Analysis2 - Julia's Blog | Uni, Nachhilfe und mehrVorlesung SS2010 Analysis2 Prof. Dr. LinusKramer...
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Analysis 2
Prof. Dr. Linus Kramer ∗
SS 2010
∗geTEXt von Julia Wolters
Inhaltsverzeichnis
9. Metrische und normierte Räume 1
10.Stetigkeit 13
11.Offene Mengen und Kurven 23
12.Differentialgleichung in Vektorräumen 37
13.Lokale Extrema reeller Funktionen 43
14.Integration, Satz vom lokalen Inversen, Taylorentwicklung 47
Stichwortverzeichnis iii
i
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Erstellt von Prof. Dr. Linus Kramer [email protected]
Vorlesungsseite:
http://wwwmath.uni-muenster.de/u/ag_kramer/index.php?name=analysis_II_10
Verfasst in TEXon Mac OS X von Julia Wolters
Korrigierte Fassung bis Kapitel 10, Stand: 13. Juli 2010
Korrekturen bitte per mail an [email protected]
ii geTEXt: Julia Wolters
9. Metrische und normierte Räume
Idee: Wir wollen „Abstände“ zwischen Punkten messen. Der Abstand soll eine reelle Zahl≥ 0 sein (ohne Dimensionsangabe wie Meter . . .).
9.1. Definition
Sei X eine Menge. Eine Metrik auf X ist eine Abbildung d : X×X −→ R, (x, y) 7→d(x, y). Dabei soll gelten:
(M1) Für alle u, v ∈ X ist d(u, v) = d(v, u) ≥ 0 (symmetrisch und positiv)
(M2) Es gilt d(u, v) = 0, wenn u = v
(M3) Für u, v, w ∈ X gilt d(u,w) ≤ d(u, v) + d(v, w) (Dreiecksungleichung)
Man nennt (X, d) dann einen metrischen Raum.
9.2. Beispiel
a) X = R, d(u, v) = |u−v|. Dann gelten (M1), (M2) und (M3) ist die Dreiecksungleichungder Betragsfunktion (1.8). Also ist R mit d(u, v) = |u− v| ein metrischer Raum.
b) X eine beliebige Menge. Setzte d(u, v) ={1, falls u 6= v0, falls u = v
.
(M1) und (M2) gelten. Ist u = w d(u,w) = 0 ≤ d(u, v) + d(v, w) (X). Ist u 6=w d(u,w) = 1. Für alle v ∈ X gilt entweder v 6= u oder v 6= w, also folgt d(u, v) +d(v, w) ≥ 1 = d(u,w). Folglich gilt (M3) und d ist eine Metrik auf X. Man nennt ddie diskrete Metrik auf X.
c) X = R2. Für u = (u1, u2), v = (v1, v2). Setze d(u, v) = |u1 − v1|+ |u2 − v2| „l1-Metrikauf R2“ oder „Manhattan-Taxi-Metrik“. (M1) und (M2) gelten.
d(u,w) = |u1 − w1|+ |u2 − w2|= |u1 − v1 + v1 − w1|+ |u2 − v2 + v2 − w2|≤ |u1 − v1|+ |v1 − w1|+ |u2 − v2|+ |v2 − w2|= d(u, v) + d(v, w)
1
KAPITEL 9. METRISCHE UND NORMIERTE RÄUME
-
6
-
6
(u1, u2)
(v1, v2)
Abbildung 9.1.: Manhattan-Taxi-Matrik
⇒ (M3) gilt.Also ist d eine Metrik auf R2.
9.3. Beobachtung
Ist (X, d) ein metrischer Raum und A ⊆ X, dann ist A mit der Metrik d ebenfalls einmetrischer Raum, ein Unterraum.
9.4. Definition
Sei (X, d) ein metrischer Raum, sei r > 0 und x ∈ X. Dann heißt Br(x) ={v ∈ X | d(v, x) < r} der offene r-Ball um x.
In den drei Beispielen:
a) Br(x) = (x− r, x+ r) offenes Intervall( x ) X-
r� -
r�
b) Br(x) = {x}, falls r ≤ 1Br(x) = X, falls r > 1
c) Br(x) in der Taximetrik:-
6
���
@@@
@@@
���
xr rr
r
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9.5. Definition
Sei J ⊆ N eine unendliche Indexmenge, sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folgein X mit Indexmenge J ist eine Abbildung J → X, j 7→ xj (Folgenglied). Ist K ⊆ Jeine unendliche Teilmenge, dann heißt (xk)k∈K Teilfolge der Folge (xj)j∈J .Wir sagen, die Folge (xj)j∈J konvergiert gegen x ∈ X, wenn gilt:
Zu jedem ε > 0 gibt es n ∈ N, so dass
d(x, xj) ≤ ε ∀j ∈ J, j ≥ n
In Beispiel a X = R, d(u, v) = |u−v| liefert das genau den Konvergenzbegriff aus AnalysisI für reelle Folgen.
9.6. Lemma
Sei (X, d) metrischer Raum, (xj)j∈J eine Folge in X. Die Folge konvergiert gegen x ∈ Xgenau dann, wenn gilt:Für jedes r > 0 gibt es ein n ∈ N, so dass xj ∈ Br(x) für alle j > n.Ebenfalls äquivalent dazu:Für jedes r > 0 liegen fast alle Folgenglieder xj in Br(x).
9.7. Lemma (Eindeutigkeit des Grenzwertes)
Eine Folge (xj)j∈J in einem metrischen Raum (X, d) konvergiert höchstens gegen einx ∈ X.
Der eindeutige Grenzwert einer konvergenten Folge (xj)j∈J wird (wie in Analysis I) ge-schrieben: lim
j∈Jxj = x
Beispiel a):
X = R, d(u, v) = |u − v|. Das ist genau der Konvergenzbegriff aus Analysis I für reelleFolgen.
Beispiel b):
X mit diskreter Metrik. Konvergente Folgen sind genau die Folgen in X, die ab einemgewissen Index konstant sind.
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KAPITEL 9. METRISCHE UND NORMIERTE RÄUME
9.8. Definition
(X, d) metrischer Raum (ai)i∈I Folge. Dies heißt Cauchy-Folge, falls
∀ε > 0∃N ∈ N∀i, j ∈ I mit i ≥ Nundj ≥ N : d(ai, aj) ≤ ε
9.9. Satz
(X, d) metrischer Raum. Dann ist jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge.
9.10. Definition
Ein metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, falls jede Cauchy-Folge in X konver-giert.
Beispiel:
a) X = R, d(x, y) = |x− y| ist vollständig, vgl. (3.2)
a’) X = Q, d(x, y) = |x − y| ist nicht vollständig, denn es gilt Folgen (ai) rationalerZahlen die (in R) gegen
√2 konvergieren.
b) Diskrete Räume sind vollständig. Falls (ai) Cauchy-Folge in X, gilt für ε > 12: ∃N ∈ N,
so dass ∀i, j ∈ I mit i ≥ N und j ≥ N : d(a, aj) ≤ ε2⇒ d(ai, aj) = 0, also ai = aj.
c) R2 mit Mannhattan Matrix ist vollständig.
Achtung: (X, d) vollständig.Y ⊆ X Unterraum nicht notwendig vollständig.
9.11. Definition
(X, d) metrischer Räume. Eine Teilmenge A ⊆ X heißt abgeschlossen in X, falls fürjede Folge in A, die in X konvergiert, der Grenzwert in A liegt.
Beispiel
i) ∅, X sind immer abgeschlossen
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ii) u, v ∈ R, u < v, A = [u, v] ist abgeschlossen.Dann (ai) in A ⇒ i ∈ I gilt u ≤ a ≤ v.Insbesondere gilt für x := lim a, u ≤ x ≤ v (vgl. Ana I) ⇒ x ∈ A.
iii) A = (0, 1) = {x ∈ R | 0 < x < 1} nicht abgeschlsosen, dann setzte ai = 12, I = N.
Dann gilt lim a = 0 /∈ A.
9.12. Satz
(X, d) metrischer Raum
i) Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen sind abgeschlossen.
ii) Beliebige Durchschnitte abgeschlossener Mengen sind abgeschlossene.
Bemerkung
Satz 9.12 falsch für beliebige Vereinigungen.
Beispiel
Für n ∈ N sei An :=[1n, 1− 1
n
], n ≥ 2. A2 =
{12
}, A3 =
[13, 23
], . . ..
A =⋃n≥2
An = (0, 1) nicht abgeschlossen.
9.13. Satz
Sei (X, d) vollständiger metrischer Raum A ⊆ X ist abgeschlossen ⇔ A ist als Teilmengevollständig.1
Achtung
Beispiel: X = (0, 1) ⊆ R, d(u, v) = |u − v| A =(0, 1
2
]⊆ X. Die Teilmenge A ist
abgeschlossen in X (aber nicht in R!).Aber: A ist nicht vollständig. an = 1
2, n ≥ 1 ist Cauchy-Folge in A, hat aber keinen
Grenzwert in A.Das ist KEIN Widerspruch zu Satz 9.13! Denn X ist selber gar nicht vollständig.
Vollständigkeit
ist eine „innere“ Eigenschaft von metrischen Räumen.1 Umformulierung: Sei (X, d) vollständiger metrischer Raum. Eine Teilmenge A ⊆ X ist genau dannvollständig, wenn sie abgeschlossen ist in X.
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KAPITEL 9. METRISCHE UND NORMIERTE RÄUME
Abgeschlossenheit
ist eine Eigenschaft von Teilmengen eines metrischen Raumes, man muss dazu sagen:„abgeschlossen in folgenden Raum“.
9.14. Definition
Sei V ein reeller Vektorraum (beliebiger, evt. unendlicher Dimension). Eine Normauf V ist eine Abbildung ‖ · ‖ : V → R, v 7→ ‖v‖. Dann soll folgendes gelten:
(N1) ‖v‖ ≥ 0 für alle v ∈ V .‖v‖ = 0 ⇔ v = 0 (Nullvektor).
(N2) Für alle v ∈ V , r ∈ R gilt ‖v · r‖ = ‖v‖ · |r|. Insbesondere gilt ‖v‖ = ‖ − v‖.
(N3) Für alle u, v ∈ V ist ‖u+ v‖ ≤ ‖u‖+ ‖v‖ (Dreiecksungleichung)
Das Paar (V, ‖ · ‖) heißt normierter (Vektor)Raum.
Beispiele
a) V = Rn, v = (v1, . . . , vn) ∈ Rn, ‖v‖1 =n∑k=1
|vk|. Sogenannte l1-Norm auf Rn.
b) V = Rn, ‖v = ‖∞ = max {|v1|, . . . , |vn|} ebenfalls Norm. Sogenannte l∞-Norm oderSupremumsnorm.
