Alienation - Zyklus von Doppeldenk

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DOPPELDENK - ALIENATION

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Ein kleiner Katalog zum Alienation Zyklus von Doppeldenk.

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DOPPELDENK - ALIENATION

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DOPPELDENK ALIENATION - ZYKLUS(Superior Race, 2009 / Schachproblem, 2008 / Gestern Heute Morgen, 2008 / Frühstück, 2009)

von Luther Blisset

Die auf den ersten Blick fröhliche Stimmung, die den drei großformatigen Bildern und der Skulptur innewohnen kann einen in den Bann ziehen, doch auf den zweiten Blick erschließt sich eine Bildsprache, die nicht dem Zweck der Erheiterung dient, sondern vielmehr eine Analyse der Komplexität menschlichen Dasein mit seinen Licht- und Schattenseiten darstellt. Aus der Reizüberflutung wird eine Reduktion der Komplexität der Moderne vorgenommen.

Die vier im Jahre 2008-2009 in Prag und in Leipzig entstandenen Werke verbindet die Beschäftigung mit den Themen Entfremdung und Hoffnung. Der Alien steht; wie aus dem Englischen deutlich wird; für Entfremdung (Alienation war auch der Name einer Doppeldenk Ausstellung) und der Regenbogen für Hoffnung (ursprünglich aus der Geschichte der Arche Noah).

Die über viele Jahre entwickelte und in dem Zyklus vorherrschende Formsprache bedient sich im Besonderen der Ästhetik und Bildsprache des Comics. Die Bildelemente und Figuren können als Symbole verstanden werden. Ihre Verwendung ist niemals beliebig oder zufällig, sondern entspricht einer bewusst geführten Auseinandersetzung. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Darstellung individueller und singulärer Befindlichkeiten, sondern im Aufzeigen von kulturellen, politischen und religiösen Einflüssen auf die menschliche Existenz und deren Abhängigkeit und Eingebundenheit in globale Systeme als auch historische Abläufe.

Die Welt wird gnadenlos entmystifiziert und als manipulierbar dargestellt. Diese Wahrnehmung resultiert jedoch nicht in zynisch-resignierten Untergangs-szenarien, sondern in ironischen, humorvollen und vor allem farbenfrohen Bildern.

Auf doppelbödige Art und Weise setzt sich das Künstlerduo in Superior Race (doppeldeutig ist schon der Titel: Wettrennen oder Rasse?) mit der Komplexität

der modernen Welt auseinander und thematisiert das Heute so prägende Erscheinungen wie Umweltzerstörung, Drogenkonsum, Krieg, Terror, Religion und

Technologie.

Der Alien besucht wie in Gestern Heute Morgen das wahnsinnige Treiben der Menschen und der von Ihnen geschaffenen mythischen Wesen. Es geben

sich Personifizierungen des Todes, die indische Göttin Kali, der ägyptische Horus und der europäische Gevatter Tod, ein Stelldichein; internationale Got-

theiten, etwa der falkenköpfige Horus oder der elefantenhäuptige Ganesha, besetzen in trauter Nachbarschaft zu ihren animalischen Verwandten sowie zu

Robotern, Monstern, der japanischen Glückskatze und Darth Vader eine Tribüne, um die Wettfahrt dreier menschlicher Piloten in ihren düsengetriebenen

und von diversen Ölkonzernen gesponserten Karusselltieren zu verfolgen. Auf das zerstörerische dieses Wettkampfes, wird durch die Verwendung von Raub-

tieren (Krokodil, Adler und Hammerhai) als Fortbewegungsmittel verwiesen, die sich an Land, zu Wasser und in der Luft fortbewegen.

Im gleichen Bild zeigen eine Quarzuhr und eine Zeitzünderbombe die Uhrzeiten der Einschläge der beiden Terrorflugzeuge vom 11. September 2001 an.

Waffen, vom einfachen Messer und Schwert über Schusswaffen und Kampfjets bis hin zur Atom- und Wasserstoffbombe, sind im Werk omnipräsent und

thematisieren den ewigen Kampf, im speziellen den Krieg, als ständige Begleiterscheinung, sowie die Waffenentwicklung als Motor und Spiegelbild der

menschlichen Zivilisation.

SUPERIOR RACE Acryl auf Leinwand, 300x200 cm, 2009

Das Gemälde Schachproblem handelt im Allgemeinen von Interaktion und Zusammenspiel von Gegensätzen, weshalb das Schachbrett im Zentrum steht.

