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Analysis

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Analysis

Vorlesung Universit�at W�urzburg

Sommersemester 2010 { Wintersemester 2010/11

Oliver Roth

Institut f�ur Mathematik

Universit�at W�urzburg

97074 W�urzburg

Dieses Buch wird vielleicht nur der verstehen, der die Gedanken, die darin ausge-

dr�uckt sind { oder doch �ahnliche Gedanken { schon selbst einmal gedacht hat. {

Es ist also kein Lehrbuch. { Sein Zweck w�are erreicht, wenn es einem, der es mit

Verst�andnis liest, Vergn�ugen bereitete.

L. Wittgenstein [21, Vorwort]

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Inhaltsverzeichnis

Quellenverzeichnis v

Vorbemerkungen zu den reellen Zahlen vii

1 Die Korperaxiome 1

2 Angeordnete Korper 7

3 Bewertete Korper 13

4 Folgen 15

5 Vollstandigkeit 23

6 Reelle Zahlen 29

7 Komplexe Zahlen 33

8 Folgen reeller und komplexer Zahlen 37

9 Unendliche Reihen 43

10 Absolut konvergente Reihen 49

11 Potenzreihen 55

12 Die Exponentialfunktion 59

13 Stetige Funktionen 65

14 Fundamentalsatze uber stetige Funktionen 71

15 Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 75

16 Differenzierbarkeit 81

17 Mittelwertsatz 87

18 Konvexe Funktionen 91

19 Taylorformel 95

20 Normierte Raume 105

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ii Inhaltsverzeichnis

21 Funktionenfolgen und Funktionenreihen 111

22 Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen 117

23 Topologie normierter Raume 125

24 Kompakte Mengen normierter Raume 131

25 Partielle Ableitungen 137

26 Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen 141

27 Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit 151

28 Hohere Ableitungen 159

29 Taylorformel fur Funktionen mehrerer Veranderlicher 165

30 Banachraume 171

31 Implizite Funktionen 177

32 Das Riemann–Integral 185

33 Integration und Differentiation 193

34 Uneigentliche und parameterabhangige Integrale 201

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Quellenverzeichnis

[1] C. Carath�eodory, Funktionentheorie I, Birkh�auser, 1950.

[2] J. Dieudonn�e, Grundz�uge der modernen Analysis, Vieweg Verlag 1971.

[3] H.{D. Ebbingshaus (ed.), Zahlen, Springer 3. Au age, 1992.

[4] J. Hadamard, An Essay on the Psychology of Invention in the Mathematical Field,

Princeton U. Press, 1945.

[5] G. H. Hardy, A Mathematician's apology, Cambridge Univ. Press, 1998.

[6] D. Hilbert, �Uber das Unendliche, Math. Ann. 95 (1925), 161{190.

[7] T. K�orner, A companion to Analysis: A second �rst and �rst second course in

analysis, Amer. Math. Soc., 2003.

[8] L. Infeld, Leben mit Einstein; Konturen einer Erinnerung, Europa{Verlag, 1969.

[9] O. Lehto, Erhabene Welten { Das Leben Rolf Nevanlinnas, Birkh�auser, 2008.

[10] J. C. Maxwell, Scienti�c letters and papers, Cambridge Univ. Press, 1995.

[11] R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Rowohlt Verlag 1960.

[12] J. R. Newman, The World of Mathematics, Vol. 3, Dover 2003.

[13] F. Nietzsche, Die fr�ohliche Wissenschaft, Reclam Verlag, 1990.

[14] G. P�olya, Schule des Denkens, Francke Verlag 2. Au age, 1967.

[15] W. Rudin, The way I remember it, Amer. Math. Soc., 1996.

[16] O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes, C. H. Beck Verlag, 1998.

[17] W. Thomson, Baltimore Lectures on Molecular Dynamics and the Wave Theory of

Light, reissued by Cambridge University Press, 2010.

[18] St. Ulam, Adventures of a mathematician, University of California Press, 1991.

[19] H. Weyl, The mathematical way of thinking, Science 92 (1940), 437{446.

[20] H. Weyl, �Uber die neue Grundlagenkrise der Mathematik, Wissenschaftl. Buchgesell-

schaft Darmstadt, 1965.

[21] L. Wittgenstein, Tractatus logico{philosophicus, Edition Suhrkamp, 1963.

v

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vi Quellenverzeichnis

[22] L. Wittgenstein, Bemerkungen �uber die Grundlagen der Mathematik, Suhrkamp Ver-

lag, 1994.

[23] L. Wittgenstein, Zettel, Univ. California Press, 2002.

[24] E. Zeidler (Hrsg.), Oxford Users' Guide to Mathematics, Oxford University Press,

2004.

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Vorbemerkungen zu den reellen Zahlen

Das Bild der Zahlengeraden ist ein absolut nat�urliches bis zu einem gewissen

Punkt: n�amlich soweit man es nicht zu einer allgemeinen Theorie der reellen

Zahlen gebraucht.

L. Wittgenstein [22, S. 286]

Wir setzen in dieser Vorlesung die rationalen Zahlen als gegeben und Vertrautheit im Umgang mit

denselbigen voraus. Die Frage"Was sind die rationalen Zahlen ?\ besitzt eine recht einfache Antwort,

wenn man die ganzen Zahlen als bekannt voraussetzt: Rationale Zahlen sind die Quotienten ganzer

Zahlen (wobei der Nenner nie Null sein darf). Damit kann man auch einfach erkl�aren, wie man mit

rationalen Zahlen rechnet (Bruchrechnung), z.B.

2

7+

1

3=

2 � 37 � 3 +

7

7 � 3 =13

21:

Um rationale Zahlen zu addieren, muss man daher"nur\ wissen, wie man ganze Zahlen addiert und

multipliziert. Man kann also die rationalen Zahlen aus den ganzen Zahlen konstruieren und auch die

Rechenregeln f�ur rationale Zahlen mithilfe der Rechenregeln f�ur ganze Zahlen erkl�aren.

Indes l�asst sich die Frage"Was sind die reellen Zahlen ?\ nicht einfach beantworten. Es ist auch nicht

einfach zu erkl�aren, wie man reelle Zahlen addiert. Die Ihnen wom�oglich"bekannte\ Dezimalentwick-

lung reeller Zahlen ist jedenfalls hierzu nicht wirklich geeignet. In manchen F�allen geht dies ganz gut,

z.B. f�ur

997

2000= 0:49850

107

4000= 0:02675 :

Man beginnt ganz"rechts\ und addiert stellenweise unter Beachtung der �Ubertr�age. Wie addiert man

aber z.B. nicht{rationale reelle Zahlen ? K�onnen Siep2 und

p3 addieren ? Wenn ja, wie tun Sie das ?

Angenommen, Sie kennen alle Zi�ern in den Dezimalentwicklungenp2 = 1:41421356237309504880168872420969807856967187537694807317668 : : :p3 = 1:73205080756887729352744634150587236694280525381038062805581 : : : :

Was istp2 +

p3 ? Man ist geneigt wieder

"am rechten Ende\ zu beginnen : : :.

Ausgehend von den rationalen Zahlen werden wir in dieser Vorlesung die reellen und auch die kom-

plexen Zahlen konstruieren. Wir benutzen dabei eine Methode, die auf G. Cantor (1845{1918) zur�uck-

geht, und auf dem Begri� der"Zahlenfolge\ beruht. Dieser ist f�ur alles Weitere von gr�o�ter Bedeutung

und bildet die Basis f�ur die anderen Themen, die wir besprechen werden: Unendliche Reihen, steti-

ge Funktionen und Di�erential{ und Integralrechnung. Die Kontruktion der reellen Zahlen aus den

rationalen Zahlen ist notwendigerweise subtil; w�ahrend die rationalen Zahlen abz�ahlbar sind, gibt es

"�uberabz�ahlbar\ viele reelle Zahlen.

Das Unendliche hat wie keine andere Frage von jeher so tief das Gem�ut des

Menschen bewegt; das Unendliche hat wie kaum eine andere Idee auf den Ver-

stand so anregend und fruchtbar gewirkt; das Unendliche ist aber auch wie

kein anderer Begri� so der Aufkl�arung bed�urftig.

D. Hilbert [6, S.190]

vii

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x 1

Die K�orperaxiome

We now come to the decisive step of mathematical abstraction: we forget about what the

symbols stand for. [: : :] There are many operations which we may carry out without ever

having a look what the symbols stand for.

H. Weyl [19]

Es sei K := Q die Menge der rationalen Zahlen. Dann gelten die folgenden Regeln f�ur die

Addition und die Multiplikation:

(K1) Assoziativgesetz:

8a;b;c2K a+ (b+ c) = (a+ b) + c ; a � (b � c) = (a � b) � c :

(K2) Kommutativgesetz:

8a;b2K a+ b = b+ a ; a � b = b � a :

(K3) Eindeutige Existenz der neutralen Elemente, d.h. der"Null\ 0 und der

"Eins\ 1:

Es gibt eindeutig bestimmte Elemente 0 2 K und 1 2 K mit 1 6= 0, derart, dass

8a2K a+ 0 = a ; 8a2K a � 1 = a :

(K4) Eindeutige Existenz der Inversen

F�ur jedes a 2 K gibt es genau ein Element � a 2 K mit a+ (�a) = 0

F�ur jedes a 2 Knf0g gibt es genau ein Element a�1 2 K mit a � a�1 = 1

(K5) Distributivgesetz

8a;b;c2K a � (b+ c) = a � b+ a � c :

Definition.

Eine Menge K mit zwei Verkn�upfungen + : K � K ! K und � : K � K ! K, derart,

dass die Bedingungen (K1) bis (K5) gelten, hei�t K�orper.

Beispiel 1.1.

Die Menge Q der rationalen Zahlen bildet mit der �ublichen Addition + und der �ublichen

Multiplikation � einen K�orper.

1

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2 Die Korperaxiome

�Uber die rationalen Zahlen hinaus gibt es noch viele weitere K�orper. Wegen (K3) enth�alt

jeder K�orper mindestens zwei Elemente, die"Null\ 0 und die

"Eins\ 1. Computer

"kennen\

nur die beiden Zi�ern 0 und 1.

Beispiel 1.2 (Computerarithmetik).

Es sei F2 := f0; 1g. Wir de�nieren die"Addition\ + : F2 �F2 ! F2 bzw. die "

Multipli-

kation\ � : F2 � F2 ! F2 wie folgt

a 0 0 1 1

b 0 1 0 1

a+ b 0 1 1 0

a 0 0 1 1

b 0 1 0 1

a � b 0 0 0 1

Dann kann man leicht �uberpr�ufen, dass alle K�orperaxiome (K1) bis (K5) erf�ullt sind,

z.B. gilt 1 + 1 = 0, d.h."�1 = 1\. Folglich bildet F2 mit diesen Verkn�upfungen + und �

einen K�orper.

Man beachte die Analogie mit den logischen Operationen __ und ^ anstelle von + und � : Man

interpretiere 0 als"falsch\ und 1 als

"wahr\.

Beispiel 1.3.

Es sei

F3 :=

(, ,

):

Wir de�nieren zwei Verkn�upfungen + : F3 � F3 ! F3 bzw. � : F3 � F3 ! F3 wie folgt

a

b

a+ b

a � b

Dann bildet (F3;+; �) einen K�orper mit der"Null\ 0 := und der

"Eins\ 1 := .

F�ur Elemente a; b eines K�orpers K schreiben wir abk�urzend oft ab := a � b und setzen

a� b := a+ (�b) f�ur alle a; b 2 K bzw.a

b:= ab�1 f�ur alle a; b 2 K mit b 6= 0 :

Nat�urlich gibt es f�ur die rationalen Zahlen weitaus mehr Rechenregeln als (K1){(K5), z.B. gilt

bekanntlich b � 0 = 0 f�ur jede rationale Zahl b 2 Q. Diese Regel �ndet sich aber nicht unter

(K1){(K5). Dies w�are auch unn�otig, denn man kann diese Regel aus (K1){(K5) herleiten !

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Die Korperaxiome 3

Beispiel 1.4.

In jedem K�orper K gilt b � 0 = 0 f�ur jedes b 2 K.

Beweis. Sei b 2 K fest gew�ahlt. Zun�achst gilt 0 = 0 + 0 nach (K3) und somit

(b � 0) + (b � 0) (K5)= b � (0 + 0) = b � 0 :

Wir addieren beide Seiten von rechts mit �(b � 0) und erhalten rechts 0 nach (K4) und links�(b � 0) + (b � 0)

�+ (�(b � 0)) (K1)

= (b � 0) +�(b � 0) + (�(b � 0))

�(K4)= (b � 0) + 0

(K3)= b � 0 :

Es folgt b � 0 = 0.

Beispiel 1.5.

In jedem K�orper K gilt �a = (�1) � a f�ur jedes a 2 K.

Beweis. Sei a 2 K fest gew�aht. Dann gilt

a+ (�1) � a (K3)= a � 1 + (�1) � a (K2)

= a � 1 + a � (�1) (K5)= a � (1 + (�1)) (K4)

= a � 0 (Bsp. 1.4)= 0 :

Aus (K4) folgt jetzt (�1) � a = �a.

Beispiel 1.6.

Es sei K ein K�orper und a; b 2 K mit a � b = 0. Dann gilt a = 0 oder b = 0. Insbesondere

folgt aus x � x = 1 f�ur ein x 2 K stets x = 1 oder x = �1. ( �Ubungsaufgabe)

Beispiel 1.7 (”Minus mal Minus gibt Plus“).

Es sei K ein K�orper und a; b 2 K. Dann gilt (�a) � (�b) = a � b f�ur alle a; b 2 K.

Beweis. Seien a; b 2 K �xiert. Wir starten von der g�ultigen Gleichung

(�a) � (�b) + �(�a) � b+ a � b� = (�a) � (�b) + �(�a) � b+ a � b�und f�uhren die folgenden

"�Aquivalenzumformungen\ durch:

(�a) � (�b) +�(�a) � b+ a � b� = (�a) � (�b) + �(�a) � b + a � b�

(K1)

~www�(�a) � (�b) +

�(�a) � b+ a � b�| {z } =

�(�a) � (�b) + (�a) � b�| {z } + a � b

(K5)

~www�(K2) (K5)

~www�(�a) � (�b) +

�(�a) + (a)

�| {z } �b = (�a) � �(�b) + b�| {z } + a � b

(K2)

~www�(K4) (K2)

~www�(K4)

(�a) � (�b) + 0 � b = (�a) � 0 + a � b

0 � b = 0

~www�(K3) (�a) � 0 = 0

~www�(K3)

(�a) � (�b) = a � b

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4 Die Korperaxiome

In �ahnlicher Weise k�onnen aus den K�orperaxiomen (K1) bis (K5) alle(!) Rechenregeln, die

f�ur rationale Zahlen gelten, abgeleitet werden.1 Wir halten dies ausdr�ucklich fest:

Merkregel: Die aus Q bekannten Rechenregeln gelten in jedem K�orper !

F�ur eine Veri�kation dieser Merkregel verweisen wir auf die Vorlesungen �uber Lineare Algebra

bzw. Algebra.

Vereinbarung: Wir benutzen ab jetzt in jedem K�orper alle aus der Schule be-

kannten Regeln f�ur die vier Grundrechnungsarten ohne weitere Begr�undung.

Bemerkung.

Wir werden im Folgenden einige weitere Aussagen kennenlernen, die in jedem K�orper

g�ultig sind. Insbesondere werden diese Aussagen sowohl im K�orper R der reellen Zahlen

als auch im K�orper C der komplexen Zahlen, sobald wir diese zur Verf�ugung haben,

g�ultig sein. Es ist also nicht mehr n�otig, diese Aussagen dann noch einmal f�ur reelle

bzw. komplexe Zahlen zu beweisen.

Eine der wichtigsten Formeln der Mathematik ist die geometrische Summenformel. Wir wol-

len Sie gleich f�ur beliebige K�orper beweisen. Dazu sei f�ur ein Element a aus einem K�orper K

und f�ur k 2N

ak := a � � � a| {z }k{mal

gesetzt. Wir de�nieren au�erdem a0 := 1 f�ur jedes a 2 K.

Satz 1.8 (Geometrische Summenformel).

Es sei K ein K�orper und a 2 Knf1g. Dann gilt

nXk=0

ak =1� an+1

1� a

f�ur alle n 2N0 := N [ f0g.

Beweis. �nPk=0

ak�� (1� a) =

nPk=0

ak �nPk=0

ak+1 = 1 +nPk=1

ak �n�1Pk=0

ak+1 � an+1

(?0)= 1 +

nPk=1

ak �nPk=1

ak � an+1 = 1� an+1 :

In (?0) wurde eine"Indexverschiebung\ durchgef�uhrt. Multipliziert man die erhaltene Glei-

chung mit 11�a = (1� a)�1, so ergibt sich die Behauptung.

1

"Das Schwere ist hier, nicht bis auf den Grund zu graben, sondern den Grund, der vor uns liegt, als

solchen zu erkennen.\ L. Wittgenstein [22]

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Die Korperaxiome 5

Aufgaben zu x1

1. Beweisen Sie die Aussagen von Beispiel 1.6 nur mithilfe der K�orperaxiome und der

Aussagen von Beispiel 1.4 und Beispiel 1.5.. (�Ubungsaufgabe)

2. Es sei (K;+; �) ein K�orper. Wir setzen

n � a := a+ : : :+ a| {z }n{mal

; a 2 K ; n 2N :

Beweisen Sie die folgenden Identit�aten.

(a) F�ur alle x; y 2 K mit x 6= y und alle n 2N gilt

xn � ynx� y =

n�1Xj=0

xjyn�1�j :

(b) (Binomischer Lehrsatz; Binomialkoe�zienten)

F�ur alle x; y 2 K und alle n 2N gilt

(x+ y)n =nXj=0

n

j

!� xn�j � yj :

Hierbei ist�nk

�:= 0 f�ur k > n und

�nk

�= n!

k!(n�k)! f�ur 0 � k � n gesetzt.

(Hinweis: Zeigen Sie zuerst�nk

�=�n�1k�1

�+�n�1k

�f�ur alle 1 � k � n und alle n 2N.)

(�Ubungsaufgabe)

Die Kinder m�ussten, um das Rechnen der Volksschule zu Verstehen bedeutende Philosophen

sein, in Ermangelung dessen brauchen sie �Ubung.

L. Wittgenstein [23, S. 122]

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x 2

Angeordnete K�orper

Ausgangspunkt der Mathematik ist die Reihe der nat�urlichen Zahlen, d.h. das Gesetz @, dasaus dem Nichts die erste Zahl 1 erzeugt und aus jeder schon entstandenen Zahl die n�achst-

folgende erzeugt; ein Proze�, der niemals zu einer schon dagewesenen Zahl zur�uckf�uhrt.

H. Weyl [20, S. 19]

Im K�orper F2 aus Beispiel 1.2 gilt 1+1 = 0. Dieses Ph�anomen tritt bei den rationalen Zahlen

nicht auf. Den Grund hierf�ur liefern die im K�orper K = Q g�ultigen \Anordnungsaxiome":

(A1) (Trichotomie)

F�ur jedes a 2 K gilt entweder a > 0 oder a = 0 oder � a > 0 :

(A2) (Vetr�aglichkeit mit + und �)F�ur alle a; b 2 K mit a > 0 und b > 0 gilt a+ b > 0 und ab > 0 :

(A3) (Archimedische Eigenschaft)

F�ur alle a 2 K gibt es eine nat�urliche Zahl n 2N mit n � 1� a > 0 :

Bemerkung.

Man beachte die f�ur Q redundante Schreibweise n � 1 f�ur n 2N. Wegen N � Q, h�atten

wir einfach auch n anstelle von n �1 schreiben k�onnen. Ist aber K ein beliebiger K�orper

(etwa derjenige aus Beispiel 1.3), so ist nicht notwendigerweise N � K und die Aussage

"n 2 K\ f�ur n 2 N ist sinnlos. De�niert man aber f�ur einen beliebigen K�orper K wie

bereits in Aufgabe x1.2n � x := x+ : : :+ x| {z }

n{mal

; x 2 K ; n 2N ;

so ist n �x jetzt tats�achlich ein Element von K. Insbesondere ist n �1 2 K f�ur alle n 2N.

In (A1){(A3) wird ausschlie�lich auf die Menge Q+ der positiven rationalen Zahlen Bezug

genommen. L�asst sich in einem K�orper K eine Teilmenge"positiver\ Elemente �nden, welche

zu (A1){(A3) analoge Eigenschaften besitzt, so w�urde man f�ur K diesselben"Anordnungsei-

genschaften\ wie in Q erwarten.

Definition.

Es sei K ein K�orper und P � K. Wir schreiben a > 0, falls a 2 P . Sind dann die

Anordnungsaxiome (A1), (A2) und (A3) erf�ullt, so hei�t K angeordneter K�orper und

man schreibt kurz (K; >), um dies anzudeuten.

7

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8 Angeordnete Korper

(Q; >) ist also ein angeordneter K�orper (mit P := Q+). Der K�orper F2 aus Beispiel 1.2 kann

kein angeordneter K�orper sein, d.h. es gibt keine Teilmenge P , so dass die Bedingungen aus

der obigen De�nition zutre�en. Angenommen, es g�abe eine solche Teilmenge P 6= ;. Nach(A1) w�are dann 0 62 P , also P = f1g, im Widerspruch zu (A2) wonach 0 = 1 + 1 2 P .F�ur einen angeordneten K�orper (K; >) nennt man (in Analogie zu Q) die Menge

K+ := fa 2 K : a > 0g

die Menge der positiven Elemente. Wir schreiben a < 0, falls �a > 0 und nennen

K� := fa 2 K : a < 0g

die Menge der negativen Elemente. F�ur a; b 2 K schreiben wir

a > b falls a� b > 0

a < b falls a� b < 0

a � b falls a < b oder a = b

a � b falls a > b oder a = b :

Die Elemente eines angeordneten K�orpers kann man sich als Punkte einer (Teilmenge einer)

Zahlengeraden vorstellen. a > b bedeutet dann, dass der Punkt a"rechts\ vom Punkt b liegt.

Das folgende Lemma zeigt, dass man in jedem angeordneten K�orper"so wie in Q\ mit

Ungleichungen hantieren darf.

Lemma 2.1.

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. F�ur beliebige a; b; c 2 K gelten die folgenden

Regeln.

(a) Entweder ist a > b oder a = b oder a < b.

(b) Aus a > b und b > c folgt a > c.

(c) Aus a > b folgen:

(c1) a+ c > b+ c f�ur alle c 2 K.

(c2) ac > bc falls c 2 K+ bzw. ac < bc falls c 2 K�.

(d) Es gilt 1=a > 0 falls a > 0 und es gilt 1=a < 1=b falls a > b > 0.

(e) Es gilt a2 > 0 f�ur jedes a 6= 0. Insbesondere ist x2 + 1 � 1 6= 0 f�ur alle x 2 K.

(f) F�ur alle a; b 2 K mit a > 0 gibt es ein n 2N mit n � a > b.

(g) Es gilt n � 1 > 0 f�ur jedes n 2N.

Beweis. (a) Nach (A1) gilt entweder a� b > 0, also a > b, oder a� b = 0, also a = b, oder

�(a� b) > 0, also a < b.

(b) a > b bedeutet a � b > 0 und b > c bedeutet b � c > 0. (A2) impliziert zusammen mit

den K�orperaxiomen a� c = (a� b) + (b� c) > 0, d.h. a > c.

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Angeordnete Korper 9

(c1) Aus a > b folgt 0 < a� b = (a+ c)� (b+ c), also a+ c > b+ c.

(c2) a > b bedeutet a� b > 0. Ist c > 0, so ergibt sich aus (A2) (a� b)c > 0, also ac > bc.

Ist �c > 0, so ergibt sich aus (A2) 0 < (a� b)(�c) = �ac+ bc, also ac < bc.

(d)+(e) (�Ubungsaufgabe)

(f) Nach (A3) gibt es ein n 2N mit n � 1 > b=a. Nach (c2) ist dann n � a > (b=a)a = b.

(g) Dies beweist man durch Induktion �uber n 2 N. Der Induktionsbeginn n = 1 ergibt sich

aus 1�1 = 1 = 12 > 0, wobei (K3) und (e) benutzt wurden. Aus n�1 > 0 ergibt sich (n+1)�1 =n � 1 + 1 > 0 + 1 = 1 > 0. Die letzte Ungleichung folgt aus dem Induktionsbeginn.

Korollar 2.2.

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper mit"Eins\ 1 und f : N ! K de�niert durch

f(n) := n � 1 f�ur n 2 N. Dann ist f : N ! K injektiv und f(n +m) = f(n) + f(m) f�ur

alle n;m 2N.

Beweis. Es gilt zun�achst

f(n) + f(m) = n � 1 +m � 1 =nXj=1

1 +mXj=1

1 =m+nXj=1

1 = (m+ n) � 1 = f(n+m)

f�ur alle n;m 2N. Nun seien n;m 2N mit n 6= m. Wir m�ussen f(n) 6= f(m) zeigen. O.E. sei

n > m. Aus n > m folgt nun f(n) = f(n�m+m) = f(n�m)+f(m) = (n�m) �1+f(m) >

f(m) aufgrund von Lemma 2.1 (g), d.h. f(n) 6= f(m).

Bemerkung.

In jedem angeordneten K�orper K �ndet sich also eine"Kopie\ der Menge N der

nat�urlichen Zahlen wieder, n�amlich die Bildmenge f(N). Wegen f(n+m) = f(n)+f(m)

f�ur alle n;m 2 N kann man auf dieser Kopie f(N) genauso addieren wie auf N. Wir

schreiben daher im Folgenden f�ur jedes n 2N einfach n anstelle von n � 1. Damit wird

dann N � K.

In Aufgabe x2.2 werden wir sehen, dass jeder angeordnete K�orper sogar eine Kopie der

rationalen Zahlen enth�alt. Q ist also in einem gewissen Sinne der"kleinste\ angeordnete

K�orper. Der K�orper R der reellen Zahlen wird sp�ater ein weiteres Beispiel eines angeordneten

K�orpers liefern. Insbesondere wird der n�achste Satz damit auch f�ur K = R g�ultig sein.

Satz 2.3 (Bernoullische Ungleichung).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Dann gilt f�ur alle x 2 Knf0g mit x > �1 und

alle n = 2; 3; : : : die Ungleichung

(1 + x)n > 1 + nx :

Beweis. F�ur n = 2 ist (1+x)2 = 1+2x+x2 > 1+2x wegen x2 > 0 f�ur alle x 2 Knf0g nachLemma 2.1 (e). Der Schluss von n auf n+ 1 ergibt sich aus 1 + x > 0 und Lemma 2.1 (c2):

(1 + x)n+1 = (1 + x)n(1 + x) > (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n+ 1)x+ nx2 > 1 + (n+ 1)x ;

wobei zuletzt Lemma 2.1 (c1) und nx2 > 0 benutzt wurden. Letzteres ergibt sich aus nx2 =Pnj=1 x

2 > 0 nach Lemma 2.1 (e) und (A2).

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10 Angeordnete Korper

Wir lernen nun einen weiteren K�orper kennen, der sich nicht"anordnen\ l�asst.

Beispiel 2.4.

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper (z.B. K = Q) und K2 := f(a; b) : a; b 2 Kg. Wir

de�nieren zwei Verkn�upfungen + : K2 �K2 ! K2 und � : K2 �K2 ! K2 durch

(a; b) + (c; d) := (a+c; b+d)

(a; b) � (c; d) := (a�c�b�d; b�c+a�d) :Hierbei bedeuten + und � die Addition bzw. Multiplikation im K�orper K . Dann bildet

K2 mit den Verkn�upfungen + und � einen K�orper mit der"Null\ 0 := (0; 0) 2 K2 und

der"Eins\ 1 := (1; 0) 2 K2. Hierbei ist 0 die Null in K und 1 die Eins in K.

Exemplarischer Beweis fur (K4) bzgl. � .Es sei (a; b) 2 K2 mit (a; b) 6= (0; 0). Dann ist a 6= 0 oder b 6= 0, also

a2 + b2 > 0. Folglich ist (a=(a2 + b2);�b=(a2 + b2)) 2 K2 und

(a; b) ��

a

a2 + b2;�b

a2 + b2

�=

�a � a� b � (�b)

a2 + b2;b � a+ a � (�b)

a2 + b2

�= (1; 0) = 1 :

Insbesondere gilt (0; 1)2 +1 = (0; 1) � (0; 1) + 1 = (�1; 0) + (1; 0) = (0; 0) = 0. Das Element

i := (0; 1) 2 K2 hat also die Eigenschaft i2 = �1. Lemma 2.1 (e) impliziert daher, dass

man"

K2 nicht anordnen kann\. Wir nennen i die imagin�are Einheit.

Es gilt (a; 0)+ i (b; 0) = (a; 0)+ (0; 1)(b; 0) = (a; b) f�ur alle a; b 2 K. Identi�ziert man also

(a; 0) 2 K2 jeweils mit a 2 K, so lassen sich die Elemente (a; b) 2 K2 in der"komplexen\

Form a+ ib schreiben. Setzt man

K[i] := fa+ ib : a; b 2 Kgund

(a+ ib) + (c+ id) := (a+ c) + i(b+ d)

(a+ ib) � (c+ id) := (ac� bd) + i(ad+ dc) ;

so erh�alt man damit einen K�orper (K[i];+; �). F�ur z = a+ib 2 K[i] hei�t z := a�ib 2 K[i]

die zu z konjugierte Zahl. Damit gilt f�ur z1 = a+ ib; z2 = c+ id 2 K[i] mit z2 6= 0

z1z2

=z1z2z2z2

=(a+ ib)(c� id)(c+ id)(c� id) =

ac+ bd

c2 + d2+ i

bc� adc2 + d2

:

Als konkretes Beispiel in Q[i]: Es ist 1 + 2i = 1� 2i und

1 + 3i

1 + 2i=

(1 + 3i)(1� 2i)

(1 + 2i)(1� 2i)=

1 + 3i� 2i+ (3i)(�2i)1 + 2i� 2i+ 2i(�2i) =

7 + i

5=

7

5+ i

1

5:

Bemerkung (Reelle und komplexe Zahlen).

In x6 werden wir ausgehend vom angeordneten K�orper (Q; >) der rationalen Zahlen

den ebenfalls angeordneten K�orper (R; >) der reellen Zahlen konstruieren. Wendet man

Beispiel 2.4 dann auf den K�orper (R; >), so erh�alt man den K�orper C der komplexen

Zahlen, der sich nicht anordnen l�asst, aber R echt umfasst, d.h. R ( C.

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Angeordnete Korper 11

Ausblick (Nicht archimedisch angeordnete K�orper).

Es gibt K�orper K mit einer"Anordnungsrelation\ >, derart, dass die Axiome (A1) und (A2)

erf�ullt sind, dagegen aber nicht das"Archimedische Axiom\ (A3), siehe etwa [7, Exercise

1.31]. Wir haben (A3) bisher ausschlie�lich f�ur den Beweis von Lemma 2.1 (f) eingesetzt.

In nicht archimedisch angeordneten K�orpern muss diese Aussage tats�achlich nicht gelten: Es

gibt dann a 2 K mit n � a f�ur alle n 2N(!).

Aufgaben zu x2

1. Beweisen Sie die Aussagen in Lemma 2.1 (d) und (e). (�Ubungsaufgabe)

2. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und g : Q+ ! K durch g(n=m) := n�1m�1 f�ur

n;m 2 N de�niert. Wir setzen f(x) := g(x) f�ur x 2 Q+ und f(x) := �g(�x) f�ur

x 2 Q� und f(0) := 0. Dies stiftet eine Abbildung f : Q! K.

(a) Man zeige

f(x+ y) = f(x) + f(y) ; f(x � y) = f(x) � f(y) f�ur alle x; y 2 Q :

Die Abbildung f respektiert also die K�orperstrukturen. Man sagt: f : Q! K ist

ein K�orperhomomorphismus.

(b) Zeigen Sie ferner, dass f�ur jedes x 2 Q gilt: f(x) > 0 () x > 0.

Der K�orperhomomorphismus respektiert also die Anordnung.

(c) Beweisen Sie, dass f : Q! K injektiv ist. (�Ubungsaufgabe)

3. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und a; b 2 K mit a < b. Zeigen Sie, dass ein

c 2 K existiert mit a < c < b. (Sie ben�otigen nur (A1) und (A2).)

Zusatz: Ist f : Q ! K der K�orperhomomorphismus aus Aufgabe 2.1, so zeige man,

dass es sogar ein q 2 Q gibt mit a < f(q) < b. (Sie ben�otigen auch (A3).)

4. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und a; b; c; d 2 K mit b > 0 und d > 0. Zeigen

Siea

b<c

d=) a

b<a+ c

b+ d<c

d:

5. Beweisen Sie f�ur alle n 2N die folgenden Ungleichungen. (�Ubungsaufgabe)

(a)

n

k

!� nk

k!f�ur alle k 2N0.

(b)

�1 +

1

n

�n�

nXk=0

1

k!< 3. (Hinweis: Binomischer Lehrsatz)

6. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Man beweise die folgenden Aussagen.

(a) z1 + z2 = z1 + z2 und z1z2 = z1 � z2 f�ur alle z1; z2 2 K[i].

(b) z + z = 2x und z � z = 2iy f�ur alle z = x+ iy 2 K[i].

(c) F�ur z 2 K[i] gilt: z = z () z 2 K.

(d) zz = x2 + y2 2 K f�ur alle z = x+ iy 2 K[i].

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x 3

Bewertete K�orper

Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.

L. Wittgenstein [21, 4.01]

Definition.

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Dann hei�t

jaj :=

8>><>>:a a � 0

falls

�a a < 0

der Absolutbetrag von a 2 K.

Es gelten o�ensichtlich(?) jaj � 0 f�ur alle a 2 K,

a � jaj ; �a � jaj und jabj = jaj � jbj f�ur alle a; b 2 K :

Satz 3.1 (Dreiecksungleichung).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Dann gilt f�ur alle a; b 2 K

ja+ bj � jaj+ jbj :

Beweis. Es gilt a+ b � jaj+ jbj und �(a+ b) = �a� b � jaj+ jbj.

In einem angeordneten K�orper K l�asst sich der Absolutbetrag dazu verwenden, den"Ab-

stand\ zweier Punkte a; b 2 K durch ja � bj zu beschreiben. In diesem Sinne ist dann jajgerade der Abstand ja� 0j von a 2 K zum Nullpunkt. Der Abstand ja� bj von a zu b sollte

nicht gr�o�er als die Summe des Abstands jaj von a zum Nullpunkt und des Abstands jbj vonb zum Nullpunkt sein. Genau dies dr�uckt die Dreiecksungleichung aus. Da man auch in nicht

angeordneten K�orpern Abst�ande messen m�ochte, f�uhrt man folgendes Konzept ein.

Definition.

Ein K�orper K hei�t bewerteter K�orper, wenn es einen angeordneten K�orper (F; >) und

eine Betragsfunktion j � j : K! F gibt, derart, dass die folgenden Aussagen gelten

(B1) jaj � 0 f�ur alle a 2 K und jaj = 0 genau dann, wenn a = 0;

(B2) ja � bj = jaj � jbj f�ur alle a; b 2 K;

(B3) ja+ bj � jaj+ jbj f�ur alle a; b 2 K.

13

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14 Bewertete Korper

Wir schreiben (K;F; j � j). Ist der dem bewerteten K�orper K zugeordnete K�orper F aus

dem Zusammenhang ersichtlich oder ist die spezielle Wahl von F unerheblich, so schrei-

ben wir kurz (K; j � j).

Beispiel 3.2 (Angeordnete Korper).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und jaj der Absolutbetrag von a 2 K. Dann ist

durch j � j : K! K eine Betragsfunktion gegeben und (K;F; j � j) ist folglich ein bewerteter

K�orper mit F = K. In diesem Fall schreiben wir stets einfach (K; j � j). Im Folgenden

fassen wir einen angeordneten K�orper stets als bewerteten K�orper mit der durch den

Absolutbetrag induzierten Betragsfunktion auf. Man beachte, dass jnj = n f�ur alle n 2N

gilt.

Der K�orper K = f0; 1g aus Beispiel 1.2 l�asst sich nicht anordnen. De�niert man aber j � j :K! Q durch j0j := 0 und j1j := 1, so wird K zu einem bewerteten K�orper (K;Q; j � j). Hiergilt nicht jnj = n f�ur alle n 2N.

Satz 3.3 (Umgekehrte Dreiecksungleichung).

Es sei (K;F; j � j) ein bewerteter K�orper. Dann gilt f�ur alle a; b 2 K���jaj � jbj��� � ja� bj :Hierbei bezeichnet j � j den Absolutbetrag auf dem angeordneten K�orper F.

Beweis. Es gilt jaj = ja�b+bj � ja�bj+jbj nach (B3), also jaj�jbj � ja�bj. Analog (oder aus"Symmetriegr�unden\) ist jbj�jaj � jb�aj = ja�bj, wobei zuletzt Aufgabe x3.1 benutzt wurde.Die De�nition von j � j ergibt jetzt unmittelbar die

"umgekehrte Dreiecksungleichung\.

Ausblick.

Der K�orper C der komplexen Zahlen wird sp�ater (siehe x7) ein wichtiges Beispiel eines be-

werteten, aber nicht angeordneten K�orpers (C;R; j � j) liefern. Erst dann wird auch die Be-

zeichung"Dreiecksungleichung\ f�ur die Ungleichung ja + bj � jaj + jbj verst�andlich werden.

Die in diesem Abschnitt bewiesenen Aussagen werden insbesondere alle f�ur die komplexen

Zahlen anwendbar sein.

Aufgaben zu x3

1. Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper. Zeigen Sie, dass j � aj = jaj f�ur alle a 2 K.

(�Ubungsaufgabe)

2. Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper und x; y 2 K. Beweisen Sie:

jx+ yj1 + jx+ yj �

jxj1 + jxj +

jyj1 + jyj :

3. Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper. Man beweise jxjn � 1+n � (jxj�1) f�ur alle n 2N

und alle x 2 K. (�Ubungsaufgabe)

4. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und "; a; b 2 K+ mit (1 + ")�2 � ab � (1 + ")2.

Zeigen Sie, dass ja � bj � 16"b. Kann man hier die Zahl 16 durch eine kleinere Zahl

ersetzen ?

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x 4

Folgen

Soll man das Wort"unendlich\ in der Mathematik vermeiden ? Ja; dort, wo es dem Kalk�ul

eine Bedeutung zu verleihen scheint, statt sie erst von ihm zu erhalten.

L. Wittgenstein, [22, S. 141]

Definition.

Es sei M eine Menge. Eine Abbildung von N in die Menge M hei�t Folge in M . Jedem

n 2N ist also ein an 2M zugeordnet. Wir schreiben kurz (an)n, (an) oder (a1; a2; a3; : : :).

Beispiele 4.1 (f�ur Folgen).

(a) an := a f�ur jedes n 2N de�niert eine konstante Folge (a)n in M = fag.(b) Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und an := 1=n f�ur n 2N. Dann ist (an)n =

(1; 1=2; 1=3; : : :) eine Folge in M = K.

(c) an = (�1)n f�ur n 2N, d.h. (an)n = (1;�1; 1;�1; : : :) ist eine Folge in M = Z.

(d) an =�1 + 1

n

�nf�ur n 2N, d.h. (an)n ist eine Folge in M = Q.

(e) Es sei a 2 Q+ beliebig, x1 2 Q+ und xn := 12

�xn�1 +

axn�1

�f�ur n = 2; 3; : : :. Die

Folge (xn)n in Q+ h�angt von a und vom gew�ahlten"Startwert\ x1 ab.

(f) Es sei c 2 Q[i]. Wir setzen z1 := 0 und dann zn+1 := z2n + c. Dies de�niert eine

Folge (zn)n in Q[i]. Setzt man �n := znzn f�ur n 2 N, so entsteht eine Folge

(�n)n 2 Q. Diese h�angt vom gew�ahlten Parameter c 2 Q[i] ab.

(e) und (f) sind Beispiele f�ur rekursiv de�nierte Folgen.

Experiment (zu Beispiel 4.1 (e)).

Wir nehmen a := 2 und als"Startwert\ x1 2 f3; 10; 1=10g.

n xn

1 3:0000000000000000000

2 1:8333333333333333333

3 1:4621212121212121212

4 1:4149984298948029518

5 1:4142137800471975839

6 1:4142135623731118009

7 1:4142135623730950488

8 1:4142135623730950488

9 1:4142135623730950488

10 1:4142135623730950488

n xn

1 10:000000000000000000

2 5:1000000000000000000

3 2:7460784313725490196

4 1:7371948743795983227

5 1:4442380948662319390

6 1:4145256551487377412

7 1:4142135968022693285

8 1:4142135623730954679

9 1:4142135623730950488

10 1:4142135623730950488

n xn

1 0:10000000000000000000

2 10:050000000000000000

3 5:1245024875621890547

4 2:7573921384195741759

5 1:7413575804495919631

6 1:4449433819589160092

7 1:4145403301286928094

8 1:4142136001158033421

9 1:4142135623730955524

10 1:4142135623730950488

15

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16 Folgen

Experiment (zu Beispiel 4.1 (f)).

Wir berechnen f�ur jeden Parameter c 2 Q[i] die Folgeglieder von (�n) der Reihe nach.

Wir stoppen, sobald �n � 4 oder n = 100. Auf diese Weise ordnen wir dem Parameter

c = x0 + iy0 2 Q[i] eine Zahl n = n(c) 2 N mit 1 � n � 100 zu. Jetzt f�arben wir den

Punkt (x0; y0) 2 Q2 mit schwarzer Farbe, falls n = 100, und mit weisser Farbe, falls

n < 100. Das Ergebnis ist im folgenden Bild links dargestellt.

Abbildung 4.1: Die"Mandelbrot{Menge\

Das Bild rechts entsteht, wenn man die Farbe f�ur den Punkt c in Abh�angigkeit von n(c)

w�ahlt (schwarz, falls n(c) = 100, etc.)

Definition.

Es sei (K;F; j � j) ein bewerteter K�orper. Eine Folge (an)n in K hei�t konvergent gegen

a 2 K, falls

8">0 9N2N 8n�N jan � aj < " :

Die Zahl a 2 K hei�t dann Grenzwert oder Limes der Folge und man schreibt

a = limn!1 an oder an ! a (f�ur n!1) :

Eine Folge (an)n, die gegen 0 konvergiert, hei�t auch Nullfolge. Eine Folge (an)n in K,

die gegen kein a in(!) K konvergiert, hei�t divergent.

Man beachte: a 2 K ist genau dann nicht Grenzwert der Folge (an)n, wenn

9">0 8N2N 9n�N jan � aj � " :Bemerkung.

Im Konvergenzfall ist der Grenzwert einer Folge eindeutig bestimmt. W�aren a0 6= a zwei

Grenzwerte von (an)n, so g�abe es zu " := ja0 � aj=2 > 0 ein N 2 N mit ja� anj < " f�ur

alle n � N und ein N 0 2 N mit ja0 � anj < " f�ur alle n � N 0. F�ur jedes n 2 N mit

n � maxfN;N 0g gilt dann 2" = ja0 � aj � ja0 � anj+ jan � aj < 2". Widerspruch !

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Folgen 17

Bemerkung.

Man achte sorgf�altig auf die Reihenfolge der logischen Quantoren in der obigen De-

�nition: Zu jedem positiven " 2 F gibt es eine nat�urliche Zahl N 2 N, die somit

i.Allg. von " abh�angt, derart, dass f�ur alle n � N die Ungleichung jan� aj < " gilt. Um

die Abh�angigkeit der Zahl N von " hervorzuheben, schreibt man daher auch

8">0 9N(")2N 8n�N(") jan � aj < " :

Wir behandeln jetzt die Beispiele 4.1 (a) bis (c).

Beispiel 4.1 (a). Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper und a 2 K �xiert. Dann besitzt die

konstante Folge (a)n in K den Limes a 2 K.

Beweis. F�ur " > 0 beliebig vorgegeben gilt jan � aj = ja � aj = 0 < " f�ur alle n 2 N. Man

kann also in der De�nition des Grenzwertes N(") := 1 w�ahlen.

Beispiel 4.1 (b). Die rationale Folge (1=n)n besitzt den Limes 0 2 Q, d.h.

limn!1

1

n= 0 :

Beweis. Sei " 2 Q+ vorgegeben. Dann gibt es aufgrund der Archimedischen Eigenschaft

(A3) eine nat�urliche Zahl N(") > 1=". F�ur jedes n 2N mit n � N(") ist dann auch n > 1="

oder 1=n < ". Somit gilt f�ur alle n � N("):���� 1n � 0

���� = 1

n< " :

Damit haben wir nachgewiesen, dass 0 Grenzwert der Folge (1=n) ist.

Beispiel 4.1 (c). In jedem angeordneten K�orper (K; j � j) ist die Folge ((�1)n)n divergent.

Beweis. Angenommen, die Folge ((�1)n) konvergiert gegen ein a 2 K. Zu " = 1 gibt es

dann ein N 2 N mit j(�1)n � aj < " = 1 f�ur alle n � N . Dann gilt aber mithilfe der

Dreiecksungleichung f�ur alle n � N2 = jan+1 � anj = jan+1 � a+ a� anj � jan+1 � aj+ ja� anj < 1 + 1 = 2 :

Widerspruch !

Beispiele 4.1 (d) und (e) werden wir sp�ater im Rahmen dieser Vorlesung behandeln; Beispiel

4.1 (f) (leider) nicht.

Satz 4.2 (Eigenschaften konvergenter Folgen).

Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper.

(a) Es sei (an)n eine konvergente Folge in K. Dann ist (an)n beschr�ankt, d.h. es gibt

ein M > 0 aus F mit janj �M f�ur alle n 2N.

(b) (Summe konvergenter Folgen)

Es seien (an)n und (bn)n konvergente Folgen in K mit Grenzwert a 2 K bzw. b 2 K.

Dann ist auch die Folge (cn)n mit cn := an + bn konvergent und es gilt cn ! a+ b,

d.h.

limn!1 (an + bn) = lim

n!1 an + limn!1 bn :

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18 Folgen

(c) Es sei (an) eine Nullfolge in K und (bn) eine beschr�ankte Folge in K. Dann gilt

limn!1 anbn = 0.

(d) (Produkt konvergenter Folgen)

Es seien (an)n und (bn)n konvergente Folgen in K mit Grenzwert a 2 K bzw. b 2 K.

Dann ist auch die Folge (cn)n mit cn := anbn konvergent und es gilt cn ! ab, d.h.

limn!1 (anbn) = lim

n!1 an � limn!1 bn :

(e) (Quotienten konvergenter Folgen)

Es seien (an)n und (bn)n konvergente Folgen in K mit Grenzwert a 2 K bzw. b 2 K.

Gilt dann b 6= 0, so gibt es ein N 2N mit bn 6= 0 f�ur alle n � N und es gilt anbn ! ab .

Beweis. (a) Sei a 2 K der Limes von (an). Dann gilt ja�anj � 1 f�ur alle n � N(1) 2N. Es

seiM 0 := maxfja�a1j; : : : ; ja�aN(1)jg > 0. Dann ist janj = ja�anj+jaj � jaj+maxfM 0; 1g =:M f�ur alle n 2N, d.h. (an) ist beschr�ankt.

(b) Sei " > 0 vorgegeben. Dann gibt es N1 und N2 aus N, derart, dass jan � aj < "=2 f�ur

alle n � N1 und jbn � bj < "=2 f�ur alle n � N2. Somit gilt f�ur alle n � N := maxfN1; N2gdie Absch�atzung j(an + bn) � (a + b)j � jan � aj + jbn � bj < "=2 + "=2 = " aufgrund der

Dreiecksungleichung.

(c) Sei " > 0 vorgegeben und M > 0 mit jbnj �M f�ur alle n 2N. Es gibt dann ein N 2N

mit janj < "=M f�ur alle n � N , d.h. janbnj = janj � jbnj < "=M �M = ".

(d) Sei " > 0 vorgegeben. Nach (a) gibt es ein M > 0 mit jbnj � M f�ur alle n 2 N.

Ferner gibt es ein N1 2 N mit jaj � jbn � bj < "=2 f�ur alle n � N1 und ein N2 2 N mit

jan� aj < "=(2M) f�ur alle n � N2. Es folgt f�ur alle n � N := maxfN1; N2g die Absch�atzungjanbn � abj = j(an � a)bn + a(bn � b)j � jan � aj jbnj+ jaj jbn � bj < "=2 + "=2 = ".

(e) Zu "� := jbj=2 > 0 gibt es ein N 2N mit jbn�bj < "� = jbj=2, also jbnj = jbn�b+bj � jbj�jbn�bj > jbj�jbj=2 = jbj=2 > 0 f�ur alle n � N . Aus (b) und (d) folgt anb�abn ! ab�ab = 0.

Zu vorgegebenem " > 0 gibt es daher ein N1 � N mit janb � abnj < "b2=2 f�ur alle n � N1.

Es folgt ����anbn �a

b

���� = janb� abnjjbnbj < "

f�ur alle n � N1.

Beispiel 4.3.

Im bewerteten K�orper K = Q sei die Folge (an) durch an := n2+2nn2+2 , n 2 N, gegeben.

Dann gilt f�ur jedes n 2N

an =n2 + 2n

n2 + 2=n2

n2� 1 + 2=n

1 + 2=n2=

1 + 2=n

1 + 2=n2:

Nach Beispiel 4.1 (b) folgt 1=n! 0, also sowohl 2=n! 0 nach Satz 4.2 (d) und Beispiel

4.1 (a) als auch 1=n2 ! 0 nach Satz 4.2 (d). Mit Satz 4.2 (a) und Beispiel 4.1 (a) ergibt

sich 1 + 2=n! und 1 + 2=n2 ! 1. Satz 4.2 (e) impliziert schliesslich

limn!1 an = lim

n!11 + 2=n

1 + 2=n2=

1

1= 1 :

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Folgen 19

Beispiel 4.4.

Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper und a 2 K mit jaj < 1. Dann gilt an ! 0 f�ur

n!1.

Beweis. F�ur a = 0 gilt an = 0 f�ur alle n 2N, d.h. an ! 0 f�ur n!1 nach Beispiel 4.1 (a).

Sei jetzt a 6= 0 und x := 1=a, also jxj > 1. Da nach �Ubungsaufgabe 2.3 (b) die Absch�atzung

jxjn � 1 + n � (jxj � 1) f�ur alle n 2N gilt, ergibt sich

jan � 0j = 1

jxjn �1

1 + n � (jxj � 1)� 1

n � (jxj � 1)f�ur alle n 2N :

Da 1n�(jxj�1) ! 0 nach Satz 4.2 (c) und Beispiel 4.1 (a) und (b), gibt es zu jedem " > 0 ein

N 2N mit jan � 0j < " f�ur alle n � N . Dies zeigt an ! 0.

Definition.

Es sei f�ur jedes n 2N eine Aussage A(n) gegeben. Wir sagen"A(n) ist richtig f�ur fast

alle n\, falls es ein N 2N gibt, derart, dass A(n) richtig ist f�ur jedes n � N .

In einem bewerteten K�orper (K; j � j) gelten dann die folgenden Aussagen.

(a) Eine Folge (an)n in K konvergiert gegen a 2 K () F�ur jedes " > 0 gilt die Ab-

sch�atzung jan � aj < " f�ur fast alle n 2N :

(b) Sind (an) und (bn) zwei Folgen in K mit an = bn f�ur fast alle n 2N, dann gilt

limn!1 an existiert () lim

n!1 bn existiert.

Im Falle der Existenz stimmen die Grenzwerte �uberein.

Die folgende Aussage bezieht sich auf Folgen in angeordneten K�orpern.

Satz 4.5 (Sandwich–Theorem).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper.

(a) Sind (an)n und (bn)n Folgen in K mit an � bn f�ur fast alle n 2N und gilt an ! a

und bn ! b f�ur n!1, dann ist a � b.

(b) Es seien (an)n, (bn)n und (cn)n Folgen in K mit an � bn � cn f�ur fast alle n 2N.

Gilt dann an ! a und cn ! a f�ur n!1, so folgt auch bn ! a f�ur n!1.

Beweis. (a) Aus a > b folgt " := (a� b)=2 > 0. Wegen an ! a und bn ! b gilt jan� aj < "

und jbn � bj < " f�ur fast alle n 2N gilt. Dies bedeutet an � bn = a� b+ an � a+ b� bn �2"� jan � aj � jbn � bj > 0 f�ur fast alle n 2N. (Indirekter Beweis.)

(b) Aus an�a � bn�a � cn�a folgt jbn�aj � maxfjan�aj; jcn�ajg � jan�aj+jcn�aj ! 0

f�ur n!1.

Beispiel 4.6.

F�ur bn :=n�1Pj=0

1n2+j gilt 0 � bn � n

n2 =1n ! 0, also bn ! 0.

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20 Folgen

Bemerkung (zusatzlich, nicht Inhalt der Vorlesung, Anregungen zur Analyse von Satz 4.5 (a)).

Um eine Aussage wie Satz 4.5 (a)"verstehen zu lernen\, ist es oft n�utzlich mit dieser

Aussage"zu spielen\. Man k�onnte sich z.B. fragen, ob aus der strikten Ungleichung

an < bn f�ur fast alle n 2N

zusammen mit an ! a und bn ! b f�ur die Grenzwerte a und b auch die strikte Unglei-

chung

a < b

folgt.

Divergente Folgen k�onnen aus unterschiedlichen Gr�unden nicht konvergieren.

Definition (Bestimmte Divergenz).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Eine Folge (an)n in K hei�t konvergent gegen

1, falls f�ur jedes K > 0 die Ungleichung an > K f�ur fast alle n 2 N gilt. In diesem

Fall schreibt man an ! 1 f�ur n ! 1 oder limn!1 an = 1. Wir schreiben an ! �1f�ur n ! 1, falls limn!1(�an) = 1. Eine Folge (an) in K hei�t bestimmt divergent,

falls an !1 oder an ! �1.

Beispiel 4.7.

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und a 2 K mit a > 1. Dann gilt an=n ! 1 f�ur

n!1.

Beweis. Wir benutzen den binomischen Lehrsatz (�Ubungsaufgabe 1.3) und erhalten mit

b := a� 1 > 0 f�ur alle n � 2

an

n=

(1 + b)n

n=

1

n

nXj=0

n

j

!bj � 1

n

n

2

!b2 =

n(n� 1)

2nb2 = (n� 1)

b2

2:

Zu vorgegebenemK > 0 gilt nach der Archimedischen Eigenschaft (A3) sicher (n� 1) b2

2 > K

f�ur fast alle n 2N, also auch an

n > K. Es folgt an

n !1.

Die Folge ((�1)n)n aus Beispiel 4.1 (c) ist divergent, aber nicht bestimmt divergent.

Definition (Teilfolgen).

Es sei (an)n eine Folge und � : N!N streng monoton wachsend. Setzt man nk := �(k)

f�ur k 2N, so hei�t (nk)k eine Teilfolge der Folge (n)n der nat�urlichen Zahlen und (ank)keine Teilfolge der Folge (an)n.

Beispielsweise sind die konstanten Folgen (1)k und (�1)k Teilfolgen von ((�1)n)n. F�ur jedeFolge (an)n und jedes feste N 2N ist (an+N )n eine Teilfolge von (an)n.

Satz 4.8.

Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper. Ist (an)n eine konvergente Folge in K mit Grenz-

wert a 2 K, so gilt dies auch f�ur jede Teilfolge von (an)n.

Beispielsweise folgt aus an ! a also immer auch an+1 ! a.

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Folgen 21

Beweis. Sei a der Limes von (an)n und sei � : N ! N streng monoton wachsend. Zu

vorgegebenem " > 0 gibt es dann ein N 2 N mit jan � aj < " f�ur alle n � N . Wegen

�(k) � k � N f�ur alle k � N gilt dann ja�(k) � aj < " f�ur alle k � N .

Hat eine Folge zwei Teilfolgen, die gegen verschiedene Grenzwerte konvergieren, so ist also

die Ausgangsfolge notwendigerweise divergent.

Wir haben bisher zwei Typen divergenter Folgen kennengelernt: Bestimmt divergente Fol-

gen wie (2n)n oder (�n2)n, die dann notwendigerweise unbeschr�ankt sind, und beschr�ankte

Folgen mit konvergenten Teilfolgen, die aber verschiedene Grenzwerte besitzen wie ((�1)n)n.Im n�achsten Abschnitt werden wir sehen, dass es auch beschr�ankte Folgen ohne eine einzige

konvergente Teilfolge gibt.

Aufgaben zu x4

1. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper. Zeigen Sie, dass gilt: n!1 f�ur n!1.

2. Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper und (an)n eine Folge in K, die eine konvergente

Teilfolge besitzt und derart, dass alle konvergenten Teilfolgen denselben Grenzwert

haben. Beweisen oder widerlegen Sie, dass die Folge (an)n dann selbst konvergiert.

3. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper, k � 2 eine nat�urliche Zahl und a 2 K+. Wir

betrachten die durch x1 2 K+ beliebig und

xn+1 :=1

k

�(k � 1)xn +

a

xk�1n

de�nierte Folge (xn)n in K. Man zeige, dass falls (xn)n den Grenzwert x 2 K besitzt,

dieser der Gleichung xk = a gen�ugt. (�Ubungsaufgabe)

4. Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper und (an)n und (bn) seien Folgen in K, derart,

dass bn 6= 0 f�ur fast alle n 2N. Beweisen oder widerlegen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Aus an � bn n!1���! 0 folgt an=bnn!1���! 1.

(a) Aus an=bnn!1���! 1 folgt an � bn n!1���! 0.

5. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper, a 2 K mit a > 1 und k 2N. Man zeige

limn!1

an

nk=1 :

(�Ubungsaufgabe)

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x 5

Vollst�andigkeit

Ein K�a�g ging einen Vogel suchen.

F. Kafka, Tagebucheintrag vom 6. Nov. 1917

Wir versuchen"irrationale\ Zahlen mithilfe rationaler Zahlen

"einzufangen\.

Beispiel 5.1 (Babylonisches Wurzelziehen oder Beispiel 4.1 (d); revisited).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und a 2 K+ �xiert. Es sei (xn) die durch

x1 2 K+ ; xn+1 :=1

2

�xn +

a

xn

�de�nierte Folge (xn)n in K.

(a) Annahme: Die Folge (xn) konvergiert in K.

Dann besitzt (xn) den Limes x 2 K und es gilt auch xn+1 ! x. Wegen xn > 0 f�ur alle

n 2N ist x � 0 und es gilta

xn= 2xn+1 � xn ! x : (?)

Aus (?) folgt einerseits, dass x = 0 nicht m�oglich ist, denn sonst w�are ja a=xn � 1 f�ur

fast alle n 2 N, also xn � a, d.h. x � a > 0, Widerspruch ! Andererseits folgt aus (?)

in Kenntnis von x > 0 mit Satz 4.2 (e), dass ax = x, d.h. x2 = a.

(b) F�ur K = Q und z.B. a = 2 gibt es aber kein x 2 Q mit x2 = 2 ! Folglich kann die

Folge (xn) in diesem Fall nicht konvergieren.