9.15. Satz
Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Vektorraum. Setze d(u, v) = ‖u− v‖. Das ist eine Metrik aufV .
Jeder normierte Vektorraum ist also ein metrischer Raum und wir können nun über Kon-vergenz, Abgeschlossen, Cauchy-Folgen usw. in normierten Räumen sprechen.
9.16. Definition
Ein normierter Vektorraum, der vollständig ist, heißt Banachraum2.
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Beispiel
Rn mit der l1-Norm oder l∞-Norm ist ein Banachraum.Beweis: Sei (vj)j∈J eine Folge von Vektoren, die Cauchy-Folge ist. vk = (v1,j, v2,j, . . . , vn,j).Es gilt (für beide Normen)
|vk,l − vk,m| ≤ ‖vl − vm‖∞ ≤ ‖vl − vm‖1Folglich ist die reelle Folge (vk,j)j∈J eine Cauchy-Folge in R. Sei uk ∈ R ihr Grenzwert,sei u = (u1, . . . , un). Beh: Die Folge der (vj)j∈J konvergiert gegen u.Es sei ε > 0 gegeben. Wähle n0 ∈ N so, dass |vk,j − uk| ≤ ε
nfür alle k = 1, . . . , n und alle
j ≥ n0.Es folgt ‖vj − u‖1 ≤ ε
n+ ε
n+ . . .+ ε
n= ε für j ≥ n0, ‖vj − u‖ ≤ ‖vj − u‖1 ≤ ε für j ≥ n0.
Damit sind (Rn, ‖ · ‖1) und (Rn, ‖ · ‖∞) Banachräume.3
Beispiele
[a, b] ⊆ R
• B([a, b],R) = {f : [a, b]→ R | f beschränkt}.Setze ‖f‖∞ = sup {|f(x)| |x ∈ [a, b]} Supremumsnorm, vlg Analysis I. Das ist eineNorm und (B([a, b],R), ‖ · ‖∞) ist vollständig, vlg. Analysis I.
• R([a, b],R) = {f : [a, b]→ R | f Regelfunktion}. Nach Satz 5.11 ist (R([a, b],R), ‖ ·‖∞) vollständig.• C([a, b],R) = {f : [a, b]→ R | f stetig} ist ebenfalls vollständig, vlg Kapitel 4 →
Übungsaufgabe
Fazit: (B([a, b],R), ‖·‖∞), (R([a, b],R), ‖·‖∞) und (C([a, b],R), ‖·‖∞) sind Banachräume.
9.17. Definition
Sei V ein reeller Vektorraum. Eine Abbildung h : V ×V → R, (u, v) 7→ h(u, v) heißtbilinear , falls für alle u, v, w ∈ V , r ∈ R gilt:
h(u+ v, w) = h(u,w) + h(v, w), h(u, v + w) = h(u, v) + h(u,w)
h(u · r, v) = h(u, v · r) = h(u, v) · r„h ist Bilinearform“.Falls h(u, v) = h(v, u) für alle u, v, so heißt h symmetrische Bilinearform.Falls weiter gilt: h(u, u) ≥ 0 für alle u ∈ V und h(u, u) = 0 ⇔ u = 0, dann heißt hinneres Produkt oder Skalarprodukt .
3 Später: Rn ist bzgl. jeder Norm vollständig.
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KAPITEL 9. METRISCHE UND NORMIERTE RÄUME
Beispiel
V = Rn, A = (ai,j)ni,j≥1, n × n-Matrix, Bilinearform ist genau dann symmetrisch, wenn
die Matrix A symmetrisch ist, aij = aji für alle i, j, d.h. wenn AT = A.
Beispiel
Die Einheitsmatrix E =
1 0. . .
0 1
= A
⇒n∑
i,j=1
uiaijvj =n∑i=1
uivi Standardskalarprodukt auf Rn
h(u, u) =n∑i=1
u2i ≥ 0,n∑i=1
u2i = 0 genau dann, wenn alle ui = 0. ⇒ Skalarprodukt.
9.18. Definition und Satz
Sei V ein reeller Vektorraum, sei h ein inneres Produkt / Skalarprodukt. Setze‖u‖ =
√h(u, u).
Behauptung
Das ist eine Norm auf V .Das Paar (V, h) heißt Prä-Hilbert-Raum4
Warum ist das eine Norm?
‖u‖ ≥ 0 und ‖u‖ = 0 genau dann, wenn u = 0. (X)‖u− r‖ =
√h(u− r, u− r) =
√h(u, u)r2 =
√h(u, u)|r| = ‖u‖ · |r|. (X)
Fehlt noch die Dreieckungleichung. Dazu benötige wir die Cauchy-Schwarz-Ungleichung.
9.19. Satz (Cauchy-Schwarz-Ungleichung)
Sei h ein inneres Produkt auf V . Dann gilt für alle u, v ∈ V
|h(u, v)| ≤√h(u, u) ·
√h(v, v)
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Beweis, dass ‖u‖ =√h(u, u) die Dreiecksungleichung erfüllt
‖u+ v‖2 = h(u+ v, u+ v) = ‖u‖2 + ‖v‖2 + 2h(u, v)Cauchy−Schwarz−Ungleichung
≤ ‖u‖2 + ‖v‖2 + 2‖u‖ ‖v‖ = (‖u‖+ ‖v‖)2
⇒ ‖u+ v‖ ≤ ‖u‖+ ‖v‖
9.20. Beispiel
Rn, h(u, v) =n∑i=1
uivi (Standard-Skalarprodukt)
Die zugehörige Norm ist eine l2-Norm, die euklidsche Norm
‖u‖2 =
√√√√ n∑i=1
u2i
Man nennt (Rn, ‖ · ‖2) einen (den) euklidschen Vektorraum.Die Cauchy-Schwarz-Ungleichung für den Rn besagt(
n∑i=1
uivi
)2
≤
(n∑i=1
u2i
)·
(n∑i=1
v2i
)
Klassische Formulierung: Es gilt im Rn
‖u‖1 ≥ ‖u‖2 ≥ ‖u‖∞ ≥1
n‖u‖1
Folgerung: Alle drei Normen liefern den selben Begriff von Konvergenz, Abgeschlossenheit,Cauchy-Folgen, etc.Insbesondere ist der Rn bzgl. aller drei Normen vollständig.
9.21. Definition
Ein Vektorraum mit innerem Produkt, der vollständig ist in der zugehörigen Normheißt Hilbert-Raum.
Beispiel
Rn ist Hilbert-Raum mit dem Standard-Skalarprodukt.Hilbert-Räume sind also spezielle Banach-Räume.
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KAPITEL 9. METRISCHE UND NORMIERTE RÄUME
Beispiel
(Rn, ‖ · ‖1) Banach-Raum, aber kein Hilbert-Raum (es gibt keine Bilinearform zur ‖ · ‖1-Norm).
9.22. Beispiel (Der Hilbert-Raum l2(R))l2(R) ist die Menge aller reellen Folgen (an)n∈N, an ∈ R mit der Eigenschaft
n∑i=0
a2n <∞
Satz
l2(R) ist ein Hilbert-Raum mit innerem Produkt h(a, b) =∞∑i=1
aibi mit ai = (ai)i∈N, b =
(bi)i∈N.
Beispiel
l2(R), Folgen (an) ∈ R, h(a, b) =∞∑n=0
anbn. Wir hatten gezeigt, l2(R) ist ein Vektorraum.
Bleibt zu zeige l2(R) ist vollständig.Angenommen (aj)j∈J ist eine Cauchy-Folge in l2(R). Jedoch ist eine reelle Folge (ak,j)k∈N.Für jedes k ∈ N gilt
(ak,l − a2k,m ≤ ‖al − am‖22)
Folglich ist für jedes k ∈ N die Folge (ak,j)j∈J eine Cauchy-Folge.Sei also bk = lim
j∈Jak,j. Sei ε > 0 geben, sei n0 ∈ N, so dass
‖al − an‖22 ≤ ε2 ∀l,m ≥ n0
⇒n∑k=0
|ak,l − an,m|2 < ε ∀l,m ≥ n0
Grenzumgebung⇒n∑k=0
|bkan,m|2 ≤ ε ∀l,m ≥ n0
dabei ist n beliebig.Nun lassen wir n→∞ laufen. Es folgt
∞∑k=0
|bk − ak,m|2 ≤ ε ∀m ≥ n0
Insbesondere ist also b = (bk)k∈N ∈ l2(R) und die Folge (aj)j∈J konvergent gegen b.
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9.23. Bemerkung
Nicht jede Norm kommt von einem inneren Produkt. Das kann man so sehen:‖u‖2 = h(u, u), so folgt:
h(u+ v, u+ v)︸ ︷︷ ︸‖u+v‖2
= h(u, u)︸ ︷︷ ︸‖u‖2
+h(v, v)︸ ︷︷ ︸‖v‖2
+2h(u, v)
=⇒ h(u, v) =1
2(‖u+ v‖2 − ‖u‖2 − ‖v‖2)
d.h. aus der Norm kann man h gewinnen.Aber wenn man rechts zum Beispiel die l1-Norm auf R2 einsetzt, so ist die linke Seitekeine Bilinearform.
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10. Stetigkeit
Wir übertragen den Stetigkeitsbegriff für reelle Funktionen auf metrische Räume.
10.1. Definition (Stetigkeit)
Seien (X, dx), (Y, dy) metrische Räume, f : X → Y eine Abbildung.Wir sagen f ist stetig im Punkt x ∈ X genau dann, falls für jede Folge (xj)j∈J in Xmit Grenzwert limj∈Jxj = 0 gilt
limj∈Jf(xj) = f(x) = f(limj∈Jxj)
„f vertauscht mit Grenzwertbildung“Wenn f in jedem Punkt x ∈ X stetig ist, dann heißt f stetig. Wir setzen
C(X, Y ) = {f : X → Y | f ist stetig}
10.2. Beispiele
1. X ⊆ R, Y = R mit Standartmetrik auf R.f : X → Y ⇔ ist stetige Funktion Stetigkeit im Sinne von Analysis I.
2. Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Vektorraum.‖ · ‖ : V → R ist stetig.lim j ∈ Juj = u‖u‖ = ‖u− uj + uj‖ ≤ ‖u− uj‖+ ‖uj‖‖uj‖ = ‖uj − u+ u‖ ≤ ‖uj − u‖+ ‖u‖−‖uj‖ = −‖uj − u+ u‖ ≥ −‖uj − u‖ − ‖u‖| ‖u‖ − ‖uj‖ | ≤ ‖u− uj‖︸ ︷︷ ︸
→0 nach V orraussetzung
3. Sei (X, d) ein metrischer Raum, p ∈ X, f(x) = d(p, x), f : X → R ist stetig.
13
KAPITEL 10. STETIGKEIT
10.3. Definition (Lipschitz-Stetigkeit)
Seien (X, dx), (Y, dy) metrische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heißt Lipschitz-Stetig wenn gilt:
∃L ≥ 0 : ∀u, v ∈ X : dx(f(u), f(u)) ≤ L · dx(u, v)
10.4. Satz
Seien X, Y, Z metrische Räume. Sei f : X → Y und g : Y → Z stetig. Dann ist g ◦ fstetig.
