Aktuelle Entscheidungen des EuGH/EuG

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Aktuelle Entscheidungen des EuGH/EuG

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Aktuelle Entscheidungen des EuGH/EuG. Terminplan. 25.06.2012 09.07.2012 Jeweils 18 Uhr c.t. bis 20 Uhr. Vorschau Rechtsschutz/Verfahrensarten. Vorabentscheidungsverfahren: - Auslegungsvorlage EuGH, Urteil vom 08.09.2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10 - Gültigkeitsvorlage - PowerPoint PPT Presentation

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Aktuelle Entscheidungen des EuGH/EuG

Terminplan

• 25.06.2012

• 09.07.2012

Jeweils 18 Uhr c.t. bis 20 Uhr

Vorschau Rechtsschutz/Verfahrensarten

• Vorabentscheidungsverfahren:- AuslegungsvorlageEuGH, Urteil vom 08.09.2011, Q-Beef und Bosschaert, C-89/10- GültigkeitsvorlageEuGH, Urteil vom 21.12.2011, Air Transport Association of America u.a., C-366/10

• Vertragsverletzungsverfahren- Finanzielle Sanktionen bei Nichtumsetzung eines Urteils EuGH, Urteil vom 17.11.2011, Kommission / Italien, C‑496/09- Klage eines anderen MSUngarn gegen Slowakische Republik, Anhängige Rechtssache C-364/10

Auslegungsvorlage: Staatshaftung der MS bei Verletzung des

Gemeinschaftsrechts / Rechtswirkungen einer Vorabentscheidung

Urteil des Gerichtshofs vom 08.09.2011, Q-Beef und Bosschaert(C-89/10)

Vorabentscheidungsersuchen aus Belgien

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10)

„Mit dem Unionsrecht unvereinbare nationale Abgaben – Abgaben, die aufgrund eines für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärten beitragsgestützten Systems der finanziellen Unterstützung entrichtet wurden – System, das durch ein neues, für mit dem Unionsrecht vereinbar erklärtes System ersetzt wurde – Rückerstattung der zu Unrecht erhobenen Abgaben – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität – Dauer der Verjährungsfrist – Tag des Fristbeginns – Vom Staat und von Einzelnen beizutreibende Forderungen – Unterschiedliche Fristen“

Quelle: Stichwortkette aus dem Urteilskopf

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10)

1. Vorlagefrage

(vereinfacht) Ist es zulässig, eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, die die innerstaatliche Rechtsordnung für Forderungen gegen den Staat vorsieht, auf Klagen anzuwenden, mit denen Abgaben zurückgefordert werden, die aufgrund eines mit dem Unionsrecht unvereinbaren „gemischten Beihilfe- und Abgabensystems“ entrichtet worden sind?

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert(C-89/10)

•Äquivalenzgrundsatz

Gleiche Verjährungsfrist für Forderungen wegen Verstößen gegen nationales Recht oder Unionsrecht

•Effektivitätsgrundsatz

Festsetzung angemessener Verjährungsfristen verstößt nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10) Ergebnis zu Frage 1

Anwendung der Verjährungsfrist ist zulässig

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10)

2. Vorlagefrage

(vereinfacht)

Lange Verjährungsfrist (10 Jahre) für Anspruch eines Einzelnen (A) gegenüber anderem Einzelnen (B) auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter und von B als Vermittler für A an den Staat entrichteter Abgaben.

Kurze Verjährungsfrist (5 Jahre), wenn A Abgaben unmittelbar an den Staat entrichtet.

Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht?

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10)

• Keine Verletzung des Grundsatzes der Effektivität wenn bei Forderungen gegen den Staat kürzere Verjährungsfrist gilt als bei Forderungen gegen Private.

• Bei Zahlung von Abgaben über einen Vermittler muss dieser aber ein Rückgriffsrecht gegen den Staat haben.

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10) Antwort des Gerichtshofs auf Frage 2

„Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung, wonach [ … ] für den Anspruch eines Einzelnen gegenüber einem anderen Einzelnen auf Erstattung der Abgaben, die Ersterer an Letzteren, der als Vermittler aufgetreten ist, rechtsgrundlos gezahlt hatte und die dieser für Rechnung des Erstgenannten an den Staat entrichtet hatte, eine längere Verjährungsfrist gilt, während für den Anspruch des Ersteren, wenn er die Abgaben unmittelbar an den Staat entrichtet hätte, eine kürzere, von der allgemeinen Regelung für Ansprüche auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge abweichende Frist gegolten hätte, nicht entgegen, sofern der als Vermittler auftretende Einzelne die eventuell für andere Einzelne entrichteten Beträge vom Staat tatsächlich zurückverlangen kann.“ (Tenor Nr. 2)

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10) 3. Vorlagefrage

Vereinfacht: Wie wirkt sich Entscheidung des EuGH, aus dem sich die Rechtswidrigkeit der nationalen Regelung ergibt, auf den Beginn der Verjährungsfrist aus?