(c) Die Folge (xn) besitzt also nicht notwendigerweise einen Grenzwert in K. Sie

"m�ochte\ aber konvergieren. Wegen xn+1 > a=(2xn) > 0 besitzt sie n�amlich folgende

bemerkenswerte Eigenschaft:

jxn+1 � xnj =����12�1� a

xnxn�1

�(xn � xn�1)

���� � 1

2jxn � xn�1j ; n � 2 :

D.h. der Abstand zweier aufeinander folgender Elemente halbiert sich vom n{ten zum

(n+ 1){ten Schritt. Induktiv folgt

jxn+1 � xnj ��1

2

�n�1

� jx2 � x1j ; n � 2 :

Mithilfe der Dreiecksungleichung und der geometrischen Summenformel ergibt sich

hieraus

jxm � xnj ������m�1Xk=n

(xk+1 � xk)����� �

m�1Xk=n

jxk+1 � xkj ��1

2

�n�2

jx2 � x1j

f�ur alle m > n � 2.

23

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24 Vollstandigkeit

Interpretation (Versuch einer Veranschaulichung; erganzend zur Vorlesung).

Wir setzen � := 8jx2 � x1j, so dass also jxn+1 � xnj � 2�n�1� f�ur alle n 2 N gilt. Wir

betrachten nun die"Intervalle\ In := fx 2 K : jx � xnj � 2�n�g. Dann gilt In+1 � In,

denn

x 2 In+1 =) jx� xnj � jx� xn+1j+ jxn+1 � xnj � 2�n�1� + 2�n�1� = 2�n� =) x 2 In :Man hat also eine Folge ineinander geschachtelter Intervalle I1 � I2 � : : :, deren L�ange

gegen 0 konvergiert. F�ur festes n 2 N ist xm 2 In f�ur jedes m � n. Die Intervalle Inschrumpfen also auf den potentiellen Limes der Folge (xn) zusammen.

Definition.

Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper. Eine Folge (an)n in K hei�t Cauchy{Folge in K,

falls gilt

8">0 9N2N 8n;m�N jan � amj < " :

Die Folge (xn)n in K aus Beispiel 5.1 ist eine Cauchy{Folge in K. Dazu beachte man, dass

(1=2)n ! 0 nach Beispiel 4.4. Zu jedem " > 0 gibt es also ein N 2N mit (1=2)n�2jx2�x1j < "

f�ur alle n � N . Es folgt dann jxm � xnj < " f�ur alle n;m � N .

Satz 5.2.

Es sei (K; j � j) ein bewerteter K�orper. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) Jede Cauchy{Folge in K ist beschr�ankt.

(b) Jede in K konvergente Folge aus K ist eine Cauchy{Folge in K.

(c) Besitzt eine Cauchy{Folge in K eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert a 2 K,

so konvergiert die Ausgangsfolge gegen a.

Beispiel 5.1 zeigt, dass die Umkehrung von Satz 5.2 (b) im Allgemeinen falsch ist. Satz 5.2 (a)

und (c) zeigen, dass die Cauchy{Folge von Beispiel 5.1 beschr�ankt ist, aber keine konvergente

Teilfolge besitzt.

Beweis. (a) �Ubungsaufgabe 4.3 (a).

(b) Sei a 2 K der Limes der Folge (an) aus K und " > 0 vorgegeben. Dann gibt es ein

N 2 N mit jan � aj < "=2 f�ur alle n � N . Es folgt f�ur alle n;m � N die Absch�atzung

jan � amj � jan � aj+ jam � aj < "=2 + "=2 = ".

(c) Es sei (ank) die gegen a 2 K konvergente Teilfolge der Cauchy{Folge (an) aus K. Dann

gibt es zu vorgegebenem " > 0 ein N 2 N mit jan � amj < "=2 f�ur alle n;m � N und

jank � aj < "=2 f�ur alle k � N . Wegen nk � k folgt daher die Absch�atzung jan � aj �jan � anN j+ janN � aj < "=2 + "=2 = " f�ur alle n � N .

Definition.

Ein bewerteter K�orper (K; j � j) hei�t vollst�andig, wenn jede Cauchy{Folge in K einen

Grenzwert in K besitzt.

Damit ist (Q; j � j) nicht vollst�andig.Wir konzentrieren unser Interesse jetzt auf vollst�andige angeordnete K�orper. Wir werden im

n�achsten Abschnitt zeigen:

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Vollstandigkeit 25

Es gibt einen (und im"wesentlichen\ nur einen) vollst�andigen angeordneten

K�orper. Diesen K�orper nennen wir den K�orper der reellen Zahlen.

Dies ist der Fundamentalsatz �uber reelle Zahlen. Sein Beweis ist schwierig. Wir wollen daher

in diesem Abschnitt zwei Hinweise herleiten, dass sich jeder vollst�andige angeordnete K�orper

tats�achlich"so wie\ der K�orper der reellen Zahlen verh�alt.

Satz 5.3 (Quadratwurzeln).

Es sei (K; >) ein vollst�andiger angeordneter K�orper. Dann gibt es zu jedem a 2 K+

genau ein b 2 K+ mit b2 = a. Gilt x2 = a f�ur ein x 2 K, so ist ferner x = b oder x = �b.

F�ur a 2 K+ nennen wir das eindeutig bestimmte Element b 2 K+ mit b2 = a die Quadrat-

wurzel aus a und benutzen die Schreibweisepa := b. Au�erdem setzen wir

p0 := 0.

Beweis. Existenz: Zu a 2 K+ w�ahlen wir ein beliebiges Element x1 2 K+ und de�nieren

die Folge (xn) wie in Beispiel 5.1. Wie dort gesehen, ist (xn) eine Cauchy{Folge in (K; j � j).Da nach Voraussetzung (K; j � j) vollst�andig ist, ist die Folge (xn) in K also konvergent mit

einem Limes b 2 K. Dann gilt f�ur diesen Limes aber b2 = a nach Beispiel 5.1.

Eindeutigkeit: Es sei x 2 K mit x2 = a. Dann gilt 0 = x2 � x2 = (x � b)(x + b), also ist

x = b oder x = �b (siehe Beispiel 1.6=�Ubungsaufgabe 1.1.)

Als unmittelbare Folgerung notieren wir:pab =

papb f�ur alle a; b 2 K+ und

px2 = jxj f�ur

alle x 2 K. (Anregung f�ur die Nachbereitung: Warum gilt dies?)

Satz 5.4 (Dezimalbruchentwicklung).

Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper.

(a) F�ur jede Zahl x 2 K mit 0 � x � 1 existiert dann eine"Zi�ernfolge\ (an)n in

f0; 1; : : : ; 9g, derart, dassnXk=1

ak � 10�k n!1���! x :

(b) Ist (an)n eine"Zi�ernfolge\ in f0; 1; : : : ; 9g, dann ist die durch

xn :=nXk=1

ak � 10�k; n 2N ;

de�nierte Folge in K eine Cauchy{Folge in K. Ist (K; >) vollst�andig, so existiert

x := limn!1 xn 2 K und es gilt 0 � x � 1.

Bemerkung.

Die Beschr�ankung auf 0 � x � 1 in Satz 5.4 ist nicht wesentlich. Man formuliere und

beweise eine Variante von Satz 5.4 f�ur beliebige x 2 K.

Beweis. (a) Es sei an := 9 f�ur jedes n 2N. Dann gilt

xn =nXk=1

ak10�k = 9

nXk=1

10�k =9

10

1��

110

�n1� 1

10

! 1 :

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26 Vollstandigkeit

Dies zeigt die Behauptung f�ur x = 1. Jetzt sei 0 � x < 1. Wir konstruieren induktiv eine

Zi�ernfolge (ak)k in f0; 1; : : : ; 9g, so dass f�ur

xn :=nXk=1

ak � 10�k

gilt

xn � x < xn + 10�n :

Induktionsbeginn: Wir betrachten die Unterteilung

0 = 0 � 10�1 < 1 � 10�1 < : : : < 9 � 10�1 < 10 � 10�1 = 1 :

Da 0 � x < 1 gibt es genau ein a1 2 f0; 1; : : : ; 9g mit

x1 = a1 � 10�1 � x < (a1 + 1) � 10�1 = x1 + 10�1 :

Induktionsschritt: Es seien a1; : : : ; an bereits konstruiert mit xn � x < xn + 10�n. Wir

betrachten die Unterteilung

xn < xn + 1 � 10�n�1 < : : : < xn + 9 � 10�n�1 < xn + 10 � 10�n�1 = xn + 10�n :

Es gibt genau ein an+1 2 f0; 1; : : : ; 9g mit

xn+1 = xn + an+1 � 10�n�1 � x < xn + (an+1 + 1) � 10�n�1 = xn+1 + 10�n�1 :

Damit ist der Induktionsbeweis abgeschlossen. Es folgt jx � xnj < 10�n f�ur alle n 2 N,

d.h. xn ! x f�ur n!1.

(b) Es gilt

jxn � xmj � 9mX

k=n+1

10�k <1

10n

f�ur alle m > n � 1. Folglich gibt es f�ur jedes " > 0 ein N 2 N mit jxm � xnj < " f�ur alle

m;n � N , d.h. (xn) ist eine Cauchy{Folge in K. Ist (K; j � j) vollst�andig, dann ist also (xn)

konvergent mit Limes x 2 K. Da 0 � xn � 1 f�ur alle n 2N, gilt 0 � x � 1.

Korollar 5.5.

Es sei (K; >) ein vollst�andiger angeordneter K�orper. Dann gibt es keine surjektive

Abbildung � : N! K.

Man sagt kurz, dass jeder vollst�andige angeordnete K�orper �uberabz�ahlbar ist.

Beweis (Cantor). Es sei � : N! K eine surjektive Abbildung. Dann ist auch die durch

(j) :=

8<:�(j) falls 0 � �(j) < 1

0 sonst

de�nierte Abbildung : N! [0; 1) := fx 2 K : 0 � x < 1g surjektiv. F�ur jedes j 2N sei

(j) = limn!1

nXk=1

ak;j10�k

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Vollstandigkeit 27

die Dezimalbruchentwicklung von (j) 2 [0; 1) gem�a� Satz 5.4. Wir setzen jetzt

Ak :=

8>><>>:0 ak;k 6= 0

falls

1 ak;k = 0

und betrachten xn :=Pnk=1Ak10

�k 2 K. Dann ist (xn) eine Cauchy{Folge in K mit Limes

x 2 [0; 1). Die Dezimalentwicklung von x gem�a� (dem Beweis von) Satz 5.4 ist aber gerade

x = limn!1

nXk=1

Ak10�k :

Da : N! [0; 1) surjektiv ist, gilt (j) = x f�ur ein j 2N, d.h. aj;j = Aj . Widerspruch !

Bemerkungen (an die Leserinnen und Leser des Vorlesungsskriptes).

Die Vorlesungsinhalte und die dazugeh�origen �Ubungsaufgaben besitzen einen betr�acht-

lichen intrinsischen Schwierigkeitsgrad. Im Gegensatz zur Schulmathematik"versteht\

man viele Begri�e und Konzepte der Universit�atsmathematik in der Regel nicht auf

Anhieb. Erst durch eine intensive und wiederholte Besch�aftigung mit dem Vorlesungs-

sto� unter Einbeziehung der �Ubungsaufgaben kann der Prozess des"Verstehens\ in

Gang gesetzt werden. Dadurch"gew�ohnt\ man sich an die zun�achst so abstrakt er-

scheinenden Konzepte und diese verwandeln sich in Konkretes. Versuchen Sie diesen

Prozess in Bewegung zu setzen und in Bewegung zu halten. Bedenken Sie auch: ihre

Dozenten, �Ubungsleiter und Korrektoren sind diesem Prozess genauso ausgeliefert wie

Sie selbst; sie besitzen lediglich einen gewissen Vorsprung, den sie durch Erfahrung

erworben haben.

Versuchen Sie bitte alle aufkommenden Fragen sorgf�altig zu kl�aren. Nutzen Sie dazu

alle M�oglichkeiten: die Tutorien und �Ubungsstunden, die Gelegenheit vor oder nach der

Vorlesung und auch die angebotenen Sprechstunden.

Aufgaben zu x5

1. Beweisen Sie, dass die Summe und das Produkt zweier Cauchy{Folgen jeweils wieder

eine Cauchy{Folge ist. (�Ubungsaufgabe)

2. Es sei (K; >) ein vollst�andiger angeordneter K�orper.

(a) Zeigen Sie, dass f�ur alle a; b � 0 giltpab � a+b

2 .

(b) Berechnen Sie den Grenzwert der Folge (pn+ 1�pn)n.

(c) Zeigen Sie, dass die durch a1 := 1, an+1 :=p1 + an de�nierte Folge eine Cauchy{

Folge bildet und berechnen Sie den Grenzwert dieser Folge.

(d) Zeigen Sie, dass die durch a1 := 1, an+1 := 11+an

de�nierte Folge eine Cauchy{

Folge bildet und berechnen Sie den Grenzwert dieser Folge.

3. Es sei (K; >) ein angeordneter K�orper und (an) eine Cauchy{Folge in K, die nicht

gegen 0 konvergiert. Zeigen Sie, dass ein � > 0 existiert mit janj � � f�ur fast alle

n 2N. (�Ubungsaufgabe)

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28 Vollstandigkeit

4. (n{te Wurzeln) (�Ubungsaufgabe)

Es sei (K; >) ein vollst�andiger angeordneter K�orper, n 2 N mit n � 2 und a 2 K+.

Beweisen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Es gibt genau ein b 2 K+ mit bn = a. Man setzt npa := b.

(Hinweis: Aufgabe x4.3.)(b) Es gilt n

pab = n

pa npb und n

pa=b = n

pa= npb f�ur alle a; b 2 K+.

(c) Es gilt npx1 > n

px0 f�ur alle x1 > x0 > 0.

(d) Es gilt npa < 1 + a�1

n . (Hinweis: Bernoulli Ungleichung)

(e) limn!1

npa = 1 f�ur jedes a 2 K+.

5. (Rationale Potenzen; Schulwissen)

(K; >) sei ein vollst�andiger angeordneter K�orper und r = m=n 2 Q (m 2 Z, n 2 N).

Wir setzen f�ur a 2 K+

ar :=�

npa�m

falls r � 0 bzw. ar := (1=a)�r falls r < 0 :

Dann gelten die folgenden Rechenregeln.

(i) ars = (ar)s;

(ii) aras = ar+s;

(iii) arbr = (ab)r;

(iv) (1=a)r = 1=ar = a�r.

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x 6

Reelle Zahlen

Nicht das Existenztheorem ist das Wertvolle, sondern die im Beweis gef�uhrte Konstruktion.

Die Mathematik ist, wie Brouwer gelegentlich sagt, mehr ein Tun denn eine Lehre.

H. Weyl [20, S. 17]

Bemerkung.

Dieses Kapitel ist das mit Abstand schwierigste dieser Vorlesung. Es ist aber unaus-

weichlich, da die rationalen Zahlen f�ur viele �Uberlegungen nicht ausreichen (z.B. um

die L�ange der Diagonale eines Quadrats der Seitenl�ange 1 zu bestimmen). Die Erkennt-

nis, dass die rationalen Zahlen nicht gen�ugen, um die"Realit�at\ zu beschreiben, geht

vermutlich auf Hippasus von Metapont im 5. Jahrhundert v. Chr. zur�uck. Hippasus

war Mitglied des Ordens der Pythagoreer, deren Philosophie darauf beruhte, dass alle

Dinge in ganzen Zahlen ausgedr�uckt werden k�onnten. Hippasus entdeckte aber, dass

diese Ansicht nicht aufrecht erhalten werden kann. Diese Erkenntnis gelang ihm aus-

gerechnet am Pentagramm, dem Ordenssymbol der Pythagoreer. Seitdem wurden reelle

Zahlen zwar in der Mathematik benutzt, aber lange Zeit ohne eine gesicherte Theorie

dieser Zahlen. Erst �uber zweitausend Jahre sp�ater, gegen Ende des 19. Jahrhunderts,

gelang es, den Begri� der reellen Zahl pr�azise zu fassen. Die folgenden �Uberlegungen

gehen auf Georg Cantor (1845{1918) zur�uck.

Zwei Folgen (an) und (bn) rationaler Zahlen konvergieren h�ochstens dann gegen denselben

Grenzwert, wenn sie Cauchy{Folgen sind und ihre Di�erenzenfolge (an � bn) eine Nullfolgeist. Sie

"repr�asentieren\ dann dieselbe Zahl ohne dass auf selbige Bezug genommen wird.

Definition.

Wir bezeichnen mit C die Menge aller Cauchy{Folgen in Q. Wir nennen zwei Cauchy{

Folgen (an) und (bn) in Q �aquivalent, wenn ihre Di�erenzenfolge (an�bn) eine Nullfolgeist. Wir schreiben dann (an) � (bn).

F�ur (an) 2 C sei[(an)] := f(bn) 2 C : (bn) � (an)g

die Menge aller zu (an) �aquivalenten Cauchy{Folgen in Q. Wir de�nieren

Q := f[(an)] : (an) 2 Cg :Wir zeigen nun, dass Q die folgenden bemerkenswerten Eigenschaften besitzt.

1. Man kann auf Q"addieren\ und

"multiplizieren\, derart, dass Q zu einem K�orper

wird. Wir k�onnen daher die Elemente von Q als"Zahlen\ au�assen.

29

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30 Reelle Zahlen

2. Im K�orper Q gibt es eine Teilmenge"positiver\ Elemente. Damit wird Q zu einem

angeordneten K�orper (Q; >) und folglich zu einem bewerteten K�orper (Q; j � j).3. Der bewertete K�orper (Q; j � j) ist vollst�andig.

Dabei zahlt sich jetzt mehr als aus, dass wir unsere bisherigen �Uberlegungen"in abstracto\

durchgef�uhrt haben.

Satz 6.1.

Die Menge Q bildet bzgl. der Addition

[(an)] + [(bn)] := [(an + bn)]

und der Multiplikation

[(an)] � [(bn)] := [(an � bn)]einen K�orper (Q;+; �) mit [(0)n] als "

Null\ und [(1)n] als "Eins\.

Beweisskizze. (i) Zun�achst (vgl. �Ubungsaufgabe 4.3) sind die Summe und das Produkt zwei-

er Cauchy{Folgen bzw. Nullfolgen in Q wieder Cauchy{Folgen bzw. Nullfolgen in Q. Es seien

jetzt zwei Elemente [(an)]; [(bn)] 2 Q mit (an); (bn) 2 C gegeben. Dann ist (an + bn) eine

Cauchy{Folge in Q und induziert ein Element [(an+ bn)] 2 Q. Dieses ist unabh�angig von der

Wahl der Folgen (an); (bn) 2 C. Um dies einzusehen, seien (~an) bzw. (~bn) ebenfalls Elemente

von [(an)] bzw. [(bn)]. Dann sind (an�~an) und (bn�~bn) Nullfolgen, also auch (an+bn�~an�~bn).Folglich ist (an+ bn) � (~an+~bn). Somit ist [(an)] + [(bn)] durch [(an+ bn)] wohlde�niert. Es

ist nun nicht schwierig nachzupr�ufen, dass diese Verkn�upfung assoziativ und kommutativ ist.

Das eindeutig bestimmte neutrale Element bzgl. + ist [(0)n] und jedes Element [(an)] 2 Q

besitzt die eindeutig bestimmte Inverse [(�an)] 2 Q bzgl. +. Insgesamt ergibt sich also die

G�ultigkeit von (K1) bis (K4) f�ur +. F�ur die Verkn�upfung � sei die �Uberpr�ufung der Aussagen

(K1) und (K2) sowie der G�ultigkeit des Distributivgesetzes als �Ubungsaufgabe empfohlen.

Das Element [(1)n] 2 Q ist o�enkundig das (eindeutig bestimmte) neutrale Element der

Multiplikation und es gilt (K3).

(ii) Nun zu (K4) f�ur die Multiplikation. Sei x 2 Q nicht das Nullelement. F�ur ein (und dann

jedes) Element (an) 2 x ist dann also (an) 2 C keine Nullfolge. Dann (�Ubungsaufgabe 4.3

(b)) gibt es ein � 2 Q+ und ein N1 2N mit janj � � f�ur alle n � N1. Wir betrachten jetzt die

Folge (1=an)n�N1und zeigen, dass dies eine Cauchy{Folge ist. Da (an) eine Cauchy{Folge ist,

gibt zu vorgegebenem " 2 Q+ ein N 2 N, N � N1, mit jan � amj < �2" f�ur alle n;m � N .

Es folgt ���� 1an �1

am

���� = jan � amjjan amj <�2"

� �= "

f�ur alle n;m � N . Also ist (1=an) tats�achlich eine Cauchy{Folge in Q und [(1=an)] ist ein

(eindeutig bestimmtes) Inverses von x = [(an)] bzgl. der Multiplikation.

Satz 6.2.

Die Abbildung f : Q ! Q gegeben durch f(a) := [(a)n] ist ein injektiver K�orper-

homomorphismus.

D.h. f(Q) ist eine"1{zu{1{Kopie\ von Q und ist in Q enthalten. In f(Q) l�asst sich

"genauso

rechnen\ wie in Q. Man vgl. hierzu die �Uberlegungen in �Ubungsaufgabe 2.2.

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Reelle Zahlen 31

Beweis. Es gilt f(a + b) = [(a + b)n] = [(a)n] + [(b)n] = f(a) + f(b) und f(ab) = [(ab)n] =

[(a)n][(b)n] = f(a)f(b) f�ur alle a; b 2 Q nach De�nition der Addition und Multiplikation auf

Q. Somit ist f : Q! Q ein K�orperhomomorphismus. Die Abbildung f : Q! Q ist injektiv,

denn aus f(a) = f(b) f�ur a; b 2 Q folgt f(a� b) = f(a)�f(b)+f(b)+f(�b) = f(0) = [(0)n],

d.h. (a� b)n ist eine Nullfolge. Dies ist nur dann m�oglich, wenn a = b.

Wir de�nieren nun in"nat�urlicher Weise\ eine Ordnung auf Q.

Definition.

Es sei P := f[(rn)] 2 Q : 9"2Q+rn > " f�ur fast alle n 2 Ng. Wir schreiben x > 0 f�ur

x 2 Q, falls x 2 P . Au�erdem setzen wir Q+ := P .

Bemerkung.

Wir m�ussen zun�achst zeigen, dass die Menge P wohlde�niert ist. Dazu sei (rn) 2 Cund " > 0 mit rn > " f�ur fast alle n 2 N, also f�ur alle n � N(") 2 N. Sei (qn) 2 Cmit (qn) � (rn). Dann gibt es zu obigem " > 0 ein N 0 2 N mit jqn � rnj < "=2 f�ur alle

n � N 0. Damit gilt qn = rn � (rn � qn) > "� "=2 = "=2 f�ur alle n � maxfN("); N 0g.

Bemerkung.

Wie wir gleich zeigen werden, wird Q damit zu einem angeordneten K�orper (Q; >).

Die Aussage x < y f�ur x = [(an)]; y = [(bn)] 2 Q bedeutet, dass es ein " 2 Q+ gibt mit

an < bn�" f�ur fast alle n 2N. Beachtet man die De�nition des Absolutbetrags in einem

angeordneten K�orper (s. Seite 13), so bedeutet jx� yj < � f�ur x = [(an)]; y = [(bn)] 2 Q

bzw. � = [(�n)] 2 Q+, dass es ein " 2 Q+ gibt mit jan � bnj < �n � " f�ur fast alle n 2N.

Satz 6.3.

Das Tupel (Q; >) ist ein angeordneter K�orper mit den folgenden Eigenschaften.

(a)"(Q; >) setzt die auf (Q; >) gegebene Ordnung fort\:

F�ur jedes a 2 Q gilt: a > 0 () f(a) > 0.

(b)"Der angeordnete K�orper (Q; >) liegt dicht in (Q; >)\:

F�ur jedes � 2 Q+ und jedes x 2 Q gibt es ein a 2 Q mit jf(a)� xj < �.

Beweis. (i) Wir �uberpr�ufen zun�achst die Anordnungsaxiome (A1) bis (A3). Um (A1) zu

�uberpr�ufen, sei x 2 Q beliebig gew�ahlt und (an) 2 C mit x = [(an)]. Falls x 6= 0, dann ist (an)

keine Nullfolge. Es gibt dann ein � > 0 mit an � � f�ur fast alle n 2N oder mit an � �� f�urfast alle n 2 N (siehe �Ubungsaufgabe 4.3 (b)). Im ersten Fall ist [(an)] 2 P , also x > 0; im

zweiten Fall ist x < 0. Nun seien x = [(an)]; y = [(bn)] 2 Q mit x > 0 und y > 0. Dann gibt

es "1; "2 2 Q+ mit an > "1 und bn > "2 f�ur fast alle n 2N. Dies impliziert an+ bn > "1+ "2und anbn > "1"2 f�ur fast alle n 2N, also x+y > 0 und xy > 0. Schlie�lich sei x = [(an)] 2 Q.

Da die Cauchy{Folge (an) beschr�ankt ist, gibt es ein M 2 Q+ mit an � M f�ur alle n 2 N.

Da (Q; >) ein angeordneter K�orper ist, gibt es ein N 2 N mit N � 1 � M > 1. Es folgt

N � 1� an � N � 1�M > 1 f�ur alle n 2N. Somit ist N � [(1)]� [(an)] = [(N � 1� an)] 2 P .(ii) Aussage (a) sieht man wie folgt ein: Setzt man f�ur a 2 Q die Folgeglieder an := a, so

ist f(a) = [(an)] und a > 0 ist �aquivalent zu an = a > 0 f�ur fast alle n 2 N. Aussage (b)

ergibt sich wie folgt. Zu � = [(�n)] 2 Q+ gibt es ein "0 2 Q+ mit �n � "0 f�ur fast alle n 2N.

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32 Reelle Zahlen

Zu x = [(an)] 2 Q gibt es ein N 2 N mit jaN � anj < "0=2 f�ur alle n � N . Setzt man

" := "0=2 2 Q+, so ist �n � " = �n � "0=2 � "0=2 = ", d.h. jaN � anj < " � �n � " f�ur fast allen 2N. Die Behauptung folgt jetzt mit a := aN .

Wir fassen im Folgenden Q als Unterk�orper von Q auf, d.h. wir schreiben ab jetzt stets a

anstelle von f(a). Dies ist gerechtfertigt im Hinblick auf Satz 6.2.

Beispiel 6.4.

Es sei x = [(an)] 2 Q mit einer Cauchy{Folge (an) in Q. Wir zeigen, dass (an), aufge-

fasst als Folge in Q, gegen x konvergiert.

Sei " = [("n)] 2 Q+ gegeben, d.h. es gibt "0 2 Q+ und ein N1 2 N mit "n � "0 f�ur alle

n � N1. Da (an) eine Cauchy{Folge in Q ist, gibt es ein N2 2 N mit jan � amj < "0=2f�ur alle n;m � N2. Es folgt jan � amj < "0=2 < "n � "0=2 f�ur alle n � maxfN1; N2g undalle m � N2. Dies bedeutet j[(an)n]� [(am)n]j < " f�ur alle m � N2, d.h. jx� [(am)n]j ! 0

f�ur m!1, also jx� f(am)j ! 0 f�ur m!1. Identi�ziert man, wie vereinbart, am 2 Q

mit f(am) 2 Q, so gilt also tats�achlich am ! x f�ur m!1.

Satz 6.5.

Der angeordnete K�orper (Q; >) ist vollst�andig.

Dementsprechend hei�t (Q; >) die Vervollst�andigung von (Q; >).

Beweis. Sei (xn) eine Cauchy{Folge in Q. Nach Satz 6.3 (b) gibt es zu jedem xn 2 Q ein

an 2 Q mit jxn � anj < 1=n. Dann ist (an) eine Cauchy{Folge in Q: zu vorgegebenem

" 2 Q+ w�ahle man N 2 N mit N > 3=" und jxn � xmj < "=3 f�ur alle n;m � N . Dann

gilt jan � amj � jan � xnj + jxn � xmj + jxm � amj < 1=n + "=3 + 1=m < ". Folglich ist

x := [(an)] 2 Q. Wir behaupten, dass (xn) in Q gegen x konvergiert. Zu vorgegebenem

" 2 Q+ w�ahle man gem�a� Beispiel 6.4 ein N 2N, derart, dass N > 2=" und jx� anj < "=2

f�ur alle n � N . Dann ist jx� xnj � jx� anj+ jan � xnj < "=2 + 1=n � " f�ur alle n � N .

Definition.

Die Vervollst�andigung (Q; >) von (Q; >) hei�t K�orper der reellen Zahlen und wird mit

(R; >) bezeichnet.

Satz 6.6.

Der K�orper der reellen Zahlen ist ein vollst�andiger angeordneter (und damit auch be-

werteter) K�orper. Es gilt somit das"Cauchy Konvergenzkriterium\: Eine Folge (xn) in

R konvergiert genau dann, wenn (xn) eine Cauchy{Folge in R ist.

Damit sind alle bisher bewiesenen Aussagen f�ur K�orper, angeordnete K�orper und bewertete

K�orper automatisch auch f�ur die reellen Zahlen anwendbar!

Korollar 6.7.

Die Menge R der reellen Zahlen besitzt die folgenden Eigenschaften.

(a) Q liegt dicht in R: F�ur jede reelle Zahl x 2 R und jede reelle Zahl " > 0 gibt es

ein a 2 Q mit jx� aj < ".

(b) Jede positive reelle Zahl x > 0 besitzt genau eine positive Quadratwurzelpx 2 R.

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x 7

Komplexe Zahlen

ih@

@t(r; t) = H(r; t)

Schr�odingergleichung der Quantenmechnik

Wir erinnern an Beispiel 2.4 und verwenden dort f�ur K den jetzt zur Verf�ugung stehenden

K�orper R der reellen Zahlen.

Definition.

Es sei C := fa+ ib : a; b 2 Rg. Wir nennen (C;+; �) mit der Addition

(a+ ib) + (c+ id) := (a+ c) + i(b+ d)

und der Multiplikation

(a+ ib) � (c+ id) := (ac� bd) + i(bc+ ad)

den K�orper der komplexen Zahlen. F�ur eine komplexe Zahl z = x+ iy 2 C hei�t x 2 R

der Realteil von z und wird mit Re z abgek�urzt; die Zahl y 2 R hei�t Imagin�arteil von

z und wird mit Im z abgek�urzt. Die komplexe Zahl z 2 C hei�t rein imagin�ar, wenn

Re z = 0. Sie hei�t reell, wenn Im z = 0. Wir schreiben dann z 2 R. F�ur z = x+ iy 2 C

hei�t z := x� iy, die zu z konjugiert komplexe Zahl.

Bemerkungen.

(a) Jede komplexe Zahl z = x+ iy l�asst sich mit dem Punkt (x; y) 2 R2 identi�zieren.

Die Addition der beiden komplexen Zahlen z1 = x1+iy1 und z2 = x2+iy2 entspricht

dann gerade der Vektoraddition von (x1; y1) 2 R2 und (x2; y2) 2 R2. Aufgrund

dieser Interpretation der komplexen Zahlen als Punkte des R2 nennt man C auch

die komplexe Zahlenebene oder Gau�sche Zahlenebene.

(b) Identi�ziert man R mit fx+i0 : x 2 Rg � C, so enth�alt der K�orper der komplexen

Zahlen den K�orper der reellen Zahlen (als K�orper !). Man nennt fx+ i0 : x 2 Rgdeshalb auch die reelle Achse. Die Menge fiy : y 2 Rg � C hei�t imagin�are Achse.

(c) z entsteht aus z durch Spiegelung an der reellen Achse. Es gelten die Rechenregeln:

(c1) z1 + z2 = z1 + z2 und z1z2 = z1 � z2 f�ur alle z1; z2 2 C.

(c2) z + z = 2Re z und z � z = 2i Im z f�ur alle z 2 C.

(c3) F�ur z 2 C gilt: z = z () z 2 R.

(c4) zz = x2 + y2 2 R f�ur alle z = x+ iy 2 C.

33

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34 Komplexe Zahlen

Satz 7.1.

Die Menge C der komplexen Zahlen wird durch

jzj :=qx2 + y2 ; z = x+ iy 2 C

zu einem bewerteten K�orper.

Der Betrag jzj einer komplexen Zahl z = x + iy 2 C entspricht der euklidischen L�ange des

Vektors (x; y) 2 R2. F�ur reelles z stimmt jzj mit dem reellen Absolutbetrag von z �uberein.

Beweis. Es gilt stets jzj � 0 mit Gleichheit genau dann, wenn z = 0. Ferner ist wegen

jzj2 = zz sicher jz1z2j2 = z1z2z1z2 = z1z1z2z2 = jz1j2jz2j2. Es folgt jz1z2j = jz1j jz2j f�ur allez1; z2 2 C. Zur Dreiecksungleichung: Wir beachten jRe zj � jzj f�ur alle z 2 C und erhalten

jz1 + z2j2 = jz1j2 + 2Re(z1z2) + jz2j2 � jz1j2 + 2jz1jjz2j+ jz2j2 = (jz1j+ jz2j)2 :

Es folgt jz1 + z2j � jz1j+ jz2j. Damit sind (B1), (B2) und (B3) (siehe Seite 13) erf�ullt.

Bemerkung.

(a) F�ur z1; z2 2 C besagt die"Dreiecksungleichung\ jz1 � z2j � jz1j + jz2j, dass im

Dreieck mit den Eckpunkten 0, z1 und z2 die L�ange der Seite von z1 nach z2 nicht

gr�o�er ist als die Summe der L�angen der beiden anderen Seiten.

(b) Man beachte, dass C kein angeordneter K�orper ist. Man schreibt z.B. a > 0 f�ur

a 2 C ausschlie�lich dann, wenn a 2 R.

(c) F�ur a 2 C und r 2 R+ ist Kr(a) := fz 2 C : jz � aj < rg die"o�ene\ Kreisscheibe

mit Mittelpunkt a 2 C und Radius r > 0.

Lemma 7.2.

Eine Folge (an) komplexer Zahlen konvergiert genau dann, wenn die beiden reellen

Folgen (Re an) und (Im an) konvergieren. In diesem Fall gilt:

limn!1 an = lim

n!1Re an + i limn!1 Im an :

Geometrisch bedeutet an ! a, dass f�ur jedes " > 0 fast alle an in K"(a) liegen.

Beweis. Wir beachten wieder jRe zj � jzj und analog j Im zj � jzj f�ur alle z 2 C. Aus

an ! a 2 C folgt somit jRe an � Re aj � jan � aj ! 0 und j Im an � Im aj � jan � aj ! 0.

Umgekehrt gilt jzj = jRe z + i Im zj � jRe zj + j Im zj f�ur alle z 2 C, also jan � aj �jRe an � Re aj+ j Im an � Im aj ! 0, falls jRe an � Re aj ! 0 und j Im an � Im aj ! 0.

Beispiel.

Es gilt limn!1

n+2in+1 = lim

n!1

�nn+1 + i 2

n+1

�= lim

n!1nn+1 + i lim

n!12

n+1 = 1 :

Satz 7.3.

Der bewertete K�orper (C; j � j) der komplexen Zahlen ist vollst�andig.

Beweis. Es sei (an) eine Cauchy{Folge in (C; j � j). Wegen jRe an � Re amj � jan � amj istdann (Re an) und analog auch (Im an) eine Cauchy{Folge im vollst�andigen(!) K�orper (R; j � j)mit Limites x 2 R bzw. y 2 R. Es folgt an = Re an + i Im an ! x + iy 2 C mit Lemma

7.2.

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Komplexe Zahlen 35

Bemerkungen.

Die Gleichung z2 + 1 = 0 ist �uber dem K�orper der reellen Zahlen formulierbar, jedoch

nicht l�osbar. �Uber C besitzt die Gleichung z2 + 1 = 0 allerdings die beiden L�osungen

z1=2 = �i. Wegen z2+1 = (z�i)(z+i) gibt es auch keine weiteren komplexen L�osungen.

Das"Polynom\ z2+1 vom Grad 2 hat also genau zwei Nullstellen in C. Allgemein gilt:

Satz (Fundamentalsatz der Algebra).

Es sei p(z) = anzn+an�1z

n�1+ : : :+a1z+a0 ein Polynom mit komplexen Koe�zienten

a0; a1; : : : ; an 2 C und an 6= 0 vom genauen Grad n. Dann hat p"genau\ n komplexe

Nullstellen z1; : : : ; zn.

F�ur einen Beweis des Fundamentalsatzes der Algebra verweisen wir auf die Vorlesung

"Einf�uhrung in die Funktionentheorie\.

Ausblick (Komplexe Zahlen und"Schul\geometrie).

(a) Es sei r > 0 �xiert. Die Abbildung Sr : C ! C, Sr(z) := rz, d.h. die Multiplikation

mit einer positiven reellen Zahl r > 0, l�asst sich als Streckung mit dem Zentrum 0 und

Streckungsfaktor r interpretieren.

(b) Es sei z0 2 C �xiert. Die Abbildung Tz0 : C ! C, Tz0(z) := z + z0, d.h. die Addition

mit der komplexen Zahl z0, l�asst sich als Translation um z0 interpretieren.

(c) Die Hintereinanderschaltung der Streckung Sr und der Translation Tz0 f�uhrt auf die�Ahnlichkeitstransformation (Tz0 � Sr)(z) = rz + z0.

(d) Es sei C := fz 2 C : jzj = 1g die Einheitskreislinie. Die Abbildung I : Cnf0g ! Cnf0gde�niert durch I(z) := 1=z = z

jzj2 hei�t Spiegelung an C. Bezeichnet Cr(z0) := fz 2C : jz � z0j = rg die Kreislinie um z0 2 C mit Radius r, so bildet L := Tz0 � Srdie Einheitskreislinie bijektiv auf Cr(z0) ab. Die Abbildung ICr(z0) := L � I � L�1,

ICr(z0)(z) = z0+r2

z�z0 hei�t dann Spiegelung an Cr(z0). Dies sind an sich einfache, aber

faszinierende Objekte mit verbl�u�enden Eigenschaften. Wir m�ussen uns hier auf eine

"Andeutung\ beschr�anken:

Abbildung 7.1: Fortgesetzte Kreisspiegelungen bzw."Himmel und H�olle\ von M.C. Escher

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36 Komplexe Zahlen

Retrospektive

Wir haben im Verlauf dieser Vorlesung ausgehend von den rationalen Zahlen die reellen

und auch die komplexen Zahlen konstruiert. Die Existenz dieser Zahlen ist also gesichert,

falls man die Existenz der rationalen Zahlen akzeptiert. Die rationalen Zahlen lassen sich

wiederum in konsistenter Weise aus den ganzen und diese ihrerseits aus den nat�urlichen

Zahlen konstruieren. Setzt man also die nat�urlichen Zahlen als gegeben voraus, so l�asst sich

die Existenz der reellen und der komplexen Zahlen sicherstellen.

Weitergehende Informationen �uber den Aufbau der Zahlensysteme �ndet man im lesenswer-

ten Buch [3].

Zahlen sind Symbole des Verg�anglichen.

O. Spengler [16, S. 94]

Aufgaben zu x7

1. Man stelle die folgenden komplexen Zahlen in der Form a+ ib, a; b 2 R, dar.

(a)1

1 + i; (b)

3 + 4i

2� i ; (c)

�1 + i

1� i�k; k 2 Z:

2. Man zeichne die Punktmenge fz 2 C : jzj � 1; jRe zj � 1=2; Im z > 0g.

3. Beweisen Sie die Gleichung

jz + wj2 + jz � wj2 = 2�jzj2 + jwj2

�f�ur alle z;w 2 C und erl�autern Sie, warum man dies als Parallelogramm{Gesetz be-

zeichnet.

4. Es sei p(z) = anzn+an�1z

n�1+: : :+a1z+a0 ein Polynom mit komplexen Koe�zienten

a0; a1; : : : ; an 2 C und an 6= 0 vom genauen Grad n 2N mit n � 2.

(a) Ist z0 2 C mit p(z0) = 0, so zeige man, dass ein Polynom q vom genauen Grad

n� 1 existiert mit q(z)(z � z0) = p(z) f�ur alle z 2 C.

(b) Man pr�azisiere und beweise die Aussage, dass p h�ochstens n Nullstellen besitzt.

Jetzt beginnt die eigentliche Analysis.....

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x 8

Folgen reeller und komplexer Zahlen

Die Beweise ordnen die S�atze. Sie geben ihnen Zusammenhang.

L. Wittgenstein [22, S. 303]

Wir behandeln in diesem Kapitel Folgen reeller und komplexer Zahlen.

Satz 8.1 (Der Satz von Bolzano–Weierstraß).

Jede beschr�ankte Folge komplexer Zahlen besitzt eine konvergente Teilfolge.

Beweis. Es sei zun�achst (an)n eine beschr�ankte Folge in R.

(i) Es gibt ein M > 0 mit �M � an � M f�ur alle n 2 N. Wir konstruieren induktiv

�k; �k 2 R, derart, dass f�ur jedes k 2 N die Absch�atzung �k � an � �k f�ur unendlich viele

n 2N gilt und ferner �k � �k �M=2k�2 f�ur alle k 2N. ("Lion hunting !\)

Wir setzen �1 := �M und �1 := M . Dann ist �1 � �1 � 2M . Nun seien �k; �k bereits

konstruiert. Sei m := (�k + �k)=2. Nach Voraussetzung liegen unendlich viele an zwischen

�k und �k. Daher liegen unendlich viele an zwischen �k und m oder es liegen unendlich viele

an zwischen m und �k. Im ersten Fall setzen wir �k+1 := �k und �k+1 := m; im zweiten Fall

setzen wir �k+1 := m und �k+1 := �k. In beiden F�allen gilt dann �k+1��k+1 = (�k��k)=2 �M=2k�1.

(ii) Wir de�nieren jetzt induktiv eine Teilfolge (ank) mit �k � ank � �k f�ur jedes k 2N. Als

Induktionsbeginn setzen wir an1 := a1. Ist ank schon konstruiert, so liegen zwischen �k+1

und �k+1 unendlich viele Folgeglieder an also sicher auch ein ank+1 mit nk+1 > nk.

(iii) Die Teilfolge (ank) ist eine Cauchy{Folge in R, also konvergent. Dazu sei " > 0 vorge-

geben. Wir w�ahlen N 2 N, derart, dass M=2N�2 < ". Dann gilt f�ur alle k � N , dass ankzwischen �N und �N liegt, d.h. janj � ank j � �N � �N �M=2N�2 < " f�ur alle j; k � N gilt.

Schlie�lich sei jetzt (an) eine beschr�ankte Folge komplexer Zahlen. Dann ist (Re an) eine

beschr�ankte Folge in R und besitzt nach dem bereits Bewiesenen eine konvergente Teilfolge

(Re ank). Die reelle Folge (Im ank) ist ebenfalls beschr�ankt und besitzt wieder nach dem eben

Bewiesenen eine konvergente Teilfolge (Im ankj ). Die Teilfolge (ankj ) von (an) konvergiert

dann nach Lemma 7.2.

Definition.

Eine Zahl a 2 C hei�t H�aufungspunkt der Folge (an) in C, wenn es eine Teilfolge gibt,

die gegen a konvergiert.

Der Satz von Bolzano{Weierstra� besagt also: Jede beschr�ankte Folge in C besitzt (min-

destens) einen H�aufungspunkt. Die komplexe Folge ((i)n)n besitzt die H�aufungspunkte i,

�i , �1 und +1.

37

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38 Folgen reeller und komplexer Zahlen

Korollar 8.2.

Eine Folge in C konvergiert genau dann, wenn Sie beschr�ankt ist und genau einen

H�aufungspunkt besitzt.

Beweis. �Ubungsaufgabe 6.1.

Definition.

Eine reelle Folge (an) hei�t

(i) monoton wachsend, falls an+1 � an f�ur alle n 2N,

(ii) streng monoton wachsend, falls an+1 > an f�ur alle n 2N,

(iii) monoton fallend, falls an+1 � an f�ur alle n 2N,

(iv) streng monoton fallend, falls an+1 < an f�ur alle n 2N.

Beispiel 8.3.

Die durch

an :=nXk=0

1

k!; n 2N ;

de�nierte reelle Folge (an) ist streng monoton wachsend.

Definition.

Eine reelle Folge (an) hei�t von oben (bzw. unten) beschr�ankt, wenn es eine Zahl M 2 R

(bzw. m 2 R) gibt, derart, dass an � M f�ur alle n 2 N (bzw. an � m f�ur alle n 2 N).

Die Zahl M (bzw. m) hei�t dann obere (bzw. untere) Schranke der Folge (an).

Beispiel (Nochmal Beispiel 8.3).

Die Folge (an) 2 R aus Beispiel 8.3 ist nach �Ubungsaufgabe 1.4 durch M = 3 nach oben

beschr�ankt.

Satz 8.4 (Fundamentalsatz fur monotone Folgen).

Jede nach oben (unten) beschr�ankte monoton wachsende (fallende) Folge reeller Zahlen

konvergiert.

Beweis. Nach Satz 8.1 besitzt die beschr�ankte(!) Folge (an) eine konvergente Teilfolge (ank)

mit Limes a 2 R. Wir zeigen, dass an ! a. Dazu sei " > 0 gegeben. Dann gibt es ein k0 2N

mit jank � aj < " f�ur alle k � k0. Sei N := nk0 . Dann gibt es zu jedem n � N ein k � k0 mit

nk � n < nk+1, also ank � an � ank+1 (falls (an) monoton w�achst) bzw. ank � an � ank+1(falls (an) monoton f�allt). In beiden F�allen gilt jan�aj � maxfjank�aj; jank+1�ajg < ".

Beispiel (Nochmal Beispiel 8.3).

Die Folge (an) 2 R aus Beispiel 8.3 ist streng monoton wachsend und nach oben be-

schr�ankt, also konvergent. Ihr Grenzwert

e := limn!1

nXk=0

1

k!

hei�t Eulersche Zahl. Es gilt 2 < e � 3.

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Folgen reeller und komplexer Zahlen 39

Definition.

Eine Menge A � R hei�t von oben (bzw. unten) beschr�ankt, wenn es eine Zahl M 2 R

(bzw. m 2 R) gibt, derart, dass a � M f�ur alle a 2 A (bzw. a � m f�ur alle a 2 A). DieZahl M (bzw. m) hei�t dann obere (bzw. untere) Schranke der Menge A.

Beispiel 8.5.

Die Menge A := fx 2 R : x2 < 2g ist z.B. durch 3 nach oben beschr�ankt, d.h. 3 ist

eine obere Schranke f�ur diese Menge, denn w�are x > 3 f�ur ein x 2 A, so w�urde aus den

Anordnungsaxiomen x2 = x � x > 3 � 3 = 9 folgen.

Definition (sup, inf).

Es sei A � R eine Menge. Eine Zahl s 2 R hei�t Supremum der Menge A, falls s die

kleinste obere Schranke von A ist, d.h. falls gilt

(i) s ist eine obere Schranke von A, und

(ii) F�ur alle s0 < s gibt es ein a 2 A mit a > s0 ("Kein s0 2 R mit s0 < s ist eine obere

Schranke von A\).

Besitzt A ein (dann stets eindeutig bestimmtes) Supremum s 2 R, so schreibt man

s = supA. Andernfalls setzt man supA :=1. Die gr�o�te untere Schranke einer Menge

A � R hei�t In�mum von A und wird (im Falle der Existenz) mit inf A bezeichnet.

Anderenfalls sei inf A := �1.

Beispiel (Noch einmal Beispiel 8.5).

F�ur A := fx 2 R : x2 < 2g gilt supA =p2.p

2 ist n�amlich eine obere Schranke f�ur A (da aus x2 < 2 stets x �px2 <

p2 folgt). Es

gibt auch keine kleinere obere Schranke s0 f�ur A, denn sonst w�are x := (s0+p2)=2 <

p2,

also x2 < 2, d.h. x 2 A, im Widerspruch zu x > s0.

Satz 8.6.

Es sei A � R eine von oben (bzw. unten) beschr�ankte nichtleere Menge. Dann besitzt

A ein Supremum (bzw. In�mum) s 2 R.

Beweis. Es gibt ein x0 2 A und eine obere Schranke s0 2 R von A. Somit ist x0 � s0,

d.h. r := s0�x0 � 0. Wir konstruieren jetzt induktiv eine monoton wachsende Folge (xn) in

A und eine monoton fallende Folge (sn) von oberen Schranken sn von A mit sn�xn � 2�nrf�ur jedes n 2 N. Es seien x0 � x1 � : : : � xn und s0 � s1 � : : : � sn bereits konstruiert.

Wir betrachten m := (sn+xn)=2. Ist m eine obere Schranke von A, so setzen wir xn+1 := xnund sn+1 := m. Andernfalls ist m keine obere Schranke von A. Dann gibt es ein xn+1 2 Amit m < xn+1 � sn und wir setzen sn+1 := sn. Nach Konstruktion gilt in beiden F�allen

xn � xn+1, sn+1 � sn und sn+1 � xn+1 � 2�(n+1)r.

Die Folge (sn) ist also monoton fallend und z.B. durch x0 nach unten beschr�ankt, also kon-

vergent mit Limes s 2 R. Wir zeigen, dass s die kleinste obere Schranke von A ist. Ist x 2 A,so gilt x � sn f�ur alle n 2 N, also nach dem Sandwich{Theorem x � s. Somit ist s eine

obere Schranke von A. Jetzt sei s0 < s und n 2 N so gew�ahlt, dass 2�nr < s� s0. Dann ist

xn � sn � 2�nr � s� 2�nr > s0. Folglich ist s0 keine obere Schranke von A.

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40 Folgen reeller und komplexer Zahlen

Definition.

Es sei (an) eine reelle Folge. Dann de�niert man

lim supn!1

an := limn!1

�supfak : k � ng

�;

falls (an) nach oben beschr�ankt ist. Ansonsten setzt man lim supn!1

an :=1. Wir setzen

lim infn!1 an := lim

n!1

�inffak : k � ng

�;

falls (an) nach unten beschr�ankt ist. Ansonsten setzt man lim infn!1 an := �1.

Beispielsweise gilt lim supn!1

(�1)n = 1 und lim infn!1 (�1)n = �1.

Bemerkung.

Ist die reelle Folge (an) nach oben beschr�ankt, so gilt �n := supfak : k � ng � �n+1

f�ur jedes n 2 N. Der Grenzwert � := limn!1 �n = lim supn!1 an existiert also sicher

(evtl."uneigentlich\ mit � = �1). Entsprechendes gilt f�ur den lim inf.

Lemma 8.7.

Es seien (an) und (bn) reelle Folgen.

(a) F�ur � := lim supn!1

an und 2 R sind die folgenden Aussagen �aquivalent:

(i) � < .

(ii) Es gibt eine reelle Zahl K mit K < und an � K f�ur fast alle n 2N.

(b) F�ur a 2 R sind die folgenden Aussagen �aquivalent:

(i) an ! a.

(ii) lim supn!1

an = lim infn!1 an = a.

(c) Falls an � bn f�ur fast alle n 2N, so ist lim supn!1

an � lim supn!1

bn.

Beweis. (a) Wir bemerken zun�achst, dass in beiden F�allen, (i) bzw. (ii), die Folge (an) nach

oben beschr�ankt ist. Es sei �n := supfak : k � ng, so dass �n ! �.

(i) ) (ii): F�ur K 2 R mit � < K < gilt dann an � �n � K f�ur fast alle n 2N.

(ii) ) (i): (ii) impliziert �n � K < f�ur fast alle n 2N, also a � K <

(b) (i) ) (ii): Sei " > 0 vorgegeben. Aus an ! a folgt a � " < an < a + " f�ur fast alle

n 2N, also

a� " � �n := inffak : k � ng � supfak : k � ng =: �n � a+ "

f�ur fast alle n 2N. Daraus folgt �n ! a und �n ! a.

(ii) ) (i): Es gilt 0 �n � a � an � a � �n � a! 0, also an ! a (Sandwich{Theorem).

(c) Sei N 2N �xiert mit an � bn f�ur alle n � N . Es gilt dann ak � bk � supfbk : k � ng =:�n f�ur alle k � n � N . Es folgt �n := supfak : k � ng � �n f�ur fast alle n 2N und hieraus

lim supn!1

an = limn!1�n � lim

n!1�n = lim supn!1

bn.

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Folgen reeller und komplexer Zahlen 41

Satz 8.8.

Es sei (an) eine Folge komplexer Zahlen mit an 6= 0 f�ur fast alle n 2N. Dann gilt

lim infn!1

����an+1

an

���� � lim infn!1

n

qjanj � lim sup

n!1n

qjanj � lim sup

n!1

����an+1

an

���� :Beweis. Wir zeigen lediglich die \rechte\ Ungleichung

lim supn!1

n

qjanj � lim sup

n!1

����an+1

an

���� :Die

"linke\Ungleichung ergibt sich analog (�Ubungen). Die

"mittlere\ Ungleichung ist trivial.

Sei

� = lim supn!1

����an+1

an

���� :F�ur � = 1 ist die Behauptung klar. Falls � < 1, so w�ahle man ein K > �. Dann gibt es

ein N 2N mit jan+1=anj � K f�ur alle n � N . Insbesondere gilt

jaN+j j � KjaN+j�1j � K2jaN+j�2j � : : : � Kj jaN j

f�ur alle j 2N, d.h.

janj � jaN jK�N �Kn

f�ur alle n � N . Dies impliziert

n

qjanj � n

qjaN jK�N �K

f�ur alle n � N . Wegen n

qjaN jK�N ! 1 f�ur n ! 1 (�Ubungsaufgabe 5.3 (b)) ergibt sich

mithilfe von Lemma 8.7

lim supn!1

n

qjanj � K :

Da K > � beliebig war, folgt lim supn!1

npjanj � �.

Beispiele.

limn!1

npn = 1 ; lim

n!1npn! =1 :

Aufgaben zu x8

1. Beweisen Sie Korollar 8.2. (�Ubungsaufgabe)

2. Zeigen Sie, dass jede Folge reeller Zahlen eine monotone (wachsende oder fallende)

Teilfolge besitzt.

3. Es sei (an) eine Folge komplexer Zahlen mit an ! a. Man zeige, dass dann auch

1

n

nXk=1

ak ! a :

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42 Folgen reeller und komplexer Zahlen

4. Es sei (an) eine nach oben beschr�ankte Folge reeller Zahlen. Man zeige, dass

lim supn!1

an

der gr�o�te H�aufungspunkt von (an) ist.

5. Vervollst�andigen Sie den Beweis von Satz 8.8.

6. Supremum und In�mum lassen sich f�ur Teilmengen eines beliebigen angeordneten

K�orpers (K; >) vollkommen analog de�nieren. Beweisen Sie dann, dass die folgenden

Aussagen f�ur einen angeordneten K�orpers (K; >) �aquivalent sind:

(a) (K; >) ist vollst�andig.

(b) Jede nichtleere nach oben beschr�ankte Menge A � K besitzt ein Supremum supA

in K.

7. Es sei (an) ein beschr�ankte Folge in C, f�ur jedes k 2 N sei bk 2 C ein H�aufungspunkt

der Folge (an) und die Folge (bk) konvergiere gegen b 2 C. Zeigen Sie, dass b ein

H�aufungspunkt von (an) ist.

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x 9

Unendliche Reihen

Suchen wir unsere Zu ucht bei den Reihen !

L. Euler

Definition.

Es sei (an) eine komplexe Folge. Die durch

sn :=nXk=1

ak

de�nierte Partialsummenfolge (sn) hei�t dann (unendliche) Reihe und man setzt

1Xk=1

ak := (sn) :

Konvergiert die Partialsummenfolge (sn), so wird ihr Grenzwert s ebenfalls mitP1k=1 ak

bezeichnet. Dann und nur dann schreiben wir s =P1k=1 ak. Analog de�niert manP1

k=p ak f�ur p 2 Z und Folgen (ap; ap+1; : : :).

Warnung. Man beachte die doppelte Bedeutung ein und desselben Symbols1Pk=1

ak.

Es gibt zwei ubiquit�are Reihen in der Mathematik. Eine davon ist die geometrische Reihe.

Beispiel 9.1 (Die geometrische Reihe).

Es sei z 2 C mit jzj < 1. Dann gilt

1Xk=0

zk =1

1� z :

Beweis. Nach der geometrischen Summenformel (Satz 1.8) gilt

sn :=nXk=0

zk =1� zn+1

1� z :

Nach Beispiel 4.4 ist zn+1 ! 0 f�ur n ! 1, falls jzj < 1, also folgt sn ! 1=(1 � z) f�ur allejzj < 1.

Beispielsweise gilt also

1 +1

2+

1

4+

1

8+

1

16+ : : : =

1Xk=0

�1

2

�k=

1

1� 12

= 2 :

43

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44 Unendliche Reihen

(Diese Gleichung l�asst sich auch in der Schule { zumindest anschaulich { behandeln. Man

interpretiere die Zahl (1=2)k als Fl�acheninhalt eines Rechtecks der Breite 1 und H�ohe (1=2)k

und setze die Rechtecke �ubereinander.)

Beispiel 9.2 (Die harmonische Reihe).

Die Reihe 1Xn=1

1

n

divergiert.

Beweis. Man beachte

s2k+1 � s2k =2k+1X

j=2k+1

1

j� 2k

2k+1=

1

2; k � 0 ;

d.h.

s2n =nXk=0

(s2k+1 � s2k) + s1 � n

2+ 1!1 :

[Dies ist der formale Beweis. F�ur die Idee dahinter beachte man die Vorlesung.]

Satz 9.3 (Rechenregeln fur unendliche Reihen).

Es seien (an) und (bn) komplexe Folgen. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) Falls1Pk=1

ak = a und1Pk=1

bk = b, so gilt1Pk=1

(ak � bk) = a� b.

(b) Falls1Pk=1

ak = a und c 2 C, so gilt1Pk=1

cak = ca.

Die Regeln (a) und (b) folgen durch Anwendung von Satz 4.2 (b) und (c) auf die Folgen der

Partialsummen.

In der Sprache der Linearen Algebra bedeutet Satz 9.3, dass die konvergenten komplexen

(bzw. reellen) Reihen einen komplexen (bzw. reellen) Vektorraum V bilden und dass die

Abbildung, die jeder konvergenten Reihe ihren Grenzwert zuordnet, eine lineare Abbildung

von V nach C (bzw. R) ist.

Satz 9.4 (Cauchy–Kriterium).

Eine komplexe Reihe1Pk=1

ak konvergiert genau dann, wenn

8">0 9N2N 8m�n�N�����mXk=n

ak

����� < " :

Beweis. Man beachte, dassmXk=n

ak = sm � sn�1

f�ur alle m � n � 2. Die angegebene Bedingung besagt also gerade, dass die Partialsummen-

folge (sn) eine Cauchy{Folge ist. Da der bewertete K�orper (C; j � j) vollst�andig ist, ist dies

gleichbedeutend damit, dass die Partialsummenfolge (sn) einen Grenzwert (in C) besitzt.

Dies ist wiederum �aquivalent zur Konvergenz der ReiheP1k=1 ak.

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Unendliche Reihen 45

Das Cauchy{Kriterium ist vor allem f�ur theoretische �Uberlegungen �au�erst wichtig.

Korollar 9.5.

Es sei (an) eine komplexe Folge.

(a) Falls bk = ak f�ur fast alle k 2N, so gilt:

1Xk=1

ak konvergiert ()1Xk=1

bk konvergiert.

Die Reihenwerte werden sich aber i.Allg. unterscheiden.

(b) Falls die Reihe1Pk=1

ak konvergiert, so ist die Summandenfolge (an) eine Nullfolge.

