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Alexandra David-Néel Liebeszauber und schwarze Magie

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Alexandra David-NéelLiebeszauber und schwarze Magie

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S P H I N X

Alexandra

Liebeszauber und

Abenteuer in Tibet

Aus dem Französischen von Fritz Werle

schwarze Magie

David-Néel

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Die Originalausgabe erschien bei Librairie Plon unter dem Titel Magie d’amour et magie noire.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet unter htttp://dnb.ddb.de abrufbar.

© Librairie Plon 1938© der deutschsprachigen Ausgabe Heinrich Hugendubel Verlag,Kreuzlingen/München 2007Deutsche Übersetzung mit Genehmigung des O. W. Barth-VerlagsAlle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: any.way, Barbara Hanke & Cardula Schmidt,unter Verwendung eines Motivs von CORBIS und BILDERBERGProduktion: Inga TomallaSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, GermeringDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckPrinted in Germany 2007

ISBN: 978-3-7205-9004-4

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Inhalt

Vorwort 7

Einleitung 9Mein Gastgeber, der Bauern-Hirte, Exhäuptling einer Räuberbande – Eine nächtliche Entführung – Mitteilungen beim Lagerfeuer

ERSTER TEIL

SAAT DES KOMMENS 13

Erstes Kapitel 15Der Angriff auf die Karawane – Der im Traum erschaffene Geliebte verkörpert sich

Zweites Kapitel 35Die Jugend eines großen Räuberhäuptlings – Der Sohn eines Gottes

Drittes Kapitel 47Räuberwallfahrt nach Lhasa – Beim Allwissenden –Beim Seher – Die Vergangenheit einer Seherin

ZWEITER TEIL

SAAT DES SCHICKSALS 73

Viertes Kapitel 75Am Khang Tise – Das verbrecherische Gespenst des Yogi –Der Hunger nach Unsterblichkeit – Die Kunst, während der Vereinigung die Lebenskraft aus seiner Partnerin abzuziehen – Die magischen Kräuter Tibets

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Fünftes Kapitel 93Niederlage und Untergang der Hirten-Räuber – Die tragische Furt – Ein Zauberarzt bringt den verwundeten Anführer weg – Detchema tritt ins Kloster ein

Sechstes Kapitel 119Ein Schlupfwinkel schwarzer Magier – Ein Hindu-Mystiker auf der Suche nach Unsterblichkeit – Eine höllische Werkstatt Das scheußliche Lebenselixier –Ausbruch aus der Festung der schwarzen Magier und Drama im Wald

Siebtes Kapitel 167Der Weise vom Amne Matchen – Geheimnisvolle fremde Reisende – Das Fleisch siegt über den Geist – Mord in einer Höhle

Nachwort 197Mörderischer Aberglaube – Wo ist der Mann mit dem Goldhaar geblieben?

Anmerkungen 201

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Vorwort

Nur nach langem Zögern – über mehrere Jahre hin – habeich mich zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches ent-schlossen. Der Grund lag in der besonders grässlichen Naturder Geschehnisse, die im fünften und mehr noch im sechs-ten Kapitel beschrieben werden. Bei meinem neuerlichenAufenthalt in Asien war es mir vergönnt, auf dem hl. Gebir-ge zu den Fünf Gipfeln, nahe der mongolischen Grenze, tibe-tischen Lamas zu begegnen, die dorthin gewallfahrt waren.Zwei von ihnen stammten aus dem Land der Gyarongpas.Gelegentlich kam die Sprache auch auf Zauberei und dieBöns, deren es im Gyarong noch eine ganz beträchtlicheZahl gibt. Ich selbst bin in einem ihrer Klöster Zeuge eineseinzigartigen Phänomens1 gewesen. – Diese Lamas bestätig-ten mir, dass, obwohl sie viele durchaus ehrenwerte Weiß-Böns kannten, sie auch von gewissen Schwarz-Böns hättensprechen hören, die sich widerlichen und grauenhaftenmagischen Praktiken hingäben. Zu meinem großen Erstau-nen erwähnten sie den hohlen Tisch mit schwerem Deckel,unter dem man lebend eingesperrte Menschen verhungernund verwesen lässt, um so den Stoff zu einem Unsterblich-keitselixier zu erhalten. An einem solchen Ort behaupteteder Held der in meinem Buch veröffentlichten Autobiogra-fie dies gesehen zu haben. Er hatte sicher nicht als Einzigerdieses schauderhafte Schauspiel gesehen, und jedenfallszwangen mich die Angaben der Pilger-Lamas zu derErkenntnis, dass hierüber Gerüchte im Umlauf waren, die

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aus Furcht vor den Bönzauberern allerdings nur hinter vor-gehaltener Hand weitergegeben wurden. Diese unerwarteteBestätigung der Mitteilungen, die ich über diese Sacheerhalten hatte, zerstreute meine Zweifel hinsichtlich desInteresses, das ihre Veröffentlichung vom Gesichtspunkt derEthologie her bot.

