„EinFeldberichtüberdieAuswirkungenvonregelmäßigausgeführten · 2017-11-24 · 3 Es geht dabei...
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„Ein Feldbericht über die Auswirkungen von regelmäßig ausgeführten
Körperübungen auf Grundlage der personal-existentiellen
Grundmotivationen der Existenzanalyse auf die Beratungspraxis“
Abschlussarbeit für die Ausbildung:
Logotherapie und existenzanalytische Beratung und Begleitung
Jänner 2016
eingereicht von: Magdalena Buchner , BA
eingereicht bei: Dr. Anton Nindl
Mag. Renate Bukovski, MSc
angenommen am: …………………….. von: …………………………..
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................................... 1
2. Ein Einblick in die Hintergründe der Logotherapie und Existenzanalyse ............................. 2
2.1 Die Aufgaben der Beratung und Begleitung in der Logotherapie- und Existenzanalyse ........... 3
2.2 Ein Überblick über die personal-existentiellen Grundmotivationen ............................................ 4
3. Gibt es einen Zusammenhang bzw. eine Verbindung zwischen den Grundmotivationen und
dem menschlichen Körper und seinen Funktionen? .................................................................. 6
3.1 Die Bedeutung des Körpers in der Logotherapie- und Existenzanalyse ....................................... 6
3.2 Die Repräsentation der personal-existentiellen Grundstruktur im Körper ................................... 7
3.3 Die Bedeutung der Bewegung und Körperarbeit für die existenzanalytische Praxis .................. 9
4. Eine Bewegungseinheit: Körperübungen auf Grundlage der existentiellen
Grundmotivationen - Ein Versuch ........................................................................................... 12
4.1 Der Sinn der Achtsamkeit für die Bewegungseinheiten und die Beratungspraxis ..................... 13
4.2. Praktische Übungsanleitung: Auszüge aus einer Bewegungseinheit - Setting .......................... 15
4.3 Die Befragung: Fragebogen und Feldbericht.............................................................................. 22
5. Kritische Anmerkungen zur Befragung und Ausblick......................................................... 33
7. Anhang ................................................................................................................................. 35
6. Literatur................................................................................................................................ 38
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschreibt den Versuch, die personal-existentiellen
Grundmotivationen in eine Bewegungseinheit mit speziellen Körperübungen einfließen zu
lassen mit dem Ziel, mögliche Auswirkungen für die Beratungspraxis festzustellen. Zu
Beginn wird der theoretische Hintergrund zu den Grundmotivationen und die physische
Repräsentation der personal-existentiellen Grundstruktur im Körper genauer beschrieben, um
später eine konkrete Verbindung zu beispielhaften Körperübungen greifbar zu machen. Im
Hauptteil wird die Bedeutung der Bewegung und Körperarbeit für die existenzanalytische
Beratungspraxis erfasst und an Hand einiger Körperübungen, mit Bezug auf die personal-
existentiellen Grundmotivationen, exemplarisch dargestellt. Als Basis für die Körperübungen
dient die Praxis der Achtsamkeit, welche im Kontext näher erläutert wird. Ergänzt wird die
Fragestellung durch einen Fragebogen mit zehn offenen Fragen, dessen Ergebnisse in Form
eines Feldberichts dokumentiert werden. Abschließend finden sich Reflexion und kritische
Anmerkungen zur Arbeit sowie ein möglicher Ausblick für die existenzanalytische
Beratungspraxis.
Schlüsselwörter: personal-existentielle Grundmotivationen, physische Repräsentation der
personal-existentiellen Grundstruktur, existenzanalytische Beratungspraxis,
Abstract
The following paper is a trial how to implicate the personal-existential fundamental
motivations in a physical exercise, with sense to find out if there are any changes in relation
to existential analytical counselling. First of all, the theoretical background of the personal-
existential fundamental motivations and their physical representation is explained, to get a
better comprehension for a link to a physical exercise later. Through some examples the main
part shows the meaning of physical movement for the practice of existential analytical
counselling and therapy and describes a few physical exercises influenced by the theoretical
background of the existential fundamental motivations. The basis for the physical exercises is
mindfulness which is explained in detail too. In Addition to the main question there´s a
questionnaire of ten questions which findings is reported. In the end there are a few critical
comments and reflections as well as a further perspective for possibilities in practical
existential analytical counselling.
keywords: personal-existential fundamental motivations, practical existential analytical
counselling
1
„Die kleinste Bewegung ist für die ganze Natur von Bedeutung;;
das ganze Meer verändert sich, wenn ein Stein hineingeworfen wird.‟
Blaise Pascal, Gedanken
1. Einleitung Der Ausgangspunkt und Beweggrund für die vorliegende Abschlussarbeit ist meine Arbeit
als Pädagogin, Bewegungs- und Ernährungstrainerin in einem Institut für Frauen im
präventiven Gesundheitsbereich. Täglich bin ich mit den Auswirkungen des weit verbreiteten
Bewegungsmangels und mit den damit verbundenen physischen Beschwerden, sowie der
fehlenden Fähigkeit zur Körperwahrnehmung konfrontiert. Viele Menschen erleben ihre
körperlichen Beschwerden als psychische Belastung und erfahren dadurch eine starke
Einschränkung in ihrer Lebensqualität. Auffallend ist, dass immer mehr Menschen unter den
Stresssymptomen leiden, die durch die überhöhten Anforderungen des Alltags entstehen und
sich in Form von psychosomatischen Beschwerden sowie durch Beschwerden am
Bewegungsapparat zeigen. Immer wieder berichten mir die Frauen von den positiven
Auswirkungen des regelmäßigen Bewegungstrainings auf ihre Beschwerden.
Die Übungen die ich im Institut täglich durchführe umfassen klassische Gymnastik,
Rückenschule und Pilates, sanfte Yogaübungen, Atemübungen sowie Achtsamkeitsübungen
zur Förderung der Körperwahrnehmung.
Im Zuge meiner Ausbildung zur Existenzanalytischen Beraterin beschäftigt mich seit
längerem die Frage, inwieweit sich bestimmte Körperübungen, die auch im Kontext der
personal-existentiellen Grundmotivationen verstanden werden können, in die
Bewegungseinheiten einfließen könnten und welche Auswirkungen sich daraus ergeben. Die
Frage ist, ob sich durch diese regelmäßig ausgeführten Körperübungen mögliche
Veränderungen im Beratungsverlauf ablesen lassen. Im Folgenden möchte ich nun die
theoretischen Hintergründe der Logotherapie und Existenzanalyse kurz umreißen und näher
auf die personal-existentiellen Grundmotivationen eingehen, da diese die Grundlage für die
vorliegende Arbeit darstellen.
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2. Ein Einblick in die Hintergründe der Logotherapie und
Existenzanalyse Die Existenzanalyse und Logotherapie als eine Methode zur Psychotherapie wurde von
Viktor Emil Frankl entwickelt und erstmals 1933 publiziert. Ursprünglich bezeichnete
Frankl mit „Existenzanalyse‟ den theoretischen Hintergrund und mit „Logotherapie‟ die
praktische Anwendung, was zur Folge hatte, dass zwei Begriffe für eine Richtung verwendet
werden (Längle 2009, 4).
In der Logotherapie (von „Logos‟ = „Sinn‟), die ein Spezialgebiet der Existenzanalyse
darstellt - geht es primär um die Behandlung von Sinnverlusten, also um die Sinnfindung und
ihren zentralen Stellenwert für das menschliche Dasein. „Der Wille zum Sinn‟ (nach Frankl)
spielt hier eine große Rolle. „Existentieller Sinn‟ wird definiert als die beste Möglichkeit in
jeder Situation. Spezialbegriffe von Frankls Logotherapie sind unter anderem die Fähigkeit
des Menschen zur Selbsttranszendenz, sowie die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und zur
Selbstannahme. Unter Selbsttranszendenz wird in der Logotherapie die Fähigkeit des
Menschen verstanden, sich vollkommen auf etwas anderes ausrichten zu können und sich in
völliger Hingabe dieser einen Sache zu widmen. Bei der Selbstdistanzierung geht es im
Wesentlichen um die Fähigkeit, zu sich selbst in eine Distanz kommen zu können und somit
aus sich herauszutreten, um sich quasi zu sich selbst „frei zu verhalten‟ (Längle 2012, 106).
Hilfreich kann dies etwa bei Angst- oder Zwangszuständen sein, in denen durch die Methode
der Selbstdistanzierung eine andere Perspektive ermöglicht wird. Die Sinnerfassungsmethode
(Längle 1988) stellt in der Logotherapie die Hauptmethode dar.
Die Existenzanalyse ist eine phänomenologisch-personale Psychotherapie mit dem Ziel, dem
Menschen zu einem „in Freiheit und Verantwortung gestalteten Leben‟ sowie zu einer
authentischen Stellungnahme zu verhelfen (Längle 2009, 6).
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Es geht dabei um eine Analyse der Bedingungen und Möglichkeiten, und darum, sich
sogenannte Grundbedingungen zu schaffen. Diese zu gestalten und zu erleben, wird als
erfüllte Existenz gesehen. Es sind vier Grundbedingungen, die jeweils aufeinander aufbauen
und Basis dafür sind, dass „der Mensch will‟. Als Besonderheit der Therapierichtung gilt der
Person-Begriff und die phänomenologische Haltung die einen unverzichtbaren methodischen
Ausgangspunkt darstellen. Als Hauptmethode bedient sich die Existenzanalyse der
Personalen Existenzanalyse (PEA vgl. Längle 2000).
2.1 Die Aufgaben der Beratung und Begleitung in der Logotherapie- und
Existenzanalyse Im Wesentlichen geht es in der Beratung und Begleitung um eine „situative, aktuelle
Problematik‟, wie es beispielsweise bei einer Scheidung, einem Job- oder Schulwechsel der
Fall ist. Es sind „Probleme, die nicht durch Störungen der Person entstehen, sondern mehr
durch Unkenntnis, wenig Zeit, wenig Motivation, wenig Kraft‟ (Längle 1984/1996). Der
Fokus richtet sich in der Beratung auf das gemeinsame Finden einer Lösung des Problems. Es
geht um eine eher sachorientierte Anleitung zur Selbsthilfe. Das Bergen der Ressourcen und
Fähigkeiten der Person steht in der Beratung im Vordergrund. Diese Fähigkeiten und
Ressourcen gilt es zu mobilisieren, um so das Verhaltensrepertoire zu erweitern und einen
Umgang mit dem, wie es jetzt gerade ist zu ermöglichen. Die Beratung bleibt in der Distanz
und sieht vor, einen Menschen über einen kürzeren Zeitraum hinweg zu unterstützen.
Methoden die in der Beratung zur Anwendung kommen sind vor allem die Personale
Existenzanalyse (PEA), die Dereflexion (DR), die Personale Positionsfindung (PP), die
Paradoxe Intention (PI) und die Willensstärkungsmethode (WSM) sowie die schon erwähnte
Sinnerfassungsmethode (SEM).
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2.2 Ein Überblick über die personal-existentiellen Grundmotivationen Im Folgenden möchte ich näher auf die theoretischen Inhalte der Grundmotivationen
eingehen. Sie bilden einen Schwerpunkt der Arbeit und sind für das spätere Verständnis in
Bezug auf die Körperübungen von Bedeutung.
