„Etty: Theater, das unter die Haut geht · Tiroler Sonntag 19. Oktober 2017 Im Gespräch 3 ZUR...

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Im Gespräch 3 Tiroler Sonntag 19. Oktober 2017 ZUR SACHE Etty Hillesum (1914-1943), Jü- din, war Lehrerin und stamm- te aus den Niederlanden. Ihre posthum veröffentlichten Tage- bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt und machten sie welt- berühmt. Auf Deutsch sind sie unter dem Titel „Das denkende Herz" erschienen. 1943 wurde Hillesum in Auschwitz ermordet. In ihrem literarisch bedeutsamen Werk beschreibt sie ihre Gefüh- le und Alltagserlebnisse. Bischof Manfred Scheuer: „Etty Hillesum glaubte an das ´Trotzdem´ Gottes und der Liebe inmitten der Hölle von Krieg, nationalsozialistischer Besatzung und Deportation." Die Bühnenversion des Tage- buchs entstand 2015 für das Lan- destheater Linz und erfuhr her- vorragende Kritiken. Im Stück „Etty" segnet ein Rabbiner die Protagonistin Etty, dargestellt von Bettina Buchholz. Der Tiroler Sonntag verlost drei Mal zwei Freikarten für die Aufführungen in Tirol (Innsbruck, Wattens, Lienz). FOTO: NEUHAUSER/SZENEN- FOTO EINER AUFFÜHRUNG DES LINZER LANDESTHEATERS Sie sind Psychotherapeut und Regisseur. Was hat Sie an den Aufzeichnungen von Etty Hillesum derart fasziniert, dass Sie daraus eine szenische Lesung für die Bühne erarbeitet haben? Johannes Neuhauser: Ettys Herangehenswei- se an das Leben ist mutig und aktuell. Sie er- kennt, dass sie Depressionen hat, begibt sich in Behandlung und beginnt ein therapeuti- sches Tagebuch zu schreiben. In ihrer schonungslosen Offenheit kommt Etty Hillesum sich und ihren Problemen rasch näher: ihrer Ichbezogenheit, mit der sie ihre tiefe Unsicherheit überspielt, ihrer Angst, Wut und Verzweiflung. Der Titel des Stückes wirkt wie ein Fleckerlteppich: Erotik, Spiritualität, intellektuelle Leidenschaft. Warum dieser eigenartige Titel? Neuhauser: Etty beschreibt in ihrem Tage- buch ihre starke Sexualität und wie sie da- durch völlig überraschend einen tiefen Zu- gang zur Spiritualität und zu Gott bekommt. Auch ihr Intellekt wird geschärft. Sie sieht, was die Menschen hassen lässt und in wel- che Katastrophen das führt. Sie entscheidet sich für den Weg der Gewaltfreiheit und der gelebten Solidarität. Sie steht bis zuletzt ih- ren Mitmenschen bei, ohne dabei ihren jü- dischen Humor zu verlieren. Wie waren die Reaktionen auf die bisherigen Aufführungen in Oberösterreich? Gab’s auch ne- gative Kritik? Neuhauser: Niemand von uns hatte mit so ei- nem Erfolg gerechnet. Wir spielten Etty im Linzer Musiktheater und in der Tribüne Linz und waren 1 ½ Jahre ausverkauft! Bisher be- richteten alle Medien nur positiv. Uns geht es jedoch nicht um vordergründigen Erfolg, sondern um Ettys tiefe Lebenseinsichten. Be- sonders freute uns, dass der Holocaust-Über- lebende und Alterspräsident der jüdischen Gemeinde Linz, George Wozasek, nach einer Vorstellung schrieb: „Eine Glanzleistung! Ich hoffe, dass Etty möglichst viele Menschen er- reicht und zum Nachdenken anregt.“ Was macht das Stück für heutige Menschen be- deutsam? Neuhauser: Dass man ganz in dieser Welt le- ben kann und gleichzeitig tief mit seinem In- nersten und Gott verbunden ist. Dass gelebte Erotik und Spiritualität einander nicht aus- schließen, sondern bereichern und befruch- ten! Und natürlich Ettys Einsicht: „Jedes Atom Hass, das wir dieser Welt hinzufügen, wird sie noch weniger bewohnbar machen, als sie es bereits ist!“ Ist es Zufall, dass im Schauspieler-Team, mit dem Sie arbeiten, Juden, Christen und Atheisten ver- treten sind? Neuhauser: Als Etty nach Auschwitz depor- tiert wurde, befanden sich in ihrem Ge- päck der jüdische Talmud, die Bibel und der Koran. Für uns war klar, das können wir nur gemeinsam auf die Bühne bringen. Die Christen unter uns sind den Juden tief freundschaftlich verbunden und bei den Fes- ten in der Synagoge immer willkommen.« „Etty": Theater, das unter die Haut geht Im Tiroler Sonntag-Interview erklärt Regisseur Johannes Neuhauser, was ihn an der Schriftstellerin Etty Hillesum so fasziniert. DAS GESPRÄCH FÜHRTE FRANZ STOCKER „Etty" in Tirol Die Aufführungen eines Ensembles des Lin- zer Landestheaters in Tirol sind: Mittwoch, 22. November, Kolpingbühne Lienz, Donners- tag, 23. November Werkstätte Wattens, Frei- tag, 24. November, Haus der Begegnung Inns- bruck, jeweils 19.30 Uhr

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Page 1: „Etty: Theater, das unter die Haut geht · Tiroler Sonntag 19. Oktober 2017 Im Gespräch 3 ZUR SACHE Etty Hillesum (1914-1943), Jü-din, war Lehrerin und stamm-te aus den Niederlanden.