Die Umstände, unter denen ich das Material zu dem vor-liegenden Buch gesammelt habe, werden in der Einleitungeingehend beschrieben. Der Leser wird auch ohne besonde-re Hinweise einsehen, dass mir der Erzähler dieser Autobio-grafie nur wesentliche Angaben hierzu gemacht hat. Derbesondere Geisteszustand, der ihn veranlasste, die Umstän-de seines vergangenen Lebens zu erzählen, verbot jedeAbschweifung. Mein Gastgeber, der von der so unversehensin ihm aufgefrischten Erinnerung an das von ihm erlebteDrama erregt war, dachte natürlich nicht daran, mir die Ortedes Geschehens zu schildern noch die Sitten oder Glaubens-vorstellungen zu erklären, die den von ihm berichtetenGeschehnissen zugrunde liegen. Er wusste ja, dass ich einGroßteil der Gebiete, in denen er gelebt hatte, gut kannte;und überdies hielt er mich für eine echte Tibeterin. Kurzgesagt, diese Erzählung wäre in der Form, wie ich sie gehörthabe, in vielerlei Hinsicht für Fremde unverständlich gewe-sen, denen Tibet und seine Bewohner gänzlich unbekanntsind. Es schien mir deshalb geraten, diesem Buch die Formeines Romans zu geben, um durch Beschreibung der Land-schaften oder Erklärung im Land gängiger Vorstellungenseinen Helden die körperliche Gestalt und die geistigeAtmosphäre geben zu können, in denen sie sich bewegtenund deren Einfluss sie unterlagen. Indessen muss ich denLeser bitten, sich während der ganzen Lektüre vor Augen zuhalten, dass dieser Roman wirkliche Erlebnisse wiedergibt.

Riwotse Nga, August 1937 Alexandra David-Néel

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Einleitung

Mein Gastgeber, der Bauern-Hirte,Exhäuptling einer Räuberbande – Eine nächtliche Entführung – Mitteilungen

beim Lagerfeuer

An der Grenze des Landes Daishin hatte ich mich einige Tagein der Sommerresidenz eines sehr reichen Häuptlings, wiees eine ganze Anzahl in dieser Gegend gibt, aufgehalten. DerHäuptling, halb Bauer, halb Hirte, hieß Garab.

Freundlich von ihm aufgenommen, beeilte ich mich nicht,mich wieder auf den Weg zu machen, sondern genoss einmaldas äußere Behagen, das reichliche Essen und die von derNähe der Viehhirten, dem Reiz des Ortes und der Unterhal-tung meines Gastwirts gesicherte ruhige Sorglosigkeit.

Noch eine andere Überlegung hatte zu meinem Verweilenbeigetragen. Da der Bauer erkannt hatte, dass mein Reisebe-gleiter, der Lama Yongden2, zur Sekte der Khagyud-Karma-pas3 gehörte, war er darauf verfallen, ihn um die Abhaltungeines Ritus zur Vertreibung böser Geister zu bitten. Solcheine Bitte ist in Tibet häufig, und ich war keineswegs über-rascht; jedenfalls sollte ich einige Tage später über denBeweggrund zu dieser Bitte völlig aufgeklärt werden.

Garab, der Eigentümer der Felder und Herden, war hoch-gewachsen und von dunklerer Hautfarbe, als sie bei Tibeternüblich ist. Seine wenigen und bestimmten Gesten zeigtenden selbstbewussten Herrn. Ein seltsames Licht glühte ausder Tiefe seiner glänzenden schwarzen Augen, was imGegensatz zu seiner hochmütigen und gleichgültigen Ruheseiner äußeren Haltung stand. Manchmal sah ich ihn mittenim Gehen anhalten und lange mit in die Ferne gerichtetemBlick unbeweglich stehen bleiben, oder er saß stundenlang

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abseits, in etwas versunken, was ich für fromme Meditationgehalten hätte, wäre mein Gastgeber ein religiöser Manngewesen, was aber nicht zutraf.

