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Zum ersten Mal habe ich im Jahr 2001 teilgenommen. Zehn Tage bin ich auf die Strae gegangen, habe Ausschau gehalten nach Gott. Einmal sa ich zwei Stunden im Park zwischen zwei mir unbekannten alkoholisierten Mnnern, die mich begrt hatten mit: Auf dich haben wir gewartet! (berschriftsubhead)

Ich hatte an diesem Tag eine denkbar schlechte Stimmung, fhlte mich hohl und leer, ziellos und genervt. Ich hatte nichts zu bieten, ganz sicher nicht in irgendwelchen menschlichen Kontakten. Das Angebot der beiden nahm ich an, hockte mich mde zwischen sie, nuckelte an meiner Wasserflasche wie sie an ihrem Bier. Gelegentlich wechselten wir Ein- bis Dreiwortstze. Meistens aber schwiegen wir. Sie hatten genauso wenig zu bieten wie ich und machten keinen Hehl daraus. Da entstand etwas zwischen uns jenseits der Worte, gerade im Ausgelaugtsein, in der Erschpfung, im mden Schweigen.

Als ich nach zwei Stunden weiter ging, war ich auf eigenartige Weise getrstet und belebt. Da, whrend dieser zwei Stunden, habe ich eine lebendig machende, sich Jahr fr Jahr vertiefenden Gottesspur entdeckt: Ich darf sein ohne (Vor-) Leistung, ohne intellektuelle Schminke, ohne emotionale Kontur, ohne Anspruch, ohne Wollen. Und dieses Da-Sein einfach zuzulassen damit haben mich die beiden ganz elementar angesteckt und mir etwas von Gottes groem Ja zu mir vermittelt. Noch jetzt beim Schreiben steigt tiefe, warme Freude in mir auf in der Erinnerung an diese beiden Mnner und an das, was sie mir als persnliche Gottesbotschaft offenbarten.

Eine kleine persnliche Erfahrung aus meinen Straenexerzitien. Was habe ich da gemacht, in diesen 10 Tagen? Was machen Gruppen von bis zu 10 Personen, die sich auf solch einen Weg begeben, der sich "Straenexerzitien" nennt?

Sehnsucht nach dem Mehr

Viele Menschen sehnen sich nach einem Mehr an Leben. Das Alltgliche mit seinen Annehmlichkeiten, Festen und Freuden, mit seinen Mhen und nicht zu verstehenden Leidensphasen reicht ihnen nicht. Sie halten Ausschau nach etwas Grerem. Oder anders: Etwas in ihnen ist mit nichts zufrieden. Etwas in ihnen will mehr, will Greres, Intensiveres, Dichteres, Tragenderes.

In Exerzitien[footnoteRef:2] machen sich Menschen auf einen Weg nach innen. Der Wechsel an einen anderen Ort geht traditionell einher mit einer gewissen Abgeschiedenheit von der Welt, in der sie sonst leben. Meist sind es Orte des Schweigens, ein Kloster etwa oder eine Bildungssttte. Man bezieht ein Einzelzimmer. Fr Leib und Seele wird gut gesorgt, denn die Zeit der Exerzitien ist auch eine Zeit des Genieens und der ueren Versorgung. Oft sind Exerzitien daher recht teuer. Durchgngig knnen die Teilnehmenden bei einem Exerzitienbegleiter oder einer Exerzitienbegleiterin ihre Fragen und Gedanken formulieren und in den Gesprchen zu mehr Klarheit und Tiefe finden. [2: Das Wort und die Praxis von Exerzitien gehen zurck auf die ejercicios espirituales (span.: geistliche bungen) des Ignatius von Loyola, Grnder des Jesuitenordens im 16. Jahrhundert. Den Kirchen der Reformation waren Exerzitien zunchst suspekt, weil ihnen der Geruch der Werkgerechtigkeit anhaftete. Diese Vorbehalte spielen aber schon seit Jahren keine Rolle mehr, wie die vielen Angebote von Exerzitien, Rstzeiten, Zeiten der Stille etc. im Bereich der ev. Kirchen zeigen.]