10.5. Beobachtung
Ist X metrischer Raum, so bildet C(X,R) = {f : X → R | f stetig} einen reellen Vektor-raum und einen Ring (eine reelle Algebra, vgl Beobachtung 4.3)
f, g ∈ C(X,R), v ∈ Rf + g : x 7→ f(x) + g(x)f · r : x 7→ f(x) · r
f · g : x 7→ f(x) · g(x)
sind stetig (10.1)
10.6. Satz (ε− δ-Kriterium der Stetigkeit)
Seien X, Y metrische Räume und f : X → Y eine Abbildung. Dann ist f stetig im Punktx ∈ X, wenn gilt
forallε > 0∃δ > 0, so dassdX(x, u) ≤ δ ⇒ dY (f(x), f(u)) ≤ ε
10.7. Beispiele
X = Y = R, f(x) = x2 ist stetig, aber nicht L-Stetig für ein L ≥ 0
|(x+ 1)2 − x2| = |2x+ 1| ≤ L(x+ 1− x) = L
1. X = Rn mit l1-, l2- oder l∞-Norm. Sei (t1, . . . , tn) ∈ Rn, sei f(v) =n∑k=1
fkvk, (f :
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X → R „Linearform“)
|f(u)− f(v)| =
∣∣∣∣∣n∑k=1
(uk − vk)tk
∣∣∣∣∣≤
n∑k=1
∣∣∣∣(uk − vk)...tk∣∣∣∣=
n∑k=1
|(uk − vk)| · |tk|
a) In der l2-Norm:
|f(u)− f(v)| ≤ ‖u− v‖2 ‖t‖2 (CSU)
b) In der l1-Norm:|f(u)− f(v)| ≤ ‖u− v‖1 ‖t‖∞
c) In der l∞-Norm|f(u)− f(v)| ≤ ‖u− v‖∞ ‖t‖1
In allen Normen ist f Lipschitzstetig.
2. X = C([a, b], ‖ · ‖∞), ϕ : X → R ϕ(f) =b∫a
f(x)dx
|ϕ(f)−ϕ(g)| = |∫ n
a
(f(x)−g(x))dx| ≤∫ b
a
|f(x)−g(x)|dx ≤b∫
a
‖f−g‖∞dx = ‖f−g‖∞·(b−a)
=⇒ also ist ϕ eine (b− a)-L-stetige Abbildung.
3. X = Y = C([a, b],R) mit der ‖ · ‖∞-Norm.ψ(f) := x 7→
∫ xaf(t)dt
|ψ(f)(x)− ψ(g)(x)| =∣∣∣∣∫ x
a
f(t)− g(t)dt∣∣∣∣ ≤ (x− a)‖f − g‖∞
‖ψ(f)− ψ(g)‖∞ ≤ (b− a)‖f − g_∞
Also sind auch diese Abbildungen (b− a)-L-Stetig.Beachte: f und ψ sind lineare Abbildungen!
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KAPITEL 10. STETIGKEIT
10.8. Satz
Es seien (V, ‖ · ‖V ) und (W, ‖ · ‖W ) normierte Vektorräume. Sei f : V → W linear. Dannsind äquivalent:
i) f ist stetig.
ii) f ist L-Lipschitzstetig für ein L ≥ 0
iii) Es gibt L ≥ 0, so dass für alle v ∈ V gilt ‖f(v)‖W ≤ L · ‖v‖V
10.9. Satz und Definition
Sei f : V → W stetige lineare Abbildung zwischen zwei normierten Vektorräumen.Definiere ‖f‖ := sup{‖f(v)‖W | v ∈ V, ‖v‖ ≤ 1} (Nach Satz (10.8) wohldefiniert,denn falls ‖v‖ ≤ 1⇒ ‖f(v)‖ ≤ L ‖v‖ ≤ L) heißt Operatornorm.Dann gilt ∀v ∈ V : ‖f(v)‖W ≤ ‖f‖ · ‖v‖V .
L(V,W ) = {f : V → W | f : V → W linear und stetig}Operatornorm ‖f‖ = sup {‖f(w)‖W | v ∈ V, ‖v‖V 6= 1}
Beispiel
V = Rn, W = R, f(v) =n∑i=1
tivi
L(Rn,R) ∼= Rn.Wie sieht die Operatornorm aus?
(Rn, ‖ · ‖1), ‖f‖ = sup
{∣∣∣∣ n∑i=1
tivi
∣∣∣∣ ∣∣∣∣ ‖v1‖+ . . .+ ‖vn‖ ≤ n
}= ‖t‖∞, dann
∣∣∣∣ n∑i=1
tivi
∣∣∣∣ ≤n∑i=1
|tivi| ≤ ‖t‖∞ · ‖vi‖1 ⇒ ‖f‖ ≤ ‖t‖∞.
Andere Abschätzung: Sei |t1| = ‖t‖∞, v = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0) |f(v)| = |t1| = ‖t‖∞ und ‖V ‖1 = 1 ⇒ ‖f‖ ≥ ‖f‖∞, also ‖f‖ = ‖t‖∞.(Rn, ‖ · ‖∞) Operatornorm von f ist ‖f‖ = ‖t‖1.(Rn, ‖ · ‖1) Operatornorm von f ist ‖f‖ = ‖t‖2.
10.10. Satz
Seien (V, ‖ · ‖V ) und (W, ‖ · ‖W ) normierte Räume. Wenn W vollständig ist, dann istL(V,W ) vollständig bzgl. der Operatornorm.
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10.11. Korollar (Spezialfall W = R)
Der Raum L(V,R) der stetigen Linearformen auf V (stetiger Dualraum von V ) ist immervollständig, wenn V ein normierter Vektorraum ist.
10.12. Beispiel
Eine unvollständige lineare Abbildung, V = {f : [0, 1]→ R | f ist Polynomfunktion} mit‖ · ‖∞-Norm. Betrachte D : V → D, f 7→ f ′. Diese Abbildung ist linear und unstetig.Betrachte fn(x) = xn ‖f‖∞ = 1. D(f) = f ′ = n · xn−1n · fn−1.‖D(fn)‖∞ = n. Also kann es kein L ≥ 0 geben mit ‖D(fn)‖∞ ≤ L ‖fn‖∞ = L → D istunstetig bzgl. ‖ · ‖∞-Norm.
10.13. Drei Lammata
Lemma A
Sei (V, ‖ · ‖V ) normierter Vektorraum, sei f : Rn → C linear. Dann ist f stetig bzgl. der‖ · ‖1-Norm auf Rn.
Lemma B
Sei ‖ · ‖ eine beliebige Norm auf Rn. Dann gibt es r > 0, so dass gilt: für alle v ∈ Rn mit‖v‖1 = 1 gilt ‖v‖ ≥ r.
Lemma C
Sei ‖ · ‖ eine beliebige Norm auf Rn. Dann ist (Rn, ‖ · ‖) id−→ (Rn, ‖ · ‖1) stetig.
10.14. Theorem („Hauptsatz über endlichdimensionalenormierte Räume“)
Seien (V, ‖ · ‖V ) und (W, ‖ · ‖W ) zwei normierte Vektorräume. Sei f : V → W linear. FallsV endliche Dimension hat, dann ist f automatisch stetig.Insbesondere sind alle linearen Abbildungen zwischen endlich dimensionalen normiertenVektorräumen stetig.
geTEXt: Julia Wolters 17
KAPITEL 10. STETIGKEIT
10.15. Definition und Satz
Sei V ein Vektorraummit zwei Normen ‖·‖a und ‖·‖b. Die Normen heißen äquivalent ,wenn es Konstruktoren r, s > 0 gibt, so dass für alle v ∈ V gilt
‖v‖a ≤ ‖v‖b · r und ‖v‖b ≤ ‖v‖a · s
Beispiel
Wir haben im BSP (9.20) in Rn gezeigt,
‖u‖1 ≥ ‖u‖2 ≥ ‖u‖∞ ≥1
n‖u‖1
Diese drei Normen auf Rn sind paarweise äquivalent.
Satz
Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum. Dann sind alle Normen auf V äquivalent.
Folgerung
Alle Normen auf Rn liefern den gleichen Konvergenzbegriff, die gleichen Cauchy-Folgenetc. Insbesondere ist jeder endlicher dimensionaler Vektorraum vollständig, d.h. ein Ba-nachraum ist.
10.16. Definition
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Wenn jede Folge in X eine konvergente Teilfolgehat, so heißt X konvergent (oder: X hat die Bolzano-Weierstraß-Eigenschaft).
Beispiel
• Sei X = [a, b] ⊆ R, d(u, v) = |u− v|. Nach 2.21 ist also [a, b] kompakt.
• X = [0, 1] ∩ Q, d(u, v) = |u − v|. Ist nicht kompakt. Z.B. giibt es eine Folge in X,
die gegen1√2konvergiert und
1√2/∈ X
• X = R, d(u, v) = |u − v| ist nicht kompakt. Z.B. (xn)n∈N, xn = n. Jede Teilfolge(xj)j∈J ist unbeschränkt, denn jede unendliche Teilmenge J ⊆ N ist unbeschränkt.Also kann keine Teilfolge dieser Folgen konvergieren.
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10.17. Satz
Sei (X, d) metrischer Raum, sei A ⊆ X Teilmenge. Wenn (A, d) kompakt ist, dann istA abgeschlossen in X und vollständig. Insbesondere ist jeder kompakt metrische Raumvollständig.
10.18. Satz
SeienX, Y metrische Räume, sei f : X → Y stetig. Wenn A ⊆ X eine kompakte Teilmengtist, dann ist f(A) komapakt
„Stetige Bilder kompakter Mengen sind kompakt“
10.19. Satz (Bolzano-Weierstraß in mehrerenVariablen)
Sei V ein endlich dimensionaler normierter Vektorraum. Dann ist A ⊆ V kompakt, genaudann wenn A abgeschlossen in V ist und beschränkt (A ist beschränkt, falls es R > 0 gibt,mit BR(0) ⊇ A).1
10.20. Korollar
Sei (X, d) metrischer Raum, A ⊆ X sei kompakt, f : X → R sei stetig. Dann nimmt fauf A ein Minimum und ein Maximum an, dh. es gibt a, b ∈ A, so dass für alle c ∈ A giltf(a) ≤ f(c) ≤ f(b).