In der ersten Grundmotivation geht es um die Bedingungen, die einem Menschen gegeben
sind, um das „Dasein-Können‟. Die Frage ist: Ich bin, kann ich auch sein unter den mir
gegebenen Bedingungen? Voraussetzung dafür sind die Komponenten Raum, Schutz und
Halt sowie Vertrauen. Um da sein zu können braucht es die Fähigkeit des Aushaltens des
Negativen und das Annehmen des Positiven. Fehlt einem Menschen das Grundvertrauen,
dann führt dies zu Verunsicherung, Angst, Verschlossenheit und in weiterer Folge zu
Ablehnung, Kampf, Vernichtung und Lähmung. Die zweite Grundmotivation dreht sich um
das Thema „Leben-mögen‟ mit der Frage: „Ich lebe, mag ich leben?“. Um den Wert des
Lebens zu fühlen braucht es Zeit, Nähe und Beziehung zu einem selbst, zu Mitmenschen
sowie der Natur und der Umwelt (Längle 2009, 21). Die Frage nach dem Mögen ermöglicht
die Zuwendung zu den Dingen und schafft Offenheit dafür, sich berühren zu lassen
(Gefühle). Es stellt sich somit eine Bewegung durch das Leben ein und das Erleben von
Wohlbefinden und Stärke. Je weniger das Mögen aufgegriffen wird, desto mehr erfolgt ein
Streben nach Auffüllen durch das Außen, beispielsweise durch Anerkennung, Dankbarkeit,
Geld etc. und ein Suchtkeim entsteht (Längle 2002, 8). Fehlen einem Menschen die Zeit,
Nähe oder die Beziehung im Leben, gehen damit auch die Lebenswerte verloren. Dieser
Verlust löst Copingreaktionen wie Rückzug, Leisten und Entwertung, Wut und Resignation
sowie Abschalten durch Erschöpfung aus (Längle 2002, 9).
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In der dritten Grundmotivation geht es um die Person, um das „So-Sein dürfen‟. Die
Grundfrage lautet hier: „Ich bin ich, darf ich so sein?‟ Um selbst sein zu können - Person
sein zu können - und die eigene Authentizität zu spüren, braucht es die Erfahrung von
Beachtung, Gerechtigkeit und Wertschätzung durch einen selbst und die Welt. Von großer
Bedeutung ist in diesem Kontext die Abgrenzung des Eigenen vom Anderen. Diese
Grenzziehung ist wesentlich, um das Eigene zu finden, um es aufzugreifen und sich danach
auszurichten und es zu vertreten. Als Person gilt das in mir, was „Ich“ sagt (Längle 2012,
70). Wenn das Eigene jedoch beim Anderen nicht ankommt bzw. die personale Offenheit
durch andere abgewiesen wird und der Mensch keine Beziehung mehr zum Eigenen hat,
entsteht ein Gefühl des „verloren sein‟. Diese Verletzung zieht eine Reihe an Begleitgefühlen
mit sich. Es entstehen Unzufriedenheit, Selbstzweifel, Einsamkeit und Leere. Wird der
Mensch in seinem Selbst-Sein eingeschränkt oder sogar behindert, kommt es zur
Distanzierung, Flucht nach vorne, Zorn, Ärger und Groll und sogar zur Spaltung oder
Dissoziation. Sind alle drei Grundmotivationen erfüllt, geht es darum sich in der Welt zu
einzubringen, seinen Beitrag für das Werden in der Welt zu liefern und in diesen
Sinnzusammenhängen aufzugehen. Die vierte Grundmotivation dreht sich um „Sinnvolles-
Wollen‟ und darum, das eigene Leben zum Einsatz zu bringen, damit es im Gefüge dieser
Welt gut wird (Längle 2012, 6). Der Mensch befindet sich in einem kontinuierlichen Fließen,
verändert sich und entwickelt sich laufend weiter. Die Tatsache, dass sein Tun Auswirkungen
auf die Welt hat, und dadurch Neues entstehen kann, stellt ihn vor die Frage: „Was braucht
es von mir?‟. Die Antwort: Sinnvoll handeln, und sich mit Offenheit, Hingabe und
Engagement selbst zu verwirklichen (Längle 2009, 23). So kann sich ein Gefühl des
„eingebettet-Sein‟ in der Welt und ein Verständnis für einen größeren Sinnzusammenhang
einstellen. Wesentliche Themen der vierten Grundmotivation sind also einerseits, sich in
einen größeren Horizont von Welt einzubringen und andererseits sich selbst in diesem
größeren Zusammenhang zu finden und sich auch darin aufgehoben zu fühlen (Familie,
Freunde, Beruf, Glaube etc.). Der Mensch begibt sich sozusagen in einen dialogischen
Austausch mit der Welt im Sinne von „Menschsein heißt In-Frage-Stehen, Leben ist Antwort
geben‟ (Längle 1988, 10).
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Verliert ein Mensch die Sicht auf das Sinnhafte oder wird er darin behindert, so äußert sich
dies in einem sogenannten „existentiellen Vakuum‟, das mit einer Leere und Sinnlosigkeit
sowie mit Lethargie und Apathie und einem Verlust am Interesse der Welt einhergeht.
In der Existenzanalyse werden diese vier Grundbedingungen - Welt, Leben, Person-Sein und
Sinn - als existenzielle Bedingungen verstanden, mit denen sich der Mensch
auseinandersetzen muss. Durch die Zustimmung zu diesen Bedingungen - Ja zur Welt, Ja
zum Leben, Ja zur Person und Ja zum Sinn - erfährt der Mensch schließlich eine erfüllte
Existenz.
3. Gibt es einen Zusammenhang bzw. eine Verbindung zwischen den
Grundmotivationen und dem menschlichen Körper und seinen
Funktionen?
3.1 Die Bedeutung des Körpers in der Logotherapie- und Existenzanalyse Inspiriert von Spinozas Ethik wählte Frankl für die Darstellung des Ineinandergreifens von
Leib, Seele und Geist ein dreidimensionales Modell, das den Menschen als eine Einheit und
Ganzheit trotz Mannigfaltigkeit beschreibt. Der Mensch ist im Modell der zentrale
Ausgangspunkt, von dem aus eine Verbindung zu den Anteilen Geist (Freiheit,
Verantwortung, Sinn und Gespür), Psyche (Triebe, Stimmungen, Persönlichkeitszüge Affekte
und Copingreaktionen) und Körper (das Materielle am Menschen) hin führt (vgl. Längle
2009, 91, Abb. 14). Das Da-Sein als atmender Körper, mit dem Gespür und der Stimmung
des Leibes, dem Gewicht des Körpers und das Sich-Vorfinden in bestimmten Situationen
stellt somit die Basis für die Logotherapie und existenzanalytische Arbeit dar. Nach Frankls
Auffassung ist der Körper Gegenüber, Dialogpartner und im psychosomatischen
Parallelismus zusammen gespannt. Der Körper scheint (nur) als „eine Notwendigkeit, damit
der Geist sich durch ihn zeigen kann (…) um das situativ Gesollte ver-antworten zu können‟
(Jaeger-Gerlach 2009, 95).
In der Weiterentwicklung der Existenzanalyse durch Alfried Längle erhält die Bedeutung des
Körpers nun eine Ergänzung hinsichtlich der psychischen Dimension und ihrer Dynamik.
Aus heutiger Sicht der Existenzanalyse wird mehr das Subjekthafte als das Objekthafte
betont, mehr das Gefühlte als das Gedachte, also mehr die Ganzheitlichkeit des Ich, anstatt
der einzelnen Dimensionen (Längle 2009, 15). Wesentlich ist dabei die Kraft des personalen
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Ich, dem hier eine besondere Bedeutung zukommt. Längle (2009) weist hier auf die
Verbindung zwischen Psyche und Person hin. Dies bedeutet, dass sich Psychisches und
Geistiges mit dem Körperlichen vergleichen lässt. Ein praktisches Beispiel wäre, dass
Konflikte „verdaut werden‟ oder Informationen nur in „in kleinen Portionen‟ verarbeitet
werden. Weiters hat diese Ganzheitlichkeit zur Folge, dass die verschiedenen Dimensionen
(s.o.) in einem Takt schwingen, funktional bereit stehen und sich gegenseitig entlasten
können wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn jemand mit einer Aufgabe überfordert ist und
nicht weiterkommt (Hausaufgabe). Die Überforderung kann gleichzeitig zu Müdigkeit und
Lustlosigkeit führen. Es sind nun die anderen Dimensionen präsent, das Problem wird auf
eine andere Ebene überspielt und es wird klarer, was es jetzt braucht (Ruhe, Abstand…).
3.2 Die Repräsentation der personal-existentiellen Grundstruktur im Körper Wie bereits weiter oben erwähnt, bildet sich Psychisches im Körper ab und Körperliches
bildet sich wiederum im Psychischen und Geistigen ab. „Wir sind körperlich;; wir haben nicht
nur unseren Körper‟ (Längle 2009, 15). Die Grunddimensionen der Existenz sind psychisch
und körperlich mehrfach repräsentiert. Ich beschränke mich im Folgenden auf die körperliche
Ebene. Neben den psychischen Gefühlen schwingt immer auch ein körperliches Erleben mit,
welches bewusst oder unbewusst wahrgenommen und mehr oder weniger stark gefühlt wird.
Dieses Erleben ist ständig präsent. Längle (2009, 17) weist auf die Fähigkeit des Körpers hin,
Befindlichkeiten nicht nur über Gefühle auszudrücken, sondern sich auch in verschiedenen
Organen abzubilden. Dies ist psychosomatisch betrachtet gerade dann wichtig, wenn der
psychische Indikator ausfällt oder unbeachtet bleibt.
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Ein Beispiel: Ein Mensch verspürt körperlich starke Schmerzen im Schulter- Nackenbereich
und psychisch erlebt er eine akute Belastung durch eine Ehescheidung. Längle betont zudem,
dass es über den Körper auch einen Zugang zum Psychischen gibt (Essen, Sport, Gymnastik,
Massage, Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren etc.)
Längle (2009, 17) liefert eine Skizze der körperlichen Phänomenologie über die
Repräsentation der personal-existentiellen Grundstruktur im Körper:
Die erste Grundmotivation - bezogen auf die Komponenten Halt, Raum und Schutz - findet
ihre Repräsentanz in der Lunge und wird im funktionellen Erleben als freier Raum
wahrgenommen. Die zweite Grundmotivation in Form von Bewegung, Leben, Nähe und
Beziehung wird über das Herz-Kreislauf System repräsentiert und über das Erleben von
Lebendigkeit spürbar. Die dritte Grundmotivation, bezieht sich auf die Fähigkeit zur
Abgrenzung, auf die Intimität sowie die Aneignung. Sie spiegelt sich im Magen- Darmtrakt
und im Immunsystem wider, also dort, wo Fremdes aufgelöst und angeeignet wird.