Die ExerzitantInnen ben sich ein in eine Aufmerksamkeit fr sich selbst. Sie achten auf ihre Resonanz, whrend sie sich auf etwas oder jemanden einlassen, und machen sich weit fr neue Erfahrungen. Menschen in Exerzitien folgen einer inneren Sehnsucht nach Leben, die ber das Sichtbare und Greifbare und Erfabare hinaus geht.

Angeboten werden verschiedene Formen von Exerzitien. Indem Menschen einen Bibeltext meditieren oder einem Vortrag lauschen, auf ihren Atem achten oder auf ein Wort einschwingen oder die Natur wahrnehmen, werden sie aufmerksam fr den, den wir Gott nennen, der auf sie zukommt und sich ihnen zeigen will. Pltzlich erkennt ein Mensch einen Zusammenhang, erfhrt pltzlich Trost und Ermutigung, versteht, erahnt einen tieferen Sinn, pltzlich zeigt sich eine Spur wie nie zuvor. Manchmal auch gar nicht pltzlich, sondern ganz langsam und behutsam entwickelt sich etwas Neues, fr das die Zeit der Exerzitien eine Etappe ist.

Gott auf der Strae finden

Was aber sind Straenexerzitien? Initiiert wurden sie im Jahr 2000 von der Gruppe Ordensleute gegen Ausgrenzung aus Berlin. Seitdem finden sie jhrlich an verschiedenen Orten, auch ber Deutschland hinaus, statt.

In den Straenexerzitien wird den Begebenheiten auf der Strae eine besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht. Die TeilnehmerInnen nehmen die Strae als Ort der mglichen Gottesbegegnung mit sehr wachen und aufnahmebereiten Augen, Ohren und Herzen wahr und spren ihrer inneren Resonanz nach.

Die zentrale Geschichte fr Straenexerzitien ist die Erzhlung von Mose, der in der Wste auf einen brennenden Dornbusch stt, in dem Gott sich ihm offenbart als sein ganz persnlicher Gott (Ex 3). Fr Mose ist es Alltag, wenn er die Schafe htet, nichts Besonderes, dass ein trockener Dornbusch brennt. Erst als ein Dornbusch nicht aufhrt zu brennen, folgt Mose seiner Neugierde, die durch Wachsamkeit geweckt ist, und tritt nher. Der Dornbusch steht fr das Harte, Unbeugsame, Knorrige, Verdorrte und Stachelige in meiner Alltagswelt und auch in mir. Dies wahrzunehmen, anzunehmen und sich ein Mehr schenken zu lassen ist die Erfahrung des Mose, die uns ansteckt, uns unseren eigenen Dornbschen zuzuwenden in Erwartung eines Mehr.

Um solche Prozesse zu erleichtern, beziehen die Teilnehmenden einfache Unterknfte, in denen sie gemeinsam bernachten (Pfarrheim, Winterunterkunft fr Obdachlose, kleine Wohnung) und sich selbst versorgen. Die Exerzitien sind kostenlos, da die BegleiterInnen (pro Fnfergruppe eine Frau und ein Mann) ihr Mitgehen ehrenamtlich anbieten. Die konfessionelle Ausrichtung ist kein Kriterium an den Straenexerzitien kann teilnehmen, wer mchte.

Auch der Ablauf der Exerzitien ist einfach strukturiert: Mit einem von der Gruppe gestalteten Tagesimpuls beginnen die Teilnehmenden ihren Tag und sind anschlieend den Tag ber in der Regel alleine unterwegs, denn die Exerzitien sind Einzelexerzitien in der Gruppe. Privilegierte Orte der Gottesbegegnung sind die zuflligen, nicht geplanten Begegnungen auf der Strae und Pltze, wo sich ausgegrenzte Menschen aufhalten zum Beispiel Drogenumschlagplatz, ARGE, Krankenhaus, AIDS-Beratung, Suppenkche. Am spten Nachmittag finden sich alle wieder in der Unterkunft ein. Um 17 Uhr findet dort ein Gottesdienst angeboten, es folgt das selbst bereitete Abendessen. Anschlieend findet das Gruppengesprch statt, in dem die Teilnehmenden ihre Tageserfahrungen erzhlen, whrend die gesamte Gruppe eingeladen ist, darauf zu reagieren. Verbindlich ist whrend der Exerzitien nur das Gruppengesprch.