Beispiele für kompakte Mengen in Rn
Die (n− 1)-Späre
$n−1 = {x ∈ Rn | ‖x‖2 = 1}$0 = {±1} ⊆ R$1 = {(x, y) | x2 + y2 = 1}$2 = {(x, y, z) | x2 + y2 + z2 = 1}
Die Sphären $n sind alle kompakt, weil abgeschlossen und beschränkt im Rm+1.
1 Umformulierung: Sei V eindlich dimensionaler Vektorraum. Dann ist A ⊆ V genau dann kompakt,wenn A abgeschlossen und beschränkt.
geTEXt: Julia Wolters 19
KAPITEL 10. STETIGKEIT
Dn = {x ∈ Rn | ‖x‖2 ≤ 1} n-dimensionale „Vollkugel“ (n-Ball oder n-Scheibe)allgemeiner: v ∈ Rn, r > 0.
Br(v) = {w ∈ Rn | ‖v − w‖2 ≤ r}
Vollkugel vom Radius r mit Mittelpunkt v.
Sind das ebenfalls kompakte Mengen?Der n-Würfel In = {x ∈ Rn | 0 ≤ xi ≤ 1, i = 1, . . . , n} ist ebenfalls kompakt.Nicht kompakt in Rn: z.B. ist jeder Untervektorraum V ⊆ Rn mit v 6= {0} nicht kompakt.Denn: wähle v ∈ V , v 6= 0, die Menge {v, 2v, 3v, . . .} ist unbeschränkt.
Fazit:
• lineare Abbildungen zwischen endlich dimensionalen normierten Vektorräumen sindimmer stetig.• stetige lineare Abbildungen sind sogar Lipschitz-stetig.• Auf Rn sind alle Normen äquivalent, alle liefern den gleichen Konvergenzbegriff.• abschlossen und beschränkte Mengen im Rn haben die Bolzano-Weierstraß-Eigenschaft.
Im unendlich Dimensionalen gilt dies nicht.
10.21. Definition und Satz
Sei X eine Menge, f : X → X. Ein Punkt x ∈ X heißt Fixpunkt von f , wenn giltf(x) = x.
Viele Gleichungen lassen sich als Fixpunktgleichungen umschreiben. Man interessiert sichdann für die Existenz, Eindeutigkeit und die Berechnung von Fixpunkten.
Beispiel (Brouwers-Fixpunktsatz)
Ist f : Dm → Dm stetig, dann hat f mindestens einen Fixpunkt.Spezialfall m = 1: f : [−1, 1] → [−1, 1]. Zwischenwertsatz liefert einen Punkt x ∈ [−1, 1]mit f(x)x.
Beispiel
X = R
• f(x) = x2, zwei Fixpunkte: 0,1• g(x) = x+ 1 hat keinen Fixpunkt
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Satz (Banachs Fixpunktsatz)
Sei (X, d) vollständiger metrischer Raum, sei f : X → X Lipschitz-Stetig mit L < 1 (dh.für alle u, v ∈ X gilt d(f(u), f(v)) ≤ L · d(u, v)). Dann hat f genau einen Fixpunkt.
Bemerkung
Der Beweis liefert einen Algorithmus, den Fixpunkt näherungsweise zu berechnen, mitKontrolle über den Fehler. Wähle x0 ∈ X, iteriere f(xn) = xn+1. Diese Folge konvergiertgegen den Fixpunkt x und es gilt d(xn, x) ≤ Ln ·R 1
1−L . Dabei ist L die Lipschitz-Konstanteund R = d(x0, f(x0)).
(Gegen-)Beispiele:
X = R
• f(x) = x2 ist nicht Lipschitz-stetig.• g(x) = x+ 1 ist 1-Lipschitz-stetig
|g(u)− g(v)| = |(u+ 1)− (v + 1)| = |u− v|,
aber nicht L-Lipschitz-stetig für ein L < 1
geTEXt: Julia Wolters 21
11. Offene Mengen und Kurven
Ein offenes Intervall (a, b) ⊆ R hat folgende Eigenschaft: für jedes x ∈ (a, b) gibt es einε > 0, so dass (x− ε, x+ ε) ⊆ (a, b).
11.1. Definition
Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Menge U ⊆ X heißt offen in X, wenn folgendes gilt:
∀x ∈ U∃ε > 0 : Bε(x) = {y ∈ X | d(x, y) < ε} ⊆ U
Bemerkung
• Die leere Menge ist offen (in X)!• X ist offen in X.• Es gibt die Menge, die in X sowohl offen, als auch abgeschlossen sind (so genannte
„abgeschloffene Mengen“)• Es gibt Mengen in X, die weder offen noch abgeschlossen sind! z.B. Q ⊆ R ist nicht
offen oder abgeschlossen.
11.2. Satz über offene und abgeschlossene Mengen
Sei X metrischer Raum, sei U ⊆ X Teilmenge. Dann sind äquivalent
(i) U ⊆ X ist offen in X
(ii) X \ U = {x ∈ X | x /∈ U} ist abgeschlossen in X.
11.3. Beispiel
• Q ⊆ R ist weder abgeschlossen noch offen.• (X, d) metrischer Raum. Dann sind die Teilmengen ∅, X offen in X.• Br(x) = {y ∈ X | d(x, y) < r} ist stets offen in X.• X = [0, 1] ∪ [2, 3]. X ist abgeschlossen in R.A = [0, 1] ⊆ X und U = x \ A = [2, 3] sind abgeschlossen in R und in X.Folgerung: In X sind A und U abgeschloffen.Vorsicht: [2, 3] ist offen in X = [0, 1] ∪ [2, 3], aber nicht in R.
23
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
11.4. Satz
Sei (X, d) metrischer Raum. Dann sind beliebige Vereinigungen und endliche Durchschnit-te von offenen Mengen in X wieder offen in X.
11.5. Satz
Seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Räume und sei f : X → Y eine Abbildung. Dannsind äquivalent:
i) f ist stetig.
ii) Für jede abgeschlossene Menge A ⊆ Y ist f−1(A) ⊆ X abgeschlossen.
iii) Für jede offene Menge U ⊆ Y ist f−1(U) ⊆ X offen.
11.6. Definition und Satz
Sei (X, d) ein metrischer Raum, sei Z ⊆ X beliebige Teilmenge. Der Abschluss vonZ in X ist
Z =⋂{A ⊆ X | A abgeschlossen in X und A ⊇ Z}
Diese Menge Z enthält Z, Z ⊇ Z und ist nach (9.12) abgeschlossen in X.Ist A ⊆ X abgeschlossene Menge und gilt Z ⊆ A, so folgt Z ⊆ A, dh. Z ist die kleinsteabgeschlossene Menge in X, die Z enthält.
Beispiele
• ∅ = ∅, X = X, allgemein: wenn A ⊆ X abgeschlossen ist, dann gilt A = A.• X = R, Z = Q Z = Q = R (weil jede reelle Zahl Grenzwert einer Folge in Q
ist).
• X = R, Z = (0, 1)ÜA Z = [0, 1].
Satz
Der Abschluss von Z in X besteht genau aus allen Grenzwerten von Folgen in Z, die (inX) konvergieren.
24 geTEXt: Julia Wolters
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11.7. Satz
Seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Räume, f : X → Y eine Abbildung. Dann sindäquivalent:
(i) f ist stetig.
(ii) Für jede Teilmenge S ⊆ X gilt f(S) ⊆ f(S)
11.8. Definition
Eine Teilmente I ⊆ R heißt offenes Intervall , wenn sie von der Form
I = (a, b) = {x ∈ R | a < x < b}I = (a,∞) = {x ∈ R | a < x}I = (−∞, a) = {x ∈ R | x < a}I = (−∞,∞) = R
ist. In den letzten beiden Fällen spricht man manchmal von „unendlihen Intervallen“.Wenn I von der Form
I = [a, b] = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}I = [a,∞) = {x ∈ R | a ≤ x}I = (−∞, a] = {x ∈ R | x ≤ a}I = (−∞,∞) = R
ist, heißt I abgeschlossenes IntervallOffene / abgeschlossene Intervalle sind offen / abgeschlossen in R im Sinn der Defini-tion aus Kapitel 9 und 11.
Sei X ein metrischer Raum. Eine (stetige) Kurve in X ist eine stetige Abbildungc : I → X, wobei I ⊆ R ein offenes oder abgeschlossenes Intervall ist.
Beispiel
a) I = R, c : I → R stetige reelle Funktion.
b) X = V normierter Vektorraum, z.B. X = R2 mit ‖ · ‖2-Norm. Seien u, v ∈ V . c(t) =v · t+ u(1− t), t ∈ I = R, c(0) = u, c(1) = v.c(t) liegt auf der affinen Geraden durch u und v.
geTEXt: Julia Wolters 25
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
v
u
c(t)
-
6@@@@@@
Abbildung 11.1.: Beispiel
c) f : I → R stetige Abbildung, c(t) = (t, f(t)) ∈ R2 = X.Anschauliche Vorstellung: ein Punkt wandert - abhängig von der Zeit t - duch denRaum X zum Zeitpunkt t befindet der Punkt sich bei c(t) ∈ X.Was ist die „normierte Geschwindigkeit“ von c?Idee: t0 ∈ I fester Zeitpunkt. Vergeleicht c(t0+h)mit c(t0) für h klein. Wir interessierenuns für
1
h(c(t0 + h)− c(t0))
betrachte Übergang h→ 0. Damit diese Formel sinnvoll wird, nehmen wir an, dass Xein normierter Vektorraum ist.
11.9. Definition
Sei V ein normierter Vektorraum, sei I ⊆ R offenes Intervall, sei c : I → V eineKurve. Sei t0 ∈ I. Wir sagen c ist differenzierbar in t = t0 wenn gilt: es gibt einestetige Funktion p : (−ε, ε)→ V mit
p(h) =1
h(c(t0 + h)− c(t0)) ∀h 6= 0
Dabei ist ε > 0 so gewällt, dass (t0 − ε, t0 + ε) ⊆ I.Die Ableitung oder Geschwindigkeitsvektor in t0 ist dann
p(0) = „ limh→0
1
h(c(t0 + h) − c(t0))“. Diese Schreibweise bedeutet: für jede Nullfolge
(hj)j∈J , hj 6= 0, gilt limj∈J
1hj
(c(t0 + hj)− c(t0)) = p(0). Man sieht dann ◦c(t0) = p(0) =
limh→0
1h(c(t0 + h)− c(t0)). Das ist wieder ein Vektor, ◦c(t0) ∈ V , der Geschwindigkeits-
vektor oder Tangentialvektor der Kurve c zum Zeitpunkt t0.Wenn c in jedem t0 ∈ I differentierbar ist, heißt c differenzierbare Kurve. Wenn dieKurve ◦c : t 7→ ◦
c(t) stetig ist, heißt c stetig differenzierbare Kurve oder C1-Kurve.
