Auch die „Kennzeichnungen“ („descriptions“)entsprechen nicht unseren Individualien, da z. B. die Klasse der „Punkte meinesKörpers“ bei uns ein Individualbegriff ist, aber nicht durch eine„Kennzeichnung“ dargestellt werden kann.«19

Popper hat eine Inkonsequenz in der Bestimmung des Individualbegriffs beiWithehead und Russell ausgemacht: Wenn das Universale »Feldherr« trotz desAttributs »französisch« ein Universalbegriff ist, weshalb sollte dannausgerechnet die spezifische Bezeichnung einer Klasse von Atomen einIndividualbegriff sein? Popper entschließt sich offenbar für die der vonWithehead und Russell vertretenen genau entgegengesetzte Auffassung. DasAttribut macht den Feldherrn zum Individualbegriff, die allgemeine Spezifizitätder mittels Universalien definierbaren Eigenschaften des chemischen Elementsden Stickstoff zum Universalbegriff. — Weshalb aber die Punkte meinesKörpers sich der Kennzeichnung entziehen und nicht gerade mit diesemBeispiel die Definierbarkeit von Individualien mittels Universalien demonstriertwird, und so allein wegen dem besitzanzeigenden Fürwort zumIndividualbegriff erklärt werden, steht wieder in direkten Widerspruch zurPoppers Erklärung zur Begriffsform des Wortes »Stickstoff«: Wenn die

19 S. 38, Fußnote. Popper verwendet: Withehead-Russell, Prinzipia Mathematica (2. Auflage, 1925, Bd.

I) Introduction of the Second Edition, II. I, p. xix f.; deutsche Ausgabe von Mokre („Einführung in diemathematische Logik“, 1932), S. 132

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explizite Definierbarkeit eines Begriffes in dem einen Fall Popper nicht daranhindert, weiterhin von einem Individualbegriff zu sprechen, warum soll diegleiche Konstruktion mit einem besitzanzeigendem Fürwort in einem anderenFall falsch sein? Der für die Begriffsform entscheidende Unterschied zwischendem Satz »Die Punkte meines Körpers« und dem Satz »Das A des Stickstoffs«vermag von Popper nicht deutlich gemacht zu werden.

— Ist es also unvermeidlich, gewisse Universalien undefiniert zu lassen? Wennja, bedeutet das aber nicht, daß diese auch nicht demonstriert werden können,also einer »expliziten« Darstellung entbehren müssen.

»Es ist also unvermeidlich, gewisse Universalien undefiniert zu lassen, unddarin liegt die Schwierigkeit: Diese undefinierten Begriffe können wir immerim nichtempirischen Sinn, d. h. wie implizit definierte Begriffe verwenden,wodurch das System tautologisch wird.«

Die von Popper genannte Schwierigkeit ist in der Tat mehrfach schwierig. Ichfrage mich nämlich andererseits, wie undefinierte Begriffe überhaupt nochVerwendung finden können, und sogar noch im nichtempirischen Sinn, wasden deictischen Gestus auszuschließen scheint. Erweitert man aber dendeictischen Gestus zum allgemein Intentionalen des Bewußtseins, geratenwieder die Konzepte in den Kreis der Überlegung, welche aus allenUniversalien nochmals Individualien macht (zumindest der Definitionsartnach). — Ob das Popper aber mit seiner in § 17 als Schlußfolgerungvorgestellten Behauptung der Tautologie wirklich gemeint hat, bleibtdahingestellt: Wie man aus dem »empirischen« Gebrauch undefinierter (aberdoch nicht undefinierbarer?) Begriffe implizit definierte Begriffe macht,worunter Popper schon einmal Modellbegriffe verstanden hat, die analytischeFolgesätze besitzen, wird in der diskutieren Darstellung in § 17 unterschlagen.Im Anschluß daran ist dem »methodischen Beschluß« nur der Ausschluß der»nichtempirischen« Verwendung implizit definierter Begriffe überlassen.

Die von Popper behauptete Tautologie von mittels implizit definierterUniversalien interpretierten Axiomensysteme findet nicht vorrangig in derinhaltlichen Bestimmung oberster Universale ihren Grund, und hängt auchnicht von der Unterscheidung in emprischer und nichtempirischerVerwendung der Begriffe ab, sondern besteht vielmehr darin, daß die impliziteDefinitionen der Universalien gerade anhand der Interpretation alsGrundbegriffe eines Axiomensystems als solche gesetzt werden, die zumindest

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logische Widerspruchsfreiheit des Satzsystems garantiert. Die von Poppergeforderte Tautologie kann aber nur dann eine Folgerung sein, wenn dieVereinbarung des logischen Kriteriums (eben der innerenWiderspruchsfreiheit eines Satzsystems) mit der impliziten Definition derBegriffe als bereits geleistet, zumindest als leistbar vorgestellt wird.

Demgegenüber ließe sich die explizite Definition noch als diejenige Formdenken, die in der Erfahrung falsifizierbar ist. Jedoch bleibt aufrecht, daß dieWiderspruchsfreiheit eines Satzsystems erst anhand von Sätzen, die derDefinition von Universalien durch weitere Universalien entstammen (alsounabhängig von jener Definition, die Popper als »explizit« bezeichnet hat)gefordert werden kann. — Eigentlich ist nur dann die Widerspruchsfreiheiteines Satzsystems darzustellen, wenn deren Sätze explizit dargestellt werden.Genau das wurde der impliziten Definition von Begriffen schließlich aberabgesprochen. Trotzdem soll mit den undefinierten Begriffen (also ohneexplizites Satzsystem) eine Tautologie möglich sein? — Man erinnere sich andie analytischen Folgesätze des mittels »implizit definierter« Modellbegriffeninterpretierten Axiomensystems; die Definition von Universalien durch andereUniversalien kann aber ebenso analytisch verlaufen. Es kann keine Rede davonsein, daß die Interpretation von Axiomensysteme mittels explizit definierterUniversalien garantiert, daß es sich um ein Satzsystem von Hypothesenhandelt, das geeignet ist, eine naturwissenschaftliche Theorie auszudrücken.

Es wird also ein »methodologischer Beschluß« gefordert, der den Gebrauch desWortes »empirisch« von vorneherein dahingehend einschränkt, daß damit nursolche Begriffsbestimmungen zugelassen sind, welche mittels »empirisch-wissenschaftlicher« Hypothesen interpretierbare Axiomensysteme ergeben.Unter dieser Voraussetzung sagt der methodologische Beschluß,explizit definierte Universalien nur in empirischer Verwendung zuzulassen,genau die Bedingung aus, unter welcher ein Axiomensystem als mittelsempirisch-wissenschaftlicher Hypothesen interpretierbar angesehen werdenkann. Popper hält hingegen den Ausschluß der nichtempirischen Verwendungimplizit definierter Universalien für entscheidend und glaubt, damit zurEinschränkung auf mittels »empirisch-wissenschaftlichen« Hypotheseninterpretierte Axiomensysteme gekommen, und der Tautologie entkommenzu sein.

Was Popper dennoch∫ möglich macht, ist, daß die explizite Darstellung einerUniversalie durch andere Universalien sowohl in der Erfahrung exponiert, wie

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auch allererst der Prüfung auf Widerspruchsfreiheit unterzogen werden kann.— Zwischen der Interpretation eines Satzsystems mittels Modellbegriffe, diewegen der Nichtfalsifizierbarkeit der Folgesätze aus den Naturwissenschaftenausgeschlossen wird und der Interpretation eines Satzsystems mittelsempirischen Hypothesen kann aber gerade die von Popper in § 17 gegebeneDarstellung der »expliziten Definition« von Universalien nicht unterscheiden,ohne auf die tautologische Definition des Wortes »empirisch«zurückzukommen.

DIE LOGISCHE FORM DER NATURGESETZE

5. Allsätze und universielle Es-gibt-Sätze

Im § 15 des dritten Kapitels unternimmt Popper die Bestimmung der logischenForm der Sätze, die zur Formulierung von Naturgesetzen geeignet sein sollen.Da dieser Paragraph die Problematik der Bestimmung einer Erkenntnislogikgegenüber den Gründen der formalen Logik deutlich erkennen läßt, soll hierder erste Abschnitt vollständig wiedergegeben werden:

»Es genügt nicht, die allgemeinen Sätze etwa dadurch zu kennzeichnen, daß inihnen keine Individualien auftreten, Verwendet man das Wort „Rabe“ alsUniversale, so ist der Satz: „Alle Raben sind schwarz“ ein Allsatz; in anderenSätzen, z. B.: „Viele Raben sind schwarz“ oder „Es gibt schwarze Raben“,treten zwar auch nur Universalien auf, aber wir werden solche Sätze doch nichtAllsätze nennen.

Sätze, in denen nur Universalien auftreten, wollen wir „universielle Sätze“nennen. Von diesen sind für uns neben den Allsätzen vor allem die Sätze vonder Form: „Es gibt einen schwarzen Raben“,*[1] die wir universielle Es-gibt-Sätze nennen, von Bedeutung.

Negiert man einen Allsatz, so erhält man einen universiellen Es-gibt-Satz(und umgekehrt); z. B.: „Nicht alle Raben sind schwarz“ ist äquivalent mit: „Esgibt nichtschwarze Raben“.*[2]

Da die naturwissenschaftlichen Theorien, die Naturgesetze, die logischeForm von Allsätzen haben, so kann man sie auch in Form der Negation einesuniversiellen Es-gibt-Satzes aussprechen, d. h. in Form eines „Es-gibt-nicht-Satzes“. So kann man den Satz von der Erhaltung der Energie bekanntlich auchin der Form aussprechen: „Es gibt kein perpetum mobile“; oder die Hypothese

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des elektrischen Elemetarquantums in der Form: „Es gibt keine elektrischeLadung, die nicht ein ganzzahliges Vielfaches des elektrischenElementarquantums wäre“.*[3]

An diesen Formulierungen sieht man deutlich, daß man die Naturgesetzeals „Verbote“ auffassen kann: Sie behaupten nicht, daß etwas existiert, sonderndaß etwas nicht existiert.*[4] Gerade wegen dieser Form sind sie falsifizierbar :wird ein besonderer Satz anerkannt, durch den das Verbot durchbrochenerscheint, der die Existenz eines „verbotenen Vorganges“ behauptet („Derdort und dort befindliche Apparat ist ein perpetum mobile“), so ist damit dasbetreffende Naturgesetz widerlegt.*[5]«20

Es sollen nun in Folge die einzelnen Punkte und deren Implikationen inlogischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht behandelt werden.

ad (1)Es werden alle Sätze, die erstens aus Universalien bestehen und zweitens vonder Form »Es gibt AB« sind, als »universielle Es-gibt-Sätze« qualifiziert. Hier istvon einer Einschränkung hinsichtlich der Quantifizierbarkeit solcher Aussagennichts zu bemerken. Im Gegenteil: Poppers Formulierung der für universielleEs-gibt-Sätze charakteristischen logischen Form »Es gibt einen schwarzenRaben« besitzt die Schwierigkeit, auch als singulärer Es-gibt-Satz verstandenwerden zu können. Popper läßt sich davon aber nicht beirren und setzt, wie imAnschluß zu sehen sein wird, die Erörterung der universiellen Es-gibt-Sätze alsvon einer bestimmten logischen Quantifikation unberührten Aussageformfort.

ad (2)Hier sind zwei Behauptungen getrennt zu betrachten: Die erste verlangt, daßaus der Negation eines Allsatzes ein universieller Es-gibt-nicht-Satz entspringt.Das ist offensichtlich nicht der Fall; aus der logischen Operation derVerneinung eines Allsatzes entspringt ein Satz mit der Form »Nicht alle A sindB«. Die dem freilich äquivalente logische Form »Es gibt A, die nicht B« ist diehier nach der logischen Operation der Negation eines Allsatzes erfolgteÜbersetzung. Es steht allerdings frei, von hier aus darüber zu spekulieren, obich den Allsatz deshalb negieren will, weil ich einen Beobachtungssatz derForm »Es gibt nichtschwarze Raben« nicht länger auf Grund einerTäuschungsmöglichkeit ausschließen kann. Dann wäre der Es-gibt-Satz »Es

20 S. 39 f.

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gibt A, die nicht B« zwar der Grund der Negation, aber nicht das Ergebnis derNegation des Allsatzes. — Schließlich könnte noch jenseits der Grenzenformaler Logik bedacht werden, daß die Negation eines Allsatzes auch ausdem Grund ausgesprochen werden könnte, weil man der Auffassung ist, daßzu gelten habe: »Kein A ist B«.

Es ist zu bemerken, daß Poppers Definition des universiellen Es-gibt-Satzes alslogisch unquantifizierte Ausage auch für Sätze der Form »Es gibt A, die nichtB« gilt.

Die zweite zu diskutierende Behauptung sehe ich im Klammerausdruck »undumgekehrt« repräsentiert; also darin, daß die Negation eines universiellen Es-gibt-Satzes auch zu einem Allsatz werden muß. Das ist die KernaussagePoppers: Er glaubt mit den universiellen Es-gibt-Sätzen jene »logische Form«empirischer Sätze gefunden zu haben, die eine logische Negation erlaubt,welche zu logisch eindeutigen Allsätzen führen soll. Es geht gerade hier um dieMöglichkeit eines Überganges von empirischen Sätzen zu theoretischenSätzen.

Führt nun die Negation eines universiellen Es-gibt-Satzes, der von Popperbekanntlich bar jeder logischen Quantifikation ausgesprochen wird, wirklich zueinem Allsatz? Mache man die Probe aufs Exempel: Der als universieller Es-gibt-Satz ausdrücklich akzeptierte Satz der Form »Es gibt A, die nicht B« ergibtnegiert zwei Möglichkeiten, Gründe für seine Falschheit zu denken. Der ersteGrund liegt darin, daß vielleicht aus anderen Gründen einsichtig geworden ist,daß es überhaupt kein A gäbe, der nächste Grund darin, daß es sich doch alswahr herausgestellt hat, daß es kein A gäbe, das nicht auch B ist. — Negiertman den Satz »Es gibt AB«, so wird noch deutlicher, daß nicht zwingend einAllsatz zu erwarten ist: Ich sehe Sätze der Form »Es gibt kein AB« oder »Es gibtA, die nicht B« als mögliches Ergebnis, aber doch keinen Allsatz.

ad (3)Popper geht davon aus, daß Naturgesetze die logische Form von Allsätzenhaben. Weil Popper erwartet, daß alle Arten von universiellen Es-gibt-Sätzemittels Negation zu Allsätze werden, glaubt er auch, Allsätze logischäquivalent als Negation universieller Es-gibt-Sätze darstellen zu können. Erglaubt aber auch weiters, daß er damit den Grund besitzt, weshalbNaturgesetze, als allgemeine, aber doch empirische Sätze, überhaupt alsAllsätze auftreten können. — Die beigefügte Erklärung, was unter der

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Negation eines universiellen Es-gibt-Satzes zu verstehen sein soll (nämlich dielogische Form eines Es-gibt-nicht-Satzes) legt aber der »logischen Form« derNaturgesetze eine strikte Beschränkung auf, um als Verbote ausgesprochenwerden zu können. Im vierten Punkt wird diese radikale Auffassungbekräftigt: »An diesen Formulierungen sieht man deutlich, daß man dieNaturgesetze als „Verbote“ auffassen kann: Sie behaupten nicht, daß etwasexistiert, sondern daß etwas nicht existiert.«

Popper gibt nun zwei Beispiele von der »Verbotsform«, die er dennaturgesetzlichen Aussagen hier noch als unleugbare Möglichkeit, späterhinaber als methodologisch zwingende Regel der Formulierung vorstellig macht.Das eine Beispiel ist das des Verbotes der Möglichkeit eines perpetum mobileals Ausdruck für den Energieerhaltungssatz. Abgesehen von der Überlegung,daß das Verbot nicht äquivalent dem Gebot sein muß, schon weil letzteresmehr Informationen beinhaltet, muß doch entschieden festgehalten werden,daß dieser Verbotssatz nicht die logische Form eines Allsatzes besitzt. — Erstdie darauf folgende Schlußfolgerung aus dem Gegenteil (dem Gegenteil derverbotenen Möglichkeit eines perpetum mobile) führt zu einem Allsatz.

Die letzte und entscheidene Inkonsequenz begeht Popper hier aber damit, daßmit dem Beispiel der Hypothese des elektrischen Elementarquantumseindeutig ein Satz mit der Form »Es gibt kein A, das nicht B« vorgestelltworden ist. Das ist nun eben kein Verbot, wie behauptet, aber sicherlich einAllsatz. — Allsätze ergeben sich ansonsten aus der Negation universieller Es-gibt-Sätze auch in der Seitenlinie der Annahme, Sätze der Form »Es gibt ein A,das nicht B« seien universielle Es-gibt-Sätze, aber nur möglicherweise. —Popper vermag nicht die Negation eines Satzes von der Negation innerhalbdes Satzes zu unterscheiden: Es ist erst Fall für Fall zu entscheiden, welcheKonsequenz die Negation eines Operators oder Quantifikators, oder derKopula, des Prädikats oder des Subjekts für die Satzaussage (von derenNegation vorrangig die Rede sein soll) jeweils besitzt. Nur mit der Annahmeeiner solchen Fehlleistung ist verständlich zu machen, weshalb Popper dieAllaussage »Es gibt kein A, das nicht B« für eine Negation eines universiellenSatzes gehalten haben kann.

Als Nebenprodukt stellt sich heraus, daß der von Popper zielgerichtetbetriebene Versuch, die universiellen Es-gibt-Sätze als plurative Urteile zudefinieren, die weder generelle Affirmation oder Negation ausdrücken, aberauch keine singulären Es-gibt-Satz sein sollen, ebenfalls gescheitert ist. Mit der

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intensionalen Darstellung des Allsatzes mittels eines Es-gibt-Satzes der Form»Es gibt kein A, das nicht B« kann gezeigt werden, daß erstens ein Allsatz inextensionaler Darstellung (»Alle A sind B«) auch ohne Negation seiner Aussageals universieller Es-gibt-Satz formuliert werden kann, und daß zweitens der inPunkt eins akzeptierte Definition der universiellen Es-gibt-Sätze, solche müssenaus Universalien zusammengesetzt sein und die Form von Es-gibt-Sätzenhaben, auch genüge tut. Die eigentümliche Bestimmung durch Popper,universielle Es-gibt-Sätze seien hinsichtlich ihrer logischen Quantifikationplurative Urteile, ist also keine Schlußfolgerung aus den ersten zweiBestimmungen derselben hinsichtlich ihrer Universalität undExistenzbehauptung, sondern seine willentliche Festsetzung, derenSinnhaftigkeit aber rätselhaft bleibt.

ad (5)Der vierte Punkt wurde weiter oben schon in die Erörterung mit einbezogen.Der fünfte Punkt bezieht seine Brisanz aus der Behauptung, die strengeVerbotsform, die nicht behauptet, daß etwas existiert, sondern daß etwas nichtexistiert, sei die Voraussetzung, daß ein Satz falsifzierbar sei.

Diese Behauptung ist nicht ohne Witz. Wird behauptet: nichts existiert, so istdiese Behauptung freilich mit dem Akt des Behauptens auch schon falsifiziert.Insofern könnte man noch sagen, daß diese »transzendentale«Falsifizierbarkeit die logische Bedingung unseres empirischen Bewußtseins ist.— Derlei führt aber an den hier gestellten Ansprüchen vorbei: Offensichtlichmeint Popper nicht, daß der Satz »Es gibt A«, sondern daß der Satz »Es gibtAB« verboten ist. Das trifft auf sein erstes Beispiel vom perpetum mobile auchirgendwie zu. Hier ist aber entscheidend, daß nur die erkenntnistheoretischinteressantere logische Form ein Naturgesetz zu formulieren (»Kein A, dasnicht B«), ein Allsatz, also eine generelle Affirmation und keine generelleNegation (»Kein A ist B«) ist, und daß Sätze von dieser Form keineVerbotssätze im Sinne der Negation von Aussagen sein können.

Die Falsifizierbarkeit eines Satzes hängt nun nicht davon ab, ob er extensionaloder intensional dargestellt wird. Die Unterscheidung von Allsätze unduniversielle Es-gibt-Sätze ist demnach nicht die Grundlage der Unterscheidungin falsifizierbare und verifizierbare Sätze, sondern den Unterschied vonAllsätzen und dem Umfang nach eingeschränkten plurativen Sätzen, also denUnterschied von universaler Affirmation und partikularer Affirmation bzw.partikularer Negation. Seine Definition »universieller« Es-gibt-Sätze als

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plurative Urteile schließt fälschlicherweise sowohl die universale Affirmationwie die universale Negation aus, nur um den logischen Grund in Stellungbringen zu können, um zwischen falsifizierbare und verifizierbare Sätze zuunterscheiden. —

Der haltbare Kern der Darstellung Poppers beschränkt sich darauf, daß diepartikuläre Affirmation (Es gibt AB, Es gibt A nicht-B) nicht falsifizierbar ist,weil zur Falsifizierbarkeit ein Allsatz (oder auch ein spezifischer allgemeinerSatz, der Notwendigkeit ausdrückt) vorausgesetzt ist. — Die extensionaleFormulierung des Popperschen »universiellen Es-gibt-Satzes« (bei Popper einpluratives Urteil, aber keine universale Affirmation) von der Form »Nicht alleA sind B« würde aber ebenso die Falsifikation eines Allsatzes liefern. Jedochwird sowohl der Satz »Kein A, daß nicht B« wie der Satz »Alle A sind B« logischschon durch ein singuläres Urteil »Es gibt ein A, das nicht-B« falsifiziert (wasden Satz »Nicht alle A sind B« erfüllt); nicht falsifizierbar sind hingegen allepartikulare Urteile, die kein singuläres Urteil sind, oder wie Popper in seinerDefinition des »universiellen Es-gibt-Satzes nahelegt, die plurative Urteile, dieaber doch keine generelle Affirmationen sind.