Es gibt drei Impulse in diesen Tagen. Am Anfang steht die Frage nach der eigenen Sehnsucht und dem damit verbundenen persnlichen Gottesnamen. Nach einigen Tagen wird die Geschichte von Mose am Dornbusch als Wegbegleitung und Deutungshilfe fr das Geschehen des Tages angeboten. Und gegen Ende steht die Emmauserzhlung (Lk 24) im Vordergund. Die Exerzitien enden mit einem gemeinsamen Gottesdienst in einer Gemeinde oder einem anderen Kreis von Glaubenden.

Was Menschen in diesen Tagen erfahren, ist sehr unterschiedlich und sehr persnlich. Alle werden in diesen Tagen stiller, gesammelter, wacher. Viele erzhlen von ihren Erlebnissen, denn unsere Gotteserfahrungen sind ja nicht unser Privateigentum, sondern sind oft bewegend und ansteckend fr die Zuhrenden. Zudem werden sie vom Erzhlenden oft noch einmal neu und anders erfahren. Da ist eine, die erlebt in der Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitsplatz durch die Begegnung mit Menschen auf dem Friedhof eine deutliche Aufforderung, sich Sterbenden zuzuwenden und erfhrt die Verstorbenen als Verbndete und wie Engel. Da ist ein anderer, der sich in die Trauer um ein verstorbenes Kind versetzt sieht und in der Begegnung mit einem gleichnamigen Kind und dessen Mutter Trost und Erlsung von seinem Schmerz erlebt. Wieder eine andere erinnert beim berqueren einer weitgespannten Brcke, die ihr Angst macht, alte Ohnmachtserfahrungen und wird spontan von zwei Menschen ber diese Brcke begleitet. Pltzlich verndert sich eine groe Angst, und im Erleben von so konkreter Begleitung scheint Gott als treuer Begleiter auf.

In Duisburg bieten wir in diesem Jahr zum zweiten Mal einen Kurs von Frauen fr Frauen an. In langjhrigen Erfahrungen wurde deutlich, dass es immer wieder Frauen gibt, die ihre Schnheit und ihre Lebendigkeit zurckhalten, wenn Mnner dabei sind. Manche mgen auch nicht ber schmerzhafte Dinge reden, wenn Mnner anwesend sind. Unser Ziel ist es, Frauen im Rahmen der Straenexerzitien einzuladen, ihrer Wahrnehmung zu trauen und sich mehr auf diese Welt und ihr Sosein einzulassen.

Gott meiner Sehnsucht

Damit Sie ein wenig Geschmack an dieser Form der geerdeten Exerzitien finden, lade ich Sie zu einer kleinen bung ein, die etwa vier Stunden dauert und die Sie in einer Ihnen vertrauten oder auch neuen Gruppe machen knnen.

Hintergrund dieser bung sind folgende berlegungen: Wir alle tragen Sehnschte in uns. Diese haben wir uns nicht ausgesucht, sie sind einfach da. Indem wir nach der Wut oder der Traurigkeit in uns fragen, kommen wir unserer Sehnsucht sozusagen umgekehrt etwas nher. In dieser Sehnsucht verbindet sich Gott mit uns, denn er hat sie in uns gelegt als einen ganz wesentlichen Teil von uns. Daher knnen wir nach einem Namen fr Gott suchen, wie er/sie gerade von mir angeredet werden mchte als mein Gott.

Ein Beispiel: Da ist eine Frau, die reagiert jedes Mal sehr rgerlich, wenn ein Mensch in ihrer Umgebung bersehen wird. Sie erkennt dahinter ihre eigene elementare Sehnsucht, gesehen und wertgeschtzt zu werden von Menschen, mit dene