Voraussetzung dafür ist die Offenheit zur Welt. Weiters wird die dritte Grundmotivation über
die Sexualorgane repräsentiert, welche das Erleben größtmöglicher Intimität darstellen, sowie
über das Gesicht. Bei bestehender Offenheit zur Umwelt wird dies in Form eines In-sich-sein,
sowie eines Einheitsgefühls und dem Schwingen von Stimmigkeit erlebt. Die vierte
Grundmotivation - wobei es um die Handlungsfähigkeit und das „Vollziehen-Können des
Inneren in der äußeren Welt‟ und das Gefühl für einen größeren Sinnzusammenhang geht,
bildet sich im Bewegungsapparat und in der Muskulatur ab. Erlebt wird dies in einem
Zustand des sich Hingebens und völlig in einer Sache aufgehen, sodass man alles um sich
herum vergisst. Ergänzend dazu ist die Haut als Berührungsfläche für Nähe, Kontakt und
Zärtlichkeit Repräsentationsorgan der zweiten Grundmotivation sowohl als auch für die dritte
Grundmotivation, da sie gleichzeitig eine Grenze zur Außenwelt darstellt.
Betrachtet man nun die existenzanalytische Anthropologie genauer, wird hier sofort der
Unterschied zwischen Frankls Darstellung der Dimensionen (vgl. 2.1) und der
Existenzanalyse heute sichtbar.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nach heutiger Auffassung jede Dimension auch
eine andere in sich enthält und doch verschieden ist. Die Einheitlichkeit einerseits und die
Mannigfaltigkeit andererseits sind sozusagen miteinander verwoben.
3.3 Die Bedeutung der Bewegung und Körperarbeit für die existenzanalytische
Praxis Bereits „vor und nach dem 2. Weltkrieg entstehen - meist auf Grundlage der
Tiefenpsychologie - körperorientierte Psychotherapien, die die psychische-, somatische- und
existentielle Dimension des Menschseins gleichwertig behandeln bzw. verstärkt die
somatische Dimension in den Vordergrund rücken‟ (Jaeger-Gerlach 2009, 95). In diesen
körperorientierten Psychotherapien geht man davon aus, dass über den Körper das
Unbewusste zu erreichen ist. Susanne Jaeger-Gerlach (2009) beschreibt in einem Essay zu
ihrem Workshop „Traumkörper - Körpertraum‟, warum die Körperarbeit in der Therapie
einen so bedeutenden Stellenwert einnehmen kann und integriert die Feldenkraismethode
„Bewusstheit durch Bewegung‟ in die existenzanalytische Praxis. Gerade diese Form der
Bewegungsmethode könnte man als einen Lernprozess sehen, eine Art „körperliche
Neuerziehung‟. Shelhav-Silberbusch (1999) nutzt die Feldenkraismethode beispielsweise als
Lernmodell. Sie verweist in ihrer Studie auf die Weiterentwicklung der körperlichen sowie
geistigen Ebene, und die Möglichkeit zur Verbesserung verschiedener Funktionen durch die
Methode. Ein anderes Beispiel aus der existenzanalytischen Praxis ist der Versuch von
Markus Angermayr (2009), die Arbeit mit dem Körper nicht nur theoretisch, sondern auch
praktisch in die Existenzanalyse hereinzunehmen. In seinem Essay zum Workshop „Dasein-
Atmen-Achtsamkeit‟ beschreibt er sehr eindrücklich die Auswirkungen der „Breema-
Körperarbeit‟ auf das Erleben der eigenen Präsenz und die Bedeutung der körperorientierten
Selbsterfahrung für die psychotherapeutische Praxis. In der Tradition der „Breema-
Körperarbeit‟ bleibt die Wahrnehmung beim Erspürten selbst und eröffnet somit einen
phänomenologischen Zugang zur eigenen Erfahrung, was sich aus existenzanalytischer Sicht
als unterstützend erweist. Er unterscheidet dabei zwischen spürbarem Leib-Sein, und
gegenständlichem Körper-Haben. Ziel des Workshops war es, Übungssequenzen aus der
„Breema-Körperarbeit‟ phänomenologisch zu reflektieren und dadurch die Bedeutung der
Körperarbeit für die existenzanalytische Praxis zu fassen.
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„Wir können alles isoliert anschauen, aber nichts besteht für sich allein, nicht in uns und
nicht um uns. Alles hängt mit allem zusammen - dieser Satz der Chaostheorie würdigt die
Aufgabe des einzelnen Organs bzw. Menschen, aber weist auch hin auf den Zusammenhang,
das Zusammenspiel und das Angewiesensein der einzelnen Teile.‟
(Jaeger-Gerlach 2009, 95)
Ein weiterer Aspekt, der über die vergangenen Jahre in Therapie und Beratung immer mehr
Beachtung erhalten hat, ist die Sprache und Ausdrucksfähigkeit des Körpers. Gerade über die
Körperhaltung sowie Gestik und Mimik kann sich Bewegendes oder Berührendes, das der
Mensch in seinem Leben erfährt, ganz massiv widerspiegeln. Die Bewegung dient dem
Menschen als eine Möglichkeit sich in die Welt hinaus auszudrücken, sich selbst sowie
anderen zu begegnen, und „ist integraler Bestandteil des Menschen als einer Körper-Seele-
Geist-Einheit‟ (Jaeger-Gerlach 2001, 50). Susanne Jaeger-Gerlach (2001) bringt in ihrem
Vortrag - „Die Sprache des Körpers. Körperarbeit und Körpertherapie als Unterstützung einer
Therapie des Wortes‟ - ihr Anliegen zum Ausdruck, den Menschen in Therapie und
Beratung, nicht nur als Körper-Seele-Geist Einheit anzusprechen, sondern ihm
gegebenenfalls auch Impulse zur Verfügung zu stellen, die wiederum Seele und Geist
berühren können. Sie verweist hier auf zusätzliche Praktiken wie Qi Gong, Yoga,
Wirbelregulation, Physio- oder Atemtherapie etc. Jäger-Gerlach differenziert dabei zwischen
der „Wahrnehmung der Körpersprache‟, der „Körperarbeit‟ und der „Körpertherapie‟. Die
„Wahrnehmung der Körpersprache‟ ist als phänomenologische Haltung zu sehen, in der
versucht wird, die Botschaften der Seele die sich über den Körper ausdrücken, zu verstehen.
Unter „Körperarbeit‟ versteht Jaeger-Gerlach einerseits eine verbale Anleitung zur eigenen
Körperwahrnehmung durch den Therapeuten oder Berater, und andererseits eine Anleitung
zu Übungen, die nützlich sein können, „festgefahrene oder einengende Haltungen‟ zu
verändern (Jaeger-Gerlach, 2009, 53ff). Die „Körpertherapie‟ sieht sie als ein tieferes
Eingreifen in die Dynamik der Einheit von Körper-Seele-Geist, wie es beispielsweise in einer
Physiotherapie der Fall ist.
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Der Klient bzw. Patient ist hier auf die Hände des Therapeuten angewiesen, der muskuläre
Verspannungen im Körper löst, die mit Worten und Anleitungen nicht zu überwinden wären.
Ich möchte an dieser Stelle die Bedeutung einer uneingeschränkten Funktion der Wirbelsäule
hervorheben, die ausschlaggebend für die Leistungsfähigkeit des Menschen ist.
Die Beweglichkeit unserer Wirbelsäule - sie stellt die Bewegungsachse des Körpers dar -
wird durch die straffen Bänder und Wirbelgelenke bestimmt. Zwischen den einzelnen
Wirbeln gibt es nur einen sehr kleinen Bewegungsspielraum, trotzdem ergibt sich durch die
Summe aller Teilbewegungen ein beträchtliches Bewegungsausmaß. Diese vollständige
Beweglichkeit ist dann gegeben, wenn alle Segmente beweglich sind. Wenn nur ein Teil
weniger beweglich, oder sogar blockiert ist, werden die anderen Segmente stärker
beansprucht. Es kommt zur Überlastung, zu Abnützungserscheinungen und mehr oder
weniger starken Schmerzen, die in den gesamten Körper ausstrahlen können (Michler &
Graß 1996, 18). Führt man sich vor Augen, welcher Informationsfluss zwischen dem Gehirn
und unserem Körper stattfindet, lässt sich erahnen, was es für Folgen haben kann, wenn
dieser gestört oder eingeschränkt ist. Der Atlas - unser erster Wirbel der Halswirbelsäule -
stellt das Bindeglied zwischen Kopf und Körper dar. Durch ihn fließen nahezu alle
Nervenbahnen durch den Wirbelkanal. Bereits die geringste Fehlstellung übt Druck auf die
Nervenbahnen aus, und kann verschiedenste Beschwerden nach sich ziehen, und auch die
Selbstheilungskräfte des Körpers in ihrer Wirkung stark einschränken. Es wird nun
nachvollziehbar, dass jede zusätzliche Maßnahme, welche auch die Gesundheit der
Wirbelsäule fördert für den weiteren Psychotherapie- oder Beratungsverlauf eine
unterstützende - wenn nicht sogar wesentliche - Möglichkeit darstellen kann.
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Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Arbeit mit dem Körper in Therapie
und Beratung einen weiteren Zugang darstellen kann, über den sich ein Mensch erfährt, sich
berühren lässt oder sogar ganz loslassen kann. Durch ein Gespräch ist das nicht immer der
Fall. Inzwischen gibt es zahlreiche Konzepte zur Körperarbeit die in der Psychotherapie oder
Beratung zur Anwendung kommen: Feldenkrais, Bioenergetik, Wirbelregulation oder auch
bewegungsorientierte Ansätze wie Yoga, Qigong oder Tai Chi erhalten immer mehr
Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, die Gesundheit zu fördern und die Lebensqualität
damit zu steigern.
4. Eine Bewegungseinheit: Körperübungen auf Grundlage der
existentiellen Grundmotivationen - Ein Versuch Wie in Punkt 2.2 und 2.3 bereits hervorgeht, lassen sich die Grundmotivationen körperlich
zuordnen und wird die Körperarbeit bereits theoretisch und praktisch in die Existenzanalyse
eingebunden. Leben erfüllt sich nicht in der Bewegungslosigkeit oder im bloßen Zuschauen,
sondern im Verwirklichen, Tun und Gestalten (Jaeger-Gerlach 2009, 96).
Dass durch die körperliche Bewegung auch der Geist in Bewegung kommen kann, wird sehr
gut spürbar, wenn man sich beispielsweise beim Wandern oder Joggen in der Natur einfach
in voller Aufmerksamkeit den Bewegungsabläufen und dem Atemrhythmus des eigenen
Körpers widmet. Der Kopf wird angenehm „leer‟ und der Blick für das Wesentliche langsam
wieder frei. Sobald sich der Geist beruhigt und sich der Mensch wieder mehr im Spüren
verankert, kann wieder Raum entstehen für eine Begegnung mit dem Eigenen, Personalen
und den Werten die einen an-ziehen.
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4.1 Der Sinn der Achtsamkeit für die Bewegungseinheiten und die
Beratungspraxis Im Folgenden möchte ich näher darauf eingehen, welche Rolle die Achtsamkeitspraxis für
die Bewegungseinheiten spielt und sich in weiterer Folge auf die Beratung auswirken kann.