Popper glaubt allen Ernstes, daß die Form der Naturgesetze, die er zuerst nurbeispielsweise als Verbot formuliert, sich aus der Negation von universiellenEs-gibt-Sätzen ergeben und so Es-gibt-nicht-Sätze sein müssen. Vielmehrerweist sich abermals die — vorausgesetzte — universale Affirmation alslogische Form des Naturgesetzes. Ein universieller Es-gibt-nicht-Satz wäre vonder Form »Es gibt kein A, das B«. Nicht auszuschließen ist freilich, daß sich einNaturgesetz konträr in der Form der generellen Negation ausprechen läßt (Esgibt kein A, das B); nur es fehlt der logische und der erkenntnislogische Grund,weshalb Popper ausschließlich nur diese Form des Verbotes zulassen sollte.Popper befindet sich demnach mehrfach in einem offenen Widerspruch mitsich selbst und zur Tradition der extensionalen und intensionalen Logik.

6. Die Darstellung des Syllogismus von Franz Brentano. Eine Alternative?

Es gibt allerdings eine anderes Verfahren, Allsätze der quantifiziertenPrädikatenlogik der Form »Alle A sind B« und deren inneren und äußerenNegationsformen in diejenige Form zu überführen, die Popper universielle Es-gibt-Sätze nennt. Das bedeutet: »Alle A sind B« (Allsatz) wird zu »Ein A nicht-Bist nicht« (universieller Es-gibt-Satz). Dies wäre die Fassung der Syllogistik von

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Franz Brentano21 aufgrund Leibnizianischer Vorentscheidungen für eineintensionale Logik22 und kein Übergang von Allsatz zu Es-gibt-Satz durchNegation, der die Unterscheidung von klassischer Logik und Logistikeinerseits zur Erkenntnislogik andererseits rechtfertigen soll.23 — DieFormulierung von »ist« und »ist nicht« Brentanos ist nun äquivalent derFormulierung Poppers von »es gibt« und »es gibt nicht«; diese Formulierungwird übrigens auch von Brentano abwechselnd gebraucht. Die Identifikationder Es-gibt-Sätze Poppers mit dem Produkt der Umformung dersyllogistischen Sätze durch Brentano liegt demnach nahe. Popper hält den Satz»Es gibt ein AB« für einen universiellen Es-gibt Satz und für ein plurativesUrteil, während Brentano diesen Satz (er sagt: »AB ist«) für eine partikulärbejahende Aussage hält. Das eine wie das andere fällt unter die sogenannten»plurativen Urteilsformen«. Doch benützt man nicht die Negationsformen wiePopper, fällt ein Unterschied der Bedeutungsnormierung der Sätze beiBrentano und Popper auf: Für Brentano ist der Satz »Ein A nicht-B ist« einepartikulär verneinende Aussage und kann nicht ohne weitere Bedingung alssinguläre Urteilsform aufgefaßt werden. Für Popper ist der Satz »Es gibtnichtschwarze Raben« entschieden ein pluratives Urteil und sonst nichts.

Beide Ansätze sind mit der Absicht ins Werk gesetzt worden, sich von derUnsicherheit der bloßen Phänomenologie (dem Abzählen und Überprüfenaller Individuen) zu emanzipieren; wie sich zeigt, bei Popper ohne Erfolg: dieFalsifikation der Allsätze wie die Verifikation der universiellen Es-gibt-Sätzebenötigten eigentlich eine ins Unendliche gehende phänomenologischeUntersuchung. Zwar kann vermutet werden, daß die falsifizierbaren Allsätzefalsifiziert werden können, bevor alle möglichen Individuen geprüft wordensind, während die Verifikation von bloßen nicht weiter qualifizierten (unddeshalb auch nicht falsifizierbaren) Es-gibt-Sätzen im strengen Sinn nachTotal i tät verlangt . Doch k a n n d i e s e Vermutung nichtwahrscheinlichkeitstheoretisch ausgedrückt werden; und schon gar nicht,wenn nur von Es-gibt-Sätzen und Allsätzen im allgemeinen gehandelt wird.24

21 Franz Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, 2. Bd.: Von der Klassifikation der

psychischen Phänomene, Hrsg. Oskar Kraus, Hamburg 1959 (Nachdruck von 1925), 3. Kap., § 7,insbes. ab S. 57

22 Alfred Kastil, Die Philosophie Franz Brentanos, Francke-Verlag, Bern 1951, S. 20223 L. d. F, Fußnote zu S. 3424 »Die universiellen Sätze sind raum-zeitlich nicht beschränkt, auf kein durch Individualien

ausgezeichnetes Koordinatensystem bezogen. Damit hängt die Nichtfalsifizierbarkeit deruniversiellen Es-gibt-Sätze zusammen — wir können nicht die ganze Welt absuchen, um zu beweisen,daß es etwas nicht gibt — und ebenso die Nichtverifizierbarkeit der Allsätze: wir müßten gleichfalls(genau so wie vorher) die ganze Welt absuchen, um dann sagen zu können, daß etwas nicht gibt.

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Brentano glaubt hingegen in der Evidenz des Erkenntnissubjekts einontologisches Unterpfand freigelegt zu haben, was in dieser Transformationder syllogistischen Sätze zu Existentialurteile zum Ausdruck kommen soll. Dieentscheidende Verbindung in der Behandlung des Verhältnisses von Allsätzenund Es-gibt-Sätzen ist aber doch die, daß Brentano mit der Formulierung derallgemeinen Bejahung die nämliche Strategie wie Popper in § 15 anwendet.Brentano gibt eine Fußnote, was unter den vier Klassen kateorischer Urteile zuverstehen sei:

»Die partikulär bejahenden, die allgemein verneinenden, und die irrtümlichsogenannten allgemein bejahenden und partikulär verneinenden. In Wahrheitist, wie die obige Rückführung auf die existentiale Formel deutlich erkennenläßt, kein bejahendes Urteil allgemein (es müßte denn ein Urteil mitindividueller Materie allgemein genannt werden) und kein verneinendes Urteilpartikulär.«25

Popper geht ganz ähnlich vor. Allerdings bedeutet bei ihm die »existentialeFormel« nicht modale Ontologie, die völlig abstrakt bleiben muß, sondernwird zur wissenschaftstheoretischen Problemstellung, welche Eigenschaft Sätzehaben müssen, um Sätze einer naturwissenschaftlichen Theorie sein zukönnen, die von der Erfahrung widerlegt werden kann. Popper führt in § 15das Falsifikationsprinzip zum ersten Mal als entscheidendes Argument in dieBestimmung der logischen Form von Sätzen, die für naturwissenschaftlicheTheorien geeignet sind, ein. Allerdings besitzt die Einführung bloßvergleichenden aber nicht quantifizierenden Charakter: wie vorhin gezeigt,kann Popper nicht ausschließen, daß auch zur Falsifikation eines Allsatzes dieganze empirische Mannigfaltigkeit durchlaufen werden muß.

So bescheidet sich Popper zumindest in § 15 noch damit, daß manNaturgesetze auch  in Form von Verboten ausprechen kann. Poppers Motiv istdabei, wie schon gesagt, daß dadurch, weil Naturgesetze als universielle Es-gibt-Sätze behandelt werden können sollen, diese mit Erfahrungssätzen(empirische Sätze) in Verbindung gebracht werden können: Obwohl eruniversielle Es-gibt-Sätze als »metaphysisch« aus der Wissenschaftausgeschlossen hat, weil sie seiner Auffassung nach keine Allsätze sein können

Dennoch sind sind sowohl die universiellen Es-gibt-Sätze als auch die Allsätze einseitigentscheidbar: Wenn wir feststellen, daß es hier oder dort „etwas gibt“, so kann dadurch ein univer-sieller Es-gibt-Satz verfiziert bzw. ein Allsatz falsifiziert wird.« (S. 40)

25 Brentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Bd. 2, cit. op., S. 57

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(§ 15, S. 40), kann er doch auf diese in § 28 (S. 68) nicht verzichten. Und zwarnicht, um durch die Hinzufügung von Raum-Zeit-Bedingungen ausuniversiellen Es-gibt-Sätze singuläre Es-gibt-Sätze zu machen, wie es immerhinmöglich ist, sondern um aus singuläre Es-gibt-Sätze erst durch Wegnahme derRaum-Zeit-Bedingung universielle Es-gibt-Sätze zu machen. Letztere könnendann Theorien widersprechen. Wie, wenn sie schon als metaphysischüberhaupt ausgeschlossen worden sind? — Poppers Absicht in § 28 istallerdings bemerkenswert: Er will den Unterschied des logischen modustollens, nach welchem ein singulärer Es-gibt-Satz einen Allsatz falsifizierenkann, zum erkenntnislogischen Falsifikationsprinzip anhand der Bedingungdefinieren, daß Allsätze, die Naturgesetze aussagen, nicht durch einensingulären Es-gibt-Satz falsifiziert werden können.

Es hat sich zeigen lassen, daß Popper das gleiche Kalkül der Es-gibt-Sätze wieBrentano verwendet, handelt es sich doch in beiden Fällen um eineTransformation von extensionaler Logik in intensionale Logik. PoppersAuffassung unterscheidet sich vom Kalkül Brentanos schon äußerlich dadurch,daß die Falsifikation wie Verifikation von Sätzen auf die Totalität derErfahrung angewiesen bleibt, während bei Brentano die ganze Erfahrung alsbereits gemachte Evidenz (womöglich als Wesenserkenntnis aus derErfahrung) vorausgesetzt wird. Poppers logische Festsetzung desUnterschiedes des logischen modus tollens und des erkenntnislogischenFalsifikationsprinzips wird sich zwar als brauchbar für die Bedingungen einesPrüfungsverfahren von Basissätzen im Vergleich von naturwissenschaftlichenTheorien erweisen,26 doch erkauft sich Popper diese Festsetzung mit einemnicht auflösbaren Widerspruch.

7. Die entscheidende Differenz zwischen extensionaler und intensionalerDarstellung der universiellen Sätze

Im Anschluß an den mißglückten Versuch in § 15, der »logischen Form« vonNaturgesetzen über die Bedingung, die Form von Allsätzen besitzen zumüssen, um nach modus tollens falsifizierbar zu sein, hinausgehend eigeneerkenntnislogische Bestimmungen beizubringen, schränkt Popper dieuniversiellen Sätze weiter ein, um zu Sätzen zu gelangen, die einenaturwissenschaftliche Theorie formulieren lassen. Die universiellen Es-gibt- 26 Singuläre Es-gibt-Sätze müssen erst zu bewährten Basissätzen qualifiziert werden, um eine Theorie

zu falsifizieren.

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Sätze sollen, weil nicht falsifizierbar, als metaphysische Sätze ausgeschlossenwerden. In der Tat sind die universiellen Es-gibt-Sätze gemäß den DefinitionenPoppers (also samt der eigenwilligen Einschränkung auf das plurative Urteil)nicht falsifizierbar, und nur deshalb aus Satzsystemen auszuschließen, diegemäß dem Falsifikationsprinzip für naturwissenschaftliche Theorien tauglichsein sollen. Weshalb diese Sätze aber metaphysische Sätze sein sollen, wirddaraus nicht klar.

Popper schließt in § 15 universielle Es-gibt-Sätze der Form »Es gibt AB« aus:

»Die universiellen Sätze sind raum-zeitlich nicht beschränkt, auf kein durchIndividualien ausgezeichnetes Koordinatensystem bezogen. Damit hängt dieNichtfalsifizierbarkeit der universiellen Es-gibt-Sätze zusammen.«27 Dasbedeutet wohl, daß auch universielle Es-gibt-Sätze die Eigenschaft der raum-zeitlichen Unbeschränktheit ungeteilt und ganz besitzen wie die universiellenSätze überhaupt. Das trifft auf alle Es-gibt-Sätze zu; folglich darf ich vermuten,daß vom Ausschluß alle von Popper angeführten Arten universieller Es-gibt-Sätze betroffen sind: universale (generelle) Affirmation und Negation,partikulare Affirmation und Negation. — Oder meint Popper doch nur die Es-gibt-Sätze der Form »Es gibt ein AB«, also nur die partikulare Affirmation? Soist die partikulare Affirmation in intensionaler Darstellung als Es-gibt-Satz (dieextensionale Darstellung wäre »Mindestens ein A ist B«) in der gleichenVerlegenheit wie Carnaps Auffassung, der gleich den Unterschied vonindividueller und allgemeiner Verwendung von Begriffen aufheben wollte(S. 38): Sie kann erstens als Metaausssage über das Konzept von A verstandenwerden und insofern als spezifischer allgemeiner Satz, sie kann zweitens alssingulärer Es-gibt-Satz als »Irgendein A« verstanden werden, und sie kanndrittens als partikulare Affirmation verstanden werden.28 Ein solcher Satz istfreilich aus der Wissenschaft auszuschließen.

Daß der Ausschluß von universiellen Es-gibt-Sätzen trotz der Einschränkungauf plurative Urteile problematisch genug bleibt, zeigt sich schließlich daran,daß Popper in § 28 universielle Es-gibt-Sätze voraussetzt, damit Basissätze vonder Form singulärer Es-gibt-Sätze nach der Wegnahme von Raum-Zeit-Bestimmungen allererst den Allsätzen einer Theorie widersprechen können

27 S. 4028 Edmund Husserl, Logische Untersuchungen II, Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie des

Erkennens: Die ideale Einheit der Spezies und die neueren Abstraktionstheorien (erste Auflage 1901,Nachdruck von 21913, Tübingen: Niemeyer, 1980); Lockes allgemeinstes Dreieck (§§ 9-23)

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(S. 68 oben). Die Skizzierung des Übergangs von der logischen Bestimmung,daß der (wahre) Satz »Es gibt ein A in k, das nicht B« den Allsatz »Kein A, dasnicht B« widerlegt, zur erkenntnislogischen Bestimmung, welche universielleEs-gibt-Sätze zur Widerlegung von Allsätzen fordert, wird nicht leicht fallen.Zumal der logische modus tollens, daß kein Folgesatz widerlegt werden kann,ohne die Prämisse zu widerlegen, nicht selbst fordert, daß zur Widerlegungeiner Hypothese die Bewährung einer entgegengesetzten Hypotheseerforderlich ist, kann nur vermutet werden, daß Popper in § 28 vomuniversiellen Es-gibt-Satz bereits verlangt, ein Allsatz zu sein.

Es ist aber gerade in dieser problematischen Einschränkung auf plurativeUrteile womöglich ein Grund zu finden, weshalb Popper die universiellen Es-gibt-Sätze als »metaphysische« Sätze ausgeschlossen hat.

Es wird aufgefallen sein, daß Popper zu erlauben scheint, aus universiellen Es-gibt-Sätzen, sofern sie keine Allsätze sein können, singuläre Es-gibt-Sätzeabzuleiten, obgleich logisch verboten ist, aus Allsätzen die Existenz von etwasabzuleiten. Und zwar allein deshalb, indem er aus der Negation des Allsatzes inextensionaler Darstellung einen Es-gibt-Satz folgert, der, gerade weil alsunabhängig von jeder logischen Quantifikation aufgefaßt, keinen reinformalen Grund zu seiner allgemeinen Behauptung beanspruchen kann. —Verfolgt man diesen Gedankengang, wird man auch einen Grund ausfindigmachen können, weshalb Popper die universiellen Es-gibt-Sätze (mit seinerBeschränkung auf ein pluratives Urteil) als »metaphysisch« aus dem Katalognaturwissenschaftlicher Theorien ausschließt.

Zwar hat Popper insofern recht, wenn er sagt, daß singuläre Es-gibt-Sätze nichtaus Allsätzen ableitbar sind, das könnte aber unabhängig von derFormulierung in extensionaler oder in intensionaler Darstellung gelten. Inextensionaler Darstellung muß eine Entscheidung getroffen werden, ob es eineleere Klasse gibt oder nicht: Wenn gesagt wird, es gilt »Alle A sind B«, aber esgibt kein A, dann folgt aus dem Allsatz die leere Menge und nicht, daß es ein Agäbe, das nicht-B. Gleiches gilt aber auch für die Formulierung »Es gibt kein A,das nicht B«. Der Schluß: Wenn es kein A gibt, dann deshalb nicht, weil kein Aauch B ist, ist durchaus nicht zwingend, sondern kann in der Konsequenz wiein der extensionalen Darstellung auch darauf zurückgeführt werden, daß esnun überhaupt kein A gibt; würde es aber eines geben, dann müßte auch B

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gelten. Das heißt aber, daß auch aus dem universiellen Es-gibt-Satz in generell(universal) affimierender Form nicht notwendigerweise ein singulärer Es-gibt-Satz folgen muß.

Das stimmt offensichtlich für generelle (universale) Affirmationen, gleich ob inextensionaler oder intensionaler Darstellung. Stimmt das aber auch wirklich fürpartikulare Affirmationen? — Der Satz »Es gibt ein A, das nicht-B« behauptetnicht nur, daß, wenn es ein A gibt, dieses nicht-B oder auch B sein könne,sondern zuerst, daß es (mindestens) ein A gibt. Der Satz »Nicht alle A sind B«kann aber nicht daraufhin festgelegt werden, daß es mindestens ein Aüberhaupt gibt, sondern könnte genausogut auch bedeuten, daß, falls es ein Agibt, es nicht auch der Fall sein müsse, daß dieses A auch B ist. In derpartikularen Affirmation unterscheidet sich die intensionale Formulierungdann doch von der extensionalen Formulierung. Dieser Unterschiedverschwindet, wenn man die Existenz von A voraussetzt. — Insofern kannPoppers streng genommen falsche Vorstellung des universiellen Es-gibt-Satzesals »Negation« des Allsatzes und des Allsatzes als »Negation« einesuniversiellen Es-gibt-Satzes in § 15 mittelbar doch noch die Bedeutung einer,zwar fehlgeleiteten, aber doch bemerkenswerten »Fulguration« in derReflexion der diskutierten Verhältnisse gegeben werden.

Popper verbindet mit der Transformation der universiellen Sätze (nichts als einnur aus Universalien zusammengesetzter Satz) von extensionaler Logik inintensionale Logik bekanntlich den Übergang von falsifizierbaren Allsätzen zunichtfalsifizierbaren und nur verifizierbaren universiellen Es-gibt-Sätzen.Warum ist aber diese Verminderung der Aussagekraft universieller Es-gibt-Sätze, die nur ein Artefakt seiner willkürlichen Festsetzung der Indifferenzhinsichtlich der logischen Quantifikation ist, für Popper überhaupt interessant?Er kann anhand des Überganges von singulären zu universiellen Es-gibt-Sätzemittels Wegnahme einer Raum-Zeit-Bedingung eine Eigenschaft bestimmen,die sowohl Basissätze wie allgemeine Sätze haben müssen (und, wie gezeigt,auch umgekehrt). Popper bezeichnet anfangs (§ 15, Allsätze und universielleEs-gibt-Sätze) sowohl Allsätze wie universielle Es-gibt-Sätze zuerst als»allgemeine« Sätze, dann gleich als »universielle« Sätze (S. 39). Da man nunAllsätze in universielle Es-gibt-Sätze verwandeln kann (da beide universielleSätze sind), die letzteren aber wiederum mittels Raum-Zeit-Bedingung insinguläre Es-gibt-Sätze, will Popper auf diese Weise im Dunkel der von ihmverborgenen möglichen Umkehrung der Wegnahme von Raum-Zeit-Bestimmungen zur Hinzufügung derselben das logische Verbot umgehen, daß

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aus Allsätze keine singulären Sätze gefolgert werden können, die auchBasissätze sein könnten. — Die universiellen Es-gibt-Sätze in derEinschränkung auf plurative Urteile werden derart zur realitätshaltigenAlltagssprache, welche der Sprache wissenschaftlicher Theorien vorausgesetztwird.

Aus metaphysischen universiellen Es-gibt-Sätzen wie »Es gibt Naturgesetze«oder »Die Welt wird von strengen Gesetzen beherrscht« kann Popper aberdoch nicht einen singulären Es-gibt-Satz ableiten, der ein Basissatz sein könnte.So stellt Popper zwei Forderungen auf, welche die Festsetzung, daß »dieBasissätze die Form singulärer Es-gibt-Sätze haben sollen.«29 garantierensollen:

(a) »aus einem Allsatz, d. h. einem universiellen Es-gibt-nicht-Satz kann nie einsingulärer Es-gibt-Satz deduziert werden«

(b) »aus jedem singulären Es-gibt-Satz [ist] durch Weglassen der Raum-Zeit-Bestimmung ein universieller Es-gibt-Satz ableitbar«30

Sieht man von dem Unsinn ab, daß Allsätze universielle Es-gibt-nicht Sätze seinsollen, nur weil sie Naturgesetze aussagen, wird von diesen Bedingungen inder Tat garantiert, daß Basissätze (ohne Randbedingungen) nicht aus diesenableitbar sind, sondern von den Allsätzen unabhängige singuläre Es-gibt-Sätzezur Bildung von Basisätzen vorausgesetzt sind.

8. Die »logische Form« einer empirischen Theorie

Im vierten Kapitel (Falsifizierbarkeit) kommt Popper zu einerbefriedigenderen Darstellung der Forderungen, unter welchen man von einerempirischen Interpretation eines Axiomensystems (von einer empirischenTheorie) sprechen kann:

»Man könnte zunächst versuchen, eine Theorie dann empirisch zu nennen,wenn aus ihr besondere Sätze ableitbar sind; das läßt sich aber nichtdurchführen, weil zur Deduktion besonderer Sätze immer besondere Sätze,Randbedingungen substituiert werden müssen. Aber auch der Versuch, jene 29 S. 6830 l. c.

