Andreas Werkmeister Straftheorien im Völkerstrafrecht · cc) Abstrakte Einwilligung 210 (1)...

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Straftheorien im Völkerstrafrecht Andreas Werkmeister Nomos Schriften zum Internationalen und Europäischen Strafrecht 20

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Straftheorien im Völkerstrafrecht

Andreas Werkmeister

Nomos

Schriften zum Internationalen und Europäischen Strafrecht

20

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ISBN 978-3-8487-2084-2

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Schriften zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Herausgegeben von

Professor Dr. Martin Heger, Humboldt-Universität zu BerlinProfessor Dr. Florian Jeßberger, Universität HamburgProfessor Dr. Frank Neubacher, M.A., Universität zu KölnProfessor Dr. Helmut Satzger, LMU MünchenProfessor Dr. Gerhard Werle, Humboldt-Universität zu Berlin

Band 20

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Andreas Werkmeister

Straftheorien im Völkerstrafrecht

Nomos

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Zugl.: München, Univ., Diss., 2014ISBN 978-3-8487-2084-2 (Print)ISBN 978-3-8452-6474-5 (ePDF)

1. Auflage 2015© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2015. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Über-setzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit über die Straftheorien im Völkerstrafrecht wurdeim Jahr 2015 an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Uni-versität als Dissertation angenommen. Damit ist für mich (vorläufig) das„Immer-weiter-Denken“ zu diesem Thema zu einem Abschluss gekom-men und ich freue mich, die Straftheorien im Völkerstrafrecht der Leser-und Kritikerschaft zurückgeben zu dürfen. Auf meinem Weg haben michviele begleitet; ihnen will ich an dieser Stelle herzlich danken.

Mein ganz besonderer Dank gebührt meiner Doktormutter ProfessorinPetra Wittig. Sie hat nicht nur meine Arbeit hervorragend betreut, sondernmich auch in gedankenreicher Weise wissenschaftlich gefördert undmenschlich durch alle Höhen und Tiefen der juristischen Grundlagenfor-schung begleitet. Die Zeit als Mitarbeiter und Doktorand an ihrem Lehr-stuhl und die hier von ihr geschaffene inspirierende Atmosphäre werde ichsicher nie vergessen.

Zu besonderem Dank bin ich weiter Professor Helmut Satzger ver-pflichtet, der das Zweitgutachten so schnell erstellt und mich währendmeiner Dissertation sowie bei deren Veröffentlichung unterstützt hat. Ihmund den weiteren Herausgebern danke ich für die freundliche Aufnahmein die „Schriften zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“.

Angeregt wurde meine Arbeit durch ein Praktikum bei der Trial Cham-ber I des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Herzlich dankenmöchte ich dem damaligen Richter am Internationalen StrafgerichtshofProfessor René Blattmann, dessen Engagement ich wichtige Einblicke inPraxis und Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit verdanke.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen außerdem meine verehrten Kollegenam Lehrstuhl Wittig und an der Münchener Fakultät, die mich währendmeiner Dissertation so großartig unterstützt haben. Für zahlreiche wertvol-le Gespräche und Anregungen möchte ich mich insbesondere bedankenbei Florian Walter und Luka Breneselovic sowie bei Professor JohannesKaspar und Professor Luis Greco.

Unentbehrlich waren für mich außerdem die Zuversicht, Freude undHilfe, die ich von meinen Freunden, besonders von Oliver Hofmann, Ales-sandro Giannini, Ansgar Glatt und Stefan Eberl erhalten habe.

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Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern Isabella und Georg Werkmeis-ter, die mir alles ermöglicht und mich immer unterstützt haben sowie mei-ner Schwester Marina Werkmeister, die die Arbeit fachmännisch Korrek-tur gelesen hat und die ich stets an meiner Seite wusste.

Schließlich: Ohne meine Freundin Katrin Höffler hätte ich es nicht sogeschafft. Sie hat mir jederzeit großen Rückhalt gegeben, und ihre bewe-gende Kreativität sowie ihre Bereitschaft mit mir „immer weiter zu den-ken“ waren für mich unersetzlich inspirierend. Ihr möchte ich von HerzenDanke sagen.