Von seinem so wenig mongolischen Aussehen betroffen,hatte ich gewagt, ihn nach seinem Geburtsland zu fragen.Meine Neugier schien ihm missfallen zu haben, doch ant-wortete er: »Ich bin aus Ngari, weit von hier.«

Ngari ist eine große Provinz Tibets an den südlichen Aus-läufern des Himalaya. Gebirgspässe verbinden Ngari mitIndien; Rassenmischungen haben im Grenzland dort Typenhervorgebracht, die manchmal von denen in den anderen Tei-len Tibets sehr verschieden sind. Irgendetwas Seltsames imAussehen Garabs konnte also damit erklärt werden; warumaber hatte er sich so fern seinem Land niedergelassen? Dashätte ich gerne gewusst. Da ich aber das Missvergnügen, dasihm meine erste Frage verursacht hatte, bemerkte, wagte ichihm keine weiteren zu stellen.

Eines Abends, da mein Adoptivsohn, der Lama Yongden,und ich mit ihm noch lange nach Sonnenuntergang beimTee vor dem Zelt des Bandenführers saßen, drang dasdumpfe Geräusch eines galoppierenden Pferdes von denweiten Weideflächen her zu uns. Unser Gastgeber spitztedie Ohren.

»Ein Reiter … und das Tier ist schwer beladen«, sagte er,mit dem feinentwickelten Gehör eines dokpa (Hirten) er-kennend, ob es sich um ein einzelnes, einer Herde entlaufe-nes Pferd handelte, oder ob irgendwer es ritt.

Einige Augenblicke später sprang vor uns ein Mann voneinem erschöpften, dampfenden Pferd und half einem jun-gen Mädchen herunter, das auf dem Rücksitz gesessen war.

»Ihr müsst mir zwei kräftige und schnelle Pferde geben«,rief er hastig unserem Gastgeber zu. »Ich werde Euch dasmeine lassen; es ist jung und ein wertvolles Tier. Nach eini-gen Ruhetagen wird es wieder tadellos in Form sein. Ich habeGeld und werde zahlen, was Ihr dafür verlangt.«

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»Lasst uns morgen darüber reden«, antwortete Garab. »Eswird Nacht; schlaft hier. Ich werde euer Tier versorgen.«

»Danke«, antwortete der Reisende, »aber wir müssenunverzüglich weiter!«

Und da ihn der Bandenführer schweigend betrachtete,fuhr er fort: »Man hetzt uns. Wir müssen morgen früh weitvon hier ein Lager erreicht haben, in dem ich Freunde habe.«

Dann nach kurzem Zögern:»Ich entführe sie … sie ist einverstanden …«Garab schwieg immer noch. Sein Gesicht blieb unbewegt;

aber das auf dem Grunde seiner Augen schlafende Licht hat-te sich belebt, sprühte.

»Du folgst ihm aus freien Stücken?«, fragte er das Mäd-chen. »Wenn du hierbleiben willst, sag es ohne Furcht. Dustehst unter meinem Schutz.«

»Ich will mit ihm gehen«, antwortete sie und wandte sichlebhaft ihrem Begleiter zu.

In diesem Halbdunkel boten der Mann und die Frau, wiesie so aneinandergeschmiegt dastanden, die Gesichter vonMüdigkeit und Angst verzerrt, einen tragischen Anblick.

»Setzt euch nieder«, sagte der Gastwirt, »trinkt Tee undesst etwas, während die Pferde geholt werden.« Er rief Leu-te, sprach leise mit ihnen, worauf sie nach einem anderenTeil des Lagers liefen. Kurz danach kamen sie mit zweiPferden zurück, eines war bereits gesattelt. Auf das anderekam der Sattel des Reisenden, über den zwei große Packta-schen geschnallt waren, die an den Seiten des Tieres4 hin-gen.

»Hier«, sagte der Führer einfach. »Es sind prächtige Tiere,Ihr könnt während der ganzen Nacht tüchtig zureiten.«

»Wie viel hab ich zu zahlen?«, fragte der Flüchtige.»Nichts«, antwortete Garab. »Ihr lasst mir ein wertvolles

Pferd; ich sah es sofort. Es ist also nur ein Tausch für das eineder Tiere … und das andere – schenke ich ihr …« Er wies aufdas Mädchen.