In meinen Ausführungen nehme ich Bezug auf die Achtsamkeitspraxis nach Jon Kabat-Zinn,
Begründer der Stress Reduction Clinic und des Instituts für Achtsamkeit in Massachusetts.
Diese Art der Achtsamkeitspraxis sieht es vor, ablenkende Gedanken nicht auszuschließen,
sondern ihnen mit einer annehmenden Haltung gegenüberzustehen und sie damit im Zentrum
des Gewahrsein zu belassen. Der Ursprung dieses Ansatzes für Meditation ist über 2500
Jahre alt und stammt vorwiegend aus der buddhistischen Tradition.
Was bedeutet nun Achtsamkeit? Achtsam sein heißt, zuerst Ruhe und Beständigkeit durch
eine einsgerichtete Aufmerksamkeit zu kultivieren und darüber hinaus alle Gedanken und
Gefühle die entstehen wahrzunehmen und zu beobachten. Wesentlich ist dabei, es zu
bemerken, wenn sich der „urteilende Geist‟ zeigt, oder die Gedanken zum wiederholten Mal
abschweifen (Kabat-Zinn 1990, 41ff). Wenn dies der Fall ist, geht es darum, bewusst die
Rolle eines neutralen Beobachters einzunehmen und einfach nur wahrzunehmen, von welcher
Qualität die Gedanken sind ohne die Gedanken dabei zu bewerten, zu beurteilen oder auf sie
zu reagieren. So gut es einem möglich ist, lässt man die Gedanken an sich vorbei ziehen, und
zentriert die Aufmerksamkeit wieder auf den eigenen Atemrhythmus.
Dieses urteilsfreie Wahrnehmen der Moment-zu-Moment-Erfahrung kann helfen, die
Fähigkeit des Mitgefühls sich selbst und anderen gegenüber zu stärken, sich der Absichten,
Verhaftungen, Vorlieben oder Unstimmigkeiten, die sich vielleicht hinter den Gedanken
verbergen, bewusst zu machen. Weiters führt diese umfassende Art der Wahrnehmung dazu,
dass man sich weniger in den eigenen Gedankengängen verstrickt.
„Man kann vieles erkennen, wenn man einfach nur hinschaut.‟ (Yogi Berra)
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Besonders für Menschen, die unter Stress, Schmerzen und chronischen Erkrankungen leiden,
kann diese Form der Achtsamkeitspraxis einen Weg zur Selbsthilfe darstellen, um trotzdem
so erfüllt wie möglich leben zu können (Kabat-Zinn & Kesper-Grossman 1999, 7).
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten Achtsamkeit zu praktizieren: Einerseits in
formeller Weise, in dem man sich ganz dazu verpflichtet, eine bestimmte Zeit lang, von
Moment zu Moment, gegenwärtig zu sein. Am besten lässt sich dies in einer bequemen
Sitzhaltung auf einem Stuhl oder Sitzkissen ausführen, möglichst an einem ruhigen Ort, an
dem man nicht gestört wird. Andererseits auf informelle Art, bei der nahezu jede alltägliche
Handlung in Frage kommt. Ausschlaggebend ist dabei, sich immer wieder daran zu erinnern
aufmerksam zu sein. Besonders gut eigenen sich dazu Tätigkeiten, wie etwa Bügeln, Wäsche
waschen, Putzen, Kartoffeln schälen, Duschen, Zähneputzen u. a. .
Mit einiger Übung kann sich das gewohnheitsmäßige blinde Dasein in ein Erleben von
Klarheit und wacher Präsenz einstellen. Die Absichtslosigkeit und das Nicht-Tun stehen
dabei im Vordergrund der Achtsamkeitsübung.
Welche Bedeutung kommt nun der Achtsamkeit im Bewegungstraining zugute und wie
könnte sich diese Kombination auf die Beratungspraxis auswirken?
Vielen Frauen ist es erst nach der Arbeit möglich, an den Trainingseinheiten teilzunehmen.
Oft wirken ihre Gesichter noch angespannt und gehetzt von der Büroarbeit oder müde und
erschöpft und die Körperhaltung wirkt in sich eingefallen. Gerade dann kann die informelle
Art der Achtsamkeitsübung helfen, zur Ruhe zu kommen und sich wieder auf den eigenen
Körper zu konzentrieren. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit hat einerseits direkte
Auswirkungen auf die Übungsausführung, andererseits sorgt die urteilsfreie Wahrnehmung
und das Beobachten der eigenen Gedanken für Klarheit.
Ziel ist es, mehr Gespür für sich selbst und die persönliche Belastungsgrenze zu entwickeln,
sie anzunehmen und ein Gleichgewicht zwischen Sein und Tun zu erfahren. Gerade nach
einem mühevollen Arbeitstag kann diese Form der Konzentration für eine wache, angenehme
Entspannung sorgen und wirkt sich positiv auf das körperliche Wohlbefinden und damit auch
auf die Lebensqualität aus.
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Weiters wird durch eine geschärfte Präsenz der Blick für das Wesentliche geschult und das
Mobilisieren von Ressourcen und Fähigkeiten sowie das Umgehen-Können mit den
alltäglichen Anforderungen und Belastungen erleichtert. Zusammenfassend wird nun klarer,
welche Bedeutung der regelmäßigen Achtsamkeitsübung zukommt und lässt sich festhalten,
dass diese sich unterstützend auf die existenzanalytische Beratungspraxis auswirken kann.
4.2. Praktische Übungsanleitung: Auszüge aus einer Bewegungseinheit - Setting Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, die Bewegung durch den theoretischen
Hintergrund der Existenzanalyse zu untermauern um die Körperübungen in einem anderen
Kontext zu verstehen. Durch die Befragung von fünfzehn Frauen sollen mögliche
Auswirkungen der Bewegung auf die Beratungspraxis einerseits und andererseits deren
Lebensqualität und körperliches Wohlbefinden in Bezug auf die vier Grundmotivationen
erfasst werden. Zudem werden konkrete Übungen zur Unterstützung der Beratungspraxis
beispielhaft dargestellt.
Das Setting bezieht sich auf die Einzelberatung sowie auf das Bewegungstraining in der
Kleingruppe von fünf bis zehn Personen, in diesem Fall sind es Frauen im Alter von 28 - 82
Jahren. Die Bewegungseinheiten dauern wie auch eine Beratungseinheit fünfzig Minuten und
umfassen Übungen aus der Rückenschule, klassische Gymnastik, Yoga sowie Achtsamkeits-,
Körperwahrnehmungs-, und Atemübungen. Zu erwähnen ist, dass einige der befragten
Frauen, die an den Bewegungseinheiten teilnehmen, durch verschiedene physische
Beschwerden oder Übergewicht mehr oder weniger stark eingeschränkt sind. In den
Bewegungseinheiten wird keine Leistungssteigerung intendiert, wie es vielleicht bei vielen
Fitnesskonzepten der Fall ist. Die Leistungssteigerung ist vielmehr eine logische
Konsequenz, die sich aus einer regelmäßigen Übungsausführung ergibt. Übertragen auf die
Existenzanalyse möchte ich bestimmte Themen der einzelnen Grundmotivation besonders
hervorheben, da diese für die Frauen bei den Körperübungen immer wieder eine Rolle
spielen, und zwar: Im Sinne der ersten Grundmotivation sind es das Erleben von Halt und
Raum im eigenen Körper sowie das Annehmen, Aushalten und Finden einer stimmigen
Belastung um sich in Freiheit und Verantwortung dem eigenen Körper zu verhalten. Die
zweite Grundmotivation, mit den Themen Zeit, Nähe und Beziehung, im engeren Sinn, sich
dem eigenen Körper zuwenden zu mögen, die eigenen Bedürfnisse aufgreifen zu können und
mit ihnen in Beziehung zu treten. Die dritte Grundmotivation, einerseits im Erfahren oder
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Wahrnehmen der persönlichen Belastungsgrenze durch die Körperübungen und andererseits
das Begreifen der Grenze zur Außenwelt durch die Haut/den Körper. Die vierte
Grundmotivation, in Bezug auf die Fähigkeit sich ausrichten zu können auf einen größeren
Sinnzusammenhang hin und dem Gefühl für Verbundenheit, im Besonderen durch jene
Körperübungen, welche die Achtsamkeit und Präsenz fördern.
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Die theoretischen Inhalte der Logotherapie und Existenzanalyse sollen nun mit Bezug auf die
vier Grundmotivationen praktisch eingebracht und exemplarisch an drei Körper - bzw.
Wahrnehmungsübungen nachgezeichnet werden. Die erste der drei Übungen stellt eine
Gymnastik- bzw. Mobilisierungsübung dar. Bei den anderen beiden Übungen geht es in
erster Linie um die Schulung von Achtsamkeit und Atmung, diese können leicht in den
Beratungskontext - falls dies angebracht ist - integriert werden.
1. Übung: Spannungsgefühle im Brustkorb lösen, Atemschulung
Aus Perspektive der Trainingslehre wirkt sich diese Übung mobilisierend auf die gesamte
Wirbelsäule sowie die Schulter-, Nackenmuskulatur, Hüfte und Fußknöchel aus:
Für die folgende Übung im Stehen werden die Beine hüftbreit ausgerichtet, das
Körpergewicht soll hier auf beiden Fußsohlen gleich verteilt sein um ein Gefühl für Halt
herzustellen, die Schultern streben nach hinten und unten, sodass Weite im Brustkorb
entsteht und der Scheitelpunkt zieht zur Decke.
Die Aufmerksamkeit wird nach innen gerichtet, auf den ein - und ausströmenden Atem. Es
folgt ein mehrmaliges Auf- und Abrollen beider Fußsohlen im Einklang mit der Atmung
(einatmend auf die Zehenspitzen hoch rollen und ausatmend auf die Ferse abrollen, sodass
sich die Zehenspitzen vom Boden leicht abheben).
Es werden nun die Arme in großen, weiten ausladenden Kreisen mitgenommen, wobei die
Arme einatmend über den Kopf gehoben werden und beim Ausatmen mit Spannung nach
hinten und unten geführt werden (die Arme bleiben dabei immer gestreckt). Die
Bewegungsausführung sollte hier so erfolgen, dass in ihr eine Dynamik entsteht.
Während der Übungsausführung geht es darum, in die Schultergelenke hineinzuspüren, den
Druck und den Zug wahrzunehmen und den damit verbundenen Raum zu spüren, der jetzt
vielleicht in der Herzgegend und im gesamten Brustbereich entsteht.
Diese Bewegung wird ca. eine Minute lang durchgeführt, danach folgt eine kurze Pause des
Nach-spürens in Schultergelenke, Brustkorb und Fußsohlen, ohne dabei das
Wahrgenommene zu kommentieren oder zu bewerten.