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10)

Verjährung richtet sich nach nationalem Recht

Feststellung eines Unionsrechtsverstoß durch den EuGH für Beginn der Verjährungsfrist unerheblich

Vorabentscheidung wirkt (deklaratorisch) auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ausgelegten Vorschrift zurück

Auslegungsvorlage: Q-Beef und Bosschaert (C-89/10) Antwort des EuGH auf Frage 3

„Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren wirkt sich die Tatsache, dass der Gerichtshof in einem auf ein Vorabentscheidungsersuchen ergangenen Urteil die Rückwirkung der fraglichen nationalen Regelung für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt hat, nicht auf den Beginn der im nationalen Recht für Forderungen gegen den Staat vorgesehenen Verjährungsfrist aus.“ (Tenor Nr. 3)

Rechtsprechungshinweis:

Staatshaftung der MS bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts

BGH, 26. April 2012, III ZR 215/11, www.bundesgerichtshof.de

Private Spielhallen

Gültigkeitsvorlage: CO2-Emissionszertifikate im Luftverkehr

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Vorabentscheidungsersuchen aus GB

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

„Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2003/87/EG – System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten – Richtlinie 2008/101/EG – Einbeziehung des Luftverkehrs in dieses System – Gültigkeit – Chicagoer Abkommen – Kyoto-Protokoll – Luftverkehrsabkommen EU/Vereinigte Staaten – Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts – Rechtswirkungen – Möglichkeit der Geltendmachung – Extraterritoriale Wirkung des Unionsrechts – Begriffe ‚Gebühr’ und ‚Abgabe’“

Quelle: Stichwortkette im Urteilskopf

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 1. Vorlagefrage

1. Können einige oder alle der folgenden Regeln des Völkerrechts im vorliegenden Fall herangezogen werden, um die Gültigkeit der Richtlinie 2003/87/EG in der durch die Richtlinie 2008/101/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union geänderten Fassung in Frage zu stellen:

a)der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, dass jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum besitzt;

b)der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts, dass kein Staat den Anspruch erheben darf, irgendeinen Teil der hohen See seiner Hoheit zu unterstellen;

c)der in der Freiheit von Flügen über hoher See bestehende Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts;

d)der Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts (dessen Existenz vom Beklagten nicht anerkannt wird), dass Flugzeuge, die über hoher See fliegen, ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates unterliegen, in dem sie registriert sind, es sei denn, dass in einem völkerrechtlichen Vertrag ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist;

e) das Chicagoer Abkommen (insbesondere die Art. 1, 11, 12, 15 und 24);

f) das „Open-Skies“-Abkommen (insbesondere die Art. 7, 11 Abs. 2 Buchst. c und 15 Abs. 3);

g) das Kyoto-Protokoll (insbesondere Art. 2 Abs. 2)?

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Richtlinie 2003/87/EG

Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG (ABl. L 275, S. 32)

Art. 1: „Mit dieser Richtlinie wird ein System für den Handel mit [Zertifikaten] in der Gemeinschaft … geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.“

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Richtlinie 2008/101/EG

Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Normenhirarchie

• Verträge (EUV, AEUV) mit Anhängen und Protokollen (vgl. Art. 51 EUV)

• Völkerrechtliche Verträge, die EU binden (vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV)

• Sekundärrecht

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Völkerrechtliche Norm als Gültigkeitsmaßstab

• Union an Norm gebunden Union ist z.B. entweder selbst Vertragspartei

eines Übereinkommens oder sämtliche Kompetenzen aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens

sind auf sie übergegangen• Art und Struktur eines Abkommens stehen

dem nicht entgegen • Geltend gemachte Bestimmungen sind

inhaltlich unbedingt und hinreichend genau

(siehe Rn 52-54 des Urteils)

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Chicagoer Abkommen vom 7.12.1944 über die Internationale Zivilluftfahrt

• Mit dem Chicagoer Abkommen ist die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (International Civil Aviation Organization, ICAO) geschaffen worden

• Alle Mitgliedstaaten der EU sind Vertragspartei, nicht aber EU selbst

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Bindung der EU an Chicagoer Abkommen?