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»Zu gütig …«, begann der Mann.»Reitet zu«, gebot der großherzige Spender, in einem Ton,

der jeden Dank verbot.In weniger als einer Minute war das Paar im Sattel.»Man hat Mundvorrat in eure Packtaschen gegeben«, rief

der Führer den Aufbrechenden nach. Ein Fersenschlag5 ge-gen den Leib ihrer Pferde, und die Liebenden preschten demHorizont zu, an dem die Sterne die Erde berührten.

Von Neuem sank Schweigen über die Ebene. Unser Gast-wirt ließ sich bei dem draußen unterhaltenen Feuer niederund blieb lange in seine Gedanken versunken. Sein von leb-haften Flammen erhelltes Gesicht trug einen so seltsamenAusdruck, wie ich ihn nie bei ihm gesehen hatte. Plötzlichrief er einen Diener und befahl ihm Lebenswasser zu brin-gen. Zug um Zug trank er mehrere Schalen; dann verfiel erwieder in seine Träumereien.

So rasch auch unsere Prüfung der Pferde gewesen seinmochte, die er den Flüchtigen gab, so vermochte ich dochihren bedeutenden Kaufwert zu erkennen. Was hatte ihrenBesitzer veranlasst, eines von ihnen Unbekannten zumGeschenk zu machen? Ich musste es wissen.

»Ihr habt Euch gegen diese Verliebten ungewöhnlichgroßherzig gezeigt«, sagte ich.

»Ich habe so etwas selbst erlebt«, murmelte sinnend derHausherr.

Was hatte dieser kalte und zurückhaltende Mann erlebt?Einen Liebesroman … ein Drama? Wer mochte sein plötzli-ches Mitgefühl mit dem von Gefahr bedrohten Paar erklä-ren?

In jener Nacht schliefen wir nicht. Nahe beim Feldfeuer,stumm und aufmerksam, hörten wir eine seltsame Ge-schichte, die unseren Gastwirt seine erlittene Verwandlungwieder erleben ließ und ihn veranlasste, sie sich selbst ganzlaut zu erzählen, ohne sich dabei seiner Zuhörer wahr-scheinlich ganz bewusst zu sein.

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Erster Teil

Saat des Kommens

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Erstes Kapitel

Der Angriff auf die Karawane – Der im Traum erschaffene Geliebte

verkörpert sich

Von fernen Gebirgsketten eingerahmt lag die ungeheureHochebene einsam und verlassen unter einem gleichmäßigblauen und strahlenden Himmel. Kein Vogel belebte dieLuft, kein Laut verriet die Anwesenheit menschlicher Wesenoder wilder Tiere. Die Stille war absolut. Hier auf dem Schei-tel der Welt war der letzte Zufluchtsort der Grazien undFeen vor dem städtebauenden Menschen, dem Feind derNatur.

Indessen schützte an jenem Tag mehr als unsichtbareWesen, die diese hochgelegenen Stätten besuchen konnten,eine enge, in die felsige Umfassung der Hochebene geschnit-tene Schlucht etwa fünfzig Reiter mit harten Gesichtern, indicken Schaffellmänteln und spitzen ursprünglich weißen,durch den Schmutz braun gewordenen Filzhüten.Vor ihnen,am Eingang der Schlucht, hielt ihr junger Führer Wache,sein Pferd eng an den jähen Abhang des Berges gedrängt undunter den spärlichen weitverteilten Gebüschgruppen aufdieser braunen Erde selbst aus der Nähe nur schwer auszu-machen.

Die Zeit verging. Menschen und Pferde, zweifellos ansolch langes Warten gewöhnt, bewegten sich kaum; und derAnführer, die Augen starr auf einen Punkt am gegenüberlie-genden Rand der Hochebene gerichtet, wahrte die Unbe-weglichkeit einer Statue.

Plötzlich runzelte er im Bemühen, besser zu sehen, dieStirne.Weit in der Ferne, in der von ihm beobachteten Rich-

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tung erschien am Fuß des Berges ein kaum wahrnehmbarerdunkler Fleck.Allmählich wurde er größer, zeigte Bewegungund ließ eine Gruppe von Wesen, Menschen oder Tieren, aufdem Marsch erahnen. Ohne sein Pferd im Geringsten zubewegen oder sich umzuwenden, erhob der Anführer dieHand. Ein Raunen lief durch seine Gefährten. Dann vonNeuem Stille.