Dass die Bedingung"an ! 0\ zwar notwendig, aber nicht hinreichend f�ur die Konvergenz

der ReiheP1k=1 ak ist, zeigt das Beispiel der harmonischen Reihe. Korollar 9.5 zeigt auch,

dass die geometrische ReiheP1k=0 z

k f�ur jedes z 2 C mit jzj � 1 divergiert.

Satz 9.6.

Eine reelle ReiheP1k=1 ak mit ak � 0 f�ur fast alle k 2N konvergiert genau dann, wenn

ihre Partialsummenfolge beschr�ankt ist.

Beweis. Wegen ak � 0 f�ur alle k � N (f�ur ein N 2N) ist die Partialsummenfolge (Pnk=1 ak)

(ab dem Index N) monoton wachsend. Nach Satz 8.4 und Satz 4.2 (a) ist sie also genau dann

konvergent, wenn sie beschr�ankt ist.

Beispiel 9.7.

Es sei � 2 Q. F�ur � > 1 konvergiert die Reihe

1Xn=1

1

n�;

divergiert aber f�ur � � 1.

Beweis. Sei � > 1. Wegen 1=n� � 0 m�ussen wir nur zeigen, dass die Partialsummen nach

oben beschr�ankt sind. Dazu �xiere man ein N 2 N und dann ein k 2 N mit N � 2k � 1.

Dann gilt

sN � s2k�1 =kXq=1

0@ 2q�1Xn=2q�1

1

n�

1A � kX

q=1

2q�1

2(q�1)�<

1Xq=1

�2

2�

�q�1

=1

1� 21��:

F�ur � � 1 gilt 1=n� � 1=n und die Divergenz vonP1n=1 1=n

� folgt aus Satz 9.6 und Beispiel

9.2, das zeigt, dass die Partialsummenfolge vonP1n=1 1=n unbeschr�ankt ist.

Satz 9.8 (Leibniz–Kriterium).

Es sei (an) eine reelle monoton fallende Nullfolge. Dann konvergiert die alternierende

Reihe1Pk=1

(�1)kak.

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46 Unendliche Reihen

Beweis. Man beachte sn � sn�2 = (�1)n (an � an�1). Da an � 0, ist (s2n) monoton fallend

und (s2n+1) monoton wachsend. (s2n) ist wegen s2n = s2n+1 + a2n+1 � s1 nach unten und

(s2n+1) ist wegen s2n+1 = s2n � a2n+1 � s2 nach oben beschr�ankt, also beide konvergent.

Da s2n � s2n�1 = a2n und (an) eine Nullfolge ist, haben beide denselben Grenzwert s. Zu

vorgegebenem " > 0 gilt also js2n � sj < " und js2n+1 � sj < " f�ur jeweils fast alle n 2 N,

d.h. jsn � sj < " f�ur fast alle n 2N. Folglich ist (sn) konvergent.

Bemerkung.

Unter den Voraussetzungen des Leibniz{Kriteriums gelten die Fehlerabsch�atzungen:

�a2n+1 �1Xk=1

(�1)kak �2nXk=1

(�1)kak � 0 ; 0 �1Xk=1

(�1)kak �2n+1Xk=1

(�1)kak � a2n+2 :

Beispiel 9.9.

Die alternierende harmonische Reihe

1Xk=1

(�1)k�1

k

konvergiert.

Wir werden sp�ater zeigen, dass die alternierende harmonische Reihe den Wert ln 2 besitzt

(siehe Korollar 17.8). Dazu ist die obige Fehlerabsch�atzung essentiell.

Aufgaben zu x9

1. Untersuchen Sie die folgenden Reihen auf Konvergenz

1Xk=1

(�1)kk2 + k

k3 + 1;

1Xk=1

k2 + k2k

3k;

1Xn=1

��1 +

1

n

�n� 1

�;

1Xj=3

1

j(j � 2):

2. Untersuchen Sie die Reihe 1Xk=1

1

k1+1=k

auf Konvergenz.

Hinweis: Aufgabe x5.4. (�Ubungsaufgabe)

3. Es sei (an) eine komplexe Folge. Man zeige, dass die TeleskopreiheP1k=1(ak+1 � ak)

genau dann konvergiert, wenn die Folge (an) gegen ein a 2 C konvergiert. Der Wert

der Reihe ist dann a� a1. Bestimmen Sie damit den Wert der Reihe

1Xk=1

1

k(k + 1):

4. Beweisen Sie die folgende Verallgemeinerung des Leibniz{Kriteriums: Es sei (an) eine

monotone fallende Nullfolge reeller Zahlen. Dann konvergiert die ReiheP1k=1 akz

k f�ur

alle jzj � 1, au�er m�oglicherweise z = 1. (�Ubungsaufgabe)

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Unendliche Reihen 47

5. Es sei (aj) eine reelle Folge nicht{negativer reeller Zahlen, derart, dassP1j=1 aj konver-

giert. Zeigen Sie, dass es eine Folge (nj) � N mit limj!1 nj = +1 gibt, derart, dassP1j=1 njaj konvergiert.

L�osungsskizze: Zu jedem k 2N existiert ein Nk 2N mit1P

j=Nk

aj <1k3 . O.E. kann man

NK+1 > Nk f�ur alle k 2N annehmen. Dann gilt

N1Xj=1

aj +1Xk=1

Nk+1�1Xj=Nk

kaj �N1Xj=1

aj +1Xk=1

1

k2<1 :

6. Es sei : [0; 1) ! R eine Funktion, derart, dass (0) = 1, (r) ! 1 f�ur r ! 1 und

(r1) � (r2) f�ur alle 0 � r1;� r2 < 1. Dann existiert eine Folge (nk) in N, derart,

dass 1Xk=1

rnk � (r)

f�ur alle 0 � r < 1.

Duren, Schuster, S. 80/81.

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x 10

Absolut konvergente Reihen

Was wir mathematisch festlegen, ist nur zum kleinen Teil ein objektives Faktum, zum

gr�o�eren Teil eine �Ubersicht �uber M�oglichkeiten.

Werner Heisenberg

Definition.

Die komplexe Reihe1Pk=1

ak hei�t absolut konvergent, wenn die Reihe1Pk=1jakj konvergiert.

Satz 10.1.

Falls die komplexe ReiheP1k=1 ak absolut konvergiert, so konvergiert die Reihe

P1k=1 ak

auch im gew�ohnlichen Sinn und f�ur die Grenzwerte gilt�����1Xk=1

ak

����� �1Xk=1

jakj :

Die Umkehrung ist i.Allg. falsch (vgl. alternierende harmonische Reihe).

Beweis. Wegen der Dreiecksungleichung�����nX

k=m

ak

����� �nX

k=m

jakj

folgt die Behauptung aus dem Konvergenzkriterium von Cauchy (Satz 9.4).

Bemerkung.

In Satz 10.1 spielt aufgrund der Verwendung des Cauchyschen Konvergenzkriteriums

die Vollst�andigkeit von C eine entscheidende Rolle.

Satz 10.2 (Majorantenkriterium).

Es seiP1k=1 ak eine komplexe Reihe. Gibt es dann ck � 0 mit jakj � ck f�ur fast alle

k 2 N, derart, dass die ReiheP1k=1 ck konvergiert, dann ist die Reihe

P1k=1 ak absolut

konvergent.

Die Reihe1Pk=1

ck hei�t dann konvergente Majorante von1Pk=1

ak.

Beweis. Die Partialsummen der konvergenten ReiheP1k=1 ck sind beschr�ankt, also auch die

Partialsummen der ReiheP1k=1 jakj, die folglich konvergiert (vgl. Satz 9.6).

Beispiel.

Die Reihe1Pn=1

n!=nn konvergiert, dan!

nn=

1 � 2 � : : : � nn � n � : : : � n �

2

n2und

1Xn=1

1

n2konvergiert.

49

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50 Absolut konvergente Reihen

Satz 10.3 (Wurzelkriterium).

Es sei (an) eine komplexe Folge.

(a) Falls L := lim supn!1

npjanj < 1, so konvergiert die Reihe

1Pk=1

ak absolut.

(b) Falls L := lim supn!1

npjanj > 1, so divergiert die Reihe

1Pk=1

ak.

Beweis. Man beachte zun�achst (Lemma 8.7 (a))

lim supn!1

n

qjanj < 1 () 9K<1

n

qjanj � K f�ur fast alle n 2N :

(a) Die Bedingung lim supn!1 npjanj = L < 1 zeigt also, dass es ein K < 1 und eine N 2N

gibt mit npjanj � K < 1 f�ur alle n � N . Somit ist janj � Kn f�ur alle n � N . Die geometrische

ReiheP1k=N K

n ist also eine konvergente Majorante f�urP1k=N jakj.

(b) Es gilt janj � 1 f�ur unendliche viele n 2 N. Die Folge der Summanden ist also keine

Nullfolge und die ReiheP1k=1 ak ist somit divergent.

Bemerkung (Wichtiger Spezialfall).

Falls s = limn!1

npjanj existiert und s < 1, so konvergiert die Reihe

1Pk=1

ak absolut.

Beispiele.

F�ur an = n2=2n gilt npjanj = ( n

pn)2=2! 1=2. Die Reihe

P1k=1 k

2=2k ist also konvergent.

F�ur an = 1=n gilt npjanj = n

p1=n ! 1. Mithilfe des Wurzelkriteriums alleine l�asst sich

also nicht entscheiden, ob die ReiheP1k=1 1=k konvergiert.

Gilt an 6= 0 f�ur fast alle n 2N, so folgt wegen

lim supn!1

n

qjanj � lim sup

n!1

����an+1

an

����(siehe Satz 8.8) Teil (a) des folgenden wichtigen Satzes.

Satz 10.4 (Quotientenkriterium).

Es sei (an) eine komplexe Folge mit an 6= 0 f�ur fast alle n 2N.

(a) Falls L := lim supn!1

���an+1an

��� < 1, so konvergiert die Reihe1Pk=1

ak absolut.

(b) Falls���an+1an

��� � 1 f�ur fast alle n 2N, so divergiert die Reihe1Pk=1

ak.

Beweis. (b) Es ist jan+1j � janj f�ur fast alle n 2N, d.h. (an) ist keine Nullfolge, alsoPak

divergent.

Satz 10.4 (a) ist schw�acher als Satz 10.3 (a), daf�ur aber u.U. leichter anwendbar, da die

Voraussetzung evtl. einfacher nachzuweisen ist.

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Absolut konvergente Reihen 51

Beispiel.

Es sei an := (n!)2

(2n)! . Dann gilt

an+1

an=

(n+ 1)2

(2n+ 2)(2n+ 1)! 1

4< 1 :

Die Reihe1Pk=1

(k!)2

(2k)! ist also konvergent.

Definition (Umordnung von Reihen).

Es seiP1k=1 ak eine komplexe Reihe und � : N ! N eine bijektive Abbildung. Dann

hei�tP1k=1 a�(k) eine Umordnung der gegebenen Reihe.

Satz 10.5.

Es seiP1k=1 ak eine absolut konvergente komplexe Reihe mit Limes A. Dann konvergiert

jede Umordnung dieser Reihe ebenfalls gegen A.

Beweis. Es sei � : N ! N bijektiv und " > 0 vorgegeben. Dann gibt es ein N 2 N mitP1k=N jakj < "=2. Dies impliziert

�����A�N�1Xk=0

ak

����� < "=2 :

Wir w�ahlen nun N1 2 N, derart, dass f� (1); : : : ; � (N1)g � f1; 2; : : : ; N � 1g. Dann gilt f�ur

alle m � N1�����mXk=1

a�(k) � A����� �

�����mXk=1

a�(k) �N�1Xk=1

ak

�����+�����N�1Xk=1

ak � A����� �

1Xk=N

jakj+ "

2< " :

Definition (Cauchy–Produkt).

Es seienP1k=0 ak und

P1k=0 bk komplexe Reihen. Wir setzen

ck :=kXj=0

ajbk�j :

Dann hei�t die unendliche ReiheP1k=0 ck das Cauchy{Produkt von

P1k=0 ak und

P1k=0 bk.

Satz 10.6 (Multiplikation von Reihen).

Es seienP1k=0 ak und

P1k=0 bk absolut konvergente komplexe Reihen. Dann konvergiert

auch die ReiheP1k=0 ck mit

ck :=kXj=0

ajbk�j

absolut und es gilt 1Xk=0

ak

!� 1Xk=0

bk

!=

1Xk=0

ck :

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52 Absolut konvergente Reihen

Beweis. Wir beweisen den Satz nur f�ur reelle Reihen, da sich der komplexe Fall durch Zer-

legung in Real{ und Imagin�arteil auf den reellen Fall zur�uckf�uhren l�asst.

Es seien also (an) und (bn) reelle Folgen.

1. Fall: an � 0 und bn � 0 f�ur alle n = 0; 1; : : :.

Wir bezeichnen die Partialsummenfolge vonP1k=0 ak mit (sn), diejenige von

P1k=0 bk mit

(tn) und diejenige vonP1k=0 ck mit (un). Dann gilt

sn � tn � u2n � s2n � t2n :

Es folgt

limn!1u2n = lim

n!1 sn � limn!1 tn =

1Xk=0

ak

!� 1Xk=0

bk

!:

Da die Folge (un) monoton w�achst, ist sie konvergent mit Limes limn!1 u2n.

2. Fall: bn � 0 f�ur alle n = 0; 1; : : :.

Wir setzen

a+n := maxfan; 0g � 0 ; a�n := �minf0; ang � 0 ; d.h. an = a+n � a�n :

DaP1k=0 ak absolut konvergiert und a+n � janj bzw. a�n � janj konvergieren die ReihenP1

k=0 a+k und

P1k=0 a

�k (absolut) und es gilt mithilfe des 1. Falls:

1Xk=0

ck =1Xk=0

0@ kXj=0

a+j bk�j

1A+

1Xk=0

0@� kX

j=0

a�j bk�j

1A

=

1Xk=0

a+k

!� 1Xk=0

bk

!+

1Xk=0

�a�k!� 1Xk=0

bk

!

=

1Xk=0

ak

!� 1Xk=0

bk

!:

3. Fall: allgemein

Wir setzen

b+n := maxfbn; 0g � 0 ; b�n := �minf0; bng � 0 ; d.h. bn = b+n � b�n

und f�uhren die Behauptung mithilfe der Methode von Fall 2 auf diesen zur�uck.

Aufgaben zu x10

1. (Koebe{Funktion)

Zeigen Sie mithilfe von Satz 10.6, dass f�ur alle z 2 C mit jzj < 1 gilt:

z

(1� z)2 =1Xk=1

kzk :

(�Ubungsaufgabe)

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Absolut konvergente Reihen 53

2. Schreiben Sie die Zi�ern Ihres Geburtsdatums hintereinander. Die so erhaltene ganze

Zahl mit � 8 Zi�ern nennen wir L. Zeigen Sie, dass es f�ur jede konvergente, aber nicht

absolut konvergente Reihe (z.B. die alternierende harmonische Reihe) eine Umordnung

gibt deren Limes = L ist.

3. Zeigen Sie anhand eines Beispiels, dass aus an 6= 0 f�ur fast alle n 2N und

lim supn!1

����an+1

an

���� > 1

nicht notwendigerweise die Divergenz der ReiheP1k=1 ak folgt.

4. Vervollst�andigen Sie den Beweis von Satz 10.6 f�ur komplexe Reihen.

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x 11

Potenzreihen

Die Potenzreihen sind deshalb besonders bequem, weil man mit ihnen fast wie mit Polyno-

men rechnen kann.

C. Carath�eodory [1, S. 205]

Mithilfe unendlicher Reihen lassen sich"interessante\ Funktionen konstruieren.

Definition (Potenzreihen).

Es sei (ak) eine komplexe Folge. Dann hei�t f�ur jedes z 2 C die Reihe

1Xk=0

akzk

Potenzreihe mit den Koe�zienten ak.

Ist (ak) eine endliche Folge, d.h. gilt an = 0 f�ur alle n > N , aber aN 6= 0, so ist die zugeh�orige

Potenzreihe ein Polynom

NXk=0

akzk = a0 + a1z + a2z

2 + : : :+ aNzN

vom Grade N . Potenzreihen sind also"verallgemeinerte\ Polynome.

Satz 11.1 (Cauchy–Hadamard).

Es sei (an) eine komplexe Folge

:= lim supn!1

n

qjanj :

Wir setzen

R :=

8>>>>><>>>>>:

0 =11

falls 0 < <1

1 = 0

Dann konvergiert die Potenzreihe1Pk=0

akzk f�ur alle jzj < R absolut und divergiert f�ur

alle jzj > R.

Beweis. F�ur z = 0 konvergiertP1k=0 akz

k stets. Sonst gilt

L� := lim supn!1

n

qjanznj = jzj � lim sup

n!1n

qjanj

8<:< 1 falls jzj < R ;

> 1 falls jzj > R :

Die Behauptung folgt somit aus dem Wurzelkriterium (Satz 10.3).

55

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56 Potenzreihen

Die Zahl R hei�t dementsprechend Konvergenzradius und die o�ene Kreisscheibe KR(0) :=

fz 2 C : jzj < Rg hei�t Konvergenzkreisscheibe der Potenzreihe P1k=0 akz

k. Man beachte,

dass KR(0) = C f�ur R = 1 und KR(0) = ; f�ur R = 0. F�ur eine PotenzreiheP1k=0 akz

k

mit Konvergenzradius R ist also durch f(z) :=P1k=0 akz

k f�ur z 2 KR(0) eine Funktion

f : KR(0)! C de�niert.

Beispiel 11.2.

Die PotenzreiheP1k=1

zk

k hat den Konvergenzradius R = 1. Sie konvergiert f�ur z = �1(alternierende harmonische Reihe), divergiert aber f�ur z = 1 (harmonische Reihe).

Auf dem"Rand\ der Konvergenzkreisscheibe kann also sowohl Konvergenz, als auch

Divergenz auftreten.

Wir k�onnen jetzt die wichtigste Funktion der Mathematik de�nieren:

Beispiel 11.3.

Die Exponentialreihe

exp(z) :=1Xk=0

zk

k!

besitzt den Konvergenzradius R =1, denn es gilt

lim supn!1

n

q1=n! � lim sup

n!1n!

(n+ 1)!= 0 :

Die dadurch auf ganz C de�nierte Funktion exp : C! C hei�t Exponentialfunktion.

Spezialisiert man die Rechenregeln f�ur unendliche Reihen auf Potenzreihen, so erh�alt man:

Satz 11.4 (Rechenregeln fur Potenzreihen).

Es seienP1k=0 akz

k undP1k=0 akz

k Potenzreihen mit Konvergenzradius R1 bzw. R2.

Dann gilt f�ur alle jzj < minfR1; R2g

(a)1Pk=0

akzk +

1Pk=0

bkzk =

1Pk=0

(ak + bk)zk (Satz 9.3)

(b)1Pk=0

akzk �

1Pk=0

bkzk =

1Pk=0

kPj=0

ajbk�j

!zk (Cauchy{Produkt; Satz 10.6)

d.h. der Konvergenzradius der Potenzreihen rechts ist mindestens gleich minfR1; R2g.

Satz 11.5.

Es sei f(z) =P1k=0 akz

k eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0 und an 6= 0 f�ur

ein n 2N0. Dann gibt es eine Kreisscheibe in KR(0) um 0, die h�ochstens endlich viele

Nullstellen von f enth�alt.

Beweis. Es sei N 2 N0 die kleinste Zahl mit aN 6= 0 und r 2 R mit 0 < r < R sei �xiert.

Dann gilt

���f(z)� aNzN ��� � 1Xk=N+1

jakj � jzjk �0@ 1Xk=N+1

jakj � jrjk�N�1

1A � jzjN+1 =: c � jzjN+1 (*)

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Potenzreihen 57

f�ur alle jzj < r. W�are die Behauptung falsch, so g�abe es in jedem der Kreise Kr=k(0), k 2N,

eine Nullstelle zk 6= 0. Aus (*) erg�abe sich jaN j � cjzkj. Wegen zk ! 0 folgte daraus aN = 0.

Widerspruch !

Korollar 11.6 (Identitatsprinzip).

Es seien f(z) =P1k=0 akz

k und g(z) =P1k=0 bkz

k Potenzreihen mit positiven Konver-

genzradien. Ferner sei f(zn) = g(zn) f�ur eine Nullfolge (zn) mit zk 6= 0. Dan gilt ak = bkf�ur alle k 2N0.

Aufgaben zu x11

1. Man beweise: Falls an 6= 0 f�ur fast alle n 2N und der Limes

q := limn!1

����an+1

an

����existiert, so ist R := 1=q der Konvergenzradius der Potenzeihe

P1k=0 akz

k. Wir benutzen

hierbei wieder die Konvention 1=1 = 0 und 1=0 =1. (�Ubungsaufgabe)

2. Bestimmen Sie jeweils den Konvergenzradius der folgenden Potenzreihen

1Xk=0

z2k

;1Xk=0

zk! ;1Xk=0

k! zk :

3. Es sei an = 2n, falls n gerade und an = 3n, falls n ungerade. Bestimmen Sie den

Konvergenzradius der PotenzreiheP1k=0 akz

k.

4. (Die Fibonacci{Zahlen)

Es sei a1 := 1, a2 := 1 und an+2 := an + an+1.

(a) Berechnen Sie den Konvergenzradius R > 0 der Potenzreihe

f(z) :=1Xk=0

ak+1zk

und zeigen Sie, dass (1� z � z2)f(z) = 1 f�ur alle z 2 KR(0).

(b) Finden Sie a; b; c; d 2 R mit

1

1� z � z2 = a � 1

1� bz + c � 1

1� dz(Partialbruchzerlegung)

(c) Benuzten Sie die geometrische Reihe und das Identit�atsprinzip, um die Fibonacci{

Zahlen an explizit mithilfe von a; b; c; d auszudr�ucken.

5. (Gerade und ungerade Funktionen)

Es sei f(z) =1Pk=0

akzk eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Man beweise:

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58 Potenzreihen

(a) Es gilt f(x) = f(�x) f�ur alle x 2 (�R;R) genau dann, wenn a2k�1 = 0 f�ur alle

k 2N.

(a) Es gilt f(x) = �f(�x) f�ur alle x 2 (�R;R) genau dann, wenn a2k = 0 f�ur alle

k 2N0.

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x 12

Die Exponentialfunktion

The mathematician's patterns, like the painter's or the poet's, must be beautiful; the ideas,

like the colors or the words, must �t together in a harmonious way. Beauty is the �rst test:

there is no permanent place in this world for ugly mathematics.

G. Hardy [5, S. 85]

Nach Beispiel 11.3 konvergiert die Exponentialreihe

exp(z) :=1Xk=0

zk

k!

f�ur jedes z 2 C. Dies de�niert die ubiquit�are Exponentialfunktion exp : C! C.

Satz 12.1.

Die Exponentialfunktion besitzt die folgenden Eigenschaften.

(a) (Funktionalgleichung der Exponentialfunktion)

Es gilt exp(z1 + z2) = exp(z1) exp(z2) f�ur alle z1; z2;2 C.

(b) exp(z) 6= 0 und exp(�z) = 1= exp(z) f�ur alle z 2 C.

(c) F�ur jedes x 2 R ist exp(x) > 0 und j exp(ix)j = 1.

(d) F�ur jzj � (n+ 1)=2 gilt die Restabsch�atzung�����exp(z)�nXk=0

zk

k!

����� � 2jzjn+1

(n+ 1)!:

Beweis. (a) Dies folgt mithilfe der binomischen Formel aus Satz 11.4

exp(z1) exp(z2) =1Xk=0

zk1k!�1Xk=0

zk2k!

=1Xk=0

0@ kXj=0

k!

j!(k � j)!zk1z

k�j2

1A 1

k!=

1Xk=0

(z1 + z2)k

k!

= exp(z1 + z2) :

(b) Es gilt 1 = exp(0) = exp(z � z) = exp(z) exp(�z) nach (a). Dies impliziert sowohl

exp(z) 6= 0 als auch exp(�z) = 1= exp(z) f�ur alle z 2 C.

(c) Die Aussage exp(x) > 0 ist f�ur x � 0 o�ensichtlich; f�ur x < 0 folgt sie aus exp(x) =

1= exp(�x). Es gilt ferner

exp(z) = limn!1

nXk=0

zk

k!= lim

n!1

nXk=0

zk

k!= lim

n!1

nXk=0

zk

k!= exp(z) :

59

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60 Die Exponentialfunktion

Damit gilt dann jeixj2 = eixe�ix = e0 = 1, also jeixj = 1 f�ur alle x 2 R.

(d) Wir sch�atzen den ReihenrestP1k=n+1 z

k=k! mithilfe der geometrischen Reihe ab und

beachten dazu, dass f�ur alle jzj � (n+ 1)=2

jzjkk!� jzjn+1

(n+ 1)!� jzjk�n�1

(n+ 2)k�n�1� jzjn+1

(n+ 1)!��1

2

�k�n�1

f�ur alle k � n+ 1 :

Dies ergibt ������1X

k=n+1

zk

k!

������ �1X

k=n+1

jzjkk!� jzjn+1

(n+ 1)!�1Xj=0

�1

2

�j=

2jzjn+1

(n+ 1)!:

Korollar 12.2.

F�ur die Eulersche Zahl e =1Pk=0

1k! gelten die folgenden Aussagen.

(a) e ist irrational.

(b) F�ur alle r 2 Q gilt exp(r) = er.

Beweis. (a) Annahme: e = p=q f�ur p; q 2 N. Nach Satz 12.1 (d) f�ur z = 1 gilt dann

0 < p=q �Pnk=0 1=k! � 2=(n+ 1)! f�ur alle n 2N, d.h.

0 < pn!

q�

nXk=0

n!

k!� 2

n+ 1:

F�ur n � maxfq; 2g steht in der Mitte dieser Ungleichung eine nat�urliche Zahl echt gr�o�er als

0 und echt kleiner als 1. Widerspruch !

(b) Aus Satz 12.1 (a) folgt induktiv exp(nz) = exp(z)n f�ur alle n 2 N und mit Satz 12.1

(b) dann auch f�ur alle n 2 Z. Sei r = p=q mit p 2 Z, q 2 N. Dann ist exp(r)q = exp(qr) =

exp(p) = exp(1)p = ep. Daraus ergibt sich exp(r) = er.

Bemerkung.

Aufgrund von Korollar 12.2 de�niert man f�ur jedes z 2 C

ez := exp(z) :

Man beachte aber, dass ez ausschließlich eine Abk�urzung f�ur exp(z), also f�ur den Grenz-

wert der konvergenten ReiheP1k=0 z

k=k! darstellt.

F�ur reelle x � 0 oder x � �1 ist o�enbar exp(x) � 1 + x. Tats�achlich gilt:

Satz 12.3.

Es gilt exp(x) � 1 + x f�ur alle x 2 R.

Beweis. Es bleibt noch exp(�x)� (1�x) � 0 f�ur 0 < x < 1 zu zeigen. Dies folgt aber sofort

aus der Fehlerabsch�atzung des Leibniz{Kriteriums unter Beachtung der Tatsache, dass f�ur

0 < x < 1 die Folge (xk=k!)k monoton fallend ist.

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Die Exponentialfunktion 61

Korollar 12.4 (Ungleichung zwischen dem arithmetischen und geometrischen Mittel).

Es seien x1; : : : ; xn positive reelle Zahlen. Dann gilt

npx1 � : : : � xn � 1

n

nXj=1

xj :

Beweis. Wir setzen xgeo := npx1 � : : : � xn und xari := (x1 + : : :+ xn)=n. Wir benuzten jetzt

Satz 12.3 f�ur xj=xari � 1 f�ur j = 1; : : : ; n zusammen mit der Funktionalgleichung f�ur die

Exponentialfunktion und erhalten

1 = exp

24 nXj=1

�xjxari

� 1

�35 =nYj=1

exp

�xjxari

� 1

��

nYj=1

xjxari

=

�xgeoxari

�n:

Dieser Beweis ist magisch; er stammt von G. P�olya.

Erganzungen

Satz 12.5.

F�ur jedes z 2 C gilt

exp(z) = limn!1

�1 +

z

n

�n:

Insbesondere gilt e = limn!1

�1 + 1

n

�n.

Beweis. Wir benutzen die binomische Formel (Aufgabe x1.2) und die Absch�atzung�nk

� �nk=k! f�ur alle 1 � k � n aus Aufgabe x2.5 zusammen mit der Restabsch�atzung und erhalten

f�ur festes m � 2jzj � 1 und jedes n � m������1 +

z

n

�n�

mXk=0

zk

k!

����� �mXk=0

����� n

k

!1

nk� 1

k!

����� jzjk +nX

k=m+1

n

k

!jzjknk

�mXk=0

����� n

k

!1

nk� 1

k!

����� jzjk +nX

k=m+1

jzjkk!

�mXk=0

����� n

k

!1

nk� 1

k!

����� jzjk + 2jzjm+1

(m+ 1)!:

Zu vorgegebenem " > 0 w�ahlen wir nun m 2N, so dass 2jzjm+1

(m+1)! < "=2. Es gilt dann

�����1 +

z

n

�n� exp(z)

���� �������1 +

z

n

�n�

mXk=0

zk

k!

�����+������

1Xk=m+1

zk

k!

������ �mXk=0

����� n

k

!1

nk� 1

k!

����� jzjk + " :

Da�nk

� 1nk! 1

k! f�ur jedes k = 1; : : : ;m f�ur n!1, gibt es ein N 2N, so dass�����1 +

z

n

�n� exp(z)

���� < 2"

f�ur alle n � N .

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62 Die Exponentialfunktion

Bemerkung.

Wir haben damit zwei"Formeln\ f�ur die Exponentialfunktion zur Verf�ugung. Die Ex-

ponentialreihe hat den Vorteil, dass Sie au�ergew�ohnlich"schnell\ konvergiert.

n�1 + 1

n

�n nPk=0

1k!

1 2:000000000 2:000000000

2 2:250000000 2:500000000

3 2:370370370 2:666666667

4 2:441406250 2:708333333

5 2:488320000 2:716666667

6 2:521626372 2:718055556

7 2:546499697 2:718253968

8 2:565784514 2:718278770

9 2:581174792 2:718281526

10 2:593742460 2:718281801

Zusammen mit der Restabsch�atzung erm�oglicht die Exponentialreihe au�erdem (wie

oben gesehen) einen relativ"einfachen\ Beweis f�ur die Irrationalit�at von e.

Die Formel

exp(z) = limn!1

�1 +

z

n

�nbesitzt f�ur reelles z eine Anwendung auf das

"Problem der stetigen Verzinsung\: Ein

Anfangskapital K w�achst bei einem Jahreszins p und bei Verzinsung jeweils nach dem

n{ten Teil eines Jahres in einem Jahr auf das Endkapital

K ��1 +

p

n

�nan. Bei

"stetiger\ Verzinsung (d.h. f�ur n ! 1) ergibt sich also ein Endkapital von

exp(p) �K.

Aufgaben zu x12

1. Es sei bn :=�1 + 1

n

�n+1f�ur n 2N. Beweisen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Die Folge (bn) konvergiert streng monoton fallend gegen die Eulersche Zahl e.

(b) Es gelten

(n+ 1)n

n!< en <

(n+ 1)n+1

n!und e�n(n+ 1)n < n! < e�n(n+ 1)n+1 :

(d) Es ist limn!1

npn!

n=

1

e.

2. Beweisen Sie

exp(x) � 1

1� xf�ur alle x 2 R mit x � 1.

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Die Exponentialfunktion 63

3. (AGM) Es sei 0 < a < b. Wir de�nieren rekursiv a0 := a, b0 := b und

an+1 :=panbn ; bn+1 :=

an + bn2

:

Man zeige

bn+1 � an+1 � 1

8a(bn � an)2

und folgere, dass die Folgen (an) und (bn) einen gemeinsamen Limes besitzen.

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x 13

Stetige Funktionen

Regeln des Lehrens. Die erste Regel des Lehrens ist, zu wissen, was man lehren mu�. Die

zweite Regel des Lehrens ist, mehr zu wissen als das, was man lehren mu�.

G. P�olya [14, S. 198]

Wir verbinden jetzt den Grenzwertbegri� und den Funktionsbegri�.

Definition.

Es sei D � C. Eine Funktion f : D ! C hei�t stetig im Punkt z0 2 D, wenn f�ur jede

Folge (zn) in D mit zn ! z0 gilt, dass f(zn) ! f(z0). f : D ! C hei�t stetig (auf D),

wenn f in jedem Punkt z0 2 D stetig ist.

Beispiel 13.1 (Polynome sind stetig).

Es sei p(z) = aNzN + : : : + a1z + a0 ein Polynom vom Grad � N . Dann ist p : C ! C

stetig.

Beweis. Sei z0 2 C �xiert und (zn) in C mit zn ! z0. Aus den Grenzwertrechenregeln

f�ur konvergente Folgen (Satz 4.2) folgt zkn ! zk0 und dann auch akzkn ! akz

k0 f�ur jedes

k 2 f0; 1; : : : ; Ng, d.h. p(zn)! p(z0) (p ist endliche Summe der Summanden akzk).

Beispiel 13.2 (Quadratwurzel).

Es sei D = [0;1) := fx 2 R : x � 0g. Dann ist f : D ! D de�niert durch f(x) :=px

f�ur x 2 D stetig auf [0;1).

Beweis. Es sei x0 2 D �xiert. Falls x0 > 0, so gilt

jpx�px0j = jx� x0jjpx+px0j �

jx� x0jpx0

f�ur alle x 2 D :

Ist nun (xn) eine Folge in D mit xn ! x0, also jxn�x0j ! 0, so folgt aus dieser Ungleichung

jpxn �px0j ! 0, alsopxn ! px0. Somit ist f in x0 stetig.

Nun sei x0 = 0 und (xn) aus D mit xn ! 0. Wir w�ahlen zu vorgegebenem " > 0 die Zahl

� := "2 > 0. Dann gibt es ein N 2 N mit jxnj = jxn � 0j < � f�ur alle n � N . Daraus folgt

jpxn �p0j = jpxnj = pxn <

p� = " f�ur alle n � N . Also folgt

pxn ! 0 =

p0.

Satz 13.3 ("–�–Kriterium fur Stetigkeit).

Eine Funktion f : D ! C ist genau dann stetig in z0 2 D, wenn es zu jedem " > 0 ein

� > 0 gibt, derart, dass aus jz � z0j < � stets jf(z)� f(z0)j < " folgt.

Man beachte, dass hierbei � (in der Regel) von z0 und " abh�angt. M�ochte man dies verdeut-

lichen, so schreibt man �("; z0) anstelle von �.

65

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66 Stetige Funktionen

Beweis. (i) Zu vorgegebenem " > 0 sei �("; z0) > 0 mit jf(z) � f(z0)j < " f�ur alle z 2 Dmit jz � z0j < �("; z0). Jetzt sei D 3 zn ! z0. Dann gibt es ein N = N("; z0) 2 N mit

jzn � z0j < �("; z0) f�ur alle n � N , also jf(z) � f(z0)j < " f�ur alle n � N("; z0). Dies zeigt

f(zn)! f(z0). Also ist f stetig.

(ii) Nun sei f stetig in z0. Widerspruchsannahme: Sei "0 derart, dass f�ur alle � > 0 ein z 2 Dmit jz � z0j < � existiert, so dass jf(z)� f(z0)j � "0. W�ahlt man � = 1=n, n 2N, so gibt es

also eine Folge (zn) in D mit jzn � z0j < 1=n, d.h. zn ! z0, und jf(zn) � f(z0)j � "0 > 0.

Dies widerspricht aber f(zn)! f(z0).

Bemerkung.

Eine Funktion f : D ! C ist also genau dann stetig in z0 2 D, wenn es zu jedem " > 0

ein � > 0 gibt mit f(K�(z0) \ D) � K"(f(z0)). Siehe Skizzen der Vorlesung f�ur D � C

und D � R.

Satz 13.4 (Rechenregeln fur stetige Funktionen).

Sind f; g : D ! C stetig in z0 2 D, dann sind auch die Summe

(f + g)(z) := f(z) + g(z) ; z 2 D ;

und das Produkt

(fg)(z) := f(z)g(z) ; z 2 Dstetig in z0. Gilt zus�atzlich g(z0) 6= 0, so ist auch der Quotient

(f=g)(z) := f(z)=g(z) ; z 2 D mit g(z) 6= 0 ;

stetig in z0. In diesem Fall gibt es ein � > 0 mit jg(z0)j > 0 f�ur alle z 2 D mit jz�z0j < �.

Beweis. Sei (zn) aus D mit zn ! z0. Dann gelten f(zn) ! f(z0) und g(zn) ! g(z0). Aus

den Rechenregeln f�ur konvergente Folgen (Satz 4.2) ergibt sich dann (f+g)(zn)! (f+g)(z0)

und (fg)(zn) ! (fg)(z0). Ist g(z0) 6= 0, so ist " := jg(z0)j=2 > 0. Es gibt also ein � > 0 mit

jg(z0)j � jg(z)j � jg(z)� g(z0)j < jg(z0)j=2, d.h. jg(z)j > " f�ur alle z 2 D mit jz� z0j < �. Es

gilt dann jzn�z0j < � f�ur fast alle n 2N, also g(zn) 6= 0 und f(zn)=g(zn)! f(z0)=g(z0).

Satz 13.5.

Es sei f(z) =P1k=0 akz

k eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann ist die

Funktion f : KR(0)! C stetig.

Es gilt daher f�ur jedes z0 2 KR(0) und jede Folge (zn) in KR(0) mit zn ! z0

limn!1 lim

N!1

NXk=0

akzkn = lim

N!1limn!1

NXk=0

akzkn :

Die beiden Grenzprozesse"n ! 1\ und

"N ! 1\ lassen sich also vertauschen! Dies ist

bemerkenswert und nicht(!) selbstverst�andlich (siehe Aufgabe x13.1).Beweis von Satz 13.5. (a) Es bezeichne pn(z) :=

Pnk=0 akz

k die n{te Partialsumme von

f(z). Der Punkt z0 2 KR(0) sei �xiert. Wir w�ahlen r > 0 und r0 > 0 mit jz0j < r0 < r < R.

Dann gibt es ein N1 2N mit kpjakj < 1=r f�ur alle k � N1, d.h.

jf(z)� pN (z)j �1X

k=N+1

jakj jzjk �1X

k=N+1

� jzjr

�k��r0

r

�N+1 1

1� r0

r

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Stetige Funktionen 67

f�ur alle N � N1 und alle jzj < r0.

(b) Nun sei " > 0 vorgegeben. Wir w�ahlen ein N 2N, derart, dass N � N1 und

�r0

r

�N+1 1

1� r0

r

<"

4:

Dann gibt es ein � > 0 mit jpN (z)�pN (z0)j < "=2 und jzj < r0 f�ur alle z 2 C mit jz�z0j < �.

Aus (a) und der Dreiecksungleichung ergibt sich

jf(z)� f(z0)j � jpN (z)� pN (z0)j+ jf(z)� pN (z)j+ jf(z0)� pN (z0)j < "

2+"

4+"

4= "

f�ur alle jz � z0j < �.

Beispiel 13.6.

Die Exponentialfunktion exp : C! C ist stetig auf C.

Beispiel 13.7.

Die Potenzreihe

f(z) =1Xk=0

(�1)kz2k =1Xk=0

(�z2)k

hat den Konvergenzradius R = 1. Sie konvergiert in der Kreisscheibe K1(0) und stimmt

dort aufgrund der geometrischen Summenformel mit g(z) = 11+z2 �uberein.

Im Komplexen kann man"sehen\, dass f(z) keinen Konvergenzradius R > 1 besitzen

kann. Anderenfalls n�amlich w�are f f�ur ein R > 1 im Kreis KR(0) stetig, d.h. f w�are

insbesondere f�ur z = i de�niert. Dies w�urde implizieren, dass

C 3 f(i) = limn!1 f(i� 1=n) = lim

n!11

1 + (i� 1=n)2:

Jedoch existiert der Grenzwert rechts wegen 1 + i2 = 0 nicht ! Dagegen ist g(x) = 11+x2

f�ur alle x 2 R de�niert. Verbleibt man im Reellen, so erscheint der Konvergenzradius

R = 1 f�ur die Potenzreihe der Funktion x 7! 11+x2 mysteri�os.

Definition.

Ein Punkt z0 2 C hei�t H�aufungspunkt der Menge D � C, wenn es (mindestens) eine

Folge (zn) in Dnfz0g gibt, so dass zn ! z0.

Dies ist �aquivalent dazu (siehe �Ubungsaufgabe 8.1), dass es zu jedem " > 0 einen Punkt

z 2 Dnfz0g in K"(z0) gibt. Man beachte, dass ein H�aufungspunkt einer Menge D nicht

Element der Menge D sein muss.

Beispiele 13.8.

(a) Die Menge aller H�aufungspunkte des o�enen Intervalls

(a; b) := fx 2 R : a < x < bg ; a; b 2 R; a < b ;

ist das abgeschlossene Intervall [a; b] := fx 2 R : a � x � bg.

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68 Stetige Funktionen

(b) Die Menge aller H�aufungspunkte von Q ist R.

(c) Die Menge f1=n : n 2Ng hat den einzigen H�aufungspunkt 0.

(d) Die Folge (in)n in C hat die H�aufungspunke 1, �1, i, �i; die Menge fin : n 2Nghat keinen H�aufungspunkt.

Definition (Funktionsgrenzwerte).

Es sei f : D ! C eine Funktion und a 2 C sei ein H�aufungspunkt von D. Wir schreiben

c = limz!a

f(z) ;

falls f�ur jede(!) Folge (zn) in Dnfag mit zn ! a gilt, dass f(zn)! c. Man sagt in diesem

Fall: f(z) konvergiert f�ur z ! a gegen c und schreibt kurz"f(z)! c f�ur z ! a\.

Beispiel 13.9.

Es sei f(z) := (ez � 1)=z und D = Cnf0g mit H�aufungspunkt 0. Nach Satz 12.1 (d) gilt

jez � (1 + z)j � jzj2 f�ur alle jzj � 1. Es folgt����ez � 1

z� 1

���� =����ez � (1 + z)

z

���� � jzj ! 0

f�ur z ! 0. Es gilt daher

limz!0

ez � 1

z= 1 :

Bemerkungen.

Es sei a ein H�aufungspunkt von D � C und f : D ! C. Ist a 2 D, so gilt:

f stetig in a () limz!a

f(z) = f(a) :

Ist a 62 D und gilt f(z)! c f�ur z ! a, so ist die durch

~f(z) :=

8<:f(z) f�ur z 2 Dc f�ur z = a :

de�nierte Funktion ~f stetig in z = a. Sie hei�t die stetige Fortsetzung von f nach a.

Die Funktion in Beispiel 13.9 besitzt also eine stetige Fortsetzung nach z = 0. Insbe-

sondere gelten damit die Rechenregeln f�ur stetige Funktionen (Satz 13.4) sinngem�a�:

Aus f(z)! c und g(z)! d f�ur z ! a folgt

(a) (f + g)(z)! c+ d;

(b) (fg)(z)! cd;

(c) (f=g)(z)! c=d, falls d 6= 0.

Definition (Einseitige Grenzwerte).

Es sei D � R und f : D ! C. Ist x0 2 R ein H�aufungspunkt von D+ := D \ (x0;1) und

f jD+ die Einschr�ankung von f auf D+, so setzen wir

limx!x0+

f(x) := limx!x0

f jD+(x) :

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Stetige Funktionen 69

Falls x0 2 D, so hei�t f rechtseitig stetig in x0, falls

f(x0) = limx!x0+

f(x) :

Ist x0 2 R ein H�aufungspunkt von D� := D\ (�1; x0) und f jD� die Einschr�ankung von

f auf D�, so setzen wir

limx!x0�

f(x) := limx!x0

f jD�(x) :

Falls x0 2 D, so hei�t f linksseitig stetig in x0, falls

f(x0) = limx!x0�

f(x) :

Beispiel 13.10.

Es gilt

limx!0�

1

xne1=x = 0 ; lim

x!0+xne1=x =1

f�ur jedes n 2N0.

Beweis. F�ur x > 0 beachte man e1=x � (1=x)k=k! (Exponentialreihe) f�ur alle k 2 N. Setzt

man k = n+ 1, so folgt

xne1=x � 1

(n+ 1)!x!1 f�ur x! 0 + :

F�ur x < 0 ist y := �x > 0, also

1

xne1=x =

(�1)nyne1=y

! 0 f�ur x! 0� :

Definition.

Es sei f : D ! C mit D � R, so dass D � [a;1) f�ur ein a 2 R. Wir setzen

limx!1 f(x) := lim

x!0+f(1=x) :

Ist f : D ! C mit D � R, so dass D � (�1; a] f�ur ein a 2 R, so setzen wir

limx!�1 f(x) := lim

x!0�f(1=x) :

Beispiel 13.11 (Wachstum der reellen Exponentialfunktion).

Es gilt

limx!�1x

nex = 0 ; limx!1

ex

xn=1

f�ur jedes n 2N0. Insbesondere gilt

limx!�1 e

x = 0 ; limx!1 e

x =1

Beispiel 13.12.

Es sei p(z) = anzn + : : :+ a1z + a0 ein Polynom mit an 6= 0. Dann gilt

limx!1

p(x)

anxn= lim

x!0

an + an�1x+ : : :+ a1xn�1 + a0x

n

an= 1 und analog lim

x!�1p(x)

anxn= 1 :

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70 Stetige Funktionen

Aufgaben zu x13

1. Man zeige

limn!1 lim

N!1

�1� 1

n

�N6= lim

N!1limn!1

�1� 1

n

�N:

2. Es seien n;m 2N. Berechnen Sie im Falle der Existenz den Grenzwert

limz!1

zn � 1

zm � 1:

3. Berechnen Sie den Grenzwert

limx!1

qx+px�px :

4. Eine Funktion f : D ! C de�niert auf D � C hei�t Lipschitz{stetig auf D, falls es eine

Konstante L > 0 gibt, derart, dass

jf(z1)� f(z0)j � Ljz1 � z0j f�ur alle z0; z1 2 D :

(a) Beweisen Sie, dass jede Lipschitz{stetige Funktion f : D ! C stetig auf D ist.

(b) Zeigen Sie, dass die Funktion f : [0;1)! R de�niert durch f(x) :=px f�ur x � 0

auf [0;1) nicht Lipschitz-stetig ist.

(c) Es sei a 2 C ein H�aufungspunkt von D � C und f : D ! C sei Lipschitz-stetig

auf D. Zeigen Sie, dass f eine stetige Fortsetzung auf D [ fag besitzt. BelegenSie anhand eines Beispiels, dass diese Aussage f�ur lediglich stetige Funktionen

f : D ! C auf D i.Allg. nicht gilt.

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x 14

Fundamentals�atze �uber stetige Funktionen

Une v�erit�e math�ematique en elle-meme n'est ni simple ni compliqu�ee, elle est.

�Emile Lemoine

Satz 14.1 (Zwischenwertsatz).

Es sei f : [a; b] ! R stetig. Dann nimmt f jeden Wert y0 zwischen f(a) und f(b) an

mindestens einer Stelle x0 2 [a; b] als Wert an, d.h. y0 = f(x0).

Beweis. Wir benutzen die Strategie des"Lion hunting\. Es gelte o.E. f(a) � f(b). Wir

konstruieren a � an � bn � b mit f(an) � y0 � f(bn) induktiv, derart, dass (an) monoton

w�achst, (bn) monoton f�allt und bn�an = (b�a)=2n�1 f�ur alle n 2N. Wir setzen a1 := a und

b1 := b. Sind an und bn bereits konstruiert, so setze man an+1 := an und bn+1 := (an+bn)=2,

falls f((an+bn)=2) � y0. Ansonsten de�nieren wir an+1 := (an+bn)=2 und bn+1 := an. Dann

ist (an) monoton wachsend, (bn) monoton fallend und es gilt bn � an = (b � a)=2n�1 ! 0.

Damit folgt an ! x0 und bn ! x0 f�ur ein x0 2 [a; b] und aufgrund der Stetigkeit von f auch

y0 � f(an)! f(x0) f(bn) � y0, d.h. f(x0) = y0.

Ausblick (Schule).

Wir sagen eine Funktion f : [A;B]! R besitze die Zwischenwerteigenschaft, wenn f�ur je zwei

Punkte a < b aus [A;B] jeder Wert zwischen f(a) und f(b) durch die Funktion im Intervall

[a; b] angenommen wird. Der Zwischenwertsatz besagt dann, dass jede stetige Funktion f :

[A;B]! R die Zwischenwerteigenschaft erf�ullt. Es gibt aber auch nicht stetige Funktionen,

die die Zwischenwerteigenschaft besitzen (siehe �Ubungsaufgabe 10.1). In der Schule wird oft

die folgende"Pseudode�nition\ f�ur Stetigkeit benutzt: Eine Funktion ist stetig, wenn man

ihren Graphen ohne Absetzen zeichnen kann. Dies ist aber nicht die Stetigkeit, sondern die

Zwischenwerteigenschaft einer Funktion.

Der ZWS ist f�ur stetige Funktionen f : [a; b] \ Q ! R i.Allg. falsch. Aus dem ZWS folgt,

dass f�ur jedes a 2 R+ die Gleichung x2 = a eine L�osung x 2 R+ besitzt, d.h. der Zwischen-

wertsatz sichert die Existenz von Quadratwurzeln. Diese hatten wir bereits in x6 direkt aus

der Vollst�andigkeit von R hergeleitet.

Beispiel 14.2 (Die reelle Exponentialfunktion).

Die stetige Funktion exp : R! R+ ist streng monoton wachsend und bijektiv.

Beweis. F�ur x1 < x2 aus R gilt x2 � x1 > 0, d.h. ex2�x1 > 1, also ex2 = ex2�x1ex1 > ex1 .

Also ist exp : R ! R+ streng monoton wachsend und daher insbesondere injektiv. Es sei

nun y0 2 R+ beliebig. Da ex ! 1 f�ur x ! 1 und ex ! 0 f�ur x ! �1 gibt es a < b mit

71

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72 Fundamentalsatze uber stetige Funktionen

ea < y0 < eb. Der Zwischenwertsatz garantiert, dass es ein x0 2 [a; b] gibt mit ex0 = y0.

Folglich ist exp : R! R+ auch surjektiv.

Definition.

Die Umkehrfunktion ln : R+ ! R der reellen Exponentialfunktion hei�t (nat�urlicher)

Logarithmus.

Die Logarithmusfunktion ist streng monoton wachsend und bildet R+ bijektiv auf R ab. Es

gelten

ln 1 = 0 ; limx!0+

lnx = �1 ; limx!1 lnx = +1

und die Funktionalgleichung

ln(ab) = ln(a) + ln(b) f�ur alle a; b 2 R+ :

Ferner ist (mit der Substitution x = ey) nach Beispiel 13.11

limx!0+

x lnx = limy!�1 e

yy = 0 :

Die Logarithmusfunktion ist stetig, denn:

Satz 14.3 (Stetigkeit der Umkehrfunktion).

Es sei f : [a; b] ! C injektiv und stetig. Dann ist die Umkehrfunktion f�1 : f([a; b]) ![a; b] stetig.

Beweis. Sei w0 2 f([a; b]) �xiert und f�1(w0). Sei (wn) eine Folge in f([a; b)] mit wn ! w0.

Wir m�ussen xn := f�1(wn) ! x0 := f�1(w0) zeigen. Die Folge (xn) liegt in [a; b], ist also

beschr�ankt und besitzt nach Satz 8.1 mindestens einen H�aufungspunkt ~x. Sei jetzt x0 ein(beliebiger) H�aufungspunkt von (xn). Es gibt also eine Teilfolge xnk in [a; b] mit xnk ! x0.Wegen a � xnk � b ist auch a � x0 � b. Die Stetigkeit von f impliziert dann Es gilt

dann f(x0) f(xnk) = wnk ! w0 = f(x0). Da f injektiv ist, folgt x0 = x0. Dies gilt f�ur

jeden H�aufungspunkt x0 von (xn). Die Folge (xn) hat also nur den einen H�aufungspunkt x0.

Korollar 8.2 impliziert xn ! x0.

Satz 14.4.

Es sei f : D ! C stetig in z0 2 D und g : E ! C mit E � f(D) sei stetig in w0 = f(z0).

Dann ist die zusammengesetzte Funktion (Komposition) g � f : D ! C, (g � f)(z) :=g(f(z)), z 2 D, stetig in z0.

Beweis. Sei (zn) eine Folge in D mit zn ! z0. Da f stetig in z0 ist, gilt f(zn)! w0 = f(z0)

in E. Aus der Stetigkeit von g in w0 ergibt sich g(f(zn))! g(w0) = g(f(z0)).

Korollar 14.5 (Allgemeine Potenzen).

Es sei a 2 R+. Dann besitzt die durch

az := ez ln a ; z 2 C ;

de�nierte Exponentialfunktion zur Basis a die folgenden Eigenschaften.

(a) az+w = azaw f�ur alle z;w 2 C.

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Fundamentalsatze uber stetige Funktionen 73

(b) z 7! az ist stetig auf C.

(c) F�ur a 6= 1 bildet x 7! ax die Menge der reellen Zahlen bijektiv auf R+ ab.

(d) x 7! ax ist streng monoton wachsend (bzw. fallend) auf R f�ur a > 1 (bzw. a < 1).

Beispiel 14.6.

Es gilt limx!0+

xx = 1.

Definition.

Eine Menge D � C hei�t abgeschlossen, wenn der Limes jeder konvergenten Folge in

D wieder zur Menge D geh�ort.

Beispielsweise sind die abgeschlossen Intervalle [a; b] abgeschlossen, die o�enen Intervalle

(a; b) aber nicht.

Satz 14.7 (Satz vom Maximum und Minimum).

Es sei D � C abgeschlossen und beschr�ankt. Die Funktion f : D ! R sei stetig. Dann

ist f beschr�ankt, d.h. es gibt ein M > 0 mit jf(z)j � M f�ur alle z 2 D. Ferner gibt es(mindestens) einen Punkt zmax 2 D mit f(zmax) � f(z) f�ur alle z 2 D und (mindestens)

einen Punkt zmin 2 D mit f(zmin) � f(z) f�ur alle z 2 D.

f(zmax) � f(z) f�ur alle z 2 D bedeutet, dass die Funktion f : D ! R in zmax ihr Maximum

(d.h. ihren gr�o�ten Wert) annimmt. Entsprechend bedeutet f(zmin) � f(z) f�ur alle z 2 D,dass f : D ! R in zmin ihr Minimum (d.h. ihren kleinsten Wert) annimmt.

Beweis. Es sei A := ff(z) : z 2 Dg und M := supfy : y 2 Ag. Dann gibt es zn 2 D mit

f(zn) ! M . Die Folge (zn) ist in der beschr�ankten Menge D enthalten, besitzt nach dem

Satz von Bolzano{Weierstra� also eine konvergente Teilfolge (znk) mit Limes zmin 2 C. Da

die Menge D abgeschlossen ist, liegt der Punkt zmin in D. Aus der Stetigkeit von f folgt,

f(znk) ! f(zmin), also mu� M = f(zmin) gelten inbesondere ist M 6= 1. Somit ist f nach

oben beschr�ankt und nimmt in zmin ihr Maximum an. Wendet man diese �Uberlegung auf

�f an, so ergibt sich, dass f auf D nach unten beschr�ankt ist und in einem Punkt zmin 2 Dihr Minimum annehmen muss.

Erganzungen

Der Zwischenwertsatz bildet die Grundlage vieler Existenzbeweise der Analysis. Im n�achsten

Kapitel werden wir mit seiner Hilfe die Kreiszahl � de�nieren. Obwohl die Aussage des

Zwischenwertsatzes selbstevident erscheint, so ist sie doch beweisbed�urftig. Dies hat erstmals

B. Bolzano (1817) erkannt. Der Zwischenwertsatz stellt eine der vielen Erscheinungformen der

Vollst�andigkeit von R dar und erg�anzt die anderen Varianten, die wir bereits kennengelernt

haben, wie z.B. den Fundamentalsatz f�ur monotone Folgen. Ein mathematisches Konzept ist

grundlegend, wenn es sich durch verschiedene, aber logisch �aquivalente Zug�ange"erfassen\

l�asst. Sind diese logisch �aquivalenten Zug�ange auch noch psychologisch verschieden, so ist

das betre�ende Konzept besonders n�utzlich.

Die obige De�nition des nat�urlichen Logarithmus durch Umkehrung der reellen Exponential-

funktion geht auf L. Euler (1748). Im n�achsten Abschnitt werden wir mithilfe der Exponential-

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74 Fundamentalsatze uber stetige Funktionen

funktion die trigonometrischen Funktionen (Sinus und Cosinus) de�nieren. Dazu ist es erfor-

derlich, die Exponentialfunktion nicht nur f�ur reelle, sondern auch f�ur komplexe Argumente

zu betrachten. Die trigonometrischen Funktionen bilden zusammen mit der Exponential{

und die Logarithmusfunktion die wichtigsten transzendenten (d.h. durch Grenzwertprozes-

se gewonnenen) Funktionen der Mathematik. Jede Mathematikerin und jeder Mathematiker

sollte Freundschaft mit ihnen schlie�en.

Aufgaben zu x14

1. Es sei p(z) = anzn + : : : + a1z + a0 ein Polynom mit reellen Koe�zienten aj , an 6= 0

und n ungerade. Zeigen, dass p mindestens eine reelle Nullstelle besitzt.

2. Konstruieren Sie eine nicht{stetige Funktion f : [�1; 1]! R, so dass f�ur je zwei Punkte

a < b aus [�1; 1] jeder Wert zwischen f(a) und f(b) durch die Funktion f im Intervall

[a; b] angenommen wird.

3. Die Funktion f : [0; 1]! R sei stetig mit f(0) = f(1). Zeigen Sie, dass es ein c 2 [0; 1=2]

gibt mit f(c) = f(c + 1=2). Zeigen Sie allgemeiner, dass es zu jedem n 2 Nnf2g einc 2 [0; 1] gibt mit f(c) = f(c+ 1=n).

4. Zeigen Sie, dass aus x 2 RnQ und y 2 RnQ nicht notwendigerweise auch xy 2 RnQfolgt.

(Hinweis: Betrachten Siep2p2. Diese Aufgabe ist tricky !)

5. Bestimmen Sie den Grenzwert limx!1x

x.

6. Bestimmen Sie den Grenzwert limx!1

xln x

ex .

7. Bestimmen Sie den Grenzwert limn!1n

�npx� 1

�f�ur festes x 2 R+.

8. Zeigen Sie, dass die Reihe1Pn=1

1ns f�ur alle s 2 C mit Re s > 1 konvergiert.

9. Es sei D � C und fn : D ! C seien stetige Funktionen mit jfn(z)j � cn f�ur alle z 2 Dund jedes n 2N. Falls

P1k=1 ck <1, so zeige man, das die Reihe

f(z) :=1Xk=1

fk(z)

f�ur jedes z 2 D absolut konvergiert und f : D ! C stetig ist.

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x 15

Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen

The shortest and best way between two truths of the real domain often passes through the

imaginary one.

Jacques Hadamard [4, S.123 ]

Mithilfe der Exponentialfunktion erzeugen wir jetzt die trigonometrischen Funktionen. Wir

arbeiten wieder im Komplexen; nur dort ist der innere Zusammenhang der trigonometrischen

Funktionen und der Exponentialfunktion sichtbar.