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Diese Übung könnte man auch als Halte- oder Vertrauensübung sehen, da beim Abrollen auf
die Ferse oft das Gleichgewicht verloren geht. In der Anleitung finden sich Elemente, die im
Besonderen die erste Grundmotivation mit den Begriffen Halt, Raum und Vertrauen
wiederspiegeln und auch physisch im Zuge des Atemvolumens spürbar werden. (vgl. Punkt
2.2 „die Repräsentationen der personal-existentiellen Grundstruktur im Körper‟). Gerade bei
Angst, Unsicherheit oder auch Trauer, die oft durch das Gefühl von Haltlosigkeit und in einer
Art des Verloren-Sein spürbar werden oder in Form von Druck und Anspannung im
Brustbereich erlebt werden, könnte sich diese Übung positiv und unterstützend auf den
Beratungsverlauf auswirken. Der Zugang zum individuell erlebten könnte durch diese Art
und Weise der Bewegung verbessert werden und somit das Bergen eines
phänomenologischen Gehalts ermöglichen.
Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel aus der Beratungspraxis anführen: Eine junge Frau,
26 Jahre alt, verheiratet und Mutter von drei Kleinkindern erfährt durch den Familienalltag
oft einen Mangel an Freiraum, Druck, Anspannung und Ärger. Essen, vorwiegend Süßes,
stellte für sie jahrelang einen Spannungsausgleich dar. Seit ca. einem Jahr nimmt sie am
wöchentlichen Bewegungstraining teil und in der Beratung berichtet sie mir von ihren
Körpererfahrungen durch die sie mehr Freiraum spürt und sich „im Brustbereich wieder
leichter fühlt‟. Durch die Bewegung und das vermehrte Hineinfühlen ist es der Klientin nun
möglich, die Spannungsgefühle zu fassen, sie aufzugreifen und damit in einen anderen
Umgang zu kommen. Die Bewegung kann hier einerseits einen besseren Zugang zu sich
selbst ermöglichen, wobei spürbar wird worum es im Grunde geht und andererseits eine
direkte Möglichkeit für den Spannungsabbau sein.
2. Übung: Schulung der Körperwahrnehmung - Begreifen der eigenen (Körper)grenze
Im Stehen werden nun beide Beine hüftbreit ausgerichtet, um sich des Halts über beide
Fußsohlen bewusst zu werden. Die Schultern streben sanft nach hinten und unten und das
Kinn sollte leicht zum Schlüsselbein ziehen, sodass der Scheitelpunkt nach oben ausgerichtet
ist. Mit der linken Hand wird nun der gesamte rechte Arm sanft durchgeknetet. Beginnend
mit den Fingerspitzen der rechten Hand arbeitet man sich ganz langsam nach oben bis zum
Schultergelenk vor und weiter bis zur Halswirbelsäule, immer mit dem Bewusstsein, „das ist
meine Hand, mein Unterarm, mein Oberarm‟ usw. Bevor ein Wechsel zum anderen Arm
stattfindet, soll den Körperempfindungen in einer kurzen Pause aufmerksam nachgespürt
werden.
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Durch das Be-greifen der eigenen Haut wird einerseits die Grenze zur Außenwelt spürbar,
was einen Inhalt der dritten Grundmotivation darstellt, andererseits könnte man dies auch als
ein Sich be-greifen im eigenen Leib-Sein und Körper-Haben deuten. Das sich selbst
Zuwenden im wohlwollenden, sanften Kneten und Berühren der eigenen Haut lässt Nähe
entstehen und ermöglicht es, eine Beziehung zu sich selbst aufzunehmen. Im Nachspüren
wird vielleicht Wärme und Bewegung (in Form von Kribbeln, Brennen oder Pochen)
spürbar, worin sich Themen der zweiten Grundmotivation wieder finden.
Bei depressiven Verstimmungen die sich oft in Lustlosigkeit und Abgeschlagenheit
ausdrücken oder auch bei massiver Stressbelastung durch den Alltag könnte diese
Körperübung im Beratungskontext eine Unterstützung für den/die KlientIn sein, um den
Prozess der Abgrenzung zusätzlich aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und zu
verstehen oder helfen, wieder in Fühlung mit sich selbst zu kommen.
3. Übung zu Achtsamkeit, Atmung und Imagination
Die folgende Übung wird sitzend auf einem Stuhl ausgeführt, kann aber genauso gut in der
Rückenlage auf einer Matte erfolgen. Wichtig ist, dass die Wirbelsäule aufgerichtet ist und
die Schultern nach hinten und unten sinken, sodass der Schultergürtel sich nicht verspannt.
Beide Fußsohlen sollen den Boden berühren und die Hände liegen entspannt im Schoß oder
auf den Oberschenkeln. Wenn es angenehm ist, können die Augen geschlossen werden oder
man fixiert einfach einen Punkt am Boden. Die Körperhaltung sollte nun so gut es geht
beibehalten werden, wichtig ist dabei jeden Impuls für eine Veränderung der Haltung
wahrzunehmen und nicht sofort darauf zu reagieren, sondern versuchen diesem zu
widerstehen und auszuhalten. Die Aufmerksamkeit wird nach innen gerichtet, um ganz
konzentriert den eigenen Atemrhythmus wahrzunehmen. Ohne den Atem dabei zu verändern,
beobachtet man die Atemwellen und das Ein- und Ausströmen des Atems. Das gesamte
Körpergewicht wird nun in der Vorstellung bei jeder Ausatmung nach unten hin losgelassen,
um die Kontaktpunkte mit der Sitzfläche oder der Sessellehne besser wahrzunehmen. Es kann
sich auf diese Weise wieder ein Gefühl von Halt und Getragen sein einstellen.
Die Aufgabe besteht nun darin, diesen Zustand des „Nicht-Tun‟ auszuhalten und es
festzustellen, wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr mit den Atemempfindungen beschäftigt
ist, sondern die Gedanken sprunghaft werden.
Sollte dies der Fall sein, geht es darum, die Aufmerksamkeit geduldig und beharrlich einfach
wieder auf die Atemempfindungen zurückzulenken. Wichtig ist hierbei die Haltung, die man
20
gegenüber den einströmenden Gedanken einnimmt. Alles was an Gedanken ins Gewahrsein
tritt, soll wahrgenommen und beobachtet werden um diese Gedanken dann in einer
annehmenden Haltung wieder los-zulassen (Kabat-Zinn & Kesper-Grossman 1999, 30ff).
Besonders bei Burn-out oder einer depressiven Episode kann dies zusätzlich zur Beratung
eine gute Übung sein um sich der eigenen Gedanken mehr bewusst zu werden und zu lernen
sich darin nicht mehr zu verstricken.
Wenn es angebracht ist, kann diese Übung noch erweitert werden, indem man die Klientin
oder den Klient dazu anleitet, achtsam in verschiedene Körperregionen hinein zu spüren. Wie
bei der obigen Atemübung geht es auch hier darum, so gut es möglich ist, bei den
Körperempfindungen zu verweilen und gleichzeitig in annehmender Haltung die eigenen
Gedanken zu beobachten und es zu bemerken, wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr auf die
Körperempfindungen gerichtet ist. Man beginnt beispielsweise damit, dass man die
Aufmerksamkeit auf beide Fußsohlen gleichzeitig richtet und dort wie eine Antenne
mögliche Körperempfindungen wie Kribbeln, Kühle oder Wärme etc. wahrnimmt. Die
Aufmerksamkeit wird dann Schritt für Schritt in die verschiedenen Körperregionen gerichtet
wie; Fußknöchel, Unterschenkel, Kniegelenk, Oberschenkel, Beckenraum, Bauch,
Wirbelkörper für Wirbelkörper u.s.w. bis nach oben zum Scheitelpunkt.
Es kann hier hilfreich sein, immer wieder die Kontaktpunkte mit dem Stuhl oder der
Sessellehne zu spüren um sich in wiederholter Weise in der eigenen Körpermitte zu
verankern und den Fokus auf die Wahrnehmung zu richten.
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Auf die Beratungspraxis übertragen könnte das Spüren oder bemerken der eigenen
Körperempfindungen es der Klientin oder dem Klient erleichtern, bei dem zu bleiben was ist.
Es kann sich einerseits eine wache Präsenz und eine Art der Entspannung einstellen, die den
Blick dafür, worum es im Grunde geht wieder schärft und Klarheit schafft, was es jetzt
braucht oder was jetzt gut wäre zu tun. Andererseits kann durch diese Übung wieder ein
Gefühl für Verbundenheit oder das in der Welt sein entstehen.
Diese Übung könnte sich gerade dann als hilfreich erweisen, wenn es darum geht, chronische
Schmerzen besser auszuhalten und in einen Umgang damit zu kommen. In diesem Fall spielt
die Ausatmung und die Wahrnehmung von Augenblick zu Augenblick eine bedeutende
Rolle, in der sich das Schmerzempfinden bzw. die Qualität des Schmerzes verändern kann
und die Lebensqualität wieder steigt. In dieser Übung finden sich Elemente der ersten
Grundmotivation wieder. Es geht unter anderem um das Gehalten- oder Getragen sein durch
den Stuhl, was beispielsweise vergleichbar ist mit der „Sesselmethode‟ nach Alfried Längle
(2009).
Auch die Erfahrung der vierten Grundmotivation, das Eingebettet-sein in einen größeren
Sinnzusammenhang, oder das Sich-ausrichten in der Welt, könnte am Ende der Übung
spürbar werden, wenn sich eine gewisse Verbundeinheit einstellt. Durch das Beobachten der
einströmenden Gedanken mit der Absicht sich darin nicht zu verstricken, sondern sich über
die wahrgenommenen Atemempfindungen immer wieder im Jetzt zu verankern, werden hier
existenzanalytisch Fähigkeiten wie das Sein-lassen-Können oder auch eine annehmende und
akzeptierende Haltung sich selbst und anderen gegenüber geschult und erfahrbar gemacht.
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Ziel ist es, die Körperwahrnehmung so zu schulen, dass dadurch Schritt für Schritt ein
sorgsamerer Umgang mit dem eigenen Körper möglich wird. Wie aus dem obigen
Praxisbeispiel hervor geht, könnte sich dies im weiteren Sinn auch auf das Umgehen können
mit alltäglichen Anforderungen und Problemen übertragen, was die Lebensqualität um ein
Vielfaches erhöht.
Um festzustellen, ob die Körperübungen auf Grundlage der existentiellen Grundmotivationen
nun eine Auswirkung auf die Frauen in ihrem Alltag haben oder sich dadurch sogar eine
Auswirkung auf die Beratungspraxis ergeben kann, habe ich einen Fragebogen ausgearbeitet
und fünfzehn Frauen befragt.
4.3 Die Befragung: Fragebogen und Feldbericht Der ausgearbeitete Fragebogen besteht aus zehn offenen, reflexiven Fragen und ist inhaltlich
ansatzweise angelehnt an den „Test zur existentiellen Motivation‟ („TEM‟) von Längle und
Eckhardt (Längle 2009, 168). Diese zehn offenen Fragen sind unterteilt in jeweils fünf
Fragen, die sich auf die vier Grundmotivationen beziehen und fünf Fragen, welche ganz
gezielt auf die Bewegungseinheiten und die Körperwahrnehmung ausgerichtet sind.
Insgesamt wurden fünfzehn Frauen im Alter von 28 – 82 Jahren befragt. Voraussetzung
dafür war, dass diese bereits über einen längeren Zeitraum von mindestens einem Monat
regelmäßig, d. h. ein- bis dreimal in der Woche ca. eine Stunde am Bewegungstraining
teilnahmen. Die Auswertung des Fragebogens erfolgt auf qualitativer Grundlage im Zuge
eines Feldberichts.