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Theorien empirisch zu nennen, aus denen bei Substitution besonderer Sätzeandere besondere Sätze ableitbar sind, mißlingt, denn aus nichtempirischen,z. B. tautologischen Sätzen können in Verbindung mit besonderen Sätzenimmer besondere Sätze abgeleitet werden. (Nach den Regeln der Logik dürfenwir z. B. sagen: Aus der Konjunktion von „Zwei und zwei ist vier“ und „Hierist ein schwarzer Rabe“ folgt u. a. »Hier ist ein Rabe“.) Aber es genügt nichteinmal die Forderung, daß aus der Theorie in Verbindung mit einerRandbedingung mehr deduzierbar sein soll als aus der Randbedingung allein;denn das würde zwar tautologische Theorien ausschalten, jedoch nichtsynthetisch-metaphysische Sätze. (Beispiel: Aus „Jedes Ereignis hat eineUrsache“ und „Hier ereignet sich eine Katastrophe“ folgt „Diese Katastrophehat eine Ursache“.)

Wir müßten also etwa verlangen, daß mit Hilfe der Theorie mehrbesondere (singuläre) empirische Sätze deduziert werden können, als aus denRandbedingungen allein ableitbar sind, d. h., wir werden unsere Definition aufeine bestimmte Klasse von besonderen Sätzen, eben die Basissätze stützenmüssen.«31

Popper gibt hier in § 21 eine Reihe von weiteren Bedingungen, die er in § 17 beider Bestimmung der Interpretation von Axiomensysteme nicht behandelt hatund nicht behandeln konnte. Popper bezieht sich hier allem Anschein nach aufdiejenigen Problemstellungen, die ich im Kapitel »Die Interpretationsregeln derAxiome« behandelt habe und versucht die Schwierigkeit, anhand der explizitenDefinitionen von Universalien zwischen einem analytischen Modell und einemSystem von Hypothesen unterscheiden zu können, dadurch zu lösen, indem erdie Sätze der Theorie als Obersatz, die Randbedingungen (besondere Sätze) alsUntersatz vorstellt. Daß besondere Sätze die logische Form singulärer Es-gibt-Sätze besitzen, reicht aber nicht aus, das ließe sich auch mit einertautologischen Theorie erreichen, aus welche mittels Randbedingungenweitere besondere Sätze analytisch ableitbar wären. — Es sollen nunmehrBasissätze die logische Eigenschaft besitzen, mehr singuläre Sätze abzuleiten,als in den Randbedingungen (also den besonderen Sätzen, die doch selbstschon die Form singulärer Es-gibt Sätze haben sollten) enthalten ist. DerGrund, dies zu können, muß dann wohl in den allgemeinen Sätzen der Theorieliegen, die verdient, eine empirische Theorie genannt zu werden, welche ausden möglichen empirischen Sätzen (Beobachtungsätze) diejenigen auswählt,welche Basissätze der spezifischen Theorie genannt werden können.

31 S. 52, § 21 Logische Untersuchung der Falsifizierbarkeit

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Wie ersichtlich, hängt die erforderliche Eigenschaft einer Theorie, um eineempirische genannt werden zu können, an der Fähigkeit, einen Basissatzbestimmen zu können, der mehr aussagt als der Untersatz (der besondereSatz). Trotzdem werden Basissätze nicht als von den Sätzen der Theorieerzeugt oder abgeleitet betrachtet, sondern die Sätze der Theorie teilen dieBasissätze nur in zwei Klassen ein:

»Mit Rücksicht darauf, daß es gar nicht durchsichtig ist, in welcher Weise einkomplizierteres theoretische System bei der Deduktion von Basissätzenmitwirkt, wählen wir folgende Definition: Eine Theorie heißt „empirisch“ bzw.„falsifizierbar“, wenn sie die Klasse aller überhaupt möglichen Basissätzeeindeutig in zwei nichtleere Teilklassen zerlegt: in die Klasse jener, mit denensie in Widerspruch steht, die sie „verbietet“ — wir nennen sie die Klasse derFalsifikationsmöglichkeiten der Theorie —, und die Klasse jener, mit denen sienicht in Widerspruch steht, die sie „erlaubt“. Oder kürzer: Eine Theorie istfalsifizierbar, wenn die Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten nicht leer ist.«32

Die Basissätze bleiben unabhängig von einer bestimmten Theorie; die Mengealler überhaupt möglicher Basissätze (empirischer Sätze) ist der gefordertenLeistung einer spezifischen Theorie vorausgesetzt; diese Leistung besteht inder Einteilung dieser vorausgesetzten Menge von möglichen Basissätzen inzwei Klassen. — Da Basissätze gegenüber den Protokollsätzen, insbesonderewenn sie bloß sinnliche Erlebnisse aussagen, den Vorzug besitzen sollen, dieVorausgesetztheit einer Theorie reflektiert zu haben, wird damit eine Theorieder Naturwissenschaften überhaupt vorausgesetzt, bevor eine spezifischenaturwissenschaftliche Theorie die Menge der Basissätze überhaupt(empirische Sätze) in zwei entgegengesetzter Mengen von Basissätzenzerlegen kann.

»Hier setzen wir voraus, daß es falsifizierbare Basissätze gibt; wir bemerken, daßwir unter Basissätzen nicht etwa ein System von anerkannten Sätzenverstehen; vielmehr enthält das System der Basissätze alle überhauptnichtwiderspruchsvollen besonderen Sätze einer gewissen Form — sozusagenalle überhaupt denkbaren Tatsachenfeststellungen; es enthält daher auch Sätze,die einander widersprechen.«33

32 S. 53 f., Hervorhebung von mir33 S. 52

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Eine Bestätigung einer eigenen Klasse von Basissätzen überhaupt (empirischeSätze), die von der Einteilung in »erlaubte« und »verbotene« Basissätzeunabhängig ist. Jedoch erlaubt Popper sonderbarerweise, daß das System derBasissätze als »alle [...] nichtwiderspruchsvollen besonderen Sätze einergewissen Form« daher auch Sätze enthalten soll, die einander widersprechen.Dieses sonderbare »daher« läßt sich nicht anders als dadurch erklären, daßPopper etwas unter den Tisch fallen hat lassen, was die damit ausgesprocheneSchlußfolgerung erst ermöglichen könnte: nämlich die Annahme, daßeinerseits die Menge der Sätze »einer gewissen Form« für die Idee einereinheitlichen Theorie der Naturwissenschaft stehen könnte, die andererseitserst nach einer regionalontologischen Vorentscheidung im Rahmen derKonkurrenz von (spezifischen) Theorien einen weiteren Einteilungsgrunderhält, um zwischen erlaubten und verbotenen Basisätzen zu unterscheiden.

»Die Basissätze spielen also zwei verschiedene Rollen: Einerseits ist das Systemaller logisch-möglichen Basissätze sozusagen ein Bezugssystem, mit dessenHilfe wir die Form empirischer Sätze logisch kennzeichen können; andererseitssind die anerkannten Basissätze Grundlage für die Bewährung von Hypothesen.Widersprechen anerkannte Basissätze einer Theorie, so sind sie nur dannGrundlage für deren Falsifikation, wenn sie gleichzeitig eine falsifizierendeHypothese bewähren.«34

Das ist die wesentliche Unterscheidung, welche die Erkenntnislogik von derformalen und reinen Logik unterscheidet: ein bloßer vereinzelter Widersprucheines besonderen Satzes (als von der Form eines singulären Es-gibt-Satzes)reicht nicht zur Widerlegung eines allgemeinen Satzes einer Theorie, es mußein anerkannter Basissatz, d. h. ein »verbotener« Basissatz sein. — Das, was dieBasissätze mehr aussagen können sollen als die Randbedingungen (besondereSätze, empirische Sätze) ist offensichtlich allgemein ausgedrückt dieEigenschaft, ein »verbotener« Basissatz zu sein, was einschließen soll, eineentgegengesetzte Hypothese (eine widersprechende Theorie) zu bewähren.

Es wurde in dieser Arbeit eingangs schon erwähnt, daß Popper die Auffassung,ein besonderer Satz müsse ein singulärer empirischer Satz sein, später wiederaufgibt. Diese Auffassung wird weiter unten im Abschnitt »Die

34 S. 54

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metaphysischen Sätze« ausführlich diskutiert; hier geht es um die »logischeForm« einer Theorie, die eine »empirische« Theorie genannt werden kann. Ichwill aber festhalten, daß diese Änderung der Auffassung nicht aus einerUntersuchung des zweiten Teils der L. d. F.: Bausteine zu einer Theorie derErfahrung, ferngehalten werden kann, nur weil dies eine Überlegung aus demneuen Anhang ist. Schon in § 18 (Relativität des Basissätzes) wird dieBeschränkung der Basissätze und besonderer Sätze auf die Form singulärer Es-gibt-Sätze zurückgenommen. In § 29 behandelt Popper ausdrücklich die»Relativität des Basissatzes«:

»Jede Nachprüfung einer Theorie, gleichgültig, ob sie als deren Bewährungoder als Falsifikation ausfällt, muß bei irgendwelchen Basissätzen haltmachen,die anerkannt werden. Kommt es nicht zu einer Anerkennung vonBasissätzen, so hat die Überprüfung überhaupt kein Ergebnis. Aber niemalszwingen uns die logischen Verhältnisse dazu, bei bestimmten ausgezeichnetenBasissätzen stehenzubleiben und gerade diese anzuerkennen; jeder Basissatzkann neuerdings durch Deduktion anderer Basissätze überprüft werden;wobei unter Umständen die gleiche Theorie wieder verwendet werden mußoder auch eine andere.«35

Demnach können Basissätze auch nicht singuläre Es-gibt-Sätze sein, wenn siedurch andere Basissätze überprüft werden können. Insofern tut Popper Machmit seiner Kritik unrecht, wenn dieser die Fouriersche Theorie derWärmeleitung eine »physikalische Mustertheorie« nennt, weil »dieselbe [...]sich nicht auf eine Hypothese [gründet], sondern auf eine beobachtbareTatsache.« Als Tatsache nennt Mach den Satz, daß »... dieAusgleichgeschwindigkeit (kleiner) Temperaturdifferenzen diesen Differenzenselbst proportional ist«. Popper kann das nicht gelten lassen und sagt dazu:»ein Allsatz, dessen hypothetischer Charakter außer Zweifel steht«. (S. 45)Popper hat zweifellos recht, obgleich ich mir gerade in diesem Fall gutvorstellen kann, daß dieser Theorie eine Beobachtung zugrundeliegt, die manerst dann als Hypothese formuliert hat. Jedenfalls hat Popper recht, wenn erdiesen Satz für einen Allsatz hält. Jedoch kann auch Popper von der Bedingungder Beobachtbarkeit des Gehalts eines Basissatzes nicht absehen. Das Problemliegt darin, daß auch Popper vom Basissatz fordert, eine Tatsachenaussage zubehaupten; er aber weiters auch fordert, daß der Basissatz selbst als Hypothesenoch ein allgemeiner Satz sei. Daß soll mit der späteren Festsetzung des

35 S. 69

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Basissatzes zum singulären Es-gibt-Satz deshalb zu keinen Widerspruchführen, weil schon der singuläre Basissatz aus Universalien zusammengesetztist. — Ich halte demnach die Beurteilung der Äußerung Machs von dem»methodologischen Beschluß« abhängig, ob ich sie als Basissatz einerHypothese, oder als Hypothese für einen weiteren Basissatz betrachte.

9. Das Problem einer Regel der Anerkenntnis von Basissätzen

Ich möchte ein oben schon behandeltes Zitat noch hinsichtlich der Regeln derAnerkenntnis von Basissätzen vertiefen:

»Wenn wir verlangen, daß diese Hypothese empirisch, also falsifizierbar seinmuß, so ist damit nur ihre logische Beziehung zu möglichen Basissätzengemeint, d.h., diese Forderung bezieht sich auf die logische Form derHypothese. Die Bemerkung hingegen, daß sich die Hypothese bewährt,bezieht sich auf ihre Prüfung durch anerkannte Basissätze*. Die Basissätzespielen also zwei verschiedene Rollen: Einerseits ist das System aller logischen-möglichen Basissätze sozusagen ein Bezugssystem, mit dessen Hilfe wir dieForm empirischer Sätze logisch kennzeichnen können; andererseits sind dieanerkannten Basissätze Grundlage für die Bewährung von Hypothesen.Widersprechen anerkannte Basissätze einer Theorie, so sind sie nur dannGrundlage für deren Falsifikation, wenn sie gleichzeitig eine falsifizierendeHypothese bewähren.« 36

Poppers Anmerkung dazu (*) bezieht sich auf den Regreß der Basissätze:

»Es könnte scheinen, als enthielte diese Bezugnahme auf anerkannte Basissätzeden Keim eines unendlichen Regresses. Denn unser Problem ist hier folgendes.Da eine Hypothese durch Anerkennung eines Basissatzes falsifiziert wird,brauchen wir methodologische Regeln für die Anerkennung von Basissätzen.Wenn sich nun diese Regeln ihrerseits auf anerkannte Basissätze berufen,können wir in einen unendlichen Regreß geraten. Darauf erwidere ich, daß dieRegeln, die wir brauchen, nur Regeln für die Anerkennung derjenigenBasissätze sind, die eine bestimmte gut geprüfte und bisher erfolgreicheHypothese falsifizieren; und daß die anerkannten Basissätze, auf die sich dieRegel selbst stützt, diese Eigenschaft nicht zu haben brauchen.«

36 S. 54 f.

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In der hier wiedergegebenen Anmerkung geht Popper auf das entscheidendeProblem ein: wie ist der Anerkenntnis Kriterien zu geben? Im Versuch, daraufeine Antwort zu geben, weist Popper auf die Charakteristik seinerUntersuchung hin: Diese Regeln der Anerkenntnis beziehen sich nur auf»Basissätze, die eine bestimmte, gut geprüfte und bisher erfolgreicheHypothese falsifizieren«.

Die Eigenschaft, die die Basissätze, auf welche sich die Regel selbst stützt, nichtzu haben braucht, ist aber die, Basissätze einer »bestimmten, gut geprüftenund bisher erfolgreichen Hypothese« zu sein. Woher nimmt diese Regel derAnerkenntnis von falsifizierenden (mit Wahrheit behaupteten „verbotenen“)Basissätze aber dann ihre Sicherheit? Doch wohl von der Forderung, derregelgerecht anerkannte falsifizierende Basisssatz müsse die Hypothese einervergleichbar gut überprüften und bewährten Theorie bewähren (da Popperdoch im dazugehörigen Text fordert, daß ein solcher Basissatz auch immer eineder falsifizierten Hypothese entgegengesetzte Hypothese bewähren könne),und nicht von einer Reihe regellos erlaubter Basissätze. Dem wäre dochabermals die allgemeine Form der Regel der Anerkenntnis von Basissätzeneiner Theorie zunächst durchaus zu entnehmen: Erstens müssen dieFestsetzungen in der Interpretation der Axiome zu obersten allgemeinenempirischen Sätzen, grob gesagt, einen möglichst großen Grad anExponierbarkeit der Theorie in der Erfahrung gewährleisten (vielefalsifizierbare Hypothesen produizieren), und zweitens muß die Theorie samtihren Basissätzen, deren Menge eben deren größtmögliche Falsifizierbarkeitgarantieren sollen, bereits über längere Zeit bewährt sein.

Es stellt sich nun die Frage, weshalb Popper hier das Problem von Basissätzen,auf welche diese Regel sich selbst stützt, eigens aufwirft. Die Antwort kannmeiner Meinung nach nur in der Schwierigkeit gesucht werden, die dieBedingung nach sich zieht, daß die durch Tatsachenfeststellung widerlegtenanerkannten Basissätze einer Theorie nur dann Grundlage für derenFalsifikation sein können, wenn sie gleichzeitig eine falsifizierende Hypothesebewähren. Popper verlangt dies deshalb, um die Möglichkeit eines logischenWiderspruches zwischen Basissatz und Tatsachenfeststellung garantieren zukönnen.

Daraus ergibt sich allerdings, daß eben zwei Reihen von ableitbarenBasissätzen zu vergleichen sind: die Reihe von Basissätzen, die aus einer

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überprüfbaren Hypothese der Theorie ableitbar sind — deren Regel wurdeeben vorhin umrissen. Die Bewährung setzt aber die Möglichkeit eines logischeindeutigen Widerspruches von abgeleiteten verbotenen Basissatz und einerdiesen widersprechenden Tatsachenfeststellung voraus, deren EindeutigkeitPopper mit der Bedingung, daß mit der Falsifikation der betrachtetenHypothese zugleich eine falsifizierende Hypothese bewährt wird, garantierenwill. Damit beruht ein Teil der Regel der Anerkenntnis von Basissätzen derbetrachteten Theorie auf eine Reihe von Basissätzen, die aus der Erfahrung vonden Verhältnissen zweier widerstreitender Theorien stammen, aber eben nichtzu der Reihe der jeweiligen Basissätze einer bestimmten Theorie gehörenkönnen. Weshalb Popper nun meint, die Eigenschaft, die die anerkanntenBasissätze, auf welche sich die Regel selbst stützt, nicht zu haben braucht, seidie, Basissätze einer »bestimmten, gut geprüften und bisher erfolgreichenHypothese« zu sein, bleibt von hier aus unverständlich. Vorläufig kann dazunur soviel vermutet werden, daß Popper verhindern will, daß die Metatheorieder Methode der wissenschaftlichen Erkenntnis selbst nichts anderes sei alseine empirische Wissenschaft. Er verweist auf Kap. V., 29..

In Kap. V., § 29, verfolgt Popper den in der oben wiedergegebenenAnmerkung vorgestellten Gedankengang weiter:

»Wie steht es nun mit dem Friesschen Trilemma: Dogmatismus — unendlicherRegreß — Psychologismus? (Vgl. 25.) Die Basissätze, bei denen wir jeweilsstehen bleiben, bei denen wir uns befriedigt erklären, die wir als hinreichendgeprüft anerkennen — sie haben wohl insofern den Charakter von Dogmen,als sie ihrerseits nicht weiter begründet werden. Aber diese Art vonDogmatismus ist harmlos, denn sie können ja, falls doch noch ein Bedürfnisdanach auftreten sollte, weiter nachgeprüft werden. Wohl ist dabei die Ketteder Deduktion grundsätzlich unendlich, aber dieser „unend-liche Degress“ istunbedenklich, weil durch ihn [nach unserer Theorie] keine Sätze bewiesenwerden sollen oder können.«37

Das gesuchte Kriterium für die Anerkenntnis von Basissätzen nach Regeln liegtdemnach in der Vermeidung des Frieschen Trilemmas, wovon Popper denVorwurf des Psychologismus überzeugend, den des Dogmatismushinreichend, den des unendlichen Regressus aber nur ungenügend abwehrenkann. Die Fußnote zu diesem Absatz vermag die Richtung anzugeben, in

37 S. 70 f.

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welcher die Basissätze zu suchen seien, worauf die Regel der Anerkenntnis vonfalsifizierenden Basissätzen zu gründen wären, ohne abermals auf TheorienBezug zu nehmen, die selbst gut geprüft und bewährt sind:

»Es scheint mir, daß die hier vertretene Auffassung der „kritizistischen“ (etwain der Friesschen Form) näher steht als dem Positivismus. Denn während Friesdurch seine Lehre vom „Vorurteil des Beweises“ betont, daß das (logische)Verhältnis der Sätze untereinander ein ganz anderes ist als das zwischen denSätzen und den Erlebnissen (der „Anschauung“), versucht der Positivismusimmer wieder diesen Gegensatz aufzuheben: entweder wird alle Wissenschaftzum Wissen, zu „meinem“ Erlebnis („Empfindungsmonismus“), oder die„Erlebnisse“ werden in Form von „Protokollsätzen“ in den objektivenwissenschaftlichen B e g r ü n d u n g s z u s a m m e n h a n g einbezogen(„Satzmonismus“).«38

Genau das beansprucht Popper aber selbst, wenn er den psychologischenAspekt der mit dem Konzept des Basissatzes notwendigerweise verbundenen»Beobachtbarkeit« mit der »objektiven« Prozesshaftigkeit von Ereignissen undBewegungen zu ersetzen vorhat.39 Wenngleich Rüdiger Bubner40 dieAbhängigkeit Poppers von Fries auch als Indiz ansieht, den gerade von Popperthematisierten „Wissenschaftsfortschritt“ nicht gebührend behandeln zukönnen, ist diese Abhängigkeit doch auch ein Hinweis auf die Eigentümlichkeitjener Basissätze, auf welche die Regel der Anerkenntnis der die Hypotheseneiner geprüften und bislang bewährten Theorie widersprechenden Basissätzeberuhen soll.