Motivation.

Wir betrachten zun�achst die Exponentialfunktion auf der imagin�aren Achse. Dort gilt

jeixj = 1, d.h. der Punkt eix liegt auf der Einheitskreislinie @D := fz 2 C : jzj = 1g.Sein Realteil hei�t Cosinus von x; sein Imagin�arteil Sinus von x, d.h.

cosx :=eix + e�ix

2; sinx :=

eix � e�ix2i

:

Dann ist nach De�nition eix = cosx+i sinx und jeixj = 1 bedeutet gerade cos2 x+sin2 x =

1. Wir werden sehen, dass man x als den Winkel zwischen den Vektoren (cosx; sinx)

und (1; 0) interpretieren kann.

Definition (Sinus und Cosinus im Komplexen).

F�ur z 2 C sei

sin z :=1

2i

�eiz � e�iz

�; cos z :=

1

2

�eiz + e�iz

�:

Die ber�uhmte Eulersche Formel

eiz = cos z + i sin z ; z 2 C ;

ist jetzt lediglich eine unmittelbare Folgerung aus unserer De�nition von Sinus und Cosinus,

ebenso wie die wichtige Identit�at

cos2 z + sin2 z = 1 ; z 2 C :

Man beachte, dass f�ur komplexes z die Zahlen cos z bzw. sin z i.Allg. nicht mehr Real{

bzw. Imagin�arteil von eiz sein werden.

Satz 15.1 (Eigenschaften von Sinus und Cosinus).

Die trigonometrischen Funktion sin : C ! C und cos : C ! C sind stetig und es gilt

sin 0 = 0 und cos 0 = 1. Ferner gelten die folgenden Aussagen.

75

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76 Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen

(a) (Potenzreihendarstellung)

F�ur alle z 2 C gilt

sin z =1Xk=0

(�1)k(2k + 1)!

z2k+1 ; cos z =1Xk=0

(�1)k(2k)!

z2k :

Insbesondere ist cos(z) = cos(�z) und sin(�z) = � sin z f�ur alle z 2 C.

(b) (Additionstheoreme)

F�ur alle z1; z2 2 C gilt

cos(z1+ z2) = cos z1 cos z2� sin z1 sin z2 ; sin(z1+ z2) = sin z1 cos z2+sin z2 cos z1 :

und

sin z1�sin z2 = 2 cosz1 + z2

2sin

z1 � z22

; cos z1�cos z2 = �2 sin z1 + z22

sinz1 � z2

2:

(c) Es gilt

limz!0

sin z

z= 1 :

Beweis. (a) folgt direkt mithilfe der Exponentialreihe. Der erste Teil von (b) ergibt sich aus

ei(z1+z2) = eiz1 eiz2 = (cos z1 + i sin z1)(cos z2 + i sin z2)

= cos z1 cos z2 � sin z1 sin z2 + i(sin z1 cos z2 + sin z2 cos z1)

e�i(z1+z2) = e�iz1e�iz2 = (cos z1 � i sin z1)(cos z2 � i sin z2)= cos z1 cos z2 � sin z1 sin z2 � i(sin z1 cos z2 + sin z2 cos z1)

durch Addition bzw. Subtraktion; der zweite Teil folgt aus dem ersten, wenn man (z1+z2)=2

und (z1� z2)=2 anstelle von z1 und z2 einsetzt. (c) folgt aus (ez � 1)=z ! 1 f�ur z ! 0 (siehe

Beispiel 13.9):

limz!0

sin z

z= lim

z!0

eiz � e�iz2iz

=1

2limz!0

eiz

iz+e�iz

�iz

!= 1 :

Satz 15.2 (Reelle Eigenschaften von Sinus und Cosinus).

Die Funktionen cos : R ! R und sin : R ! R sind stetig und es gelten die folgenden

Aussagen.

(a) �1 � cosx � 1, �1 � sinx � 1 f�ur alle x 2 R.

(b) (Einschlie�ungslemma)

F�ur alle x � 0 gilt

1� x2

2� cosx � 1� x2

2+x4

24und x� x3

6� sinx � x :

Insbesondere gilt sinx > 0 f�ur alle (0; 2].

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Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 77

Beweis. (a) folgt aus cos2 x + sin2 x = jeixj2 = 1 mit Satz 12.1 (c). Die Absch�atzungen (b)

folgen aus dem Leibniz{Kriterium f�ur die Reihen

sinx =1Xk=0

(�1)k(2k + 1)!

x2k+1 ; cosx� 1 =1Xk=1

(�1)k(2k)!

x2k :

Dazu beachte man, dass wegen

x2

(2k + 1)(2k + 2)< 1 ; x 2 (0; 2] ; k 2N ;

die Betr�age der Summanden tats�achlich monotone Nullfolgen bilden.

Korollar 15.3.

Die Cosinusfunktion f�allt in [0; 2] streng monoton mit cos 0 = 1 und cos 2 � �1=3 < 0.

Beweis. F�ur 0 � y < x � 2 gilt

cos(x)� cos(y) = �2 sin x+ y

2sin

x� y2

< 0 :

Somit ist die Cosinusfunktion auf [0; 2] streng monoton fallend. Ferner gilt cos 0 = 1 > 0 und

cos 2 � 1� 22=2 + 24=24 = �1=3 < 0.

Der Zwischenwertsatz rechtfertigt damit die folgende De�nition.

Definition (E. Landau 1934).

Die eindeutig bestimmte Nullstelle der Cosinusfunktion im Intervall (0; 2) werde im

Folgenden mit �=2 bezeichnet.

Bemerkung.

Den Bezug der Zahl � zur Kreismessung stellen wir in der Vorlesung Analysis II her.

Wir zeigen sp�ater, dass � irrational ist.

F�ur die damit festgelegte Zahl � gilt dann also 0 < � < 4. Man beachte, dass

1 = jei�=2j2 = (cos�=2)2 + (sin�=2)2 = (sin�=2)2 :

Da �1 � sinx � 1 f�ur alle x 2 R und sinx > 0 f�ur alle x 2 (0; 2] ist

sin�

2= 1 :

Es ergibt sich also

ei�=2 = i

und daraus ein�=2 = in f�ur alle n 2N; insbesondere

x 0 �=2 � 3�=2 2�

eix 1 i �1 �i 1

sinx 0 1 0 �1 0

cosx 1 0 �1 0 1

Das Additionstheorem f�ur die Exponentialfunktion ergibt nun:

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78 Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen

Korollar 15.4.

F�ur alle z 2 C gelten die folgen Aussagen.

(a) ez+i�=2 = iez, ez+�i = �ez, ez+2�i = ez.

(b) cos(z + �=2) = � sin z, cos(z + �) = � cos z, cos(z + 2�) = cos z.

(c) sin(z + �=2) = cos z, sin(z + �) = � sin z, sin(z + 2�) = sin z.

Die Exponentialfunktion hat also die rein imagin�are Periode 2�i; Cosinus und Sinus

haben die reelle Periode 2�.

Korollar 15.5.

F�ur z 2 C gilt ez = 1 genau dann, wenn z 2 2�iZ := f2�in : n 2 Zg. Insbesondere sinddie Zahlen k�, k 2 Z, genau die Nullstellen der Sinusfunktion und die Zahlen �=2+k�,

k 2 Z, genau die Nullstellen der Cosinusfunktion.

Beweis. Wir identi�zieren zun�achst die reellen Nullstellen von Cosinus und Sinus. Nach

De�nition von �=2 und wegen cos(�x) = cos(x) gilt cosx > 0 f�ur alle ��=2 < x < �=2.

Wegen sin(x) = cos(�=2� x) gilt dann sinx > 0 f�ur alle 0 < x < �. Aus sin(x+ �) = � sinx

folgt sinx < 0 f�ur alle � < x < 2�. Die Nullstellen von sin im Intervall [0; 2�] sind also

genau die Zahlen 0; �; 2�. Wegen sin(x) = sin(x + 2�), d.h. sin ist 2�{periodisch, folgt die

Behauptung f�ur die Sinusfunktion. Die Aussage f�ur die Cosinusfunktion ergibt sich nun aus

cos(x) = � sin(x� �=2). Wegen

sinx

2= Im eix=2 =

1

2i

�eix=2 � e�ix=2

�=e�ix=2

2i

�eix � 1

�gilt eix = 1 f�ur x 2 R genau dann, wenn sin(x=2) = 0, also genau f�ur x 2 2�Z.

Nun sei ez = ex+iy = 1. Dann ist wegen 1 = jezj = ex zun�achst x = 0, also 1 = eiy =

cos y + i sin y. Es folgt sin y = 0, also y = k� f�ur ein k 2 Z. Ein ungerades k = 2n + 1 ist

nicht m�oglich, da cos((2n + 1)�) = cos(�) = � cos 0 = �1. Es folgt y = 2n� f�ur ein n 2 Z,

d.h. z = iy 2 2�iZ.

Schlie�lich sei sin z = 0. Dann ist eiz = e�iz, d.h. e2iz = 1, also z 2 kZ. Analog f�ur den

Cosinus.

Korollar 15.6 (Polarkoordinaten).

Jede komplexe Zahl z l�asst sich schreiben als

z = rei'

mit ' 2 R und r = jzj. F�ur z 6= 0 ist ' bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von 2�

eindeutig bestimmt.

Bemerkung.

Die Zahl ' ist ein Ma� f�ur den Winkel zwischen der positiven reellen Achse und dem

Vektor (x; y) 2 R2 von z = x+iy. Man nennt ' Argument der komplexen Zahl z 6= 0. Die

Multiplikation zweier komplexer Zahlen l�asst sich mit Polarkoordinaten visualisieren.

Sind z1 = r1ei'1 und z2 = r2e

i'2, so gilt z1z2 = r1r2ei('1+'2). Man multipliziert also die

Betr�age und addiert die Argumente.

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Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen 79

Beweis von Korollar 15.6. F�ur z = 0 ist z = 0 � ei' f�ur jedes ' 2 R. F�ur z 6= 0 setzen

wir � := z=jzj. Dann ist j�j = 1 und f�ur a =: Re � und b := Im � gilt a2 + b2 = 1. Speziell

ist a 2 [�1; 1]. Die Funktion cos ist auf [0; 2] streng monoton fallend, insbesondere auf

[0; �=2]. Wegen cosx = � cos(� � x) ist cos tats�achlich auf [0; �] streng monoton fallend mit

cos 0 = 1 und cos� = �1. Es gibt also (genau) ein � 2 [0; �] mit cos� = a. Es gilt dann

sin� = �p1� a2 = �b. Wir setzen ' := �, falls sin� = b und ' := ��, falls sin� = �b.Es gilt dann ei' = cos'+ i sin' = a+ ib = � = z=jzj, d.h. z = jzjei'. Ist z = jzjei f�ur ein

2 R, so ist ei('� ) = 1, also ' = + 2�k f�ur ein k 2 Z.

Beispiel (Die logarithmische Spirale).

Es sei c 2 R+ �xiert und : R! C de�niert durch

(t) := ecteit :

Logarithmische Spiralen besitzen eine besondere Eigenschaft. Sie schneiden jede Ur-

sprungsgerade stets im gleichen Winkel (Beweis?).

Abbildung 15.1: Beispiele logarithmischer Spiralen

Ausblick.

Abbildungen f (einer Teilmenge D) von C nach C, z.B. z 7! z2, lassen sich als Transformatio-

nen der Ebene interpretieren. Jedem Punkt z 2 D wird dann der Bildpunkt f(z) zugeordnet.

Die Abbildung z 7! z2 lautet in Polarkoordinaten rei� 7! r2e2i�:

Abbildung 15.2: Die Abbildung z 7! z2

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80 Die Exponentialfunktion und die trigonometrischen Funktionen

Aufgaben zu x15

1. Es sei x 2 R �xiert und an := e2�inx. Man zeige:

(a) Ist x rational, so hat (an) nur endlich viele H�aufungspunkte.

(b) Ist x irrational, so ist jede Zahl auf @D H�aufungspunkt von (an).

2. (Arcusfunktionen)

Im Beweis von Korollar 15.6 wurde gezeigt, dass die Cosinusfunktion das Intervall

[0; �] stetig und bijektiv auf das Intervall [�1; 1] abbildet. Die Umkehrfunktion arccos :

[�1; 1] ! [0; �] (Arcuscosinus) ist ebenfalls stetig und bijektiv. Zeigen Sie, dass die

Sinusfunktion das Intervall [��=2; �=2] stetig und bijektiv auf [�1; 1] abbildet und fol-

gern Sie, das die Umkehrfunktion arcsin : [�1; 1]! [��=2; �=2] (Arcussinus) ebenfallsstetig und bijektiv ist.

3. (Hyperbolische Funktionen)

Die durch

cosh z :=exp(z) + exp(�z)

2; sinh z :=

exp(z)� exp(�z)2

tanh z :=sinh z

cosh z

de�nierten Funktionen hei�en Cosinus hyperbolicus, Sinus hyperbolicus und Tangens

hyperbolicus.

(a) Zeigen Sie, dass sinh und cosh auf ganz C de�niert sind und bestimmen Sie den

maximalen De�nitionsbereich von tanh.

(b) Leiten Sie mithilfe von cosh(z) = cos(iz) und sinh(z) = �i sin(iz) die Potenzrei-henentwicklungen

cosh z =1Xk=0

z2k

(2k)!; sinh z =

1Xk=0

z2k+1

(2k + 1)!

ab und bestimmen Sie deren Konvergenzradien.

(c) Zeigen Sie cosh2 z � sinh2 z = 1 f�ur alle z 2 C und beweisen Sie"Additionstheo-

reme\ f�ur sinh und cosh.

(d) Zeigen Sie, dass sinh die reelle Achse bijektiv auf sich selbst abbildet und f�ur die

Umkehrfunktion arcsinh : R! R (Arcussinus hyperbolicus) gilt

arcsinhx = ln�x+

p1 + x2

�; x 2 R :

(e) Zeigen Sie, dass tanh die reelle Achse bijektiv auf das Intervall (�1; 1) abbildetund f�ur die Umkehrfunktion arctanh : (�1; 1) ! R (Arcustangens hyperbolicus)

gilt

arctanhx =1

2ln

�1 + x

1� x�; x 2 (�1; 1) :

(f) Zeigen Sie, dass cosh das Intervall [0;1) bijektiv auf das Intervall [1;1) abbildet

und f�ur die Umkehrfunktion arccosh : [1;1) ! [0;1) (Arcuscosinus hyperboli-

cus) gilt

arcoshx = ln�x+

px2 � 1

�; x 2 [1;1) :

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x 16

Di�erenzierbarkeit

Di�erentiation means linearization.

E. Zeidler [24, S. 280]

Definition.

Es sei D � C. Eine Funktion f : D ! C hei�t im Punkt z0 2 D di�erenzierbar, falls

der Grenzwert

f 0(z0) := limz!z0

f(z)� f(z0)z � z0

existiert. Der Grenzwert f 0(z0) hei�t dann Ableitung oder Di�erentialquotient von f in

z0. Man bezeichnet ihn auch mit dfdz (z0). Die Funktion f : D ! C hei�t di�erenzierbar

(in D), wenn sie in jedem Punkt z0 2 D di�erenzierbar ist.

Man beachte, dass implizit vorausgesetzt wird, dass z0 2 D ein H�aufungspunkt von D ist.

Es gibt also mindestens eine Folge (zn) in Dnfz0g mit zn ! z0. Man schreibt auch oft

limh!0

f(z0 + h)� f(z0)h

anstelle von limz!z0

f(z)� f(z0)z � z0

Interpretation.

Ist D � R ein Intervall und f : D ! R reell, so stellt die Funktion

L(x) := f(x0) +f(x0 + h)� f(x0)

h(x� x0) ; x 2 R ;

die Sekante durch die Punkte P0 = (x0; f(x0)) und P = (x0 + h; f(x0 + h)) dar. Ist f in

x0 di�erenzierbar, so geht die Steigung

f(x0 + h)� f(x0)h

der Sekante beim Grenz�ubergang x! x0 gegen f 0(x0). Die durch

T (x) := f(x0) + f 0(x0)(x� x0)

de�nierte Gerade hei�t Tangente in P0 an den Graphen von f .

Die Funktion f : R! R

f(x) :=

8>>><>>>:x sin

�1x

�x 6= 0

f�ur

0 x = 0

81

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82 Differenzierbarkeit

ist stetig (auf ganz) R, aber in x = 0 nicht di�erenzierbar (siehe Computerdemo der Vorle-

sung).

Beispiele 16.1. Es gelten die folgenden Aussagen.

(a) F�ur jedes n 2N ist die Funktion z 7! zn di�erenzierbar in C mit (zn)0 = nzn�1.

(b) F�ur jedes a 2 C ist z 7! eaz di�erenzierbar in C mit (eaz)0 = aeaz.

Insbesondere ist (az)0 = az � ln a f�ur alle z 2 C und alle a 2 R+.

Beweis. (a) Dies folgt aus der geometrischen Summenformel (?):

zn � zn0z � z0

(?)= zn�1 + zn�2z0 + : : :+ zn�1

0 ! nzn�10 f�ur z ! z0 :

(b) Man beachte

ea(z+h) � eazh

= eaz � eah � 1

h! aeaz f�ur h! 0

mit Beispiel 13.9.

Bemerkung (Newton–Verfahren).

Hat eine di�erenzierbare Funktion f : [a; b]! R eine Nullstelle � 2 [a; b] und kennt man

einen N�aherungswert x0 f�ur �, so berechnet man zur potentiellen Verbesserung von x0die Nullstelle x1 von T (x) := f(x0) + f 0(x0)(x� x0) und erh�alt

x1 = x0 � f(x0)

f 0(x0)

bzw. so fortfahrend

xn+1 = xn � f(xn)

f 0(xn); n 2N0 :

Dabei muss immer f 0(xn) 6= 0 sichergestellt sein. Man erho�t sich dann, dass xn ! �.

F�ur die Funktion f(x) = x2 � a mit a > 0 erh�alt man

xn+1 = xn � x2n � a2xn

=1

2

�xn +

a

xn

�;

vgl. Beispiel 4.1 (e). N�aheres zum Newton{Verfahren erfahren Sie in der Vorlesung

Numerische Mathematik I.

Satz 16.2.

Eine Funktion f : D ! C ist in z0 2 D � C genau dann di�erenzierbar, wenn es eine

in z0 stetige Funktion ' : D ! C gibt, derart, dass

f(z)� f(z0) = (z � z0) � '(z) z 2 D :

In diesem Fall gilt f 0(z0) = '(z0).

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Differenzierbarkeit 83

Beweis. Dies folgt daraus, dass f in z0 genau dann di�erenzierbar ist, wenn der auf Dnfz0gde�nierte Di�erenzenquotient

f(z)� f(z0)z � z0 ; z 2 D ;

eine stetige Fortsetzung ' : D ! C nach z0 besitzt. Dabei ist dann '(z0) = f 0(z0).

Korollar 16.3.

Eine in z0 2 C di�erenzierbare Funktion ist dort auch stetig.

Die Umkehrung ist i.Allg. falsch.

Satz 16.4 (Rechenregeln fur Ableitungen).

Die Funktionen f und g seien di�erenzierbar in z. Dann sind auch f + g, fg und im

Fall g(z) 6= 0 auch f=g in z di�erenzierbar, und es gilt

(a) (f + g)0(z) = f 0(z) + g0(z).

(b) (fg)0(z) = f 0(z)g(z) + f(z)g0(z) (Produktregel)

(c) (f=g)0(z) =f 0(z)g(z)� f(z)g0(z)

g(z)2(Quotientenregel)

Beweis. F�ur die Di�erenzenquotienten von f + g, fg und f=g im Punkt z gilt

(f + g)(z + h)� (f + g)(z)

h=

f(z + h)� f(z)h

+g(z + h)� g(z)

hf(z + h)g(z + h)� f(z)g(z)

h=

f(z + h)� f(z)h

g(z + h) + f(z)g(z + h)� g(z)

h

und

1

h

�f(z + h)

g(z + h)� f(z)

g(z)

�=

1

g(z + h) g(z)

�f(z + h)� f(z)

hg(z)� f(z)g(z + h)� g(z)

h

�:

Beachte g(z + h) 6= 0 f�ur alle hinreichend kleinen jhj, da g in z stetig und g(z) 6= 0.

Beispiele 16.5. (a) (z�n)0 = �nz�n�1 f�ur alle n 2N und z 2 Cnf0g.

(b) sin0 z = cos z, cos0 z = � sin z.

(c) Jedes Polynom p(z) = anzn + : : :+ a1z + a0 ist auf ganz C di�erenzierbar.

Satz 16.6.

Es sei f(z) =P1k=0 akz

k eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann ist f :

KR(0)! C di�erenzierbar mit

f 0(z) =1Xk=1

kakzk�1 :

Diese Potenzreihe hat wieder den Konvergenzradius R > 0.

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84 Differenzierbarkeit

Beweis. (a) Wegen lim supn!1 npnjanj = lim supn!1 n

pjanj besitzt P1k=1 kakz

k�1 wieder

den Konvergenzradius R > 0.

(b) Es sei pn(z) =Pnk=0 akz

k die n{te Partialsumme von f(z). Der Punkt z0 2 KR(0) sei

�xiert. Wir w�ahlen r > 0 und r0 > 0 mit jz0j < r0 < r < R. Dann gibt es ein N1 2 N mitkpjakj < 1=r f�ur alle k � N1. Es folgt f�ur alle N � N1 und alle jzj < r0 die Absch�atzung������

1Xk=N+1

ak

"zk � zk0z � z0 � kz

k�10

#������ =

������1X

k=N+1

ak

24k�1Xj=0

zk�1�jzj0 � kzk�10

35������

�1X

k=N+1

2kjakj (r0)k�1 � 21X

k=N+1

k

�r0

r

�k�1 1

r:

(c) Nun sei " > 0 vorgegeben. Wir w�ahlen ein N 2N mit N � N1, derart, dass

21X

k=N+1

k

�r0

r

�k�1 1

r<"

2:

Dann gibt es ein � > 0 mit����pN (z)� pN (z0)z � z0 � p0N (z0)���� =

�����pN (z)� pN (z0)z � z0 �NXk=1

kakzk�10

����� < "=2

f�ur alle z 2 C mit jz � z0j < �. Aus (b) und der Dreiecksungleichung ergibt sich�����f(z)� f(z0)z � z0 �1Xk=1

kakzk�10

����� �����pN (z)� pN (z0)z � z0 � p0N (z0)

����+������

1Xk=N+1

ak

"zk � zk0z � z0 � kz

k�10

#������<

"

2+"

2= "

f�ur alle jz�z0j < � mit jzj < r0. Daher ist f in z0 di�erenzierbar mit f 0(z0) =1Pk=1

kakzk�10 .

Anwendungen von Satz 16.6 folgen im n�achsten Kapitel u.a. auf die Berechnung der Grenz-

werte unendlicher Reihen.

Satz 16.7 (Kettenregel).

F�ur die Funktionen f : D ! C und g : E ! C gelte f(D) � E. Die Funktion f sei in

z0 2 D di�erenzierbar und die Funktion g sei im Punkt w0 = f(z0) 2 E di�erenzierbar.

Dann ist die Komposition g � f : D ! C in z0 di�erenzierbar und es gilt

(g � f)0(z0) = g0(f(z0)) � f 0(z0) :Beweis. Wir benutzen Satz 16.2. Es gibt somit in z0 bzw. w0 stetige Funktionen ' : D ! C

und : E ! C mit

f(z)� f(z0) = (z � z0) � '(z)g(w)� g(w0) = (w � w0) � (w) :

Dabei gilt f 0(z0) = '(z0) und g0(w0) = (w0). Daraus folgt

(g � f)(z)� (g � f)(z0) = (z � z0) � '(z) � ( � f)(z) :Da ( �f) �' : D! C stetig in z0 ist mit ( �f)(z0) �'(z0) = g0(f(z0)) �g0(z0) folgt wiederumaus Satz 16.2, dass g � f in z0 di�erenzierbar ist mit (g � f)0(z0) = g0(f(z0)) � f 0(z0).

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Differenzierbarkeit 85

Bemerkung (Ein falscher Beweis).

Es gilt

limz!z0

g(f(z))� g(f(z0))z � z0 = lim

z!z0

g(f(z))� g(f(z0))f(z)� f(z0)

f(z)� f(z0)z � z0 = g0(f(z0)) � f 0(z0) :

Beispiel 16.8.

Es gilt�ef(z)

�0= ef(z) � f 0(z) in jeder Di�erenzierbarkeitsstelle z von f .

Satz 16.9 (Ableitung der Umkehrfunktion).

Es sei f : D ! C injektiv mit Umkehrfunktion f�1 : f(D) ! C. Ist f in z0 2 D

di�erenzierbar mit f 0(z0) 6= 0 und ist f�1 in w0 = f(z0) stetig, so ist f�1 in w0 = f(z0)

di�erenzierbar mit �f�1

�0(w0) =

1

f 0(f�1(w0)):

Bemerkung (Merkregel).

Formal l�asst sich die Ableitungsregel f�ur die Umkehrfunktion aus der (f�1 de�nieren-

den) Identit�at w = (f � f�1)(w) und der Kettenregel ableiten:

1 = f 0(f�1(w)) � (f�1)0(w) =)�f�1

�0(w) =

1

f 0(f�1(w)):

Dies ist jedoch kein Beweis von Satz 16.9. Warum nicht ?

Beweis von Satz 16.9. Es gibt eine in z0 stetige Funktion ' : D ! C mit

f(z)� f(z0) = '(z) � (z � z0) ; z 2 D ;

und '(z0) = f 0(z0). Da f injektiv ist und wegen f 0(z0) 6= 0, ist '(z) 6= 0 f�ur alle z 2 D. Setztman w = f(z) und w0 = f(z0), so ergibt sich also

f�1(w)� f�1(w0) =1

'(f�1(w))� (w � w0) ; w 2 f(D) :

Da die Funktion 1=(' � f�1) in w0 stetig ist, ergibt sich die Di�erenzierbarkeit der Funktion

f�1 in w0 und die behauptete Formel f�ur ihre Ableitung aus Satz 16.2.

Beispiel 16.10.

Die Funktion ln : R+ ! R ist die (stetige) Umkehrabbildung von exp : R! R+. Wegen

(ey)0 = ey 6= 0 f�ur alle y 2 R ist ln auf R+ di�erenzierbar mit

(lnx)0 =1

elnx=

1

x; x 2 R+ :

Beispiel (zusatzlich zur Vorlesung).

Die Funktion tanx := sinxcosx , x 2 (0; �=2), ist streng monoton wachsend (denn cos ist

dort streng monoton fallend und sin dort streng monoton wachsend). Wegen tan(�x) =� tan(x) ist tan : (��=2; �=2)! R streng monoton wachsend, stetig und bijektiv. Ferner

gilt

(tanx)0 =(sinx)0(cosx)� (sinx)(cosx)0

cos2 x=

cos2 x+ sin2 x

cos2 x= 1 + tan2 x > 0

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86 Differenzierbarkeit

Die Umkehrfunktion arctan bildet R bijektiv und di�erenzierbar auf (��=2; �=2) ab undes gilt

(arctanx)0 =1

(tan)0(arctanx)=

1

1 + x2:

Es ist bemerkenswert, dass die (relativ) komplizierte Funktion arctan eine so einfache

Ableitung besitzt.

Aufgaben zu x16

1. Zeigen Sie, dass die Funktion x 7! px auf R+ di�erenzierbar ist und berechnen Sie

ihre Ableitung.

2. Berechnen Sie die Ableitung von arcsin.

3. Es sei f : [a; b] ! R di�erenzierbar mit jf(x)j + jf 0(x)j 6= 0 f�ur alle x 2 [a; b]. Zeigen

Sie, dass f in [a; b] h�ochstens endlich viele Nullstellen besitzt. (�Ubungsaufgabe)

4. Die Funktionen f; g : D ! C seien in z0 2 D � C di�erenzierbar und es gelte f(z0) =

g(z0) = 0 und g0(z0) 6= 0. Man zeige, dass

limz!z0

f(z)

g(z)=f 0(z0)g0(z0)

:

(�Ubungsaufgabe)

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x 17

Mittelwertsatz

Die Schwierigkeit, die man bei der reductio ad absurdum in der Mathematik emp�ndet

ist die: Was geht bei diesem Beweis vor ? Etwas mathematisch Absurdes, also Unmathe-

matisches ? Wie kann man { m�ochte man fragen { das mathematisch Absurde �uberhaupt

nur annehmen ? Da� ich das physikalisch Falsche annehmen und ad absurdum f�uhren kann

macht mir keine Schwierigkeiten. Aber wie das sozusagen Undenkbare denken ?

L. Wittgenstein, [22, p. 285]

Definition.

Eine Funktion f : D ! R hat in z0 2 D � C

(a) ein globales Maximum, wenn f(z) � f(z0) f�ur alle z 2 D gilt;

(b) ein lokales Maximum, wenn es ein � > 0 gibt, so dass f(z) � f(z0) f�ur alle z 2 Dmit jz � z0j < � gilt.

Entsprechend de�niert man globale und lokale Minima.

Wir behandeln jetzt speziell reellwertige Funktionen de�niert auf Intervallen in R.

Satz 17.1.

Es sei f : (a; b)! R in x0 2 (a; b) di�erenzierbar. Besitzt f in x0 ein lokales Extremum

(also ein lokales Maximum oder ein lokales Minimum), so gilt f 0(x0) = 0.

Beweis. Hat f in x0 ein lokales Maximum, so gilt

f(x)� f(x0)x� x0 � 0 f�ur alle jx� x0j < � mit x > x0 :

F�ur x! x0+ folgt hieraus f 0(x0) � 0. Entsprechend gilt

f(x)� f(x0)x� x0 � 0 f�ur alle jx� x0j < � mit x < x0 :

F�ur x! x0� folgt hieraus f 0(x0) � 0. Zusammen ergibt sich f 0(x0) = 0.

Die Umkehrung von Satz 17.1 ist falsch, wie das Beispiel f(x) = x3 zeigt. F�ur Extrema auf

dem"Rand\ ist die Aussage von Satz 17.1 ebenfalls nicht richtig: f(x) := x ist auf [0; 1]

di�erenzierbar und besitzt in x0 = 1 ein globales Maximum. Dort gilt aber f 0(1) = 1.

Satz 17.2 (Satz von Rolle).

Es sei f : [a; b]! R stetig und in (a; b) di�erenzierbar. Falls f(a) = f(b), so gibt es ein

x0 2 (a; b) mit f 0(x0) = 0.

87

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88 Mittelwertsatz

Beweis. Ist f konstant, so gilt f 0 � 0, also f 0(x0) = 0 f�ur jedes x0 2 [a; b]. Ist f nicht konstant,

so nimmt f als stetige Funktion auf [a; b] ein globales Maximum und ein globales Minimum

an (Satz 14.7), wobei jetzt eines der beiden von f(a) = f(b) verschieden ist. Dieses Extremum

wird daher an einer Stelle in x0 2 (a; b) angenommen. Dort gilt dann f 0(x0) = 0.

Satz 17.3 (Mittelwertsatz).

Es sei f : [a; b]! R stetig und in (a; b) di�erenzierbar. Dann gibt es ein x0 2 (a; b) mit

f(b)� f(a)b� a = f 0(x0) :

Beweis. Man wende den Satz von Rolle auf die Funktion

g(x) := f(x)� f(b)� f(a)b� a (x� a) ; x 2 [a; b] ;

an.

Korollar 17.4 (Monotoniekriterien).

Es sei f : (a; b)! R di�erenzierbar. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) f 0 > 0 in (a; b) =) f ist streng monoton wachsend auf (a; b).

(b) f 0 < 0 in (a; b) =) f ist streng monoton fallend auf (a; b).

(c) f 0 � 0 in (a; b) () f ist monoton wachsend auf (a; b).

(d) f 0 � 0 in (a; b) () f ist monoton fallend auf (a; b).

Die analytische Bedingung f 0 � 0 f�ur f : (a; b) ! R ist also �aquivalent zur geometrischen

Bedingung, dass der Funktionsgraph von f monoton ansteigt.

Beweis. Alle"=)\{Behauptungen liest man aus f(x2)� f(x1) = (x2� x1) � f 0(�) ab, wobei

x1; x2 2 (a; b) und � ein geeigneter Punkt zwischen x1 und x2 ist. Die "(=\{Behauptungen

ergeben sich aus der De�nition des Di�erentialquotienten als Limes von Di�erenzenquotien-

ten.

F�ur komplexwertige Funktionen f : (a; b) ! C ist der Mittelwertsatz i.Allg. nicht g�ultig.

Beispielsweise gelten f�ur f(x) := eix die Gleichungen f(0) = f(2�) = 1. Es gibt aber kein

x 2 (0; 2�) mit f 0(x) = 0. Als Ersatz hat man aber:

Korollar 17.5 (Schrankensatz).

Es sei f : (a; b) ! C di�erenzierbar und M > 0, derart, dass jf 0(x)j � M f�ur alle

x 2 (a; b). Dann gilt����f(x2)� f(x1)x2 � x1

���� �M f�ur alle x1 6= x2 in (a; b) :

Beweis. O.E. sei x1 < x2. Es gibt ein c 2 C mit jcj = 1, so dass jf(x2) � f(x1)j =c (f(x2)� f(x1)). Die Funktion g := Re(cf) : (a; b) ! R ist di�erenzierbar mit g0(x) =

Re(cf 0(x)) � jf 0(x)j �M f�ur alle x 2 (a; b). Aus dem Mittelwertsatz folgt daher����f(x2)� f(x1)x2 � x1

���� = g(x2)� g(x1)x2 � x1 �M :

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Mittelwertsatz 89

Korollar 17.6.

Es sei f : (a; b)! C di�erenzierbar. Dann gilt: f ist konstant () f 0 � 0.

Beweis."=)\ ist klar und

"(=\ folgt aus dem Schrankensatz.

Sind also f; g : (a; b) ! C zwei di�erenzierbare Funktionen, so gilt: f � g ist konstant ()f 0 � g0.

Satz 17.7 (Die Logarithmusreihe).

Es gilt

ln(1 + x) =1Xn=1

(�1)n�1

nxn

f�ur alle x 2 (�1; 1).

Beweis. Wir betrachten die Potenzreihe

f(z) :=1Xn=1

(�1)n�1

nzn :

Diese hat den Konvergenzradius R = 1. Es gilt

f 0(z) =1Xn=1

(�1)n�1zn�1 =1

1 + z:

Somit ist f 0(x) = 11+x = (ln(1 + x))0 f�ur alle x 2 (�1; 1). Es folgt f(x) = ln(1 + x) + c f�ur

alle x 2 (�1; 1) f�ur eine Konstante c 2 R. Wegen 0 = f(0) = ln(1 + 0) + c = c ist c = 0. Dies

impliziert

ln(1 + x) =1Xn=1

(�1)n�1

nxn

f�ur alle x 2 (�1; 1).

Korollar 17.8.

Es gilt1Xn=1

(�1)n�1

n= ln 2 :

Beweis. Es sei n 2N �xiert. Dann gilt f�ur alle x 2 [0; 1)�����ln(1 + x)�nXk=1

(�1)k�1

kxk����� � xn+1

n+ 1

aufgrund der Fehlerabsch�atzung des Leibniz{Kriteriums. Die Funktionen linker Hand sind

stetig. F�ur x! 1� erh�alt man damit�����ln 2�nXk=1

(�1)k�1

k

����� � 1

n+ 1;

woraus f�ur n!1 die Behauptung folgt.

Wir beschlie�en dieses Kapitel mit einer weiteren Anwendung des Mittelwertsatzes.

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90 Mittelwertsatz

Korollar 17.9.

Die Exponentialfunktion ist die einzige di�erenzierbare Funktion y : R! C mit y0 = y

und y(0) = 1.

Beweis. Es sei f(x) := y(x)e�x (Trick !). Dann gilt f 0 � 0 und f(0) = 1. Es folgt f � 1,

d.h. y(x) = ex.

Bemerkung.

Eine Gleichung wie z.B. y0 = y nennt man eine Di�erentialgleichung. Die gesuchten

"Unbekannten\, d.h. die L�osungen dieser Gleichung, sind di�erenzierbare Funktionen.

N�aheres dazu erfahren Sie in der Vorlesung"Di�erentialgleichungen\.

Aufgaben zu x17

1. Man zeige, dass

arctanx =1Xk=0

(�1)k2k + 1

x2k+1 ; x 2 (�1; 1) ;

und folgere, dass1Xn=0

(�1)n2n+ 1

=�

4:

(�Ubungsaufgabe)

2. Es sei f : (a; b) ! R di�erenzierbar in x0 2 (a; b) mit f 0(x0) > 0. Man zeige, dass f�ur

alle hinreichend kleinen h > 0 gilt: f(x0 + h) > f(x0) und f(x0 � h) < f(x0).

(�Ubungsaufgabe)

3. Es sei f : (a; b)! R di�erenzierbar. F�ur � < � aus (a; b) mit f 0(�) > 0 und f 0(�) < 0

zeige man, dass es ein � 2 (�; �) gibt mit f 0(�) = 0. Durch Betrachtung der Hilfs-

funktion x 7! f(x) � x f�ur geeignetes 2 R zeige man, dass f 0 : (a; b) ! R die

Zwischenwerteigenschaft besitzt.

4. Die Funktion f : R ! R sei de�niert durch f(x) := x + 2x2 sin 1x f�ur x 6= 0 und

f(0) := 0. Man zeige, dass f : R! R �uberall di�erenzierbar ist, f 0(0) > 0 gilt, aber f

in keinem Intervall (��; �), � > 0, streng monoton w�achst. (�Ubungsaufgabe)

5. Es sei f : (a; b) ! R di�erenzierbar. Beweisen Sie, dass die folgenden beiden Bedin-

gungen �aquivalent sind.

(a) f ist streng monoton wachsend auf (a; b);

(b) f 0(x) � 0 f�ur alle x 2 (a; b) und es existiert eine dichte Teilmenge E von (a; b),

derart, dass f 0(x) > 0 f�ur alle x 2 E.

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x 18

Konvexe Funktionen

A math lecture without a proof is like a movie without a love scene. This lecture has more

than one proof.

H. Lenstra

Definition.

Es sei f : D ! C di�erenzierbar auf D � C. Ist f 0 : D ! C in z0 2 D di�erenzierbar, so

hei�td2f

dz2(z0) := f 00(z0) := (f 0)0(z0)

die zweite Ableitung von f in z0.

Satz 18.1.

Es sei f : (a; b) ! R di�erenzierbar und x0 2 (a; b) mit f 0(x0) = 0. Ist f in x0 2 (a; b)

zweimal di�erenzierbar, so gilt

(a) f hat in x0 ein lokales Maximum, falls f 00(x0) < 0;

(b) f hat in x0 ein lokales Minimum, falls f 00(x0) > 0.

Bemerkung.

Satz 18.1 gibt nur eine hinreichende, aber nicht notwendige Bedingung f�ur ein lokales

Extremum (Maximum oder Minimum) wie man an f(x) = �x4 erkennt.

Beweis. (a) Aus

0 > f 00(x0) = limx!x0

f 0(x)� f 0(x0)x� x0 = lim

x!x0

f 0(x)x� x0

folgt, dass es ein � > 0 gibt mit f 0(x)=(x � x0) < 0 und x 2 (a; b) f�ur alle x 2 Rnfx0g mit

jx� x0j < �. F�ur x 2 (x0� �; x0) ist also f 0(x) > 0 bzw. f 0(x) < 0 f�ur x 2 (x0; x0+ �). Somit

ist f im Intervall (x0 � �; x0) streng monoton wachsend und im Intervall (x0; x0 + �) streng

monoton fallend. Folglich hat f in x0 ein lokales Maximum.

(b) folgt aus (a) angewandt auf �f .In Analogie zu

"f 0 � 0() f monoton wachsend\ wollen wir nun die analytische Bedingung

f 00 � 0 am Graphen von f geometrisch interpretieren.

Definition.

Die Funktion f : (a; b)! R hei�t konvex, wenn f�ur alle x1; x2 2 (a; b) und � 2 (0; 1) gilt

f (�x1 + (1� �)x2) � �f(x1) + (1� �)f(x2) :Die Funktion f hei�t konkav, wenn �f konvex ist.

91

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92 Konvexe Funktionen

Die obige Ungleichung bedeutet geometrisch, dass der Graph von f im Intervall (x1; x2)

unterhalb der Sekante durch die Punkte (x1; f(x1)) und (x2; f(x2)) liegt. Konvexe Funktionen

spielen eine wichtige Rolle z.B. in der Optimierung.

Hilfssatz. Eine Funktion f : (a; b) ! R ist genau dann konvex, wenn f�ur alle Punkte

x1; x; x2 2 (a; b) mit x1 < x < x2 gilt

f(x)� f(x1)x� x1 � f(x2)� f(x)

x2 � x :

Beweis. Seien x1 und x2 �xiert. F�ur � 2 (0; 1) gilt

x := �x1 + (1� �)x2 2 (x1; x2) () � =x2 � xx2 � x1 und 1� � =

x� x1x2 � x1 :

Die Konvexit�atsbedingung ist also �aquivalent zu

((x2 � x) + (x� x1)) f(x) � (x2 � x)f(x1) + (x� x1)f(x2) ; x 2 (x1; x2) :

Dies ist gleichbedeutend mit

(x2 � x) (f(x)� f(x1)) � (x� x1) (f(x2)� f(x)) ; x 2 (x1; x2) :

Dividiert man dies durch (x2 � x)(x� x1) > 0, so erh�alt man die Behauptung.

Satz 18.2.

Eine di�erenzierbare Funktion f : (a; b)! R ist genau dann konvex auf (a; b), wenn f 0

auf (a; b) monoton w�achst.

Beweis. (a) Sei f konvex auf (a; b) und x; ~x 2 (a; b) mit x < ~x. Wir w�ahlen x1 < x2 aus

(a; b) mit x1 < x und x2 > ~x. Dann gilt nach dem Hilfssatz

f(x)� f(x1)x� x1 � f(~x)� f(x)

~x� x � f(x2)� f(~x)x2 � ~x

:

L�asst man x1 ! x� und x2 ! ~x+, so ergibt sich f 0(x) � f 0(~x).(b) Jetzt sei f 0 monoton wachsend auf (a; b) und x1; x; x2 2 (a; b) mit x1 < x < x2. Nach

dem Mittelwertsatz gibt es �1 2 (x1; x) und �2 2 (x; x2) mit

f(x)� f(x1)x� x1 = f 0(�1) � f 0(�2) � f(x2)� f(x)

x2 � x :

Korollar 18.3.

Es sei f : (a; b)! R zweimal di�erenzierbar. Dann ist f auf (a; b) genau dann konvex,

wenn f 00(x) � 0 f�ur alle x 2 (a; b).

Korollar 18.4 (AGM–Ungleichung).

Es seien x1; x2 2 R+ und p; q > 1 mit 1p +

1q = 1. Dann gilt x1x2 � x

p1

p +xq2

q .

Beweis. Man benutzt die konvexe Funktion � ln : R+ ! R und erh�alt

� ln

xp1

p+xq2

q

!� � lnx

p1

p+� lnx

q2

q= � ln (x1x2) :

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Konvexe Funktionen 93

Aufgaben zu x18

1. Man zeige, dass jede konvexe Funktion f : (a; b)! R stetig ist.

2. Die stetige Funktion f : [a; b] ! R sei konvex auf (a; b) und x0 2 (a; b) sei ein lokales

Minimum von f . Zeigen Sie, dass f : [a; b]! R in z0 ein globales Minimum besitzt.

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x 19

Taylorformel

Ohne Sinnlichkeit w�urde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht

werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begri�e sind blind.

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft

In Fortf�uhrung von x18 betrachten wir in diesem Kapitel Ableitungen h�oherer Ordnung. Wir

beschr�anken uns hierbei auf reellwertige Funktionen de�niert auf Teilmengen D � R.

Definition (Ableitungen hoherer Ordnung).

Es sei f : D ! R in D � R di�erenzierbar und k � 2. Induktiv sagt man, dass f : D ! R

im Punkt x0 2 D k{mal di�erenzierbar ist, wenn f in D (k� 1){mal di�erenzierbar ist

und die (k � 1){te Ableitung von f in x0 di�erenzierbar ist. Man setzt dann

dkf

dxk(x0) := f (k)(x0) :=

�f (k�1)

�0(x0) ; f (1)(x0) := f 0(x0) ; f (0)(x0) := f(x0) :

Die Funktion f : D ! R hei�t k{mal stetig di�erenzierbar, wenn sie in D k-mal

di�erenzierbar ist und die k{te Ableitung f (k) : D ! R stetig ist.

Wir setzen1 C(D) := ff : D ! R : f ist stetig auf Dg undCk(D) := ff : D ! R : f ist k{mal stetig di�erenzierbar auf Dg ; k 2N :

Die Mengen C(D) und Ck(D), k � 1, sind Vektorr�aume �uber R mit Ck+1(D) � Ck(D) f�uralle k 2N0. Dies folgt aus den S�atzen 16.4 und 13.4.

Beispiel 19.1.

Es gilt sin0 x = cosx und cos0 x = � sinx f�ur alle x 2 R, vgl. Beispiele 16.5. Damit

ist sin : R ! R beliebig oft di�erenzierbar mit sin(2k) x = (�1)k sinx und sin(2k+1) x =

(�1)k cosx f�ur alle k 2N0, d.h. sin 2 Ck(R) f�ur alle k 2N.

Beispiel 19.2.

Die Funktion f : R! R de�niert durch

f(x) :=

8>>><>>>:x2 sin

�1x

�x 6= 0

f�ur

0 x = 0

ist di�erenzierbar und auf Rnf0g beliebig oft stetig di�erenzierbar. f 0 ist jedoch in x0 = 0

unstetig, vgl. �Ubungsaufgabe 11.1, Analysis I. Es gilt also f 2 C(R)nC1(R).

1Im Englischen hei�en stetige Funktionen"continuous functions\. Dies erkl�art die Schreibweise C(D) f�ur

die Menge aller stetigen Funktionen f : D ! R.

95

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96 Taylorformel

-0.04 -0.02 0.02 0.04

-0.002

-0.001

0.001

0.002

-0.04 -0.02 0.02 0.04

-1.0

-0.5

0.5

1.0

Abbildung 19.1: Die Graphen der Funktion x 7! x2 sin 1x (links) und ihrer Ableitung (rechts)

Beispiel 19.3.

Die Funktion f : R! R de�niert durch

f(x) :=

8>><>>:e�1=x2 x 6= 0

f�ur

0 x = 0

ist beliebig oft di�erenzierbar mit f (n)(0) = 0 f�ur alle n 2N0 (siehe �Ubungsaufgabe 1.1).

-2 -1 1 2 3 4 5

0.2

0.4

0.6

0.8

Jede Potenzreihe ist (im Inneren Ihrer Konvergenzkreisscheibe) beliebig oft di�erenzierbar.

Dies ergibt sich unmittelbar aus Satz 16.6 (gliedweise Di�erentiation von Potenzreihen):

Beispiel 19.4.

Es sei f : (�R;R) ! R als eine Potenzreihe f(z) =P1k=0 akz

k mit Konvergenzradius

R > 0 gegeben. Dann ist f 2 Cn(I) f�ur I = (�R;R) mit

f (n)(x) =1Xk=n

k(k � 1) : : : (k � n+ 1) ak xk�n ; x 2 (�R;R) ;

f�ur alle n 2N0. Insbesondere gilt ak = f (k)(0)=k! f�ur jedes k 2N0, d.h.

f(x) =1Xk=0

f (k)(0)

k!xk f�ur alle x 2 (�R;R) : (?)

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Taylorformel 97

Der Wert f(x) einer Potenzreihe f an einer beliebigen Stelle x 2 (�R;R) l�asst sich also alleinedurch die Funktions{ und Ableitungswerte von f in dem einzigen Punkt x0 = 0 berechnen

und in der Form (?)"darstellen\ ! Wir wollen nun �uberlegen, in wieweit sich eine beliebig

oft di�erenzierbare Funktion f : D ! R nur durch ihre Funktions{ und Ableitungswerte in

einem zuvor �xierten Punkt x0 2 D darstellen l�asst.

Definition.

Es sei f : D ! R im Punkt x0 2 D n{mal di�erenzierbar. Dann hei�t

Tn(x) :=nXk=0

f (k)(x0)

k!(x� x0)k

das n{te Taylorpolynom2 von f im Entwicklungspunkt x0 und

Rn(x) := f(x)� Tn(x)

das n{te Taylorrestglied von f in x0.

Man beachte

f (k)(x0) = T(k)n (x0) f�ur k = 0; : : : ; n ;

d.h. im Entwicklungspunkt x0 stimmt das Taylorpolynom einer Funktion mit dieser bis zur

n{ten Ableitung �uberein. Das Taylorrestglied Rn(x) gibt an, wie gut das n{te Taylorpolynom

Tn(x) den Funktionswert f(x) approximiert. Der folgende Satz von Taylor quanti�ziert die

Approximationsg�ute"lokal\, d.h. f�ur x in der N�ahe von x0.

Satz 19.5 (Satz von Taylor; lokale Form).

Es sei I � R ein Intervall und die Funktion f : I ! R sei (n � 1){mal di�erenzierbar

und im Punkt x0 2 I n{mal di�erenzierbar. Dann gilt

f(x) = Tn(x) +Rn(x) ;

wobei

limx!x0

Rn(x)

(x� x0)n = 0 ;

d.h."Rn(x) geht f�ur x! x0 schneller gegen 0 als (x� x0)n\.

Beweis. Das n{te Taylorrestglied Rn : I ! R ist (n� 1){mal di�erenzierbar und im Punkt

x0 n{mal di�erenzierbar mit R(j)n (x0) = 0 f�ur j = 0; : : : ; n. Wir �xieren nun x 2 Infx0g.

Wiederholte Anwendung des Mittelwertsatzes zeigt die Existenz von Punkten �1; : : : ; �n�1

zwischen x0 und x mit

Rn(x) = Rn(x)�Rn(x0) = R0n(�1)(x� x0)=

�R0n(�1)�R0n(x0)

�(x� x0) = R00n(�2)(�1 � x0)(x� x0)

=�R00n(�2)�R00n(x0)

�(�1 � x0)(x� x0) = R000n (�3)(�2 � x0)(�1 � x0)(x� x0)

...

= R(n�1)n (�n�1)(�n�2 � x0) : : : (�1 � x0)(x� x0) :

2Benannt nach B. Taylor (1685{1731; englischer Mathematiker).

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98 Taylorformel

Daraus folgt dann wegen j�j � x0j � jx� x0j f�ur alle j = 1; : : : ; n� 1:

���� Rn(x)

(x� x0)n���� =

���� Rn(x)

(x� x0)n�n�1 � x0�n�1 � x0

���� �������R

(n�1)n (�n�1)

�n�1 � x0

������ =������R

(n�1)n (�n�1)�R(n�1)

n (x0)

�n�1 � x0

�������! jR(n)

n (x0)j = 0 :

f�ur x! x0.

Beispiel 19.6 (Spezialfall n = 1: Differenzierbarkeit = lineare Approximierbarkeit).

F�ur n = 1 ist das n{te Taylorpolynom gerade

T1(x) = f(x0) + f 0(x0)(x� x0) ; x 2 R :

T1 beschreibt die Tangente an den Graphen von f im Punkt x0. Satz 19.5 besagt, dass

f�ur eine in x0 di�erenzierbare Funktion f : I ! R gilt

f(x) = f(x0) + f 0(x0)(x� x0) +R1(x) mit limx!x0

R1(x)

x� x0 = 0 :

Beispiel 19.7 (Spezialfall n = 2).

F�ur n = 2 ist das n{te Taylorpolynom

T2(x) = f(x0) + f 0(x0)(x� x0) + f 00(x0)2

(x� x0)2 ; x 2 R ;

ein Polynom vom Grade 2. Es gilt f(x0) = T1(x0), f0(x0) = T 01(x0) und f 00(x0) = T 002 (x0).

Falls f 00(x0) 6= 0, so beschreibt T2 eine"Schmiegparabel\ an den Graphen von f im

Punkt x0. Es gilt dann

f(x) = f(x0) + f 0(x0)(x� x0) + f 00(x0)2

(x� x0)2 +R2(x) mit limx!x0

R2(x)

(x� x0)2 = 0 :

-2 -1 1 2 3 4

-5

5

10

15

20

25

Abbildung 19.2: exp, T1, T2; Entwicklungspunkt x0 = 1.

Die folgende wichtige Aussage beschreibt die Form des Taylorrestglieds pr�aziser.

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Taylorformel 99

Satz 19.8 (Satz von Taylor; Lagrange3–Form fur das Restglied).

Es sei I � R ein Intervall, die Funktion f : I ! R sei (n + 1){mal di�erenzierbar und

Rn sei das n{te Taylorrestglied von f im Punkt x0 2 I. Dann gibt es f�ur jeden Punkt

x 2 I ein � zwischen x0 und x, derart, dass

Rn(x) =f (n+1)(�)

(n+ 1)!(x� x0)n+1 :

Man beachte: Der Punkt � h�angt von x0, x, n (und f) ab !

Beweis. Wir halten x 2 Infx0g fest �xiert und betrachten die Hilfsfunktion

gc(u) := f(x)�nXk=0

f (k)(u)

k!(x� u)k � c

(n+ 1)!(x� u)n+1 ; u 2 I : (?)

Wegen x 6= x0, existiert ein c 2 R mit gc(x0) = 0. Da gc(x) = 0, gibt es f�ur die di�erenzierbare

Funktion gc aufgrund des Satzes von Rolle ein � zwischen x und x0 mit g0c(�) = 0. Wegen

d

du

f (k)(u)

k!(x� u)k

!=f (k+1)(u)

k!(x� u)k � f (k)(u)

(k � 1)!(x� u)k�1 ;

gilt

g0c(u) = �f (n+1)(u)

n!(x� u)n + c

n!(x� u)n ;

d.h. c = f (n+1)(�). Setzt man dies und u = x0 in (?) ein, so ergibt sich die Behauptung.

Satz 19.5 besagt, dass sich der Fehler Rn(x) bei der Approximation von f(x) mittels Tn(x)

durch

Rn(x) =f (n+1)(�)

(n+ 1)!(x� x0)n+1

ermitteln l�asst, ohne dass man zuvor f(x) kennen m�usste, d.h. a priori. Hierbei ist � ein

zwischen x und x0 gelegener Punkt, den man i. Allg. nicht genau kennt. Kennt man aber

eine Schranke f�ur f (n+1), z.B. jf (n+1)(t)j �Mn+1 f�ur alle t 2 I, so folgt

jf(x)� Tn(x)j � Mn+1

(n+ 1)!jx� x0jn+1 :

Beispiel 19.9.

Es sei I = R, f = sin und x0 = 0. Dann gilt f (2k)(0) = 0 und f (2k+1)(0) = (�1)k f�ur alle

k 2N0, d.h. das (2n+ 1){te Taylorpolynom hat die Form

T2n+1(x) =nXk=0

(�1)k(2k + 1)!

x2k+1 :

Wegen j sin(n) tj � 1 f�ur alle n 2N0 und alle t 2 R gilt dann�����sinx�nXk=0

(�1)k(2k + 1)!

x2k+1

����� � jxj2n+3

(2n+ 3)!f�ur alle x 2 R :

Mithilfe dieser Absch�atzung l�asst sich z.B. zeigen, dass die Zahl sin 1 irrational ist. Dazu

kann man wie beim Nachweis der Irrationalit�at der Eulscherschen Zahl e in Korollar

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100 Taylorformel

-6 -4 -2 2 4 6

-6

-4

-2

2

4

6

Abbildung 19.3: sin, T1, T3, T5, T7, T9

12.2 argumentieren.

Definition (Taylorreihe).

Es sei I � R ein Intervall, f : I ! R sei beliebig oft di�erenzierbar und x0 2 I �xiert.

Dann hei�t

Tf (x) =1Xk=0

f (k)(x0)

k!(x� x0)k

die Taylorreihe von f mit Entwicklungspunkt x0.

Beispiel 19.10.

Es sei � 2 R und f(x) := (1 + x)� f�ur x > �1. Dann ist die Taylorreihe von f mit

Entwicklungspunkt 0 durch

Tf (x) =1Xk=0

k

!xk

gegeben. Hierbei ist �

0

!:= 1 ;

k

!:=

kYj=1

�� j + 1

j; k 2N :

Dazu beachte man, dass

f (k)(x) = �(�� 1) � (�� k + 1)(1 + x)��k = k!

k

!(1 + x)��k :

Bemerkungen.

(a) Der Konvergenzradius einer Taylorreihe ist nicht notwendigerweise positiv, siehe

Aufgabe x21.2.3J.{L. Lagrange (1736{1813)

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Taylorformel 101

(b) Falls die Taylorreihe einer Funktion f konvergiert, dann nicht notwendig gegen

f . Das Standardbeispiel hierzu ist die Funktion von Beispiel 19.3.

(c) Die Taylorreihe einer Funktion f konvergiert genau f�ur diejenigen x 2 I gegen

f(x), f�ur die das Restglied Rn(x) f�ur n ! 1 gegen 0 konvergiert. In diesem Fall

kann man f(x) mit jeder gew�unschten Genauigkeit berechnen { und zwar allein

mithilfe der Funktions{ und Ableitungswerte an der einen Stelle x0 ! Man sagt,

dass die Funktion f durch ihre Taylorreihe darstellbar sei.

(d) Ist f(x) =P1k=0 akx

k eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0, so ist die

Taylorreihe von f mit Entwicklungspunkt x0 = 0 gleich dieser Potenzreihe. Dies

folgt aus Beispiel 19.4.

Wir kehren jetzt zu Beispiel 19.10 zur�uck.

Satz 19.11 (Binomische Reihe, Newton 1665).

Es sei � 2 R. Dann gilt

(1 + x)� =1Xk=0

k

!xk ; x 2 (�1; 1) :

Satz 19.11 beinhaltet als Spezialfall (� = �1) die geometrische Reihe (Satz 9.1). Man beachte,

dass die Funktion linker Hand stets f�ur alle x � �1 de�niert ist.

Beweis. Sei f(x) := (1 + x)� f�ur x � �1. Die Potenzreihe

Tf (x) :=1Xk=0

k

!xk

hat f�ur � 62N0 wegen

limn!1

���� �n+1

��������n

��� = limn!1

j�� njn+ 1

= 1

den Konvergenzradius R = 1 und f�ur � 2 N0 den Konvergenzradius R = 1. Folglich ist

Tf : (�1; 1)! R eine di�erenzierbare Funktion mit

T 0f (x) =1Xk=0

(k + 1)

k + 1

!xk =

1Xk=0

�� 1

k

!xk :

Wegen der leicht zu �uberpr�ufenden Identit�at �� 1

k

!+

�� 1

k � 1

!=

k

!;

ergibt sich hieraus die Funktionalgleichung

(1 + x)T 0f (x) = �+1Xk=1

" �� 1

k

!+

�� 1

k � 1

!#xk = �Tf (x) :

Wegen (1 + x)f 0(x) = �f(x) f�ur f(x) = (1 + x)� folgt

f 0(x)Tf (x)� f(x)T 0f (x) = 0

f�ur alle x 2 (�1; 1). Somit ist Tf=f eine konstante Funktion auf (�1; 1) mit Tf (0) = f(0). Es

folgt f(x) = Tf (x) f�ur alle x 2 (�1; 1).