26 geTEXt: Julia Wolters
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Beispiel
Wie vorher u, v ∈ V , c(t) = v · t+ u · (1− t). c(t0 + h)− c(t0) = v · (��t0 + h−��t0) + u(�1−��t0 − h− �1 +��t0) = (v − u) · h p(h) = v − u = const ist stetig in h = 0. Diese Kurve istC1-Kurve, ◦c(t0) = v − u für alle t0 ∈ I. Die Geschwindkeit ist konstant.
11.10. Satz
Ist V = Rn (mit beliebiger Norm), c : I → Rn Kurve, c(t) = (c1(t, c2(t), . . . , cn(t)), dannist c differenzierbar1 in t0 genau dann, wenn die n reellen Funktionen c1, . . . , cn es sind.Für die Geschwindkeit gilt dann
◦c(t0) = (c′1(t0), . . . , c
′n(t0))
Beispiel
V = R3, I = R, c(t) = (cos(t), sin(t), t). Geschwindigkeit
Geschwindigkeit :◦c(t) = (− sin(t), cos(t), 1)
ZweiteAbleitung :◦◦c = (− cos(t),− sin(t), 0)
Die zweite Ableitung einer (zweimal differenzierbaren) Kurve ist die Beschleunigung (mo-mentane Änderung der Geschwindigkeit).2
11.11. Rechenregeln für Kurven und ihre Ableitungen
(i) Sind c, d : I → V differenzierbare Kurven, so ist c+d : t 7→ c(t)+d(t) differenzierbar
mit◦
c+ d =◦c+
◦d.
(ii) Sind c : I → V differenzierbare Kurve, f : I → R differenzierbare Funktion, so ist
c · f : t 7→ c(t) · f(t) differenzierbar und◦
c · f =◦cf + cf ′
(iii) Sind I1, I2 offene Intervalle, f : I1 → I2 differenzierbare Funktion, c : I → V
differenzierbare Kurve, so ist c◦f : t 7→ c(f(t)) differenzierbar und◦
c ◦ f = (◦c◦f)+f ′.
Beachte den Unterschied zwischen (ii) und (iii).
(iv) Ist c : I → V differenzierbare Kurve, f : V → W linear und stetig, so ist f ◦ c :
t 7→ f(c(t)) differenzierbar mit◦
c ◦ f = f ◦ ◦c.1 oft auch nur diff’bar2 Die Größe von
◦◦c ist ein Maß der Krümmung der Kurve. Genauer der Anteil von
◦◦c senkrecht zu
◦c ist
die Krümmung.
geTEXt: Julia Wolters 27
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
11.12. Definition
Ist c : [a, b] → C stetige Kurve und sei c auf (a, b) differenzierbar. Wir sagen, c istauf [a, b] differenzierbar, wenn es ε > 0 gibt und wenn sich c auf das offene Intervall(a− ε, b+ ε) differenzierbar fortsetzen lässt.
11.13. Definition
Sei c : [a, b]→ V stetig differenzierbar. Die Länge der Kurve c ist
L(c) =
b∫a
∥∥∥◦c(t)∥∥∥ dt
„Physikalische Interpretation“
Wir integrieren die Geschwindigkeit über dem Zeitraum der Bewegung auf und erhaltenso die zurückgelegte Strecke.
Beispiel
u, v ∈ V fest gewählt, c(t) = v(1− t) + u(t), ◦c(t) = u− v1∫
0
∥∥∥◦c(t)∥∥∥ dt = 1∫0
‖u− v‖ dt = ‖u− v‖
Das ist genau der Abstand von u und v.
Satz (Umprarametrisierung von Kurven)
Sei c : [a, b] → V stetig differenzierbare Kurve. Sei f : [a, b] → [a, b] bijektiv, monotonsteigend und stetig differenzierbar.
L(c) = L(c ◦ f)
Erinnerung an die Analysis 1
f : (a, b)→ R differenzierbar in t ∈ (a, b).Bedeutet: es gibt eine stetige Funktion p : (−ε, ε)→ R mit
p(h) = (f(t+ h)− f(t)) 1h
(11.1)
28 geTEXt: Julia Wolters
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Für h = 0 und p(0) liefert genau die Ableitung f ′(t) = p(0) = limh→0
(f(t+ h)− f(t)) 1h.
Wir schreiben (11.1) um: p(h) · h = f(t+ h)− f(t)
(p(h)− p(0)) · h+ f ′(t)h = f(t+ h)− f(t)λ(h) · |h|+ f ′(t)h = f(t+ h)− f(t)
λ(h) =
{p(h)− p(0) falls h ≥ 0 λ(0) = 0 und−(p(h)− p(0)) falls h < 0 λ ist stetig auf (−ε, ε)
11.14. Definition
Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Vektorraum und sei U ⊆ V offen. Sei f : U → R stetig.Sei u ∈ U . Wähle ε > 0 so, dass Bε ⊆ U . Wir sagen, f ist differenzierbar in u, wenngilt:
f(t+ h)− f(t) = λ(h) · ‖h‖+ g(h)
Dabei soll g : V → R linear und stetig sein, λ : Bε(0)→ R sei stetig und λ(0) = 0.
Interpretation der Gleichung
g ist lineare Approximation für die Differenz f(t+ h)− f(t).
Lemma
Die Bedingungen liegen die lineare Abbildung g eindeutig fest.Wir schreiben
g = df(u) : V → R
und nennen df(u) die Ableitung oder das Differential von f im Punkt u.
Erinnerung
L(V,R) = {g : V → R | g linear und stetig } ist der Dualraum von V , L(V,R) = V ∗.Also ist df(u) ein Element von V ∗.Wenn f in jedem Punkt u ∈ U differenzierbar ist, heißt f differenzierbar auf U . Dannist u 7→ df(u) eine Abbildung U → V ∗. Falls diese Abbildung stetig ist, heißt f stetigdifferenzierbar auf U .
Erinnerung
Die Norm auf V ∗ ist die Operatornorm ‖df(u)‖ = sup {|df(u)(v)| | v ∈ V, ‖v‖ ≤ 1}. Esgilt |df(u)(v)| ≤ ‖df(u)‖ · ‖v‖.
geTEXt: Julia Wolters 29
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
Beispiel
V = R, U = (a, b) offenes Intervall, f : (a, b) → R, t ∈ (a, b) Ableitung f ′(t) ist relleZahl. Die zugehörige lineare Abbildung ist
df(t)(v) = f ′(t) · v, v ∈ R
d.h. df(t) = [v 7→ f ′(t)v].
11.15. Satz
Sei V normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, sei f : U → R (stetig) differenzierbar. Seic : (a, b)→ U ⊆ V eine (stetig) differenzierbare Kurve. Dann ist f ◦ c : (a, b)→ R (stetig)differenzierbar und (f ◦ c)′(t) = df(c(t))(
◦c(t)).
11.16. Wichtige Spezialfälle dieser Rechnung
c(t) = u+ v · t, u ∈ U ⊆ V , v ∈ V , ◦c(0) = vIst f : U → R (stetig) differenzierbar, ergibt sich
(f ◦ c)′(0) = df(u)(v) = Dvf(u) Richtungsableitung
von f in Richtung v (am Punkt u ∈ U).
Dvf(u) = limt→∞
f(u+ vt)− f(u)t
Noch spezieller: V = Rn mit Standard-Basis e1, . . . , en, ek = (0, . . . , 0, 1k−te Stelle
, 0, . . . 0)
df(u)(ek) = Dekf(u) =∂f
∂xk(u) k−te partielle Ableitung von f = lim
t→0
f(u+ ekt)− f(u)t
11.17. Beispiel
V = U = R3, u = (u1, u2, u3), f(u) = u21 − u1u2 + u23
f(u+ h)− f(u) = (u1 + h1)2 − u21 − (u1 + h1)(u2 + h2) + u1u2 + (u3 + h3)
2 − u23= 2u1h1 + h21 − u2h1 − u1h2 − h1h2 + 2u3 + h23= 2u1h1 − u2h1 − u1h2 + 2u3h1︸ ︷︷ ︸
df(u)(h)
+ h21 − h1h2 + h23︸ ︷︷ ︸λ(h)·‖h‖
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Problem mit dem hinteren Term!Wenn das richtig ist, erhalten wir
∂f
∂x1(u) = 2u1 − u2
∂f
∂x2(u) = −u1
∂f
∂x3(u) = 2u3
11.18. Satz
Sei V ein normierter Vektorraum, sei U ⊆ V offen. Sei
C1(U,R) = {f : U → R | f ist stetig differenzierbar }
Dann ist C1(U,R) ein Vektorraum und Ring.Dabei gilt für f, g ∈ C1(U,R) und r ∈ R
d(f + g)(u) = df(u) + dg(u)
d(r · f)(u) = r · df(u)d(f · g)(u) = f(u) · dg(u) + g(u) · df(u)
11.19. Definition und Lemma
Ist V ein normierter Vektorraum, α : V → R linear un dstetig. Dann ist α stetigdifferenzierbar mit
dα(u)(v) = α(v) ∀u, v ∈ V
Im Rn = V stetze xk(u) = uk, u = (u1, . . . , un) ∈ Rn für k = 1, . . . , n. Damit istxk : Rn → R linear. Man nennt die xk „Koordinatenfunktion“. Ihre Differentiale sindalso die Ableitungen
dxk(u)(v) = vk v = (v1, . . . , vn)
Lemma
Ist U ⊆ Rn offen, f ∈ C1(U,R), so gilt
df(u) =∂f
∂x1(u)dx1 +
∂f
∂x2(u)dx2 + · · ·+
∂f
∂xn(u)dxn
geTEXt: Julia Wolters 31
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
Beispiel
Jetzt rechnen wir Beispiel (11.17) nochmal. f : Rn → R; f(u) = f(u1, u2, u3) = u21 −u1u2 + u23
f(u) = x1(u)2 − x1(u)x2(u) + x3(u)
2
=⇒ df(u) = 2x1(u)dx1 − x1(u)dx2 − x2(u)dx2 + 2x3(u)dx3
= 2u1dx1 − u1dx2 − u2dx1 + 2u3dx3
Weiter folgt aus dem Lemma:
∂f
∂x1(u) = 2u1 − u2
∂f
∂x2(u) = −u1
∂f
∂xn(u) = 2u3
11.20. Definition (Gradient einer reellen Funktion)
Ist U ⊆ Rn offen und f : U → R (stetig) differenzierbar, so heißt der Vektor
∇f(u) = (∂f
∂x1)(u), . . . ,
∂f
∂xn(u))
der Gradient von f in U .
