Alter Der Tage

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Der Alte der Tage Oberes spitzbogiges Tympanon der Westfassade des Schamatuns der Kirche Johannes des T¨ aufers in Noravankh bei Areni: Gottvater, als der Alte der Tage“ nach der Danielvision (Dan 7, 9 1 ) in Frontalansicht dargestellt, haucht den Lebensodem, in Form einer Taube, Adam ein, dessen Kopf er in seiner Hand h¨ alt (Gen 2, 7 2 ), einen Kopf, der, wie es sein muß, demjenigen Gottvaters v¨ ollig gleicht (Gen 1, 26 – 27 3 ). Mit der Kreuzigung des Menschensohns Jesus Christus (des zweiten Adam), die zur Rechten des Alten der Tage“ dargestellt ist, vollzieht sich die Rettung des ersten Adam, dessen Haupt der Alte der Tage“, Symbolgestalt des Sch¨ opfer- und Richtergottes, in seiner Hand h¨ alt. Dieses Symbolbild der Rettung des Menschengeschlechts in Adam ist gleichzeitig ein Bild der Trinit¨ at Gottes, da das Geist-Symbol der Taube sowohl den Odem bzw. Wind darstellt, der Adam von Gott eingehaucht wurde (Gen 2,7), als auch den Hauch bzw. Geist Gottes, der auf den getauften Sohn Gottes herabkam und auf ihm blieb (Mt 3, 16 par.). Der Vision¨ ar Daniel, im Tympanon rechts unten vom Gekreuzigten, schaut den Alten der Tage“ und den gekreuzigten Menschensohn. Zur Linken des Alten der Tage“ ist ein Engel sichtbar, vor dem die Inschrift zu lesen ist: Gott, der Alte der Tage, hat Adam geschaffen und Himmel und Erde erneuert, welche unabl¨ assig preisen Gott.“ 4 1 ... ein Hochbetagter [E ¨ U; JB; Buber; Luther 1912: der Alte; BH: יומיםיקzע: LXX: pakaiÐr ąleqým; Vulgata: antiquus dierum] nahm Platz. Sein Gewand war weiß wie Schnee, sein Haar wie reine Wolle.“ 2 Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (E ¨ U) 3 Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ¨ ahnlich ... Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (E ¨ U) 4 J.-M. Thierry, Armenien im Mittelalter, 2002, S.241; die Abbildung oben stammt aus J.-M. Thierry, Armenische Kunst, 1988, Abb. 101.

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Der Alte der Tage

Oberes spitzbogiges Tympanon der Westfassade des Schamatuns der Kirche Johannesdes Taufers in Noravankh bei Areni: Gottvater, als ”der Alte der Tage“ nach derDanielvision (Dan 7, 91) in Frontalansicht dargestellt, haucht den Lebensodem, inForm einer Taube, Adam ein, dessen Kopf er in seiner Hand halt (Gen 2, 72), einenKopf, der, wie es sein muß, demjenigen Gottvaters vollig gleicht (Gen 1, 26 – 273).Mit der Kreuzigung des Menschensohns Jesus Christus (des zweiten Adam), die zurRechten des ”Alten der Tage“ dargestellt ist, vollzieht sich die Rettung des ersten Adam,dessen Haupt der ”Alte der Tage“, Symbolgestalt des Schopfer- und Richtergottes, inseiner Hand halt.Dieses Symbolbild der Rettung des Menschengeschlechts in Adam ist gleichzeitig einBild der Trinitat Gottes, da das Geist-Symbol der Taube sowohl den Odem bzw. Winddarstellt, der Adam von Gott eingehaucht wurde (Gen 2, 7), als auch den Hauch bzw.Geist Gottes, der auf den getauften Sohn Gottes herabkam und auf ihm blieb (Mt 3, 16par.). Der Visionar Daniel, im Tympanon rechts unten vom Gekreuzigten, schaut den

”Alten der Tage“ und den gekreuzigten Menschensohn. Zur Linken des ”Alten derTage“ ist ein Engel sichtbar, vor dem die Inschrift zu lesen ist: ”Gott, der Alte derTage, hat Adam geschaffen und Himmel und Erde erneuert, welche unablassig preisenGott.“ 4

1”... ein Hochbetagter [EU; JB; Buber; Luther 1912: der Alte; BH: יומים :עzיק LXX: pakaiÐrąleqým; Vulgata: antiquus dierum] nahm Platz. Sein Gewand war weiß wie Schnee, sein Haar wiereine Wolle.“

2”Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase denLebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (EU)

3”Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ahnlich ... Gott schuf also denMenschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (EU)

4 J.-M. Thierry, Armenien im Mittelalter, 2002, S. 241; die Abbildung oben stammt aus J.-M. Thierry,Armenische Kunst, 1988, Abb. 101.