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102 Taylorformel

Wie der Beweis zeigt, ist der Satz von Taylor nicht immer das bequemste Mittel zum Beweis,

dass die Taylorreihe die gegebene Funktion darstellt.

Beispiel 19.12.

Es sei m0 die Ruhemasse eines Teilchens und E0 seine Ruheenergie. Bezeichnet c

die Lichtgeschwindigkeit, so besagt eine physikalische Theorie, dass die Masse m des

bewegten Teilchens von seiner Geschwindigkeit v abh�angt,

m =m0q

1� �vc �2 ;und seine Gesamtenergie E durch E = mc2 gegeben ist. Die kinetische Energie ist dann

E � E0 = mc2 �m0c2 = m0c

2

0@ 1� �v

c

�2!�1=2

� 1

1A :

Die binomische Reihe ergibt

E � E0 = m0c21Xk=1

�1=2k

!(�1)k

�v

c

�2k

=1

2m0v

2 +3

8m0v

2�v

c

�2

+5

16m0v

2�v

c

�4

+ : : : :

Der erste Term 12m0v

2 repr�asentiert die kinetische Energie des Teilchens im Rahmen

einer anderen physikalischen Theorie.

Zusatzliches Beispiel.

Es gilt

p1 + x =

1Xk=0

1=2

k

!xk = 1 +

1

2x� 1

2 � 4 x2 +

1 � 32 � 4 � 6 x

3 � � � � ; x 2 (�1; 1) :

Dies liefert die bei Physikerinnen und Physikern beliebte N�aherungp1 + x � 1 + x=2

f�ur"kleine\ x. Genauer zeigt der Satz von Taylor f�ur nicht negative x 2 (�1; 1)���p1 + x� (1 + x=2)

��� � 1

8

1

(1 + �)3=2x2 � x2

8

mit einem � zwischen 0 und x. F�ur x = 1=2 stimmen alsop1 + x =

p3=2 � 1:22474 und

1 + x=2 = 1:25 nach der obigen Formel bis auf eine Abweichung von (1=2)2=8 = 0:03125

�uberein. Die tats�achliche Abweichung betr�agt ca. 0:0252551.

Ruckblick (Die Exponentialfunktion; full circle).

Es sei f : R ! R eine di�erenzierbare Funktion mit f 0 = f und f(0) = 1. Dann folgt

induktiv, dass f : R! R beliebig oft di�erenzierbar ist mit f (k)(0) = 1 f�ur alle k 2N0.

Die Taylorreihe von f mit Entwicklungpunkt x0 = 0 ist also durch

Tf (x) =1Xk=0

xk

k!

gegeben. Diese Reihe konvergiert f�ur jedes x 2 R, insbesondere gilt xk=k!! 0 f�ur k!1.

F�ur das Restglied Rn(x) gilt f�ur jedes feste x 2 R

jRn(x)j =�����f

(n+1)(�)

(n+ 1)!xn+1

����� =�����f(�) � x

n+1

(n+ 1)!

����� :

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Taylorformel 103

Man beachte, dass � eine von x und(!) n abh�angige reelle Zahl zwischen 0 und x ist,

d.h. es gilt sicher j�j � jxj und somit jf(�)j � maxt2[�jxj;jxj] jf(t)j :=M . Hierbei h�angt M

nur von x, aber nicht von n ab. Es folgt, dass jRn(x)j �M jxjn+1=(n+1)!! 0 f�ur n!1f�ur jedes feste x 2 R, d.h. die Funktion f wird durch ihre Taylorreihe dargestellt:

f(x) =1Xk=0

xk

k!; x 2 R : (?)

Startet man also von einer di�erenzierbaren Funktion f : R ! R mit f 0 = f und

f(0) = 1 (deren"Existenz\ zun�achst einmal a priori nicht evident ist), so gelangt

man unweigerlich zur obigen Taylorreihe, d.h. einer"Formel\ zur Berechnung der

gesuchten Funktion. Da die Reihe konvergiert (sogar f�ur alle komplexen x) kann man

nun a posteriori die gesuchte Funktion mithilfe der Potenzreihe (?) definieren. Dies liefert

automatisch die Existenz der gesuchten Funktion inklusive einer exzellenten Formel f�ur

die Berechnung der Funktionswerte und entspricht dem in dieser Vorlesung gew�ahlten

Zugang zur Exponentialfunktion (siehe x12).

Aufgaben zu x19

1. Beweisen Sie die Aussagen von Beispiel 19.3. (�Ubungsaufgabe)

2. Es sei f : R! R de�niert durch

f(t) :=

8>>>><>>>>:

1

t� 1

2 sin(t=2)t 6= 0

f�ur

0 t = 0 :

Zeigen Sie, dass f : R! R beliebig oft di�erenzierbar ist.

3. (Leibnizsche Regel)

Es seien f; g : D ! R n{mal di�erenzierbar in x0 2 D � R. Beweisen Sie

(f � g)(n)(x0) =nXk=0

n

k

!f (k)(x0)g

(n�k)(x0) :

4. (Eine Variante der Regel von l'Hospital)

Die Funktionen f; g : (�a; a)! R seien n{mal di�erenzierbar mit

f(0) = f 0(0) = : : : = f (n�1)(0) = g(0) = g0(0) = : : : = g(n�1)(0) = 0 ;

aber

g(n)(0) 6= 0 :

Man zeige mithilfe der Taylorformel, dass

limx!0

f(x)

g(x)=f (n)(0)

g(n)(0):

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104 Taylorformel

5. Die Funktion f : R! R sei di�erenzierbar und im Punkt a 2 R zweimal di�erenzier-

bar. Man zeige, dass

f 00(a) = limh!0

f(a+ h) + f(a� h)� 2f(a)

h2:

(�Ubungsaufgabe)

6. Man bestimme das n{te Taylorpolynom von

log

�1 + x

1� x�; x 2 (�1; 1) :

7. (Lokale Extrema; Bedingungen h�oherer Ordnung)

Es sei I = (�; �), a 2 I und f 2 Cn(I) mit f(a) = f 0(a) = : : : = f (n�1)(a) = 0 und

f (n)(a) 6= 0 f�ur ein n 2N. Beweisen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Ist n ungerade, dann hat f in a kein lokales Extremum.

(b) Ist n gerade, dann hat f in a ein lokales Minimum, falls f (n)(a) > 0 bzw. ein

lokales Maximum, falls f (n)(a) < 0.

� �� 8. Es sei x 2 (�1; 1) �xiert. Man zeige, dass

1p1� 2xt+ t2

=1Xk=0

Pk(x)tk ; t 2 (�1=3; 1=3)

mit eindeutig bestimmten Polynomen Pn vom Grad n, die sich aus P0(x) = 1, P1(x) = x

und

(n+ 1)Pn+1(x) = (2n+ 1)xPn(x)� nPn�1(x) ; n 2N ;

berechnen lassen.� ��

(Die Polynome Pn sind die Legendre{Polynome, die zur Behandlung der Schr�odinger{

Gleichung des Wassersto�atoms eine Rolle spielen.)

3Die mit� �� gekennzeichneten Aufgaben sind in der Regel aufw�andiger.

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x 20

Normierte R�aume

Es ist eine wahre Freude, den Eifer der alten Geometer anzusehen, mit dem sie diesen

Eigenschaften nachforschten, ohne sich durch die Frage eingeschr�ankter K�opfe irre machen

zu lassen, wozu denn diese Kenntnis n�utzen sollte ?

I. Kant, Kritik der Urteilskraft, x62

Wir beginnen jetzt mit einer systematischen Untersuchung von Funktionen mehrerer reeller

Ver�anderlicher (zur Motivation hierf�ur siehe Vorlesung).

Definition (Euklidisches Skalarprodukt).

F�ur zwei Vektoren x = (x1; : : : ; xm) 2 Rm und y = (y1; : : : ; ym) 2 Rm hei�t

hx; yi :=mXj=1

xjyj ;

(euklidisches) Skalarprodukt von x und y.

Die folgenden Eigenschaften des Skalarprodukts best�atigt man mit einem Blick:

Lemma 20.1.

F�ur alle x; y; z 2 Rm und jedes � 2 R gelten die folgenden Aussagen.

(a) hx; xi � 0 mit Gleichheit genau dann, wenn x = 0;

(b) hx; yi = hy; xi;(c) h�x; yi = �hx; yi;(d) hx+ y; zi = hx; zi+ hy; zi.

Definition.

F�ur x = (x1; : : : ; xm) 2 Rm hei�t die (nicht negative) reelle Zahl

jjxjj2 :=qhx; xi =

0@ mXj=1

x2j

1A1=2

die euklidische Norm oder 2{Norm des Vektors x.

Bemerkung.

F�ur x = x1 2 R1 ist jjxjj2 = jxj, d.h. die euklidische Norm ist der Absolutbetrag von

x. Identi�ziert man f�ur m = 2 den Punkt x = (x1; x2) 2 R2 mit der komplexen Zahl

z = x1 + ix2 2 C, so ist jjxjj2 = jzj, d.h. die euklidische Norm des Punktes x 2 R2

entspricht dem Betrag der komplexen Zahl z 2 C.

105

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106 Normierte Raume

Wir zeigen nun, dass die f�ur den Betrag g�ultige Dreiecksungleichung in R bzw. C auch f�ur die

euklidische Norm in Rm f�ur jedes m 2N g�ultig bleibt. Dazu ben�otigen wir die fundamentale

Cauchy{Schwarzsche Ungleichung:

Lemma 20.2 (Cauchy–Schwarzsche Ungleichung).

F�ur alle x; y 2 Rm gilt

jhx; yij � jjxjj2 � jjyjj2 :

Ausgeschrieben: ������mXj=1

xjyj

������2

�0@ mXj=1

x2j

1A �

0@ mXj=1

y2j

1A :

Beweis. Dies ist tricky ! Wir �xieren x; y 2 Rm und nehmen o.E. y 6= 0 an. Wir betrachten

jetzt die Funktion f : R! R de�niert durch

f(�) := hx+ �y; x+ �yi (?)= hy; yi�2 + 2hx; yi�+ hx; xi ; � 2 R :

Hierbei wurden in (?) die Eigenschaften (b), (c) und (d) aus Lemma 20.1 benutzt. Der Graph

von f ist folglich eine nach oben ge�o�nete Parabel, die wegen Lemma 20.1 (a) keine negativen

Werte annimmt. Ihre Diskriminante 4hx; yi2 � 4hy; yihx; xi ist somit � 0. Fertig !

Man beachte, dass dieser Beweis ausschlie�lich die Eigenschaften des Skalarprodukts aus

Lemma 20.1 benutzt, nicht aber die explizite Formel f�ur h� ; �i. F�ur die G�ultigkeit der Cauchy{Schwarzschen Ungleichung ist also irrelevant, wie man hx; yi tats�achlich berechnet.

Lemma 20.3.

F�ur die euklidische Norm jj � jj im Vektorraum X := Rm gelten die folgenden Aussagen.

(N1) Es ist jjxjj � 0 f�ur jedes x 2 X mit Gleichheit genau dann, wenn x = 0;

(N2) F�ur jedes x 2 X und jedes � 2 R gilt jj�xjj = j�j � jjxjj;(N3) F�ur alle x; y 2 X gilt jjx+ yjj � jjxjj+ jjyjj. (Dreiecksungleichung)

Man vergleiche Lemma 20.3 mit den Axiomen eines bewerteten K�orpers (siehe S. 13). Worin

liegt der Unterschied zwischen (B2) und Aussage (N2) ?

Beweis. Die Eigenschaften (N1) und (N2) sind"trivial\. Aussage (N3) ergibt sich aus der

Cauchy{Schwarzschen Ungleichung

jjx+yjj2 = hx+y; x+yi = hx; xi+2hx; yi+hy; yi � jjxjj2+2jjxjj jjyjj+ jjyjj2 =�jjxjj+ jjyjj

�2:

Definition.

Es sei X ein reeller Vektorraum. Ein Abbildung jj � jj : X ! R hei�t Norm, falls die

Bedingungen (N1), (N2) und (N3) aus Lemma 20.3 erf�ullt sind. In diesem Fall hei�t

(X; jj � jj) normierter Vektorraum oder auch normierter Raum.

Damit ist (Rm; jj � jj2) ein Beispiel eines normierten Raums. Es gibt viele weitere Normen f�ur

Rm, siehe z.B. Aufgabe x20.1.

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Normierte Raume 107

Vereinbarung: Im Folgenden verwenden wir auf dem Rm, wenn nicht ausdr�uck-

lich etwas anderes vermerkt wird, stets die euklidische Norm jj � jj2.

F�ur die euklidische Norm jj � jj2 gilt f�ur alle x; y 2 Rm

jjx� yjj2 =0@ mXj=1

(xj � yj)21A1=2

:

Dies ist ersichtlich (zumindest f�ur m = 1, m = 2 oder m = 3) der"euklidische\ Abstand der

Punkte x und y. Wir nennen daher f�ur einen beliebigen normierten Raum (X; jj � jj) die Zahl

d(x; y) := jjx� yjj

den Abstand der beiden Punkte x 2 X und y 2 X. Setzt man x = a � b und y = b � c, soergibt die Dreiecksungleichung

d(a; c) = jja� cjj � jja� bjj+ jjb� cjj = d(a; b) + d(b; c)

f�ur jeweils drei Punkte a; b; c 2 X.

Bemerkung.

Wir fassen im Folgenden die Elemente eines normierten Raumes (X; jj � jj) als Punkte

in der abstrakten Menge X auf und dementsprechend jja � bjj als den geometrischen

Abstand der beiden Punkte a und b. Die Norm jjajj eines Punktes a 2 X misst dann

den Abstand von a zum Nullpunkt, d.h. jjajj ist ein Ma� f�ur die"Gr�o�e\ des Punktes

a 2 X. Normierte R�aume spielen f�ur das Folgende eine zentrale Rolle.

Beispiel 20.4.

Auf dem reellen Vektorraum

C[a; b] := ff : [a; b]! R stetigg

aller stetigen Funktionen f : [a; b]! R ist durch

jjf jj1 := maxt2[a;b]

jf(t)j ; f 2 C[a; b] ;

eine Norm auf C[a; b] gegeben.

Beweis. Satz 13.4 impliziert, dass C[a; b] ein reeller Vektorraum ist. Jedes f 2 C[a; b] nimmt

nach dem Satz vom Maximum (Satz 14.7) in einem Punkt t0 2 [a; b] ihr Maximum an,

d.h. jjf jj1 ist wohlde�niert. Die Eigenschaften (N1) und (N2) sind o�ensichtlich. Zum Nach-

weis von (N3) seien f; g 2 C[a; b]. Dann gilt f�ur jedes t 2 [a; b] mithilfe der Dreiecks-

ungleichung in R die Absch�atzung jf(t) + g(t)j � jf(t)j + jg(t)j � jjf jj1 + jjgjj1, also

jjf + gjj1 � jjf jj1 + jjgjj1.

Vereinbarung: C[a; b] wird im Folgenden stets mit der Maximumsnorm jj � jj1versehen.

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108 Normierte Raume

Bemerkung (Unterraume normierter Raume).

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum und U ein Untervektorraum von X. Dann ist die

Restriktion von jj � jj auf U eine Norm auf U und (U; jj � jj) ein normierter Raum.

Beispiel 20.5.

Der Vektorraum

C1[a; b] := ff : [a; b]! R : f ist stetig di�erenzierbar auf [a; b]gist nach Korollar 16.3 und Satz 16.4 ein Untervektorraum von C[a; b]. Folglich ist

(C1[a; b]; jj � jj1) ein normierter Raum.

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. F�ur a 2 X und r > 0 hei�t

Br(a) := fx 2 X : jjx� ajj < rgdie o�ene Kugel1 mit Mittelpunkt a und Radius r.

Man beachte, dass die Form der o�enen Kugeln Br(a) von der Norm jj � jj auf X abh�angt.

Beispiele 20.6.

(a) Es sei (X; jj � jj) = (Rm; jj � jj2). F�ur m = 1 ist Br(a) das o�ene Intervall (a�r; a+r);f�ur m = 2 ist Br(a) die o�ene Kreisscheibe mit Mittelpunkt a und Radius r > 0.

m = 1 m = 2 m = 3

(b) Es sei (X; jj � jj) = (C[a; b]; jj � jj1). Dann besteht f�ur jedes f 2 C[a; b] die o�ene

Kugel B"(f) aus allen stetigen Funktionen g : [a; b] ! R, deren Graphen im""{

Schlauch\ um den Graphen von f verlaufen.

-0.5 0.5 1.0 1.5

-0.5

0.5

1.0

1.5

t3 � t2

g 2 B2=10(f)

Abbildung 20.1: Der Graph von f(t) = t3 � t2 mit "{Schlauch f�ur " = 2=10.

Wir �ubertragen nun den Konvergenzbegri� (siehe x4) auf normierte R�aume.

1 englisch ball bzw. franz�osisch boule.

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Normierte Raume 109

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Eine Folge (an) in X hei�t konvergent mit Limes

a 2 X, in Zeichen an ! a f�ur n ! 1, falls die reelle Folge (jjan � ajj)n eine Nullfolge

ist, d.h. falls

8">0 9N2N 8n�N jjan � ajj < " :

Dies entspricht"w�ortlich\ der De�nition der Konvergenz in einem bewerteten K�orper (Seite

16). Man ersetzt lediglich den Betrag der Di�erenz zweier Zahlen durch den Abstand zwei-

er Punkte. Die Bedingung an ! a bedeutet geometrisch, dass jede Kugel B"(a) fast alle

Folgenglieder enth�alt. Wir schreiben limn!1 an = a, falls jjan � ajj ! 0.

Bemerkungen.

Es seien (X; jj � jj) ein normierter Raum und (an) eine Folge in X mit Limes a 2 X.

(a) Der Limes a 2 X ist eindeutig bestimmt, denn ist a0 2 X ein weiterer Limes der

Folge (an), so folgt aus 0 � jja�a0jj � jja�anjj+ jjan�a0jj ! 0+0 = 0, dass a0 = a.

(b) Jede Teilfolge (ank) von (an) konvergiert ebenfalls gegen a.

Aussage (b) entspricht Satz 4.8, dessen Beweis wortw�ortlich g�ultig bleibt. Ebenso �ubertragen

sich einige der in bewerteten K�orpern g�ultigen Rechenregeln (vgl.Satz 4.2):

Bemerkung (Grenzwertrechenregeln).

Es seien (X; jj � jj) ein normierter Raum, (an) und (bn) Folgen in X und �; � 2 R. Dann

folgt aus an ! a und bn ! b stets �an + �bn ! �a+ �b.

Lemma 20.7.

Eine Folge von Punkten an = (an1; : : : ; anm) 2 Rm konvergiert gegen den Punkt a0 =

(a01; : : : ; a0m) 2 Rm genau dann, wenn

limn!1 anj = a0j f�ur jedes j = 1; : : : ;m :

Wir erinnern daran, dass wir den Rm stets mit der euklidischen Norm ausstatten.

Beweis. Dies folgt aus den auch f�ur sich wichtigen Ungleichungen

8j=1;:::;m janj � a0j j � jjan � a0jj2 �mXj=1

janj � a0j j :

Zur �Uberpr�ufung der Ungleichung rechts, quadriere man beide Seiten.

Slogan: Konvergenz in Rm bedeutet also komponentenweise Konvergenz

Man vgl. Lemma 20.7 mit Lemma 7.2.

Aufgaben zu x20

1. F�ur x = (x1; : : : ; xm) 2 Rm sei

jjxjj1 := maxj=1;:::;m

jxj j

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110 Normierte Raume

die sog. Maximumsnorm. Man beweise, dass (Rm; jj � jj1) ein normierter Raum ist und

skizziere f�ur den Fall m = 2 die o�ene Kugel B1(0).

2. Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Beweisen Sie die umgekehrte Dreiecksunglei-

chung jjx� yjj � ��jjxjj � jjyjj�� f�ur alle x; y 2 X.

3. Es sei l1 die Menge aller beschr�ankten reellen Folgen. Man zeige, dass l1 ausgestattet

mit der Supremumsnorm

jj(an)jj1 := supn2N

janj ; (an) 2 l1 ;

ein normierter Raum ist.

4. Es sei

l1 :=

((an)n : (an)n Folge in R mit

1Xn=1

janj <1):

Man zeige, dass l1 ausgestattet mit

jj(an)jj1 :=1Xn=1

janj ; (an) 2 l1 ;

ein normierter Raum ist.

5. Es sei

l2 :=

((an)n : (an)n Folge in R mit

1Xn=1

janj2 <1):

Man zeige, dass l2 ausgestattet mit

jj(an)jj2 := 1Xn=1

janj2!1:2

; (an) 2 l2 ;

ein normierter Raum ist.

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x 21

Funktionenfolgen und Funktionenreihen

Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu.

Mathematiklehrer Brenneke in \Eduards Traum" von Wilhelm Busch (1832 - 1908)

Wir betrachten nun den Konvergenzbegri� im normierten Raum (C[a; b]; jj � jj1) genauer.

Dazu fassen wir stetige Funktionen f : [a; b]! R als Punkte im Raum C[a; b] auf.

Lemma 21.1.

Eine Folge (fn) konvergiert in (C[a; b]; jj � jj1) genau dann gegen ein f 2 C[a; b], wenngilt

8">0 9N2N 8n�N 8t2[a;b] jfn(t)� f(t)j < " : (?)

Beweis. Dies folgt aus: 8t2[a;b] jfn(t)� f(t)j < " () jjfn � f jj1 < ".

Bedingung (?) macht auch f�ur nicht notwendigerweise stetige Funktionen fn; f : [a; b] ! R

Sinn und f�uhrt auf das folgende Konzept.

Definition.

Eine Folge von Funktionen fn : [a; b] ! R konvergiert gleichm�a�ig auf [a; b] gegen eine

Funktion f : [a; b]! R, wenn Bedingung (?) gilt, d.h. wenn es zu jedem " > 0 ein N 2N

gibt, derart, dass f�ur jedes n � N und alle t 2 [a; b] die Ungleichung jfn(t) � f(t)j < "

besteht.

Definition.

Eine Folge von Funktionen fn : [a; b] ! R konvergiert punktweise auf [a; b] gegen eine

Funktion f : [a; b]! R, wenn f�ur jedes feste t 2 [a; b] gilt, dass limn!1 fn(t) = f(t).

Punktweise Konvergenz von (fn) gegen f auf [a; b] bedeutet also

8t2[a;b] 8">0 9N2N 8n�N jfn(t)� f(t)j < " : (?')

Bemerkung.

In (?') h�angt N 2 N sowohl von " > 0 als auch von t 2 [a; b] ab. In (?) h�angt N 2 N

dagegen nur von ", nicht aber von t ab. Ist also Bedingung (?) erf�ullt, so ist notwendi-

gerweise auch (?') erf�ullt.

Slogan: Gleichm�a�ige Konvergenz impliziert punktweise Konvergenz.

Die Umkehrung dieser Aussage ist i. Allg. nicht richtig! Hierzu ein Beispiel.

111

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112 Funktionenfolgen und Funktionenreihen

Beispiel 21.2 (Standardbeispiel fur punktweise, aber nicht gleichmaßige Konvergenz).

Die Funktionenfolge (fn) de�niert durch fn(t) := tn f�ur t 2 D = [0; 1] konvergiert

punktweise auf D gegen f(t) := 0 f�ur t 2 [0; 1) und f(1) = 1.

Man beachte, dass tn < ", t 2 (0; 1), gleichwertig mit n > ln "= ln t ist. F�ur N("; t) eignen

sich also nur nat�urliche Zahlen > ln "= ln t. Ist " < 1, so gilt

limt!1�

ln(1=")

ln(1=t)=1 :

Man kann daher kein N(") 2N �nden mit tn < " f�ur alle n � N(") und alle(!) t 2 (0; 1).

Die punktweise Konvergenz von (fn) gegen f auf [0; 1] ist also nicht gleichm�a�ig.

Man vergleiche mit der Animation der Vorlesung.

Man beachte, dass in Beispiel 21.2 die"Grenzfunktion\ f : [0; 1]! R nicht stetig ist, obwohl

alle Funktionen der Funktionenfolge stetig sind. Bei punktweiser Konvergenz �ubertr�agt sich

die Stetigkeit also nicht notwendigerweise auf die Grenzfunktion. Im Falle gleichm�a�iger

Konvergenz gilt dagegen die folgende wichtige Aussage.

Satz 21.3 (Prinzip der gleichmaßigen Konvergenz).

Es sei (fn) eine Folge stetiger Funktionen fn : [a; b] ! R, die gleichm�a�ig gegen die

Funktion f : [a; b]! R konvergiert. Dann ist f : [a; b]! R stetig.

Beweis. F�ur den Nachweis f 2 C[a; b] gen�ugt es zu zeigen, dass f in jedem Punkt t0 2 [a; b]

stetig ist.

Es sei also " > 0 und t0 2 [a; b] gegeben. Aus der gleichm�a�igen Konvergenz von (fn) auf

[a; b] gegen f , folgt die Existenz eines N = N("), so dass jfn(t)� f(t)j < "=3 f�ur alle n � Nund alle t 2 [a; b]. Da fN in t0 stetig ist, gibt es ein � > 0 mit jfN (t)� fN (t0)j < "=3 f�ur alle

t 2 [a; b] mit jt� t0j < �. Es folgt f�ur alle t 2 [a; b] mit jt� t0j < �

jf(t)� f(t0)j =���f(t)� fN (t)�+ �fN (t)� fN (t0)�+ �fN (t0)� f(t0)���

� jf(t)� fN (t)j+ jfN (t)� fN (t0)j+ jfN (t0)� f(t0)j < "=3 + "=3 + "=3 = " :

Daher ist f in t0 stetig.

Bei gleichm�a�iger Konvergenz �ubertr�agt sich also die Stetigkeit von fn : [a; b] ! R auf die

Grenzfunktion f : [a; b]! R, d.h. es gilt

limt!t0

limn!1 fn(t) = lim

n!1 limt!t0

fn(t) ; t0 2 [a; b] :

Man spricht hier auch von einem Vertauschungsssatz : Die beiden Grenzwertprozesse t! t0und n ! 1 lassen sich unter geeigneten Bedingungen (gleichm�a�iger Konvergenz) vertau-

schen. Bei lediglich punktweiser Konvergenz ist dies i. Allg. nicht richtig, siehe Beispiel 21.2.

Warnung. Bei der Vertauschung von Grenzwertprozessen ist gr�o�te Sorgfalt notwendig.

Satz 21.4.

Es sei (fn) eine Folge di�erenzierbarer Funktionen fn : [a; b]! R, die punktweise gegen

eine Funktion f : [a; b]! R konvergiert. Ferner konvergiere (f 0n) gleichm�a�ig gegen eine

stetige Funktion g : [a; b]! R. Dann ist f : [a; b]! R di�erenzierbar mit f 0 = g, d.h.

f 0(t) = limn!1 f

0n(t) f�ur alle t 2 [a; b] :

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Funktionenfolgen und Funktionenreihen 113

Beweis. Es sei t0 2 [a; b] �xiert. Dann gibt es nach demMittelwertsatz f�ur jedes t 2 [a; b]nft0gund jedes n 2N ein �t;n zwischen t und t0, so dass

����fn(t)� fn(t0)t� t0 � g(t0)���� =

��f 0n(�t;n)� g(t0)�� � jf 0n(�t;n)� g(�t;n)j+ jg(�t;n)� g(t0)j :W�ahlt man zu vorgegebenem " > 0 ein � > 0 mit jg(~t) � g(t0)j < "=2 f�ur alle ~t 2 [a; b] mit

j~t� t0j < �, so gilt f�ur alle jt� t0j < �

����fn(t)� fn(t0)t� t0 � g(t0)���� < jf 0n(�t;n)� g(�t;n)j+ "=2

f�ur alle n 2 N. Da (f 0n) gleichm�a�ig auf [a; b] gegen g konvergiert, gibt es ein N 2 N mit

jf 0n(t)�g(t)j < "=2 f�ur alle n � N und alle t 2 [a; b]. Insbesondere gilt jf 0n(�t;n)�g(�t;n)j < "=2

f�ur alle n � N , d.h.

����f(t)� f(t0)t� t0 � g(t0)���� < "=2 + "=2 = "

f�ur alle jt� t0j < �. Daher ist f in t0 di�erenzierbar mit f 0(t0) = g(t0).

Beispiel 21.5.

Es sei fn(t) := sin(nt)=n, t 2 [0; 2�]. Dann gilt fn ! 0 gleichm�a�ig auf [0; 2�], aber

f 0n(t) = cos(nt) konvergiert nicht gegen 0.

Die S�atze 21.3 und 21.4 gelten sinngem�a� auch f�ur Funktionenreihen. F�ur diese gibt es einen

besonders e�ektiven Test auf gleichm�a�ige Konvergenz. Dazu setzen wir f�ur eine beliebige

Funktion f : [a; b]! R

jjf jj1 := supt2[a;b]

jf(t)j :

Es gilt dann: f : [a; b]! R ist beschr�ankt () jjf jj1 <1.

Satz 21.6 (Majorantenkriterium von Weierstraß).

Es sei (fn) eine Folge von Funktionen fn : [a; b]! R. Konvergiert die Zahlenreihe

1Xk=1

jjfkjj1 ;

so konvergiert die Funktionenreihe1Pk=1

fk absolut und gleichm�a�ig auf [a; b].

Beweis. Sei t 2 [a; b] �xiert. Da jfk(t)j � jjfkjj1 konvergiert nach dem Majorantenkriterium

(Satz 10.2) die Reihe F (t) :=P1k=1 fk(t) absolut. Dies de�niert eine Funktion F : [a; b]! R.

Wir zeigen, dass Partialsummen sn :=Pnk=1 fk gleichm�a�ig auf [a; b] gegen F konvergieren.

Dazu sei " > 0 vorgegeben. Da nach Voraussetzung die ReiheP1k=1 jjfkjj1 konvergiert, gibt

es ein N 2N, derart, dass

1Xk=n+1

jjfkjj1 < " f�ur alle n � N :

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114 Funktionenfolgen und Funktionenreihen

Dies impliziert

jsn(t)� F (t)j =������

1Xk=n+1

fk(t)

������ �1X

k=n+1

jfk(t)j �1X

k=n+1

jjfkjj1 < "

f�ur alle n � N und alle t 2 [a; b].

Beispiel 21.7 (Siehe Animation der Vorlesung).

Die Reihe1 1Xk=1

cos(kt)

k2

konvergiert gleichm�a�ig auf jedem Intervall [a; b] � R und stellt somit eine auf R stetige

Funktion dar.

Sp�ater werden wir den Wert dieser Reihe berechnen (siehe Satz 33.11).

Beispiel 21.8 (Siehe Animation der Vorlesung).

Die Reihe 1Xk=1

sin(kt)

k:

konvergiert in jedem Intervall [�; 2� � �], � 2 (0; �), gleichm�a�ig. Somit gilt

1Xk=1

cos(kt)

k2

!0= �

1Xk=1

sin(kt)

k; t 2 (0; 2�) :

Beweis. Es gilt f�ur sn(t) :=nPk=1

sin(kt) = Im

�nPk=1

eikt�die Absch�atzung

jsn(t)j ������nXk=1

eikt����� =

�����eint � 1

eit � 1

����� � 2��eit=2 � e�it=2�� = 1

sin t2

� 1

sin �2

f�ur alle n 2N und alle t 2 [�; 2� � �]. F�ur alle m > n > 0 ergibt sich damit�����mXk=n

sin(kt)

k

����� =�����mXk=n

sk(t)� sk�1(t)

k

����� =�����mXk=n

sk(t)

�1

k� 1

k + 1

�+sm(t)

m+ 1� sn�1(t)

n

������ 1

sin �2

�1

n� 1

m+ 1+

1

m+ 1+

1

n

�� 2

n � sin �2

:

f�ur alle t 2 [�; 2� � �]. Es folgt�����1Xk=n

sin(kt)

k

����� � 2

n � sin �2

f�ur alle t 2 [�; 2� � �] :

Daraus folgt die behauptete gleichm�a�ige Konvergenz. Satz 21.4 angewendet auf jedes der

Intervalle [�; 2� � �], � 2 (0; �), ergibt dann die zweite Behauptung.

1Dies ist ein Beispiel einer sogenannten Fourierreihe (J. Fourier (1768{1830)).

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Funktionenfolgen und Funktionenreihen 115

Satz 21.9 (Satz von Dini [benannt nach U. Dini 1845–1918]).

Es sei (fn) eine punktweise konvergente Folge in C[a; b]. Ist die Grenzfunktion stetig

auf [a; b] und konvergiert (fn) monoton, so ist (fn) gleichm�a�ig konvergent auf [a; b].

Beweis. Wir betrachten den Fall, dass (fn(t))n f�ur jedes t 2 [a; b] monoton f�allt. Dann ist

gn(t) := fn(t) � f(t) � 0 und es gibt tn 2 [a; b] mit gn(tn) = jjgnjj1. Wegen gn+1(tn+1) �gn(tn+1) � gn(tn) ist (gn(tn)) monoton fallend und nach unten beschr�ankt, also konvergent.

Es gibt dann eine Teilfolge (tnk) mit Limes � 2 [a; b] und es folgt f�ur alle k � K 2N

gnk(tnk) = gnk(�) + gnk(tnk)� gnk(�) = gnk(�) +�gnK (tnk)� gnK (�)

�+�gnK (�)� gnk(�)

�:

W�ahlt man zu vorgegebenem " > 0 ein K 2N mit gnk(�) < "=3 und gnK (�)� gnk(�) < "=3

f�ur alle k � K und dann ein K 0 � K mit jgnK (tnk)� gnK (�)j < "=3 f�ur alle k � K 0, so ergibtsich 0 � gnk(tnk) < " f�ur alle k � K 0. Dies zeigt gnk(tnk)! 0, d.h. jjgnjj1 = gn(tn)! 0.

Aufgaben zu x21

1. Es sei fn : [0; 1]! R de�niert durch

fn(t) :=

8>><>>:n2t 0 � t � 1

n

2n� n2t f�ur 1n � t � 2

n

0 2n � t � 1 :

Man zeige, dass (fn) punktweise, aber nicht gleichm�a�ig auf [0; 1] gegen die Grenzfunk-

tion f � 0 konvergiert. (Hinweis: Skizze)

2. Die Funktion f sei auf R de�niert durch

f(x) :=1Xn=0

cos�n2x

�2n

:

Beweisen Sie, dass f : R ! R beliebig oft di�erenzierbar ist und dass die Taylorreihe

von f mit Entwicklungspunkt x0 = 0 den Konvergenzradius R = 0 besitzt.

3. Beweisen Sie die folgende Versch�arfung von Satz 21.4:

Es sei (fn) eine Folge di�erenzierbarer Funktionen fn : [a; b]! R, so dass (f(t0))nf�ur einen Punkt t0 2 [a; b] konvergiert. Ferner konvergiere (f 0n) gleichm�a�ig auf

[a; b]. Dann konvergiert (fn) gleichm�a�ig auf [a; b] gegen eine di�erenzierbare Funk-

tion f : [a; b]! R und es gilt

f 0(t) = limn!1 f

0n(t) f�ur alle t 2 [a; b] :

4. Es sei fn : [�1; 1] ! R de�niert durch fn(x) :=px2 + 1=n2. Man zeige: (f 0n) konver-

giert punktweise. Ferner zeige man, dass (fn) gleichm�a�ig auf [�1; 1] konvergiert, dassaber die Grenzfunktion nicht �uberall di�erenzierbar ist.

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116 Funktionenfolgen und Funktionenreihen

� �� 5. Zeigen Sie, dass die durch

f(x) :=1Xn=1

2n sin�2nx

�3n

; x 2 R ;

de�nierte Funktion f : R ! R �uberall auf R stetig, aber nirgendwo (also in keinem

einzigen Punkt) di�erenzierbar ist.

Bemerkung: Das erste Beispiel einer �uberall stetigen, aber nirgendwo di�erenzierbaren

Funktion wurde von K. Weierstra� 1872 angegeben. Derartige Funktionen spielen eine

gro�e Rolle z.B. in der Finanzmathematik.

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x 22

Stetige Abbildungen zwischen normierten R�aumen

Die Anforderungen, die die gr�o�ere Abstraktheit an den Leser stellt, werden durch eine stark

geometrische Sprache erleichtert, mit der der Verfasser im Leser jene F�ahigkeit entwickeln

will, die schon Emmy Noether als"abstrakte Anschauung\ bezeichnet hat.

G. K�othe im Vorwort zu [2]

Es seien A und B Mengen. Eine Abbildung f : A! B ist ein Mechanismus, welcher zu jedem

Element a 2 A ein Element b = f(a) erzeugt. Eine Abbildung muss nicht notwendigerweise

durch eine Formel de�niert sein. Man stelle sich eine Abbildung f : A ! B als"black box\

vor, die bei Eingabe eines a 2 A eine Ausgabe b = f(a) 2 B liefert.

a

A

B

b = f(a)

Abbildung 22.1: Schematische Darstelllung einer Abbildung.

Man denke z.B. an die Exponentialfunktion, die jeder komplexen Zahl a 2 C als Funktions-

wert den Limes

b = limn!1

nXk=0

ak

k!

zuordnet. Hier ist innerhalb der"black box\ ein Grenzwertprozess involviert.

Man verwechsle eine Abbildung f : A ! B nicht mit f(x), ihrem Funktionswert im Punkt

x 2 A. Die Abbildung ist die Maschine, die bei Eingabe von x die Ausgabe f(x) produziert.

Die Menge B hei�t Zielmenge der Abbildung f : A ! B. Die Bildmenge f(A) := ff(a) :

a 2 Ag ist eine Teilmenge der Zielmenge.

Im Folgenden sind A bzw. B stets Teilmengen normierter R�aume X bzw. Y . F�ur x 2 X

und y 2 Y verwenden wir f�ur die Norm i.Allg. das gleiche Symbol: jjxjj bzw. jjyjj. Wenn

Verwechslungsgefahr besteht, schreiben wir auch jjxjjX und jjyjjY .

117

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118 Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen

Beispiel 22.1.

Wir de�nieren eine Abbildung f : C[�1; 1] ! R dadurch, dass wir jedem"Punkt\

x 2 C[�1; 1] seinen Funktionswert x(0) bei 0 zuordnen, d.h.

f : C[�1; 1]! R ; x 7! x(0) :

Wir �ubertragen jetzt den Begri� der Stetigkeit (siehe x13) auf Abbildungen zwischen nor-

mierten R�aumen.

Definition.

Es seien (X; jj � jjX), (Y; jj � jjY ) normierte R�aume und E � X. Eine Funktion f : E ! Y

hei�t stetig im Punkt x0 2 E, wenn f�ur jede Folge (xn) in E mit xn ! x0 stets f(xn)!f(x0) folgt, d.h.

jjxn � x0jjX n!1���! 0 =) jjf(xn)� f(x0)jjY n!1���! 0 :

Ist f stetig in jedem Punkt x0 2 E, so hei�t f stetig auf E. Wir de�nieren C(E; Y ) :=

ff : E ! Y : f stetig auf Eg und schreiben abk�urzend C(E) := C(E;R).

Beispiel 22.2.

Die Abbildung f : (C[�1; 1]; jj � jj1) ! (R; j � j), de�niert durch f(x) := x(0) f�ur x 2C[�1; 1], ist stetig, denn jf(xn)� f(x0)j = jxn(0)� x0(0)j � jjxn � x0jj1.

Wie im eindimensionalen Fall gilt das "{�{Kriterium f�ur Stetigkeit:

Satz 22.3 ("–�–Kriterium fur Stetigkeit).

Es seien (X; jj � jj), (Y; jj � jj) normierte R�aume und E � X. Eine Funktion f : E ! Y ist

genau dann stetig in x0 2 E, wenn es zu jedem " > 0 ein � > 0 gibt, derart, dass f�ur

jedes x 2 E aus jjx� x0jj < � stets jjf(x)� f(x0)jj < " folgt.

Man beachte wieder, dass hierbei � (in der Regel) von x0 und " abh�angt. M�ochte man dies

verdeutlichen, so schreibt man �("; x0) anstelle von �.

Beweis. (Dieser Beweis entspricht w�ortlich dem Beweis von Satz 13.3.)

(i) Zu vorgegebenem " > 0 sei �("; x0) > 0 mit jjf(x) � f(x0)jj < " f�ur alle x 2 E mit

jjx � x0jj < �("; x0). Jetzt sei E 3 xn ! x0. Dann gibt es ein N = N("; x0) 2 N mit

jjxn � x0jj < �("; x0) f�ur alle n � N , also jjf(xn) � f(x0)jj < " f�ur alle n � N("; x0). Dies

zeigt f(xn)! f(x0). Also ist f stetig in x0.

(ii) Nun sei f stetig in x0. Widerspruchsannahme: Sei "0 > 0 derart, dass f�ur alle � > 0

ein x 2 E mit jjx � x0jj < � existiert, so dass jjf(x) � f(x0)jj � "0. W�ahlt man � = 1=n,

n 2 N, so gibt es also eine Folge (xn) in E mit jjxn � x0jj < 1=n, d.h. xn ! x0, und

jjf(xn)� f(x0)jj � "0 > 0. Dies widerspricht aber f(xn)! f(x0).

Beispiel 22.4 (Lipschitz–stetige Funktionen1).

Es seien X und Y normierte R�aume und E � X. Eine Abbildung f : E ! Y hei�t

Lipschitz{stetig auf E, falls es ein L > 0 gibt, derart, dass

jjf(x)� f(~x)jj � L � jjx� ~xjj f�ur alle x; ~x 2 E :1Benannt nach R. Lipschitz (1832{1904).

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Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen 119

In diesem Fall ist L eine Lipschitz{Konstante von f . Jede Lipschitz{stetige Abbildung

ist stetig (man w�ahle � = "=L im "{�{Kriterium).

Beispiel 22.5.

Es sei (X; jj�jj) ein normierter Raum. Dann ist jj�jj : (X; jj�jj)! (R; j � j) Lipschitz{stetig.Beweis. Es gilt jjxjj � jj~xjj = jjx � ~x + ~xjj � jj~xjj � jjx � ~xjj + jj~xjj � jj~xjj f�ur alle x; ~x 2 X,

d.h.��jjxjj � jj~xjj�� � jjx� ~xjj.

Beispiel 22.6 (Lineare Abbildungen des Rm sind stetig).

Es sei A 2 Rp�m und f : Rm ! Rp de�niert durch f(x) := Ax f�ur x 2 Rm. Dann gilt

mit der Abk�urzung y := A(x� ~x)

jjAx� A~xjj2 = jjA(x� ~x)jj2 �pXk=1

jykj �pXk=1

mXj=1

jakj j � jxj � ~xj j �pXk=1

mXj=1

jakj j � jjx� ~xjj2 :

Setzt man also

L :=pXk=1

mXj=1

jakj j ;

so ergibt sich jjf(x)� f(~x)jj2 � L � jjx� ~xjj2 f�ur alle x; ~x 2 Rm, woraus die Lipschitz{

Stetigkeit von f auf Rm folgt.

Wir visualisieren den Fall m = 2 (d.h. zwei Variable) und p = 1 (d.h. f ist reellwertig)

und nehmen A = (a1; a2) 6= (0; 0) an. F�ur den"Graphen\ von f ,

graph(f) := f(x1; x2; A(x1; x2)) = (x1; x2; a1x1 + a2x2) : (x1; x2) 2 R2g

und (x1; x2; y) 2 R3 gilt dann

(x1; x2; y) 2 graph(f) () h(x1; x2; y); (�a1;�a2; 1)i = 0 :

Folglich ist graph(f) gerade die Ebene im R3 durch den Ursprung mit Normalenvektor

(�a1;�a2; 1). In Abbildung 22.2 ist rechts ein rechtwinkliges Gitternetz auf der x1{x2{

Ebene (in blau) und dessen Bildmenge auf dem Graphen von f zu sehen.

-2

-1

0

1

2

x1

-2

-1

0

12

x2

-2

-1

0

1

2

-2-1

0

1

2

x1

-2

-1

0

12

x2

-2

-1

0

1

2

Abbildung 22.2: Der"Graph\ einer linearen Funktion.

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120 Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen

Satz 22.7 (Komposita stetiger Funktionen sind stetig).

Es seien E;F;G Teilmengen normierter R�aume und f : E ! F sei stetig in a 2 E und

g : F ! G sei stetig in b := f(a) 2 F . Dann ist g � f : E ! G stetig in a.

Beweis. Aus X 3 xn ! a folgt f(xn)! f(a), da f in a stetig ist. Aus der Stetigkeit von g

in b = f(a) folgt g(f(xn))! g(b) = g(f(a)). Also ist g � f in a stetig.

Beispiel 22.8.

Die Abbildung Rm 3 x 7! jjxjj22 2 R ist stetig als Verkn�upfung der stetigen Abbildungen

f := jj � jj2 : Rm ! R (Beispiel 22.5) und g : R! R mit g(t) := t2.

F�ur m = 2 ist der Graph von f : E ! R f�ur E := fx 2 R2 : jjxjj2 � 5g,

graph(f) :=n(x1; x2; x

21 + x22 : (x1; x2) 2 E

o;

eine Rotationsparabel.

-5

0

5

x1

-5

0

5

x2

0

10

20

-5

0

5

x1-5

0

5

x20

10

20

Abbildung 22.3: Der Graph der Funktion E 3 (x1; x2) 7! x21 + x22.

Eine Abbildung f : X ! Rp ist durch p Komponentenfunktionen fk : X ! R gegeben, die

durch f(x) := (f1(x); : : : ; fp(x)) de�niert sind. Lemma 20.7 impliziert:

Satz 22.9.

Es seien (X; jj � jj) ein normierter Raum, E � X und f = (f1; : : : ; fp) : E ! Rp. Dann

gilt: f 2 C(E;Rp) () fk 2 C(E) f�ur jedes k = 1; : : : ; p.

Beispielsweise sind also die"Koordinatenfunktionen\ Rm 3 x = (x1; : : : ; xm) 7! xk 2 R f�ur

jedes k = 1; : : : ;m stetig auf Rm.

Beispiel 22.10.

Es sei E = [0; 2�) � X := R und f : E ! R2 de�niert durch f(t) := (cos t; sin t).

Dann bildet die Funktion f die Menge [0; 2�) stetig und bijektiv auf die Kreislinie

S1 := f(x; y) 2 R2 : x2 + y2 = 1g � R2 ab. Die Umkehrabbildung f�1 : S1 ! [0; 2�) ist

dagegen nicht mehr stetig, siehe Abbildung 22.4. Man beachte in diesem Zusammenhang

Satz 14.3.

Beispiel 22.11 (Polarkoordinaten).

Es sei E = [0;1)� [0; 2�) � R2 und f : E ! R2 de�niert durch f(r; t) := (r cos t; r sin t).

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Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen 121

f

zn

0 f�1(zn) 2�

Abbildung 22.4: f"wickelt\ das Intervall [0; 2�) auf die Kreislinie ab.

Dann ist f : (0;1)� [0; 2�)! R2nf(0; 0)g stetig und bijektiv, aber die Umkehrabbildung

f�1 : R2nf(0; 0)g ! (0;1)� [0; 2�) ist nicht stetig.

Satz 22.12.

Es sei X ein normierter Raum und E � X.

(a) Ist Y ein normierter Raum und sind f; g : E ! Y stetig, so ist f + g : E ! Y

stetig.

(b) Sind f; g : E ! R stetig, so ist fg : E ! R und, falls g(x) 6= 0 f�ur alle x 2 E, auchf=g : E ! R stetig.

Beweis. Siehe Aufgabe 22.1.

Beispiel 22.13 (Standardbeispiel).

Es sei f : R2 ! R de�niert durch f(0; 0) := 0 und

f(x1; x2) :=2x1x2x21 + x22

f�ur (x1; x2) 2 R2. Dann ist f in R2nf(0; 0)g sicher stetig (Warum?). Dagegen ist f in

(0; 0) nicht stetig: Es gilt f(x; x) = 1 f�ur alle x 6= 0, w�ahrend f(0; 0) = 0. N�ahert man sich

also dem Punkt (0; 0) auf den Koordinatenachsen an, so gilt limx1!0 f(x1; 0) = 0 = f(0; 0)

und limx2!0 f(0; x2) = 0 = f(0; 0), d.h. die"partiellen Funktionen\ x1 7! F1(x1) :=

f(x1; 0) und x2 7! F2(x2) := f(0; x2) sind jeweils stetig in 0, aber f selbst ist in (0; 0)

unstetig.

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122 Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen

x1

x2

Abbildung 22.5: Der"Graph\ der Funktion f und die partiellen Funktionen F1 und F2

Nach Beispiel 22.6 ist jede lineare Abbildung f : Rm ! Rp stetig. Es gibt aber auch lineare

Abbildungen normierter R�aume, die nicht stetig sind !

Beispiel 22.14.

Es sei (X; jj � jj) = (C1[0; 1]; jj � jj1), (Y; jj � jj) = (R; j � j) und L : X ! Y de�niert durch

Lx = x0(0) f�ur x 2 C1[0; 1]. Dann gilt f�ur xn(t) :=sin(n2t)

n sicher xn ! 0 in (X; jj � jj1),

aber x0n(0) = n bildet eine divergente Folge in (R; j � j).

Satz 22.15.

Es sei T eine lineare Abbildung zwischen normierten R�aumen X und Y . Dann sind die

folgenden Aussagen �aquivalent:

(a) T ist stetig.

(b) T ist stetig in x = 0.

(c) Es gibt ein M > 0 mit

jjTxjj �M jjxjj f�ur alle x 2 X :

Beweis. (b)) (c): Zu " = 1 w�ahle � > 0 mit jjTxjj � " = 1 f�ur alle jjxjj � �. F�ur x 2 Xnf0ggilt dann jjTxjj = ��1jjT (�x=jjxjj)jj � jjxjj � ��1jjxjj. Diese Ungleichung gilt auch f�ur x = 0.

(c) ) (a): T ist sogar Lipschitz{stetig, denn jjTx � Tx0jj = jjT (x � x0)jj � M jjx � x0jj f�uralle x; x0 2 X.

Die Menge aller stetigen linearen Abbildungen T : X ! Y wird mit L(X;Y ) bezeichnet. F�urjedes T 2 L(X;Y ) existiert nach Satz 22.15 die reelle Zahl

jjT jj := supx2X; jjxjj�1

jjTxjj = supx2Xnf0g

jjTxjjjjxjj <1 ;

d.h. insbesondere

jjTxjj � jjT jj � jjxjjf�ur alle x 2 X. Die Zahl jjT jj stellt ein Ma� f�ur die maximale Verzerrung, die ein Vektor x 2 Xunter der Abbildung T erleidet, dar. Wir nennen jjT jj Operatornorm von T 2 L(X;Y ). Dieseh�angt von den Normen auf X und Y ab. Die Bezeichnung

"Operatornorm\ ist aufgrund der

folgenden Aussage gerechtfertigt.

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Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen 123

Korollar 22.16.

Es seien X und Y normierte R�aume. Dann bildet die Menge L(X;Y ) aller stetigen

linearen Abbildungen von X nach Y mit der Operatornorm jj � jj einen normierten

Vektorraum (L(X;Y ); jj � jj).

Beweis. Es sei T 2 L(X;Y ). Es gilt T = 0 (d.h. T : X ! Y ist die Nullabbildung) genau

dann, wenn Tx = 0 f�ur alle x 2 Xnf0g, also genau dann, wenn jjTxjj = 0 f�ur alle x 2 Xnf0g,also genau dann, wenn jjT jj = 0. Dies zeigt (N1).

(N2) ergibt sich wie folgt

jj�T jj = supjjxjj�1

jj�Txjj = supjjxjj�1

j�j � jjTxjj = j�j supjjxjj�1

jjTxjj = j�j � jjT jj :

Sind T1; T2 2 L(X;Y ), so gilt f�ur alle x 2 X mit jjxjj � 1 die Ungleichung

jj(T1 + T2)xjj = jjT1x+ T2xjj � jjT1xjj+ jjT2xjj � jjT1jj+ jjT2jj :

Daraus folgt jjT1 + T2jj � jjT1jj+ jjT2jj, d.h. (N3).F�ur eine lineare Abbildung A : Rm ! Rp ist die Operatornorm prinzipiell berechenbar (siehe

Korollar 31.10). Eine obere Absch�atzung f�ur jjAjj wurde bereits in Beispiel 22.6 angegeben.

Beispiel 22.17.

Die Abbildung T : (C[�1; 1]; jj � jj1) ! (R; j � j), de�niert durch Tx := x(1) f�ur x 2C[�1; 1], ist linear und stetig, denn jT (x)j = jx(1)j � jjxjj1, d.h. jjT jj � 1. Ferner ist

jTxj = 1 = jjxjj1 f�ur x(t) = 1, d.h. jjT jj = 1.

Aufgaben zu x22

1. Beweisen Sie Satz 22.12.

2. Es sei f : R2 ! R de�niert durch

f(x1; x2) :=

8>>>><>>>>:

x21 x2x21 + x22

(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) :

Untersuchen Sie die Funktion f : R2 ! R auf Stetigkeit.

3. Man bestimme die Operatornorm jjLjj der Abbildung L : R2 ! R2,

Lx =

6 �42 �3

! x1x2

!:

�Hinweis: Man bestimme max

t2[0;2�]

����������L cos t

sin t

!����������2

.

4. Es sei a 2 Rm �xiert und T : Rm ! R de�niert durch Tx = hx; ai. Man ermittle die

Operatornorm der linearen Abbildung T : (Rm; jj � jj2)! (R; j � j).

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124 Stetige Abbildungen zwischen normierten Raumen

5. Es seien X;Y; Z normierte R�aume, T 2 L(X;Y ) und S 2 L(Y; Z). Zeigen Sie, dass

jjST jj � jjSjj � jjT jj.

6. (Die Heisenbergsche Unsch�arferelation in abstrakter Form)

Es seien P;Q : X ! X lineare Abbildungen eines normierten Raums X 6= f0g mit

PQ�QP = Id. Man zeige, dass P und Q nicht zugleich stetig sein k�onnen.

(Hinweis: Man zeige zun�achst PQn �QnP = nQn�1 f�ur alle n 2N.)

7. Es sei E eine nicht{leere Teilmenge eines normierten Raumes X und f : X ! R

de�niert durch

f(x) := inf fjjx� yjj : y 2 Eg ; x 2 X :

Zeigen Sie, dass f : X ! R Lipschitz{stetig ist.

8. Beweisen Sie die folgende Verallgemeinerung des Prinzips der gleichm�a�igen Konver-

genz (Satz 21.3):

Es seien X und Y normierte R�aume und E � X. Dann gelten die folgenden

Aussagen.

(a) Auf dem Vektorraum Cb(E; Y ) := ff : E ! Y : f ist stetig und beschr�ankt auf Egist durch

jjf jj1 := sup fjjf(x)jj : x 2 Eg ; f 2 Cb(E; Y ) ;eine Norm de�niert.

(b) Ist (fn) eine Folge in Cb(E; Y ) und f : E ! Y mit jjfn� f jj1 ! 0 f�ur n!1,

so gilt f 2 Cb(E; Y ).

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x 23

Topologie normierter R�aume

Die Mathematik sieht vollst�andig ab von der actualen Bedeutung, die man ihren Begrif-

fen geben, von der actualen G�ultigkeit, die man ihren S�atzen zusprechen kann. Ihre in-

de�nablen Begri�e sind willk�urlich gew�ahlte Denkobjecte, ihre Axiome willk�urlich, jedoch

widerspruchsfrei gew�ahlte Beziehungen zwischen diesen Objecten. Die Mathematik ist Wis-

senschaft des reinen Denkens, gleich der formalen Logik.

F. Hausdor� 1, Vorlesung Zeit und Raum, Wintersemester 1903/04, Leipzig

In R (der reellen Zahlengeraden) sind die Intervalle die"nat�urlichen\ Mengen. In h�oheren Di-

mensionen oder in normierten R�aumen sind die in Betracht kommenden Mengen wesentlich

komplizierter. Es zeigt sich, dass die sogenannten"o�enen\ bzw.

"abgeschlossenen\ Men-

gen einerseits divers genug sind, um f�ur die meisten �Uberlegungen n�utzlich zu sein, und

andererseits auch zahm genug, um e�zient handhabbar zu sein.

Definition (vgl. Definition auf S. 73).

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Eine Menge A � X hei�t abgeschlossen (in X),

wenn der Limes jeder konvergenten Folge (xn) von Punkten xn 2 A wieder zur Menge

A geh�ort.

Eine Teilmenge eines normierten Raumes ist also abgeschlossen, wenn sie"abgeschlossen

bgzl. des Bilden des Grenzwertes\ ist.

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Eine Teilmenge U � X hei�t o�en (in X), wenn

es zu jedem x 2 U ein " > 0 gibt, derart, dass B"(x) � U .

O�enheit einer Menge U � X bedeutet also, dass es f�ur jeden Punkt x 2 U eine o�ene Kugel

mit Mittelpunkt x gibt, die in U enthalten ist. Jeder Punkt einer o�enen Menge liegt also

"strikt innerhalb der Menge\. Die Eigenschaft, dass man sich in einem Punkt einer o�enen

Menge"in jede Richtung\ bewegen darf und dabei zun�achst immer in der Menge verbleibt,

spielt eine wichtige Rolle in vielen Beweisen.

Beispiel 23.1.

Die Intervalle [a; b] = fx 2 R : a � x � bg sind abgeschlossene Teilmengen in R. Die

Intervalle (a; b) = fx 2 R : a < x < bg sind o�ene Teilmengen in R. Die Intervalle

[a; b) = fx 2 R : a � x < bg sind weder o�en noch abgeschlossen in R.

1Hausdor� (1868{1942) begr�undete in seinem Hauptwerk Grundz�uge der Mengenlehre (1914) die allge-

meine Topologie als eigenst�andige mathematische Disziplin. Als Jude unter der nationalsozialistischen Dikta-

tur zunehmend schikaniert und gedem�utigt, nahm er sich am 26. Januar 1942 gemeinsam mit seiner Frau das

Leben, als die Deportation in ein Konzentrationslager unmittelbar bevorstand.

125

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126 Topologie normierter Raume

Beispiel 23.2.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. F�ur jedes a 2 X und alle r > 0 gilt:

(a) Die o�ene Kugel Br(a) = fx 2 X : jjx� ajj < rg ist o�en.(b) Die abgeschlossene Kugel Br(a) = fx 2 X : jjx� ajj � rg ist abgeschlossen.

Beweis. (a) Sei b 2 Br(a), d.h. s := r � jja� bjj > 0. Aus der Dreiecksungleichung folgt f�ur

alle x 2 X mit jjb� xjj < s, dass

jja� xjj � jja� bjj+ jjb� xjj < r ;

d.h. Bs(b) � Br(a). Folglich ist Br(a) o�en (vgl. Skizze der Vorlesung).

(b) Es sei (xn) in Br(a) mit xn ! x. Dann gilt jjx�ajj � jjx�xnjj+jjxn�ajj � jjx�xnjj+r !r f�ur n!1, d.h. jjx� ajj � r, also x 2 Br(a).

Satz 23.3.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Eine Menge U � X ist genau dann o�en in X,

wenn ihr Komplement XnU abgeschlossen ist.