Zum Beispiel f(u) = u21 − u1u2 + u23
∇f(n) = (2u1 − u2,−u1, 2u3)
Erinnerung
Auf Rn ist 〈u, v〉 = u1v1 + . . . unvn, u, v ∈ Rn das Standardskalarprodukt .Damit gilt:
df(u)(v) = < ∇f, v >
df(u)(v) =∂f
∂x1(u) dx1(v)︸ ︷︷ ︸
=v1
+ · · ·+ ∂f
∂xn(u) dxn(v)︸ ︷︷ ︸
vn
= 〈∇f(u), v〉
32 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
-5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5
-3
-2
-1
1
2
3
Abbildung 11.2.: Die Niveaulinen
Beispiel
V = U = R2 f(u1, u2) = cos(u21 + u22) Die Kettenregel gilt (nächstes Kapitel). U ⊆ Voffen, f : U → R differenzierbar.Ist nun g : R→ R auch differenzierbar, so gilt
d(g ◦ f)(u) = g′f((u))df(u)
Für f(u1, u2) = cos(u21, u22) erhalten wir
df(u1, u2) = − sin(u21 + u22)(2u1dx1 + 2u2dx2
11.21. Theorem
Sei U ⊆ Rn offen, f : U → R stetig. Dann sind folgende Bedingungen äquivalent:
(i) f ist stetig differenzierbar.
(ii) ∀u ∈ U∃ ∂f∂xk
(u) := lim t→ 0f(u+ek·t)−f(u)t
k = 1, . . . , n und diese n Funktionen∂f
∂xksind stetig auf U .
Wenn (i) oder (ii) gilt, ist df(u) =n∑k=1
∂f
∂xk(u)dxk
11.22. Definition
geTEXt: Julia Wolters 33
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
Sei X ein metrischer Raum, f : X → R eine reelle Funktion. Wir sagen, f hat einMaximum (bzw. Minimum), im Punkt x ∈ X, falls f(y) ≤ f(x) (bzw f(y) ≥ f(x))∀y ∈ X gilt.Ist f(y) < f(x) (bzw f(y) > f(x)) ∀y 6= x, so hatf in x ein striktes Maximum (bzw.Minimum).Wenn f in x ein Maximum (bzw. Minimum) auf Bε(x) hat, für ε > 0, so spricht manvon einem lokalen Maximum (bzw. Minimum).
11.23. Satz
Sei V ein normierter Vektorraum, U ⊆ V offen und f : U → R stetig differenzierbar.Wenn f in u ein (lokales) Extremum hat, dann gilt df(u) = 0.
11.24. Beispiele
a) U = V = R2, f(u1, u2) = u21 + u22Partielle Ableitungen:
∂f
∂x1(u) = 2u1
∂f
∂x2(u) = 2u2
df(u) = 2u1dx12u2dx2
df(u) = 0 ⇔ u1 = u2
f ∈ C1
b) U = V = R2, f(u1, u2) = cos(u21 + u22) (Abbildungen 11.2)
34 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
∂f
∂x1(u) = − sin(u21 + u22)2u1
∂f
∂x2(u) = − sin(u21 + u22)2u2
df(u) = −2 · sin(u21 + u22)(u1dx1 + u2dx2)
df(u) = 0 ⇔ u21 + u22 = k · π, k ∈ Z
Diese Punkte bilden konzentrische Kreise um (0, 0) mit Radius r =√kπ, k ∈ N
Ein Punkt u ∈ U heißt kritischer Punkt der differenzierbaren Funktion f , falls giltdf(u) = 0.
c) U = V = R2, f(u1, u2) = u21 − u22
df(u) = 2u1dx1 − 2u2dx2
kritischer Punkt in (0, 0)
f(0, 0) = 0
f(ε, 0) = ε2 > 0
f(0, ε) = −ε2 < 0
f hat in (0, 0) kein lokales Extremum.
Fazit
Kritische Punkte sind Kandidaten für lokale Extrema.Aus df(u) = 0 folgt noch nicht, dass ein Extremum vorliegt.
geTEXt: Julia Wolters 35
KAPITEL 11. OFFENE MENGEN UND KURVEN
Erinnerung an Analysis I
f′(t) = 0 ∧ f ′′
(t) < 0⇒ lokales Maximum liegt vor.Wenn wir das verallgemeinern wollen auf Funktionen f : U → R müssen wir vektorwertigeFunktionen ableiten können, wie zum Beispiel
df : U → L(V,R)
Was bedeutet dann aber „f ′′ > 0“ oder „f ′′ < 0“?
36 geTEXt: Julia Wolters
12. Differentialgleichung inVektorräumen
12.1. Definition
Seien V,W normierte Vektorräume, U ⊆ V offen, f : U → W stetig. Sei u ∈ U .f heißt differenzierbar in U , falls ex ε > 0 gibt mit Bε(u) = U und eine stetigeAbbildung λ : Bε(0) → w mit λ(0) = 0 und stetige lineare Abbildung g : V → Wgibt, so dass für alle h ∈ Bε ⊆ V gilt:
f(u+ h)− f(u) = g(h)︸︷︷︸linear Approx.
+ λ(h) ‖h‖︸ ︷︷ ︸„Fehler“
g ist hierdurch eindeutig bestimmt. g = Df(u). Falls f in jedem u ∈ U differenzierbaristm so heißt f differenzierbar. Das liefert die Abbildung
Df : U → L(V,W )
L(V,W ) ist normiert (Operatornorm). Falls Df stetig ist, so heißt f stetig differen-zierbar .
12.2. Einordnung
1. f : (a, b)→ R differenzierbart ∈ (a, b)⇒ f ′(t) ∈ R; Df : (a, b)→ L(R,R) = RDf(t)(x) = f ′(t) · x
2. c : (a, b)→ W Kurvet ∈ (a, b), ◦c(t) ∈ W , W = RDc : (a, b)→ L(R,W ) = W
Dc(t) : R→ W , x 7→ x · ◦c(t)
3. U ⊆ V offen, f : U → R = WDifferential df(u) : V → R linearDf(u) = df(u)
37
KAPITEL 12. DIFFERENTIALGLEICHUNG IN VEKTORRÄUMEN
12.3. Beispiel
Sei f : V → W linear und stetig. ⇒ für alle u ∈ V ist Df(u) = f .
12.4. Beispiel
V = W = C([0, 1],R) mit ‖ · ‖∞(u ∈ V, ‖u‖∞ = sup{|u(t)| : t ∈ [0, 1]}), f : V → V ,f(u) = u2, f(u)(t) = u(t) · u(t), ∀t ∈ [0, 1]stetig, denn ‖u2‖∞ = ‖u‖2∞f(u+ h)− f(u) = (u+ h)2 − u2 = 2uh+ h2.
Sezte λ(h) ={h2 · 1
‖h‖∞, h 6= 0
0, sonststetig.
ZZ : λ(h)→ 0 für h→ 0.
‖λ(h)‖∞ =
∥∥∥∥ h2
‖h‖∞
∥∥∥∥∞
= ‖h‖∞ X
Daher f(u+ h)− f(u) = 2uh+ h2 = 2uhg(h) linear
+ λ(h) ‖h‖∞⇒ Df(u) = V → V ; h 7→ 2u.
12.5. Satz
Seien V,W normierte Vektorräume. U ⊆ V offen. Falls f, g : U → W differenzierbar inu ∈ U und r ∈ R, so sind auch (f + g) und (rf) differenzierbar mit
D(f + g)(u) = Df(u) +Dg(u)
D(rf)(u) = rDf(u)
Daher ist C1(U,W ) = {f : U → W | f stetig differenzierbar} ein Vektorraum,
12.6. Satz
Ist U ⊆ Rn offen, f : U → Rm stetig. Schreibe f(u1, . . . , un) = (f1(u1, . . . , un), . . . , fn(u1, . . . , un)).Die Funktion f ist stetig dfiferenzierbar genaz dann, wenn alle Funktionen fk : U → R essind.
12.7. Korollar
Ist U ⊆ Rn offen, f : U → Rm stetig, so ist f genau dann stetig differenzierbar, wenn dieAbleitungen
∂fk∂xl
(u) = limt→0
fk(u+ elt)− fk(u)t
38 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
existieren und stetige Funktionen∂fk∂xl
bilden, 1 ≤ k ≤ m, 1 ≤ l ≤ n.
12.8. Kettenregel
Seien X, Y, Z normierte Vektorräume. Sei U ⊆ X offen, V ⊆ Y offen und seien f : U → Vund g : V → Z (stetig) differenzierbar. Dann ist g ◦ f : U → Z (stetig) differenzierbarund es gilt D(g ◦ f)(u) = (Dg)(f(u)) ◦Df(u).
12.9. Höhere Ableitungen
Ist U ⊆ V offen, V,W normierte Vektorräume, f : U → W eine stetige differenzierbareAbbildung. Df : U → L(V,W ); u 7→ Df(u).Ist diese Abbildung ihrerseits wieder differenzierbar, so erhalten wir in u ∈ U D(Df)(u) ∈L(V,L(V,W )). Für v, v′ ∈ V erhalten wir einen Vektor w ∈ W
D(Df)(u)(v)(v′) = w
Man schreibt D(Df) =: D2f , D(D(Df)) =: D3f , . . .Das sind Abbildungen von U nach L(V,L(V,W )), L(L(V,L(V,W ))) usw.Die k-mal stetig differenzierbare Funktionenen von U nach W bilden einen VektorraumCk(U,W ). Der Durchschnitt
⋂k=1
Ck(U,W ) = C∞(U,W ) heißt Raum der glatten Funktio-nen.
Wir betrachten die 2. Ableitunge D2f(u) genauer: Wir können D2f(u) als AbbildungV × V → W betrachten, (v, v′) 7→ D2f(u)(v)(v′) = w. Diese Abbildung ist linear in v′
und in v. D2f(u) ist eine bilineare Abbildung V × V → W .
12.10. Beispiel
V = W = R, U = (a, b) ⊆ R, f : U → R C2-Funktion, 1. Ableitung f ′(t) ∈ R,f ′′(t) ∈ R.Für v, v′ ∈ V = R ist Df(t) = [v 7→ f ′(t) · v] ∈ L(R,R) und D2f(t) : R × R → R[(v, v′) 7→ f ′′(t) · v · v′]︸ ︷︷ ︸
bilineare Abbildung
∈ L(R,L(R,R))
12.11. Die Hesse-Matrix
Sei U ⊆ Rn, f : U → R, C2-Funktion.
∇f(u) =(∂f
∂xn(u), . . . ,
∂f
∂xn(u)
)= (g1, . . . , gn)
geTEXt: Julia Wolters 39
KAPITEL 12. DIFFERENTIALGLEICHUNG IN VEKTORRÄUMEN
Df(u)(v) =n∑k=1
∂f
∂xk(u)vk
D2f(u)(v, w) =n∑
k,l=1
∂
∂xl
∂f
∂xk(u)vkwl
=n∑
k,l=1
∂2f
∂xl∂xk(u)vk, wl
v = (v1, . . . , vn)
w = (w1, . . . , wn)
Die Hesse-Matrix von f ist die n× n-Matrix
Hf(u) =
∂2f
∂x1∂x1(u) · · · ∂2f
∂x1∂xn(u)
......