Der dunkle Punkt vergrößerte sich mehr und mehr, ent-fernte sich allmählich von den Bergen und bewegte sich inden leeren Raum hinein. Wenige Minuten später konnteman Reiter und Packtiere einer großen Karawane unter-scheiden, die sich einem der Ausgänge der Hochebene zube-wegte.

Als sie in die Nähe der Stelle gekommen war, von wo ausman sie bespähte, erhob der Anführer rasch sein Gewehrüber seinen Kopf und stieß mit gellendem Schrei im Galoppauf die Reisenden herab. Die wilden Schreie seiner Männerantworteten ihm, während alle, ihm nachstürmend, aus derSchlucht hervorbrachen.

Ehe die Karawanenleute noch Zeit gehabt hatten, sichzurechtzufinden, hatten sie die Räuber unter Gewehrsalvenumzingelt.Von den Schüssen verwirrt brachen die Saumtie-re aus und stoben nach allen Richtungen davon, hier und dawarfen sie die Ballen und Packen, die sie trugen, ab, strau-chelten in den zerrissenen Geschirrstricken und stießen einfurchtsames Gewieher aus.

Das übliche Vorgehen der Räuber an den großen Karawa-nenstraßen Tibets besteht darin, unter den Karawanentierendiese Panik hervorzurufen, nur um die von ihnen Angegrif-fenen zu verwirren und ihrer Verteidigung zuvorzukom-men. Nach ihrer Abrechnung mit den Karawanenleutenwissen die Räuber immer die beruhigten Tiere und das überden Boden zerstreute Gepäck wiederzufinden. Wird dieKarawane jedoch von gut bewaffneten und in solchen Aben-teuern erfahrenen Kaufleuten geführt, müssen die Angrei-

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fer mit heftigem Widerstand rechnen. Gewehrsalve antwor-tet dann Gewehrsalve, die in beiden Lagern Verwundete,manchmal Tote zur Folge haben.

Diesmal waren die Reisenden nur fromme Pilger auf demWege nach Lhasa, die dem Dalai-Lama ihre Opfergaben dar-bringen und seinen Segen erbitten wollten.Von ihren Kund-schaftern hinreichend unterrichtet wussten die Räuber, dassder Wert dieser Opfergaben beträchtlich war: wertvollePferde und Maultiere, schwere Silberbarren und köstlichechinesische Seidenstoffe. Was sie nicht wussten, war, dassdie, denen ihr Schutz anvertraut war, sie nicht verteidigenkonnten.

Sie fanden ihre Vermutungen bestätigt. Beim Erscheinender Räuber wussten die unglücklichen Pilger, dass all ihr Gutsicher verloren war. Ihr mechanischer Widerstand war kurz,und sie erwarteten, die Männer mit gesenktem Kopf, dieFrauen weinend, die Befehle der Gauner.

Wie immer in einem solchen Fall, ging es auch hier nurum die Regelung geringfügiger Einzelheiten. Die Reisendenhatten nichts für ihr Leben zu fürchten. Alle Tibeter scheu-en den Mord und schrecken vor dem Letzten zurück. Diegroßen Wegelagerer, die ich an anderer Stelle6 »Raub-Rit-ter« genannt habe, bilden keine Ausnahme. Diese »Helden«sind übrigens fast immer bescheiden und belästigen nur sol-che Opfer, die sich nicht widerspruchslos ihr Fell abziehenlassen.

Das Gepäck der Reisenden, ihre Pferde und Maultiere,Kostbarkeiten und Silber, das sie an sich hatten, behielten dieRäuber. Sie ließen ihnen aber eine zum Leben ausreichendeMenge Lebensmittel, damit sie sich bis zum nächstenbewohnten Platz ernähren konnten. Auch einige ihrer min-derwertigen Saumtiere überließen die Räuber den Reisen-den, um die Lebensmittel zu tragen.