Die für die Regel zur Anerkenntnis von den die Hypothesen der betrachtetenTheorie falsifizierenden Basissätzen vorausgesetzen Basissätze lassen sich nungar nicht im Degressus der Basissätze selbst auffinden. Aus diesem Degressusallein wäre womöglich nicht mehr abzuleiten, als daß aus jedem beliebigenSatz jeder beliebige Satz ableitbar sei — die stoische Implikation (Vgl. Poppers

38 S. 7139 S. 6840 Rüdiger Bubner, Dialektik und Wisssenschaft, Suhrkamp 21974, S. 136, Anmk. 11: »Der

Kantianismus wurde Popper offenbar in der metaphysikabstinenten und psychologienahen Versionvon Jac. Friedr. Fries vermittelt, die zu Anfang dieses Jahrhunderts in der Schule Leonard Nelsonsvertreten wurde. Der Urvater des Wiener Positivismus, Ernst Mach, zitierte Fries gelegentlich lobendin seinem Buch „Erkenntnis und Irrtum“. Gegen Mach: L. Nelson, Ist metaphysikfreieNaturwissenschaft möglich? (1908). In: L.N., Die Reformation der Philosophie durch die Kritik derVernunft, Leipzig 1918. Popper bezieht sich (Logik der Forschung [LdF] [1935], 21966, § 25, s. a.Anm. S. 70) auf die „Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft“ (1828-31) von Fries.«

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Kritik an Neuraths Protokollsatz).41 Es bleibt hier nur mehr die Möglichkeit,diesen Regreß nicht allein logisch zu betrachten, sondern zunächstkommunikationstheoretisch und wissenschaftshistorisch. Die hierherausgearbeitete Problematik kommentiert Rüdiger Bubner insoferntreffend, wenn er auch den Entschluß der Wissenschaftstreibenden zurRationalität mit der rationalen Begründung einer Methode selbst verwechselt:

»Die Falsifikation als solche bedeutet ein logisches Verfahren, der Vorgang derFalsifikation einer bestimmten Hypothese oder Theorie durch einenbestimmten, ihr widersprechenden Basissatz spielt sich dagegen im Rahmeneiner diskutierenden, experimentiell interagierenden und verbindlicheBeschlüsse fassenden Forschergemeinschaft ab. Ein Basissatz wird alsfalsifizierende Instanz vorgeschlagen und gilt also zunächst ebensohypothetisch wie die Theorie, zu deren Widerlegung er beigebracht wurde.«

»Die Rationalität solcher Einigung und die Kriterien der Entscheidung wurdenbefragt, nachdem Popper für diese Grundlage aller Methodologie einenEntschluß zu Rationalität und Diskusssion verantwortlich gemacht hatte. Derdie Rationalität begründende Entschluß sei seinerseits nicht mehr rationalerNatur, sondern eher eine Art Glauben zu nennen.« [Anmk. 16, Popper, Dieoffene Gesellschaft und ihre Feinde (1945), Bern 1957, II, 284 f., 304. Die Lösung,die W. Bartley (Rationality vs. the Theory of Rationality. In: M. BungeEd.,Critical Approach to Science and Phil. F. S. Popper, London 1962) bereithält,greift zu kurz. Es genügt nicht den Kritizismus vom Begründungsproblemabzutrennen, um Rationalität widerspruchsfrei zu legitimieren.] »In demirrationalen Glauben an die Vernunft hat man die transzendentaleRestproblematik aufgespürt, die Popper aus der Anknüpfung an KantsErkenntnistheorie verblieben war.«42

10. Die »logische Form« des Basissatzes. Instantialsätze

Nunmehr kehrt meine Überlegung wieder zur Bestimmung der »logischenForm« des Basissatzes zurück, um in der von Bubner nur angedeuteteSchwierigkeit des »hypothetischen« Charakters von Basissätzen über denkommunikativ und soziologisch relevanten Problemabschnitt »gut bewährter«

41 L. d. F., S. 62. Gegen Neuraths Auffassung des Protokollsatzes verwehrt sich Popper besonders, da

das Kriterium fehlt, welche Wahrnehmungen und Evidenzerlebnisse relevant sind.42 Rüdiger Bubner, cit. op., S. 137

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Theorien hinaus-, und wieder zur Problematik des Überganges von logischenzu erkenntnislogischen Bestimmungen zurückzukommen.

Da nun nur »verbotene« Basissätze zur Bewährung bzw. zur Falsifizierung vonnaturwissenschaftlichen Theorien herangezogen werden,43 diese aber nichtabgeleitet, sondern nur aus empirischen Sätzen zu Basissätzen einer Theorie»qualifiziert« worden sind, stellt sich auch die logische Form des Basissatzeszwischen der Formulierung desselben als Hypothese und als Instantialsatzschließlich nur über einen »methodologischen Beschluß« her. —

Es soll wegen der Unübersichtlichkeit, die in der Bestimmung der logischenForm des Basissatzes herrscht, die entscheidende Stelle zuerst imZusammenhang gegeben werden, bevor die einzelnen Abschnitte behandeltwerden:

»Zunächst: nichts Beobachtbares folgt aus einem reinen Allsatz — „AlleSchwäne sind weiß“ zum Beispiel. Dies sieht man leicht ein, wenn manbedenkt, daß „alle Schwäne sind weiß“ und „Alle Schwäne sind schwarz“einander natürlich nicht widersprechen, sondern zusammen nur implizieren,daß es keine Schwäne gibt, was offensichtlich kein Beobachtungssatz ist, nichteinmal einer, der „verifiziert“ werden kann. (Ein einseitig falsifizierbarer Satzwie „Alle Schwäne sind weiß“ hat übrigens diesselbe logische Form wie „Esgibt keine Schwäne“, denn er ist dem Satz „Es gibt keine nichtweißenSchwäne“ äquivalent).

Gibt man dies zu, dann sieht man sofort, daß diejenigen singulären Sätze,die tatsächlich aus reinen Allsätzen ableitbar sind, keine Basissätze sein können.Ich denke an Sätze der Form: „Wenn ein Schwan am Ort k ist, dann ist einweißer Schwan am Ort k.“ (Oder: „In k ist entweder kein Schwan oder einweißer Schwan.“) Wir sehen nun sofort, warum diese „Instantialsätze“ (wieman sie nennen kann) keine Basissätze sind. Der Grund dafür ist, daß dieseInstantialsätze nicht die Rolle von Prüfsätzen (Falsifikationsmöglichkeiten)spielen können, und das ist gerade die Funktion, die Basissätze erfüllen sollen.Wenn wir Instantialsätze als Prüfsätze annehmen wollten, würden wir für jedebeliebige Theorie (und daher sowohl für „Alle Schwäne sind weiß“ als auch für„Alle Schwäne sind schwarz) eine überwältigend große Zahl vonVerifikationen erhalten — ja sogar eine unendlich große Zahl, da ja der

43 S. 54, § 22

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überwiegende Teil der Welt keine Schwäne enthält. (Das führt fürInstantialsätze zu einer „Bewährungsparadoxie“; siehe S. 204-205.)

Da „Instantialsätze“ aus allgemeinen Sätzen ableitbar sind, müssen ihreNegationen Falsifikationsmöglichkeiten sein und können daher Basissätze sein(wenn die weiter unten im Text angegebenen Bedingungen erfüllt sind).Umgekehrt werden dann Instantialsätze die Form von negierten Basisätzenhaben (vgl. dazu auch Anm.*4 zu 80). Es ist interessant, daß Basissätze (die zustark sind, um aus allgemeinen Gesetzen allein ableitbar zu sein) einengrößeren informativen Gehalt haben als die Instantialsätze, die aus ihnen durchNegation entstehen; das bedeutet, daß der Gehalt von Basisätzen ihre logischeWahrscheinlichkeit übersteigt (denn er muß 1/2 übersteigen).

Dies sind einige der Überlegungen, auf denen meine Theorie der logischenForm der Basisätze beruht.«44

Ich will zuerst auf die Behauptung, Instantialsätze führten zu einer»Bewährungsparadoxie« eingehen. Meiner Auffassung nach können die in derzitierten Fußnote gegebenen Beispiele von Instantialsätzen nicht die Forderungerfüllen, eine Theorie mit Instantialsätzen der Form »Wenn A in k, dann AB ink« an Stelle von Basisätzen besitze die Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1. In derFußnote der diesbezüglich von Popper angegebenen Stelle ist zu lesen:

»Wie in 28 erläutert wurde, gilt für die singulären Sätze, die aus einer Theorieableitbar sind — die „Instantialsätze“ —, daß sie nicht den Charakter vonBasissätzen oder Beobachtungssätzen haben. Wenn wir dennoch beschließen,daß unsere Wahrscheinlichkeit auf der Wahrheitshäufigkeit innerhalb derFolge dieser Sätze beruhen soll, dann wird die Wahrscheinlichkeit immer 1sein, so oft auch die Theorie falsifiziert wird; denn wie in Anm. *1 zu 28 gezeigtwurde, wird fast jede Theorie durch fast alle Instanzen (d. h. fast alle Stellen k)„verifiziert“. Die hier im Text folgende Analyse enthält einen sehr ähnlichenGedankengang, der auch auf dem Begriff der „Instantialsätze“ (.d. h. dernegierten Basisätze) beruht und zeigen soll, daß die Wahrscheinlichkeit jederHypothese, wenn sie auf diesen Instantialsätzen beruht, paradoxerweise gleicheins wird.«45

Ist unter »negierter Basissatz« nun ein verbotener Basissatz, oder einInstantialsatz zu verstehen? In diesem Zusammenhang natürlich letzteres.Popper gibt in § 28 (Fußnote S. 66 f.) ein Beispiel eines Instantialsatzes der 44 S. 67 f, Fußnote beginnt auf S. 6645 S. 204

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Form: »Wenn A in k, dann ist AB in k«, das zwar keinesfalls eine Theorie »AlleA sind B« (fast) endlos verifizieren kann, wie Popper im Anschluß behauptet,aber doch deutlich kein Basissatz ist. Meine Vermutung geht dahin, daß indieser schwachen Fassung des Instantialsatzes, die vom Basissatz abhängigbleibt, nichts als die Fassung des Basissatzes als Hypothese zu sehen ist, diegemäß der zunächst nach oben und unten offenen Hierarchie von jeallgemeineren Sätzen, von den Basisätzen als Teildefinition deren »logischenForm« in § 21 gefordert worden ist (Basissätze sind bereits von einer Theoriequalifiziert). — Dann aber ist die in der Fußnote gegebene Definition desInstantialsatzes (Wenn A in k, dann ist AB in k) zwar kein Basissatz, aber dochauch ohne eigene Festsetzung kein Instantialsatz mit der»Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1«

Wenn aber wirklich, wie von Popper behauptet, die Instantialssätze ausNaturgesetze abgeleitet werden, und diese als Verbote formuliert »negierte Es-gibt-Sätze« bzw. »Es-gibt-nicht-Sätze« sind, dann muß die Ableitung daraus einsingulärer Es-gibt-nicht-Satz sein, und nicht eine falsifizierbare Hypothese. EinInstantialssatz ist ein singulärer Satz, der kein Es-gibt-Satz sein kann, weil eraus einem Allsatz abgeleitet wurde. Deshalb kann er nur ein singulärer Es-gibt-nicht Satz sein. — Das ist eine konsequente in sich richtige Schlußfolgerung,doch dürften dann nur Sätze, die aus generellen Negationen der Form »Es gibtkein A, das B« abgeleitet werden sollten, Instantialsätze sein, und könntenkeinesfalls aus »negierten Allsätzen«, worunter Popper abwechselnd auch diegenerelle Affirmation der Form »Es gibt kein A, das nicht B« versteht,abgeleitet werden. Die Folgen dieser doppelten Definitionsweise der»logischen Form« von Naturgesetzen, einmal nach der generellen Negation,einmal nach der generellen Affirmation, zu verschleiern hat hier Popper sogardazu verführt, die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch zu riskieren.

Die Absicht Poppers, die Instantialsätze als die deduktive Darstellung einesempirischen Satzsystems vorzustellen (gewissermassen als Gegenbild zurInterpretation der Axiome mittels Modellbegriffen), scheint schon an derRadikalität der Vorstellung zu scheitern, aus »negierten universiellen Es-gibt-Sätzen« (S. 39) strenge singuläre Es-gibt-nicht-Sätze abzuleiten zu müssen. Dasvon Popper anhand des Instantialsatzes gedachte Satzsystem soll aber dieWahrscheinlichkeit = 1 besitzen (§ 80, S. 204), weil nach Poppersundifferenzierten Auffassung von »Verbote« Sätze der Form »Wenn A in k,dann ist AB in k« gleich als singuläre Es-gibt-nicht-Sätze ausgegeben werden,die schon unentwegt zur Verifizierung der Hypothesen führen müßten.

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Die diskutierte Fußnote von S. 66 klärt zunächst, was Popper mit seinerzweideutigen Verwendung der Negation meint: Eben nicht die strengerkenntnislogischen Bedeutung als Verbot, daß etwas existiert (S. 39 u.),sondern Sätze der Form »Wenn ein Schwan am Ort k ist, dann ist ein weißerSchwan am Ort k« oder »In k ist entweder kein Schwan oder ein weißerSchwan« (S. 67, Fußnote). Diese Sätze kann man nicht als definitive singuläreEs-gibt-nicht-Sätze bezeichnen, aber Popper macht keineswegs deutlich,weshalb solche Sätze nicht die Rolle von Prüfsätzen übernehmen können. Siesollen deshalb keine Basissätze sein können. — Doch dann wird esabenteuerlich:

»Wenn wir Instantialsätze als Prüfsätze annehmen wollten, würden wir fürjede beliebige Theorie (und daher sowohl für „Alle Schwäne sind weiß“als auch für „Alle Schwäne sind schwarz“) eine überwältigend große Zahl vonVerifikationen erhalten« (S. 67). Wie kommt Popper darauf? Doch nicht unterHeranziehung obiger Beispiele »Wenn ein Schwan am Ort k ist, dann ist einweißer Schwan am Ort k« oder »In k ist entweder kein Schwan oder ein weißerSchwan«. — Es gelte: Alle A sind B oder Alle A sind C. Der Satz: Wenn A in k,dann ist AB in k (Wenn irgend ein x in k, dann ist kein A oder es ist AB) alsPrüfsatz kann die erste Behauptung singulär verifizieren, wenn er wahr ist,oder falsifizieren, wenn er falsch ist. »Wenn A in k, dann ist AB in k« ist eineHypothese des Allsatzes »Alle A sind B«, und muß von Basissätze widerlegtoder bejaht werden, bevor er als Hypothese den Allsatz falsifiziert oderbewährt. Popper begeht hier den Irrtum, den Allsatz durch eine Hypothese»verifizieren« oder »falsifizieren« zu wollen, die selbst nicht entschiedenworden ist. — Gleiches gilt für die Sätze »Alle A sind C«, und »Wenn A in k,dann ist AC in k«. Dieser Prüfsatz ist eben nur wegen seiner allgemeinenFassung kein Basissatz, sondern eine allgemeine Hypothese, die erst dadurchfalsifiziert wird, wenn ein empirischer Satz, der als Basissatz zugelassen ist,dieser Hypothese widerspricht.

Popper übersieht offensichtlich, daß zwischen den Sätzen der Form »Wenn Ain k, dann ist AB in k« und »Alle A sind B« nur zwei Beziehungen existieren:Erstens die Übersetzung eines Allsatzes in eine Hypothese (»Wenn A, dannAB«) und zweitens die Hinzufügung einer Raum-Zeit-Bestimmung. Damit istdie Umformung eines Allsatzes in die Gestalt einer Satzfolge, die von

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Basissätzen verifiziert oder falsifiziert werden kann, erfolgt; aber gerade nichtdie logische Form eines Basissatzes näher bestimmt worden. DieseUmformung hat mit Basissätzen nichts zu tun; in diesem Zusammenhang von»Verifikation« oder »Falsifikation« zu sprechen, ist völlig verfehlt. Popperbringt dies aber damit in Verbindung, daß jeder Basissatz als Hypotheseformulierbar sein soll. Damit stellt sich eine Fatalität ein, die ich im Zuge dieserUntersuchung gar nicht richtig würdigen kann: Kann ein qualifizierterBasissatz (also sowohl ein »erlaubter« wie ein »verbotener« Basissatz) alsHypothese formuliert werden, so ist dieser falsifizierbar. Popper hat in § 21dieses Problem damit sistiert, indem er einen Basisatz qua »Anerkenntnis« als»verbotenen« Basissatz festlegt, wenn dieser imstand ist, einer Hypothesegegebenenfalls zu widersprechen, welche dann ihren Allsatz gegebenenfallsfalsifiziert. Ist diese Möglichkeit gegeben, so besteht kein Grund, diesenBasissatz abermals als Hypothese zu formulieren.

Prinzipiell bleibt aber das Problem bestehen, daß der Basissatz gerade wegenseiner Qualifikation als Basissatz einer bestimmten Theorie, welche ihn ausallen möglichen empirischen Sätzen herausgehoben hat, eben ein Satz dieserTheorie geworden ist, und so auch als Hypothese (und weiters alsfalsifizierbarer Allsatz) darstellbar ist. Es ist zwar aus denkökonomischenGründen nicht sinnvoll, einen anerkannten Basissatz weiters als Hypothese zuformulieren, doch gibt es keinen prinzipiellen Grund, dies nicht zu tun. Darausergeben sich Konsequenzen für die nicht-logischen Abschnitte der Definitionder »logischen Form« des Basissatzes im Rahmen der beabsichtigtenErkenntnislogik. So wird die Eigenschaft der Beobachtbarkeit des Inhalts einerSatzaussage zwar von Popper von jeder Notwendigkeit, psychologischwerden zu müssen, dadurch befreit, indem er an Stelle der BeobachtungssätzeSätze physikalischer Prozesse setzt (was der Interpretation mit Modellbegriffenzu entsprechen scheint), doch wird damit nicht jede Quelle des Irrtumsausgeräumt:

»Man könnte meinen, daß durch die Forderung der Beobachtbarkeit doch einpsychologistisches Element in unsere Überlegung Einlaß findet. Daß das nichtder Fall ist, sieht man daran, daß wir den Begriff „beobachtbar“ zwar auchpsychologistisch erläutern können, aber, wenn wir wollten, statt von einem„beobachtbaren Vorgang“ auch von einem Bewegungsvorgang an(makroskopischen) physischen Körpern“ sprechen könnten; genauer: wirkönnten festsetzen, daß jeder Basissatz entweder selbst ein Satz über

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Lagebeziehungen zwischen physischen Körpern sein oder solchen„mechanistischen“ (oder materialistischen) Basissätzen äquivalent sein muß.«46

Mit dieser Festsetzung beansprucht Popper doch wieder ein synthetischesUrteil a priori; oder er setzt einfach das Ergebnis der empirischen Theorie afortiori der logischen Form des Basissatzes voraus. Daraus ist zu schließen, daßzwar ein Basissatz, unabhängig ob aus psychologischen oder aus theoretischenGründen, in der Konsequenz nach Popper falsch sein kann, aber nicht einBeobachtungssatz (empirischer Satz). Ein Beobachtungssatz kann nur ausGründen sinnlicher Täuschung falsch sein. Man darf wohl sagen, daß Popperdenjenigen Basissatz sicherer findet, welcher der Bewährung deraussagekräftigeren Theorie nicht widerspricht.

Poppers Forderung in der diskutierten Fußnote aus § 28 (S. 67), daß jedeFassung des Instantialsatzes der Form »Wenn A in k, dann ist AB« jede Theorie(fast?) endlos verifizieren könne, kann sichtlich sowenig erfüllt werden wie dieAuffassung, Instantialsätze dieser »logischen Form« könnten eine spezifischeTheorie falsifizieren. Ohne Basissatz kann eine Hypothese den Allsatz einerTheorie weder verifizieren noch falsifizieren. — Meint er im Fortgang seinesGedankenganges in der diskutierten Fußnote nun doch wieder, der singuläreEs-gibt-nicht-Satz in logisch strenger Fassung: »Es gibt kein AB in k1-n « sei derInstantialsatz? Es scheint so: Popper setzt im Text nach dem obigen Zitatnämlich fort zu behaupten, daß die Zahl der von Instantialsätzen zu erhaltenenVerifikationen eine unendlich große Zahl sei, »da ja der überwiegende Teil derWelt keine Schwäne enthält. (Das führt für Instantialsätze zu einer„Bewährungsparadoxie“; siehe S. 204-205).«47

Der Hinweis auf die Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1 deduktiv dargestellterTheorien mit Instantialsätze an Stelle von Basissätzen paßt mit der hier vonPopper geäußerten Absicht zusammen, aber nicht mit seinen gegebenenBeispielen. Weder Sätze der Form »Es gibt kein AB in k1-n« noch diehypothetische Formulierung des Allsatzes »Alle A sind B«, vermögen dieBedingungen der »Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1« zu erfüllen. Das bedarfvielleicht einer Erinnerung: Seit § 15 wird die Eigenschaft der »logischen Form«der Naturgesetze sowohl mit der generellen Negation wie mit der generellen 46 S. 6847 S. 67, Fußnote

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Affirmation beschrieben; und zwar im Glauben, damit in beiden Fällen vonnegierten universiellen Es-gibt-Sätzen auszugehen. Der Nachweis, daß dies einIrrtum ist, zeigt, daß eigentlich nur eine Ableitung singulärer Sätze aus den inVerbotsform formulierten Naturgesetze zu bedenken wäre; nämlich dieAbleitungen aus Naturgesetzlichkeit aussagenden Sätzen der Form »Es gibtkein A, das nicht B«. Eine solche Ableitung wird aber von rein logischer Seiteverboten: Diese Form hat exakt die Bedeutung eines Allsatzes, und weil ausAllsätze keine singulären Es-gibt-Sätze abgeleitet werden können, kann geradeaus jener Verbotsform der Naturgesetze, die allein sinnvoll weiters zu erörtensein dürfte, kein strenger Instantialsatz ableitbar sein. — Allein die in derdiskutierten Fußnote ebenfalls behandelte schwache Version derInstantialssätze (die bloß keine Basissätze sind) ließe sich als Ableitung aus dervon Popper (fälschlicherweise so genannten) zweiten »Verbotsform« denken.Diese Überlegung bedient sich bekanntlich der Möglichkeit des Basissatzes, alsHypothese formuliert werden zu können, die mit den Formulierung einesAllsatzes als Hypothese allerdings nichts zu tun hat. Um diese beiden Ansätze(Deduktion »von oben« und Deduktion »von unten«) zu vereinigen, müßteman das logische Verbot, aus einem bloßen Allsatz einen singulären Es-gibt-Satz ableiten zu können, hinsichtlich des Projektes einer »Erkenntnislogik«umbiegen.

Um aber überhaupt strenge Instantialsätze zu denken, die an Stelle vonBaissätzen eine Theorie die »Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1« zusprechenlassen müßte sich Popper schon dazu versteigen, die Behauptung von A fürunmöglich zu halten, um zu erreichen, daß die Negation der Behauptung derUnmöglichkeit von A von allen Dingen des Universums verifiziert wird.