∂2f
∂xn∂x1(u) · · · ∂2f
∂xn∂xn(u)
Dann gilt D2f(u)(v, w) = (w1, . . . , wn) ·Hf(u) ·
v1...vn
∈ R.
12.12. Beispiel
a) f(u1, u2) = u21 + u22
∇f(u) = (2u1, 2u2),∂f
∂x1(u) = 2u1,
∂f
∂x2(u) = 2u2
Hf(u) =
(2 00 2
)b) f(u1, u2) = u21 − u22∇f(u) = (2u1,−2u2),
∂f
∂x1(u) = 2u1,
∂f
∂x2(u) = −2u2
Hf(u) =
(2 00 −2
)c) f(u1, u2) = u21 + u1u2 − u22∇f(u) = (2u1 + u2,−2u2 + u1)
Hf(u) =
(2 11 −2
)
40 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
12.13. Lemma
Sei r > 0, U := {(u1, u2) ∈ R2 : |u1| < r und |u2| < r} ⊆ R2, f : U → R C2-Funktion.Dann gilt
∂2f
∂x1∂x2(0, 0) =
∂2f
∂x2∂x1(0, 0)
12.14. Theorem (Satz von Schwarz)
Sei V normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, f : U → R ∈ C2. Dann gilt für alle u ∈ U ,v1, v2 ∈ V : D2f(u)(v1, v2) = D2f(u)(v2, v1).
Korollar
U ⊆ Rn offen, f : U → R ∈ C2 ⇒ ∀u ∈ U ist Hf(u) symmetrisch.
12.15. Anwendung (Potentiale)
Falls U ⊆ Rn offen, f : U → R ∈ C2, dann ∇f : U → Rn ∈ C1 „Vektorfeld“.Umgekehrt: Gegeben g : U → Rn ∈ C1. Gibt es dann „Umkehrfunktion“ f : U → R mit∇f = g.
Beispiel
g(u1, u2) = (u1, 2u1u2)
h(u1, u2) = (u21, 2u1u2)
Falls ein f existiert, so gilt
∂f
∂x1∂x2(u) =
∂2f
∂x2∂x1(u)⇒ ∂gi
∂xj(u) =
∂gj∂xi
(u)
Im Beispiel∂g1∂x2
(u) = 0,∂g2∂x1
(u) = 2u2,∂h1∂x2
= 2u2,∂h2∂x1
(u) = 2u2 X
Hier kann es eine Stammfunktion geben
f(u1, u2) = u1u22
Satz
Sei U ⊆ Rn offen, g : U → Rn ∈ C1. Ein notwendiges Kriterium für die Existenz einer
Stammfunktion f : U → R (d.h. ∇f = g) ist das∂gi∂xj
(u) =∂gjxi
(u) für alle u ∈ U und
i 6= j, i, j ≤ n.
geTEXt: Julia Wolters 41
KAPITEL 12. DIFFERENTIALGLEICHUNG IN VEKTORRÄUMEN
Bemerkung
Ob die Bedingung hinreichend ist hängend von der Gestalt von U ab. Für U = Br(u0).Zum Beispiel ist die Bedingung hinreichend.
Bemerkung
In R3 definiere für C1-Funktion g : R3 → R3 die Rotation
rot(g) =
∂g3∂x2− ∂g2∂x3
∂g1∂x3− ∂g3∂x1
∂g2∂x1− ∂g1∂x2
(„rot(g) = ∇xg“)
Die notwendige Bedingung lautet dann:
g = ∇f ⇒ rot(g) = 0
Das führt in der sogenannten klassischen Vektoranalysis. Der moderne Blickwinkel ist es,sogenannte Differentialformen zu Betrachten → Analysis IV.
42 geTEXt: Julia Wolters
13. Lokale Extrema reellerFunktionen
13.1. Lemma
Sei r > 0, ϕ : (−r, r)→ R ∈ C2. Dann
ϕ(t) = ϕ(0) + ϕ′(0)t+
t∫0
ϕ′′(s)(t− s)ds
Korollar
Falls ϕ′(0) = 0 und ϕ′′(0) < 0, so hat ϕ in t = 0 ein lokales Maximum
Korollar
Falls ϕ in t = 0 ein Maximum hat, so folgt ϕ′(0) = 0 und ϕ(0) ≤ 0. (Denn, falls ϕ′′(0) >läge ein Minimum vor.)
13.2. Satz
Sei V normierter Vektorraum. U ⊆ V offen, f : U → R C2-Funktion, die im Punkt u ∈ Uein lokales Maximum (bzw. Minimum) hat. Dann gilt df(u) = 0 und für alle v ∈ VD2f(u)(v, v) ≤ 0 (bzw ≥ 0).
13.3. Beispiel
f : R2 → R2, f(u1, u2) = u21 − u22. Hf(u) =(2 00 −2
), ∀u ∈ R2.
u = (0, 0) ist der einzige kritische Punkt. Nach Satz 13.2 kein Extrempunkt, dennHf(0)(e1, e2) = 2 > 0 und Hf(0)(e2, e2) = −2 < 0.
43
KAPITEL 13. LOKALE EXTREMA REELLER FUNKTIONEN
13.4. Satz
V normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, f : U → R C2-Funktion, u ∈ U kritischer Punkt,d.h. df(u) = 0. Wenn es ein δ > 0 gibt, so dass D2f(u)(v, v) ≤ −δ, ∀v ∈ V mit ‖v‖ = 1,dann hat f in u ein lokales Maximum.
13.5. Lemma
Ist V endlich dimensionaler normierter Vektorraum f : U → R ∈ C2 (U ⊆ V offen) undgilt für ein u ∈ U D2f(u)(v, v) < 0 ∀v ∈ V mit v 6= 0, dann gibt es δ > 0, so dassD2f(u)(v, v) ≤ −δ ∀v ∈ V mit ‖v‖ = 1.
13.6. Satz
Sei V endlich dimensional normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, f : U → R C2-Funktion,u ∈ U kritischer Punkt. Wenn für alle v ∈ V mit v 6= 0 gilt D2f(u)(v, v) < 0, so hat f inu ein striktes lokales Maximum.
13.7. Definition
Sei V ein (endlicher) R-Vektorraum. Eine symmtrische Bilinearform h : V ×V → Rheißt positiv definit , wenn h(v, v) > 0 ∀v ∈ V mit v 6= 0. Positiv semidefinit heißth(v, v) ≥ 0 ∀v ∈ V .Entsprechend negativ definit , bzw. negativ semidefinit
Zusammenfassung
Sei u kritischer Punkt. Dann ist „D2f(u) negativ definit“ hinreiches Kriterium für lokalesMaximum. „D2f(u) negativ semidefinit“ notwendiges Kriterium.Entsprechend für „positiv . . . “ und Minimum.
Beispiel
U = R2, f(u1, u2) = cosh(u1) + sin(u2)1
1 cosh(t) = 12 (e
t + e−t), sinh(t) = 12 (e
t − e−t)
44 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
13.8. Satz
Sei h eine symmetrische Bilinearform auf Rn, sei 〈·, ·〉 das Standardskalarprodukt, 〈v, w〉 =n∑k=1
vkwk. Dann gibt es eine Orthonormalbasis b1, . . . , bn des Rn (d.h. 〈bk, bl〉 ={1 k = l0 k 6= l
)
und Zahlen d1, . . . , dn, so dass h(bk, bl) ={dk k = l0 k 6= l
. Man sagt: h, 〈·, ·〉 sind gleichzeitig
diagonalisierbar. Offensichtlich ist h genau dann positiv definit (semidefinit), wenn alledi > 0 (di ≥ 0) sind.
geTEXt: Julia Wolters 45
14. Integration, Satz vom lokalenInversen, Taylorentwicklung
14.1. Definition
Sei V ein Banachraum. Eine Abbildung c : [a, b] → V heißt beschränkt , wennc([a, b]) ⊆ V beschränkt ist, dh. wenn es r > 0 mit ‖c(t)‖ ≤ r für alle t ∈ [a, b] gibt.Sei B([a, b], V ) = {c : [a, b]→ V | c beschränkt }. Das ist ein reeller Vektorraum undnormiert durch
‖c‖∞ := sup{‖c(t)‖ | t ∈ [a, b]}
14.2. Satz
B([a, b], V ) ist vollständig bzgl. ‖ · ‖∞ und C([a, b], V ) = {c : [a, b]→ V | c stetig } ist einabgeschlossener (und deswegen vollständiger) Unterraum.
14.3. Definition
Sei V ein Banachraum. Eine Funktion c : [a, b] → V heißt Stufenfunktion, wennes eine Zerlegung Z = {a = a0 < . . . < ak = b} gibt, so dass c auf den Teilstücken(aj, aj+1) konstant ist.Klar: die Stufenfunktionen bilden einen Untervektorraum Step([a, b], V ). vonB([a, b], V ).Eine Regelfunktion ist eine beschränkte Funktion c : [a, b] → V , die ein Grenzwerteiner Folge von Stufenfunktionen ist (bzw. ‖ · ‖∞). Mit anderen Worten: Die Regel-funktionen sind der Abschluss von Step([a, b], V ) in B([a, b], V ). Schreibe
R([a, b], V ) = {c : [a, b]→ V | c Regelfunktion } = Step([a, b], V )
47
KAPITEL 14. INTEGRATION, SATZ VOM LOKALEN INVERSEN,TAYLORENTWICKLUNG
14.4. Satz
Es gilt C([a, b], V ) ⊆ R([a, b], V ), jede stetige Funktion ist eine Regelfunktion.
14.5. Definition
Sei Z = {a = a0 < . . . < an = b} und sei c eine Stufenfunktion zu Z, c(t) = cj fallsaj < t < aj+1. Setze
b∫a
c(t)dt :=n−1∑j=0
cj · (aj+1 − aj)
Kurze Überlegung
Wenn man die Zerlegung Z verfeinert (metrische Stützstellen) ändert sich am Ergebnisder Summe nichts. Also hängt das Ergebnis gar nicht von der Zerlegung ab.
Weiter ist Step([a, b], V )→ V , c 7→b∫a
c(t)dt offensichtlich linear und Lipschitz-stetig.∥∥∥∥∥∥b∫
a
c(t)dt
∥∥∥∥∥∥ ≤n−1∑j=0
‖cj‖︸︷︷︸≤‖c‖∞
(aj+1 − aj) ≤ ‖c‖∞ (b− a)
Ist c ∈ R([a, b], V ) und (cn)n∈J eine Folge von Stufenfunktionen mit limn∈J‖c− cn‖∞ = 0,
so ist (cn)n∈J eine Cauchy-Folge, also istb∫a
cn(t)dt eine Cauchyfolge in V .