Im Folgenden möchte ich nun die Ergebnisse, die aus der Befragung resultieren näher
ausführen und versuchen, mögliche Auswirkungen, in erster Linie für die existenzanalytische
Beratungspraxis, abzulesen.
Die ersten fünf Fragen sind allgemeine Fragen, bei denen es um die aktuellen
Lebensumstände, das derzeitige körperliche Wohlbefinden geht und in wie weit die vier
Grundmotivationen erfüllt sind. Der zweite Teil der Fragen bezieht sich ganz konkret auf die
Bewegungseinheiten und auf das Erleben nach den Körperübungen.
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1) Fühlen Sie sich wohl in Ihrem Körper? Können Sie ihn so wie er ist annehmen?
Auf die Frage, ob sich die Frauen in ihrem Körper wohl fühlen und ihn so wie er ist
annehmen können, antworten acht Frauen mit „Ja‟, vier Frauen mit einem „Ja‟ und führen
im selben Satz noch ein „aber‟ oder „eigentlich‟ an, das sich auf Bedingungen wie
Gewichtsverlust oder beispielsweise darauf bezieht, dass es Körperstellen gibt, die den
Frauen nicht gefallen. Drei der fünfzehn befragten Frauen fühlen sich in ihrem Körper nicht
wohl, wovon zwei dieses Unwohlsein auf ihr momentanes Körpergewicht beziehen.
Die Antworten auf diese Frage lassen darauf schließen, dass eine Mehrheit der Frauen eine
gute Beziehung zu ihrem Körper hat und dass bei den meisten Frauen die Fähigkeit zur
Selbstannahme gegeben ist, sie erfahren vermutlich genügend Halt in ihrem Leben und
können so die nötige Gelassenheit aufbringen und ihren Körper trotz verschiedener Makel
oder Übergewicht annehmen.
Vier der Frauen scheinen grundsätzlich eine gute Beziehung zu ihrem Körper zu haben,
koppeln das Annehmen-Können des eigenen Körpers jedoch an bestimmte Bedingungen wie
beispielsweise Gewichtsverlust.
Nur ein kleine Anzahl der Frauen hat offenbar keine gute Beziehung zu ihrem Körper, drei
Teilnehmerinnen können aufgrund des Übergewichts nicht ja zu ihrem Körper sagen und
lehnen ihn so wie er gerade ist ab. Möglicherweise zeigt sich hier ein Mangel von Ruhe oder
auch der fehlende Halt im Leben, wodurch die Fähigkeit zur Selbstannahme des eigenen
Körpers verhindert wird.
2) Können Sie sich selbst für das was Sie leisten schätzen?
Auf die Frage, ob sich die Frauen für das was sie leisten auch schätzen können, antworten elf
der befragten Frauen mit einem „Ja‟, drei von fünfzehn Frauen führen auf diese Frage ein
„fast immer‟, „ab und zu‟ oder „manchmal‟ an und nur einer Frau „fällt es schwer‟ sich
selbst für das was sie leistet auch zu schätzen.
In Bezug auf die dritte Grundmotivation, die Fähigkeit zur Selbstwertschätzung, scheint diese
bei einer Mehrheit der befragten Frauen erfüllt zu sein. Es sind elf von fünfzehn Frauen, bei
denen die Selbstwertschätzung scheinbar relativ hoch ist, sie können das Eigene in
ausreichendem Maße anerkennen und wertschätzen. Es sind insgesamt nur vier Frauen bei
denen die Selbstwertschätzung eher gering ist, bzw. sind es drei von vier Frauen die ihre
Leistung nicht immer sehen können. Es zeigt sich hier möglicherweise eine mangelnde
24
Fähigkeit zur Reflexion in Bezug auf die eigene Handlung und die Fähigkeit des Sich-
beurteilen-Könnens für die erbrachte Leistung.
Weiters wird deutlich, dass es für den Vollzug der dritten Grundmotivation als Vorbedingung
Zeit, Nähe und Beziehung zu sich selbst und anderen braucht sowie die Aktivität der
Zuwendung und die Fähigkeit der Empfindung als Dimensionen der zweiten
Grundmotivation.
3.) Können Sie sich den Raum, den Sie zum Leben brauchen immer verschaffen?
Diese Frage beantworten nur drei Frauen mit einem „Ja‟, zehn Frauen führen auf diese Frage
Antworten wie „fast immer‟, „größtenteils ja‟ „ab und zu‟ oder „nicht immer‟ an. Zwei der
befragten Frauen beantworten diese Frage mit einem „Nein‟.
Um sich den nötigen Raum im Leben zu verschaffen braucht es Ruhe, Stabilität und das
Gefühl von Halt und Sicherheit, jene Dimensionen welche die erste Grundmotivation
widerspiegeln. Den Antworten gemäß schafft es nur eine Minderheit der Frauen, sich den
Raum im Leben immer zu verschaffen. Diese Frauen können scheinbar immer wieder
Gestaltungsmöglichkeiten in ihren Lebensbedingungen aufgreifen, um sich den nötigen
Lebensraum zu erschließen. Ein großer Teil der Frauen, zehn von fünfzehn, findet nicht
immer die Gelegenheit sich den nötigen Raum im Leben zu nehmen. Anzunehmen ist, dass
diese Frauen nur teilweise die Fähigkeit mobilisieren können, sich die Bedingungen nach
ihren Möglichkeiten her zu gestalten oder den nicht veränderbaren Bedingungen gegenüber
eine andere Perspektive einzunehmen um mehr Raum im Leben zu erfahren.
4.) Nehmen Sie sich öfter Zeit für sich selbst? (Im Sinne von sich selbst zuwenden und
eigene Bedürfnisse wahrnehmen)
In Bezug auf die Fähigkeit zur Selbstzuwendung sowie die Fähigkeit eigene Bedürfnisse
wahrzunehmen führen zwei von fünfzehn Frauen „nicht so oft‟ und „gerade nicht‟ an, eine
der befragten Frauen antwortet mit einem „Ja, aber nicht genug‟, zwei der befragten Frauen
nehmen sich die Zeit für sich selbst beim Bewegungstraining und zehn von fünfzehn Frauen
können sich öfter Zeit für sich selbst nehmen und beantworten diese Frage mit einem „Ja‟.
Auch bei dieser Frage, die auf die Themen der zweiten Grundmotivation Bezug nimmt,
lassen die Antworten darauf schließen, dass eine Mehrheit der Frauen es relativ gut schafft,
Fühlung mit sich selbst aufzunehmen und zu halten, da sich zehn von fünfzehn Frauen
25
regelmäßig Zeit für sich nehmen. Es ist davon auszugehen, dass diese Frauen die eigenen
Bedürfnisse wahrnehmen und diese auch aufgreifen können, also eine gute innere Beziehung
zu sich selbst pflegen. Insgesamt sind es nur fünf Frauen, denen es offenbar schwer fällt, sich
selbst zuzuwenden. Aus einer der Antworten ist abzulesen, dass hier zwar ein Wunsch für
mehr Zeit zur Selbstzuwendung besteht, dies aber derzeit nicht umgesetzt wird. Für die
Selbstzuwendung braucht es das Wahrnehmen von Gefühlen und das Aufgreifen von
Wertbezügen und darum sich zuwenden zu mögen. Möglich ist, dass hier gewisse
Vorbedingungen für eine erfüllte zweite Grundmotivation wie etwa Offenheit für sich selbst,
Raum haben in Form von Zeit, oder auch die Resonanzbereitschaft sich selbst zuzuwenden
nicht gegeben sind.
5.) Können Sie eine gewisse Lebendigkeit durch ihr Handeln wahrnehmen?
Die Frage, ob sich durch das eigene Handeln ein Gefühl der Lebendigkeit einstellt,
beantworten acht von fünfzehn Frauen mit einem „Ja‟, für eine von fünfzehn Frauen wird
diese Lebendigkeit durch „Lebenslust und Freunde‟ erlebt, eine von fünfzehn Frauen nimmt
zwar Lebendigkeit durch ihr Handeln wahr, fühlt sich aber „durch äußere Umstände
eingeschränkt‟, zwei von fünfzehn Frauen erfahren diese Lebendigkeit „im Umgang mit
anderen‟, eine der befragten Frauen empfindet eine gewisse Lebendigkeit im Sinne von „ich
bewirke etwas‟, zwei der befragten Frauen liefern auf diese Frage keine Antwort wovon eine
Frau auf die Frage nach der Lebendigkeit mit einem „weiß nicht‟ antwortet und die andere
diese Frage gar nicht beantwortet.
Hinter dieser Frage verbirgt sich ein Thema der zweiten Grundmotivation und zwar, der
personale Anteil am Grundwert und das Erleben, das es im Grunde gut ist da-zusein. Im
Besonderen geht es um das Erleben der Wirkung die sich durch die eigene Handlung
vollzieht.
Um das Gefühl von Lebendigkeit oder Vitalität durch das eigene Handeln zu erfahren braucht
es ein Mitfühlen bzw. die Offenheit dafür Sich-berühren-zu-Lassen vom Leben.
Auch hier erfährt ein Großteil, insgesamt sind es dreizehn Frauen von fünfzehn, Vitalität
durch ihr Tun und kann sich wie es scheint dem Leben mit Offenheit zuwenden. Fünf Frauen
geben konkret an, auf welche Bereiche sich dieses Gefühl der Grundwert Erfahrung im
Alltag bezieht. Für drei Frauen sind es die Beziehungen zu anderen oder auch Freunden,
wodurch Lebendigkeit erfahren wird. Eine der Frauen nimmt zwar Lebendigkeit durch ihr
Handeln wahr und fühlt sich dennoch durch äußere Umstände eingeschränkt.
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6.) Gibt es derzeit körperliche Beschwerden an denen sie leiden? (Kopfschmerz,
Druckschmerz, Verspannungen, Schmerzen, Müdigkeit etc. …)
Auf die Frage, an welchen körperlichen Beschwerden die Frauen derzeit leiden geben sechs
von fünfzehn Frauen Beschwerden an, die sich zu „Schulter- Nackenverspannungen‟ und
„Schmerzen in der Wirbelsäule‟ zusammenfassen lassen, zwei der befragten Frauen leiden an
„Kopfschmerzen‟ und „Migräne‟, zwei von fünfzehn Frauen leiden an spezifischeren
Beschwerden. Vier von fünfzehn Frauen sind derzeit gänzlich beschwerdefrei. In Bezug auf
den momentanen körperlichen Gesundheitszustand kann fast die Hälfte aller Befragten
Frauen immer wieder Beschwerden oder Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule
oder im Schulter- Nackenbereich feststellen. Nur vier von fünfzehn Frauen haben momentan
keine Beschwerden und nur eine Minderheit leidet an Migräne und Kopfschmerz sowie
spezifischeren Beschwerden. Wie in 3.3. bereits näher ausgeführt, kann sich eine
eingeschränkte Funktion der Wirbelsäule auf die Reizleitung und die
Informationsverarbeitung auswirken, da die Wirbelsäule das Bindeglied zwischen Gehirn und
Körper darstellt.