• Art. 351 Abs. 1 AEUV => EU darf MS nicht behindern, ihre Verpflichtungen aus früheren Verträgen zu erfüllen, daraus folgt aber keine eigene Bindung der EU

• Bindung der EU setzt voraus, dass EU die vorher von den MS ausgeübten Befugnisse im Anwendungsbereich des betreffenden Übereinkunft vollständig übernommen hat (Nr. 63).

• Kompetenz der EU im Luftverkehr nach Art. 100 Abs. 2 AEUV

• Befugnisse der MS im Anwendungsbereich des Abkommens sind derzeit nicht vollständig auf die EU übergegangen: Keine Bindung => Chicagoer Abkommen kein Gültigkeitsmaßstab

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Kyoto-Protokoll

• Protokoll von Kyoto vom 11. Dezember 1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Kyoto-Protokoll), seit 16. Februar 2005 in Kraft

• Union ist Vertragspartei

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Art. 2 Abs. 2 Kyoto-Protokoll

„Die in Anlage I aufgeführten Vertragsparteien setzen ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen von nicht durch das Montrealer Protokoll geregelten Treibhausgasen aus dem Luftverkehr und der Seeschifffahrt im Rahmen der [ICAO] beziehungsweise der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation fort.“

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Kyoto-Protokoll als Gültigkeitsmaßstab?

• Kyoto-Protokoll ist Bestandteil der Unionsrechtsordnung

• Art. 2 Abs. 2 aber nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau

=> kein Gültigkeitsmaßstab

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

„Open-Skies“- Abkommen

Luftverkehrsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von 2007

Protokoll zur Änderung des Abkommens von 2010

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

„Open-Skies“- Abkommen als Gültigkeitsmaßstab?

• Open-Skies Abkommen ist Bestandteil der Unionsrechtsordnung (Beschlüsse 2007/339 und 2010/465 des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ) => Bindung der EU (+)

• Art und Struktur des Abkommens stehen Prüfung anhand des Abkommens nicht entegegen (+)„Da mit dem „Open-Skies“-Abkommen bestimmte Vorschriften eingeführt werden, die direkt und unmittelbar auf die Luftfahrtunternehmen Anwendung finden und diesen Unternehmen auf diese Weise Rechte oder Freiheiten verleihen sollen, die den Vertragsparteien gegenüber geltend gemacht werden können, und Art und Struktur des Abkommens nicht entgegenstehen, kann der Gerichtshof die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union wie der Richtlinie 2008/101 an den Bestimmungen eines solchen Abkommens messen.“ (Nr. 84 des Urteils)

• Geltend gemachte Bestimmungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau? (+)

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Art. 7 („Anwendung von Rechtsvorschriften“) Abs. 1 Open-

Skies-Abkommen

„Die Gesetze und sonstigen Vorschriften einer Partei betreffend den Einflug in ihr oder den Ausflug aus ihrem Gebiet der im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge oder betreffend den Betrieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge innerhalb ihres Gebietes gelten für die Luftfahrzeuge, die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Partei verwendet werden, und sind von diesen Luftfahrzeugen beim Ein- oder Ausflug und innerhalb des Gebietes der ersten Partei zu befolgen.“

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Art. 11 („Zölle und Abgaben“) „Open-Skies“-Abkommen

„(1) Bei Ankunft im Gebiet einer Vertragspartei bleiben Luftfahrzeuge, die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Vertragspartei im internationalen Luftverkehr eingesetzt werden, ihre üblichen Ausrüstungsgegenstände, Bodenausrüstungsgegenstände, Treibstoffe, Schmieröle, technische Verbrauchsgüter, Ersatzteile (einschließlich Triebwerken), Bordvorräte (insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, Gegenstände wie Nahrungsmittel, Getränke und alkoholische Getränke, Tabak und in begrenzten Mengen zum Verkauf an Fluggäste oder zum Verbrauch durch diese während des Fluges bestimmte sonstige Güter) und andere ausschließlich zur Verwendung im Zusammenhang mit dem Betrieb oder der Versorgung ihrer im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeuge bestimmte Gegenstände auf der Grundlage der Gegenseitigkeit frei von allen Einfuhrbeschränkungen, Vermögenssteuern und -abgaben, Zöllen, Verbrauchsteuern und ähnlichen Gebühren und Abgaben, die a) durch die nationalen Behörden oder die Europäische Gemeinschaft erhoben werden und b) nicht auf den Kosten für geleistete Dienste beruhen, sofern diese Ausrüstungsgegenstände und Vorräte an Bord des Luftfahrzeugs verbleiben.