Nach einer Stunde war alles vorbei. Die unglücklicheGruppe der Pilger machte sich wieder auf den Weg, zu Fuß

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auf dem gleichen Weg zurück, den sie über die Hochebenegekommen waren. Die armen Leute dachten nur noch anihre Heimkehr. Nur widerstandsfähige und kräftige Men-schen hätten die Reise ohne Lebensmittel und ohne Geldfortsetzen können; die Mehrzahl dieser Unglücklichen aberwar schwächlich und weder an Ermüdung noch an Berau-bung gewöhnt. Übrigens war ja ihre Wallfahrt gegenstands-los geworden: ihre Geschenke für Lhasa waren ihnen ge-raubt worden, und vor den Dalai-Lama tritt man nicht mitleeren Händen.

Während sie sich davonmachten, sammelten die Räubereilends die auseinandergelaufenen Tiere und die zerstreutenLasten, luden sie auf die Maultiere und banden die Zügel dererbeuteten, unruhigen Pferde an ihre eigenen Sättel. DieVerteilung der Beute sollte später an sicherem Ort und ingehöriger Entfernung von der Stelle des Überfalls vorge-nommen werden.

Die Gauner begannen loszureiten, als sich hinter einemHügel ein junges Mädchen erhob und mit einigen Schrittenauf sie zutrat. Sie konnte nur zur Karawane gehören. War-um war sie nicht mit ihren Gefährten gegangen?

Kaum hatten sich die Männer von ihrer Überraschungerholt, wurden sie wütend und überschütteten sie mit Fragen:

»Was will sie? – Ein Almosen! – Einen Schmuck wieder-bekommen, den man ihr abgenommen hat? – Hat sie ihnbeim Angriff getragen? – Wer konnte es wissen? – Werunter ihnen hatte sich wohl die Gesichter derer angesehen,denen man Schmuck und Ohrringe abgenommen hatte! …Eine Lügnerin, unverschämt war sie! … Sie sollte bestraftwerden! Sie sollte weglaufen und ihre schon weit entfern-ten Freunde wieder zu erreichen trachten …«

Sie schrien alle gleichzeitig, sinnlos und ohne Überle-gung, was ihnen gerade in den Sinn kam.

Das Mädchen, taub für alle Schmähungen und Drohun-gen, war wie eine Statue, sie bewegte sich nicht. Sehr groß,

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sehr schön, ernst, die Augen fest auf den Anführer gerichtet,wartete sie.

Dieser lenkte sein Pferd neben sie.»Warum bist du nicht mit den anderen weggegangen?

Weshalb haben sie dich nicht mitgenommen?«, fragte er.»Ich habe mich versteckt«, antwortete die Fremde.»Versteckt! … Weshalb? … Wolltest du uns ausspionie-

ren? … Bist du wahnsinnig? … Man hat es dir gesagt; umsoschlimmer für dich, wenn du die Deinen nicht mehr triffst.Geh!«

Das Mädchen bewegte sich nicht.»Hörst du? … Geh!«, wiederholte der Anführer.»Ich habe dich in meinen Träumen gesehen«, murmelte

die Fremde wie in Ekstase.»Was!«, entfuhr es dem jungen Räuber, während seine

Männer, die diese unerwartete Erklärung gehört hatten, inschallendes Gelächter ausbrachen.

Der Anführer blieb ernst. Mit gerunzelter Stirn und fes-ter Stimme fragte er:

»Was willst du?«»Nimm mich zu dir«, bat leise das Mädchen.Der Angeflehte sah einen Augenblick auf sie herunter,

ohne ihr zu antworten, fiel dann in Trab, um sich an die Spit-ze seiner Gruppe zu setzen.

»Setzt sie aufs Pferd, und einer von euch führe ihreZügel«, warf er im Anreiten über die Schulter zurück.

Die Räuber brachen auf. Selig über die eben eroberte rei-che Beute und belustigt von dem ihrem Anführer zugefalle-nen einzigartig großen Glück machten sie saftige Späße, diemit schallendem Gelächter beantwortet wurden. Steif undmit unzugänglichem Gesicht auf ihrem Pferd7 schien dieUnbekannte nichts zu hören.

Die Räuber ritten ohne Aufenthalt bis nach Mitternacht.Dann ließ der Anführer beim Verlassen eines gewundenenEngpasses mitten im Gebirge in einem Waldtal mit plät-

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scherndem Bach haltmachen. Das von Wachen gesicherteLager wurde sofort hergerichtet. Die erbeuteten Lastenwurden aufgestapelt, die geraubten Tiere gefesselt und dasFeuer angezündet. Nachdem sie einige Schalen Butterteegetrunken und zwei oder drei Fladen aus Gerstenmehl ge-gessen hatten, schliefen die Männer im Freien eingerollt inihre Fellmäntel, wobei ihnen ihr Sattel als Kopfkissen dien-te. Die Festtage, an denen man den erfolgreichen Beutezugfeiern wollte, sollten später kommen.