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2 Der Alte der Tage

”Der Alte der Tage“ – die Bezeichnung ist aus Daniel 7, 9 entnommen (s. o.) – istzunachst ein bestimmter Typ von Christusdarstellung, der sich auf den christlichenOsten beschrankt.

Die fruheste bisher bekannte und durch Beischrift gesicherte Darstellung im Jobcodex1Nr. 171 p. 449 auf Patmos, ca. 9. Jh. Da der ”Alte der Tage“ – wie meistens biszur spatbyzantinischen Zeit – den Kreuznimbus hat, ist er nicht als Gottvater (dessenDarstellung zu dieser Zeit nicht zulassig war) aufzufassen, sondern als die praexistentezweite Person der Trinitat, die mit Gottvater eins ist. Am Rand der Aureole, die denThronenden umschließt, sind Brustbilder von neun Engeln dargestellt.

Eine ahnliche Miniatur mit Beigabe des Monogramms IC XC im Jobcodex Nr. 590 des2Athosklosters Vatopedi, 12. Jh.

Eine Aufreihung dreier Christusfiguren in Hag. Stephanos, Kastoria, 12. Jh.: Medaillons3mit Brustbildern des ”Alten der Tage“, des Christus-Pantokrator und des Christus-Emmanuel.

3: Hag. Stephanos, Kastoria, 12. Jh.

Aus der Weltgerichtsdarstellung der Hohlenkirche von Canavar, Kappadokien, deren4Mittelpunkt den ”Alten der Tage“ als Brustbild in Medaillon bildet, geht klar her-vor, daß der ”Alte der Tage“ auch (und vermutlich in der Mehrzahl der Falle) eineDarstellungsform fur Christus nach Vollendung des Erlosungswerkes war.

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Der Alte der Tage 3

!! Seit welcher Zeit mit der Bezeichnung der ”Alte der Tage“ Gottvater gemeint ist, stehtnoch nicht fest (durch abendlandischen Einfluß weicht schließlich die Scheu, Gottvaterdarzustellen).Ein deutliches Anzeichen fur diese Umdeutung gibt ein fragmentarisch erhaltenes5Fresko der Panagia-Chalkeon-Kirche in Thessalonike, 12. Jh.; der ”Alte der Tage“erscheint hier als Gegenstuck und Vervollstandigung zur Taufe Christi, die Schrift inseiner Hand zeigt den Text Mt 3, 17: ”Dies ist mein geliebter Sohn ...“.Ein Fresko in Sv. Kliment, Ohrid, Westtonne, Anfang 14. Jh., zeigt den ”Alten der6Tage“, Brustbild in Medaillon, ohne Kreuznimbus und ohne Monogramm IC XC,Begleitfiguren fehlen. Es liegt nahe, daß hier Gottvater gemeint ist; die Darstellungbleibt zu dieser Zeit ein Ausnahmefall.Die Darstellung des ”Alten der Tage“ halt sich in spat- und postbyzantinischer Zeit:Ubisi, Georgien, Ende 14. Jh.;7

7: Ubisi, Georgien, Ende 14. Jh.

Sucevita, Rumanien, Anfang 17. Jh., Kuppel und Apsisaußenwand;8

Athoskloster Chilandar, Trapeza, 1621, ohne Kreuznimbus, vermutlich Gottvater (Bei-9schrift unleserlich).

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4 Der Alte der Tage

Im Malerhandbuch vom Berg Athos § 449 wird ”Der ewige Vater – der Alte der Tage“als Beischrift fur die Darstellung Gottvaters genannt.5

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