7.) Hat das Bewegungstraining konkrete Auswirkungen auf ihren Körper oder ihre
Beschwerden bzw. Unwohlsein? Wenn Ja, welche? Gibt es da ein Körpergefühl, dass sich für
gewöhnlich nach der Bewegung einstellt?
Die Antworten auf die Frage, ob das Bewegungstraining konkrete Auswirkungen auf die
körperlichen Beschwerden hat und ob sich dazu ein bestimmtes Gefühl einstellt, sind sehr
individuell formuliert, sodass ich einzelne Antworten differenzierter anführe.
Zwei der fünfzehn befragten Frauen empfinden nach der Bewegung ein gewisses
„Erfolgsgefühl‟ oder sind „stolz auf sich selbst‟. Eine von fünfzehn Frauen führt an, dass sie
durch die regelmäßige Bewegung im Gegensatz „zu früher kaum noch Kopfschmerzen‟ hat
und die Medikamente in Hinblick auf ihre Beschwerden reduzieren bzw. absetzen konnte.
Fünf der befragten Frauen empfinden ein „sehr gutes Gefühl‟ oder „sehr positives Gefühl‟
nach der Bewegung und eine gewisse „Zufriedenheit etwas für sich selbst getan zu haben‟
und bemerken, dass Beschwerden wie etwa Schulter- oder Nackenschmerzen verschwunden
sind. Zwei von fünfzehn Frauen fühlen sich „lockerer und freier‟ nach dem
Bewegungstraining und fünf der fünfzehn Frauen geben an, nach der Bewegung ein „besseres
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Körpergefühl‟ wahrnehmen zu können und bemerken bei sich selbst eine Veränderung „in
puncto Ausdauer, Vitalität und Festigkeit‟ sowie einen „aufrechteren Gang‟.
Wie durch die Antworten hervorgeht, können alle der fünfzehn befragten Frauen
Auswirkungen oder Veränderungen durch die Körperübungen bei sich feststellen. Bei zwei
von fünfzehn Frauen sind es Komponenten der dritten Grundmotivation wie etwa ein
Erfolgsgefühl oder das Gefühl von Stolz, das sich nach der Bewegung einstellt. Folglich
könnte man hier davon ausgehen, dass sich die Bewegung positiv auf das Selbstwertgefühl
im Sinne von Ansehen oder die Fähigkeit zur Selbstwertschätzung auswirkt. Auch der
Gesundheitszustand in Bezug auf Kopfschmerzen scheint sich durch die Bewegung zu
verbessern, was sogar das Absetzen von Medikamenten ermöglicht, wie eine von fünfzehn
Frauen angibt.
Möglicherweise könnte sich hier ein vermehrtes Bewusstsein für die eigene Gesundheit
heraus entwickeln bzw. ein Gefühl der Verantwortlichkeit für den eigenen Körper, wodurch
sich wiederum eine Verbindung zur dritten Grundmotivation herstellen lässt. Voraussetzung
dafür ist, in Beziehung mit sich selbst zu sein, um für das Verantwortung zu übernehmen was
einem wichtig ist, als Thema der zweiten Grundmotivation.
Auffallend ist, dass sich alle Antworten mit den Themen der zweiten und dritten
Grundmotivation in Verbindung bringen lassen. Insbesondere ist es einerseits die Fähigkeit
der Selbstwertschätzung und andererseits die Fähigkeit der Selbstzuwendung die durch die
Bewegung erfahrbar wird. Zusammenfassend könnte man somit die Vermutung anstellen,
dass sich durch gezielte und regelmäßig ausgeführte Körperübungen gewisse Fähigkeiten, die
zum Vollzug der zweiten und dritten Grundmotivation ausschlaggebend sind, positiv
beeinflussen lassen und möglicherweise auch gefördert und gestärkt werden können.
8.) Was macht die Bewegung mit Ihrer Stimmung? Können Sie da eine Veränderung
beobachten? (Gute oder schlechte Laune, Abgeschlagenheit etc. ….)
Bezüglich der Stimmung können alle Frauen eine Auswirkung durch die Bewegung an sich
feststellen. Eine von fünfzehn Frauen führt an, dass sich ihre Stimmung durch das
Bewegungstraining hebt. Dreizehn von fünfzehn Frauen geben an, dass sie nach der
Bewegung eine „gute Stimmung‟, eine „bessere oder gute Laune‟ und/oder „Zufriedenheit‟
sowie eine gewisse „Beschwingtheit‟ wahrnehmen können. Eine von fünfzehn Frauen
antwortet auf diese Frage, dass ihre „Stimmung positiv beeinflusst wird‟ und sie durch die
Körperübungen „schlechte Laune abbauen kann‟.
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Die Frage nach der Stimmung nimmt Bezug auf das Fühlen, ein grundlegendes Thema der
zweiten Grundmotivation. In der Existenzanalyse wird die Stimmung als überdauernder
Gefühlszustand definiert, der die Qualität des In-der-Welt-Seins spiegelt.
Die Antworten zeigen, dass die Bewegung bei allen Frauen einen positiven Einfluss auf die
Stimmung ausübt. Durch die Bewegung können die Frauen Zufriedenheit oder bessere
Laune an sich feststellen oder schlechte Laune abbauen und nehmen ein Gefühl von
Beschwingtheit wahr.
Man könnte hier davon ausgehen, dass das Fühlen der persönlichen Werte über die
Körpererfahrungen durch gezielte Bewegung unterstützt und gefördert wird. Für den
Beratungsverlauf könnte dieses Erleben der Befindlichkeiten, ausgelöst durch bestimmte
Übungen, eine Möglichkeit darstellen um das gemeinsame Hinschauen, beispielsweise im
Bezug auf Themen der zweiten Grundmotivation, zu erleichtern oder dafür eine positive
Ausgangsbasis zu schaffen.
9.) Können Sie sich während der Bewegung auf die Anleitungen zu den Körperempfindungen
(bezieht sich auf das Hin-spüren und Wahrnehmen) einlassen, oder fällt es Ihnen oft schwer?
Die Frage ob sich die Frauen während der Bewegung auf die Anleitung zu den
Körperempfindungen einlassen können beantworten vier von fünfzehn Frauen mit „Ja‟, drei
von fünfzehn „fällt es schwer‟ weil sie an „anderes denken‟ oder „sich auf andere Dinge
konzentrieren‟, fünf von fünfzehn Frauen „fällt es nicht schwer‟ sich einzulassen wobei es
einer davon „meistens‟ und der anderen „mal besser, mal schlechter‟ gelingt. Drei der
fünfzehn befragten Frauen betonen, dass sie sich „gut einlassen können‟ auf die
Körperempfindungen und nehmen es als „spannend, interessant‟ und „faszinierend‟ wahr,
was sich „da tut‟ bzw. sich „im eigenen Körper abspielt‟.
Aus den Antworten geht hervor, dass sich eine Mehrheit der Frauen scheinbar gut auf die
Körperempfindungen einlassen kann. Es braucht dazu, die Fähigkeit eine gute Beziehung zu
sich selbst zu pflegen bzw. zu erhalten und das Mögen aufgreifen zu können, also eine
erfüllte zweite Grundmotivation.
Drei Frauen betonen, sich sehr gut einlassen zu können auf den eigenen Körper, sie begegnen
den aufkommenden Gefühlen mit besonderer Offenheit und Interesse und können über die
wahrgenommenen Empfindungen staunen.
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Die Haltung des sich Einlassens erfordert auf der anderen Seite auch ein Los-lassen können,
was einer Minderheit der befragten Frauen schwer fällt, drei der befragten Frauen gelingt es
nicht immer mit der Aufmerksamkeit bei den Körperempfindungen zu verweilen und sich
darauf einzulassen. Es spiegeln sich hier wiederum die Themen der ersten Grundmotivation
mit Bezug auf das Sein-können und Vertrauen sowie das Erleben von Halt, als Vorbedingung
für die Beziehungsaufnahme zu sich selbst und anderen bzw. für eine verwirklichte zweite
Grundmotivation.
10.) Hat das Bewegungstraining Auswirkungen auf die Art und Weise wie Sie mit sich selbst
und ihrem Körper umgehen?
Auf die Frage, ob sich die regelmäßige Bewegung auch konkret auf die Art und Weise
auswirkt wie die Frauen mit sich selbst und dem eigenen Körper umgehen, antworten
dreizehn Frauen mit „Ja‟. Eine der fünfzehn Frauen kann „ab und zu‟ Veränderungen im
Umgang feststellen und für eine weitere haben die Körperübungen keine konkreten
Auswirkungen darauf wie sie mit sich selbst oder ihrem Körper umgeht.
Bei einer überwiegenden Mehrheit der befragten Frauen finden sich Aussagen wie, „ohne
die Bewegung wäre ich unzufrieden mit mir selbst, […] so kann ich mir sagen, dass ich selbst
verantwortlich bin‟, oder „ich setze mich jetzt mehr mit meinem Körper und den
Empfindungen auseinander‟ und „man lebt bewusster und achtet mehr darauf, beispielsweise
die Wirbelsäule zu schonen‟. Vier von dreizehn Frauen führen konkret an, dass sie auf eine
„gesündere Ernährung achten‟ und zwei von fünfzehn Frauen bemerken, den „Körper mehr
zu schätzen‟ und „besser auf ihn aufzupassen‟.
Die Antworten zeigen, dass sich die Auswirkungen wieder auf die Dimensionen der zweiten
und dritten Grundmotivation beziehen.
Es macht den Eindruck, als würde sich bei den meisten Frauen ein vermehrtes bzw.
erweitertes Bewusstsein durch die Körpererfahrungen einstellen. Ein Bewusstsein, das den
Wert des eigenen Körpers wieder fühlen lässt und in einer veränderten Haltung zum
Ausdruck kommt.
In Hinblick auf die dritte Grundmotivation lassen die Antworten darauf schließen, dass durch
gezielte Körperübungen die Fähigkeit für eine gesteigerte Wertschätzung, Achtung und
Respekt für sich selbst sowie dem eigenen Körper gegenüber mobilisiert und gestärkt werden
30
könnte. Auch bezüglich der Ernährung können die Frauen eine Veränderung bei sich
feststellen.
Vier von fünfzehn Frauen scheinen durch die Bewegung einen anderen Umgang in Bezug auf
ihr Essverhalten zu erleben und geben an, sich gesünder bzw. bewusster zu ernähren. Der
Prozess der Nahrungsaufnahme und das sich erleben durch die einverleibte Nahrung ist
gleichzeitig ein Aufnehmen von größtmöglicher Nähe. Bezüglich der Körperfunktion ist die
Nahrungsaufnahme eine Repräsentanz für die zweite Grundmotivation durch die wiederum
der Selbst- bzw. Körperbezug zum Ausdruck kommt.