Die Begri�e"abgeschlossen\ und

"o�en\ sind also

"dual\ zueinander. Die meisten Mengen

sind weder abgeschlossen noch o�en, z.B. die Menge [a; b) � R1. Es gibt aber auch Mengen,

die sowohl o�en als auch abgeschlossen sind. Beispielsweise ist die leere Menge ; eine abge-schlossene Teilmenge eines jeden normierten Raumes, denn es gibt keine Folgen in ;, die man

�uberpr�ufen m�usste. Ebenso ist jeder normierte Raum (X; jj � jj) eine abgeschlossene Teilmenge

von sich selbst, denn X enth�alt ja alle Grenzwerte von Folgen, die in X konvergieren. Folglich

sind ; und X stets abgeschlossene Teilmengen in (X; jj � jj). Ihre Komplemente, X und ;, sindalso o�en in X.

Beweis. Sei U � X o�en und (xn) eine Folge in XnU mit xn ! x 2 X. Wir m�ussen x 2 XnUzeigen. Falls x 62 XnU , d.h. x 2 U , so g�abe es ein r > 0 mit Br(x) � U . Da xn ! x w�are

jjxn� xjj < r, d.h. xn 2 U f�ur fast alle n 2N, im Widerspruch zu xn 2 XnU . Also gilt dochx 2 XnU , d.h. XnU ist abgeschlossen.

Nun sei E := XnU abgeschlossen und x 2 XnE = U . Falls es kein r > 0 gibt, derart, dass

Br(x) � U , so gibt es f�ur jedes r = 1=n, n 2N, ein xn 2 XnU = E mit jjxn � xjj < 1=n. Es

folgt xn ! x. Da XnU = E abgeschlossen ist, ergibt sich x 2 E. Widerspruch ! Also gibt es

doch ein r > 0 mit Br(x) � U und U ist o�en.

Satz 23.4.

Es sei (X; jj�jj) ein normierter Raum. Die Vereinigung beliebig vieler o�ener Teilmengen

von X ist wieder o�en und der Durchschnitt endlich vieler o�ener Teilmengen von X

ist wieder o�en.

Dagegen ist der Durchschnitt beliebig vieler o�ener Mengen i. Allg. nicht wieder o�en:1Tn=1

(�1=n; 1=n) = f0g ist nicht o�en in R.

Beweis. Es sei fU� : � 2 Ig eine beliebige Vereinigung o�ener Mengen U� � X, � 2 I (I

ist hier also eine beliebige, endliche oder unendliche,"Indexmenge\). Um zu zeigen, dass

V :=[�2I

U�

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Topologie normierter Raume 127

o�en ist, w�ahlen wir ein x 2 V . Dann gibt es mindestens ein � 2 I mit x 2 U�. Da diese

Menge U� o�en ist, gibt es ein r > 0 mit Br(x) � U�. Da U� � V , folgt Br(x) � V , d.h. Vist o�en.

Es seien U1; : : : ; Un o�ene Teilmengen von X und

W :=n\k=1

Uk :

Ist x 2 W , so gilt x 2 Uk f�ur jedes k = 1; : : : ; n. Da jede der Mengen Uk, k = 1; : : : ; n, o�en

ist, gibt es ein rk > 0 mit Brk(x) � Uk. Setzt man r := minfr1; : : : ; rng > 0, so gilt also

Br(x) � Brk(x) � Uk f�ur jedes k = 1; : : : ; n, d.h. Br(x) �W und W ist somit o�en.

Korollar 23.5.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Der Durchschnitt beliebig vieler abgeschlossener

Teilmengen von X ist abgeschlossen und die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener

Teilmengen von X ist wieder abgeschlossen.

Beweis. �Ubungen

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum und a 2 X. Eine Menge U � X hei�t Umgebung

des Punktes a, wenn es ein " > 0 gibt, derart, dass B"(a) � U . Die Menge B"(a) hei�t

"{Umgebung von a.

Eine Umgebung eines Punktes a 2 X muss nicht o�en sein: jede Obermenge einer Umgebung

von a ist eine Umgebung von a. Beispielsweise ist B1(0) eine nicht o�ene Umgebung von 0.

Eine Menge U � X ist genau dann o�en, wenn sie Umgebung eines jeden Punktes x 2 U ist.

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Ein Punkt x 2 X hei�t Randpunkt der Menge

E � X, wenn jede Umgebung von x Punkte sowohl aus E als auch Punkte aus dem

Komplement XnE enth�alt. Die Menge aller Randpunkte von E bezeichnen wir mit @E.

Aus"Symmetriegr�unden\ gilt stets @(XnE) = @E.

Beispiele 23.6. Der Rand der Kugel Br(a) � X ist die Sph�are

Sr(a) := fx 2 X : jjx� ajj = rg :

Der Rand von Q in R ist ganz R.

Lemma 23.7.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. F�ur jede Menge E � X gilt:

(a) En@E ist o�en und jede o�ene Menge U � X mit U � E liegt in En@E.

(b) E[@E ist abgeschlossen und jede abgeschlossene Menge A � X mit A � E umfasst

E [ @E.

(c) @E ist abgeschlossen.

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128 Topologie normierter Raume

Beweis. (a) Sei a 2 En@E. Dann gibt es ein r > 0 mit Br(a) � E, denn sonst w�are

Br(a) \ (XnE) 6= ; f�ur jedes r > 0, also a 2 @E. Folglich ist En@E o�en. Nun sei U � X

o�en mit U � E und a 2 U . Dann gibt es ein r > 0 mit Br(a) � U � E, also a 62 @E,d.h. U � En@E.(b) Dies folgt mittels Komplementbildung aus (a). Dazu setzen wir E0 := XnE. Dann ist

E0n@E0 o�en, alsoXn(E0n@E0) = (XnE0) [ @E0 = E [ @E

abgeschlossen.

(c) Es gilt @E = (E [ @E)n(En@E), d.h. Xn@E = (Xn(E [ @E)) [ (En@E). Diese Menge ist

nach (a) und (b) o�en, d.h. @E ist abgeschlossen.

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum und E � X. Dann hei�t E� := En@E das Innere

von E und E := E [ @E der Abschluss von E.

Die Menge E� der inneren Punkte der Menge E ist also die gr�o�te o�ene Menge, die in E

liegt, und M ist die kleinste abgeschlossene Menge, die E umfasst (Lemma 23.7).

Satz 23.8.

Es seien (X; jj � jj), (Y; jj � jj) normierte R�aume und E � X.

(a) Eine Funktion f : E ! Y ist im Punkt a 2 E genau dann stetig, wenn es zu jeder

Umgebung V � Y von f(a) eine Umgebung U � X von a mit f(U \ E) � V gibt.

(b) Ist E � X o�en, so ist eine Funktion f : E ! Y genau dann stetig auf E, wenn

das Urbild f�1(V ) jeder in Y o�enen Menge V � Y o�en in X ist.

(c) Ist E � X o�en, so ist eine Funktion f : E ! Y genau dann stetig auf E, wenn f�ur

jede Y abgeschlossenen Menge A � Y das Urbild f�1(A) der Durchschnitt einer

in X abgeschlossenen Menge mit E ist.

Beweis. (a) Es sei f stetig in a und V eine Umgebung von b := f(a). Dann gibt es ein " > 0

mit B"(b) � V . Zu diesem " existiert ein � > 0 mit jjf(x) � f(a)jj < " f�ur alle x 2 E mit

jjx� ajj < �. Dies bedeutet f�ur U := B�(a), dass f(U \ E) � B"(b) � V .Zur Umkehrung: Sei " > 0 vorgegeben. Dann ist V := B"(f(a)) eine Umgebung von f(a) und

es gibt eine Umgebung U von a mit f(U \E) � V . Folglich gibt es ein � > 0 mit B�(a) � Uund es gilt f(B�(a) \ E) � f(U \ E) � V = B"(f(a)). Dies bedeutet jjf(x)� f(a)jj < " f�ur

alle x 2 E mit jjx� ajj < �.

(b) Es sei f stetig auf E, V � Y sei o�en in Y und a 2 f�1(V ) \ E. Dann ist V Umgebung

von f(a). Nach (a) gibt es also eine Umgebung U � X von a mit f(U \E) � V , d.h. U \E �f�1(V ). Es gibt dann ein r > 0 mit Br(a) � U (da U Umgebung von a) und mit Br(a) � E(da E o�en ist). Es folgt Br(a) � f�1(V ), d.h. f�1(V ) ist o�en.

Zur Umkehrung: Sei V � Y eine Umgebung eines Punktes f(a). Dann gibt es eine o�ene

Menge V 0 � V mit f(a) 2 V 0. Deren Urbild U 0 := f�1(V 0) ist also als o�ene Menge eine

Umgebung von a mit f(U 0) � V . Nach (a) ist also f stetig in a.

(c) Dies folgt aus (b) mittels Komplementbildung.

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Topologie normierter Raume 129

Korollar 23.9.

Es sei X ein normierter Raum, E � X o�en und f : E ! R stetig. Dann gilt f�ur jedes

c 2 R:

(a) Die Niveaumenge Nf (c) := fx 2 E : f(x) = cg ist abgeschlossen in X.

(b) Die Subniveaumenge Sf (c) := fx 2 E : f(x) < cg ist o�en in X.

Bemerkung.

Die Niveaumengen einer (reellwertigen) Funktion f : E ! R bieten eine M�oglichkeit

der Veranschaulichung derselben. F�ur den Fall E � R2 nennt man die Niveaumengen

auch Niveaulinien oder H�ohenlinien2.

Beispiel 23.10 (Cassini–Kurven3).

Es sei f : R2 ! R, f(x; y) := (x2 + y2)2 � (x2 � y2). Die Abbildung zeigt links einige derNiveaumengen Nf (c) und rechts zus�atzlich den zugeh�origen Graphen.

-10

1x

-0.5

0.0

0.5

y

-1.0 -0.5 0.5 1.0x

-0.5

0.5

y

Aufgaben zu x23

1. Vervollst�andigen Sie den Beweis von Satz 23.8.

2. Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum, a 2 X und r > 0. Zeigen Sie, dass Br(a) = Br(a).

3. Es seien A und B Teilmengen eines normierten Raumes. Man zeige A [B = A[B und

(A [B)� = A� [B�.

Gelten auch A \B = A \B und (A \B)� = A� \B� ?

2Wir werden sp�ater sehen, dass in diesem Fall, die H�ohenlinien tats�achlich in der Regel Kurven sind.

(Korollar 31.4).3Benannt nach G. D. Cassini (1625{1712).

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130 Topologie normierter Raume

4. Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y . Beweisen oder

widerlegen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Ist f : E ! Y stetig, so bildet f o�ene Mengen U � E auf o�ene Mengen ab.

(b) f : E ! Y stetig () f�A� � f(A) f�ur alle A � E.

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x 24

Kompakte Mengen normierter R�aume

Logic, like whiskey, loses its bene�cial e�ect when taken in too large quantities.

Lord Dunsany, [12, p. 1859]

Wir erinnnern zun�achst an den fundamentalen Satz von Bolzano{Weierstra� (Satz 8.1) und

beweisen eine Variante desselben f�ur den Rm.

Satz 24.1 (Satz von Bolzano–Weierstraß).

Es sei (xn) eine beschr�ankte Folge in Rm (d.h. es gebe ein M > 0 mit jjxnjj2 � M f�ur

alle n 2N). Dann gibt es eine Teilfolge (xnk) von (xn) und einen Punkt x 2 Rm, derart,

dass xnk ! x f�ur k!1.

Slogan: Beschr�ankte Folgen im Rm besitzen konvergente Teilfolgen.

Beweis. Es sei xn = (xn1; xn2; : : : ; xnm) 2 Rm. Wegen jxnj j � jjxnjj2 �M ist jede der reellen

Folgen (xnj)n, j = 1; : : : ;m, beschr�ankt. Nach Satz 8.1 besitzt also (xn1) eine konvergente

Teilfolge (xnk1)k mit Limes y1 2 R. Dann ist (xnk2)k ebenfalls beschr�ankt, besitzt also wieder

eine konvergente Teilfolge mit Limes y2 2 R. So fortfahrend, erhalten wir nach m Schritten

eine Teilfolge von (xn), die komponentenweise gegen x := (y1; : : : ; ym) konvergiert. Nach

Lemma 20.7 konvergiert diese Teilfolge dann im Rm gegen x 2 Rm.

Die in Satz 24.1 beschriebene"Bolzano{Weierstra�{Eigenschaft\ erweist sich auch in allge-

meinen normierten R�aumen als au�erordentlich n�utzlich.

Definition.

Es sei (X; jj�jj) ein normierter Raum. Eine Teilmenge A von X hei�t kompakt, falls jede

Folge (an) in A eine Teilfolge (ank) besitzt, die gegen einen Punkt a 2 A konvergiert.

Jede endliche Menge A � X ist kompakt, denn eine Folge in einer endlichen Menge A muss

mindestens ein Element in A unendlich oft annehmen, so dass die zugeh�orige Teilfolge o�en-

sichtlich konvergent ist. Der Begri� der Kompaktheit ist einer der wichtigsten der Analysis

und gestattet es oft, das"Unendliche\ auf das

"Endliche\ zu reduzieren.

Satz 24.2.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Dann ist jede kompakte Menge A � X abge-

schlossen und beschr�ankt (d.h. es gibt ein R > 0 mit jjajj � R f�ur alle a 2 A).

Beweis. Es sei A eine kompakte Teilmenge von X und es sei (an) eine Folge in A mit Limes

x 2 X. Dann gibt es eine Teilfolge (ank) mit Limes a in X. Da aber jede Teilfolge einer

konvergenten Folge gegen den Limes derselbigen konvergiert, folgt x = a 2 A. Somit ist A

abgeschlossen.

131

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132 Kompakte Mengen normierter Raume

Ist A nicht beschr�ankt, so gibt es zu jedem n 2N ein an 2 A mit jjanjj � n. Da A kompakt

ist, gibt es eine konvergente Teilfolge (ank) mit Limes a 2 X. Es folgt

nk � jjank jj � jjank � ajj+ jjajj � 1 + jjajj

f�ur fast alle k 2N. Widerspruch !

Die Umkehrung dieses Satzes ist i. Allg. falsch. Hierzu ein Beispiel:

Beispiel 24.3.

Es sei X = f(an) Folge in R : jj(an)jj1 := supn2N janj < 1g. Dann ist (X; jj : jj1) ein

normierter Raum (siehe �Ubungsaufgabe 3.1). Wir betrachten ej = (�jn)n 2 X und

A := fej : j 2 Ng. Dann ist A beschr�ankt (durch 1) und abgeschlossen, aber nicht

kompakt.

F�ur Teilmengen des Rm ist die Umkehrung von Satz 24.2 dagegen richtig.

Satz 24.4.

Eine Teilmenge K des Rm ist genau dann kompakt, wenn sie abgeschlossen und be-

schr�ankt ist.

Beispielsweise sind also die abgeschlossenen Kugeln Br(a) und die Sph�aren Sr(a) im Rm

kompakt.

Beweis. (a) Es sei K abgeschlossen und beschr�ankt und (an) sei eine Folge in K. Dann ist

(an) beschr�ankt, hat also nach Satz 24.1 eine konvergente Teilfolge mit Limes a 2 Rm. Da

K abgeschlossen ist, gilt a 2 K.

Satz 24.5.

Es seien X und Y normierte R�aume, K � X sei kompakt und f : K ! Y stetig. Dann

ist auch f(K) kompakt.

Slogan: Das stetige Bild einer kompakten Menge ist kompakt.

Beweis. Sei (bn) eine Folge in f(K). Dann gibt es zu jedem n 2 N einen Punkt an 2 Kmit f(an) = bn. Da K kompakt ist, gibt es eine Teilfolge (ank) mit Limes a 2 K. Aus der

Stetigkeit von f folgt dann bnk = f(ank)! f(a) 2 f(K). Folglich ist f(K) kompakt.

Korollar 24.6 (Satz vom Maximum und Minimum).

Es sei X ein normierter Raum, K � X sei kompakt und f : K ! R sei stetig. Dann ist

f auf K beschr�ankt und nimmt dort ihr Maximum und ihr Minimum an.

Beweis. Die Bildmenge f(K) ist nach Satz 24.5 kompakt, also eine abgeschlossene und

beschr�ankte Teilmenge von R. Aus Satz 14.7 ergibt sich M := sup f(K) 2 f(K) und

m := inf f(K) 2 f(K), d.h. es gibt a; b 2 K, so dass f(a) = m � f(x) � M = f(b)

f�ur alle x 2 K.

Man beachte: Korollar 24.6 verallgemeinert Satz 14.7.

Definition.

Es seien (X; jj � jj), (Y; jj � jj) normierte R�aume und E � X. Eine Funktion f : E ! Y

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Kompakte Mengen normierter Raume 133

hei�t gleichm�a�ig stetig (auf E), falls es zu jedem " > 0 ein � = �(") > 0 gibt, derart,

dass f�ur alle x; x0 2 E aus jjx� x0jj < � stets jjf(x)� f(x0)jj < " folgt.

Man vergleiche diese De�nition mit dem "{�{Kriterium f�ur Stetigkeit (Satz 22.3):

Eine Funktion f : E ! Y ist genau dann stetig auf E, wenn es zu jedem x0 2 X und

jedem " > 0 ein � = �("; x0) > 0 gibt, derart, dass f�ur jedes x 2 E aus jjx� x0jj < � stets

jjf(x)� f(x0)jj < " folgt.

"Gleichm�a�ig\ stetig bedeutet, dass in Abh�angigkeit von " > 0 die Zahl � unabh�angig von

x0 gew�ahlt werden kann.

Beispiel 24.7.

Die Funktion f : R! R, f(x) := x2, ist stetig auf R, aber nicht gleichm�a�ig stetig auf

R.

Beweis. Es sei " = 1 und � > 0 sei beliebig �xiert. Dann gilt f�ur x0 = 1=� und x := x0+�=2,

dass zwar jx� x0j = �=2 < �, aber

jf(x)� f(x0)j = (x+ x0)(x� x0) =�2

�+�

2

��

2> 1 :

D.h. zu " = 1 gibt es kein � = �(") > 0, so dass f�ur alle x; x0 mit jx � x0j < � stets

jf(x)� f(x0)j < " gilt.

Satz 24.8.

Es seien X;Y normierte R�aume, K � X sei kompakt und f : K ! Y sei stetig. Dann

ist f gleichm�a�ig stetig auf K.

Slogan: Stetige Funktionen sind auf kompakten Mengen gleichm�a�ig stetig.

Beweis. Angenommen, es gibt ein " > 0, derart, dass man zu jedem � > 0 Punkte x; x0 2 Kmit jjx � x0jj < � �ndet, so dass jjf(x) � f(x0)jj � ". Dann gibt es xn; xn;0 2 K mit

jjxn � xn;0jj < 1=n und jjf(xn)� f(xn;0)jj � ". Da (xn) eine Folge in der kompakten Menge

K ist, gibt es eine Teilfolge (xnk) und einen Punkt a 2 K mit xnk ! a. Dann gilt aber

jjxnk;0 � ajj � jjxnk;0 � xnk jj+ jjxnk � ajj ! 0 + 0 = 0 ;

d.h. xnk;0 ! a. Da f auf K, also insbesondere im Punkt a 2 K stetig ist, folgt

" � jjf(xnk)� f(xnk;0)jj � jjf(xnk)� f(a)jj+ jjf(xnk;0)� f(a)jj ! 0 :

Widerspruch!

Definition.

Es sei X ein reeller Vektorraum. Zwei Normen jj � jj : X ! R und jj � jj� : X ! R hei�en

�aquivalent, wenn es Konstanten K;L > 0 gibt, derart, dass

Ljjxjj� � jjxjj � Kjjxjj�f�ur alle x 2 X.

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134 Kompakte Mengen normierter Raume

Beispiel 24.9.

F�ur x 2 Rm sei jjxjj1 :=m

maxj=1jxj j. Dann gilt

jjxjj1 � jjxjj2 �pm � jjxjj1 ; x 2 Rm :

Die beiden Normen jj � jj2 und jj � jj1 auf Rm sind also �aquivalent, s. �Ubungsaufgabe 2.2.

Bemerkung.

Es seien jj � jj und jj � jj� zwei �aquivalente Normen auf einem Vektorraum X.

(a) F�ur eine Folge (an) in X und einen Punkt a0 2 X gilt: jjan � a0jj� ! 0 genau

dann, wenn jjan � a0jj ! 0.

(b) Jede o�ene Menge in (X; jj � jj) ist auch o�en in (X; jj � jj�) (und umgekehrt).

Satz 24.10.

Auf dem Rm sind je zwei Normen �aquivalent.

Beweis. Es sei jj � jj : Rm ! R eine Norm. Wir zeigen, dass jj � jj �aquivalent zur euklidischenNorm jj � jj2 ist.(a) Die eine der ben�otigten Ungleichung erh�alt man einfach auf rein algebraische Weise.

Schreibt man ej f�ur den j{ten Einheitsvektor, so gilt

jjxjj =������������mXj=1

xjej

������������ �

mXj=1

jxj j � jjej jj � mjjxjj1m

maxj=1jjej jj �

�m

mmaxj=1jjej jj

�� jjxjj2

f�ur alle x 2 Rm. Dies zeigt die Existenz einer Konstanten K > 0 mit jjxjj � Kjjxjj2 f�ur alle

x 2 Rm.

(b) Die andere Ungleichung ist schwieriger zu beweisen (und ben�otigt Analysis). Wir be-

trachten die Funktion f : (Rm; jj � jj2)! (R; j � j) de�niert durch f(x) := jjxjj, x 2 Rm. Nach

(a) gilt

jf(x)� f(y)j =���jjxjj � jjyjj��� � jjx� yjj � K � jjx� yjj2 ;

d.h. f : (Rm; jj � jj2)! (R; j � j) ist Lipschitz{stetig. Die Sph�are S1(0) := fx 2 Rm : jjxjj2 = 1gist eine kompakte Teilmenge des normierten Raums (Rm; jj � jj2), so dass die Funktion f auf

S1(0) in einem Punkt � 2 S1(0) ihren kleinsten Wert f(�) = jj�jj annimmt. Da jj�jj2 = 1, ist

� 6= 0, also L := jj�jj > 0. Dann gilt f�ur alle x 2 Rmnf0g zun�achst x=jjxjj2 2 S1(0), also

jjxjj�12 jjxjj =

������jjxjj�12 x

������ = f�jjxjj�1

2 x�� f(�) = jj�jj = L ;

d.h. jjxjj � Ljjxjj2. Diese Ungleichung ist nat�urlich auch f�ur x = 0 richtig.

Bemerkung.

Satz 24.10 hat wichtige Konsequenzen. Der mit Hilfe einer Norm im Rm eingef�uhrte

Konvergenzbegri� h�angt nicht von der spezi�schen Wahl der Norm ab. Insbesondere

sind die o�enen und die abgeschlossenen Mengen, die Umgebungen und die konver-

geten Folgen im Rm unabh�angig von der Wahl der Norm. Konvergenz bedeutet stets

komponentenweise Konvergenz.

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Kompakte Mengen normierter Raume 135

Identi�ziert man also den Vektorraum L(Rm;Rp) aller stetigen linearen Abbildungen T :

Rm ! Rp mit dem Vektorraum Rp�m aller reellen p�m{Matrizen, so konvergiert demnach

eine Folge von Matrizen Tk 2 Rp�m in einer Operatornorm gegen die Matrix T 2 Rp�m

genau dann, wenn sie komponentenweise konvergiert.

Korollar 24.11.

Es sei E � Rm und L : E ! L(Rm;Rp). Dann sind die folgenden beiden Aussagen

�aquivalent.

(a) L : E ! L(Rm;Rp) ist stetig.

(b) F�ur alle j = 1; : : : ;m und alle k = 1; : : : ; p ist die Funktion x 7! (L(x))kj, d.h. der

Eintrag in der k{ten Zeile und j{ten Spalte, stetig auf E.

Beispielsweise ist die Abbildung det : Rm�m ! R, die jeder m �m{Matrix den Wert ihrer

Determinante zuordnet, eine stetige Funktion von (L(Rm;Rm); jj � jj) ! (R j � j). Dies folgtz.B. aus der aus der Linearen Algebra bekannten Leibniz{Formel f�ur die Berechnung der

Determinante einer Matrix aus ihren Eintr�agen.

Korollar 24.12.

Die Menge GL(Rm;Rm) aller invertierbaren Matrizen ist o�en in (L(Rm;Rm); jj � jj).

Beweis. Dies folgt wegen

GL(Rm;Rm) = fA 2 L(Rm;Rm) : detA > 0g [ fA 2 L(Rm;Rm) : detA < 0g

aus Korollar 23.9 und Satz 23.4.

Aufgaben zu x24

1. Man zeige: Jede abgeschlossene Teilmenge einer kompakten Menge eines normierten

Raumes ist kompakt.

2. Es sei f : (0; 1)! R. Beweisen oder widerlegen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Ist f Lipschitz{stetig, so ist f gleichm�a�ig stetig.

(b) Ist f gleichm�a�ig stetig, so ist f Lipschitz{stetig.

(c) Ist f gleichm�a�ig stetig, so ist f beschr�ankt.

(d) Ist f gleichm�a�ig stetig, so ist f beschr�ankt und nimmt ihren gr�o�ten Wert in

einem Punkt des Intervalls (0; 1) an.

3. Es seien jj � jj und jj � jj� zwei Normen auf einem reellen Vektorraum X und es gelte f�ur

jede Folge (an) in X und jeden Punkt a0 2 X, dass

jjan � a0jj ! 0 () jjan � a0jj� ! 0 :

Man zeige, dass die beiden Normen jj � jj und jj � jj� �aquivalent sind.4. Man zeige: Die Abbildung Inv : GL(Rm;Rm)! GL(Rm;Rm), A 7! A�1, ist stetig.

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136 Kompakte Mengen normierter Raume

5. Es seien X;Y normierte R�aume und E � X. F�ur eine Funktion f : E ! Y setzen wir

jjf jj1 := supx2Ejjf(x)jj :

Beweisen Sie die folgenden Aussagen.

(a) Die Menge

B(E; Y ) := ff : E ! Y : jjf jj1 <1gbildet zusammen mit der Supremumsnorm jj � jj1 einen normierten Raum.

(b) Ist E � X kompakt, so ist C(E; Y ) � B(E; Y ).(c) Ist E � X kompakt, f 2 B(E; Y ) und (fn) eine Folge in C(E; Y ) mit jjfn�f jj1 !

0, so ist f 2 C(E; Y ).

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x 25

Partielle Ableitungen

I took the liberty of asking Professor Bell whether he had a name for this symbol r and

he has mentioned to me nabla, a humorous suggestion of Maxwell's. It is the name of an

Egyptian harp, which was of that shape.

Lord Kelvin [17]

In diesem Kapitel f�uhren wir einen ersten einfachen Di�erenzierbarkeitsbegri� f�ur Funktionen

mehrerer Ver�anderlicher ein. Dies geschieht dadurch, dass man alle bis auf eine der Variablen

�xiert. Man erh�alt so eine Funktion einer Ver�anderlicher.

Im Folgenden bezeichne ej wieder den j{ten Einheitsvektor im Rm.

Definition (Partielle Ableitungen reellwertiger Funktionen).

Es sei E � Rm und a 2 E sei ein innerer Punkt, d.h. E enthalte eine o�ene Kugel

Br(a), r > 0. Existiert f�ur eine reellwertige Funktion f : E ! R und ein j 2 f1; : : : ;mgder Limes

@f

@xj(a) := lim

t!0

f(a+ tej)� f(a)t

;

so hei�t f im Punkt a partiell nach xj di�erenzierbar und die Zahl @f@xj

(a) die partielle

Ableitung von f nach xj im Punkt a. Man benutzt auch die Schreibweise Djf(a) f�ur@f@xj

(a). Die Funktion f hei�t im Punkt a 2 E partiell di�erenzierbar, wenn alle parti-

ellen Ableitungen D1f(a); : : : ; Dnf(a) existieren. Ist E � Rm o�en, so hei�t f : E ! R

auf E partiell (nach xj) di�erenzierbar, falls f in jedem Punkt a 2 E partiell (nach xj)

di�erenzierbar ist.

Bemerkung.

Falls Br(a) � E, so ist f�ur jedes j = 1; : : : ;m die"partielle Funktion\

(aj � r; aj + r) 3 t 7! Fj(t) := f(a1; : : : ; aj�1; t; aj+1; : : : ; am) 2 R ; j = 1; : : : ;m ;

wohlde�niert und es gilt

f ist in a partiell nach xj di�erenzierbar () Fj ist in t = aj di�erenzierbar.

In diesem Fall ist dann @f@xj

(a) = F 0j(aj) :

Interpretiert man den Graphen der partiellen Funktion Fj als "Kurve auf dem Graphen

von f\, so stellt Djf(a) die Steigung der Tangente an diese Kurve im Punkt (a; f(a))

dar.

137

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138 Partielle Ableitungen

x2

x1

a1

a2

Abbildung 25.1: Die partiellen Funktionen F1 und F2

Merkregel

Man erh�alt die partielle Ableitung von f nach xj , indem man alle Variablen

mit Ausnahme von xj als Konstanten betrachtet und die dann nur noch von

der einen Variablen xj abh�angende Funktion wie gewohnt nach xj di�erenziert.

Beispiele 25.1.(a) Es sei f(x1; x2) = ex1x

22. Dann gelten

@f

@x1(x) = x22e

x1x22 ;@f

@x2(x) = 2x1x2e

x1x22 :

Die Funktion f ist insbesondere auf R2 partiell di�erenzierbar.

(b) Es sei f : Rm ! R, f(x) := jjxjj2 f�ur x 2 Rm. Dann gilt f�ur alle x 6= 0

@f

@xj(x) =

@

@xj

�qx21 + : : :+ x2n

�=

xjqx21 + : : :+ x2n

=xjjjxjj2

:

Die Funktion x 7! jjxjj2 ist also stetig auf Rm und partiell di�erenzierbar auf

Rmnf0g. Im Punkt (0; 0) ist f nicht partiell di�erenzierbar.

(c) Die Funktion f : R2 ! R aus Beispiel 22.13 ist nicht stetig in (0; 0), aber wegen

f(x1; 0) = f(0; x2) = 0 f�ur alle x1; x2 2 R im Punkt (0; 0) partiell di�erenzierbar

mit D1f(0; 0) = D2f(0; 0) = 0.

Die Beispiele 25.1 (b) und (c) zeigen, dass i.Allg. die Stetigkeit nicht die partielle Di�eren-

zierbarkeit und die partielle Di�erenzierbarkeit nicht die Stetigkeit nach sich zieht:

Stetigkeit

� 6)6(

�Partielle Di�erenzierbarkeit

Diese beiden Begri�e sind also unabh�angig voneinander. Dessen ungeachtet, sind partielle

Ableitungen n�utzlich.

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Partielle Ableitungen 139

Definition (Gradient).

Es sei E � Rm und f : E ! R sei im inneren Punkt a = (a1; : : : ; am) 2 E partiell

di�erenzierbar. Dann hei�t der Vektor

rf(a) :=

0BB@

@f@x1

(a)...

@f@xm

(a)

1CCA

der Gradient von f im Punkt a. Man benutzt auch die Schreibweise grad f(a) := rf(a).1

Beispiel 25.2.

F�ur f(x) := jjxjj2 gilt rf(x) = xjjxjj2 f�ur alle x 2 Rmnf0g.

F�ur f(x) := jjxjj22 gilt rf(x) = 2x f�ur alle x 2 Rm.

Definition.

Es sei E � Rm und f : E ! R.

(a) Ist f in einem inneren Punkt a 2 E partiell di�erenzierbar, so hei�t der Punkt a

kritischer Punkt von f , falls rf(a) = 0.

(b) Der Punkt a 2 E hei�t lokales Maximum (bzw. Minimum) von f , wenn es eine

Umgebung U � E gibt, mit f(x) � f(a) f�ur alle x 2 U \ E (bzw. falls f(x) � f(a)

f�ur alle x 2 U \ E).

Satz 25.3 (Notwendige Bedingung fur lokale Extrema).

Es sei E � Rm und f : E ! R sei im inneren Punkt a = (a1; : : : ; am) 2 E partiell

di�erenzierbar. Besitzt die Funktion f in a ein lokales Extremum (d.h. hat f in a ein

lokales Maximum oder ein lokales Minimum), dann ist a ein kritischer Punkt von f .

Beweis. Wir behandeln den Fall eines lokalen Maximums. Da a ein innerer Punkt von E

ist, gibt es ein r > 0 mit Br(a) � E und es gilt f(x) � f(a) f�ur alle x 2 Br(a). F�ur jedesj 2 f1; : : : ;mg hat dann die partielle Funktion Fj : (aj � r; aj + r) ! R im Punkt aj 2 R

ein lokales Maximum, d.h. Djf(a) = F 0j(aj) = 0 nach Satz 17.1. Es folgt rf(a) = 0.

Die Umkehrung von Satz 25.3 ist i.Allg. falsch, d.h. kritische Punkte sind nicht notwendiger-

weise lokale Extrema.

Beispiel 25.4.

Die Funktion

f : R2 ! R ; (x; y) 7! f(x; y) = x2 � y2 ;besitzt den Gradienten

rf(x; y) = 2(x;�y)T ;d.h. (0; 0) ist der einzige kritische Punkt von f . Jedoch besitzt f in (0; 0) kein lokales

Extremum, sondern (0; 0) ist ein"Sattelpunkt\.

1Das Symbol r wird Nabla ausgesprochen. Es wurde von W. R. Hamilton (1805{1865) eingef�uhrt und

erinnert in seiner Form an eine Harfe. Eines der hebr�aischen W�orter f�ur Harfe ist (Ausprache newel).

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140 Partielle Ableitungen

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

-4

-2

0

2

4

Abbildung 25.2: Ein Sattelpunkt

Aufgaben zu x25

1. Es sei E � Rm, a ein innerer Punkt von E und f; g : E ! R seien im Punkt a

partiell di�erenzierbar. Man zeige, dass die Produktfunktion fg : E ! R in a partiell

di�erenzierbar ist mit

r(fg)(a) = f(a)rg(a) + g(a)rf(a) :

2. Man untersuche die Abbildung Rm 3 x 7! jjxjj1 2 R auf partielle Di�erenzierbarkeit.

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x 26

Di�erenzierbare Abbildungen in normierten R�aumen

Let our motto be ’coordinates and matrices for calculation, vectors and linear maps for undestanding’.

T. K�orner [7, p. 12].

Eine Funktion f einer reellen Ver�anderlichen ist im Punkt a 2 R di�erenzierbar, falls der

Limes

f 0(a) := limh!0

f(a+ h)� f(a)h

existiert. Ist h 2 Rm eine"vektorwertige\ Variable, so macht diese De�nition keinen Sinn, da

man durch den Vektor h 2 Rm nicht dividieren kann. Wir erinnern daher an Beispiel 19.6.

Lemma 26.1.

Es sei r > 0. Dann sind f�ur f : (a� r; a+ r)! R die folgenden Aussagen �aquivalent:

(a) f ist im Punkt a di�erenzierbar.

(b) Es gibt eine Funktion R : (�r; r)! R und eine Zahl L 2 R, derart, dass

f(a+ h) = f(a) + L � h+R(h)

mit

limh!0

R(h)

jhj = 0 :

In diesem Fall ist L = f 0(a).

Beweis. (a) ) (b): Setze L := f 0(a) und R(h) := f(a+ h)� f(a)� Lh. Dann gilt

R(h)

jhj =f(a+ h)� f(a)� Lh

jhj =f(a+ h)� f(a)� Lh

h

h

jhj ! 0 f�ur h! 0 :

(b) ) (a): Es gilt

f(a+ h)� f(a)h

=L � h+R(h)

h! L f�ur h! 0 :

Bedingung (b) besagt, dass"Di�erenzierbarkeit\ �aquivalent ist mit

"linearer Approximier-

barkeit\ im folgenden Sinne: Die beiden Funktionen

h 7! f(a+ h)� f(a) und h 7! f 0(a)h

unterscheiden sich lediglich durch einen additiven Korrekturterm R(h), der f�ur h! 0"schnel-

ler gegen 0 geht als jhj\. Es ist dann mehr als nat�urlich, die Ableitung von f in a nicht als

die Zahl f 0(a), sondern als die stetige lineare Abbildung h 7! f 0(a)h von R nach R aufzufassen.

141

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142 Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen

In dieser Form l�asst sich der Begri� der"Di�erenzierbarkeit\ unmittelbar auf Funktionen

mehrerer Ver�anderlicher �ubertragen.

Definition.

Es seien X und Y normierte R�aume und a 2 E ein innerer Punkt von E � X. Dann

hei�t eine Abbildung f : E ! Y im Punkt a (total) di�erenzierbar, falls es eine stetige

lineare Abbildung L : X ! Y und eine auf einer o�enen Kugel Br(0) � X de�nierte

Funktion R : Br(0)! Y gibt, derart, dass

f(a+ h) = f(a) + Lh+R(h) ; jjhjj < r (?)

mit

limh!0

R(h)

jjhjj = 0 : (?0)

Die Bedingung (?0) bedeutet: F�ur jede Folge (hn) in Enf0g mit jjhnjjX ! 0 gilt, dass

limn!1

jjR(hn)jjYjjhnjjX

= 0 :

Wie f�ur lineare Abbildungen �ublich, schreiben wir meist (aber nicht immer) Lh anstelle von

L(h). Man beachte, dass die lineare Abbildung L in der Regel vom Punkt a 2 E abh�angen

wird. Im Folgenden denke man zur Vereinfachung stets an den Fall X = Rm und Y = R,

d.h. an reellwertige Funktionen mehrerer Variabler (siehe x25). Es wird sich aber sp�ater als

essentiell erweisen, dass wir als"Zielr�aume\ beliebige normierte R�aume zulassen.

Bemerkung.

Die entscheidende Einsicht der eindimensionalen Di�erentialrechnung besteht darin,

dass"sch�one\ (d.h. di�erenzierbare) Funktionen, wie kompliziert sie global auch aus-

sehen m�ogen, sich lokal wie lineare Funktionen verhalten. Die mehrdimensionale Dif-

ferentialrechnung basiert auf der analogen Einsicht, dass sich"sch�one\ Abbildungen

lokal wie lineare Abbildungen verhalten. Diese Philosophie rechtfertigt { aus Sicht der

Analysis { den immensen Zeitaufwand, den man zum Studium linearer Abbildungen

in der Linearen Algebra aufwendet. Lineare Abbildungen studiert man nat�urlich auch

(oder sogar der Hauptsache wegen) aus intrinsischen Gr�unden.

x2

x1

a1a2

Abbildung 26.1: Totale Di�erenzierbarkeit = Lineare Approximierbarkeit

Beispiel 26.2.

Es sei L : X ! Y stetig und linear. Dann ist f = L in jedem Punkt a 2 X total

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Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen 143

di�erenzierbar, denn

f(a+ h)� f(a) = L(a+ h)� La = Lh ; h 2 X ;

d.h. es gilt (?) mit R � 0.

Satz und Definition 26.3. Ist f in a total di�erenzierbar, dann ist die lineare Abbildung L

in (?) eindeutig durch den f�ur alle v 2 X existierenden Limes

Lv = limR3t!0

f(a+ tv)� f(a)t

bestimmt. Wir setzen Df(a) := L und nennen die stetige lineare Abbildung Df(a) : X !Y die totale Ableitung oder die Fr�echet{Ableitung1 von f in a. Man beachte, dass f�ur

die Operatornorm von Df(a) 2 L(X;Y ) gilt

jjDf(a)jj = supx2Xnf0g

jjDf(a)xjjjjxjj <1 ; d.h. jjDf(a)xjj � jjDf(a)jj � jjxjj f�ur alle x 2 X :

Beweis. Man beachte f�ur jedes v 2 Xnf0gf(a+ tv)� f(a)

t=L(tv) +R(tv)

t= Lv +

R(tv)

tjjvjj jjvjjt!0��! Lv ;

da f in a nach Voraussetzung total di�erenzierbar ist.

Um eine Funktion f : E ! Y in einem Punkt a 2 E � X auf totale Di�erenzierbarkeit

zu testen, berechne man also erst Lv f�ur jedes v 2 X gem�a� Satz 26.3, �uberpr�ufe dann,

ob h 7! Lh stetig und linear (von X nach Y ) ist und veri�ziere schlie�lich, ob f�ur die

"Restfunktion\ h 7! R(h) := f(a+ h)� f(a)� Lh die Beziehung R(h)=jjhjj ! 0 f�ur h ! 0

gilt.

Satz 26.4.

Es seien X und Y normierte R�aume und a 2 E ein innerer Punkt von E � X. Ist

f : E ! Y in a 2 E total di�erenzierbar, so ist f in a stetig.

Slogan: Totale Di�erenzierbarkeit impliziert Stetigkeit.

Beweis. F�ur h! 0 gilt: jjf(a+h)�f(a)jj = jjDf(a)h+R(h)jj � jjDf(a)jj � jjhjj+ jjR(h)jj !0.

Definition (Richtungsableitung).

Es seien X und Y normierte R�aume und a 2 E ein innerer Punkt von E � X. F�ur

v 2 X hei�t der Grenzwert

limt!0

f(a+ tv)� f(a)t

im Falle seiner Existenz die Richtungsableitung (oder die Gateaux{Ableitung2) der Ab-

bildung f : E ! Y im Punkt a in Richtung des Vektors v 2 X und wird mit @vf(a)

abgek�urzt.

1Benannt nach M. R. Fr�echet (1878{1973), einem der Pioniere der"Topologie\.

2Benannt nach R. E. Gateaux (1889{1914).

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144 Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen

Dies verallgemeinert den Begri� der partiellen Ableitung aus x25. Aus Satz 26.3 ergibt sich

unmittelbar die folgende Aussage.

Satz 26.5.

Es seien X und Y normierte R�aume, a 2 E ein innerer Punkt von E � X und f : E ! R

sei in a total di�erenzierbar. Dann besitzt f im Punkt a Richtungsableitungen in jeder

Richtung. F�ur jeden Vektor v 2 X gilt dann

@vf(a) = Df(a)v :

Bemerkung.

Wegen Br(a) � E f�ur ein r > 0, ist die Funktion Fv(t) := f(a + tv) 2 R, t 2 (�r; r),wohlde�niert und es gilt:

f hat in a eine Richtungsableitung in Richtung v () Fv ist in t = 0 di�erenzierbar.

In diesem Fall ist @vf(a) = F 0v(0). Interpretiert man den Graphen der Funktion Fv als

"Kurve auf dem Graphen von f\, so stellt @vf(a) die Steigung der Tangente an diese

Kurve im Punkt (a; f(a)) dar.

Abbildung 26.2: Zum Begri� der Richtungsableitung

Die Umkehrung von Satz 26.5 ist falsch, d.h. eine Funktion, die Richtungsableitungen in jeder

Richtung besitzt, braucht nicht total di�erenzierbar zu sein (vgl. auch Aufgabe x26.1).

Beispiel 26.6.

Es sei

f(x1; x2) :=

8>>>><>>>>:

x21 x2x21 + x22

(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) :

Dann ist f : R2 ! R in (0; 0) stetig, denn wegen x21 � x21 + x22 gilt

jf(x)� f(0; 0)j ������ x21x2x21 + x22

����� � jx2j � jjxjj2 ! 0 f�ur x! 0 :

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Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen 145

Ferner gilt f�ur alle v 62 R2nf(0; 0)g und alle t 6= 0, dass f(tv) = tf(v). Dies impliziert

limt!0

f(tv)� f(0)t

= f(v) ;

d.h. f besitzt in 0 in jede Richtung eine Richtungsableitung mit @vf(0) = f(v) f�ur alle

v 2 R2. W�are f in 0 total di�erenzierbar, so w�are v 7! Df(0)v = f(v) linear. Jedoch ist

f ersichtlich nicht linear, d.h. f ist in 0 nicht total di�erenzierbar.

x1

x2

x1

x2

Abbildung 26.3: Richtungsableitungen in jede Richtung

Im wichtigen Fall X = Rm und Y = Rp l�asst sich die totale Ableitung von f : E ! Rp in

einem Punkt a 2 E � Rm, d.h. die lineare Abbildung Df(a) : Rm ! Rp, explizit berech-

nen.3 Wir benutzen dazu in beiden R�aumen, Rm und Rp, die Standardbasen fe1; : : : ; emgbzw. fe1; : : : ; epg und identi�zieren Punkte x =

Pmj=1 xjej 2 Rm und y =

Ppj=1 yjej 2 Rp

mit den entsprechenden Koordinatenvektoren (x1; : : : ; xm) bzw. (y1; : : : ; ym), d.h. wir schrei-

ben x = (x1; : : : ; xm) etc. In den allermeisten F�allen (siehe etwa Beispiel 26.6) ist die Ab-

bildung f : E ! Rp bereits in diesen Koordinaten gegeben. Wir merken noch an, dass die

Wahl der Norm auf X = Rm bzw. Y = Rp unerheblich ist (Satz 24.10).

Satz 26.7.

Es sei E � Rm und f = (f1; : : : ; fp) : E ! Rp sei in einem inneren Punkt a 2 E total

di�erenzierbar. Dann ist jede Komponentenfunktion fk : E ! R, k = 1; : : : ; p, in a

partiell di�erenzierbar und es gilt f�ur jeden Vektor h = (h1; : : : ; hm) 2 Rm

Df(a)h =

0BBBBBBBBBBBBBBBBBB@

@f1@x1

(a)@f1@x2

(a) � � � @f1@xm

(a)

@f2@x1

(a)@f2@x2

(a) � � � @f2@xm

(a)

......

. . ....

...

@fp�1

@x1(a)

@fp�1

@x2(a) � � � @fp�1

@xm(a)

@fp@x1

(a)@fp@x2

(a) � � � @fp@xm

(a)

1CCCCCCCCCCCCCCCCCCA

| {z }=:Jf (a)

0BBBBBBBBBBBBBBBBBB@

h1

h2

...

hm�1

hm

1CCCCCCCCCCCCCCCCCCA

:

3Eine lineare Abbildung L : X ! Y ist durch ihre Wirkung auf eine Basis von X eindeutig festgelegt.

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146 Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen

Beweis. Es sei k 2 f1; : : : ; pg und �k : Rp ! R, de�niert durch �k(y1; : : : ; yp) := yk f�ur

y 2 Rp. Dann ist �k linear und stetig, also

fk(a+ tej)� fk(a)t

=�k(f(a+ tej))� �k(f(a))

t=�k(f(a+ tej)� f(a))

t

=�k(tDf(a)ej +R(tej))

t= �k(Df(a)ej) + �k

�R(tej)

t

�:

Somit existiert Djfk(a) und Df(a)ej = (Djf1(a); : : : ; Djfp(a))T .

In der Sprache der Linearen Algebra ist die reelle p � m{Matrix Jf (a) gerade die Darstel-

lungsmatrix der linearen Abbildung Df(a) : Rm ! Rp bzgl. der beiden Standardbasen. Die

Matrix Jf (a) 2 Rp�m hei�t Jacobi–Matrix oder Funktionalmatrix von f an der Stelle a.

Slogan: Totale Di�erenzierbarkeit impliziert partielle Di�erenzierbarkeit.

Die Umkehrung ist i.Allg. falsch, siehe Beispiel 26.6, d.h.

Partielle Di�erenzierbarkeit 6) Totale Di�erenzierbarkeit.

Damit ergibt sich das folgende Verfahren zur �Uberpr�ufung der totalen Di�erenzierbarkeit

einer Abbildung.

Algorithmus (Test auf totale Di�erenzierbarkeit).

Untersuche die Abbildung f : E ! Rp in a 2 E � Rm auf totale Di�erenzierbarkeit.

! Ist f in a stetig ?

Wenn nein: f ist in a nicht total di�erenzierbar (Satz 26.4).

Wenn ja:

! Ist f in a partiell di�erenzierbar ?

Wenn nein, dann ist f in a nicht total di�erenzierbar (Satz 26.7).

Wenn ja:

! Berechne die Jacobi{Matix Jf (a) und R(h) := f(a+ h)� f(a)� Jf (a)h.Dann gilt: f ist in a total di�erenzierbar () lim

h!0

R(h)

jjhjj2= 0.

Beispiel 26.8 (Details siehe Vorlesung).

Es sei f : R2 ! R

f(x; y) :=

8>><>>:px2 + y2 y > 0

x f�ur y = 0

�px2 + y2 y < 0 :

Dann ist f in (0; 0) stetig und partiell di�erenzierbar mit D1f(0; 0) = D2f(0; 0) = 1.

Jedoch gilt f�ur R(h) = f(h) � f(0; 0) � Jf (0; 0)h = f(h) � h1 � h2, d.h. falls h1 = h2 > 0

folgtR(h)

jjhjj2= 1� h1 + h2

jjhjj2= 1� 2p

26! 0 :

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Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen 147

Bemerkung (Der Fall p = 1).

Es sei E � Rm und f : E ! R sei in einem inneren Punkt a 2 E total di�erenzierbar.

Dann ist f : E ! R in a partiell di�erenzierbar und es gilt Jf (a) = rf(a)T , d.h.

f(a+ h) = f(a) + hrf(a); hi+R(h) mit limh!0

R(h)

jjhjj2 = 0 :

Der"lineare Anteil\

h 7! hrf(a); hi ; h 2 Rm ;

beschreibt eine Ebene Ef im Rm�R durch den Ursprung mit Normalenvektor (�rf(a); 1),denn

(h; y) 2 Ef () y = hrf(a); hi () h(�rf(a); 1); (h; y)i = 0 :

Folglich ist der Graph der Funktion

x 7! f(a) + hrf(a); x� ai ; x 2 Rm

gerade die Ebene Taf = (a; f(a)) + Ef durch (a; f(a)) mit Normalenvektor (�rf(a); 1).Wegen der Di�erenzierbarkeitsbedingung gilt

limx!a

f(x)� �f(a) + hrf(a); x� ai�jjx� ajj2

= 0 ;

d.h. Taf schmiegt sich im Punkt (a; f(a)) den Graphen von f in h�oherer als erster

Ordnung an. Die Ebene Taf hei�t dementsprechend Tangentialebene im Punkt (a; f(a))

an den Graphen von f .

Korollar 26.9 (Geometrische Interpretation des Gradienten I).

Es seien E � Rm, a 2 E ein innerer Punkt von E und f : E ! R in a total di�eren-

zierbar. Ist a kein kritischer Punkt von f , so gilt aufgrund der Cauchy{Schwarzschen

Ungleichung

maxh2Rm ;jjhjj2=1

@hf(a) = maxh2Rm ;jjhjj2=1

hrf(a); hi = jjrf(a)jj2

mit Gleichheit genau dann

h =rf(a)jjrf(a)jj2

:

Der Gradient rf(a) zeigt also im Punkt a in Richtung des"steilsten Anstiegs\ der

Funktion f .

Aufgaben zu x26

1. Man zeige, dass die durch

f(x1; x2) :=

8>>>><>>>>:

x1 x22

x21 + x42(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) ;

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148 Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen

x2

x1

a1

a2

Abbildung 26.4: Tangentialebene Taf im Punkt (a; f(a)) mit Gradienten rf(a) und Norma-

lenvektor (�rf(a); 1))

de�nierte Funktion f : R2 ! R im Punkt a = (0; 0) in jeder Richtung v 2 R2 eine

Richtungsableitung besitzt, aber dort nicht stetig ist.

2. Man untersuche die Funktion

f(x1; x2) :=

8>>>>><>>>>>:

x31qx21 + x22

(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) ;

auf Stetigkeit und partielle und totale Di�erenzierbarkeit.

3. Man zeige, dass die Abbildung Inv : GL(Rm;Rm) ! GL(Rm;Rm), A 7! A�1, total

di�erenzierbar ist mit

DInv(A)B = �A�1BA�1 f�ur alle A 2 GL(Rm;Rm) und alle B 2 L(Rm;Rm) :

(Hinweis: �Ubungsaufgabe x24.4.)

4. Man zeige, dass die stetige Abbildung (C[0; 1]; jj � jj1)! (R; j � j), x 7! jjxjj1, in keinem

Punkt total di�erenzierbar ist.

5. Man zeige, dass die Abbildung det : L(Rm;Rm)! R total di�erenzierbar ist mit

D det(A)H = Spur(ATH) ; A;H 2 L(Rm;Rm) :

6. (Partielle Ableitungen in normierten R�aumen)

Es seien X;Y; Z normierte R�aume und f : X �Y ! Z, (x0; y0) ein innerer Punkt einer

Menge E � X � Y und f : E ! Z. Sind die partiellen Abbildungen x 7! f1(x) :=

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Differenzierbare Abbildungen in normierten Raumen 149

f(x; y0) bzw. y 7! f2(y) := f(x0; y) im Punkt x0 bzw. im Punkt y0 total di�erenzierbar

sind, so setzt man

Dxf(x0; y0) := Df1(x0) ; Dyf(x0; y0) := Df2(y0)

und nennt f im Punkt (x0; y0) bzgl. x und y partiell di�erenzierbar. Man zeige: Ist

f : E ! Z in (x0; y0) 2 E total di�erenzierbar, so ist f in (x0; y0) bzgl. x und y partiell

di�erenzierbar und es gilt

Df(x0; y0)(h1; h2) = Dxf(x0; y0)h1 +Dyf(x0; y0)h2 ; h = (h1; h2) 2 X � Y :

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x 27

Kettenregel und Stetige Di�erenzierbarkeit

...the doctrines of Vectors... is a method of thinking and not, at least for the present ge-

neration, a method of saving thought. It does not, like some other popular mathematical

methods, encourage the hope that mathematicians may give their minds to a holiday, by

transferring all their work to their pens. It calls on us at every step to form a mental image

of the geometric features represented by the symbols, so that in studying geometry by this

method we have our minds engaged with geometrical ideas, and are not permitted to call

ourselves geometers when we are only arithmeticians.

J. C. Maxwell [10]

Wir beginnen mit einer einfachen Ableitungsregel (vgl. Satz 16.4).

Satz 27.1.

Es seien X und Y normierte R�aume, f; g : E ! Y total di�erenzierbar in einem inneren

Punkt a 2 E � X und �; � 2 R. Dann ist auch �f + �g in a total di�erenzierbar mit

D(�f + �g)(a) = �Df(a) + �Dg(a) :

Slogan: Di�erenzieren ist eine lineare Operation.

Beweis. Es gelten

f(a+ h) = f(a) +Df(a)h+R(h)

g(a+ h) = g(a) +Dg(a)h+ ~R(h)

mit

limh!0

R(h)

jjhjj = 0 und limh!0

~R(h)

jjhjj = 0 :

Daraus folgt

(�f + �g)(a+ h) = (�f + �g)(a) + (�Df(a) + �Dg(a))h+ R(h)

mit

limh!0

R(h)

jjhjj = 0 f�ur R(h) := �R(h) + � ~R(h) :

Somit ergibt sich die Behauptung des Satzes.

Satz 27.2 (Kettenregel).

Es seien X, Y und Z normierte R�aume, f : E ! Y sei total di�erenzierbar in einem

inneren Punkt a 2 E � X und g : F ! Z sei total di�erenzierbar im inneren Punkt

b = f(a) 2 F � Y . Dann ist die Komposition g � f : E ! Z in a total di�erenzierbar mit

D(g � f)(a) = Dg(f(a))Df(a) :

151

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152 Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit

Die Kettenregel besagt also, dass die Ableitung einer Komposition die Komposition der Ab-

leitungen ist. Eine solch sch�one und nat�urliche Aussage muss richtig sein. Man vgl. mit Satz

27.2 mit der"eindimensionalen Kettenregel\ (Satz 16.7) und beachte die Kommentare in der

Vorlesung.

Beweis. Aus

f(a+ h) = f(a) +Df(a)h+R(h)

g(b+ ~h) = g(b) +Dg(b)~h+ ~R(~h) :

folgt

g(f(a+h)) = g(b+Df(a)h+R(h)) = g(b)+Dg(b)Df(a)h+Dg(b)R(h)+ ~R(Df(a)h+R(h)) :

F�ur die"Fehlerterme\ gelten hierbei f�ur h! 0

jjDg(b)R(h)jjjjhjj � jjDg(b)jj jjR(h)jjjjhjj ! 0

bzw. falls Df(a)h+R(h) 6= 0

jj ~R(Df(a)h+R(h))jjjjhjj =

jj ~R(Df(a)h+R(h))jjjjDf(a)h+R(h)jj

jjDf(a)h+R(h)jjjjhjj ! 0 :

Folglich ist g � f in a total di�erenzierbar mit D(g � f)(a) = Dg(f(a))Df(a).

Korollar 27.3 (Kettenregel mithilfe der Jacobi–Matrizen).

Es sei f : E ! Rp total di�erenzierbar in einem inneren Punkt a 2 E � Rm und

g : F ! Rq sei total di�erenzierbar im inneren Punkt b = f(a) 2 F = f(E). Dann ist

die Komposition g � f : E ! Rq in a total di�erenzierbar mit

Jg�f (a) = Jg(f(a)) � Jf (a) : (?)

Bemerkung.

Explizit liest sich die Kettenregel (?) wie folgt

@(g � f)k@xj

(a) =pXl=1

@gk@yl

(f(a))@fl@xj

(a) ; 1 � j � m; 1 � k � q :

Mathematikerinnen und Mathematiker merken sich anstelle dieses Monsters in der

Regel eher die"koordinatenfreie\ Kettenregel D(g � f)(a) = Dg(f(a))Df(a). Schreibt

man suggestiv y = f(x), z = g(y), d.h. z = g(f(x)), so liest sich die Kettenregel in der

Form@zk@xj

=mXl=1

@zk@yl

@yl@xj

:

Physikerinnen und Physiker schreiben dies als

@zk@xj

=@zk@yl

@yl@xj

(man beachte, dass sich"@yl\ rechts

"formal herausk�urzt\) und vereinbaren, dass man

immer �uber den doppelt auftretenden Index (hier also l) summiert. Dies ist die Ein-

steinsche Summenkonvention, die in der Di�erentialgeometrie und der allgemeinen

Relativit�atstheorie sehr h�au�g benutzt wird.

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Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit 153

Beispiel 27.4 (Geometrische Interpretation des Gradienten II).

Es sei � : I ! Rm total di�erenzierbar auf dem Intervall I und f : E ! Rp sei total

di�erenzierbar auf der o�enen Menge E � Rm, derart, dass �(I) � E. Dann ist die

zusammengesetzte Funktion f � � : I ! R di�erenzierbar mit

d

dt(f � �)(t) = hrf(�(t)); D�(t)i :

Verl�auft das Bild von � : I ! Rm ganz in einer Niveaumenge Nf (c) von f , d.h. gibt es

ein c 2 f(E) mit f(�(t)) = c f�ur alle t 2 I, so folgt also

hrf(�(t)); D�(t)i = 0

Somit steht der Vektor rf(�(t)) senkrecht auf dem"Tangentialvektor\ D�(t) von �

im Punkt �(t). Etwas unpr�azise, aber suggestiv halten wir fest:"Der Gradient steht

senkrecht auf den Niveaumengen\.

-1.0 -0.5 0.5 1.0x

-0.5

0.5

y

Abbildung 27.1: Niveaumengen und das"Vektorfeld\ rf f�ur f(x; y) = (x2+ y2)2� (x2� y2)

Satz 27.5 (Schrankensatz).

Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y total di�erenzierbar.