11. Dialektik oder Täuschung?

Sieht man nun auf die Feststellungen, die am Anfang der in der diskutiertenFußnote von Popper zusätzlich gegebenen Erläuterung getroffen werden, soverdichtet sich der Verdacht zur Gewißheit, daß Popper bei der Bestimmungder logischen Form des Basissatzes im großen Stil scheitert. Zunächst beginntes ganz harmlos mit zwei Feststellungen zur Frage, weshalb aus Allsätze keinesingulären Es-gibt-Sätze abgeleitet werden können:

»Zunächst: nichts Beobachtbares folgt aus einem reinen Allsatz — „AlleSchwäne sind weiß“ zum Beispiel.« — Sieht man davon ab, Popper gerade

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hierin widersprechen zu wollen, da sowohl Schwäne wie die Weiße Konzeptesind, die nur als Beobachtbares zu denken sind, kann man auch derFortsetzung insofern zustimmend folgen: »Das sieht man leicht ein, wenn manbedenkt, daß „Alle Schwäne sind weiß“ und „Alle Schwäne sind schwarz“einander natürlich nicht widersprechen«, wenn man bloß dieseWiderspruchslosigkeit bedenkt. — Völlig unverständlich wird es aber, wennPopper allen Ernstes darin eine Erklärung sieht: »Das sieht man leicht ein,wenn man bedenkt, daß „Alle Schwäne sind weiß“ und „Alle Schwäne sindschwarz“ einander natürlich nicht widersprechen, sondern zusammen nurimplizieren, daß es keine Schwäne gibt, was offensichtlich keinBeobachtungssatz ist, nicht einmal einer, der „verifiziert“ werden kann.«

Popper impliziert also, daß es keine weiß-schwarze Schwäne gibt, und wennman auf die billige Möglichkeit verzichtet, auf beobachtbare weiß-schwarzeSchwäne hinzuweisen, weil vorauszusetzen ist, daß es sich bei den behandeltenBeispielfällen nur um rein weiße oder nur um rein schwarze Schwäne handelnsoll, so hält er zurecht erst die gemeinsame Behauptung der beiden Allsätze fürunmöglich, und nicht die Sätze „Alle Schwäne sind weiß“ und „Alle Schwänesind schwarz“ selbst für von vorneherein einander aus logischenGründenwidersprechend. Wie auch die mögliche Erfahrung über die beidenalternativen Allsätze entscheidet, eines kann vor jeder Erfahrung gewiß sein:ich kann nicht beide Allsätze zugleich mit Wahrheit behaupten. — Soweit kannman Poppers Gedankengang folgen, und er hätte auch damit recht, würde erunter der oben explizit gemachten Voraussetzung behaupten, daß ein weiß-schwarzer Schwan unmöglich ist, und ein Satz, der dieses ausdrückt keinBeobachtungssatz ist »und nicht einmal verifiziert werden kann«. — Popperbehauptet hier aber, daß, weil aus der Zusammenbehauptung beider Allsätzeunmögliches behauptet würde, auch daraus zu folgern ist, daß es überhauptkeine Schwäne gibt, weder schwarze, weiße, karierte oder rosa Schwäne.

Das ist eine unvollständige Dialektik zwischen Logik und Modalität,48 die alsganze Dialektik auszugeben selbst geeichte Rezensenten posthegelianischerLiteratur beeindrucken müßte. — Der nachfolgende Klammerausdruck zeigt,daß Popper seit der Exponation der universiellen Es-gibt-Sätze und derVerbotsform der Naturgesetze in § 15 nur wenig dazugelernt hat. Bislang hatPopper Sätze der Form »Es gibt kein AB« und »Es gibt kein A, das nicht B«beide abwechselnd für die logische Form der Formulierung der Naturgesetze 48 Eine Argumentationsfigur, die seit der mittelalterlichen Philosophie in der philosophischen Literatur

als ontologischer Gottesbeweis bekannt ist (Anselm von Canterbury).

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als »Verbote« gehalten. Obwohl er endlich einsieht, daß die Sätze »Alle A sindB« und »Kein A, das nicht B« äquivalent sind, und nicht »Es gibt ein AB« und»Kein A, das nicht B«, gesteht er nicht einen Irrtum ein, sondern glaubt in derTat lieber, daß die generelle Negation (Kein AB ist) und die generelleAffirmation (Alle A sind B) von »der selben logischen Form« sind. — Popperschreibt unmittelbar im Anschluß an obiges Zitat:

»(Ein einseitig falsifizierbarer Satz wie „Alle Schwäne sind weiß“ hat übrigensdieselbe logische Form wie „Es gibt keine Schwäne“, denn er ist dem Satz „Esgibt keine nichtweißen Schwäne“ äquivalent)«

Man darf davon ausgehen, daß das »er« im zweiten Hauptsatz auf den Allsatzzu beziehen ist, denn in der Tat sind beide gleichbedeutende Allsätze. Daß aberdie extensionale Darstellung »Alle A sind B« die selbe logische Form wie »Esgibt kein A« besitzen soll, ist doch verwunderlich: Ich würde meinen, daß,abgesehen von der naheliegensten Verschiedenheit der extensionalen und derintensionalen Darstellung, der Unterschied der Sätze, die mit A und B gebildetwerden können und der Sätze, die entweder nur mit A oder nur mit B gebildetwerden können, doch durch einen ursprünglichen Unterschied in der logischenForm gekennzeichnet ist. Dazu gibt es im zweiten Satz keinen Quantifikator.Was versteht Popper in diesem Zusammenhang unter »logische Form« einesSatzes?

Die einzig sinnvolle Interpretation dieser Fehlleistung scheint nur sein zukönnen, daß Popper nunmehr die Modalität von allgemeinen (oderuniversalen) Sätzen überhaupt vergleicht, und das mit der »logischen Form«verwechselt. Denn in der Tat besitzen generelle Affirmationen und generelleNegationen ihrem Anspruch nach gleichermaßen Notwendigkeit. — Popperdemonstriert womöglich, daß er hier letztlich wie Brentano glaubt, daß dieRegeln des richtigen Urteilens auf Existenzurteile zurückzuführen sind, wenner in dieser Hinsicht von »logischer Form« spricht. Diese Vermutung würdeaber bloß das Problem verschieben und Poppers Ableitung aus denVerbotsformen der Naturgesetze deshalb nicht als richtige Ableitungverstehen lassen können. — Die Darstellung derselben einmal als generelleAffirmation und einmal als generelle Negation ist, was letzteres betrifft, nichtnur von Seiten der Naturwissenschaft zu bezweifeln, sondern beginnt, denSatz vom Widerspruch aufzuweichen, weil Popper offensichtlich beabsichtigt,die generelle Negation aus ihrer Opposition zur generellen Affirmationherauszuholen, um sein Argument zur Bestimmung der logischen Form des

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Verbotes als Form von naturgesetzlichen Aussagen zu stützen. Keine noch sosubtil interpretierte »logische Form« kann aber aus der generellen Negationeinen Allsatz machen; und das Naturgesetze Allsätze sein sollen, daß setztPopper doch allenthalben voraus. — So behauptet Popper auf der selben Seitedas genaue Gegenteil: »Sätze die eine andere logische Form haben wie ihreNegate, haben wir schon kennengelernt: Allsätze und universielle Es-gibt-Sätzegehen auseinander hervor und haben dabei verschiedene logische Form.«

Ich denke, daß Popper in aller Schlichtheit wegen der Gleichheit derOperatoren beim Satzsubjekt allein (es gibt kein) auf »dieselbe« logische Formdes ganzen Satzes geschlossen hat. Ein offensichtlich unzureichender Schluß,der zu einem falschen Ergebnis kommt und ganz zu der Hilflosigkeit paßt, diePopper zwischen Allsätzen und universiellen Es-gibt-Sätzen befällt.

Meine obige Kritik an der Darstellung des Instantialsatzes im darauffolgendenAbsatzes der behandelten Erläuterung ist also völlig zu Recht erfolgt: Poppergreift zur Rettung seiner unhaltbaren Grundannahmen aus § 15 sogar auf dieDialektik von Existenzurteilen zurück. — Nachdem Popper im zweiten Absatzder diskutierten Fußnote die Instantialssätze auf die weiter oben kritisierte Artund Weise zu einer »Bewährungsparadoxie« (S. 204-205) geführt hat,behauptet Popper gleich am Anfang des dritten Absatzes das Gegenteil:

»Da „Instantialsätze“ aus allgemeinen Sätzen ableitbar sind, müssen ihreNegationen Falsifikationsmöglichkeiten sein und können daher Basissätze sein.«— Nur der Präzision zuliebe hätte ich es vorgezogen, die Instantialsätze nichtbloß aus allgemeinen Sätzen abzuleiten, denn alle Sätze, die aus Universalienzusammengesetzt sind, sind allgemeine (oder universale) Sätze, nicht nurAllsätze (§ 15; S. 39). Auch sieht man davon ab, kann man nur dannzustimmen, daß die Negationen der Instantialsätze Falsifikationsmöglichkeitensein müssen, wenn zuvor (wie wieder im Schlußteil des zweiten Absatzes derFußnote) festgesetzt worden ist, daß Instantialsätze durch die Negation vonVerbotssätzen (universiellen Es-gibt-nicht-Sätze zu singuläre Es-gibt-nicht-Sätze) erzeugt werden. Die »Verbotsform« von Naturgesetzen wird aber nichtnur von der Form der generellen Negation bestimmt. Geht man davon aus,was der im Zitat gegebene Satz grammatikalisch aussagt, dann sollten wegendieser möglichen Negation der Negation von »negierten Allsätzen« dieInstantialsätze dann doch selbst auch Basissätze sein können. Popper setztjedenfalls fort, daß die Instantialsätze ... daher Basissätze sein können , »wenndie weiter unten im Text angegebenen Bedingungen erfüllt sind«.

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Bezieht sich das auf den Fortgang in § 28, dann kann daraus für diese Stellekeine weitere Entscheidungshilfe erwartet werden, da desweiterendiesbezüglich zunächst nur von der Umwandlung eines singulären Es-gibt-Satzes in einen universiellen Es-gibt-Satzes mittels Wegnahme der Raum-Zeit-Bestimmung (k) gehandelt wird. Universielle Es-gibt-Sätze sollen nun (obwohlin § 15 ausgeschlossen) dann doch zur Widerlegung von Allsätzen notwendigsein. Im nächsten Absatz wird gezeigt, wie ein Basissatz aus einen allgemeinenSatz und einen Basissatz zusammengesetzt werden kann. Abermals wirddeshalb aus einem Instantialsatz (dann in der Fassung »Wenn A in k, dann ABin k«) aber kein Basissatz, sondern Popper zeigt dort nur, daß ein Satz, der keinBasissatz ist, gemeinsam mit einem anderen Satz, der als Basissatz qualifiziertworden ist, einen Satz bilden kann, der selbst die Funktion eines Basissatzesübernehmen kann. — Hier interessiert, daß daraus für die Umwandlung einesInstantialsatzes in einen Basissatz nichts zu erwarten ist. — Ich setze das Zitatunmittelbar fort:

»Umgekehrt werden dann Instantialsätze die Form von negierten Basissätzenhaben (vgl. auch Anmk. *4 zu 80 [S. 204]).«

Damit werden doch alle »verbotenen« Basissätze zu Instantialsätze erklärt. Wienun eine Theorie mittels Basissätze geprüft werden soll, die schon die»Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1« besitzen, wird auch Popper nicht mehrerklären können. Popper hat hier zwar schon einmal bemerkt, daß seineDoppelstrategie der Negation (generelle Negation und generelle Affirmationals die »logische Form« der Verbotssätze) nicht tragfähig genug für seineZwecke ist (so wird im § 80 die von Instantialsätzen interpretierte Theoriewahlweise auch die »Falschheitswahrscheinlichkeit« zugeordnet), zieht hieraber daraus in Fortgang seiner Darstellung keine Schlußfolgerungenhinsichtlich des schon weiter oben aufgezeigten Ungenügens dieser Strategie.

12. Die schwache und die starke Definition der Instantialsätze. Die Analogiezur »logischen Form« der Basissätze

Zur Gleichsetzung von Instantialsätzen und negierten Basissätzen müßtePopper jene Stelle heranziehen, die jeder Theorie eine Menge von Basissätzenzuordnet (»erkenntnis«-logisch mögliche Basissätze einer Theorie) und diese inzwei Teilklassen zerlegt: den »verbotenen« und den »erlaubten« Basissätzen

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(§ 21). Popper gibt nun kein Beispiel oder eine sonstige Grundlage, worausVermutungen angestellt werden könnten, wie die »logische Form« eines»verbotenen« Basissatzes aussehen könnte, außer, daß er kein besonderer Satzvon der Form eines singulären Es-gibt-Satzes sein kann. Es liegt aber in der Tatnahe, diesen als »singulären Es-gibt-nicht-Satz« zu bezeichnen. Demnachbesitzen die Instantialsätze doch die Form der »verbotenen« Basissätze,obgleich im zweiten Absatz der untersuchten Fußnote behauptet wird, daß siekeine Basissätze sein können. Was aber schwerer wiegt als dieser weitereWiderspruch in einem Abschnitt, der Popper offensichtlich völlig mißlungenist, ist, daß damit auch die Falsifizierbarkeit von Hypothesen einer Theoriemittels »verbotenen« Basissätzen in Frage gestellt wird, weil dochInstantialsätze die »Wahrheitswahrscheinlichkeit = 1« besitzen sollen.

Eine nähere Bestimmung der »logischen Form«, die zu einer eventuellenUnterscheidung von »verbotenen« Basissätzen und Instantialsätzen kommenkönnte, kann hier aber nun weder aus der Ableitung von singulären Sätzenaus der einen »Verbotsform« (generelle Negation) noch aus der anderen(generelle Affirmation in Gestalt eines Es-gibt-Satzes) gewonnen werden,sondern nur mehr aus dem Vergleich von Eigenschaften der »verbotenen«Basissätze und den Eigenschaften der behaupteten Instantialsätze als Ableitungvon »negierten Allsätzen« selbst. Und zwar, weil einerseits aus einer generellenNegation Beliebiges gefolgert werden kann, und andererseits, weil dieAbleitung eines singulären Es-gibt-Satzes aus einer generellen Affirmation auslogischen Gründen gleich verboten ist. — Über dem Umweg der einernaturwissenschaftlichen Theorie implizite vorauszusetzenden Basissätze ist aus»erkenntnislogischen« Gründen zur Formulierung eines Basissatzes bereits die»logische« Eigenschaft, als Hypothese formuliert werden zu können, zuantizpieren. Das aber führt nicht selbst zu Basissätzen, sondern nur zu derschwachen Version der Instantialsätze der Form »Wenn A in k, dann AB in k«.— Daraus ist zu folgern, daß eine Ähnlichkeit der »logischen Form« zwischender schwachen Definition der Instantialsätze der Form »Wenn A in k, dann ABin k« und dem Basissatz wegen der geforderten Eigenschaft, selbst alsHypothese formuliert werden zu können, behauptet werden kann, aber mitder strengen Definition des Instantialsatzes als singulärer Es-gibt-nicht-Satznichts zu tun hat. Dieser wiederum besitzt zwar eine äußerliche Ähnlichkeit mitdem »verbotenen« Basissätzen, doch soll gerade die »Negation« desInstantialsatzes gleich zu Basissätze führen, die die Form singulärer Es-gibt-Sätze besitzen und nicht die Form singulärer Es-gibt-nicht-Sätze.

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Über Poppers Absichten bezüglich der »logischen Form« des Basissatzes lassensich letztlich nur Vermutungen anstellen. Neben den bisher behandeltenEigenschaften des Basissatzes in § 28, eine Beobachtung auszudrücken,49 einsingulärer Es-gibt-Satz mit Raum-Zeit-Bestimmungen zu sein und alsHypothese formuliert werden zu können, kommt die Forderung hinzu, daßdie logische Form des Basissätzes eine Ableitung aus allgemeinerenempirischen Sätzen zu sein habe, weil Basissätze solche sein sollen, die mehraussagen als die bloße Randbedingung in Gestalt besonderer Sätze der Formsingulärer Es-gibt-Sätze (§ 21). Daß diese Forderung nach deduktiverAbleitung auf das logische Problem stößt, daß aus Allsätze keine singulären Es-gibt-Sätze abgeleitet werden können, Basissätze nunmal aber nach § 28entgegen den Ausführungen in § 21 gerade nichts anderes als eben solche sind,ist nur die eine Seite der Problemstellung. Die andere ist, wie aus »empirischenSätzen« Basissätze einer Theorie werden können.

Zweifellos stellt Poppers klare methodisch wie systematisch relevanteEntscheidung, Psychologie aus seiner Erkenntnislogik auszuscheiden, bereitsAnforderungen an den einfachen Beobachtungssatz. Poppers Ersetzung desPsychologismus, der im Beobachtungssatz steckt, durch den Übergang auf denwirklichen Vorgang (Ereignisreihe) ist in sich durchaus konsequent. Ich habeaber vorhin gezeigt, daß dies nicht mittels der von Popper vorgeschlageneWeise der Ersetzung von Beobachtungssätze durch physikalische Sätzegel ingen kann, w e i l gerade d a n n d i e Theor ie dieWahrheitswahrscheinlichkeit = 1 beanspruchen würde — und zwar nichtwegen strenger Instantialsätze der Theorie sondern wegen der Interpretationder »Axiome« der Theorie mittels empirischer Modellbegriffe, die bekanntlichgleichfalls nur nicht falsifizierbare Folgesätze nach sich zieht. DieAnforderungen, die an den einfachen Beobachtungsatz (empirischen Satz)gestellt werden, um sich zum Basissatz einer Theorie zu qualifizieren, sind alsoauf einen anderen Weg der Argumentation festzustellen: DerBeobachtungssatz hat bereits aus Universalien zu bestehen, die zwar nicht vonder spezifischen Theorie abgeleitet werden, aber sowohl den Sätzen einerspezifischen Theorie wie dem Beobachtungssatz gemein sind. Auf diese Weise

49 »Basissätze sind — also in realistischer Ausdrucksweise — Sätze, die behaupten. daß sin in einem

individuellen Raum-Zeit-Gebiet einbeobachtbarer Vorgang abspielt. Wie die in dieser Definitionauftretenden Termini — bis auf den undefinierten, aber erlauterungsfähigen Grundbegriff„beobachtbar“ — präzisiert werden können, wurde bereits (in 23) besprochen.«, S. 69

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soll eine Theorie aus den möglichen Beobachtungssätzen ihre Basissätzeüberhaupt erst qualifizieren können.

Kann aber ein »verbotener« Basissatz, wenn die Theorie wahr ist, überhauptjemals ein Basissatz im Sinne eines Beobachtungssatzes sein? Offensichtlichnein. Ein »verbotener« Basissatz einer bewährten Theorie nähert sich also demStatus eines Instantialsatzes. Der Instantialsatz soll aber darüberhinausgewissermaßen wegen seiner Form als Verbot einerseits das Verbot, daß ausAllsätze keine singulären Es-gibt-Sätze abgeleitet werden können, umgehenkönnen, indem in der strengen Fassung Instantialsätze Ableitungen aus einergenerellen Negation sein sollen. Popper übersieht aber in diesemZusammenhang, daß aus einer generellen Neagtion Beliebiges abgeleitetwerden kann. Andererseits soll gerade der Instantialsatz, in strenger Definitionals Negation formuliert,eine Analogie zum »verbotenen« Basissatz als von derTheorie aus der Menge möglicher »empirischer Sätze« (Beobachtungssätze)ausgewählter Satz herstellen. Das scheint abgesehen von den internenSchwierigkeiten (Verbot ist nicht äquivalent mit Negation) zumindest dieAbsicht Poppers zu qualifizieren, anhand der starken Definition derInstantialsätze eine deduktive Darstellung der Theorie denken zu können undanhand der schwachen Definition der Instantialsätze die falsifizierbareDarstellung der gleichen Theorie.

DIE METAPHSISCHEN SÄTZE

13. Der allgemeinste Satz

Grundsätzlich versuche ich Sätze, die Popper als metaphysisch mit demArgument der Nichtfalsifizierbarkeit aus der Wissenschaft ausschließt,daraufhin zu prüfen, ob sie eine Interpretation eines solchen Axiomensystemsmittels implizit definierter (undefinierter) Universalien sein könnten, das beider Interpretation mittels explizit definierter Universalien bei geeignetenRandbedingungen zu einer empirischen Theorie werden kann.

Anhand zweier schon im ersten Abschnitt (Theorie der Theorien) erörterterZitate will ich die damit aufgeworfene Problematik metaphysischer undempirischer Sätze nochmals beleuchten:

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»Ein Axiomensystem kann zunächst, da seine undefinierten Grundbegriffe alsLeerstellen betrachtet werden können, als ein System von Aussagefunktionenaufgefaßt werden; setzt man fest, nur solche Wertsysteme zu substituieren, diees befriedigen, so ist es ein System von Aussagegleichungen; als solchesdefiniert es implizit eine Klasse von Begriffsystemen. Jedes dasAxiomensystems befriedigende Begriffssystem kann man auch ein „Modell“des Axiomensystems nennen.« [Anmk.: »Heute würde ich klar unterscheidenzwischen den Systemen von Objekten, die ein Axiomensystem befriedigen, unddem System der Namen dieser Objekte, die in die Axiome eingesetzt werdenkönnen (und sie wahr machen), und ich würde nur das erstgenannte Systemein „Modell“ nennen. Daher würde ich jetzt schreiben: „nur Namen vonObjekten, die ein Modell darstellen, sind zur Substitution zugelassen.“«]50

»Innerhalb eines theoretischen Systems können wir Sätze von verschiedenerAllgemeinheitsstufe unterscheiden. Die allgemeinsten Sätze sind die Axiome;aus ihnen kann man weniger allgemeine Sätze deduzieren [wohl aber nur durchEinsetzung von „Namen“  GWC]. Allgemeine empirische Sätze haben in bezugauf die aus ihnen ableitbaren weniger allgemeinen immer den Charakter vonHypothesen, d. h., sie können durch Falsifikation eine von den wenigerallgemeinen Sätzen falsifiziert werden. Aber auch die weniger allgemeinenSätzen eines solchen hypothetisch-deduktiven Systems sind noch immer imSinne unserer Begriffsbestimmungen „allgemeine Sätze“.«51

Hier ist auf das Verhältnis von Axiome und deren undefinierten Grundbegriffeim ersten Zitat und den allgemeinsten Sätzen im zweiten Zitat zu achten. DerUnterschied, der zu machen ist, ist im zweiten Satz genau abzulesen: Zuerstspricht Popper von allgemeinsten Sätzen, die Axiome sind, im nächsten Satznur von allgemeinen empirischen Sätzen, die immer schon den Charakter vonHypothesen besitzen. Axiome selbst sind aber weder verifizierbar nochfalsifizierbar. Und zwar, weil sie »allgemeinste« Sätze sind, die erst mittelsEinsetzung von »Namen« in Übereinstimmung mit einem möglichen Modellvon Objekten zu »allgemeine empirische Sätze« werden. Wobei die»allgemeinen empirischen Sätze« im Falle, die Objekte wärengrammatikalische oder mathematische Gegenstände, hinsichtlich des Attributs»empirisch« entsprechend auf ihren Anwendungsbereich modifiziert werdenmüßten.