Die Liebe verwirrte den jungen Anführer kaum; das standauch Männern seines Berufs kaum an, auch darin übertrieber noch die übliche Rauheit seiner Gefährten.

Nach Beendigung seines einfachen Mahls erhob er sich:»Du wolltest kommen … Gut denn! Komm«, sagte er ein-

fach zu dem jungen Mädchen.Und ohne auf sie zu warten, wandte er sich zu dem Ort,

den er sich für den Rest der Nacht erwählt hatte.Fügsam folgte sie schweigend.

Auf der Decke sitzend, die ihnen als Lager gedient hatte,sann der Anführer den ihm neuen Eindrücken nach. Diesemkühnen Räuber waren ähnlich einem kräftigen und gesun-den Tier sinnliche Probleme fremd. Er lief den Frauen mitder gleichen Einfachheit nach wie die Hengste seiner Her-den den Stuten.Aus Furcht, aber ebenso aus Verlangen nachdem schönen Menschen, der er war, fielen ihm Töchter undFrauen der Hirten leicht zu, und die kurzen Begegnungenhinterließen kaum Spuren in seiner Erinnerung.

Worin also unterschied sie sich von anderen? …Die Betäubung seines Geistes ließ ihn keine Überlegun-

gen hierüber anstellen. Schauder und Unruhe machten ihnwieder lebendig. Ein Stachel in seinem Fleisch ließ ihn auf-seufzen. Er blieb überwältigt von der Umwälzung, die derunordentliche Streit seiner wollüstigen und grausamen Ein-

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drücke in ihm hervorgebracht hatte. Ein fantastisches Tierschien ihm aus den tiefsten Tiefen seines Seins aufzutau-chen, von ihm Besitz zu ergreifen, indem es seine Feuerglie-der in die seinen bohrte, seinen Kopf in seinen eigenenhineinzwängte … Wurde er wahnsinnig? …

Er kam wieder halb zu sich und betrachtete seine nebenihm ausgestreckte neue Geliebte. Das rötliche Licht einesletzten Mondviertels gab seinem Gesicht einen unsicherenAusdruck.

Es geschähe, sagt man in Tibet, dass Dämonentöchter, Sin-

dongmas, sich menschlichen Liebhabern zum Spiel hin-gäben, um sie dann zu martern und zu verschlingen. Er,der aufgeklärte Mann, lachte über solche Märchen. Den-noch …

»Wie heißt du?«, fragte er plötzlich.»Detchema (die Glück, Freude bringt)8«, antwortete die

Fremde.»Oh! Du hast einen guten Namen!«, rief der Anführer

aus. »Wahrlich, du bringst Freude. Mir hast du sie gebracht!Wie vielen hast du sie vor mir geschenkt?«

»Du weißt, dass ich Jungfrau war«, sagte die Liebenderuhig.

Der junge Mann entgegnete nichts. Er war dessen sicher.Der Wunsch, seine Erregung unter dem Schein einer spötti-schen Bemerkung zu verbergen, hatte ihm diese Frage ein-gegeben.

»Ich heiße Garab, vollkommene Freude«, 9 fuhr er fort.»Unsere Namen passen zueinander … wie unsere Körper.Findest du nicht, Detchema? …«

Er wandte sich ihr zu und schloss sie heftig in die Arme.

Der folgende Tag verging mit der Sichtung der erobertenBeute, mit der Verteilung des jedem einzelnen Zustehendenund mit der Beratung über die Chancen, die Dinge loszu-schlagen, die verkauft werden mussten.

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Pferde, Maultiere und Nahrungsmittel bereiteten keiner-lei Schwierigkeiten. Die tibetanischen Räuber sind keineheimatlosen Wegelagerer, sondern Hirten oder sesshafteBauern, die sich gelegentlich zu Streifzügen zusammentun,die sie als edle Übung ansehen, in denen sich die Mannes-kraft der Tapferen »mit dem mächtigen Herzen« bewährt.Jeder dieser »Helden« besitzt seine Zelte auf den hochgele-genen Alpweiden oder seinen Hof in einem Tal. Die ihnenzufallenden Säcke mit Korn oder Weizen kommen zu denLebensmittelreserven ihrer Familie, und die erbeuteten Tie-re finden ihren Platz in ihren Herden und werden nach eini-ger Zeit mit den anderen auf irgendeinem entfernten Marktzum Verkauf gebracht.