Liegt die Strecke [a; b] := fa+ t(b� a) : t 2 [0; 1]g ganz in E, so gilt

jjf(a)� f(b)jj � sup�2[a;b]

jjDf(�)jj � jja� bjj :

Beweis. Es sei g(t) := f(a+ t(b� a)), t 2 [0; 1]. Dann ist g : [0; 1]! Y nach der Kettenregel

total di�erenzierbar mit Dg(t) = Df(a+ t(b� a))(b� a). Wir m�ussen also

jjg(1)� g(0)jj � supt2[0;1]

jjDg(t)jj (?)

zeigen. Es sei dazu � 2 R so gew�ahlt, dass

� > supt2[0;1]

jjDg(t)jj : (?')

Wir de�nieren

s := sup fc 2 [0; 1] : jjg(c)� g(0)jj � � � cg :

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154 Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit

Dann ist s 2 [0; 1]. Falls s < 1, so gilt

limh!0+

jjg(s+ h)� g(s)jjh

= limh!0+

jjDg(s)h+R(h)jjh

= jjDg(s)jj < � :

Es gibt in diesem Fall also ein � > 0 mit jjg(s + h) � g(s)jj < �h f�ur alle 0 < h < �. Dies

ergibt

jjg(s+ h)� g(0)jj � jjg(s+ h)� g(s)jj+ jjg(s)� g(0)jj � �h+ �s = �(s+ h)

f�ur alle 0 < h < � und widerspricht der De�nition von s. Somit ist s = 1, d.h. jjg(1)�g(0)jj ��. Dies gilt f�ur jedes � > 0, welches der Bedingung (?') gen�ugt. Damit folgt (?).

Korollar 27.6 (Verallgemeinerter Schrankensatz).

Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y total di�erenzierbar.

Liegt die Strecke [a; b] := fa+ t(b� a) : t 2 [0; 1]g ganz in E, so gilt f�ur jedes x0 2 [a; b]

jjf(b)� f(a)�Df(x0)(b� a)jj � sup�2[a;b]

jjDf(�)�Df(x0)jj � jja� bjj :

Beweis. Man wende Satz 27.5 auf die total di�erenzierbare Abbildung x 7! f(x)�Df(x0)xan.

Definition.

Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y sei total di�erenzier-

bar. Dann ist Df : E ! L(X;Y ) eine Funktion mit Werten in dem mit der Operator-

norm jj � jj ausgestatteten normierten Raum (L(X;Y ); jj � jj). Die Abbildung f : E ! Y

hei�t stetig di�erenzierbar (im Punkt a 2 E), wenn Df : E ! L(X;Y ) stetig (im Punkt

a) ist. Wir setzen C1(E; Y ) := ff : E ! Y j f ist stetig di�erenzierbar auf Eg.

Satz 27.7 (Charakterisierung von C1–Abbildungen des Rm).

Es sei E � Rm eine o�ene Menge. Dann sind die folgen Aussagen f�ur eine Funktion

f : E ! Rp �aquivalent.

(a) Die Funktion f : E ! Rp ist stetig di�erenzierbar.

(b) Die Funktion f : E ! Rp ist stetig partiell di�erenzierbar, d.h. f : E ! Rp ist

partiell di�erenzierbar und alle partiellen Ableitungen @fk@xj

: E ! R sind f�ur jedes

j = 1; : : : ;m und jedes k = 1; : : : ; p stetig.

Insbesondere gilt:

Korollar 27.8 (Hauptkriterium fur totale Differenzierbarkeit).

Es sei E � Rm eine o�ene Menge und f : E ! Rp sei partiell di�erenzierbar und alle

partiellen Ableitungen seien im Punkt a 2 E stetig. Dann ist f in a total di�erenzierbar.

Beweis. Es sei a 2 E �xiert.

(a) ) (b): Man beachte mithilfe der Cauchy{Schwarzschen Ungleichung�����@fk@xj(x)� @fk

@xj(a)

����� = jhek; Df(x)eji � hek; Df(a)ejij � jjDf(x)�Df(a)jj ! 0 f �ur x! a :

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Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit 155

(b) ) (a): Wir zerlegen den Beweis in zwei Schritte.

(i) Wir zeigen zun�achst, dass f in (jedem Punkt) a 2 E total di�erenzierbar ist mit Df(a)h =

Jf (a)h. Dazu setzen wir

Lh := Jf (a)h ; h 2 Rm ;

und m�ussen zeigen, dass

limh!0

f(a+ h)� f(a)� Lhjjhjj2 = 0 :

Wir w�ahlen Br(a) � E, �xieren ein h = (h1; : : : ; hm) 2 Br(0) und setzen a0 := a und

aj := a0 +Pjl=1 hlel f�ur j = 1; : : : ;m, siehe Skizze in der Vorlesung. Dann gibt es nach dem

Mittelwertsatz (Satz 17.3) jeweils ein �j;k zwischen 0 und hj mit

fk(aj)� fk(aj�1) =@fk@xj

(aj�1 + �j;kej)hj ; j = 1; : : : ;m ; k = 1; : : : ; p :

Es folgt f�ur k = 1; : : : ; p

fk(a+ h)� fk(a) =mXj=1

�fk(aj)� fk(aj�1)

�=

mXj=1

@fk@xj

(aj�1 + �j;kej)hj

!;

d.h.

jfk(a+ h)� fk(a)� (Lh)kj =

������mXj=1

"@fk@xj

(aj�1 + �j;kej)� @fk@xj

(a)

#hj

!�������

mXj=1

�����"@fk@xj

(aj�1 + �j;kej)� @fk@xj

(a)

#����� � jjhjj2 :Dies impliziert

jjf(a+ h)� f(a)� Lhjj2jjhjj2 �

0B@ pXk=1

������mXj=1

�����"@fk@xj

(aj�1 + �j;kej)� @fk@xj

(a)

#�����������21CA

1=2

! 0

f�ur h! 0. Folglich ist f in (jedem Punkt) a 2 E total di�erenzierbar.

(ii) Die Stetigkeit von E 3 x 7! Df(x) 2 L(Rm;Rp) folgt direkt aus der Stetigkeit aller

Eintr�age @fk@xj

mithilfe von Korollar 24.11.

Es gelten also die folgenden Implikationen.

f stetig (partiell) di�erenzierbar =) f total di�erenzierbar=)=)

f partiell di�erenzierbar

f stetig.

Wie wir gesehen haben, l�asst sich im Allgemeinen keine dieser Implikationen umkehren.

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156 Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit

Aufgaben zu x27

1. Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f 2 C1(E; Y ). Zeigen Sie, dass

jeder Punkt x 2 E eine Umgebung U � E besitzt, derart, dass f auf U Lipschitz{stetig

ist. (�Ubungsaufgabe)

2. Es seien X ein normierter Raum und f; g : E ! R total di�erenzierbar in einem

inneren Punkt a 2 E � X. Zeigen Sie, dass das Produkt f � g : E ! R im Punkt a

total di�erenzierbar ist mit D(f � g)(a) = g(a)Df(a) + f(a)Dg(a).

3. (Euler 1755)

Eine Funktion f : Rm ! R hei�t positiv homogen vom Grade � 2 R, falls f(tx) =

t�f(x) f�ur alle t > 0 und alle x 2 Rmnf0g.

(a) Man zeige, dass die durch

f(x1; x2) :=

8>>>><>>>>:

x1 x2qx21 + x22

(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) ;

de�nierte Funktion f : R2 ! R positiv homogen vom Grade 1 ist und untersuche

sie auf Stetigkeit, totale Di�erenzierbarkeit und stetige Di�erenzierbarkeit.

(b) Man zeige, dass eine total di�erenzierbare Funktion f : Rm ! R genau dann

positiv homogen vom Grad � ist, wenn hrf(x); xi = �f(x) f�ur alle x 2 Rmnf0g.

4. Es seien E � Rm o�en und f 2 C1(E;Rp). Man zeige, dass

g : E ! R ; x 7! sin�jjf(x)jj22

�stetig di�erenzierbar ist und bestimme rg.

5. Man zeige, dass f�ur f 2 C1(Rm;R) und A 2 Rm�m gilt: r(f � A)(x) = ATrf(Ax).

6. (Der Mittelwertsatz in normierten R�aumen)

Es seien X ein normierter Raum, E � X o�en und f : E ! R total di�erenzierbar.

Liegt die Strecke [a; b] ganz in E, so zeige man, dass es einen Punkt � 2 [a; b] gibt,

derart, dass

f(b)� f(a) = Df(�)(b� a) :

7. Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y total di�eren-

zierbar und Lipschitz{stetig mit einer Lipschitz{Konstanten L. Man zeige, dass dann

jjDf(x)jj � L f�ur alle x 2 E. (�Ubungsaufgabe)

8. Es sei f : R2 ! R total di�erenzierbar mit D1f(x; y) = D2f(x; y) f�ur alle x; y 2 R.

Man zeige, dass es eine di�erenzierbare Funktion h : R! R gibt mit f(x; y) = h(x+y).

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Kettenregel und Stetige Differenzierbarkeit 157

9. Es sei f 2 C2(R) und F : R2 ! R de�niert durch

F (x; y) :=f(x)� f(y)

x� y ; x; y 2 R :

Man zeige: F ist total di�erenzierbar auf R2.

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x 28

H�ohere Ableitungen

Unsere Art der Darstellung der Di�erential{ und Integralrechnung entspricht ihrer"inneren

Logik\. Sie erfordert nat�urlich einige geistige Anstrengung, im Gegensatz zu der bequemen

Routine des klassischen Formalismus, und zwar schon aufgrund ihrer h�oheren Abstraktheit,

insbesondere aber aufgrund der Tatsache, dass man immer wieder die urspr�unglichen R�aume

zu verlassen und zu immer neuen Funktionenr�aume emporzusteigen hat (ganz besonders

dann, wenn es um die Theorie der h�oheren Ableitungen geht).

J. Dieudonn�e [2, S.148]

Definition.

Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y sei total di�eren-

zierbar. Die Funktion f : E ! Y hei�t zweimal total di�erenzierbar im Punkt a 2 E,falls die Abbildung Df : E ! L(X;Y ) im Punkt a total di�erenzierbar ist. Dann ist

D(Df)(a) eine stetige lineare Abbildung von X nach V := L(X;Y ), d.h. f�ur jedes h 2 Xgilt D(Df)(a)h 2 V = L(X;Y ). Wir setzen

D2f(a)[h; k] := (D(Df)(a)h)k f�ur alle h; k 2 X ;

und nennen D2f(a) die zweite Ableitung von f im Punkt a. Man beachte, dass damit

D2f(a) : X �X ! Y bilinear ist und

Df(a+ h) = Df(a) +D(Df)(a)h+R(h) = Df(a) +D2f(a)[h; � ] +R(h) (?)

mit

limh!0

R(h)

jjhjj = 0 :

Satz 28.1 (Spezialfall X = Rm und Y = R).

Es sei E � Rm eine o�ene Menge und f : E ! R sei zweimal total di�erenzierbar im

Punkt a 2 E. Dann ist f : E ! R in a zweimal partiell di�erenzierbar, d.h. f�ur jedes

1 � j � m ist die Funktion @f@xj

: E ! R im Punkt a partiell di�erenzierbar. Ferner gilt

D2f(a)[el; ej ] =@

@xl

@f

@xj

!(a) f�ur alle 1 � l; j � m:

Bildet man die sog. Hesse{Matrix1

Hf (a) :=

@

@xl

@f

@xj

!(a)

!lj

2 Rm�m

1Benannt nach O. Hesse (1811{1874).

159

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160 Hohere Ableitungen

von f im Punkt a 2 E, so folgt insbesondere

D2f(a)[h; k] = hTHf (a)k f�ur alle h; k 2 Rm :

Beweis. Aus (?) ausgewertet bei k 2 Rm ergibt sich

Df(a+ h)k = Df(a)k +D2f(a)[h; k] +R(h)k ;

mit jjR(h)kjj2=jjhjj2 � jjR(h)jj=jjhjj2 � jjkjj2 ! 0 f�ur h! 0 f�ur jedes feste k 2 Rm, d.h. Df(�)kist f�ur jedes k 2 Rm im Punkt a total di�erenzierbar mit (D(Df)(a)k)h = D2f(a)[h; k]. Setzt

man k = ej , so ist also Djf = Df(�)ej in a total di�erenzierbar, d.h. nach Satz 26.7 auch

partiell di�erenzierbar mit

@

@xl

@f

@xj

!(a) = D(Djf)(a)el = D2f(a)[el; ej ] :

Die wichtigste und �uberraschendste Eigenschaft der zweiten Ableitung ist ihre Symmetrie.

Satz 28.2.

Es seien X und Y normierte R�aume, E � X o�en und f : E ! Y im Punkt a 2 Ezweimal total di�erenzierbar. Dann gilt

D2f(a)[h; k] = D2f(a)[k; h] f�ur alle h; k 2 X ;

d.h. die Bilinearform D2f(a) ist symmetrisch.

Beweis. Es sei B2r(a) � E f�ur ein r > 0 und die Punkte h; k 2 Br(0) � X und t 2 [0; 1]

seien �xiert. Wir betrachten die Funktion Ft : [0; 1]! Y ,

Ft(s) := f(a+ th+ stk)� f(a+ stk) ; s 2 [0; 1] :

Dann ist Ft total di�erenzierbar und aufgrund von Korollar 27.6 gilt

jjFt(1)� Ft(0)�DFt(0)jj � sup�2[0;1]

jjDFt(�)�DFt(0)jj : (?0)

Man beachte hierbei mithilfe der Kettenregel, dass

DFt(�) = Df(a+ th+ �tk)(tk)�Df(a+ �tk)(tk) f�ur alle � 2 [0; 1] :

Da die Funktion u 7! Df(u) 2 L(X;Y ) im Punkt a 2 E total di�erenzierbar ist, gilt

Df(a+ x) = Df(a) +D(Df)(a)x+R(x)

mit R(x) 2 L(X;Y ) und R(x)jjxjj ! 0 f�ur x! 0. Setzt man hier x = th+ �tk bzw. x = �tk ein,

so ergibt sich aufgrund der Linearit�at von D(Df)(a), dass

Df(a+ th+ �tk)�Df(a+ �tk) = D(Df)(a)(th) +R(th+ �tk)�R(�tk) :

Wertet man diese lineare Abbildung bei tk aus, so folgt

DFt(�) = t2 (D(Df)(a)h) k + tR(th+ �tk)k � tR(�tk)k :

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Hohere Ableitungen 161

Insbesondere gilt f�ur t! 0

DFt(0)

t2! (D(Df)(a)h) k = D2f(a)[h; k] ;

und

sup�2[0;1]

jjDFt(�)�DFt(0)jjt2

= sup�2[0;1]

jjR(th+ �tk)k �R(�tk)k +R(th)kjjjtj ! 0 :

Andererseits gilt

Ft(1)� Ft(0)�DFt(0)t2

=f(a+ th+ tk)� f(a+ th)� f(a+ tk) + f(a)

t2�D2f(a)[h; k]+

R(th)k

t:

Aus (?0) ergibt sich daher

limt!0

f(a+ th+ tk)� f(a+ th)� f(a+ tk) + f(a)

t2= D2f(a)[h; k] :

Diese Formel impliziert unmittelbar die Symmetrie von D2f(a).

Korollar 28.3 (Spezialfall X = Rm und Y = R).

Es sei E � Rm eine o�ene Menge und f : E ! R sei zweimal total di�erenzierbar im

Punkt a 2 E. Dann existieren die zweiten partiellen Ableitungen

@2f

@xl@xj(a) :=

@

@xl

@f

@xj

!(a) ;

@2f

@x2j(a) :=

@2f

@xj@xj(a) ;

im Punkt a f�ur alle j; l 2 f1; : : : ;mg und es gilt

@2f

@xl@xj(a) =

@2f

@xj@xl(a) :

Insbesondere ist die Hesse{Matrix Hf (a) 2 Rm�m von f im Punkt a 2 E symmetrisch.

Definition.

Es seien X und Y normierte R�aume und E � X o�en. Eine Funktion f : E ! Y hei�t

zweimal stetig di�erenzierbar, falls f : E ! Y total di�erenzierbar ist und die Ableitung

Df : E ! L(X;Y ) stetig di�erenzierbar ist. Wir setzen

C2(E; Y ) := ff : E ! Y : f zweimal stetig di�erenzierbar in Eg

und C2(E) := C2(E;R). F�ur E � Rm hei�t eine Funktion f : E ! R zweimal stetig

partiell di�erenzierbar, falls f�ur alle j; k 2 f1; : : : ;mg die zweiten partiellen Ableitungen

@2f

@xk@xj(x) :=

@

@xk

@f

@xj

!(x)

f�ur alle x 2 E existieren und dort stetig sind.

Satz 28.4.

Es sei E � Rm eine o�ene Menge. Eine Funktion f : E ! R ist genau dann zweimal

stetig partiell di�erenzierbar, wenn f 2 C2(E).

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162 Hohere Ableitungen

Beweis. Wir identi�zieren L(Rm;R) mit Rm. Dann ist f : E ! R genau dann zweimal

stetig partiell di�erenzierbar, wenn Df : E ! Rm stetig partiell di�erenzierbar ist. Nach

Satz 27.7 ist dies genau dann der Fall, wenn Df : E ! L(Rm;R) stetig di�erenzierbar,

d.h. wenn f 2 C2(E) ist.

Korollar 28.5 (Satz von Schwarz2 1873).

Es seien E � Rm eine o�ene Menge und f 2 C2(E). Dann gilt

@2f

@xk@xj(x) =

@2f

@xj@xk(x)

f�ur alle j; k 2 f1; : : : ;mg und alle x 2 E, d.h. die Hesse{Matix Hf (x) ist f�ur alle x 2 Esymmetrisch.

Beweis. Dies folgt aus Satz 28.2.

Beispiel 28.6.

Die durch

f(x1; x2) :=

8>>>><>>>>:x1x2

x21 � x22x21 + x22

(x1; x2) 6= (0; 0)

f�ur

0 (x1; x2) = (0; 0) ;

de�nierte Funktion f : R2 ! R ist zweimal partiell di�erenzierbar in (0; 0). Es gilt aber

D1D2f(0; 0) 6= D2D1f(0; 0) (siehe Vorlesung). Insbesondere ist f in (0; 0) nicht zweimal

total di�erenzierbar. Dieses Beispiel stammt von Peano (1885).

Definition (Laplace–Operator).

Es sei E � Rm o�en. Die lineare Abbildung � : C2(E)! C(E) de�niert durch

�u(x) :=nXj=1

@2u

@x2j(x) ; u 2 C2(E) ;

hei�t Laplace{Operator3 (auf E). Eine Funktion u 2 C2(E) hei�t harmonisch auf E,

falls �u(x) = 0 f�ur alle x 2 E.

Bemerkungen. (a) Es gilt �u = SpurHu.

(b) Der Laplace{Operator ist ubiquit�ar in der Mathematischen Physik, deren Grund-

gleichungen (Potential{, Wellen{, W�armeleitungs{ und Schr�odingergleichung) sich

alle mithilfe des Laplace{Operators formulieren lassen.

(c) Die Menge der harmonischen Funktionen auf E ist gerade der Kern des Laplace{

Operators auf E und bildet daher einen reellen Vektorraum.

Satz 28.7 (Maximumprinzip fur harmonische Funktionen).

Es sei E � Rm eine beschr�ankte o�ene Menge und u : E ! R stetig und in E harmo-

nisch. Dann nimmt die Funktion u ihr Maximum und ihr Minimum auf dem Rand von

E an.

2Benannt nach H. A. Schwarz (1843{1921).3Nach P. S. Laplace (1749{1827).

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Hohere Ableitungen 163

Beweis. Da mit u auch �u harmonisch in E ist, gen�ugt es, die Aussage f�ur das Maximum

zu zeigen. Falls

maxx2@E

u(x) < M := maxx2E

u(x) ;

so gibt es ein " > 0, derart, dass das Maximum von x 7! v(x) = u(x) + "(x21 + : : :+ x2n) auf

@E ebenfalls < M ist. Da das Maximum von v auf E aber � M ist, nimmt v ihr Maximum

in einem inneren Punkt a 2 E an. Dann nimmt auch f�ur jedes j = 1; : : : ;m die partielle

Funktion t 7! v(a+ tej) ihr Maximum bei t = 0 an, d.h. es gilt

@v

@xj(a) = 0 und

@2v

@x2j(a) � 0 ; j = 1; : : : ;m :

Es folgt �v(a) � 0. Dies widerspricht aber �v = �u+ 2"m > 0.

Aufgaben zu x28

1. Es seien X und Y normierte R�aume und A 2 L(X;Y ). Zeigen Sie, dass A 2 C2(X;Y )

und D2A = 0.

2. Es seien E � Rm o�en, f : E ! R zweimal stetig di�erenzierbar und v := rf : E !Rm. Zeigen Sie, dass die Integrabilit�atsbedingungen Djvk = Dkvj gelten.

� �� 3. Es sei E � R2 o�en und f 2 C1(E). Ferner existiere D2(D1f) in jedem Punkt a 2 E

und es gelte D2(D1f) 2 C(E). Man zeige, dass dann auch D1(D2f) auf E existiert und

dort gleich D2(D1f) ist.

3. Man zeige, dass die Funktion gm : Rmnf0g ! R

gm(x) :=

8>><>>:ln jjxjj2 m = 2

f�ur

jjxjj2�m2 m > 2 ;

in Rmnf0g harmonisch ist.

(Bem.: F�ur m = 3 ist (bis auf einen Faktor) die Funktion gm das Gravitationspotential

einer sich im Ursprung be�ndenden punktf�ormigen Masse.)

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x 29

Taylorformel f�ur Funktionen mehrerer Ver�anderlicher

Die logische Notation verschluckt die Struktur.

L. Wittgenstein [22, p. 284]

Satz 29.1 (Taylorformel).

Es sei E eine o�ene Teilmenge eines normierten Raumes X und f 2 C2(E). Dann gilt

f�ur jedes a 2 E und alle a+ h 2 Br(a) � E

f(a+ h) = f(a) +Df(a)h+1

2D2f(a)[h; h] +R(h)

mit

limh!0

R(h)

jjhjj2 = 0 :

Beweis. Es sei g(t) := f(a + th), t 2 [0; 1]. Dann ist g : [0; 1] ! R zweimal stetig di�e-

renzierbar und nach Satz 19.8 gibt es ein von h 2 X (und a 2 E) abh�angiges � 2 [0; 1]

mit

g(1) = g(0) + g0(0) +g00(�)2

:

Mit der Kettenregel folgt

g0(t) = Df(a+ ht)h ; g00(t) = D2f(a+ th)[h; h] ;

d.h. g0(0) = Df(a)h und g00(0) = D2f(a)[h; h]. Dies impliziert

f(a+ h) = f(a) +Df(a)h+1

2D2f(a+ �h)[h; h] = f(a) +Df(a)h+

1

2D2f(a)[h; h] +R(h) :

mit

R(h) :=1

2

�D2f(a+ �h)[h; h]�D2f(a)[h; h]

�;

wobei

jR(h)jjjhjj2 �

1

2

jD2f(a+ �h)[h; h]�D2f(a)[h; h]jjjhjj2 � 1

2jjD(Df)(a+ �h)�D(Df)(a)jj ! 0

f�ur h! 0, da D2f = D(Df) stetig ist.

Wir wenden jetzt die Di�erentialrechnung in normierten R�aumen zur Untersuchung lokaler

Extrema reellwertiger Funktionen von mehreren reellen Variablen an.

165

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166 Taylorformel fur Funktionen mehrerer Veranderlicher

Definition.

Es sei E � Rm o�en. Ein Punkt a 2 E hei�t lokales isoliertes Maximum (bzw. lokales

isoliertes Minimum) einer Funktion f : E ! R, wenn es eine Umgebung U � E von a

gibt, mit f(x) < f(a) f�ur alle x 2 Unfag (bzw. falls f(x) > f(a) f�ur alle x 2 Unfag).

Satz 29.2.

Es sei E � Rm eine o�ene Menge, f 2 C2(E) und a 2 E ein kritischer Punkt von f .

(a) Ist Hf (a) positiv de�nit, d.h. gilt hh;Hf (a)hi > 0 f�ur alle h 2 Rmnf0g, so hat f in

a ein lokales isoliertes Minimum.

(b) Ist Hf (a) negativ de�nit, d.h. gilt hh;Hf (a)hi < 0 f�ur alle h 2 Rmnf0g, so hat f in

a ein lokales isoliertes Maximum.

(c) Ist Hf (a) inde�nit, d.h. gibt es h1; h2 2 Rm mit hh1; Hf (a)h1i > 0 und hh2; Hf (a)h2i <0, so hat f in a kein lokales Extremum.

Bemerkungen. 1. Man vergleiche Satz 29.2 mit seinem eindimensionalen Analogon,

d.h. mit Satz 18.1.

2. Die Idee des folgenden Beweis beruht auf der folgenden Beobachtung. Falls Df(a) =

0, so besitzt die"Approximation zweiter Ordnung\ im Punkt a,

h 7! T2(h) := f(a) +Df(a)h+1

2D2f(a)[h; h] = f(a) +

1

2hh;Hf (a)hi ;

im Punkt h = 0 ein (a) globales Minimum bzw. (b) globales Maximum bzw. (c) kein

globales Extremum. Die Formel von Taylor besagt, dass sich f(a+h) f�ur"kleine\

h durch T2 ann�ahern l�asst mit einem Fehler, der f�ur h ! 0"schneller gegen 0

konvergiert als jjhjj2.\ In der"N�ahe von h = 0\, d.h.

"lokal bei a\ kann man also

ho�en, dass das Verhalten von f durch dasjenige von T2 bestimmt wird.

Beweis. Es gilt zun�achst

f(a+ h) = f(a) +1

2hh;Hf (a)hi+R(h) mit lim

h!0

R(h)

jjhjj22= 0 :

(a) Da Hf (a) positiv de�nit ist, ergibt sich mithilfe von Korollar 24.6, dass

� := minjjhjj2=1

1

2hh;Hf (a)hi > 0 :

Daraus folgt

1

2hh;Hf (a)hi = 1

2

�h

jjhjj2 ; Hf (a)h

jjhjj2

�� jjh2jj2 � �jjhjj22 f�ur alle h 2 Rmnf0g :

Wegen R(h)=jjhjj22 ! 0 f�ur h! 0, gibt es ein � > 0 mit

R(h)=jjhjj22 � ��=2 f�ur alle jjhjj2 < � :

Dies ergibt

f(a+ h) � f(a) + �jjhjj22 ��

2jjhjj22 = f(a) +

2jjhjj22 f�ur alle jjhjj2 < � :

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Taylorformel fur Funktionen mehrerer Veranderlicher 167

Also besitzt f in a ein lokales isoliertes Minimum.

(b) Dies folgt durch Anwenden von (a) auf �f .(c) Seien o.E. jjh1jj2 = jjh2jj2 = 1 und �j :=

12hhj ; Hf (a)hji, d.h. �2 < 0 < �1. Dann gibt es

ein � > 0 mit

R(th1)

t2=

R(th1)

t2jjh1jj22> ��1

2;

R(th2)

t2=

R(th2)

t2jjh2jj22< ��2

2f�ur alle 0 < t < � :

Daraus folgen

f(a+ th1) = f(a) +1

2hh1; Hf (a)h1i t2 +R(th1) > f(a)

und

f(a+ th2) = f(a) +1

2hh2; Hf (a)h2i t2 +R(th2) < f(a) ;

d.h. f hat in a kein lokales Extremum.

Beispiele 29.3. Es sei f : R2 ! R mit f(x; y) = �x2 + "y2 mit �; " 2 f�1; 1g. Dann gelten

rf(x; y) = 2(�x; "y)T ; Hf (x; y) = 2

� 0

0 "

!:

Folglich ist (0; 0) der einzige kritische Punkt von f .

(a) F�ur � = " = 1 ist Hf (0; 0) positiv de�nit und f hat in (0; 0) ein (lokales) isoliertes

Minimum.

(b) F�ur � = " = �1 ist Hf (0; 0) negativ de�nit und f hat in (0; 0) ein (lokales) isoliertes

Maximum.

(c) F�ur � = 1 und " = �1 ist Hf (0; 0) inde�nit und f hat in (0; 0) kein lokales Extre-

mum, sondern einen"Sattelpunkt\.

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

0

2

4

6

8

(a) Minimum

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

-8

-6

-4

-2

0

(b) Maximum

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

-4

-2

0

2

4

(c) Sattel

Beispiele 29.4. Ist Hf in einem kritischen Punkt von f semide�nit (d.h. gilt hh;Hf (a)hi �0 (bzw. � 0) f�ur alle h 2 Rmnf0g), so ist keine allgemeine Aussage m�oglich. Dazu

betrachte man die Funktionen

f1(x; y) = x2 + y4 ; f2(x; y) := x2 ; f3(x; y) = x2 + y3 :

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168 Taylorformel fur Funktionen mehrerer Veranderlicher

In jedem Fall ist (0; 0) ein kritischer Punkt und

Hfj (0; 0) =

2 0

0 0

!

ist positiv semide�nit. Dagegen hat f1 in (0; 0) ein (lokales) isoliertes Minimum, f2 ein

(lokales) nicht isoliertes Minimum und f3 kein lokales Extremum.

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

0

5

10

15

20

(a) isol. Minimum

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

0

1

2

3

4

(b) nicht isol. Minimum

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

-5

0

5

10

(c) Sattel

Bemerkung (Definitheitstest).

Es sei A eine symmetrische reelle (m �m){Matrix (z.B. die Hesse{Matrix einer C2{

Funktion). Dann sind �aquivalent:

(a) A ist positiv de�nit.

(b) Alle Eigenwerte von A sind positiv.1

(c) Alle Abschnittsdeterminanten von A = (ajk),

det

0BB@a11 : : : a1k...

. . ....

ak1 : : : akk

1CCA ; k = 1; : : : ;m ;

sind positiv.

(d) �A ist negativ de�nit.

F�ur einen Beweis dieser Aussage siehe die Vorlesungen in Linearer Algebra.

Algorithmus (Bestimmung globaler Extrema).

Bestimme die globalen Extrema einer Funktion f : E ! R auf einer Menge E � Rm.

1. Ermittle alle kritischen Punkte im Inneren von E.

2. Pr�ufe, welche der inneren kritischen Punkte als lokale (und daher als globale)

Extrema in Frage kommen (Satz 29.2).

1Reelle symmetrische Matrizen besitzen nur reelle Eigenwerte (siehe Lineare Algebra oder Beispiel 31.9).

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Taylorformel fur Funktionen mehrerer Veranderlicher 169

3. Untersuche f auf dem Rand von E.

Beispiel 29.5 (zusatzlich zur Vorlesung).

Es sei E := f(x; y) 2 R2 : x2 + y2 � 1g und f : E ! R de�niert durch f(x; y) :=

x + y. Dann ist f : R2 ! R stetig und hat keine kritischen Punkte. Auf dem Rand

@E = f(cos t; sin t) : t 2 [0; 2�)g gilt f(cos t; sin t) = g(t) := cos t + sin t, wobei g0(t) =

� sin t + cos t = 0 () tan t = 1 () t = �=4 oder t = 5�=4. Dabei ist g(�=4) =p2 und

g(5�=4) = �p2. Somit gilt

max(x;y)2E

f(x; y) =p2 ; min

(x;y)2Ef(x; y) = �

p2 :

f nimmt sein Maximum auf E (nur) im Punkt (p2=2;p2=2) und sein Minimum auf E

(nur) im Punkt (�p2=2;�p2=2) an.

Aufgaben zu x29

1. Es sei f : R2 ! R de�niert durch f(x; y) := (y � x2)(y � 2x2). Zeigen Sie, dass f in

(0; 0) kein lokales Minimum besitzt, dass aber f�ur jedes v 2 R2nf(0; 0)g die FunktionFv(t) := f(tv) in t = 0 ein isoliertes lokales Minimum besitzt.

2. Man klassi�ziere die kritischen Punkte der Funktion

f� : R2 ! R ; f(x; y) = x3 � y3 + 3�xy

nach Maxima, Minima und Sattelpunkten in Abh�angigkeit von � 2 R.

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x 30

Banachr�aume

In general, Banach's1 lectures were not too well prepared; he would occasionally make mis-

takes or omissions. It was most stimulating to watch him work at the blackboard as he

struggled and invariably managed to pull through. I have always found such a lecture more

stimulating than the entirely polished ones where my attention would lapse completely and

would revive only when I sensed that the lecturer was in di�culty.

S. Ulam [18, p. 33]

Definition.

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Eine Folge (an) in X hei�t Cauchy{Folge in X,

wenn

8">0 9N2N 8n;m�N jjan � amjj < " :

Satz 30.1 (Vgl. Satz 5.2).

Es sei (X; jj � jj) ein normierter Raum. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) Jede Cauchy{Folge in X ist beschr�ankt.

(b) Jede in X konvergente Folge aus X ist eine Cauchy{Folge in X.

(c) Besitzt eine Cauchy{Folge in X eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert a 2 X,

so konvergiert die Ausgangsfolge gegen a.

(d) Ist jj � jj� eine zu jj�jj �aqiuvalente Norm auf X, so ist jede Cauchy{Folge in (X; jj�jj)auch eine Cauchy{Folge in (X; jj � jj�), et vice versa.

Beweis. (a) Es sei " = 1. Dann gibt es ein N 2 N mit jjan � aN jj < 1 f�ur alle n � N ,

d.h. jjanjj � 1 + jjaN jj f�ur alle n � N , also jjanjj �M f�ur M := 1 +maxfjja1jj; : : : jjaN jjg.(b) Es sei an ! a in (X; jj � jj). Zu jedem " > 0 gibt es dann ein N 2N mit jjan� ajj < "=2

f�ur alle n � N , d.h. es gilt f�ur alle n;m � N mithilfe der Dreiecksungleichung jjan � amjj �jjan � ajj+ jjam � ajj < ".

(c) Es sei (ank) die gegen a 2 X konvergente Teilfolge der Cauchy{Folge (an) aus X. Dann

gibt es zu vorgegebenem " > 0 ein N 2 N mit jjan � amjj < "=2 f�ur alle n;m � N und

jjank � ajj < "=2 f�ur alle k � N . Wegen nk � k folgt daher die Absch�atzung jjan � ajj �jjan � anN jj+ jjanN � ajj < "=2 + "=2 = " f�ur alle n � N .

(d) Es gibt Konstanten K;L > 0, derart, dass Ljjan � amjj� � jjan � amjj � Kjjan � amjj�f�ur alle n;m 2N und jede Folge (an) in X. Daraus folgt unmittelbar die Behauptung.

1St. Banach (1892{1945), polnischer Funktionalanalytiker

171

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172 Banachraume

Definition.

Ein normierter Raum (X; jj � jj) hei�t vollst�andig, wenn jede Cauchy{Folge in X gegen

einen Punkt in X konvergiert. Ein vollst�andiger normierter Raum hei�t auch Banach-

raum.

Satz 30.2.

Rm ist vollst�andig, also ein Banachraum.

Bemerkung.

In diesem Satz spielt es keine Rolle, welche Norm auf Rm wir betrachten.

Beweis. Es sei (an) eine Cauchy{Folge in Rm. Dann ist (an) nach Satz 30.1 (a) beschr�ankt,

hat also nach dem Satz von Bolzano{Weierstra� eine konvergente Teilfolge. Nach Satz 30.1

(c) ist (an) dann selbst konvergent.

Beispiel 30.3.

(C[a; b]; jj � jj1) ist ein Banachraum.

Beweis. Es sei (fn) eine Cauchy{Folge in (C[a; b]; jj � jj1). F�ur jedes feste t 2 [a; b] gilt dann

jfn(t)� fm(t)j � jjfn � fmjj1 ;

daher ist (fn(t)) eine Cauchy{Folge in (R; j � j) und konvergiert aufgrund der Vollst�andigkeit

von (R; j � j) gegen einen Grenzwert in R, den wir f(t) nennen. Dies de�niert eine Funktion

f : [a; b]! R. Wir haben gezeigt: (fn) konvergiert punktweise gegen f : [a; b]! R.

Wir zeigen: (fn) konvergiert gleichm�a�ig auf [a; b] gegen f : [a; b]! R. Dazu beachten wir

jf(t)� fn(t)j � jf(t)� fm(t)j+ jfm(t)� fn(t)j � jf(t)� fm(t)j+ jjfm � fnjj1 :

Ist jetzt " > 0 vorgegeben, so w�ahlen wir N 2N mit jjfn � fmjj1 < " f�ur alle n;m � N . Es

gilt dann f�ur alle n � Njf(t)� fn(t)j � jf(t)� fm(t)j+ "

f�ur jedes t 2 [a; b]. L�asst man f�ur festes t 2 [a; b] hier nun m ! 1 streben, so ergibt sich

jf(t)� fn(t)j � " f�ur jedes t 2 [a; b] und alle n � N . Somit konvergiert (fn) gleichm�a�ig auf

[a; b] gegen f : [a; b] ! R. Das Prinzip der gleichm�a�igen Konvergenz (Satz 21.3) impliziert

f 2 C[a; b]. Lemma 21.1 zeigt schlie�lich jjfn � f jj1 ! 0.

Beispiel 30.4.

(C1[a; b]; jj � jj1) ist kein Banachraum.

Beweis. Es sei o.E. a = �1 und b = 1. Die Funktionen fn 2 C1[�1; 1], fn(t) =pt2 + 1=n,

konvergieren gleichm�a�ig auf [�1; 1] gegen f 2 C[�1; 1], f(t) := jtj, denn

jfn(t)� f(t)j = jqt2 + 1=n�

pt2j = 1=n

jpt2 + 1=n+pt2j �

1pn:

Nach Satz 30.1 (b) ist daher (fn) eine Cauchy{Folge in (C[�1; 1]; jj � jj1), also auch in

(C1[�1; 1]; jj � jj1). Da f 62 C1[�1; 1], besitzt die Cauchy{Folge (fn) im normierten Raum

(C1[�1; 1]; jj � jj1) aber keinen Limes in(!) C1[�1; 1].

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Banachraume 173

Satz 30.5.

Es seien X ein normierter Raum und Y ein Banachraum. Dann ist L(X;Y ) ausgestattetmit der Operatornorm ein Banachraum.

Beweis. Es sei (An) eine Cauchy{Folge in L(X;Y ). F�ur �xiertes x 2 X gilt dann f�ur alle

n;m 2N

jjAnx� Amxjj = jj(An � Am)xjj � jjAn � Amjj � jjxjj :Somit ist (Anx) eine Cauchy{Folge im Banachraum Y mit einem Limes, den wir Ax nennen.

Dies de�niert eine Abbildung A : X ! Y , die aufgrund der Limesrechenregeln linear ist:

A(�x+ ~x) = limn!1An(�x+ ~x) = lim

n!1��Anx+An~x

�= � lim

n!1Anx+ limn!1An~x = �Ax+A~x :

Da (An) als Cauchy{Folge in L(X;Y ) beschr�ankt ist, gibt es ein C > 0 mit jjAnjj � C

f�ur alle n 2 N. Dies impliziert f�ur jedes x 2 X aufgrund der Stetigkeit der Norm auf Y ,

dass jjAxjj = jj limn!1Anxjj = limn!1 jjAnxjj � Cjjxjj, d.h. A : X ! Y ist stetig, also

A 2 L(X;Y ). Schlie�lich ergibt sich limn!1 jjAn�Ajj = 0. Dazu sei " > 0 vorgegeben. Dann

gibt es ein N 2N mit jjAn � Amjj < " f�ur alle n;m � N . Es folgt

jjAnx� Amxjj � jjAn � Amjj � jjxjj < "jjxjj < "

f�ur alle n;m � N und alle jjxjj � 1. F�ur m!1 ergibt sich somit jjAnx�Axjj � " f�ur jedesjjxjj � 1 und alle n � N , also jjAn � Ajj � " f�ur alle n � N .

Definition.

Es seien M1 und M2 Mengen und F :M1 !M2 eine Abbildung. Ein Punkt p 2M1\M2

hei�t Fixpunkt von F , falls F (p) = p.

Satz 30.6 (Banachscher Fixpunktsatz, Kontraktionsprinzip).

Es seien (Y; jj � jj) ein Banachraum, M � Y eine abgeschlossene Teilmenge und F :M !M eine Kontraktion, d.h. es gibt eine Konstante L 2 [0; 1) mit

jjF (y)� F (~y)jj � Ljjy � ~yjj f�ur alle y; ~y 2M :

Dann besitzt F in M genau einen Fixpunkt p 2M .

Beweis2. Wir beweisen zun�achst, dass wenn ein Fixpunkt existiert, dieser eindeutig be-

stimmt ist. Es gelte F (p) = p und F (q) = q f�ur p; q 2M . Dann gilt

jjp� qjj = jjF (p)� F (q)jj � L � jjp� qjj :Da L < 1, folgt jjp� qjj = 0, d.h. p = q.

Um zu zeigen, dass es einen Fixpunkt gibt, w�ahlen wir y0 2 M beliebig und de�nieren yninduktiv durch yn+1 := F (yn). Dann gilt

jjyn+1 � ynjj = jjF (yn)� F (yn�1)jj � L � jjyn � yn�1jj � : : : � Lnjjy1 � y0j ;d.h. f�ur alle m > n

jjym � ynjj �m�1Xj=n

jjyj+1 � yj jj �m�1Xj=n

Lj jjy1 � y0jj � Ln

1� L jjy1 � y0jj :2Man vgl. diesen Beweis mit Beispiel 5.1.

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174 Banachraume

Somit ist (yn) eine Cauchy{Folge. Da (Y; jj�jj) vollst�andig ist, gibt es ein p 2 Y mit jjyn�pjj !0. Der Punkt p liegt in M , da M abgeschlossen ist. Da F stetig ist, gilt schlie�lich

F (p) = F�limn!1 yn

�= lim

n!1F (yn) = limn!1 yn+1 = p :

Bemerkung.

Der obige Beweis des Banachschen Fixpunktsatzes ist"konstruktiv\: Die Folge (yn)

konvergiert gegen den gesuchten Fixpunkt p 2M . Dabei ist die Wahl des"Startwertes\

y0 v�ollig unerheblich ! Es gilt ferner die"a{priori Absch�atzung\

jjp� ynjj � Ln

1� L jjy1 � y0jj ;

d.h. mithilfe von y0 und y1 l�asst sich der Abstand von yn zum unbekannten Fixpunkt p

absch�atzen.

Hier ist eine Anwendung des Banachschen Fixpunktsatzes.

Satz 30.7 (Invertierbare Operatoren).

Es seien X ein Banachraum und A 2 L(X;X) mit jjAjj < 1. Dann ist I � A : X ! X

invertierbar mit (I � A)�1 2 L(X;X) und jj(I � A)�1jj � (1� jjAjj)�1:

Slogan: Anything which is close to the identity has an inverse, [7, p. 312].

Beweis. Nach Satz 30.5 ist Y = L(X;X) ein Banachraum. Wir suchen ein B 2 Y , derart,dass (I � A)B = I. Diese Gleichung ist �aquivalent zur Fixpunktgleichung B = I + AB.

Wir de�nieren also F : Y ! Y gem�a� F (B) := I + AB und beachten jjF (B) � F ( ~B)jj =jjAB � A ~Bjj � jjAjj � jjB � ~Bjj. Der Banachsche Fixpunktsatz garantiert im Hinblick auf

jjAjj < 1 ein eindeutig bestimmtes B 2 Y mit (I � A)B = I. Analog erh�alt man ein ~B 2 Ymit ~B(I � A) = I. Es folgt dann B = ~B(I � A)B = ~B. Ferner gilt jjBjj = jjF (B)jj =jjI + ABjj � 1 + jjAjj � jjBjj, d.h. jjBjj(1� jjAjj) � 1, also die zweite Behauptung.

Satz 30.8 (Gleichmaßiges Kontraktionsprinzip).

Es seien X und Y Banachr�aume, � � X o�en,M � Y abgeschlossen und F : ��M !M

eine gleichm�a�ige Kontraktion, d.h. es gibt ein L 2 [0; 1) mit

jjF (x; y)� F (x; ~y)jj � Ljjy � ~yjj f�ur alle y; ~y 2M und alle x 2 � :

Der nach Satz 30.6 f�ur jedes x 2 � existierende eindeutige Fixpunkt von F (x; �) :M !M

sei mit p(x) 2M bezeichnet, d.h. p : �!M � Y . Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) Ist F : ��M ! Y stetig, so ist p : �! Y stetig.

(b) Ist F : ��M ! Y Lipschitz{stetig, so ist p : �! Y Lipschitz{stetig.

(c) Ist U � Y eine o�ene Obermenge von M und F : ��U ! Y stetig di�erenzierbar,

so ist p : �! Y stetig di�erenzierbar.

Slogan: Die Glattheit �ubertr�agt sich von der Fixpunktgleichung auf den Fixpunkt.

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Banachraume 175

Beweis. (a) Es gilt f�ur alle x; x+ h 2 �

jjp(x+ h)� p(x)jj = jjF (x+ h; p(x+ h))� F (x; p(x))jj= jjF (x+ h; p(x+ h))� F (x+ h; p(x)) + F (x+ h; p(x))� F (x; p(x))jj� Ljjp(x+ h)� p(x)jj+ jjF (x+ h; p(x))� F (x; p(x))jj ;

d.h. jjp(x+ h)� p(x)jj � (1� L)�1jjF (x+ h; p(x))� F (x; p(x))jj ! 0 f�ur h! 0.

(b) Dies folgt sofort aus der vorangegangenen Absch�atzung.

(c) Wir zerlegen den Beweis in mehrere Schritte.

(c1) Es sei x 2 � �xiert und A := DxF (x; p(x)) 2 L(X;Y ) bzw. B := DyF (x; p(x)) 2L(Y; Y ). Dann gilt f�ur alle h 2 X mit x+ h 2 � (vgl. Aufgabe x26.6)

q(h) := p(x+ h)� p(x) = F (x+ h; p(x+ h))� F (x; p(x)) = Ah+Bq(h) +R(q(h); h)

mit

e(q; h) :=R(q; h)

jjqjj+ jjhjj ! 0 f�ur (q; h)! (0; 0) :

Nach Aufgabe x27.7 (=�Ubungsaufgabe 9.1 (a)) gilt jjBjj � L < 1. Satz 30.7 impliziert dann

(I �B)�1 2 L(Y; Y ). Dies bedeutet, dass

p(x+ h) = p(x) + (I �B)�1Ah+ (I �B)�1R(q(h); h) : (?)

(c2) Es sei x 2 � �xiert. Aufgabe x27.1(=�Ubungsaufgabe 9.1 (b)) zeigt, dass F in einer

Umgebung von (x; p(x)) Lipschitz{stetig ist. Nach (b) ist dann p in einer Umgebung B�(x) �� von x ebenfalls Lipschitz{stetig. Es gibt also eine Konstante L0 > 0, derart, dass jjq(h)jj =jjp(x+ h)� p(x)jj � L0jjhjj f�ur alle jjhjj < �. F�ur das Restglied R(q; h) gilt dann also

jjR(q(h); h)jj = jje(q(h); h)jj � �jjq(h)jj+ jjhjj� � (1 + L0)jje(q(h); h)jj � jjhjj :

Da q(h)! 0 f�ur h! 0, gilt jjR(q(h); h)jj=jjhjj ! 0 f�ur h! 0 und (?) impliziert, dass p in x

total di�erenzierbar ist mit Dp(x) = (I �B)�1A.

(c3) Man beachte: Dp(x) = (I � B)�1A = (I � DyF (x; p(x)))�1DxF (x; p(x)) ist Fixpunkt

der Abbildung

G : �� L(X;Y )! L(X;Y ) ; G(x; T ) := DyF (x; p(x))T +DxF (x; p(x)) :

Diese Abbildung ist wegen

jjG(x; T )�G(x; ~T )jj � jjDyF (x; p(x))jj � jjT � ~T jj � LjjT � ~T jj ; T; ~T 2 L(X;Y )

eine gleichm�a�ige Kontraktion. Nach (a) ist daher x 7! Dp(x) stetig auf �.

Aufgaben zu x30

1. Es sei (X; jj � jj) ein Banachraum und U ein abgeschlossener Unterraum von X. Man

zeige: (U; jj � jj) ist ein Banachraum.

Die Vollst�andigkeit vererbt sich also auf die abgeschlossenen Unterr�aume.

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176 Banachraume

2. Es seien X und Y Banachr�aume. Man zeige, dass die Menge

GL(X;Y ) := fA 2 L(X;Y ) : A invertierbar mit A�1 2 L(Y;X)g

der invertierbaren Operatoren o�en in L(X;Y ) ist.

3. Es sei X ein Banachraum. Man beweise, dass die Abbildung Inv : GL(X;X) !GL(X;X), Inv(A) := A�1, total di�erenzierbar ist und berechne ihre Ableitung.

4. Es sei Y = R, M := [1;1) und F (y) := 1 + y + e�y. Man zeige: F : M ! M mit

jF (y)� F (~yj < jy � ~yj f�ur alle y; ~y 2M . Hat F einen Fixpunkt ?

5. Es sei Y = R, M := (0;1) und F (y) := y=2. Man zeige, dass F : M ! M eine

Kontraktion ist. Hat F einen Fixpunkt ?

6. Es seien X ein Banachraum und T : X ! X surjektiv mit

jjT (x)� T (y)jj � Kjjx� yjj

f�ur alle x; y 2 X f�ur eine Konstante K > 1. Zeigen Sie, dass T einen eindeutig be-

stimmten Fixpunkt in X besitzt.

7. Eine Teilmenge E � X eines reellen Vektorraums hei�t konvex, wenn f�ur je zwei Punkte

a; b 2 E die Strecke [a; b] ebenfalls in E liegt. Zeigen Sie die folgende Aussage:

Es seien X ein Banachraum, E � X abgeschlossen, beschr�ankt und konvex, und die

Abbildung f : E ! E erf�ulle

jjf(a)� f(b)jj � jja� bjj

f�ur alle a; b 2 E. Dann hat f : E ! E einen Fixpunkt.

(Hinweis: Man betrachte f�ur " > 0 und a0 2 E die Hilfsfunktion g(x) := (1�")f(x)+"a0und zeige inffjjf(a)� ajj : a 2 Eg = 0.)

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x 31

Implizite Funktionen

Naturgem�a� gibt es in der Mathematik viele Arten von Existenzs�atzen; dieses Kapitel befa�t

sich mit nur einer einzigen Art, und zwar betrachten wir Existenzs�atze, die mit dem Begri�

der Vollst�andigkeit zusammenh�angen.

J. Dieudonn�e [2, S. 262]

Es sei f(x0; y0) = 0. Unser Ziel ist es, die Gleichung

f(x; y) = 0

"in der N�ahe\ von (x0; y0) eindeutig nach

"nach y aufzul�osen\.

Beispiel 31.1.

F�ur f(x; y) = x2 + y2 � 1 ist die L�osungsmenge der Gleichung f(x; y) = 0 die Kreislinie

S1 = f(x; y) 2 R2 : x2 + y2 = 1g. Es sei nun (x0; y0) 2 S1 vorgegeben.

1. Fall: x0 6= �1 und y0 > 0. Hier l�asst sich f(x; y) = 0 gen�ugend nahe bei (x0; y0) als

y =p1� x2 schreiben.

"Gen�ugend nahe\ bedeutet hier �1 < x < 1 und y > 0. Beachte

@f@y (x0; y0) = 2y0 > 0.

2. Fall: x0 6= �1 und y0 < 0. Hier l�asst sich f(x; y) = 0 gen�ugend nahe bei (x0; y0) als

y = �p1� x2 schreiben."Gen�ugend nahe\ bedeutet hier �1 < x < 1 und y < 0. Beachte

@f@y (x0; y0) = 2y0 < 0.

3. Fall: x0 = 1 oder x0 = �1. Jetzt ist y0 = 0 und f(x; y) = 0 l�asst sich in keiner

Umgebung von (x0; y0) eindeutig(!) nach y au �osen. Beachte @f@y (x0; y0) = 2y0 = 0.

F�ur normierte R�aume Y; Z sei GL(Y; Z) := fA 2 L(Y; Z) : A invertierbar mit A�1 2L(Z; Y )g.

Satz 31.2 (Satz uber implizite Funktionen).

Es seien X, Y und Z Banachr�aume, U � X und V � V o�en, f 2 C1(U � V;Z) und(x0; y0) 2 U � V ein Punkt, so dass

B := Dyf(x0; y0) 2 GL(Y; Z) :

Dann gibt es eine Umgebung U0 � U von x0, eine Umgebung V0 � V von y0 und ein

g 2 C1(U0; Y ) mit g(U0) � V0, derart, dass f�ur w0 := f(x0; y0) gelten:

(a) F�ur alle x 2 U0 gilt f(x; g(x)) = w0.

(b) F�ur alle Punkte w = (x; y) 2 U0 � V0 gilt: f(x; y) = w0 () y = g(x).

177

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178 Implizite Funktionen

(c) Es gilt

Dg(x) = �Dyf(x; g(x))�1Dxf(x; g(x))

f�ur alle x 2 U0.

Die beiden Aussagen (a) und (b) besagen also kurz: Falls die Ableitung Dyf von f nach y

im Punkt (x0; y0) eine stetige Inverse besitzt, so gibt es eine Umgebung U0� V0 des Punktes(x0; y0), derart, dass der innerhalb der Umgebung U0 � V0 gelegene Teil der L�osungsmenge

der Gleichung f(x; y) = w0 gerade dem Graphen einer stetig di�erenzierbaren Funktion

g : U0 ! V0 entspricht:

f�1(w0) \ (U0 � V0) = graph(g) :

Dies bedeutet, dass"in der N�ahe von (x0; y0)\, d.h. in der Umgebung U0 � V0, sich die

Gleichung f(x; y) = w0 eindeutig nach y = g(x) au �osen l�asst. Vgl. Skizze in der Vorlesung.

Motivation (des Beweises; vgl. Aufgabe §26.6/Ubungsaufgabe 11.4).

Es sei (x0; y0) = (0; 0) und f sei in (0; 0) total di�erenzierbar mit f(0; 0) = 0. Dann gilt

f(x; y) = Dxf(0; 0)x+Dyf(0; 0)y +R(x; y)

mit einem Fehlerterm R(x; y). Somit hat f�ur �xiertes x die"linearisierte Gleichung\

Dxf(0; 0)x+Dyf(0; 0)y = 0

genau dann eine eindeutig bestimmte L�osung y, wenn Dyf(0; 0) invertierbar ist:

y = ��Dyf(0; 0)

��1�Dxf(0; 0)x

�:

Ersetzt man hier Dxf(0; 0)x durch f(x; y)�Dyf(x; y)y�R(x; y) und vernachl�assigt den

Fehlerterm, so erh�alt man

y = y ��Dyf(0; 0)

��1f(x; y) :

Diese Gleichung ist unter der Annahme, dass Dyf(0; 0) invertierbar ist, �aquivalent zur

Ursprungsgleichung f(x; y) = 0, hat aber bereits"Fixpunktform\.

Beweis. O.E. seien x0 = 0, y0 = 0 und w0 = 0. Setzt man (vgl. Vor�uberlegungen) F (x; y) :=

y�B�1f(x; y), so gilt DyF (x; y) = I�B�1Dyf(x; y) und f(x; y) = 0 gilt genau dann, wenn

F (x; y) = y. Der Schrankensatz (Satz 27.5) zeigt, dass f�ur alle y; ~y 2 V mit [y; ~y] � V gilt:

jjF (x; y)� F (x; ~y)jj � sup�2[y;~y]

jjI �B�1Dyf(x; �)jj � jj~y � yjj ; x 2 U :

Somit gibt es ein � > 0, derart, dass f�ur alle x 2 B�(0) � U und alle ~y; y 2 V0 := B�(0) � V

jjF (x; ~y)� F (x; y)jj � 1

2jj~y � yjj :

Ferner gibt es ein �0 2 (0; �), derart, dass f�ur alle x 2 U0 := B�0(0) � U die Absch�atzung

jjB�1f(x; 0)jj � �=2 gilt. Dies zusammen impliziert

jjF (x; y)jj � jjF (x; y)� F (x; 0)jj+ jjF (x; 0)jj � jjyjj2

+�

2� � ; x 2 U0; y 2 V0 ;

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Implizite Funktionen 179

d.h. F : U0 � V0 ! V0. Die Behauptungen (a) und (b) folgen somit aus dem gleichm�a�igen

Kontraktionsprinzip (Satz 30.8). Wendet man die Kettenregel auf 0 = f(x; g(x)) an, so

erh�alt man 0 = Dxf(x; g(x)) +Dyf(x; g(x))Dg(x). Da Dyf(x0; g(x0)) = B 2 GL(Y; Z) und

GL(Y; Z) o�en ist (�Ubungsaufgabe 11.4), l�asst sich diese Gleichung in einer Umgebung von x0nach Dg(x) au �osen. Verkleinert man also die Menge U0 = B�0(0), d.h. �

0 > 0, entsprechend,

so erh�alt man schlie�lich auch die Behauptung (c).

Bemerkung.

Im wichtigen Spezialfall X = Rp und Y = Z = Rm ist die ausschlaggebende Bedingung

Dyf(x0; y0) 2 GL(Y; Z) = GL(Rm;Rm)

des Satzes �uber implizite Funktionen einfach durch detDyf(x0; y0) 6= 0 nachpr�ufbar

(wenn man Dyf(x0; y0) mit der Jacobi{Matrix von y 7! f(x0; y) im Punkt y0 identi�-

ziert).

Beispiel 31.3.

F�ur X = Y = Z = R und f(x; y) := esin(xy) + x2 � 2y � 1 gilt f(0; 0) = 0 und Dyf(0; 0) =@f@y (0; 0) = �2 6= 0. Nach dem Satz �uber implizite Funktionen kann man also die Glei-

chung f(x; y) = 0 in einer Umgebung von (0; 0) eindeutig nach y au �osen. Die zu x

geh�orende L�osung g(x) h�angt dabei stetig di�erenzierbar von x ab.

Korollar 31.4 (Niveaumengen von C1–Funktionen).

Es seien U � R2 o�en, c 2 R und f : U ! R stetig di�erenzierbar. Ferner sei (x0; y0) 2U mit f(x0; y0) = c, d.h. (x0; y0) 2 Nf (c). Falls rf(x0; y0) 6= (0; 0), so gibt es eine

Umgebung W � U von (x0; y0), derart, dass sich der in W gelegene Teil W \Nf (c) derNiveaumenge Nf (c) als Graph einer stetig di�erenzierbaren Funktion g : I ! R auf

einem o�enen Intervall I schreiben l�asst.

Slogan: Niveaumengen stetig di�erenzierbarer Funktionen f : R2 ! R durch nichtkriti-

sche Punkte sind lokal Kurven ; siehe Fu�note auf Seite 129.

Beweis. Da rf(x0; y0) 6= (0; 0) ist @f@x (x0; y0) 6= 0 oder @f

@y (x0; y0) 6= 0. Im zweiten Fall folgt

die Behauptung aus dem Satz �uber implizite Funktionen. Der erste Fall ist"symmetrisch\

zum zweiten und damit auch bewiesen (siehe Vorlesung f�ur Details).

Satz 31.5 (Satz von der Umkehrabbildung).