50 S. 4351 S. 44

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Allgemeinste Sätze sind nach dieser Auffassung uninterpretierte Axiome undals solche nicht falsifizierbar, der Unterschied von allgemeinsten Sätzen undallgemeinen empirischen Sätzen liegt darin, daß die ersteren nicht interpretiertund nur die zweiteren interpretiert sind, was man daran erkennen kann, daßPopper erst im nächsten Satz von allgemeinen empirischen Sätzen, abernirgends von allgemeinsten empirischen Sätzen spricht. DieNichtfalsifizierbarkeit von uninterpretierten Axiomen ist die Folge derPopperschen Darstellung und steht nicht im Widerspruch dazu.

Wie schon im Kapitel »Die Interpretation der Axiome« von mir deutlichgemacht, ist aber nicht eindeutig und klar, ob Popper hier unter den Axiomenbloß logische oder auch mathematische Axiome versteht, und warum hierunter Axiome nicht auch naturwissenschaftliche Axiome verstanden werdensollten. Diese Schwierigkeit ergibt sich aus dem Interpretationsspielraum, dersich zwischen uninterpretierten Axiomen und mit undefinierten Universalieninterpretierten Axiomen herstellt. Die uninterpretierten Axiome als Formender Aussagefunktionen, und so als Modell der logischen Theorie (oder gleichals diese selbst) zu verstehen, wäre naheliegend. Die mittels undefinierterUniversalien interpretierten Axiome ergeben zweierlei Aussagensysteme, jenachdem, ob die undefinierten Universalien implizit definierter Begriffe inempirischer oder in nichtempirischer Verwendung stehen. Das könnte alsHinweis auf physikalische und mathematische Axiome verstanden werden. —Doch steht dieser bloßen systematischen Denkmöglichkeit eine anderesystematische Denkmöglichkeit gegenüber, welche ich oben schon angerissenhabe: die uninterpretierten wie die mittels undefinierter Universalieninterpretierten Axiome stehen den explizit interpretierten Axiomen gegenüber;der Gebrauch des Wortes »empirisch« hat dann keine eigenständigeBedeutung mehr, sondern bezieht diese nur aus dem Gegenverhältnisimpliziert und explizit definierter Begriffe, wobei letztere denGegenstandsbereich der Anwendung der Axiome bestimmen.

Soweit zu den Interpretationsmöglichkeiten des axiomatischen Systems vonAussagefunktionen. Ich habe nun das wegen der »allgemeinsten Sätze« wiederstrapazierte Zitat aus § 18 schon deshalb als Unterscheidung einesuninterpretierten (allgemeinsten Sätze) und eines interpretierten axiomatischenSatzsystems (allgemeine empirische Sätze) verstanden, weil Popper, wie er imletzten Absatz des § 17 selbst feststellt, das Verhältnis zweier Interpretationen(hier der geometrischen und der physikalischen) grundsätzlich alsInterpretation eines Axiomensystems mittels explizit definierten Universalien

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behandelt, die bemerkenswerterweise für Popper beide unter dieInterpretationsart mit empirischen Hypothesen fallen. Es zeigt sich also einePräferenz Poppers für die zweite Fassung des systematischenZusammenhanges von uninterpretierten und interpretierten Axiomen. — Esbleibt also in der Tat in einem präzisen Sinne fraglich, was Popper unter»allgemeinste Sätze« verstanden hat: den Energieerhaltungssatz, die oberstengeometrischen Postulate, die Regeln des reinen Systems vonAussagefunktionen? Insofern sehe ich durchaus die Notwendigkeit, auch nachder Möglichkeit rein naturwissenschaftlicher Axiome (Postulate) zu fragen.

Popper macht in § 20 im Zusammenhang mit den methodologischen Regelnzur Vermeidung konventionalistischer Immunisierung eine Bemerkung, dieüberraschenderweise gut zu der hier aufgeworfenen Fragestellung paßt:

»Was die undefinierten Universalien betrifft, so müssen wir zweiMöglichkeiten unterscheiden: Es gibt (1) undefinierte Begriffe, die nur in Sätzenhöchster Allgemeinheitstufe auftreten, deren Gebrauch dadurch festgelegt ist,daß wir von anderen Begriffen wissen, in welchem logischen Verhältnis sie zuihnen stehen; sie können im Verlauf der Deduktion eliminiert werden (Beispiel:„Energie“); ferner (2) solche, die auch in Sätzen niedrigerer Allgemeinheitsstufevorkommen und deren Verwendung durch den Sprachgebrauch festgelegt ist(Beispiel: „Bewegung“, „Massepunkt“, „Lage“.«52

Bemerkenswert bleibt die Charakterisierung der Begriffsverhältnisse, welcheden Gebrauch der Begriffe bestimmen sollen: In (1) sollen logische Verhältnissezu anderen Begriffen, in (2) der bloße Sprachgebrauch die Verwendung der»undefinierten« Begriffe regeln. Angesichts der schon differenzierterenDarstellungen in § 17 und § 21 bleibt diese Äußerung reichlich unbestimmt. Ichverzichte darauf, nunmehr anhand undefinierter, implizit definierter, einmal inempirischer einmal in nichtempirischer Verwendung stehender, oder explizitdefinierter Universalien den zwischen (1) und (2) skizzierten Übergang von»Allgemeinheitsstufen« nochmals genau zu diskutieren. Der entscheidendeStreitpunkt hinsichtlich des Programms, die logische Form der fürnaturwissenschaftliche Theorien tauglichen Sätze zu finden, ist primär nicht derStatus allgemeiner oder weniger allgemeiner Sätze, wovon womöglich die

52 S. 52

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»höchste Allgemeinheitsstufe« den »allgemeinsten Sätzen« entspricht. DerStreitpunkt dürfte die Falsifizierbarkeit solcher allgemeinster (oder bloß»oberster« allgemeiner empirischer) Sätze sein.

Es wäre also zu untersuchen, ob der beispielsweise als oberstes Axiom(Postulat) aufgefaßte Energierhaltungssatz als aus implizit definiertenUniversalien bestehender Satz (als Modell) oder als Instantialsatz aufgefaßtwerden kann, oder nicht, um zu entscheiden, ob dieser Satz falsifizierbar istoder nicht. Offensichtlich setzt der Energieerhaltungssatz ein geschlossenesSystem voraus, was m. E. einen Modellgedanken voraussetzt, welcher auch inder notwendigen Idealisierung der Phänomene zur mathematischenFormulierbarkeit enthalten ist. Die Idealisierung sieht zur Erreichung desModellgedankens das Absehen von anderen, ebenfalls eindeutig darstellbarenEffekte vor. Ein oberster allgemeiner empirischer Satz wie derEnergieerhaltungssatz benötigt, diesen Gedankengang weiter verfolgend, eine»analytische« Darstellungsweise seines Konzeptes, das der Interpretation einesaxiomatischen Satzsystems mit Modellbegriffen (vermutlich also mit empirischgebrauchten implizit definierten Universalien) gleicht und als solches nichtfalsifizierbar ist. Da es von den Modellbegriffen abhängt, ob ich dieverwendeten Universalien explizit durch weitere Universalien definieren kann,kann es m. E. aber keinen prinzipiellen und allgemeinen Hindernisgrundgeben, gegebenenfalls aus einer Interpretation mittels empirisch gebrauchterimplizit definierter Universalien eine Interpretation mittels explizit definierterUniversalien abzuleiten, die, soweit Popper in § 17, die logische Voraussetzungzur Interpretation eines axiomatischen Satzsystems mit empirischenHypothesen sein soll.

Im Gegenzug werde ich allerdings in den letzten zwei Kapiteln diesesAbschnittes feststellen, daß auch der von Popper wegen derNichtfalsifizierbarkeit als metaphysisch ausgeschlossene Satz »Es gibtNaturgesetze«53 (oder »Die Welt wird von strengen Gesetzen beherrscht«)54

durchaus auch in eine falsifizierbare Form gebracht werden kann; und zwarmit jeder naturwissenschaftlichen Hypothese. Allerdings wurdenFalsifizierungen bislang niemals auf diese obersten Sätze zurückgeführt. Diebeiden letzteren Sätze haben darüberhinaus aber noch die Eigenschaft, alsVoraussetzung und Grundannahme einer jeden naturwissenschaftlichenTätigkeit erweisbar zu sein, was nun nicht von allen allgemeinen empirischen 53 S. 39254 S. 33

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Sätzen einer naturwissenschaftlichen Theorie behauptet werden kann.Vielleicht ließe sich auch vom Energieerhaltungssatz zeigen, daß er ebenfalls zusolchen »allgemeinsten« Sätzen gehört, ohne welchen Naturwissenschaft garnicht möglich ist.

Ich habe schon von Anfang an bezweifelt, daß die sich bei Poppereinschleifende Identifizierung v o n Abgrenzungskriterium undFalsifikationsprinzip für die Untersuchung der Frage, was sind metaphysischeSätze, wirklich hilfreich ist.

14. Die erwartete Gesetzmäßigkeit der Universalien und die Strukturtheorie

Popper bedenkt nun, wie schon bekannt, durchaus die Schwierigkeit einerjedem Basissatz vor jeder Theorie, woraus dieser Basissatz als »verbotener«,aber zunächst auch als »erlaubter« Basissatz abgeleitet gedacht wird,vorausgesetzten Theorie. Dies ist nicht zuletzt in V, 28 erkenntlich geworden:

»Basissätze sind also — in realistischer Ausdrucksweise — Sätze, diebehaupten, daß sich in einem individuellen Raum-Zeit-Gebiet einbeobachtbarer Vorgang abspielt. Wie die in dieser Definition auftretendenTermini — bis auf den undefinierten, aber erläuterungsfähigen Grundbegriff„beobachtbar“ — präzisiert werden können, wurde bereits (in 23 )besprochen.«55

Verstärkt und eindeutig thematisiert wird diese Problemstellung im »NeuenAnhang, X. Universalien, Dispositionen und Naturnotwendigkeit«. Dort nimmtPopper zum Problem der Verifikation des Einzelfalles nochmals Stellung:

»Bei diesen Theorien über die Struktur der Welt ist die Schwierigkeit nicht sosehr, die Allgemeingültigkeit des Gesetzes aus dem wiederholten Auftretenvon Einzelfällen abzuleiten, sondern sie liegt schon in der Frage, wie mannachweisen kann, daß das Gesetz auch nur in einem Fall gilt; denn dieBeschreibung und Überprüfung jedes einzelnen Falles setzt ihrerseits schonStrukturtheorien voraus«56

55 S. 6956 S. 377

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Hier kommt es auch zu der unmittelbaren Gegenüberstellung, die mich überdie Schwierigkeit mit den Erlebnisaussagen hinaus interessiert: Einerseitsvergewissert sich Popper nochmals, daß der Einzelfall überhaupt unter einenaturwissenschaftliche Theorie fallen kann: Tatsachenaussagen enthaltenUniversalien, wo Universalien gelten, liegt immer ein gesetzmäßiges Verhaltenvor.57 Andererseits soll dieses gesetzmäßige Verhalten nicht nur eineallgemeine Behauptung von Naturgesetzlichkeit überhaupt bedeuten, sondernfindet sein Gegenstück in einer bestimmten »Strukturtheorie«, welcher deneinzelnen Axiomen der verschiedenen Zweige der Naturwissenschafteninhaltlich vorausgesetzt ist.

Die dispositionale Charakteristik von Universalien, die sich immer auf eineoffene Reihe von Gegenständen der gleichen Art beziehen, beziehen sichgemeinsam auf eine Strukturtheorie, deren Einheitlichkeit zwar in Frage steht,von der aber zumindest regional eine Kompatibilität mit den »dispositionalen«Konzepten erwartet wird. Von Verifikation in einem eingeschränkten oderschwachem Sinne kann deshalb dann auch wieder die Rede sein, wenn einKonzept sich als kompatibel mit der »Strukturtheorie« erweist.58 — Von daherist auch die Unterscheidung von »obersten« allgemeinen empirischen Sätzenund Hypothesen, die Popper im Zuge seiner »wissenschaftslogischen«Untersuchung wieder einschränkt, zu verstehen: die obersten allgemeinenempirischen Sätze der »höchsten Allgemeinheitsstufe« (§ 20) spezifizieren nichteine bestimmte physikalistische Theorie, sondern sind Sätze der»Strukturtheorie«. Daß Popper schließlich jede Einzelhypothese (einschließlichder »dispositionalen« Universalien) zur Theorie erklärt, gerät aber nicht inWiderspruch zur älteren Einteilung, wie es den Anschein haben kann, da auchdie »Strukturtheorie« Hypothesen bildet.

Daß Popper auch späterhin auf eine Unterscheidung in Theorie und Basissätzewert legt, zeigt folgendes Zitat: »Daß Theorien die Erfahrung in dem hiererläuterten Sinn transzendentieren, wurde an vielen Stellen meines Buchesbehauptet. Zugleich wurden Theorien als streng allgemeine Sätzebezeichnet.«59

57 S. 37858 Freilich reicht eine einmalige Falsifikation zur Widerlegung einer Hypothese nicht aus, sodaß

komplementär auch diese schwache Definition von einer einmaligen »Verifikation« eines verbotenen(oder der Widerlegung eines erlaubten) Basissatzes von Popper für wissenschaftliche Aussagenzurecht abgelehnt wird.

59 Logik der Forschung, cit. op., S. 380

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15. Allgemeine empirische Sätze und Randbedingungen (besondere Sätze)

Was Popper unter »allgemeine empirische Sätze« von »höchsterAllgemeinheitsstufe« verstehen könnte, kann nun gerade vor demHintergrund der Auseinandersetzung von spezifischer Theorie und»Strukturtheorie« in Verbindung mit der Frage des Grundes der »logischenForm« der Basissätze keineswegs als eindeutig gesichert ausgegeben werden.Ich will nun anhand der gegenüber dem dritten Kapitel fortgeschrittenereFassung im neuen Anhang (X. Universalien, Dispositionen undNaturnotwendigkeit) zeigen, daß Popper mit dem dort geprägten Ausdruck»streng allgemeine Sätze« keineswegs beabsichtigt, Naturgesetze undRandbedingungen eindeutig und von vornherein a priori unterscheiden zukönnen. — Popper behandelt nämlich im X. Kapitel des neuen Anhangs zuerstdas entgegengesetzte Problem: Wie der Widerspruch des zur Falsifikationgeforderten logischen Verhältnisses des Enthaltenseins von wenigerallgemeineren Sätzen in allgemeinere Sätze zum Verhältnis von allgemeinenempirischen Sätzen und Randbedingungen (besondere Sätze) eineerkenntnislogische Interpretation finden kann.

Popper schließt sich hier aus mehreren Gründen der Kritik Kneales an; er hofftin der Diskussion der Positionen Kneales selbst deutlicher seine Argumenteherausarbeiten zu können. Kneale kritisiert die Auffassung, »daß eineCharakterisierung der Naturgesetze als al lgemeine Sätzelogisch zureichend und intuitiv befriedigend ist.«60

Popper bringt das Beispiel des ausgestorbenen neuseeländischen Riesenvogels»Moa«, der zwar nach unseren Erkenntnissen mindestens sechzig Jahre hättewerden können, aber wegen der Schwächung durch eine chronischeViruserkrankung niemals über fünfzig Jahre alt geworden ist. Da dieseViruserkrankung nur ein zufälliger oder kontingenter Umstand ist, zeigt diesesBeispiel, »daß es wahre, streng allgemeine Sätze gibt, die nicht den Charakterwahrer universaler Naturgesetze, sondern einen zufälligen Charakterhaben.«61

Diese strenge Allgemeinheit ergibt sich bei Popper aus dem selbst empirischenUmstand, daß kein Fall bekannt geworden ist, daß ein Moa ohne diese 60 S. 381, William Kneale, Probability and Induction, 194961 S. 382

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Viruserkrankung zu finden gewesen wäre. Offensichtlich verbindet Popper indiesem Beispiel das Argument mit einem epidemologischen Befund, der alssolcher keine wissenschaftliche Besonderheit darstellt: nämlich daß eineGattung während ihrer Lebenszeit immer mit einem Parasiten konfrontiertwird, nicht weil es genetisch der Gattung notwendig wäre, sondern weil esökologisch sich im Zuge der Anpassung der Evolution der Arten so ergebenhat, und die einfache Notwendigkeit eines Faktums bekommt. Insofernhandelt es sich um eine gut abgesicherte wissenschaftliche Behauptung, wennPopper diesen »zufälligen und kontingenten« Umstand der Viruserkrankungden Rang eines wahren, streng allgemeinen Satzes zubilligt.

Im Kap. III unterscheidet Popper die Sätze einer Theorie z. B. folgendermaßen:Allgemeine Sätze (Hypothesen, Naturgesetze) — Besondere Sätze(Randbedingungen). Randbedingungen werden auch Ursache genannt.62 Hierwird aber die logische Unterscheidung der Randbedingungen als »besondereSätze« von den allgemeinen empirischen Sätzen (als »Naturgesetze«) imRahmen der Untersuchung der »wahren, streng allgemeinen Sätze« nahezuaufgehoben: Da die Viruserkrankung des Vogels Moa nur ein zufälliger oderkontingenter Umstand ist, der allerdings empirisch immer in Verbindung mitden Moa aufgetreten ist, zeige dieses Beispiel, »daß eswahre, streng allgemeine Sätze gibt, die nicht den Charakter wahrer universalerNaturgesetze, sondern einen zufälligen Charakter haben.«63 Was aber soll»strenge« Allgemeinheit, die (empirische) allgemeine Sätze wieRandbedingungen umfaßt, gegenüber den »wahren universalenNaturgesetzen« einerseits und den »besonderen Sätzen« andererseits indiesem Zusammenhang bedeuten?

Die kontingenten Sätze als streng allgemeine Sätze haben in diesem Beispielerstens die Randbedingung auszusagen: Das bedeutet erstens, daß dasVerbreitungsgebiet eines bestimmten Virus und eines bestimmten Vogelsübereinstimmt und bedeutet zweitens, daß der Virus ein Parasit des Vogels ist.Das kann man eine kontingente Aussage nennen, doch beinhaltet dieBezeichnung des Virus als Parasit eine dritte Theorie, die von der des fraglichenVirus wie von der physiologischen Theorie der Moa zwar aus verschiedenGründen abhängig ist, sich aber doch von diesen unterscheiden läßt.

62 S 3263 S. 382

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Doch worin unterscheidet sich die Notwendigkeit dieser Kontingenz von derbloß logischen Allgemeinheit einer anderen kontingenten Aussage, wie etwa»Alle Äpfel in diesem Korb sind rot«? Wolfgang Stegmüller diskutiertakzidentielle Allaussagen (Alle Äpfel sind rot) und naturgesetzliche Aussagender Form »Alle Metalle leiten Elektrizität« (Stegmüller, Probleme und Resultateder Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band I.Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, (Studienausgabe, Teil 2),S. 280 f.). Popper stellt den gleichen Unterschied mit »spezifisch allgemeinenSätzen« (§ 13) und »Allsätzen« vor, deren Deutlichkeit allerdings nochzusätzlich von den Schwierigkeiten in der Bestimmung des Verhältnisses derAllsätze zu universiellen Es-gibt-Sätzen (§ 15, § 28) einerseits und zu den Sätzen»numerischer Allgemeinheit« (§ 13) andererseits beeinträchtigt wird. DieSchwierigkeiten bei Popper wie bei Stegmüller hinsichtlich der Unterscheidungvon logischer Allgemeinheit aus der Allquantifikation und »spezifischer«Allgemeinheit aus Notwendigkeit (worunter wohl auch die formaleImplikation fallen müßte) wurde andernorts schon eingehend behandelt; hierreicht aus, Poppers wie Stegmüllers abnehmende Fähigkeit festzustellen,zwischen akzidentiellem Allsatz und naturgesetzlicher Aussage bzw. zunächstzwischen Allsatz und spezifisch allgemeinen Sätzen unterscheiden zu können.Der einzige Unterschied zwischen dem Vogel-Beispiel und dem Apfel-Beispielist der, daß Popper von einer naturwissenschaftlichen Erklärung derRandbedingung ausgegangen ist, während im Apfel-Beispiel Stegmüllers einesolche Erklärung nicht mitgegeben worden ist, die Röte aller Äpfel im Korb indiesem Sinne also auch zufällig genannt werden könnte, was im Vogel-Beispiel(an dieser Viruserkrankung zu leiden) nicht mehr möglich ist, weil eben dieBestimmung der Deckungsgleichheit des Verbreitungsgebietes bereits eineallgemeine Regel ausspricht. —

Popper kann die der Falsifikation vorausgesetzte logische Unterscheidunganhand der Hierarchie von immer weniger allgemeinen Sätzen einerseits undimmer allgemeineren Sätzen andererseits zwischen naturwissenschaftlicherErklärung des möglichen Lebensalters des Vogels Mao und dernaturwissenschaftlichen Erklärung, daß der Parasit, da er alle Vögel befallenhat, diese an der Erreichung des möglichen Lebensalters gehindert hat, nichtmehr mit Sicherheit behaupten.