(2) Außerdem werden auf der Grundlage der Gegenseitigkeit von den in Absatz 1 genannten Steuern, Zöllen, Gebühren und Abgaben außer den auf den Kosten für geleistete Dienste beruhenden Gebühren befreit:...c) Treibstoff, Schmieröle und technische Verbrauchsgüter, die zur Verwendung in einem im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeug eines Luftfahrtunternehmens der anderen Vertragspartei in das Gebiet einer Vertragspartei eingeführt oder dort geliefert werden, selbst wenn diese Vorräte auf dem Teil des Fluges über dem Gebiet der Vertragspartei verbraucht werden sollen, in dem sie an Bord genommen werden,…“

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Völkergewohnheitsrecht

EU ist bei Erlass eines Rechtsakts verpflichtet, das gesamte Völkerrecht zu beachten, auch das die Organe der EU bindende Völkergewohnheitsrecht (Nr. 101 des Urteils, vgl. Art. 3 Abs. 5 EU).

Völkerrecht begründet nur Verpflichtungen zwischen Staaten

Aber: „Ein Bürger kann [ …] Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts insoweit im Hinblick auf die Prüfung der Gültigkeit eines Rechtsakts der Union durch den Gerichtshof geltend machen, als die Zuständigkeit der Union für den Erlass des Rechtsakts durch diese Grundsätze in Frage gestellt werden kann [ …] und durch den in Rede stehenden Rechtsakt Rechte des Bürgers aus dem Unionsrecht beeinträchtigt oder Verpflichtungen des Bürgers aus dem Unionsrecht begründet werden können.“ (Nr.

107 des Urteils)

Gerichtliche Kontrolle beschränkt auf offensichtliche Fehler bei der Anwendung dieser Grundsätze beim Erlass des betreffenden Rechtsakts (Nr. 110 des Urteils)

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

Handelt es sich tatsächlich um einen Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts?

a) Jeder Staat besitzt die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum; (+)

b) Kein Staat darf beanspruchen, irgendeinen Teil der hohen See seiner Hoheit zu unterstellen; (+)

c) Grundsatz der Freiheit von Flügen über hoher See; (+)

d) Flugzeuge, die über hoher See fliegen, unterliegen ausschließlich der Hoheitsgewalt des Staates, in dem sie registriert sind(-)

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Antwort auf Vorlagefrage 1

„Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens können von den vom vorlegenden Gericht angeführten völkerrechtlichen Grundsätzen und Bestimmungen nur folgende im Hinblick auf die Beurteilung der Gültigkeit der Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geltend gemacht werden:

– zum einen, begrenzt auf die Kontrolle eines offensichtlichen, der Union zurechenbaren Fehlers bei der Beurteilung ihrer Zuständigkeit für den Erlass dieser Richtlinie hinsichtlich dieser Grundsätze:

– des Grundsatzes, dass jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum besitzt;

– des Grundsatzes, dass kein Staat den Anspruch erheben darf, irgendeinen Teil der hohen See seiner Hoheit zu unterstellen, und– des Grundsatzes der Freiheit von Flügen über hoher See;

– zum anderen:– Art. 7 und Art. 11 Abs. 1 und 2 Buchst. c des am 25. und 30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrsabkommens zwischen den

Vereinigten Staaten von Amerika einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits in der durch das Protokoll geänderten Fassung sowie

– Art. 15 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 und Art. 3 Abs. 4 dieses Abkommens.“

(Tenor Nr. 1)

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Vorlagefragen 2 - 4

Vereinfacht:

Gültigkeit der RL 2008/101 gemessen an den o.g. Bestimmungen des Völkerrechts?

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10

RL gilt für Flugzeuge, die in der Union starten oder landen, Anwendung der RL auf solche Flugzeuge kein Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht

Kein Verstoß gegen „Open-Skies“-Abkommen, Zertifikate Handel keine Abgabe auf Treibstoff

Gültigkeitsvorlage: Air Transport Association of America u.a., C-366/10 Antwort des EuGH

„Die Prüfung der Richtlinie 2008/101 hat nichts ergeben, was ihre Gültigkeit berühren könnte.“

(Tenor Nr. 2)

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) vom 17. November 2011 in der Rechtssache C‑496/09

Kommission / Italien

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Urteil des Gerichtshofs, durch das eine Vertragsverletzung festgestellt wird – Nichtdurchführung – Art. 228 EG – Finanzielle Sanktionen“