Im Gespräch 3 Tiroler Sonntag 19. Oktober 2017

ZUR SACHE

Etty Hillesum (1914-1943), Jü-din, war Lehrerin und stamm-te aus den Niederlanden. Ihre posthum veröffentlichten Tage-bücher wurden in 14 Sprachen übersetzt und machten sie welt-berühmt. Auf Deutsch sind sie unter dem Titel „Das denkende Herz" erschienen. 1943 wurde Hillesum in Auschwitz ermordet. In ihrem literarisch bedeutsamen Werk beschreibt sie ihre Gefüh-le und Alltagserlebnisse. Bischof Manfred Scheuer: „Etty Hillesum glaubte an das ´Trotzdem´ Gottes und der Liebe inmitten der Hölle von Krieg, nationalsozialistischer Besatzung und Deportation." Die Bühnenversion des Tage-buchs entstand 2015 für das Lan-destheater Linz und erfuhr her-vorragende Kritiken.

Im Stück „Etty" segnet ein Rabbiner die Protagonistin Etty, dargestellt von Bettina Buchholz.

Der Tiroler Sonntag verlost drei Mal zwei Freikarten für die Aufführungen in Tirol (Innsbruck, Wattens, Lienz).

FOTO: NEUHAUSER/SZENEN-

FOTO EINER AUFFÜHRUNG

DES LINZER LANDESTHEATERS

Sie sind Psychotherapeut und Regisseur. Was hat Sie an den Aufzeichnungen von Etty Hillesum derart fasziniert, dass Sie daraus eine szenische Lesung für die Bühne erarbeitet haben?Johannes Neuhauser: Ettys Herangehenswei-se an das Leben ist mutig und aktuell. Sie er-kennt, dass sie Depressionen hat, begibt sich in Behandlung und beginnt ein therapeuti-sches Tagebuch zu schreiben. In ihrer schonungslosen Offenheit kommt Etty Hillesum sich und ihren Problemen rasch näher: ihrer Ichbezogenheit, mit der sie ihre tiefe Unsicherheit überspielt, ihrer Angst, Wut und Verzweiflung.

Der Titel des Stückes wirkt wie ein Fleckerlteppich: Erotik, Spiritualität, intellektuelle Leidenschaft. Warum dieser eigenartige Titel?Neuhauser: Etty beschreibt in ihrem Tage-buch ihre starke Sexualität und wie sie da-durch völlig überraschend einen tiefen Zu-gang zur Spiritualität und zu Gott bekommt. Auch ihr Intellekt wird geschärft. Sie sieht, was die Menschen hassen lässt und in wel-che Katastrophen das führt. Sie entscheidet sich für den Weg der Gewaltfreiheit und der gelebten Solidarität. Sie steht bis zuletzt ih-

ren Mitmenschen bei, ohne dabei ihren jü-dischen Humor zu verlieren.

Wie waren die Reaktionen auf die bisherigen Aufführungen in Oberösterreich? Gab’s auch ne-gative Kritik?Neuhauser: Niemand von uns hatte mit so ei-nem Erfolg gerechnet. Wir spielten Etty im Linzer Musiktheater und in der Tribüne Linz und waren 1 ½ Jahre ausverkauft! Bisher be-richteten alle Medien nur positiv. Uns geht es jedoch nicht um vordergründigen Erfolg, sondern um Ettys tiefe Lebenseinsichten. Be-sonders freute uns, dass der Holocaust-Über-lebende und Alterspräsident der jüdischen Gemeinde Linz, George Wozasek, nach einer

Vorstellung schrieb: „Eine Glanzleistung! Ich hoffe, dass Etty möglichst viele Menschen er-reicht und zum Nachdenken anregt.“

Was macht das Stück für heutige Menschen be-deutsam?Neuhauser: Dass man ganz in dieser Welt le-ben kann und gleichzeitig tief mit seinem In-nersten und Gott verbunden ist. Dass gelebte Erotik und Spiritualität einander nicht aus-schließen, sondern bereichern und befruch-ten! Und natürlich Ettys Einsicht: „Jedes Atom Hass, das wir dieser Welt hinzufügen, wird sie noch weniger bewohnbar machen, als sie es bereits ist!“

Ist es Zufall, dass im Schauspieler-Team, mit dem Sie arbeiten, Juden, Christen und Atheisten ver-treten sind?Neuhauser: Als Etty nach Auschwitz depor-tiert wurde, befanden sich in ihrem Ge-päck der jüdische Talmud, die Bibel und der Koran. Für uns war klar, das können wir nur gemeinsam auf die Bühne bringen. Die Christen unter uns sind den Juden tief freundschaftlich verbunden und bei den Fes-ten in der Synagoge immer willkommen.«

„Etty": Theater, das unter die Haut geht Im Tiroler Sonntag-Interview erklärt Regisseur Johannes Neuhauser, was ihn an der Schriftstellerin Etty Hillesum so fasziniert.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE FRANZ STOCKER

„Etty" in Tirol

Die Aufführungen eines Ensembles des Lin-zer Landestheaters in Tirol sind: Mittwoch, 22. November, Kolpingbühne Lienz, Donners-tag, 23. November Werkstätte Wattens, Frei-tag, 24. November, Haus der Begegnung Inns-bruck, jeweils 19.30 Uhr