Hier macht zuerst die Quantifizierung die Kontingenz aus, und qualifiziert dienaturwissenschaftliche Erklärung, die als Theorie von Parasiten»unbeschränkt« allgemein gelten könnte (d. h., ohne bestimmte Beziehung auf

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den Moa), erst zur Randbedingung. Die Bestimmung des Lebensalters der Maoohne Parasiten liegt gleichfalls in der impliziten Quantifikation, für (nahezu)alle Individuuen der Art zu gelten. Die Naturgesetzlichkeit (Notwendigkeit)beider Behauptungen aber liegt darin, auf allgemeinere Prinzipien derPhysiologie und Biologie bezogen zu sein. — Es bleibt die Frage, was Poppermit der Wendung von »wahren, streng allgemeinen Sätzen« letztlichhinsichtlich der Unterscheidung in Naturgesetze (oberste »allgemeineempirische Sätze«) und Randbedingungen aus dem dritten Kapitel zur Klärungbeigetragen hat.

Zwar vermag klar zu werden, weshalb eine naturwissenschaftlicheGesetzesaussage (Allaussage über einen Parasiten) anhand von bestimmtenRaum-Zeit-Bedingungen zu einem besonderen Satz werden kann, aber nichtnur deren Eigentümlichkeit, trotzdem auch als kontingente Aussage gleich»streng« allgemein zu gelten, sondern auch umgekehrt die davonunabhängige Allaussage, alle Moa könnten ohne diese Viruserkrankungdurchschnittlich sechzig Jahre alt werden, bleibt doch trotz des Mangelsempirischer Überprüfbarkeit wiederum gerade genauso kontingent wie dieBehauptung, daß alle Moa an diesen Parasiten gelitten haben.

Die Unterscheidung in »allgemeine empirische Sätze« und in »besondereSätze« gelingt also auch anhand der Raum-Zeit-Bedingung der selbstunbeschränkten Allaussage über Parasiten nicht, weil auch die körperlichenEigenschaften der Moa selbst nur Gründe für Aussagen sein können, die einenur auf die Art der Moa, und somit nach Raum-Zeit-Bedingungenbestimmbare Verbreitung dieser Art beschränkte Gültigkeit besitzen.

16. Die logische Stärke der Naturgesetze und deren Kontingenz

Die »Prinzipien der Notwendigkeit« sollten die der »dispositionalen«Universalien zugrundeliegende »Strukturtheorie« sein.64 Für Popper haben dieNaturgesetze aber den Charakter von Verboten. Das wird hier scholastischbegründet: Der Punkt 9 seiner Untersuchung beginnt mit der einfachenscholastischen Unterscheidung von »logisch möglich « und »real möglich «:ersteres darf nicht widerspruchsvoll sein, zweiteres nicht den Naturgesetzenwidersprechen. Das reicht als modallogisches Unterscheidungsmerkmal allein

64 S. 393, vgl. hier Kap. 18

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aber nicht aus, wie offensichtlich auch Popper gleich darauf bemerkt hat. Auchfindet Popper hierfür nur eine negative Formulierung:

»Im Vergleich zu logischen Tautologien haben Naturgesetze einenkontingenten, zufälligen Charakter.« Doch aber seien die Naturgesetzegegenüber den selbst »in einem höheren Grad« kontingenten Einzeltatsachenfür notwendig anzusehen.65

Popper vertritt also nach der inzwischen erfolgten Charakterisierungbesonderer Sätze als allgemeine Sätze wieder die Auffassung einer in Gradenunterschiedene »Allgemeinheit« zwischen verschiedenen Arten von Sätzen,wobei die Axiome der Logik, zuvor als »Tautologien« apostrophiert, als Idealder Notwendigkeit vorgeführt werden. In Punkt 10 kommt Popper auf dieFrage nach der Kontingenz der Sätze, die Naturgesetze aussagen, noch näherzu sprechen:

»Das Gegenteil — die Ansicht, daß Naturgesetze in keinem Sinn kontingentsind — scheint Kneale zu vertreten, wenn ich ihn recht verstehe. MeinerAuffassung nach ist diese Ansicht genauso verfehlt wie die von Kneale mitRecht kritisierte These, daß Naturgesetze nichts als wahre allgemeine Sätzesind.«66

Popper bleibt aber bei dem Beschluß, trotz dieser Zurücksetzung desuniversalen Anspruches in der modernen Auffassung von Naturgesetzen aufeine Hierachie von Graden der Allgemeinheit zu bestehen:

»Wenn Naturgesetze nicht bloß streng universale Sätze sind, müssen sielogisch stärker sein als die bloß streng allgemeinen Sätze, da die letzteren ausihnen ableitbar sein müssen.«

»Daher verlangt der hier eingenommene Standpunkt keinerlei Umgestaltungmeiner Methodologie. Nur auf ontologischem oder metaphysischem Gebietsind gewisse Änderungen nötig, die man folgendermaßen umreißen kann:wenn wir vermuten, daß a ein Naturgesetz ist, meinen wir, daß a einestrukturelle Eigenschaft unserer Welt aussagt, eine Eigenschaft, die das

65 S. 38466 S. 385

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Vorkommen gewisser logisch möglicher Einzelvorgänge oder Zuständeverhindert.«67

Naturgesetze können also als Prinzipien jener »Strukturtheorie« angesehenwerden, die vorhin als Konzept der den »verbotenen« Basissätzenentgegengesetzten Tatsachenaussagen im Falle einer Falsifikation derbetrachteten Theorie vorgestellt worden sind, gleich ob deren Gewißheit mitder Gewißheit logischer Prinzipien vergleichbar ist oder nicht.

Popper hat nun die Auffassung diskutiert, daß wir im Falle der von unsexponierten Naturgesetze nie sicher sein könnten, ob deren allgemeiner Satznicht bloß wegen einer regionalen Randbedingung (wie im Beispiel des »Moa«)ein allgemeiner empirischer Satz ist. — Derart würde schließlich erst dergedachte ideale Satz eines Naturgesetzes der Notwendigkeit nach denlogischen Axiomen gleichgestellt sein. Doch genau diese nur denkmöglicheIdentifizierung der logischen Möglichkeit mit der physikalischen Möglichkeitwill Popper zu recht nicht einmal als logische Möglichkeit gelten lassen. D. h.,die Unterscheidung in Naturgesetze und besondere Sätze gelingt nicht, weilmit beiden Allaussagen über Regeln von Naturgegenstände und derenVerhältnisse getroffen werden, die auf einen kontingenten Gültigkeitsbereicheingeschränkt werden. Es stellt sich heraus, daß hier beide als besondere Sätzegelten. Jedoch sind beide doch auch wahre allgemeine Sätze; darüber hinaussagen diese Sätze Regel von Verhältnissen in der Natur aus, und könnten dochinsofern noch als Naturgesetze angesprochen werden. — Wie sind dann aber»oberste« allgemeine empirische Sätze als »wahre universale Naturgesetze«noch zu denken möglich; sind sie überhaupt notwendig? Oder anders gefragt:»Gibt es sie«?

17. Der Ausschluß metaphysischer Sätze:»Die Welt ist von strengen Gesetzen beherrscht.«

Nun hat Popper im Zusammenhang, daß eine Theorie Prognosen liefern»kann«, schon vor seiner Erklärung zur Axiomatik bezüglich »metaphysischerSätze« festgestellt:

67 S. 387

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»„Kausalsatz“ nennt man einen Satz, der behauptet, daß jeder beliebigeVorgang „kausal erklärt“, d. h. prognostiziert werden kann, je nach dem, wieman dieses Wort „kann“ auffaßt, hat ein solcher Satz die Form einerTautologie (eines analytischen Urteils) oder einer Wirklichkeitsaussage (einessynthetischen Urteils). Soll „kann“ auf eine logische Möglichkeit hinweisen, soist der Satz tautologisch, denn zu jeder beliebigen Prognose lassen sich immerallgemeine Sätze und Randbedingungen auffinden, aus denen sie ableitbar ist(womit nichts darüber gesagt ist, ob sich diese allgemeinen Sätze auch sonstimmer bewähren). Soll „kann“ aber etwa andeuten, die Welt sei von strengenGesetzen beherrscht, sie sei so gebaut, daß jeder Vorgang Sonderfall einerallgemeinen Gesetzmäßigkeit ist (oder dgl.), so ist der Satz synthetisch, aber,wie wir auch noch später (78 ) sehen werden, nicht falsifizierbar; wir werdenihn also weder vertreten noch bestreiten, sondern uns damit begnügen, ihn als„metaphysisch“ aus der Wissenschaft auszuschalten.«68

Die logische Möglichkeit ist hier in Verbindung, daß eine Tautologie mittelsRandbedingungen zu allgemeinen Sätzen kommt, die sich gegebenenfallsbewähren, nicht von Interesse. Ich diskutiere die zweite Bedeutung des»kann«.

Zunächst verwundert, daß Popper den Satz, der behauptet, (die Form) einesjeden Vorganges sei ein Sonderfall einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit alssynthetisch und nicht als analytisch bezeichnet. Ich unterstelle hier einmal, daßPopper, hier nur teilweise verständig, einen Kantianismus als Argumentvorgeschoben hat. Denn hier benützt Popper die Doppeldeutigkeit desKantschen Begriffs der Synthesis, einmal als Charakteristikum der Erfahrung(gegenüber den analytischen Satzsystemen), und einmal als Charakteristikumder Metaphysik (als spekulative und schlechte Metaphysik) zu gelten.69 — Daßein synthetischer Satz nicht falsifizierbar ist, stimmt aber ganz und gar nicht;nur ein synthetischer Satz a priori ist nicht falsifizierbar. Das geht aucheindeutig aus dem ganzen Zitat hervor.

Poppers eigentliches Problem im letzten Zitat ist nun der strikteDeterminismus, der aus der Annahme eines obersten Naturgesetzes angeblichmit Notwendigkeit zu folgern wäre. Um dieser Schwierigkeit auszuweichen ,

68 S. 3369 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 416 f. (Die Widerlegung des Mendelssohnschen

Beweises der Beharrlichkeit der Seele)

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benützt Popper die Doppeldeutigkeit Kants im Begriff der Synthesis (die aufdessen Boden durchaus aufzulösen wäre). Popper rechnet eben hier nicht mitder trivialen Möglichkeit, daß verschiedene strenge Determinationenzusammen ein Phänomen, einen Horizont, eine »Welt« konstituieren, dieselbst keineswegs streng deterministisch abläuft. Ein komplexes Ereignis istselbst keinesfalls als streng deterministisch zu kennzeichnen, nur weilverschiedene Naturgesetze daran beteiligt sind.

In diesem Zusammenhang ist auf die Eigenschaften von Naturgesetzen zuverweisen, wie sie die Untersuchung des Abschnitts X im Anhang von L. d. F.5

anhand des Beispiels der Moa ergeben haben, wo sowohl Randbedingungenwie allgemeine empirische Sätze von Popper als »streng allgemeine Sätze«bezeichnet werden. Dort hat sich gezeigt, daß Sätze, auch wenn sieNaturgesetze nicht als »oberste« allgemeine empirische Sätze aussagen, gleichmit welcher Sicherheit sie ausgesagt werden können, immer ihr Gesetz alsstreng und nicht als irgendwie geltend behaupten.

Die Formulierung Poppers, daß die Welt von strengen Gesetzen beherrschtwerde, thematisiert zwar den (von ihm abgelehnten) strengen Determinismusauf eine hinreichend deutliche Weise, doch reproduziert Popper einenDenkfehler, den nicht er zum ersten Mal begangen hat: Auch die Naturgesetze,welche die allgemeinen empirischen Sätze und die besonderen Sätze alsRandbedingungen im Beispiel der Moa aussagen, haben, solange sie nicht alsAbleitungen aus bewährten allgemeineren Sätzen falsifiziert sind, den gleichenGeltungsanspruch wie mathematische oder logische Gesetze. Auch statistischeGesetze gelten dem Anspruch nach unbedingt, und nicht einmal mehr undeinmal weniger. Beobachtete Änderungen von Hypothesen bewährternaturwissenschaftlicher Theorien müssen auf eine neu hinzugetreteneRandbedingung zurückgeführt werden können. — Was ich damit sagen willist, daß die Formulierung Poppers, die Welt sei von strengen Gesetzenbeherrscht, nicht durch eine Kritik, solche Gesetze könnten wir gar nichterkennen, aus der Wissenschaft ausgeschlossen werden kann, weil dieseFormulierung auch für eine weichere Fassung von Naturgesetz gilt. Und zwar,weil es nicht möglich ist, die Strenge des Gesetzes zu vermindern. Das ist völligunabhängig von der Frage, ob wir Naturgesetze, wie sie sind, erkennenkönnen. — Wir könnten auch Naturgesetze, wie sie sind, erkennen. Aberleider: wir wissen es nicht mit letzter Sicherheit, ob und wann wir dies erreichthaben. Es bleibt diesbezüglich also alles beim Alten.

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Wir hätten also zumindest zuerst für einen Verständnishintergrund zu sorgen,um Gesetzesbegriffe (Konzepte) von geregelten Naturvorgängen zu erhalten,die anzeigen, daß man zu antizipieren habe, daß es die Regel ist (aber ebennicht als Gesetz für alle möglichen Fälle formulierbar), daß unbekannteRandbedingungen mitwirken, die entscheidenden Einfluß auf das Ergebnisbesitzen. Das könnte vielleicht in der Tiefenpsychologie oder in deralternativen Medizin Sinn machen. In der mathematischen Naturwissenschaftzumindest halte ich den strengen Gesetzesbegriff als Anspruch fürunverzichtbar. Ebensowenig kann ich von Graden der Notwendigkeitsprechen. Der Anspruch von Gesetzen ist also streng, oder es ist kein Gesetz.— Modal ist demnach zwischen bloßer »Naturgesetzlichkeit« der Sätze derRandbedingungen, dem nächst allgemeineren naturwissenschaftlichenSatzsystem und einem obersten Naturgesetz kein Unterschied zu machen.

Der Denkfehler liegt also nochmals darin, daß die Annahme strengerGesetzlichkeit notwendigerweise die Vorstellung eines strengenDeterminismus in der Natur zur Folge haben müßte. Deshalb will Popper auchdie Auffassung, daß die Welt von strengen Gesetzen beherrscht wird, alsmetaphysisch aus den Wissenschaften ausschließen. Die Rückführung desAusschlusses auf die Nichtfalsifizierbarkeit von Es-gibt-Sätzen ist zwar in derTat befriedigend, kann aber nicht verhindern, daß die von Popper aus dennaturwissenschaftlichen Theorien ausgeschlossene Behauptung »die Welt wirdvon strengen Gesetzen beherrscht« in der Erkenntnislogik als Voraussetzungder Behauptung von falsifizierbaren Allsätzen wieder auftaucht. Und zwar,weil ohne Allsätze als solche zu behaupten, auch keine Falsifikation möglich ist.Deshalb bleibt der Satz »die Welt ist von strengen Gesetzen beherrscht« für dieErkenntnislogik wie f ü r d ie Methoden d e r Überprüfungnaturwissenschaftlicher Theorien notwendig als Voraussetzung in Stellung.

Mein Punkt liegt darin, daß ich nicht nur irgendwie metaphysische Sätze imRahmen einer Erkenntnislogik gelten lasse, über die man noch reden darf,ohne a priori den Sinnlosigkeitsverdacht auf sich zu ziehen (im übrigenzumeist eine bloße Höflichkeitsfloskel), sondern daß ich auch zu zeigenimstande bin, welche Funktion metaphysische Sätze in der Erkenntnistheorieund auch in der Erkenntnislogik Poppers haben. Popper betont zwar bei vielenGelegenheiten, daß metaphysische Sätze nicht an sich sinnlos seien, lehnt aberbei der Behandlung metaphysischer Sätze ab, den Sinn metaphysischer Sätzefür die Erkenntnislogik zu debattieren, sondern spricht nur vomTranszendendieren der Sätze einer empirischen Theorie. Da mag einerseits der

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positivistische und sprachanalytische Gegenwind ein Grund für diese Haltunggewesen sein, andererseits vielleicht auch die Bemühung, zu verhindern, daßdie Naturwissenschaft dazu mißbraucht wird, metaphysische Theorien zubeweisen. Das muß hier offen bleiben.

18. Der Ausschluß metaphysischer Sätze:Es gibt Naturgesetze. Der ontologische Status allgemeiner Gesetze70

»Das eine kann man offenbar nicht tun: den Satz daß es Naturgesetze gibt,kann man nicht verifizieren (man kann ihn nicht einmal falsifizieren). Wennaber ein Satz nicht verifizierbar ist (und selbst wenn er nichtfalsifizierbar ist),dann bedeutet das nicht. daß er sinnlos ist, daß man ihn nicht verstehen kannoder daß „man das nicht sagen“ kann, wie Wittgenstein meinte.«71

»Es gibt«-Sätze sind bloß Geltungsbehauptungen und für uns nicht von einerplatonischen Behauptung einer eigenen Seinsweise als von der objektivenWirklichkeit getrennten Existenz eines Gesetzes zu unterscheiden. Deshalb hatPopper die Es-gibt-Sätze, sofern deren logische Form zu einer bestimmbarenlogischen Quantifikation indifferent sind, auch aus den Sätzen ausgeschlossen,die für eine naturwissenschaftliche Theorie tauglich sein sollen. Freilich heißtdaß auch, daß weder im jeden Fall die Annahme platonischer Ideen sinnlos seinmuß, wie gerne von Positivsiten und Realisten behauptet wird, noch daß jedeGeltungsbehauptung als reine Idee ins Reich ewiger Wahrheiten zu entrückenist:

Die »Naturgesetzlichkeit« der Theorien ist weder für die Allaussagen über das»natürliche« Lebensalter der Moa ohne Parasit noch für die Allaussagen überdas Lebensalter der Moa mit dem Parasiten in Frage gestellt, auch nicht, daß esallgemeinere Allaussagen gibt, wovon beide Aussagensysteme abhängen, dieabermals »naturgesetzlich« zu nennen sind. — Daß es Naturgesetze gibt, kannnicht bezweifelt werden, wenn man Naturwissenschaft betreibt. Doch ist dieFrage, ob »wahre universale Naturgesetze« möglich sind, nicht schlüssig zu

70 Hier ist vielleicht die beste Gelegenheit auf die Fruchtbarkeit eines Briefwechsels hinzuweisen, dem

ich in einigen Fällen den Zwang zur Präzisierung meiner Ideen wie meiner Ausdrucksweise verdanke:Insbesondere in der Frage der Bedeutung metaphysischer Sätze im Rahmen der PopperschenErkenntnislogik haben sich meine Überlegungen im Widerspruch zu Wolfram Gorisch (München)entwickelt, dessen kollegiale und freundschaftliche Anteilnahme aber nicht nur in dieser Fragewertvoll gewesen ist . So soll auf diesem Wege der gebührende Dank abgestattet werden .

71 S. 392, Fußnote

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beantworten. Auch die Überlegung der mit undefinierten Universalieninterpretierten »allgemeinsten Sätze« aus der Axiomatik im dritten Kapitel(§ 16-18, insbesondere S. 43 ff.) scheint seltsam in der Luft zu hängen, dieweder abgewiesen, noch positiv als systematische Möglichkeit einer aus eineminhaltlich bestimmten einzelnen Prinzip abgeleiteten Naturwissenschafterwiesen werden könnte.

Schließlich sagt im Anschluß an das vorhin gegebene Zitat zurNichtfalsifizierbarkeit und Nichtverifizierbarkeit von Naturgesetzen aus demAnhang (Abschnitt X) Popper nochmals:

»Ich gehe aber hier über das in diesen Abschnitten gesagte hinaus, indem ichden eigentümlichen ontologischen Status allgemeiner Gesetze betone (etwadadurch, daß ich von ihrer „Notwendigkeit“ oder ihrem „strukturellenCharakter“ spreche), und auch durch die Hervorhebung der Tatsache, daß dermetaphysische Charakter und die Unwiderlegbarkeit der Behauptung, es gebeNaturgesetze, uns nicht daran zu hindern braucht, diese Behauptung rational— d. h. kritisch — zu diskutieren.«72

Hieraus (wie auch aus dem Verlauf der Argumentation dieses Textabschnittes)geht hervor, daß Popper mit dem »strukturellen Charakter« doch von»obersten« allgemeinen empirischen Sätzen ausgeht, die nicht gleichBestandteil derjenigen Theorien sind, welche die konkreten»Naturgesetzlichkeiten« unter Randbedingungen als allgemeine empirischeSätze formulieren, sondern diesen sogar vorausgesetzt sind, weil sie nur dannals logisch gerechtfertigt gedacht werden können, wenn diese aus jenenabgeleitet worden sind.

Popper behauptet also zweierlei: Erstens, daß metaphysische Sätze gibt (»DieWelt wird von strengen Gesetzen beherrscht«, »Es gibt Naturgesetze«), diezwar wegen ihrer Nichtfalsifizierbarkeit aus den naturwissenschaftlichenTheorien auszuschließen, aber für eine Theorie der Theorien derErkenntnislogik doch in Stellung zu halten sind. Zweitens wird zuletzt derontologische Status allgemeiner Gesetze durch die »Notwendigkeit« und den»strukturellen Charakter« charakterisiert. Diese Charakterisierung impliziertaber noch ein weiteres: Wie im Kapitel »Die erwartete Gesetzmäßigkeit derUniversalien und die Strukturtheorie« bereits ausgeführt, beansprucht eine

72 S. 393

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»Strukturtheorie« sehrwohl empirischen Charakter, auch wenn diese Theoriezunächst nur im Rahmen der Untersuchung der logischen Form desBasissatzes als Vorausetzung für die mit der Verwendung von Universaliengegebenen Erwartung der Gesetzmäßigkeit exponiert wird. — Da die logischeForm des Basissatzes zwar prinzipiell von der Theorie abhängt, indem formalder Basissatz als Hypothese formulierbar sein sollte und inhaltlich dieBasissätze wegen ihrer »Deduktion« aus allgemeineren empirischen Sätzenmehr aussagen sollen als die bloßen empirischen Sätze (§ 21), aber darüberhinausgehend auch inhaltlich unabhängig von den allgemeinen empirischenSätzen einer spezifischen Theorie sein muß, um eine Hypothese derselbenfalsifizieren zu können, muß die bloß spekulativ gedachte Möglichkeit einerStrukturtheorie auch einen empirischen Anspruch erheben.