Der Affe steht für die noch nicht entwickelte bzw. noch nicht vorhandene Menschheit, die erst zusammen mit außerirdischer Intelligenz (Alien) zum fertigen Menschen wird. Die Idee Alien + Affe = Mensch rekurriert auf die zur Evolutionstheorie alternativen Erklärungsversuchen, dass Außerirdische den Vormenschen Intelligenz gaben, die sie zum Menschen hat werden lassen. Dabei sollen diese Theorien nicht als Wahrheit genommen werden, sondern humorvoll darauf hingewiesen werden, dass allen Theorien auch die aktuell anerkannten, wie der Evolutionstheorie, Skepsis angebracht ist. Jede Zeit und jede Gesellschaft hält ihre Gedanken für einsturzsicher, obwohl diese im Laufe der Menschheitsgeschichte oft zusammenbrachen.

Das Schachbrett symbolisiert einerseits die Macht der Gedanken und des logischen Denkens. Im Schachspiel sind die Spieler jedoch paradoxerweise auf eigene Empathiefähigkeit angewiesen um den nächsten Zug des Gegn-ers vorherzubestimmen.

Die chemischen Modelle, die DNA und das Bakterium stehen für Interak-tion auf der Mikroebene (ein Bakterium kann für den menschlichen Organ-ismus dieselben tödlichen Effekte haben wie ein Kriegsflugzeug.)

Der Ferrari und der Kampfjet stehen für den Gegensatz von Krieg (Flug-zeug) und Frieden (nur in Friedenszeiten und -gegenden werden Luxuswagen gebaut).

Beide basieren jedoch auf gleichem Wissen über Technologie und der Herstellung komplexer Maschinen.

Der anzugtragende Arm steht für die menschliche Zivilisation, wobei hier Zivilisation nicht positiv konnotiert ist sondern neutral bzw. eher kritisch gesehen wird. Der konforme Mensch hat sowohl die Möglichkeit der Er-leuchtung (Blitz) als auch der Zerstörung (ebenso Blitz).

Die Symbole für Mann und Frau stehen sich zwar gegenüber, sind jedoch durch den Strahl der Wünsche, der Hoffnung und des Transzendentalen, bzw. die symbolische Vereinigung von Feuer und Wasser (Regen und Sonne) verbunden. Der Regenbogen steht ebenso für die Friedensbewe-gung, den Umweltschutz und für die schwul-lesbische Bewegung, die die Grenzen zwischen Männlichem und Weiblichem verschwimmen lässt ohne die Geschlechter aufzulösen.

Die Zahnbürste erinnert in der Schachproblematik daran, sich selbst nicht zu vergessen (Zähneputzen nicht vergessen!)

Das GO Schriftelement und die 69 sollen die Künstlichkeit des Bildes im Vergleich zu “klassischen” Gemälden noch mehr erhöhen und sind ein Verweis auf die Graffitivergangenheit der Künstler. Die 69 steht für das Ge-burtsjahr von Andreas Glauch und hat in Doppeldenk Gemälden zumeist die Funktion eines Tags (einer Signatur).

SCHACHPROBLEM Acryl auf Leinwand, 200x200 cm, 2008

In Gestern Heute Morgen geht es um ein Paradox, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die menschliche Geschichte wird nicht als linearer Fortschritt gesehen. Vielmehr sind in der Gegenwart Elemente der Zu- kunft und der Vergangenheit enthalten und miteinander verbunden, weisen aufeinander hin.

So kommt auf den ersten Blick aus der Vergangenheit ein Strahl, der die Burg (Deutschland / Europa) durch die Gegenwart mit einer Stadt in der Zukunft verbindet und als Zeitstrahl eine lineare Entwicklung andeutet. Auf den zweiten Blick sieht man aber, dass der Strahl aus der Zukunft bzw. von einer unbekannten Dimension (Spiegelwelt) herrührt. Auch durch den Eintritt des Aliens ist die heutige Realität eingerissen und somit die Line-arität also unterbrochen. Aus der Zukunft, die durch das Heute gedacht und somit erschaffen wird, schießt der Laser den Schlossgeist der Vergangen-heit ab, ein Sinnbild für die Umdeutung bzw. Verfälschung von Geschichte.

Ein Beispiel für diese zirkuläre Zeitvorstellung ist die Religion: In der heuti-gen Gesellschaft spielt die Institution Kirche keine so große Rolle wie in der Vergangenheit. Doch sind die kirchlichen Lehren so tief in der Gesellschaft verankert, dass dies nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. So kann man sich auch den kapitalistischen Arbeitsethos (im Protestantismus be-gründet) erklären, der sich in der heutigen Überflussgesellschaft (siehe die legoartige Burg unter den Bannern der Deutschen Bank, Mercedes Benz und des Arbeitsamtes) schon verselbstständigt und ad Absurdum geführt hat.