Wir definierenb∫a
c(t)dt = limn∈J
b∫a
cn(t)dt
Das geht, weil V ein Banachraum ist.Die linke Seite hängt nicht von der gewählten Funktion cn ab: Ist c̃ ∈ Step([a, b], V ) mit‖c̃− c‖∞ ≤ ε, so ist ‖cn − c̃‖ ≤ 2 · ε für alle hinreichend großen n ∈ J .
Es folgt∥∥∫ c̃(t)dt− ∫ cn(t)dt∥∥ ≤ 2 · ε(b − a), also
∥∥∥∥ b∫a
c̃(t)dt−b∫a
c(t)dt
∥∥∥∥ ≤ 2ε(b − a). Das
zeigt, dass das Integral nur von c abhängt und nicht von der gewählten Funktion (cn)n∈J .
Fazit
Die Abbildung c 7→b∫a
c(t)dt ist eine Lipschitz-stetige lineare Abbildung R([a, b], V )→ V ,∥∥∥∥ b∫a
c(t)dt
∥∥∥∥ ≤ b∫a
‖c(t)‖ dt ≤ ‖c‖∞ (b− a).
48 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
14.6. Lemma
Seien V,W Banachräume, F : V → W linear und stetig, c : [a, b]→ V eine Regelfunktion.
Dann ist F ◦ c : [a, b]→ W Regelfunktion undb∫a
F (c(t))dt = F
(b∫a
c(t)dt
).
14.7. Satz
Ist c : [a, b]→ V stetig, t0 ∈ [a, b], so ist f(t) :=t∫t0
c(s)ds eine C1-Kurve und◦f(t) = c(t).
Folgerung
Ist c : [a, b]→ V eine C1-Funktion, so gilt c(v)− c(u) =v∫u
◦c(s)ds für alle u, v ∈ [a, b].
14.8. Satz (Mittelwertsatz der Integralrechnung inVektorräumen)
Seien V,W Banachräume. U ⊆ V offen, sei f : U → W eine C1-Funktion. Sei u ∈ U undv ∈ V so, dass u+ v · s ∈ U für alle s ∈ [0, 1]. Dann gilt
f(u+ v)− f(u) =1∫
0
Df(u+ v · s)(v)ds =
1∫0
Df(u+ v · s)ds
(v).
14.9. Satz
Sei V normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, f : U → R eine Ck-Funktion. Dann gilt füralle {1, . . . , k} = {l1, . . . , lk} und alle v1, . . . , vk ∈ V .
Dkf(u)(v1, . . . , vk) = Dkf(u)(vi1 , . . . , vik).
14.10. Satz (Taylors Formel / Taylorentwicklung)
Sei V normierter Vektorraum, U ⊆ V offen, f : U → R eine Ck+1-Funktion. Sei u ∈ U ,v ∈ V so, dass {u+ vt | 0 ≤ t ≤ 1} gilt. Dann gilt
f(u+v) = f(u)+Df(u)(v)+1
2D2f(u)(v, v)+
1
6D3f(u)(v, v, v)+. . .+
1
k!Dkf(u)(v, . . . , v)︸ ︷︷ ︸
k−mal
+Rk+1(u)(v)
geTEXt: Julia Wolters 49
KAPITEL 14. INTEGRATION, SATZ VOM LOKALEN INVERSEN,TAYLORENTWICKLUNG
und das Restglied ist
Rk+1(u, v) =
1∫0
(1− t)k
k!Dk+1f(u+ vt)(v, . . . , v)dt
„Taylorentwicklung von f im Punkt u bis zum k-ten Grad“
Addendum
• Für Rl+1(u, v) gibt es metrische Formeln
• |Rl+1(u, v)| ≤1
k!sup
{∥∥Dk+1f(u+ vt)∥∥ | 0 ≤ t ≤ 1
}·‖v‖k+1, denn
∥∥Dk+1f(u+ vt)(v, . . . , v)∥∥ ≤∥∥Dk+1f(u+ vt)
∥∥ · ‖v‖k+1
• Andere Form des Restgliedes Rk+1(u, v) =1
(k + 1)!Dk+1f(u)(v, . . . , v)+λ(v) ‖v‖k+1.
Dabei ist λ stetig auf ε-Kugel Bε(0) und λ(0) = 0.
14.11. Satz (Die von Neumannsche Reihe)
Sei V ein Banachraum, f : V → V linear und stetig mit ‖f‖ < 1. Dann konvergiert dieNeumannsche Reihe ∑
k≥0
fk (fk = f ◦ . . . ◦ f k −mal f 0 = idV )
gegen eine stetige lineare Abbildung g und
g(idV − f) = (idV − f)g = idV
d.h.∞∑k=0
fk = (idV − f)−1 (vgl. geometrische Reihe)
14.12. Satz
Sei V ein Banachraum, sei
GL(V ) = {f : V → V | f linear und stetig und f hat stetiges Inverses }
Dann ist GL(V ) ⊆ L(V, V ) offen, GL(V ) ist eine Gruppe, das Multiplizieren und Inver-tieren ist stetig.1
1 Solche Gruppen werden auch Topologische Gruppen genannt.
50 geTEXt: Julia Wolters
Vorlesung SS 2010 Analysis 2 Prof. Dr. Linus Kramer
14.13. Satz („Spezieller Satz vom lokalen Inversen“)
Sei V ein Banachraum (z.B. Rn), U ⊆ V offen mit 0 ∈ U , f : U → V stetig differenzierbar,f(0) = 0 und Df(0) = idV . Dann gibt es R > 0, ein C1-Funktion g : BR(0) → V mitg ◦ f = id auf einer offenen Kugel BR̃(0). „In einer kleinen Umgebung von 0 hat f eineInverse, die ebenfalls C1 ist: DIe Gleichung f(x) = y hat Lösungen, wenn g nahe genugbei 0 liegt.“
14.14. Theorem (Satz vom lokalen Inversen)
Seien V,W Banachräume, sei U ⊆ V offen und f : U → W eine stetig differenzierbareAbbildung. Sei u ∈ U ein Punkt, an dem Df(u) : V → W ein stetiger Isomorphismus(mit stetigen Inversen) ist. Dann gibt es R̃; R > 0; eine stetig differenzierbare Funktiong : BR(f(u)) → V so, dass g ◦ f(v) = v für alle v ∈ BR̃(u) gilt: „f hat nahe u einC1-Inverse“.
Bemerkung
Man kann zeigen: f Ck-Funktion ⇒ g Ck-Funktion.(zeige: Invertieren in GL(u) ist C∞.Funktion).
14.15. Satz über impliziete Funktion
Seien V1, V2,W Banachräume, V = V1⊕V2. Sei U ⊆ V offen, f : U → W eine C1-Funktion,u = (u1, uw) ∈ U . Betrachte A : V2 → W , v2 7→ Df(u)(0, vw). Wenn A ein Isomorphismusmit stetigen Inversen ist, so gibt es U1 ⊆ V1 offen, u1 ∈ U1 und g : U1 → V2 C
1-Funktionmit
(i) g(u1) = u2
(ii) f(x, g(x)) = f(u) = const
(iii) nahe u sind alle (x, y) ∈ U von der Form (x, y) = (x, g(x)).
Man sagt: y = y(x) ist (nahe u) impliziet durch f(x, y) = f(u) = const definiert.
14.16. Beispiel
V Hilbertraum mit Skalarprodukt 〈·, ·〉 (z.B. V = Rn, 〈v〉w =n∑k=1
vjwk), U ⊆ V offen,
f : U → R eine C1-Funktion, u ∈ U Punkt mit df(u) 6= 0 (also insb. kein lokalesExtremum).
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KAPITEL 14. INTEGRATION, SATZ VOM LOKALEN INVERSEN,TAYLORENTWICKLUNG
V1 := ker(df(u)) = {v ∈ V | df(u)(v) = 0}z ∈ V ein Vektor mit df(u)(z) 6= 0.V2 = zR 1-dimensional, V = V1 ⊕ V2. Nach Satz 14.15 gibt es also U1 ⊆ V1 offen,g : U1 → V2 parametisiert die Niveaumenge fc = {x ∈ V | f(x) = c}, f(u) = c
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Stichwortverzeichnis
ε− δ-Kriterium, 14Äquivalenz
Normen, 18
Abgeschlossenheit, 6Ableitung, 26, 29
k-te partielle , 30Ableitungen
höhere, 39Abschluss, 24
Banachraum, 6Banachs-Fixpunktsatz, 21Beschleunigung, 27beschränkt, 47bilinear, 7Bilinearform, 7
symmetrisch, 7Bolzano-Weierstraß
Eigenschaft, 18in mehreren Variablen, 19
Browers-Fixpunktsatz, 20
definitnegativ, 44positiv, 44seminegativ, 44positiv, 44
Differential, 29Differentialformen, 42differenzierbar, 26, 37
stetig, 29, 37Dualraum, 29
Extremum, 33
Fixpunkt, 20Fixpunktsatz
Banachs, 21Browers, 20
Funktionstetige, 13
Geschwindigkeitsvektor, 26Gradient, 32Gruppen
Topologisch, 50
Höhere Ableitungen, 39Hesse-Matrix, 39Hilbert-Raum, 9
Intervallabgeschlossen, 25offen, 25unendlich, 25
Kettenregel, 39Koordinatenfunktion, 31Kurve, 25
C1, 26differenzierbar, 26stetig, 26
Länge, 28
Maximum, 34lokales, 34, 43strikt, 44
iii
Stichwortverzeichnis
striktes, 34Mengen
abgeschloffene, 23offen, 23
Metrik, 1Raum, 1
Minimum, 34lokales, 34striktes, 34
MittelwertsatzIntegralrechnungVektorräume, 49
negativ definit, 44negativ semidefinit, 44Neumannsche Reihe, 50Niveaulinen, 33Niveaumenge, 52Norm, 6
Äquivalenz, 18euklidsche ∼, 9Operator∼, 16
Operatornorm, 16
positiv definit, 44Positiv semidefinit, 44Produkt
inneres, 7Skalarprodukt, 7
Punktkritischer, 35
RaumBanachraum, 6glatte Funktionen, 39Hilbert, 9metrischer, 1
Regelfunktion, 47Richtungsableitung, 30
Satz über impliziete Funktionen, 51Satz vom lokalen Inversen, 51
Spezieller Satz, 51
Satz von Schwarz, 41Skalarprodukt, 7
Standard∼, 32Standardskalarprodukt, 32stetige Funktion, 13Stetigkeit
Lipschitz, 14Stufenfunktion, 47
Tangentialvektor, 26Taylor Formel, 49Taylorentwicklung, 49Topologische Gruppen, 50
Umparametsierung von Kurven, 28
Vektorraumeuklidscher ∼, 9
Vollkugel, 20Vollständigkeit, 5
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