Die Vorstellung einer Strukturtheorie bietet den Universalien zumindest einenabstrakten Grund, weshalb sie sich überhaupt zu sinnvollen Sätzen (allgemeineund universielle Sätze) zusammensetzen lassen (eine Frage, auf die Poppernicht eingeht). Und sie bietet den Grund, von einer logischen Form derBasissätze zu reden, die inhaltlich sowohl von der Theorie der falsifiziertenHypothese wie von der Theorie der falsifizierenden Hypothese unabhängig ist.— Ich verstehe Popper dahingehend, daß er parallel zur Theorie derErkenntnislogik (Theorie der Theorien), wo er die logischen underkenntnislogischen Bedingungen der logischen Form von fürnaturwissenschaftliche Theorien taugliche Sätze formal untersucht hat,nunmehr im X. Kapitel des neuen Anhangs anhand des Konzepts einer»Strukturtheorie« für den Satz »Es gibt Naturgesetze« über dessen formaleallgemeine Bedeutung der Naturgesetzlichkeit hinausgehend einmal einenempirischen Anspruch und einmal einen ontologischen Anspruch erhoben hat.Und zwar beide säuberlich von einander getrennt: Die Demonstration desempirischen Anspruches einer Strukturtheorie anhand des diskutiertenBeispieles eines von einem Parasiten befallenen Vogels hat — auch insofernkonsequent — zur Auflösung des Unterschiedes von allgemein empirischenSätzen und besonderen Sätzen geführt. Dieser Widerspruch des neuenAnhangs zur logischen Bedingung der Falsifizierbarkeit von allgemeinenSätzen, dessen Konsequenzen im Rahmen dieser Arbeit vielleicht bisher nichtgenügend beachtet worden sind, führt jedenfalls nicht deshalb zu ungelöstenProblemstellungen in der Erkenntnislogik von Karl Popper, weil mit der»Strukturtheorie« ein metaphysischer Anspruch erhoben worden ist, sondernverweist vielmehr auf eine formulierbar gedachte Einheit der

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Naturwissenschaften, die selbst als Theorie ihren empirischen Charakter nichtverliert.

Davon ist der ontologische Anspruch zu unterscheiden. Abermals sind zweiAlternativen zu bedenken: Wird dieser ontologische Anspruch nur im Sinneeiner abstrakt als vorausgesetzte Bedingung allgemein behauptetenNaturgesetzlichkeit erhoben, oder zieht dieser Anspruch die inhaltlicheBestimmung »wahrer universaler Naturgesetze« in Gestalt von »oberstenallgemeinen empirischen Sätzen« einer einheitlichen naturwissenschaftlichenTheorie nach sich?

Man sieht, die Frage nach der Möglichkeit einer einheitlichenNaturwissenschaft als Strukturtheorie stellt sich sowohl mit dem empirischenAnspruch wie mit dem ontologischen Anspruch. Beide Formulierungsweisenbesitzen nämlich im gleichen Maße die selbe Schwierigkeit, von immer»allgemeineren empirischen Sätzen« zu obersten »allgemeinen empirischenSätzen« schließlich zu »allgemeinsten Sätzen« zu kommen, die erst erlaubten,nach logischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Axiomensystematisch zu unterscheiden. Ich sage, daß Popper einen Grund gehabthaben muß, weshalb er im X. Kapitel des neuen Anhangs den ontologischenStatus allgemeiner Gesetze nicht einfach als metaphysischen Satz wegenNichtfalsifizierbarkeit ausgeschlossen hat. Insofern Popper sich gelegentlichauch als »Realist« bezeichnet hat, halte ich die Vermutung, Popper wolltewegen der Möglichkeit einer theoretisch einheitlichen Naturwissenschaft denontologischen Anspruch nicht ausschließen, für plausibel. Mit einem Ausschlußdes ontologischen Anspruches fällt auch der Anspruch auf eine theoretischeinheitliche Naturwissenschaft.

Daß eine theoretisch einheitliche Naturwissenschaft einerseits empirischenCharakter hat, und als solche dem Falsifikationsprinzip als Methode derErkenntnislogik zu unterwerfen ist, andererseits zumindest im Aspekt derPerformation der Behauptung von allgemeinen Sätzen den ontologischenStatus allgemeiner Gesetze als »wahre universale Naturgesetze« beansprucht,bringt die mit der Möglichkeit einer theoretisch einheitlichenNaturwissenschaft überwunden geglaubte transzendentale Differenz zwischenTheorie und Wirklichkeit nur wieder zurück: Eine solche theoretischeinheitliche Naturwissenschaft bliebe immer dem Falsifikationsprinzipunterworfen, weil wir (vielleicht) die Naturgesetze erkennen können, wie sie inWirklichkeit sind, aber nicht feststellen können, ob und wann das der Fall ist,

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weil unser empirisches Wissen immer nur angenähertes Wissen beanspruchenkann.

19. Zur Möglichkeit qualifizierter metaphysischer Sätze

Ich habe also aus zwei Gründen eine andere Auffassung über den»allgemeinsten Satz« in der Popperschen Erkenntnislogik:

1) Selbst hätte ich das Zitat vom Anfangs des § 18 hinsichtlich der Bedeutungdes »allgemeinsten Satzes« überinterpretiert, so stellt sich mit dernichtempirischen Verwendung von implizit definierten Universalien doch einenotwendige Stelle in der zunächst nach unten (Basissätze) und oben offenenHierarchie von immer allgemeineren Sätzen vor. Ich sehe das für einenausreichenden Grund, Vermutungen darüber anzustellen, ob die Erörterungder Umstände des Ausschlußes nichtempirisch verwendeter implizit definierterUniversalien (Begriffe) zur weiteren Überlegung des Ausschlußes von Sätzenaus dem Grund, weil es sich um nichtfalsifizierbare Sätze handelt oder weil essich um metaphysische Sätze handelt, etwas beitragen könnte. Popper schließtuniversielle Es-gibt-Sätze, Instantialsätze, den Satz »Es gibt Naturgesetze« wieden Satz »Die Welt wird von strengen Gesetzen beherrscht« immer mit demgleichen formalen Grund der Nichtfalsifizierbarkeit aus. Man muß davonausgehen, daß diese Ausschlußverfahren nicht die gleichen systematischenAbsichten verfolgen (außer die Absicht, die Erkenntnislogik derNaturwissenschaften zu finden), auch wenn sie die gleiche Methodeverwenden.

2 a) Ich habe unabhängig von meinen Arbeiten an den grundlegenden Textenzur Erkenntnislogik von Karl Popper die Auffassung vertreten, daß es in jederErkenntnislogik »metaphysische« Sätze gibt, oder Sätze, die eine solcheFunktion besitzen. Popper hat zwar metaphysische Sätze immer gegen dengrundsätzlichen Sinnlosigkeitsverdacht verteidtigt, es wurde von ihm aber imRahmen der »Logik der Forschung« kein nennenswerter Versuchunternommen, deren Sinnhaftigkeit im Rahmen der Theorie der Theorienselbst darzustellen. Ausgehend von meiner eben kurz charakterisiertenerkenntnistheoretischen Grundposition halte ich das zwar für einen Mangel,den man aber vergleichweise einfach beheben kann.

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2 b) Ich bin unabhängig von Popper der Auffassung, daß jede Theorie derTheorien nicht mit dem gleichen Verfahren zu Basissätzen kommen kann, wiedie von dieser Theorie untersuchten Theorien (schwache Version). Ich binweiters der Auffassung, daß es Theorien gibt, die sich allein nach dem Prinzipder logischen Kohärenz im Zusammenhang mit der historischen Erfahrungändern, ohne daß diese selbst im empirischen Sinne falsifizierbar wären. — ImRahmen des Popperschen Systemgedankens so allgemein wie möglichformuliert: In genügend komplexen Satzsystemen ist es nicht immer möglich,bei Falsifikation einer Teiltheorie festzustellen, ob, und wenn ja, welche obereallgemeinen empirischen Sätze davon betroffen sind (starke Version).73

Gemäß meiner Überlegungen weiter oben qualifizieren sich »sinnvolle«metaphysische Sätze weder (1) mittels der Methode des Ausschlusses wegenNichtfalsifizierbarkeit noch (2) mittels der teilweise dazu möglichenAlternative, solche Sätze anhand von Folgesätzen zwar falsifizierbarformulieren zu können, aber die etwaige Falsifikation deren Hypothesen nichteindeutig auf die »obersten« Sätze zurückführen zu können, oder (3) bloßtautologisch formuliert zu werden, sondern metaphysische Sätze sind im Sinneeiner Erkenntnislogik nur dann sinnvoll, wenn sie als Bedingung jeder weiterernaturwissenschaftlichen (empirischen) Theorie erwiesen werden können.

Ich scheue den Schritt in die Spekulation um so weniger, als daß dieVerfremdung als Methode der »Erfindungslogik« ja allseits anerkannt wird,und bringe natürlich beide Befunde, den hinsichtlich des Mangels in derReflexion metaphysischer Sätze und d e n hinsichtlich denAuflösungserscheinungen des Satzes vom Widerspruch in der gefordertenVerbotsform von Naturgesetzen, neuerlich in Zusammenhang. So ließe sichselbst der Satz vom Widerspruch insofern als falsifizierbar vorstellen, indemman behauptet, daß der Fortschritt der Wissenschaft im allgemeinen und derNaturwissenschaft im speziellen bewiesen habe, daß Fortschritte nur dortgemacht werden konnten, wo man zwischen wahren und falschenBehauptungen (in der Axiomatik wie im Basissatz!) unterscheiden konnte. Dasmag zwar vielen, die gerade aus der Mathematik und aus denNaturwissenschaften des Zwanzigsten Jahrhunderts die systematischeAuflösung des Satzes vom Widerspruch herauslesen, als ein Irrtum des

73 A. Grünbaum, Can we ascertain the Falsity of an Hypothesis?, in: Studium Generale 22, 1969.

Grünbaum bringt seit längerem gegen Popper ein altes Argument von P. Duhem ins Spiel, das aufUndurchführbarkeit des eine komplexe Theorie definitiv stürzenden experimentum crucis lautet (P.Duhem, Ziel und Struktur physikalischer Theorien, Leipzig, 1908, 243 ff., 249 ff., 290 ff.).

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Neunzehnten Jahrhunderts erscheinen. — Das verstärkt aber nur die —Spekulation (!) — , daß der Satz vom Widerspruch eine falsifizierbareFormulierung finden könne. Der Unterschied liegt nur darin, daß die einensagen, dieser logische Grundsatz habe sich letztlich bewährt, was sich gerade inden Grenzziehungen seines Geltungsbereiches bestätige, die anderen sagen, ersei als genereller Grundsatz der Logik bereits falsifiziert worden.

Ich will und kann in den Streit zwischen Logik und Mathematik um das Primatin den rein formaltheoretischen Wissenschaften nicht eingreifen; ich vermagdaraus nur zu ersehen, daß das Falsifikationsprinzip in dieser Frage keineeindeutige Entscheidung herbeiführen konnte. Das mag, wie ich beiGelegenheit vermutet habe, an der »logischen Form« der zu bestimmendenBasissätze liegen (hier: was ist eine mathematische, was eine aussagenlogischeFunktion?). — Auf diesem Umweg läßt sich ein anderer Grund und einanderes Verfahren denken, weshalb manche Sätze von Popper als nichtfalsifizierbar »festgesetzt« werden. Womöglich antizipiert hier Popper immerschon seine letztlich auch pragmatische Perspektive, ein Prüfverfahren zufinden, um die Leistung einer Theorie im Vergleich zu anderen Theorienbeurteilen zu können: Obwohl zugestanden wird, daß manchmal diefalsifizierten Theorien die interessanteren sein können, setzt die Beurteilungder Leistung einer Theorie dennoch die Falsifizierbarkeit voraus; und zwareben die eindeutige Falsifizierbarkeit. Damit gibt es einen systematisch gutenGrund, gewisse Sätze als nichtfalsifizierbar auszuschließen, auch wenn es sichum keine eindeutige Nichtfalsifizierbarkeit handelt. Die mangelndeEindeutigkeit ist dann der Ausschließungsgrund. — Eine Qualifikation, deshalbals ein spezifisch sinnvoller »metaphysischen« Satz zu gelten, ist damitallerdings noch nicht verbunden, wie schon vorhin kenntlich gemacht.

Leider stellt Popper diese Verhältnisse so gut wie nicht dar, weshalb meineKritikpunkte aufrecht bleiben müssen. Zumal von Kennern dererkenntnistheoretischen Arbeiten von Karl R. Popper zumeist die wenigenHinweise auf die Möglichkeit einer solchen Hintergrundüberlegung zuMißverständnissen der Absichten Poppers erklärt werden. Damit haben sie jain gewisser Hinsicht auch Recht, übersehen mit der Verabsolutierung desformalen Ausschließungsgrundes aber die diversen systematischen Gründeder Ausschließungsverfahren, und somit auch die im wesentlichensystematische Dimension der von Popper implizit aufgeworfenenFragestellungen, deren Beantwortung seiner Überzeugung nach anscheinendnicht nur nicht in den Naturwissenschaften, sondern auch nicht in der

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Erkenntnislogik möglich ist. — Dem ersteren stimme ich zu, dem letzterenmuß ich wegen der geforderten streng ausschließlichen Formulierungwidersprechen.

Schlußbetrachtung

Für meinen Interpretationsansatz sind meine mitgebrachten Auffassungenzwar entscheidend, aber, wie ich hoffe, nicht für die Durchführung der Analyseder zentralen Stellen der Erkenntnislogik als Theorie der Theorien. — Sobestätigt sich die Annahme, daß es nicht gelingt, eine theoriefähige Definitiondes Basissatzes zu erbringen anhand der Ausführungen Poppers in § 33, wo erganz offen darüber diskutiert, daß Theorien mit Instantialsätzen sowohlWahrheitswahrscheinlichkeit = 1 wie auch Falschheitswahrscheinlichkeit = 1besitzen können.74 Weiters bestätigt sich in § 28, daß Popper beginnt, mittelseiner ominösen »logischen Form« (S. 67, Fußnote) den Unterschied zwischeneiner Allaussage und einer generellen Negation zu verwischen, um denunhaltbaren Zustand zu verbergen, daß Naturgesetze seit § 15 (und auchweiterhin) sowohl als generelle Negationen wie als generelle Affirmationenformuliert werden sollen, weil sie alle nur die Form von Verboten besitzendürften. Letzteres wird in § 15 noch nicht behauptet, aber in § 28.

Während das Problem der Instantialsätze von Popper zumindest weiterdiskutiert wird, und die Charakterisierung der Basissätze allem Anschein nachzureicht, ernsthaft Prüfungsverfahren für naturwissenschaftliche Theorienzumindest grundsätzlich zu überlegen, wird das Problem desVerbotscharakters von Naturgesetzen verheimlicht. — Daß Popper zweimalbei der Erstellung einer Theorie der Theorien der Erkenntnislogik(Bestimmung der Begriffsarten und der Satzarten) schwere Fehler gemacht,und deshalb eine solche eigentlich nicht zustandegebracht hat, hat nun mitmeinen an den grundlegenden Text von Poppers erkenntnistheoretischemWerk herangetragenen Auffassungen zu »metaphysischen« Sätzen in derNaturwissenschaft und Erkenntnislogik gar nichts zu tun, sondern dieFeststellung dieser Fehler und die Erklärungen, wie sie zustande gekommensind, können für sich selbst sprechen.

74 S. 80 f.

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Das Poppersche Falsifikationsprinzip hat sich methodisch und systematischvom logischen modus tollens zu unterscheiden; mit der Forderung, daß dieentscheidenden (konventionalistischen) Festsetzungen im Basissatzstattzufinden haben, soll das garantiert werden. Trotz der Schwächen derGrundlegung einer Theorie der Theorien, die nur im Vergleich der logischenHierarchie allgemeiner Sätze mit den Relationen der Falsifikationsbeziehungen(welcher Satz durch eine Widerlegung der Folge widerlegt werden kann)ausreichend Kontur besitzt (VI. Kapitel),75 konnte der Entwurf Poppers seinenEinfluß in der wissenschaftstheoretischen Diskussion der Naturwissenschaftengeltend machen. Nunmehr setzt sich die Schwäche der Bestimmung desBasissatzes fort, wenn die blinde Übertragung des Falsifikationsprinzipes imSinne Poppers auf alle Theoriebereiche gefordert wird (was als Idee einerVerfremdung zunächst aber zu begrüssen ist). Ich habe nicht vor, das vonPopper vorgeschlagene Prüfungsverfahren wegen des Scheiterns einereinheitlichen Definition des Basissatzes gleich blind zu verwerfen; hier ist dannentscheidend, ob die Charakterisierung der Basissätze ausreicht, eineindeutiges Prüfungsverfahren zu entwerfen, auch wenn dieDefinitionsversuche des Basissatzes in allen seinen benötigten Aspekten nichtzu einer Theorie des Basissatzes geführt hat, wie Popper in der aus § 28diskutierten Fußnote gehofft hat. Insofern läßt sich aber schon darausvermuten, daß Popper eigentlich ab dem dritten Kapitel keine Erkenntnislogikmehr formulieren kann, sondern bestenfalls ein Verfahren,naturwissenschaftliche Theorien nach ihrer Leistung und nach ihremBewährungsgrad zu vergleichen — was immerhin auch zu würdigen ist.

Vom Poppers Grundlegungsversuch der Erkenntnislogik als eine Theorie derTheorien bleibt also die Aufstufung der Sätze nach Allgemeinheitsstufen alslogische Voraussetzung der Falsifizierbarkeit, die Unverzichtbarkeit vonAxiomen für Naturwissenschaften, die als uninterpretierte allgemeinste Sätzenicht falsifizierbar oder verifizierbar sind, und die Unterscheidung derSubsummtionsverhältnisse zwischen Sätzen und der Falsifikationsverhältnissezwischen Sätzen (§§ 34-36) (vgl. die Unterscheidung von Bolzano inAbleitungs- und Abfolgeverhältnisse zwischen Sätzen).

Von der Bestimmung des Basissatzes bleibt neben der richtigen Kritik Poppersan den verschiedenen Fassungen des Protokollsatzes vorallem die

75 Die auch dort feststellbaren Schwächen — etwa die Unterscheidung der Falsifizierbarkeitsgrade von

Basissätzen, empirischen Sätzen und metaphysischen Sätzen (Tautologien) — zu diskutieren, mußeiner anderen Arbeit vorbehalten bleiben.,

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Bestimmung des Basissatzes als singulärer Es-gibt-Satz, und daß dieser, obwohlaus Universalien zusammengesetzt, implizite oder explizite Raum-Zeit-Bestimmungen beinhaltet. Das könnte ausreichen, um sich im Rahmen derForschergemeinschaft auf Kriterien, was als bewährte Theorie zu gelten hat, zueinigen, um wenigstens Erklärungskraft (logischer und empirischer Gehalt,§ 35) und die Falsifizierbarkeit von naturwissenschaftlichen Theorien zuvergleichen.

Wie ein Basissatz eine Theorie falsifizieren kann, vermag Popper trotz heißemBemühens jedoch nicht vorzustellen, sondern die Möglichkeit wird schließlichunbewiesen dem »methodologischen Beschluß« vorausgesetzt. Das ist einGrund, weshalb der kommunikationstheoretische Aspekt aus derErkenntnistheorie nicht ausgegrenzt werden kann.

Auch die Erkenntnislogik als Methodenlehre der Naturwissenschaften (welchewegen der Insuffizienz der Theorie der Theorien gar nicht wirklich geleistetwerden kann) steht in einem Horizont mit Psychologie und Geschichte, wiePopper in seinen Überlegungen zu einer evolutionären Erkenntnistheoriespäter selbst sagt (Skizze einer evolutionären Erkenntnistheorie, in: K. R. Popper,Objektive Erkenntnis, Verlag Campe, S. 68 ff. ):

»Doch schon bei der Abfassung meiner Logik der Forschung kam ich zu demSchluß, daß wir Erkenntnistheoretiker den Vorrang vor den Historikernbeanspruchen können: Logische Untersuchungen der Gültigkeit undAnnäherung an die Wahrheit könne für genetische und historische, ja sogar fürpsychologische Untersuchungen von größter Wichtigkeit sein. Sie sind diesenjedenfalls logisch vorgeordnet, obwohl wissenschaftsgeschichtlicheUntersuchungen dem Erkenntnislogiker viele interessante Probleme liefernkönnen.«

Ich entnehme daraus, daß die »logische Rechtfertigung« von allen»genetischen, historischen und psychologischen Fragen scharf unterschieden«werden muß; und daß eben dieselbe allen diesen Fragen vorausgesetzt ist.Aber ich entnehme dem Gesagten auch, das genetische, historische undpsychologische Fragen mit erkenntnistheoretischen Fragen in einenvorgegebenen Zusammenhang stehen. — Näher aber nicht nur diesen Fragen,die selbst schon erkenntnistheoretischer Art in einem weiteren Sinn sind,sondern auch denjenigen naturwissenschaftlichen Theorien, deren»Rechtfertigung« und »Leistung« als eigentlicher Problembestand allmählich

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aus dem Blickfeld geraten sind, werden die logischen Untersuchungenvorausgesetzt. Die Schwierigkeit »logischer Rechtfertigung« besteht alsosowohl für die eigentlich zu untersuchenden naturwissenschaftlichen Theorien,wie auch für jene Teile der erkenntnistheoretischen Untersuchungen, die zurBeurteilung der »Leistung« einer solchen Theorie in genetischer, historischerund psychologischer Hinsicht zu unternehmen sind. Ob eine logischeUntersuchung unter diesen verschiedenen Ansprüchen wirklich noch reinformalwissenschaftlich als Logik ausgegeben werden kann, ohne schon einemodale und transzendentale Reflexion miteinzuschließen, will ich dem Leserzur Beurteilung überlassen.

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