Es seien X ein Banachraum, E � X o�en und f 2 C1(E;X). F�ur einen Punkt a 2 Egelte Df(a) 2 GL(X;X). Dann gibt es eine o�ene Umgebung U � E von a und eine

o�ene Umgebung V � X von f(a), derart, dass f die Menge U bijektiv auf V abbildet

und die Umkehrfunktion f�1 : V ! U stetig di�erenzierbar ist. Es gilt ferner

D(f�1)(f(x)) = (Df(x))�1 f�ur alle x 2 U :

Slogan: Die Invertierbarkeit der Ableitung impliziert die lokale Invertierbarkeit der

Funktion.

Beweis. Wir betrachten F : X � E ! X, de�niert durch

F (x; y) := x� f(y) :

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180 Implizite Funktionen

Wir setzen b := f(a), d.h. F (b; a) = 0, und beachten, dass DyF (b; a) = �Df(a) 2 GL(X;X).

Aus dem Satz �uber implizite Funktionen folgt, dass es eine o�ene Umgebung U 0 von a, eineo�ene Umgebung V von b und genau eine stetig di�erenzierbare Abbildung g : V ! U 0 gibtmit 0 = F (x; g(x)) = x� f(g(x)) f�ur alle x 2 V . Da U 0 und V o�en sind und f stetig ist, ist

U := U 0\f�1(V ) o�en und wird durch f bijektiv auf V abgebildet mit stetig di�erenzierbarer

Umkehrfunktion g : V ! U . Aus g(f(x)) = x folgt mit der Kettenregel Dg(f(x))Dg(x) = I,

also Dg(f(x)) = (Dg(x))�1 f�ur alle x 2 U .

Bemerkungen.

In Satz 31.5 ist die Voraussetzung der stetigen Di�erenzierbarkeit essentiell. Die totale

Di�erenzierbarkeit reicht nicht aus, um die (lokale) Invertierbarkeit zu garantieren,

siehe �Ubungsaufgabe 11.1 (Analysis I). Man beachte ferner, dass der Satz von der

Umkehrabbildung nur die lokale Umkehrbarkeit, jedoch nicht die globale Invertierbarkeit,

sicherstellt.

Beispiel 31.6 (Polarkoordinaten).

Es sei E = (0;1)�R und f : E ! R2 de�niert durch

f(r; t) :=

r cos t

r sin t

!:

Wegen f(r; t) = f(r; t+ 2k�) f�ur jedes k 2 Z, ist die stetig di�erenzierbare Abbildung f

nicht injektiv auf E. Es gilt aber

Jf (r; t) =

cos t �r sin tsin t r cos t

!;

d.h. det Jf (r; t) = r > 0 f�ur alle (r; t) 2 E, d.h. f ist nach dem Satz �uber die Umkehrab-

bildung in jedem Punkt (r0; t0) 2 E lokal injektiv.

Satz 31.7 (Lagrange–Multiplikatorenregel).

Es sei U � Rm o�en, f : U ! R sei stetig di�erenzierbar und es sei a 2 f�1(0) 2 Rm

ein nicht kritischer Punkt von f . Ist h : U ! R stetig di�ererenzierbar und besitzt h auf

der Menge U \ f�1(0) im Punkt a ein lokales Extremum, dann gibt es ein � 2 R mit

rh(a) = � � rf(a) :

Beweis. Es sei o.E. Dmf(a) 6= 0. Wir schreiben a = (a0; am) mit a0 2 Rm�1. Nach dem Satz

�uber implizite Funktionen gibt es eine Umgebung U1 � Rm�1 von a0, eine o�ene Umgebung

U2 � R von am mit U1 � U2 � U und eine stetig di�erenzierbare Funktion g : U1 ! U2,

derart, dass

f�1(0) \ (U1 � U2) = graph(g) :

Aus f(x0; g(x0)) = 0 f�ur alle x0 2 U1 folgt mithilfe der Kettenregel

0 = Djf(a) +Dmf(a)Djg(a0) ; j = 1; : : : ;m� 1 : (?)

Die Funktion H : U1 ! R, H(x0) = h(x0; g(x0)), x0 2 U1, besitzt in a0 ein lokales Extremum.

Folglich (Satz 25.3) ist DjH(a0) = 0 f�ur alle j = 1; : : : ;m� 1. Aus 0 = DjH(a0) = Djh(a0) +

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Implizite Funktionen 181

Dmh(a)Djg(a0) f�ur alle j = 1; : : : ;m� 1 ergibt sich daher mit der Festsetzung

� :=Dmh(a)

Dmf(a);

und der Bedingung (?) die Behauptung rh(a) = � � rf(a).

Die Lagrange{Multiplikatorenregel stellt eine Methode zur Behandlung von Optimierungs-

problemen mit einer Nebenbedingung bereit. Ein Optimierungsproblem mit einer Nebenbe-

dingung ist dabei die Aufgabe, ein lokales Extremum einer Funktion in mehreren Ver�ander-

lichen mit einer Nebenbedingung zu �nden, wobei die Nebenbedingung durch Setzen einer

Funktion auf einem gegebenen Wert de�niert sei. Diese Methode f�uhrt eine neue unbekannte

skalare Variable �, den sogenannten Lagrange{Multiplikator ein.

Bemerkung (Geometrische Interpretation der Multiplikatorenregel).

Wir betrachten den zweidimensionalen Fall. Beim Verfolgen der H�ohenlinie f = 0

ber�uhren oder kreuzen wir die H�ohenlinien von h. Ein gemeinsamer Punkt (x; y) der

H�ohenlinie f(x; y) = 0 und einer H�ohenlinie h(x; y) = d kann nur dann L�osung des Op-

timierungsproblems sein, wenn unsere Bewegung auf der H�ohenlinie f = 0 tangential zu

h(x; y) = d verl�auft: Andernfalls k�onnten wir durch Vorw�arts- oder R�uckw�artsbewegung

auf der f{H�ohenlinie f�1(0) den Funktionswert von h vergr�o�ern oder verkleinern, oh-

ne die Nebenbedingung zu verletzen. Geometrisch bedeutet diese Tangentenbedingung,

dass die Gradienten von f und h in der Extremalstelle parallel liegen.

Beispiel 31.8 (Zur Konstruktion von Bierdosen).

Es seien U := f(x; y) 2 R2 : x > 0; y > 0g und F 2 R+ �xiert. Wir suchen das (ein)

Maximum a = (x0; y0) 2 U von h(x; y) = �x2y auf der Menge f�1(0) \ U f�ur f : U ! R

de�niert durch f(x; y) := 2�x2 + 2�xy � F . Es gilt

rh(x; y) = (2�xy; �x2) ; rf(x; y) = (4�x+ 2�y; 2�x) :

Nach Satz 31.7 gibt es somit ein � 2 R mit rh(a) = �rf(a). Dies ist �aquivalent zu

x0y0 � �(2x0 + y0) = 0 ; x0 � 2� = 0 :

Es folgt � = x0=2 und y0 = 2x0, d.h. der Punkt a =q

F2� � (1; 1=2) ist der einzige

Kandidat f�ur ein Maximum von h auf f�1(0) \ U . Man �uberzeugt sich nun (leicht),

dass der Punkt a tats�achlich das gesuchte Maximum liefert. Dies ergibt: Das Volumen

eines Zylinders mit vorgegebener Ober �ache F ist maximal, falls die H�ohe des Zylinders

dem Durchmesser der Grund �ache entspricht.

Nun folgt ein etwas schwierigeres Beispiel, der Satz �uber die Hauptachsentransformation

reeller symmetrischer Matrizen.

Beispiel 31.9 (Hauptachsentransformation).

Es sei A 2 Rm�m symmetrisch, d.h. A = AT . Wir betrachten die quadratische Form

g(x) := hx;Axi ; x 2 Rm :

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182 Implizite Funktionen

Man beachte (siehe �Ubungsaufgabe 8.4), dass rg(x) = 2Ax. Wir suchen die Extrema

von g auf der Einheitssph�are M := fx 2 Rm : jjxjj2 = 1g, d.h. auf der Menge

f�1(0) f�ur f(x) := jjxjj22 � 1 =mXj=1

x2j � 1 :

Da M = f�1(0) kompakt ist, nimmt g in (mindestens) einen Punkt a 2M ihr Maximum

(bzw. Minimum) auf M an. Da rf(x) = 2x 6= 0 f�ur alle x 2 f�1(0), k�onnen wir Satz

31.7 anwenden und erhalten rg(a) = � � rf(a) f�ur eine Zahl � 2 R, d.h.

Aa = �a :

Dies bedeutet, dass a ein Eigenvektor der Matrix A und der Lagrange{Multiplkator �

der zugeh�orige Eigenwert ist. Insbesondere ist die Zahl

maxjjxjj2=1

hx;Axi

der gr�o�te Eigenwert von A.

Korollar 31.10.

Es sei A 2 Rm�m. Dann ist die Operatornorm jjAjj von A : (Rm; jj � jj2) ! (Rm; jj � jj2)die (nicht negative) Quadratwurzel des gr�o�ten Eigenwertes der symmetrischen Matrix

ATA.

Beweis. Es gilt

jjAjj2 = supjjxjj2=1

jjAxjj22 = maxjjxjj2=1

jjAxjj22 = maxjjxjj2=1

hAx;Axi = maxjjxjj2=1

hx;ATAxi :

Erganzungen und Ausblicke

Die zentralen S�atze dieses Kapitels (Satz �uber implizite Funktionen, Satz �uber die Um-

kehrfunktion, Lagrange{Multiplikatorenregel) bilden das"Herzst�uck\ der Analysis mehrerer

Ver�anderlicher. Wir haben die Lagrange{Multiplikatorenregel und den Satz �uber die Umkehr-

funktion aus dem Satz �uber implizite Funktionen hergeleitet (vgl. hierzu Aufgabe x31.5). DerSatz �uber implizite Funktionen wiederum war eine Konsequenz des Banachschen Fixpunkt-

satzes (in Form des gleichm�a�igen Kontraktionsprinzips). Damit erweist sich der Fixpunkt-

satz von Banach als zugrundeliegendes Prinzip dieses Kapitels.

Lagrange–Multiplikatorenregel

Beispiel 31.11.

Es sei f : R2 ! R, f(x; y) := x2 + y2 � 1, und h(x; y) := x+ y. Dann gilt f�1(0) = S1 =

f(x; y) 2 R2 : x2 + y2 = 1g. Wir suchen die Extrema von h auf S1, d.h. die Extrema

von h unter der Nebenbedingung f(x; y) = 0. Es sei also a = (a1; a2) 2 S1, derart, dass

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Implizite Funktionen 183

h : S1 ! R in a ein lokales Extremum besitzt. Nach Satz 31.7 (beachte rh 6= 0) gibt es

dann ein � 2 R mit

rh(a) = � � rf(a) () 1 = 2�a1 ^ 1 = 2�a2 :

Es folgt a1 = a2 = 1=(2�). Wegen 1 = a21 + a22 = 2a22 = 1=(2�2), ergibt sich � = �1=p2.F�ur � = 1=

p2 erh�alt man a1 = a2 =

p2=2 und h(a1; a2) =

p2 = maxS1 h(x; y). F�ur

� = �1=p2 ergibt sich a1 = a2 = �p2=2 und h(a1; a2) = minS1 h(x; y) = �

p2.

Sucht man die lokalen Extrema einer C1{Funktion h : U ! R bzgl. einer Nebenbedingung

f(x) = 0, so l�asst sich die Lagrange{Multiplikatorenregel wie folgt interpretieren. Man be-

trachtet die sogenannte Lagrangefunktion L(x; �) := h(x) � �f(x) und sucht deren lokalen

Extrema auf U �R (also ohne Nebenbedingung). Als notwendige Bedingung f�ur ein lokales

Extremum von L im Punkt (a; �) muss dann nach Satz 25.3 der Gradient von L im Punkt

(a; �) verschwinden. Dies bedeutet

rh(a) = �rf(a) und f(a) = 0 :

Es muss also einen Lagrange{Multiplikator � gem�a� Satz 31.7 geben und die Nebenbedin-

gung f(a) = 0 muss erf�ullt sein. Kurz: Die Lagrange{Multiplikatorenregel besagt, dass der

Gradient der Lagrangefunktion L(x; �) (bzgl. x und � !) in jedem lokalen Extremum (a; �)

verschwinden muss.

Satz 31.7 l�asst sich leicht auf den Fall von n � 1 Nebenbedingungen verallgemeinern.

Satz 31.12.

Es sei U � Rm+n o�en, f : U ! Rn sei stetig di�erenzierbar und die Jacobi{Matrix von

f habe im Punkt a 2 f�1(0) vollen Rang. Ist h : U ! R stetig di�erenzierbar und besitzt

h auf der Menge U \f�1(0) im Punkt a ein lokales Extremum, dann gibt es ein � 2 Rn,

derart, dass die Lagrangefunktion L(�; �) := h��T f im Punkt a einen kritischen Punkt

besitzt.

F�ur den Fall n = 1 entspicht die Voraussetzung"Jf (a) = rf(a)T hat maximalen Rang\ der

Bedingung"a ist ein nicht kritischer Punkt von f\. Folglich ist Satz 31.7 ein Spezialfall von

Satz 31.12. Dessen Beweis ben�otigt eine nicht allzu gro�e Modi�kation des Beweises von Satz

31.7, siehe Aufgabe x31.6.

Bemerkung.

Lagrange{Multiplikatoren spielen in der klassischen Mechanik eine tragende Rolle. Die

Bewegungsgleichungen der klassischen Mechanik im Lagrange{Formalismus werden mit

Hilfe der Lagrangefunktion und der Euler{Lagrange{Gleichung bestimmt. Der zusam-

men mit der Zwangsbedingung in die Lagrangefunktion eingef�ugte Lagrange{Multipli-

kator hat dann die physikalische Bedeutung einer Zwangskraft, die das durch die Be-

wegungsgleichung beschriebene Objekt zu dieser Bewegung unter der Zwangsbedingung

f�uhrt.

Satz uber implizite Funktionen

Der Satz �uber implizite Funktionen wird in einer einf�uhrenden Vorlesung in die Di�eren-

tialrechnung �ublicherweise"nur\ f�ur Funktionen auf endlichdimensionalen Banachr�aumen

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184 Implizite Funktionen

(also auf dem Rm bzw. Rp) formuliert und bewiesen, obwohl die allgemeinere Banachraum{

Version (also unser Satz 31.2 ) nicht wesentlich schwieriger zu beweisen ist. Unsere allgemeine

Version des Satz �uber implizite Funktionen gestattet jedoch dar�uber hinaus weitreichende

Anwendungen z.B. auf die Theorie gew�ohnlicher Di�erentialgleichungen.

Satz (Picard–Lindelof).

Es seien Br(x0) � Rm, f : [a; b] � Br(x0) ! Rm Lipschitz{stetig und t0 2 (a; b) �xiert.

Dann gibt es ein o�enes Intervall I � [a; b] mit t0 2 I und genau eine di�erenzierbare

Funktion x : I ! Rm mit

x0(t) = f(t; x(t)) f�ur alle t 2 I und x(t0) = x0 :

Dieser Satz und seine Anwendungen stehen im Zentrum der Vorlesung"Gew�ohnliche Dif-

ferentialgleichungen\. Ein recht kurzer Beweis l�asst sich mithilfe des Satzes �uber implizite

Funktionen f�ur Banachr�aume f�uhren (siehe Seminar Analysis SS 2011). Hierzu ist jedoch auch

der Begri� des Riemann{Integrals erforderlich. Dieser wird im folgenden Kapitel diskutiert.

Aufgaben zu x31

1. Es sei f : R2 ! R, f(x; y) = xey + yex.

(a) Man zeige, dass es eine Umgebung U0 � R von 0, eine Umgebung V0 � R von 0 und

eine Funktion g 2 C1(U1;R) gibt, so dass f�1(0)\U0�V0 = f(x; g(x)) : x 2 U0g.(b) Man bestimme g0(0) und g00(0). Welche Informationen �uber den Graphen von g

kann man hieraus ableiten ? (�Ubungsaufgabe)

2. Man bestimme in Beispiel 31.6 f�ur jeden Punkt (r0; t0) 2 E eine m�oglichst gro�e Um-

gebung auf der die Abbildung f noch injektiv ist.

3. Es seien E � Rm o�en und beschr�ankt, f 2 C(E;Rm)\C1(E;Rm) und det Jf (x) 6= 0

f�ur jedes x 2 E. Dann nimmt die Funktion x 7! jjf(x)jj2 ihr Maximum auf E in einem

Randpunkt von E an.

4. Man bestimme denjenigen Punkt auf der Ebene f(x; y; z) 2 R3 : z = x+ yg, der vondem Punkt (1; 0; 0) den kleinsten euklidischen Abstand hat.

5. Beweisen Sie den Satz �uber implizite Funktionen mithilfe des Satzes von der Umkehr-

funktion.

6. Beweisen Sie Satz 31.12.

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x 32

Das Riemann{Integral

Gott k�ummert sich nicht um unsere mathematischen Schwierigkeiten. Er integriert empi-

risch.

A. Einstein [8, S. 63]

Definition.

Es sei f : [a; b]! R eine beschr�ankte Funktion und

P : a = x0 � x1 � x2 � : : : � xn�1 � xn = b

eine Partition des Intervalls [a; b] mit den Teilungspunkten x0; : : : ; xn. Dann hei�t

S(f;P) :=nXj=1

(xj � xj�1) supx2[xj�1;xj ]

f(x)

Obersumme und

s(f;P) :=nXj=1

(xj � xj�1) infx2[xj�1;xj ]

f(x)

Untersumme von f bzgl. der Partition P.

(a) Obersumme (b) Untersumme

Eine Partition P 0 von [a; b] hei�t Verfeinerung von P , wenn jeder Teilungspunkt von

P 0 auch ein Teilungspunkt von P ist.

Lemma 32.1.

Es seien f : [a; b] ! R eine beschr�ankte Funktion und P 0 eine Verfeinerung der Parti-

tion P von [a; b]. Dann gilt

S(f;P) � S(f;P 0) � s(f;P 0) � s(f;P) :

185

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186 Das Riemann–Integral

Kurz: Obersummen werden durch Verfeinerung der Partition kleiner (oder bleiben gleich);

Untersummen werden gr�o�er (oder bleiben gleich).

Beweis. Es gen�ugt den Fall zu betrachten, dass P 0 einen Teilungspunkt mehr als P besitzt.

Es gibt somit Teilungspunkte xj�1 � xj von P und einen Teilungspunkt 2 (xj�1; xj) von

P 0. Dann gilt

(xj � xj�1) infx2[xj�1;xj ]

f(x) =�(xj � ) + ( � xj�1)

�inf

x2[xj�1;xj ]f(x)

� ( � xj�1) infx2[xj�1; ]

f(x) + (xj � ) infx2[ ;xj ]

f(x) :

Addiert man auf beiden Seiten die restlichen Summanden der Untersumme s(f;P), so erh�altman s(f;P) � s(f;P 0). Dies zeigt die rechte Ungleichung; die linke folgert man analog.

Korollar 32.2.

Es seien f : [a; b]! R eine beschr�ankte Funktion, P1 und P2 zwei Partitionen von [a; b]

und die Partition P eine Verfeinerung sowohl von P1 als auch von P2. Dann gilt

S(f;P1) � S(f;P) � s(f;P) � s(f;P2) :

Benutzt man die"gr�obste\ Partition a = x0 � x1 = b, so ergibt sich insbesondere

S(f;P) � �(b� a)jjf jj1 ; s(f;P) � (b� a)jjf jj1f�ur jede Partition P von [a; b] und jede beschr�ankte Funktion f : [a; b]! R. Dies rechtfertigt

die folgende Festlegung.

Definition.

Es sei f : [a; b]! R eine beschr�ankte Funktion Dann hei�t die Zahl

I�(f) := inf�S(f;P) : P Partition von [a; b]

das Oberintegral von f und die Zahl

I�(f) := sup�s(f;P) : P Partition von [a; b]

das Unterintegral von f . Falls I�(f) = I�(f), so hei�t die beschr�ankte Funktion f :

[a; b]! R Riemann1{integrierbar und man nennt

bZa

f(x) dx := I�(f)

das Riemann{Integral2 von f (�uber [a; b]). Wir bezeichnen mit R[a; b] oder auch nur

mit R die Menge aller Riemann{integrierbaren Funktionen auf [a; b].

1B. Riemann (1826{1866)2Das Integralzeichen

Rsteht f�ur ein stilisiertes S als Abk�urzung von

"Summe\ (Leibniz 1675). Die mul-

tiplikativ zu lesende Notation f(x) dx deutet an, wie sich das Integral aus Streifen der H�ohe f(x) und der

in�nitesimalen Breite dx zusammensetzt.

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Das Riemann–Integral 187

Bemerkung.

Die symbolische Variable x hei�t Integrationsvariable. Man spricht man auch von In-

tegration �uber x. Anstelle der Integrationsvariable x k�onnen auch andere Buchstaben

verwendet werdenbZa

f(x) dx =

bZa

f(t) dt =

bZa

f(u) du :

Die Funktion f nennt man auch Integrand des IntegralsbRaf(x) dx.

Beispiel 32.3.

Es sei k 2 R. Dann ist die konstante Funktion f(x) := k f�ur x 2 [a; b] Riemann{

integrierbar undbZa

k dx = k(b� a) :

Beweis. F�ur jede Partition P gilt S(f;P) = s(f;P) = k(b � a). Dies impliziert I�(f) =

I�(f) = k(b� a).

Beispiel 32.4 (Eine beschrankte, nicht Riemann–integrierbare Funktion).

Es sei f : [0; 1]! R die sog. Dirichlet{Funktion de�niert durch f(x) := 1 f�ur x 2 Q\[0; 1]und f(x) := 0 f�ur x 2 (RnQ) \ [0; 1]. Dann gilt s(f;P) = 0 und S(f;P) = 1 f�ur jede

Partition P von [0; 1]. Infolgedessen ist f : [0; 1]! R nicht Riemann{integrierbar.

Satz 32.5 (Integrabilitatskriterium von Riemann).

Eine beschr�ankte Funktion f : [a; b] ! R ist genau dann Riemann{integrierbar, wenn

es zu jedem " > 0 eine Partition P gibt, derart, dass

S(f;P)� s(f;P) < " :

Beweis. Es seien f 2 R[a; b] und " > 0 vorgegeben. Dann gibt es Partitionen P1 und P2 von[a; b], derart, dass

S(f;P2)�bZa

f(x) dx < "=2 und

bZa

f(x) dx� s(f;P1) < "=2 :

Ist dann P eine Verfeinerung sowohl von P1 als auch von P2, so gilt mit Lemma 32.1

S(f;P) � S(f;P2) <bZa

f(x) dx+ "=2 < s(f;P1) + " � s(f;P) + " :

Zum Beweis der Umkehrung beachte man

s(f;P) � I�(f) � I�(f) � S(f;P) ;

d.h.

0 � I�(f)� I�(f) � S(f;P)� s(f;P)f�ur jede Partition P von [a; b].

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188 Das Riemann–Integral

Satz 32.5 stellt ein e�zientes Kriterium zur Untersuchung der Riemann{Integrierbarkeit einer

Funktion f : [a; b]! R zur Verf�ugung, ohne dass man alle Partitionen von [a; b] untersuchen

muss. Wir illustrieren die N�utzlichkeit von Satz 32.5 mit dem folgendem Resultat.

Satz 32.6.

Jede stetige Funktion f : [a; b]! R ist Riemann{integrierbar.

Kurz: C[a; b] � R[a; b].Beweis. Sei f 2 C[a; b]. Da [a; b] eine kompakte Teilmenge von R ist, ist f nach Satz 24.8

auf [a; b] gleichm�a�ig stetig. Zu vorgegebenem " > 0 gibt es also ein � > 0, so dass

jf(x)� f(~x)j < "

b� a f�ur alle x; ~x 2 [a; b] mit jx� ~xj < � :

Wir w�ahlen jetzt N 2N mit N > (b� a)=� und betrachten die Partition

P : a = x0 < x1 < x2 < : : : < xN = b mit xj := a+ jb� aN

; j = 0; : : : ; N :

Falls x; ~x 2 [xj�1; xj ], dann ist jx� ~xj < �, also jf(x)� f(~x)j < "=(b� a), d.h.

supx2[xj�1;xj ]

f(x)� infx2[xj�1;xj ]

f(x) <"

b� a ; j = 1; : : : ; N :

Dies bedeutet

S(f;P)� s(f;P) =NXj=1

(xj � xj�1)

sup

x2[xj�1;xj ]f(x)� inf

x2[xj�1;xj ]f(x)

!<

NXj=1

b� aN

"

b� a = " :

Folglich gilt f 2 R[a; b] mithilfe von Satz 32.5.

Satz 32.7 (Eigenschaften des Riemann–Integrals).

(a) (Linearit�at)

Falls f; g 2 R[a; b] und �; � 2 R, dann gilt �f + �g 2 R[a; b] undbZa

��f(x) + �g(x)

�dx = �

bZa

f(x) dx+ �

bZa

g(x) dx :

(b) (Monotonie)

Falls f; g 2 R[a; b] und f(x) � g(x) f�ur alle x 2 [a; b], dann gilt

bZa

f(x) dx �bZa

g(x) dx :

In der Sprache der Linearen Algebra besagt Satz 32.7 (a): R[a; b] (d.h. die Menge der auf

[a; b] Riemann{integrierbaren Funktionen) ist ein Vektorraum (�uber R) und das"Integral\

ist eine lineare Abbildung von R[a; b] nach R (also ein lineares Funktional). Nach Satz 32.7

(b) ist dieses lineare Funktional sogar monoton.

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Das Riemann–Integral 189

Beweis. (a1) Wir zeigen zun�achst f + g 2 R[a; b]. Dazu sei " > 0 vorgegeben. Dann gibt es

Partitionen P1 und P2 von [a; b] mit S(f;P1) � I�(f) + "=2 und S(g;P2) � I�(g) + "=2. Ist

dann P eine Verfeinerung sowohl von P1 als auch P2, so gilt

S(f + g;P) =nXj=1

(xj � xj�1) supx2[xj�1;xj ]

�f(x) + g(x)

�nXj=1

(xj � xj�1) supx2[xj�1;xj ]

f(x) +nXj=1

(xj � xj�1) supx2[xj�1;xj ]

g(x)

= S(f;P) + S(g;P) � I�(f) + I�(g) + " :

Dies impliziert I�(f + g) � I�(f) + I�(g). Wegen I�(f) = �I�(�f) ergibt sich daraus I�(f +g) � I�(f) + I�(g). Es folgt I�(f + g) = I�(f + g) = I�(f) + I�(g) und damit

bZa

(f + g)(x) dx = I�(f + g) = I�(f) + I�(g) =bZa

f(x) dx+

bZa

g(x) dx :

(a2) Wir zeigen �f 2 R[a; b]. Es sei zun�achst � � 0. Wegen S(�f;P) = �S(f;P) und

s(�f;P) = �s(f;P) f�ur jede Partition P von [a; b] gilt I�(�f) = �I�(f) = �I�(f) = I�(�f).Dies impliziert �f 2 R[a; b] und

bZa

�f(x) dx = I�(�f) = �I�(f) = �

bZa

f(x) dx :

F�ur den Fall � � 0 beachte man �� � 0, so dass

I�(�f) = �I�(��f) = �(��)I�(f) = �I�(f) = (��)(�I�(f)) = (��)I�(�f) = I�(�f) :

(b) Aus f � g folgt S(f;P) � S(g;P) f�ur jede Partition P von [a; b]. Dies impliziertR ba f(x) dx = I�(f) � I�(g) = R b

a g(x) dx.

Satz 32.8.

Es sei f 2 R[a; b] mit m � f(x) � M f�ur alle x 2 [a; b]. Dann gilt g � f 2 R[a; b] f�ur alleg 2 C[m;M ].

Beweis. Sei " > 0 vorgegeben. Da g : [m;M ]! R gleichm�a�ig stetig ist, gibt es ein � 2 (0; ")

mit jg(s) � g(t)j < " f�ur alle s; t 2 [m;M ] mit js � tj < �. Wegen f 2 R[a; b] gibt es einePartition P : a = x0 � x1 � : : : � xn = b von [a; b] mit

S(f;P)� s(f;P) < �2 :

Wir setzen

Mj := supx2[xj�1;xj ]

f(x) ; mj := infx2[xj�1;xj ]

f(x)

und entsprechend

M�j := sup

x2[xj�1;xj ]g(f(x)) ; m�

j := infx2[xj�1;xj ]

g(f(x)) :

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190 Das Riemann–Integral

Wir betrachten nun

A := fj 2 f1; : : : ; ng : Mj �mj < �g ; B := fj 2 f1; : : : ; ng : Mj �mj � �g :Falls j 2 A, so gilt M�

j �m�j � ". Falls j 2 B, so gilt M�

j �m�j � 2jjgjj1, also

�Xj2B

(xj�xj�1) �Xj2B

(Mj�mj)(xj�xj�1) �nXj=1

(Mj�mj)(xj�xj�1) = S(f;P)�s(f;P) < �2 ;

d.h.Pj2B

(xj � xj�1) < �. Zusammengenommen ergibt sich

S(g � f;P)� s(g � f;P) =Xj2A

(xj � xj�1)(M�j �m�

j) +Xj2B

(xj � xj�1)(M�j �m�

j)

� "(b� a) + 2jjgjj1� < (b� a+ 2jjgjj1) " :

Satz 32.5 impliziert daher g � f 2 R[a; b].Warnung. F�ur f 2 C[a; b] mit m � f(x) � M f�ur alle x 2 [a; b] und g 2 R[m;M ] gilt

dagegen i.Allg. nicht, dass g � f auf [a; b] Riemann{integrierbar ist. Es ist allerdings

nicht einfach, entsprechende Beispiele zu konstruieren (! Seminar Analysis im SS

2011).

Korollar 32.9.

Es seien f; ~f 2 R[a; b]. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) f ~f 2 R[a; b].(b) jf j 2 R[a; b] mit �����

Z b

af(x) dx

����� �bZa

jf(x)j dx � jjf jj1 � (b� a) :

Beweis. (a) Man benutzt Satz 32.8 mit g(t) = t2 und erh�alt f2 2 R[a; b]. Satz 32.7 (a)

impliziert dann

f ~f =(f + ~f)2 � (f � ~f)2

42 R[a; b] :

(b) Man benutzt Satz 32.8 mit g(t) = jtj und erh�alt jf j 2 R[a; b]. Schlie�lich w�ahle man

c 2 f�1; 1g mit cR ba f(x) dx � 0. Dann gilt cf(x) � jf(x)j f�ur alle x 2 [a; b], also mit Satz

32.7 (a) und (b)������bZa

f(x) dx

������ = c

bZa

f(x) dx =

bZa

cf(x) dx �bZa

jf(x)j dx �bZa

jjf jj1 dx = jjf jj1 � (b� a)

wobei zuletzt Beispiel 32.3 benutzt wurde.

Es folgt: Die Abbildung L : C[a; b]! R, L(f) :=R ba f(x) dx, ist ein stetiges lineares Funktio-

nal auf dem normierten Raum (C[a; b]; jj � jj1) der stetigen Funktionen, denn

jL(f1)� L(f2)j = jL(f1 � f2)j � (b� a) � jjf1 � f2jj1 :

Kombiniert man dies mit dem Prinzip der gleichm�a�igen Konvergenz (Satz 21.3), so erh�alt

man das folgende Resultat:

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Das Riemann–Integral 191

Satz 32.10.

Ist (fn) eine Folge in C[a; b], die gleichm�a�ig auf [a; b] gegen f : [a; b] ! R konvergiert,

so ist f 2 C[a; b] undbZa

fn(x) dx!bZa

f(x) dx :

F�ur die Schlussfolgerung von Satz 32.10 reicht es nicht aus, dass die Funktionenfolge (fn) nur

puntkweise konvergiert, selbst dann nicht, wenn die Grenzfunktion Riemann{integrierbar ist.

Beispiel 32.11 (The witch’s hat II).

Es sei fn : [0; 2]! R de�niert durch

fn(x) :=

8>>><>>>:n�1� n��x� n�1

��� jx� n�1j � n�1

f�ur

0 x � 2=n :

Dann gilt fn(x)n!1���! 0 f�ur jedes x 2 [0; 2], aber

2R0fn(x) dx = 1 6! 0.

Ausblick.

Beispiel 32.11 deckt eine der Hauptschw�achen des Riemann{Integrals auf. Mit der Theorie

des Lebesgue{Integrals wird ein exiblerer Integralbegri� bereitgestellt. Wir verweisen hierzu

auf die Vorlesung Vertiefung Analysis.

Aufgaben zu x32

1. Es sei f : [a; b]! R monoton (wachsend oder fallend) und beschr�ankt. Man zeige, dass

f 2 R[a; b].

2. (a) Es sei f 2 C[a; b] mit f(x) � 0 f�ur alle x 2 [a; b] undbRaf(x) dx = 0.

Zeigen Sie, dass dann f � 0.

(b) Man zeige, dass durch

jjf jj1 :=bZa

jf(x)j dx ; f 2 C[a; b]

eine Norm auf C[a; b] de�niert ist.

(c) Zeigen Sie, dass die beiden Normen jj � jj1 und jj � jj1 auf C[a; b] nicht �aquivalent

sind.

(d) Man zeige, dass (C[a; b]; jj � jj1) kein Banachraum ist. (�Ubungsaufgabe)

3. Zeigen Sie f�ur f 2 C[a; b]

b� aN

N�1Xj=1

f(a+ j(b� a)=N)N!1����!

bZa

f(x) dx :

(Hinweis: Gleichm�a�ige Stetigkeit)

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192 Das Riemann–Integral

4. Es sei f : [�1; 1]! R de�niert durch f(1=n) := 1 f�ur alle n 2N und f(x) := 0 f�ur alle

anderen x 2 [�1; 1]. Zeigen Sie, dass f 2 R[�1; 1] und berechnen Sie

F (t) :=

tZ0

f(x) dx ; t 2 [�1; 1] :

Ist F : [�1; 1]! R di�erenzierbar ? Gilt F 0(0) = f(0) ?

5. Es seien f 2 C[a; b] und g 2 R[a; b] mit g � 0. Zeigen Sie, dass es einen Punkt x0 2 [a; b]

gibt, derart, dassbZa

f(x)g(x) dx = f(x0)

bZa

g(x) dx :

Diskutieren Sie die Voraussetzung"g � 0\. Bleibt die obige Aussage ohne diese Vor-

aussetzung g�ultig ? Was l�asst sich im Falle g � 0 schlie�en ?

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x 33

Integration und Di�erentiation

In Nables we picked up a Citroen 2V, a car with zero acceleration which however reached a

positive speed (and was thus a counter{example to the fundamental theorem of calculus).

W. Rudin [15, p. 118]

Satz 33.1.

Es sei f 2 R[a; b] und c 2 (a; b). Dann gilt f 2 R[a; c] \R[c; b] undbZa

f(x) dx =

cZa

f(x) dx+

bZc

f(x) dx :

Beweis. Es sei " > 0 vorgegeben. Dann gibt es eine Partition P von [a; b] mit

S(f;P) �bZa

f(x) dx+ "=2 � s(f;P) + " ;

siehe Beweis von Satz 32.5. Durch evtl. Hinzuf�ugen des Punktes c als Teilungspunkt und

anschlie�ende Aufteilung erh�alt man die beiden Partitionen P1 bzw. P2 von [a; c] bzw. [c; b],

wobei

S(f;P) = S(f;P1) + S(f;P2) ; s(f;P) = s(f;P1) + s(f;P2) :Es folgt

S(f;P1)� s(f;P1) =�S(f;P)� s(f;P)�� �S(f;P2)� s(f;P2)� < "

und analog S(f;P2)� s(f;P2) < ". Dies zeigt f 2 R[a; c] \R[c; b] undcZa

f(x) dx+

bZc

f(x) dx � S(f;P1) + S(f;P2) = S(f;P) �bZa

f(x) dx+ "=2 ;

cZa

f(x) dx+

bZc

f(x) dx � s(f;P1) + s(f;P2) = s(f;P) �bZa

f(x) dx� "=2 ;

d.h.bRaf(x) dx =

cRaf(x) dx+

bRcf(x) dx.

Bemerkung.

Es sei f 2 R[a; b]. Wir de�nieren

aZb

f(x) dx := �bZa

f(x) dx ;

aZa

f(x) dx := 0 :

193

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194 Integration und Differentiation

Es gilt dann f�ur alle x0; x; y 2 [a; b]

xZx0

f(t) dt�yZ

x0

f(t) dt =

xZy

f(t) dt :

Satz 33.2.

Es sei f 2 R[a; b] und F : [a; b]! R durch

F (x) :=

xZa

f(t) dt ; x 2 [a; b] ;

de�niert. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(a) F ist Lipschitz{stetig auf [a; b].

(b) F ist in jedem Stetigkeitspunkt x0 von f di�erenzierbar mit F 0(x0) = f(x0).

Falls f 2 C[a; b], so ist F : [a; b]! R di�erenzierbar mit F 0 = f .

Beweis. (a) Es gilt

jF (x)� F (y)j =������xZy

f(t) dt

������ � jjf jj1 jx� yjf�ur alle x; y 2 [a; b].

(b) Zu vorgegebenem " > 0 gibt es ein � > 0 mit jf(t) � f(x0)j < " f�ur alle t 2 [a; b] mit

jt� x0j < �, d.h.

����F (t)� F (x0)t� x0 � f(x0)���� =

������1

t� x0

tZx0

�f(u)� f(x0)

�du

������ < " :

Dies impliziert, dass F in x0 di�erenzierbar ist mit F 0(x0) = f(x0).

Definition.

Es sei f : [a; b] ! R eine Funktion. Eine di�erenzierbare Funktion F : [a; b] ! R hei�t

Stammfunktion von f , falls F 0 = f .

Satz 33.3 (Hauptsatz der Differential– und Integralrechnung).

Jedes f 2 C[a; b] besitzt eine Stammfunktion und f�ur jede Stammfunktion F von f gilt

F (x) = F (a) +

xZa

f(t) dt ; x 2 [a; b] :

Beweis. Wir setzen G(x) :=R xa f(t) dt f�ur x 2 [a; b]. Gem�a� Satz 33.2 ist dann G eine

Stammfunktion von f . F�ur jede weitere Stammfunktion F von f gilt dann (F � G)0 =F 0 � G0 = f � f � 0. Nach Korollar 17.6 ist dann F � G konstant, d.h. F = G + c f�ur ein

c 2 R. Wegen G(a) = 0 folgt hieraus c = F (a), und somit die Behauptung.

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Integration und Differentiation 195

Korollar 33.4.

F�ur jede Stammfunktion F von f 2 C[a; b] giltbZa

f(x) dx = F (b)� F (a) =: F (x)����ba

:

Oft schreibt man f�ur stetiges f auch symbolisch

F (x) =

Zf(x) dx ;

um anzudeuten, dass F eine Stammfunktion von f ist und nennt F (x) ein unbestimmtes

Integral von f . Beispielsweise giltZexpx dx = expx ;

Zsinx dx = � cosx :

Bemerkung (Bestimmen von Stammfunktionen).

Das Au�nden von Stammfunktionen stetiger Funktionen ist mithilfe moderner Compu-

teralgebrasysteme (z.B. Mathematica oder Maple) oft sehr einfach m�oglich. Beispiels-

weise liefert der Mathematica{Befehl Integrate[Log[x],x] die Ausgabe –x+x Log(x). Eine

Stammfunktion von f(x) = lnx ist also durch F (x) = �x + x lnx gegeben, siehe auch

Beispiel 33.9.

Bemerkung.

Die beiden S�atze 33.2 und 33.3 zeigen, dass unter geeigneten Voraussetzungen, Integra-

tion und Di�erentiation zueinander inverse Operationen bilden. Hierbei ist allerdings

Vorsicht geboten. De�niert man f�ur x0 2 [a; b] die beiden linearen Abbildungen

Ix0 : C[a; b]! C1[a; b] ; Ix0(f)(x) :=

xZx0

f(t) dt

D : C1[a; b]! C[a; b] ; D(f) := f 0 ;

so gilt zwar D � Ix0 = Id auf C[a; b], aber Ix0 � D 6= Id, denn Ix0 : C[a; b] ! C1[a; b] ist

nicht surjektiv: Eine stetige Funktion besitzt viele Stammfunktionen, aber eine di�e-

renzierbare Funktion nur eine Ableitung.

Jede Di�erentiationsregel liefert eine entsprechende Integrationsregel. Wir zeigen zun�achst,

dass die Kettenregel der Di�erentialrechnung zur Substitutionsregel der Integralrechnung

f�uhrt.

Satz 33.5 (Substitutionsregel).

Es seien f 2 C[c; d] und ' 2 C1[a; b] mit '([a; b]) � [c; d]. Dann gilt

bZa

f('(t))'0(t) dt ='(b)Z'(a)

f(x) dx :

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196 Integration und Differentiation

Beweis. Es sei F : [c; d] ! R eine Stammfunktion von f . Dann gilt mit der Kettenregel

(F � ')0(t) = F 0('(t))'0(t) = f('(t))'0(t). Mit Satz 33.3 folgt

bZa

f('(t))'0(t) dt =bZa

(F � ')0(t) dt = F ('(b))� F ('(a)) ='(b)Z'(a)

f(x) dx :

Bemerkung.

In Satz 33.5 wird nicht vorausgesetzt, dass ' auf [a; b] injektiv ist. Eine suggestive, wenn

auch etwas unpr�azise Art und Weise, die Substitutionsregel zu interpretieren, ist die

folgende. Man setzt x = '(t) und beachte, dass symbolisch gilt:

'0(t) =dx

dt() dx = '0(t) dt :

Jetzt"substituiert\ man dx = '0(t) dt und x = '(t) in

R ba f('(t))'

0(t) dt und ersetzt die

"t{Integrationsgrenzen\ t = a und t = b durch die entsprechenden

"x{Integrationsgren-

zen\ x = '(a) und t = '(b).

Beispiel 33.6 (Logarithmische Ableitung).

Ist ' 2 C1[a; b] mit '(t) 6= 0 f�ur alle t 2 [a; b], so gilt

bZa

'0(t)'(t)

dt = ln j'(t)j����ba

:

Beispiel 33.7 (� und der Flacheninhalt einer Kreisscheibe; vgl. Bemerkung auf Seite 77).

Es gilt f�ur �1 < a < b < 1 mit u := arcsin a, v := arcsin b und der Substitution x = sin t:

bZa

p1� x2 dx =

vZu

q1� sin2 t � cos t dt =

vZu

cos2 t dt =

vZu

cos(2t) + 1

2dt =

sin(2t)

4+t

2

����vu

:

Dies zeigtbZa

p1� x2 dx = sin(2 arcsinx)

4+

arcsinx

2

����ba

:

F�ur a! �1+ und b! 1� erh�alt man

1Z�1

p1� x2 dx = �

2:

Die Produktregel der Di�erentialrechnung f�uhrt zur Partiellen Integration der Integralrech-

nung.

Satz 33.8 (Partielle Integration).

Es seien f; g 2 C1[a; b]. Dann gilt

bZa

f(x)g0(x) dx = f(x)g(x)

����ba

�bZa

f 0(x)g(x) dx :

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Integration und Differentiation 197

Beweis. Es gilt

bZa

f(x)g0(x) dx+bZa

f 0(x)g(x) dx =bZa

(f(x)g(x))0 dx = f(x)g(x)

����ba

:

Beispiel 33.9.

Es gilt mit f(x) = lnx und g(x) = x:

bZa

lnx dx = x lnx

����ba

�bZa

1 dx = x(lnx� 1)

����ba

:

Der folgende Satz beruht ebenfalls auf der Technik der partiellen Integration.

Satz 33.10 (Riemann–Lebesgue1 Lemma).

Es sei f 2 C1[a; b] und

f(k) :=

bZa

f(x) sin(kx) dx ; k 2 R :

Dann gilt

limjkj!1

f(k) = 0 :

Beweis. F�ur k 6= 0 gilt mithilfe partieller Integration

f(k) = �f(x)cos(kx)k

����ba

+1

k

bZa

f 0(x) cos(kx) dx :

Wegen f; f 0 2 C[a; b] existiert ein M > 0 mit jjf jj1 � M und jjf 0jj1 � M . Damit erh�alt

man

jf(k)j � 2M

jkj +M(b� a)jkj ! 0 f�ur jkj ! 1 :

Satz 33.11 (L. Euler, Brief an Ch. Goldbach vom 4. Juli 1744).

(a) F�ur alle 0 < x < 2� gilt1Xk=1

sin(kx)

k=� � x2

:

Die Konvergenz ist in jedem Intervall [�; 2� � �], � 2 (0; �), gleichm�a�ig.

(b) F�ur alle 0 � x � 2� gilt

1Xk=1

cos(kx)

k2=

�� � x2

�2

� �2

12:

1H. Lebesgue (1875{1941)

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198 Integration und Differentiation

Korollar 33.12 (L. Euler 1735).1Xk=1

1

k2=�2

6.

Beweis von Satz 33.11. (a) Es gen�ugt den Fall � < x < 2� zu betrachten. Mithilfe der

geometrischen Summenformel ergibt sich f�ur alle t 2 (0; 2�)

nXk=1

cos(kt) =nXk=1

Re(eikt) = Re

eiteint � 1

eit � 1

!=

sin�(n+ 1=2)t

�2 sin(t=2)

� 1

2;

d.h.

nXk=1

sin(kx)

k=

xZ�

nXk=1

cos(kt) dt =

xZ�

sin�(n+ 1=2)t

�2 sin(t=2)

� 1

2

!dt =

xZ�

sin�(n+ 1=2)t

�2 sin(t=2)

dt+� � x2

:

Satz 33.10 liefert 1Xk=1

sin(kx)

k=� � x2

:

Die Konvergenzaussage wurde bereits in Beispiel 21.8 bewiesen.

(b) Die Reihe

F (x) :=1Xk=1

cos(kx)

k2

konvergiert nach Beispiel 21.7 gleichm�a�ig auf R.

Nach Beispiel 21.8 gilt

F 0(x) = �1Xk=1

sin(kx)

k=x� �2

und somit F (x) =

�� � x2

�2

+ c f�ur alle x 2 (0; 2�)

mit einer Konstanten c 2 R. Letzteres gilt aufgrund der Stetigkeit von F : R! R auf ganz

[0; 2�]. Um die Konstante c 2 R zu bestimmen, berechnen wir

2�Z0

F (x) dx =

2�Z0

�� � x2

�2

dx+ 2�c =�3

6+ 2�c :

Andererseits gilt

2�Z0

F (x) dx =

2�Z0

1Xk=1

cos(kx)

k2dx

(?)=

1Xk=1

2�Z0

cos(kx)

k2dx = 0 ;

wobei in (?) Satz 32.10 benutzt wurde. Es folgt c = ��212 und somit die Behauptung.

Aufgaben zu x33

1. Man zeige

1

n+ 1�

n+1Zn

1

xdx ; n 2N ;

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Integration und Differentiation 199

und folgere, dass durch

tn :=nXk=1

1

k� lnn

eine monoton fallende Folge (tn) in [0; 1] de�niert wird.

Bemerkung: Der Grenzwert dieser Folge hei�t Eulersche Konstante (oder auch Euler{

Mascheroni{Konstante). Es ist nicht bekannt, ob rational oder irrational ist.

2. Man zeige1Xk=1

(�1)k sin(kx)k3

=x3

12� �2

12

f�ur alle x 2 [0; 2�] und folgere

1� 1

33+

1

53� 1

73+� : : : = �3

32:

� �� 3. Es sei f : [a; b]! R di�erenzierbar mit f 0 2 R[a; b]. Man beweise

bZa

f 0(x) dx = f(b)� f(a) :

4. Es sei f : [0; a)! R stetig. F�ur jedes t 2 [0; a) existiere der Limes

f 0+(t) := lim"!0+

f(t+ ")� f(t)"

und f 0+ : [0; a) ! R sei stetig. Man beweise, dass f auf (0; a) di�erenzierbar ist mit

f 0(t) = f 0+(t) f�ur alle t 2 (0; a). (Lawler, S. 92)

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x 34

Uneigentliche und parameterabh�angige Integrale

There is nothing particularly improper1about improper integrals [: : :], but this is what

they are traditionally called. Their other traditional name 'in�nite integrals' remove the

imputation of moral obliquity but is iliable to cause confusion in other directions.

T. K�orner [7, p. 197]

Definition.

Es seien I = [a; b) mit b 2 R \ f1g und f 2 R[a; �] f�ur jedes � 2 [a; b). Falls der Limes

bZa

f(x) dx := lim�!b�

�Za

f(x) dx

existiert, so hei�t das uneigentliche IntegralR ba f(x) dx konvergent und der Grenzwert

dessen Wert. Analog de�niert man f�ur a 2 R [ f�1gbZa

f(x) dx := lim�!a+

�Z�

f(x) dx ;

falls f 2 R[�; b] f�ur jedes � 2 (a; b]. Ist �1 � a < b � 1 und f 2 R[�; �] f�ur alle

a < � < � < b, so setzt man

bZa

f(x) dx :=

cZa

f(x) dx+

bZc

f(x) dx ;

falls f�ur ein c 2 (a; b) { und damit f�ur jedes c 2 (a; b) { die beiden rechts stehenden

uneigentlichen Integrale konvergieren.

Beispiel.

Das Integral1Z1

dx

xs

existiert genau f�ur s > 1. Der Wert ist dann 1s�1 .

Beispiel.

Es gilt1Z

�1

dx

1 + x2= � :

1Im Englischen hei�en uneigentliche Integrale"improper integrals\.

201

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202 Uneigentliche und parameterabhangige Integrale

Wir betrachten ein schwierigeres Beispiel.

Beispiel 34.1.

Es gilt1Z

�1

sinx

xdx = � :

Beweis. Es gilt

In :=

(n+1=2)�Z�(n+1=2)�

sinx

xdx�� =

�Z��

sin�(n+ 1=2)t

�t

dt�� =

�Z��

sin(t=2)

t

sin�(n+ 1=2)t

�sin(t=2)

dt�� :

Wegen (siehe Beweis von Satz 33.11)

nXk=1

cos(kt) =sin�(n+ 1=2)t

�2 sin(t=2)

� 1

2;

ergibt sich

1

2�

�Z��

sin�(n+ 1=2)t

�sin(t=2)

dt = 1

und daraus

In =

�Z��

�1

t� 1

2 sin(t=2)

�sin�(n+ 1=2)t

�dt :

Setzt man F (0) := 0 und F (t) := 1t � 1

2 sin(t=2) f�ur t 6= 0, so ist F 2 C1[��; �] und

In =

�Z��

F (t) sin�(n+ 1=2)t

�dt! 0

nach dem Riemann{Lebesgue Lemma (Satz 33.10).

Satz 34.2.

Es sei R := [a; b]� [c; d] � R2 und f : R! R stetig.

(a) Dann ist F : [a; b]! C[c; d] de�niert durch F (x) := f(x; � ) f�ur x 2 [a; b] stetig.

(b) Die Funktion G : [a; b]! R de�niert durch

G(x) :=

dZc

f(x; y) dy ; x 2 [a; b] ;

ist stetig.

Beweis. (a) Die stetige Funktion f : R ! R ist auf der kompakten Menge R � R2

gleichm�a�ig stetig. Daher existiert zu gegebenem " > 0 ein � > 0, derart, dass jf(x1; y1) �f(x2; y2)j < " f�ur alle (x1; y1); (x2; y2) 2 R mit jj(x1; y1)� (x2; y2)jj2 < �. Insbesondere gilt

jjf(x1; � )� f(x2; � )jj1 = supy2[c;d]

jf(x1; y)� f(x2; y)j � "

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Uneigentliche und parameterabhangige Integrale 203

f�ur alle x1; x2 2 [a; b] mit jx1 � x2j < �.

(b) Es gilt

jG(x)�G(x0)j =������dZc

�f(x; y)� f(x0; y)

�dy

������ �Z b

ajf(x; y)� f(x0; y)j dy

� (d� c)jjf(x; � )� f(x0; � )jj1 ! 0 f�ur x! x0 :

Satz 34.3.

Es sei R := [a; b] � [c; d] � R2 und f : R ! R sei stetig und nach der ersten Variablen

stetig partiell di�erenzierbar.

(a) Dann ist f�ur jedes x0 2 [a; b] die durch

F (x) :=

8>>>><>>>>:

f(x; � )� f(x0; � )x� x0 x 6= x0

f�ur@f

@x(x0; � ) x = x0

de�nierte Funktion F : [a; b]! C[c; d] stetig in x0.

(b) Die Funktion G : [a; b]! R de�niert durch

G(x) :=

dZc

f(x; y) dy ; x 2 [a; b] ;

ist stetig di�erenzierbar mit

G0(x) =dZc

@f

@x(x; y) dy ; x 2 [a; b] :

Beweis. (a) Die Funktion fx = @f@x : R ! R ist gleichm�a�ig stetig. Daher existiert zu

gegebenem " > 0 ein � > 0, derart, dass jfx(x1; y1)�fx(x2; y2)j < " f�ur alle (x1; y1); (x2; y2) 2R mit jj(x1; y1)� (x2; y2)jj2 < �. Insbesondere gilt

jjfx(x1; � )� fx(x2; � )jj1 = supy2[c;d]

jfx(x1; y)� fx(x2; y)j � "

f�ur alle x1; x2 2 [a; b] mit jx1 � x2j < �. Nun sei x1 2 [a; b] mit jx1 � x0j < �. F�ur jedes

y 2 [c; d] existiert ein � zwischen x1 und x0 mit

f(x1; y)� f(x0; y)x� x0 = fx(�; y) :

Es folgt f�ur x1 6= x0

jjF (x1)� F (x0)jj1 = supy2[c;d]

����f(x1; y)� f(x0; y)x� x0 � fx(x0; y)���� = sup

y2[c;d]jfx(�; y)� fx(x0; y)j � " :

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204 Uneigentliche und parameterabhangige Integrale

(b) Es sei x0 2 [a; b] �xiert. Dann gilt f�ur alle x 2 [a; b]nfx0g������G(x)�G(x0)

x� x0 �dZc

@f

@x(x0; y) dy

������ =������dZc

�f(x; y)� f(x0; y)

x� x0 � @f

@x(x0; y)

�dy

�������

dZc

jjF (x)� F (x0)jj1 dy = (d� c) � jjF (x)� F (x0)jj1

! 0

f�ur x! x0.

Die Schlussfolgerung von Satz 34.3 besagt also

d

dx

dZc

f(x; y) dy =

dZc

@f

@x(x; y) dy ;

d.h. man darf"unter dem Integral di�erenzieren\: The d clambers through the integral and

curls up, siehe [7, p. 182].

Beispiel 34.4.

Es sei f : R := [a; b] � [c; d] � R2 ! R stetig und nach der ersten Variablen stetig

partiell di�erenzierbar. Ferner sei g : [a; b] ! [c; d] di�erenzierbar. Dann gilt mit der

Kettenregel(!)

d

dx

0B@g(x)Za

f(x; y) dy

1CA = f(x; g(x)) � g0(x) +

g(x)Za

@f

@x(x; y) dy :

Satz 34.5 (Der iterierte Integrationsoperator).

Es sei x0 2 [a; b] �xiert und Ix0 : C[a; b] ! C[a; b] de�niert durch Ix0(f)(x) :=xRx0f(t) dt.

Dann gilt f�ur Inx0 := Ix0 � � � � � Ix0| {z }n{mal

Inx0(f)(x) =1

(n� 1)!

xZx0

(x� t)n�1f(t) dt :

Beweis. F�ur n = 1 ist nichts zu zeigen. Ist die Aussage f�ur ein n 2N richtig, so di�erenziert

man

Fn(x) :=1

n!

xZx0

(x� t)nf(t) dt :

und erh�alt mit Beispiel 34.4

F 0n(x) =

d

dx

0@ 1

n!

xZx0

(x� t)nf(t) dt1A =

1

(n� 1)!

xZx0

(x� t)n�1f(t) dt = Inx0(f)(x) :

Wegen�In+1x0 (f)

�0= Inx0(f) gilt also (In+1

x0 (f) � Fn)0 � 0 und aus In+1x0 (f)(x0) = 0 = Fn(x0)

ergibt sich Fn � Inx0(f).

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Uneigentliche und parameterabhangige Integrale 205

Ist D : C1[a; b] ! C[a; b] der Di�erentiationsoperator, so gilt wegen D � Ix0 = Id, dass

Dn � Inx0 = Id. Dagegen gilt Ix0 �D 6= Id, also auch Inx0 �Dn 6= Id.

Lemma 34.6.

Es sei I � R ein Intervall, die Funktion f : I ! R sei n{mal stetig di�erenzierbar und

x0 2 I sei �xiert. Dann gilt

Inx0(f(n))(x) = f(x)�

n�1Xk=0

f (k)(x0)

k!(x� x0)k :

Beweis. Der Fall n = 1 ist gerade der Hauptsatz der Di�erential{ und Integralrechnung. Ist

die Aussage f�ur ein n 2N richtig, so gilt

hIn+1x0 (f (n+1))

i0(x) = Inx0(f

(n+1))(x) = Inx0((f0)(n))(x) = f 0(x)�

n�1Xk=0

f (k+1)(x0)

k!(x� x0)k ;

= f 0(x)�nXk=1

f (k)(x0)

(k � 1)!(x� x0)k�1 =

d

dx

�f(x)�

n�1Xk=0

f (k)(x0)

k!(x� x0)k

�:

In dieser Identit�at stimmen die Funktionen in [: : :] (links und rechts) im Punkt x0 �uberein

und sind folglich identisch.

Satz 34.5 und Lemma 34.6 zusammen ergeben.

Satz 34.7 (Satz von Taylor mit Restglied in Integralform).

Es sei I � R ein Intervall und die Funktion f : I ! R sei n{mal stetig di�erenzierbar.

Dann gilt f�ur alle x0 2 I und x 2 I

f(x) =n�1Xk=0

f (k)(x0)

k!(x� x0)k +Rn(x)

mit

Rn(x) =1

(n� 1)!

xZx0

(x� t)n�1f (n)(t) dt :

Wir sind damit zum Ausgangspunkt unserer �Uberlegungen in diesem Semester zur�uckgekehrt.

Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts, ein D�amon in deine einsamste Einsamkeit nach-

schliche und dir sagte: Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch

einmal und noch unz�ahlige Male leben m�ussen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern

jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles uns�aglich Kleine und

Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge

und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den B�aumen, und ebenso dieser

Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht

und du mit ihr, St�aubchen vom Staube!

F. Nietzsche [13]

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206 Uneigentliche und parameterabhangige Integrale

Aufgaben zu x34

1. Es sei fn : R! R de�niert durch

fn(x) :=

8>>><>>>:n�1

�1� n�1jxj

�jxj � n

f�ur

0 jxj > n :

Man zeige: fnn!1���! 0 gleichm�a�ig auf R, aber

1R�1

fn(x) dx = 1 6! 0.

2. Beweisen Sie die folgende Aussage.

Ist f : [��; �]! R di�erenzierbar, so gilt

f(x) = limn!1

1

2�

�Z��

f(x� t)sin�(n+ 1=2)t

�sin(t=2)

dt :

(Hinweis: Man analysiere den Beweis von Beispiel 34.1.)

3. Beweisen Sie�=2Z0

ln(sinx) dx = ��2ln 2 :

4. Es sei f : [a; b]� [c; d]! R stetig. Man zeige, dass

bZa

0@ dZc

f(x; y) dy

1A dx = dZ

c

0@ bZa

f(x; y) dx

1A dy :