(Stichwortkette aus dem Urteilskopf)

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Nichtumsetzung der Verpflichtung aus dem Urteil

• Italien hat Beihilfen nicht rechtzeitig vollständig zurückgefordert

• Rückforderung war nicht absolut unmöglich

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Tenor Nr. 1„Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Entscheidung 2000/128/EG der Kommission vom 11. Mai 1999 über die italienische Beihilferegelung für Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und aus Art. 228 Abs. 1 EG verstoßen, dass sie zu dem Zeitpunkt, an dem die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme, die die Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 1. Februar 2008 nach Art. 228 EG abgegeben hat, gesetzte Frist ablief, nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die zur Durchführung des Urteils vom 1. April 2004, Kommission/Italien (C‑99/02), über die Rückforderung der mit der Entscheidung 2000/128 für rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfen von den Empfängern erforderlich sind.“

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Festsetzung Zwangsgeld

• Zwangsgeld nur, wenn Vertragsverletzung bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den EuGH andauert

• Höhe des Zwangsgelds: Leitlinien der KOM für EuGH nicht bindend

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Tenor Nr. 2„Die Italienische Republik wird verurteilt, an die Europäische Kommission auf das Konto „Eigenmittel der Europäischen Union“ ein Zwangsgeld zu zahlen, dessen Höhe durch Multiplikation eines Grundbetrags von 30 Millionen Euro mit dem prozentualen Anteil zu berechnen ist, den die rechtswidrigen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfen, die noch nicht zurückgefordert wurden oder deren Rückforderung nicht nach dem betreffenden Zeitraum nachgewiesen wurde, an der Gesamtheit der zum Zeitpunkt der Verkündung des vorliegenden Urteils noch nicht zurückgeforderten Beträge ausmachen, und zwar für jedes Halbjahr mit Verzögerung bei der Durchführung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil vom 1. April 2004, Kommission/Italien (C‑99/02), nachzukommen, beginnend mit der Verkündung des vorliegenden Urteils bis zur vollständigen Durchführung des genannten Urteils vom 1. April 2004.“

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Festsetzung Pauschalbetrag

Zwangsgeld und Pauschalbetrag können kumulativ verhängt werden

Vertragsverletzungsverfahren / Finanzielle Sanktionen: Kommission / Italien C‑496/09

Tenor Nr. 3

„Die Italienische Republik wird verurteilt, an die Europäische Kommission auf das Konto „Eigenmittel der Europäischen Union“ einen Pauschalbetrag von 30 Millionen Euro zu zahlen.“

VertragsverletzungsverfahrenKlage eines anderen MS

Anhängige Rechtssache C-364/10Ungarn gegen Slowakische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Art. 259 AEUV – Art. 21 Abs. 1 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen – Einreiseverbot in die Slowakische Republik für den Präsidenten Ungarns – Anwendung des Unionsrechts auf Staatsoberhäupter – Missbrauch des Unionsrechts“

Quelle: Stichwortkette aus Kopf der Schlussanträge vom 6. März 2012

Vertragsverletzungsverfahren / Klage eines anderen MS:

Ungarn gegen Slowakische Republik C-364/10 Voraussetzungen der Klage

• Befassung der KOM

• KOM hört beteiligte MS an und gibt Stellungnahme ab

• Gibt KOM innerhalb von 3 Monaten keine Stellungnahme ab, kann MS Klage erheben

Vertragsverletzungsverfahren / Klage eines anderen MS:

Ungarn gegen Slowakische Republik C-364/10

Artikel 21 AEUV

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Vertragsverletzungsverfahren / Klage eines anderen MS: Ungarn gegen Slowakische Republik C-364/10

Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten

KAPITEL VI - BESCHRÄNKUNGEN DES EINREISE- UND AUFENTHALTSRECHTS AUS GRÜNDEN DER ÖFFENTLICHEN ORDNUNG,

SICHERHEIT ODER GESUNDHEIT

Artikel 27 Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

Vertragsverletzungsverfahren / Klage eines anderen MS:

Ungarn gegen Slowakische Republik C-364/10

Schlussanträge Generalanwalt Bot

• Besuch in seiner Funktion als Präsident Ungarns und nicht in seiner Eigenschaft als Unionsbürger

• Art. 21 AEUV und RL 2004/38 gelten nicht für Besuche von Staatsoberhäuptern in MS

• Diplomatische Beziehungen fallen in die Kompetenz der MS

• Vorschlag des Generalanwalts:

Klagabweisung