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Auf die Frage, ob sich regelmäßig ausgeführte Körper- bzw. Wahrnehmungsübungen, auf
Grundlage der existentiellen Grundmotivationen auch auf die Beratungspraxis auswirken,
lässt sich zusammenfassend festhalten:
Die Antworten der Frauen zeigen, dass sich das Bewegungstraining, mit den gezielten
Anleitungen und Bezug auf die personal existentiellen Grundmotivationen, in erster Linie
positiv auf das körperliche Wohlbefinden der Frauen auswirkt. Nahezu alle der fünfzehn
befragten Frauen erleben eine gewisse Zufriedenheit sowie einen Ausgleich und eine
gesteigerte Lebensqualität durch die Bewegung.
Zudem lassen sich verschiedene Zusammenhänge in den Aussagen der befragten Frauen zu
den einzelnen Grundmotivationen ablesen, insbesondere zeigen sich Verbindungen zu den
Dimensionen der zweiten und dritten Grundmotivation. Die Antworten lassen vermuten, dass
durch die regelmäßigen Körper- und Wahrnehmungsübungen gewisse Fähigkeiten, die für
eine erfüllte erste, zweite oder auch dritte Grundmotivation ausschlaggebend sind, einerseits
mobilisiert und andererseits gestärkt und gefördert werden können.
Auf Grundlage der zweiten Grundmotivation zeigen sich bei einer Mehrheit der Frauen durch
die regelmäßige Bewegung konkrete Veränderungen in Bezug auf die Fähigkeit des Fühlens
und Spürens und folglich einer vermehrten Bereitschaft zur Selbstzuwendung sowie ein
erweitertes Bewusstsein für die personalen Werte was sich im Körperbezug ausdrückt.
Weiters bemerken die Frauen eine Veränderung im Umgang mit sich selbst, beispielsweise in
Bezug auf ihr Essverhalten und der Bereitschaft sich gesünder ernähren zu mögen wobei dies
von einigen Frauen bereits umgesetzt wird.
Durch die vermehrte Fähigkeit zur Selbstzuwendung können die Frauen scheinbar auch ein
erweitertes Bewusstsein für die eigene Gesundheit entwickeln. Eine überwiegende Mehrheit
der befragten Frauen gibt an, durch die regelmäßigen Körperübungen ein gesteigertes Maß
an Wertschätzung, Respekt und Achtung sich selbst und dem eigenen Körper gegenüber zu
erfahren, beispielsweise im Sinne von Stolz auf die eigene Leistung oder auch ein
Erfolgsgefühl sowie die Bereitschaft Verantwortung für den eigenen Körper zu
übernehmen. Es ist somit davon auszugehen, dass auch einzelne Dimensionen der dritten
Grundmotivation durch die gezielten Körper- und Wahrnehmungsübungen mobilisiert,
gefördert und gestärkt werden können.
Es zeigt sich, dass sich die regelmäßige Bewegung in Form von gezielten Körper- sowie
Achtsamkeits- und Wahrnehmungsübungen nicht nur positiv auf das körperliche
Wohlbefinden und den Bewegungsapparat auswirken sondern vermutlich auch eine
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Grundlage für den Beratungsprozess schaffen können. In dem Sinne, dass sich vergleichbar
einem Lernprozess (vgl. 2.3), neue Fähigkeiten heraus entwickeln können, mobilisiert
werden oder sich stärken lassen.
Gerade diese Entwicklung könnte das phänomenologische Hinschauen im Beratungsprozess
erleichtern und unterstützen, das Finden von Ressourcen und Fähigkeiten sowie die Suche
nach Möglichkeiten positiv beeinflussen.
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5. Kritische Anmerkungen zur Befragung und Ausblick
Die vorliegende Arbeit stellt einen Versuch dar, eine Bewegungseinheit beispielhaft vor dem
theoretischen Hintergrund der personal existentiellen Grundmotivationen zu betrachten und
mögliche Veränderungen für die Beratungspraxis daraus abzulesen. Anzumerken ist, dass
dies weder eine Bewegungstherapie darstellen soll, noch ein Ersatz für eine Psychotherapie
oder eine Beratung ist. Es kann sich dabei lediglich um eine zusätzliche, unterstützende
Maßnahme handeln.
Kritisch anzumerken ist, dass die Bedeutung der Begriffe, „Lebensqualität‟ und
„körperliches Wohlbefinden‟, wie sie im Fließtext zu finden sind, zuvor nicht genau
definiert wurde. Es handelt es sich bei der Befragung um eine nur sehr kleine Stichprobe und
offene Fragen. Die Antworten sind somit subjektiven Charakters und können daher nicht
verallgemeinert werden. Darüber hinaus gibt es keine Dokumentation über den
Beratungsverlauf einer Klientin, die zusätzlich am Bewegungstraining teilgenommen hat.
Nichts desto trotz stellen die genannten Beispiele aus der existenzanalytischen
Beratungspraxis (und auch Therapie) mit ihrer Verbindung zu Körperarbeit und
Körpertherapie eine Möglichkeit dar, den Menschen nicht nur in seinem seelischen Wohl zu
unterstützen, sondern ihn darüber hinaus als Gesamtbild wahrzunehmen und zu verstehen.
Gerade für die Beratung könnte dies ein Anreiz sein, ein besonderes Augenmerk auf den
Bewegungsapparat zu legen, um herauszufinden was es zusätzlich brauchen könnte oder
dadurch Impulse zu setzen. Besonders die Übungen aus der Achtsamkeitspraxis oder auch
Übungen zur Schulung der Körperwahrnehmung könnten sich, regelmäßig ausgeführt, auf
eine laufende Beratung als unterstützend und hilfreich erweisen.
Abschließend möchte ich festhalten, dass der Versuch, die personal existentiellen
Grundmotivationen in meine Arbeit praktisch einfließen zu lassen, für mich sehr wertvoll
war. Es war mir ein Anliegen, die Bewegungseinheiten in einem etwas anderen Rahmen zu
verstehen und so noch eine andere Ebene bei den Frauen anzusprechen.
Die intensive Auseinandersetzung beispielsweise mit den Grundmotivationen und deren
Repräsentation im menschlichen Körper oder auch die praktischen Beispiele, welche Formen
der Körperarbeit bereits in die existenzanalytische Praxis einfließen war für mich sehr
lehrreich.
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Trotz der nur sehr kleinen Stichprobe war die Auswertung der Fragebögen für meine
Institutsarbeit fruchtbar. Zu erfahren, wie die Frauen sich selbst und die Bewegungseinheiten
erleben, ist für mich Inspiration und Anreiz, die Konzepte pädagogisch zu optimieren und
vielleicht noch mehr an Logotherapie und Existenzanalyse orientiert auf verschiedene
Übungen zu übertragen und einfließen zu lassen. Letztlich geht es darum, einen Menschen
soweit zu unterstützen, sich freier in und mit seinem Körper ausdrücken zu können, um in
Lebendigkeit sich und der Welt zu begegnen (vgl. Jaeger-Gerlach 2001).
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7. Anhang
Fragebogen:
„Die Auswirkungen des Bewegungstrainings auf das körperliche Wohlbefinden und die
Lebensqualität‟
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Fragebogen
Der vorliegende Fragebogen ist anonym und die Antworten fließen, im Sinne eines
„Erfahrungsberichts‟ in eine Abschlussarbeit für Logotherapie und existenzanalytische
Beratung und Begleitung ein. Bitte versuchen Sie, sich für das Beantworten der Fragen
etwas Zeit zu nehmen und lassen Sie, wenn möglich, keine der Fragen unbeantwortet. Sie
können die Fragen frei formulieren, am besten so, wie es sich spontan in Ihnen einstellt.
Alter: _____________
Allgemeine Fragen:
1. Fühlen Sie sich wohl in Ihrem Körper? Können Sie ihn so wie er ist annehmen?
2. Können Sie sich selbst für das was Sie leisten schätzen?
3. Können Sie sich den Raum, den Sie zum Leben brauchen immer verschaffen?
4. Nehmen Sie sich öfter Zeit für sich selbst? (Im Sinne von sich selbst zuwenden und eigene
Bedürfnisse wahrnehmen)
5. Können Sie eine gewisse Lebendigkeit durch ihr Handeln wahrnehmen?
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Fragen zu den Bewegungseinheiten:
6. Gibt es derzeit körperliche Beschwerden an denen sie leiden? (Kopfschmerz,
Druckschmerz, Verspannungen, Schmerzen, Müdigkeit etc. …)
7. Hat das Bewegungstraining konkrete Auswirkungen auf ihren Körper oder ihre
Beschwerden bzw. Unwohlsein? Wenn Ja, welche? Gibt es da ein Körpergefühl, dass sich für
gewöhnlich nach der Bewegung einstellt?
8. Was macht die Bewegung mit Ihrer Stimmung? Können Sie da eine Veränderung
beobachten? (Gute oder schlechte Laune, Abgeschlagenheit etc. ….)
9. Können Sie sich während der Bewegung auf die Anleitungen zu den Körperempfindungen
(bezieht sich auf das Hin-spüren und Wahrnehmen) einlassen, oder fällt es Ihnen oft schwer?
10. Hat das Bewegungstraining Auswirkungen auf die Art und Weise wie Sie mit sich selbst
und ihrem Körper umgehen?
Danke!
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6. Literatur
Angermayr M (2009) Dasein - Atmen - Achtsamkeit. Existenzanalyse und vorreflexives
leibliches Erleben. In: Existenzanalyse 26, 2, 99 – 104
Jaeger-Gerlach S (2001) Die Sprache des Körpers. Körperarbeit und Körpertherapie als
Unterstützung einer Therapie des Wortes. In: Existenzanalyse 19, 2+3, 50 - 53
Jaeger-Gerlach S (2009) Traumkörper - Körpertraum. In: Existenzanalyse 26, 2, 94 - 98
Kabat-Zinn J (2010) Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein. 100 Lektionen in Achtsamkeit.
Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH
Kabat-Zinn J, Kesper-Grossman (1999) Stressbewältigung durch die Praxis der Achtsamkeit.
Freiamt: Arbor Verlag
Längle A (1984, 1996) Beratung-Therapie Vergleich. Arbeitsmanuskript.
Längle A (1988) Entscheidung zum Sein. Viktor E. Frankls Logotherapie in der Praxis.
München: Piper
Längle A (2000) Praxis der Personalen Existenzanalyse. Wien: Facultas
Längle A (2002) Lehrbuch der Existenzanalyse (Logotherapie). 3. Teil: Zweite
Grundmotivation. 1 Ausg.
Längle A (2009) Lehrbuch zur Existenzanalyse. Grundlagen. Arbeitsmanuskript, 3. Aufl.
Längle A (2009a) Das eingefleischte Selbst. In: Existenzanalyse 26, 2, 13-34
Längle A (2011) Erfüllte Existenz. Entwicklung, Anwendung und Konzepte der
Existenzanalyse. In: Dorothee Bürgi (Hrsg.) Texte für Psychotherapie, Beratung und
Coaching. 1. Aufl. Wien: Facultas
Längle A (2012) Lernkriptum zur Existenzanalyse (Logotherapie). Dritte Grundmotivation.
5. Ausgabe. (überarb.)
Michler P., Gras M. (1996) Gymnastik, aber richtig! 4. überarb. Aufl. Hard: Peter Michler,
Eigenverlag
Shelhav-Silberbusch C (1999) Bewegung und Lernen. Dortmund: Verlag modernes lernen,
Bormann KG