Die (gestrigen) kulturellen Hintergründe von heutigen Selbstverständli-chkeiten sollen bewusst gemacht werden. Als Bespiel sei hier der Hirten-stab genannt, den Jesus (als Symbol für die christliche Religion) in der Hand hält. Dieser wurde später zu einem Bischofsstab. Er war ursprünglich der Stab des Osiris (Ägypten), der damit den Zugang vom Diesseits ins Jenseits bestimmte. Mythen und Symbole anderer Glaubensrichtungen wurden von der christlichen Religion aufgenommen und umgewandelt. Die ursprünglichen heidnischen bzw. vorchristlichen Praktiken wurden jedoch verboten.

Die Banane als Wunschkonsumobjekt der DDR in der Hand des einäugigen Jesus steht für die Kontingenz der gegenwärtigen Verhältnisse, denn so wie die DDR aufhörte zu existieren, ist auch die Religion nicht mehr „das Opium des Volkes“.

An Stelle der Religion ist jedoch der Glaube an die Macht des Geldes (Sterntaler), an Sagen und Mythen (Ungeheuer von Loch Ness) und das Interesse an Prähistorie und Science Fiction (Welche Farbe hatten die ausgestorbenen Saurier / gibt es Aliens?) getreten.

Der Alien ist der aussenstehende Beobachter der ungläubig das Gesche-hen betrachtet. Er ist das Symbol für die Entfremdung, dem der Mensch in der heutigen und morgigen Gesellschaft ausgesetzt ist, aber auch für eine Utopie was passiert wenn Außerirdische Kontakt mit uns aufnehmen. Wer bei diesem Stereotypen stehen bleibt, verkennt die Mehrdeutigkeit des Außerirdischen. Der Alien steht für Fiktion und die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft, die es auf der Erde noch nicht gab.

GESTERN HEUTE MORGEN Acryl auf Leinwand, 300 x 200 cm, 2008

Bei der Skulptur Frühstück handelt es sich um ein farbenfrohes Meditationsobjekt in dessen Kern sich das Spannungsverhältnis von Mystik, traditionellen Mythen, dem Glauben an Irrationalität und den anerkannten Wissenschaften darstellt.

Das Buch - traditionell die Heilige Schrift - auf dem der Totenschädel mit Kerze ruht, ist ein Symbol für die den Tod überwindende Erkenntnis, aus der Alche-mie und der frühen Wissenschaft. In der voraufgeklärten Zeit war dieses Motiv ein Appell tugendhaft zu leben um ewiges Leben zu erlangen.

Der Regenbogen gilt seit Alters her und in vielen Kulturen als Mittler und Brücke zwischen Götter- und Menschenwelt, aber auch zwischen dem Imaginären und dem Materiellen. In der Geschichte der Arche Noah spielt er eine Rolle als Friedens- und Hoffnungszeichen Gottes - so schlimm mach ich nicht wieder...

Der Topf voller Gold ist, in den Trivialmythen vieler Nationen, am Ende des Regenbogens vergraben und gilt, wie der Regenbogen selbst, als Sinnbild der Hoffnung. Ihren Ursprung hat dieser Mythos in den keltischen Schüsselmünzen. Diese speziellen Münzen haben eine gewölbte Form und sehen wie kleine Miniaturschüsselchen aus. Wurde nun nach einem Regenguss ein auf einem frisch gepflügtem Acker ein vergrabener Goldschatz freigespült glitzerten die Münzen im Sonnenlicht. In einigen Fällen war durch den Niederschlag ein Regenbogen zu sehen und es entstand der Eindruck, das dessen Ende direkt ins Gold mündet.

Dieser Regenbogen wird von dem Alien, einem Versatzstück aus Science Fiction, Pseudowissenschaft und Verschwörungstheorien, in einer irrealen Umwelt (das Wasser im Glas scheint nicht der Erdanziehung zu gehorchen) zum Frühstück verspeist. Somit ist die Verbindung zwischen Wissen schaffendem For-schergeist und dem profanen Reichtum unterbrochen.

Diese Mythen und Mysterien finden in unserer Fantasie statt, welche durch innere Bilder eine “Innenwelt”, erzeugt, die mit Glauben / Irrglauben, aber auch als Realität bezeichnet werden kann.

FRÜHSTÜCK Skulptur: PVC, LED-Beleuchtung, Holz, Styropor, Lack, 2009