Diesmal aber enthielt die Beute auch Seidenstoffe, Silber-und Goldbarren und zahlreiche kostbare oder seltsameGegenstände, mit denen diese Räuber des Bauernstandesnichts anzufangen wussten. Dieser ganze Teil ihrer Beutekonnte nur an einem großen, weit entfernten Umschlag-platz mit umfangreichem Handel verkauft oder gegen nütz-liche Dinge getauscht werden, so dass die dortigen Behördendie Herkunft der Handelsware und des angebotenen Silbersweder kennen noch auch in Versuchung kommen konnten,sie sich unter dem Vorwand eines Gerichtsverfahrens anzu-eignen.

Es war Mittag geworden, und noch hatte die hierübergeführte Unterhaltung zu keinem alle befriedigenden Er-gebnis geführt. Es war Essenszeit.

»Bring mir Tee hinunter«, sagte Garab zu dem Manne, derihm bei Beutezügen als Abgesandter diente.

Hinunter, das war dort, wo er mit Detchema die Nachtverbracht hatte. Sie war dort geblieben, während er der Bera-tung der Bande über die Beuteteilung vorsaß.

Getrocknetes Fleisch10 und geröstetes Gerstenmehl(tsampa) wurden aus den Beuteln genommen, die an GarabsSattel hingen, und mit einem Krug Tee neben ihn gestellt.

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»Iss, so viel du kannst11«, sagte der Anführer zu der jun-gen Frau.

Sie lächelte ihm zu. Dies vertrauliche und ermutigendeTun des Essens versetzte sie wieder in jenen Freudentaumel,aus dem sie der Blick des kühnen Räubers in die Wirklich-keit des Alltags gerissen hatte.

»Bist du zufrieden?«, fragte Garab.Sie nickte zustimmend.»Geschwätzigkeit kann man dir nicht vorwerfen«, be-

merkte lachend der Anführer.»Hast du überlegt, was du jetzt tun willst? Zu deinen

Freunden, den Pilgern wirst du kaum zurückfinden können.Wie willst du in dein Land zurückkommen? Wie lange warstdu schon unterwegs, als ich euch überfiel? …«

»Leben deine Eltern noch? …«»Bedauerst du das Geschehene? Du wirst zu den Deinen

zurückkehren wollen.«»Nein«, antwortete Detchema. »Ich will bei dir bleiben.«»Ich sehe auch nicht, was du im Augenblick sonst tun

könntest außer in den chang thangs12 zu verhungern«, erwi-derte der Anführer mit gespielter Gleichgültigkeit.

Seine Neugier passte nicht zur Stummheit seiner Gefähr-tin.

»Warum wolltest du zu mir kommen?«, fuhr er fort. »Dukonntest mich nicht lieben. Du hattest mich niemals gese-hen, meine ich.«

»Ich habe dich in meinen Träumen gesehen.«»Du sagtest es: mich habest du in deinen Träumen gese-

hen! Welchen Träumen? Hast du mich im Traum gesehen,während du schliefst?«

»Manchmal; aber meist habe ich dich in vollem Wachseingesehen. Du warst zu Pferd, inmitten von Einöden, aufrechtauf deinem Sattel und beobachtetest in der Ferne für michunsichtbare Dinge. Der Wunsch, zu dir zu laufen, überkammich … Plötzlich fühlte ich mich von der Erde erhoben, auf

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Alexandra David-Néel

Liebeszauber und schwarze MagieAbenteuer in Tibet

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 208 Seiten, 22,0x14,0ISBN: 978-3-7205-9004-4

Sphinx

Erscheinungstermin: August 2007

Die bekannte Orientalistin Alexandra David-Néel verwebt in diesem faszinierenden Tibet-Romaneigene Erfahrungen und überlieferte Geschichte über die Sitten und Gebräuche des Landes.Fesselnd erzählt sie eine mystische Geschichte von Liebe und Dämonen und entführt den Leserin die spirituelle Atmosphäre Tibets. Eine packende Geschichte und gleichzeitig eine tiefsinnigeAuseinandersetzung mit der Bön-Magie.