München, April 2015 Andreas Werkmeister

Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis 21

Einleitung1. Kapitel: 23

Ist das ein Mensch?A. 23Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischerReflexion

B.26

AusgangspunktI. 26Zur näheren Konturierung des ReflexionsrahmensII. 31

Zum Begriff des Völkerstrafrechts1. 31Völkerstrafrecht versus internationales Strafrecht2. 34Zum IStGH-Statut3. 35

ProblemaufrissIII. 38Rechtsbegriff, Staatssouveränität undDemokratietheorie im Völkerstrafrecht

1.38

Bedeutung der Straftheorien im Völkerstrafrecht2. 42Methodische SchwerpunkteIV. 44

Ausgangspunkt1. 44Normative Problemlage2. 45Deskriptive Problemlage3. 47Universelles Recht und universelle Straftheorie4. 50

Zur Aufgabe der Straftheorien im VölkerstrafrechtC. 54Notwendigkeit einer weiteren PerspektivenbestimmungI. 54Legitimation der StrafeII. 55

Ausgangspunkt1. 55Das betroffene Individuum2. 56

Grundlagena) 56„Straflosigkeit“ und Straftheorieb) 58Zwischenergebnisc) 59

Legitimation und Zweck der Strafe3. 59Differenzierung zwischen den Stufen derStrafrechtsverwirklichung?

4.61

Strafdrohung und Strafzufügunga) 61Strafzufügung und Strafvollzugb) 63

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Begründung und Begrenzung der Strafe5. 63Allgemeina) 63Spezifische völkerstrafrechtliche Problematikb) 64

Legitimation der Strafe und materiellerVerbrechensbegriff

III.65

Legitimation der Strafe und Begriff der StrafeIV. 71Notwendigkeit eines Bezugspunktes1. 71Inhaltliches2. 75

Übelscharakter – Eingriff in die Freiheit desVerurteilten

a)75

Missbilligungscharakter – Eingriff in diePersönlichkeitssphäre des Verurteilten

b)76

Zwischenergebnis3. 79Umriss der weiteren GedankenführungD. 79

Der Legitimationsrahmen2. Kapitel: 83

Menschenwürde als straftheoretischer BegriffA. 83VorbemerkungenB. 84

LeerformelverdachtI. 84Bedeutung der Menschenwürde in derVölkerrechtsordnung

II.85

Direktiven für die BegriffsbildungIII. 87Zur begrifflichen Konturierung der Menschenwürde im Kontextdes Völkerstrafrechts

C.88

Theoretische GrundlagenI. 89Objektive Werttheorie1. 89Subjektive Identitätstheorie2. 91

Grundlagena) 91Subjektive Theorie und die Verletzlichkeit deskonkreten Individuums

b)94

Kommunikationstheoriec) 96Straftheoretische AuswertungII. 98

Allgemeines1. 98Menschenwürde, Menschenrechte und (teil-)verfassteVölkerstrafrechtsordnung

2.100

Vorbemerkunga) 100Begrenzungsfunktionb) 100

Inhaltsverzeichnis

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Soziale Integrationsfunktionc) 104Hostis humani generis, Verwirkung undMenschenwürde

3.106

Feindstrafrecht und „hostis humani generis“a) 106Menschenwürdeverletzungb) 109Verwirkung der Menschenwürde?c) 110

Menschenwürde als Grenze für die Strafbegründung4. 111Allgemeinesa) 111Zweckrationalität und Menschenwürdeb) 112Menschenwürdeverletzungen undvergeltungstheoretische Rationalität

c)115

Der Legitimationszusammenhang3. Kapitel: 118

VergeltungstheorienA. 118GrundlagenI. 118AusprägungenII. 120

Klassische Vergeltungstheorien1. 120Allgemeina) 120

Ausprägungenaa) 120Begründung dem Täter gegenüberbb) 122

Völkerstrafrechtliche Reformulierungb) 124Allgemeinesaa) 124Vergeltung außerhalb eines nationalstaatlichenZusammenhangs?

bb)125

Begründung dem Täter gegenübercc) 128Kritikc) 129

Völkerrechtstheoretischer Einwandaa) 129Menschenwürde-Einwandbb) 130Ausgleichsgedanke und Völkerstrafrechtcc) 131Metaphysik-Einwanddd) 133

Moderne Vergeltungstheorien2. 134Allgemeinesa) 134Völkerstrafrechtliche Reformulierungb) 137Erweiterung des Begründungsrahmensc) 138

Freiheitlich verfasste supranationaleRechtsordnung?

aa)138

Legitimation außerhalb des regulärenStrafrechts

bb)140

Inhaltsverzeichnis

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Kritikd) 142Keine Legitimation außerhalb des regulärenStrafrechts

aa)142

Völkerrechtstheoretischer Einwandbb) 144Fortbestehen prinzipieller Einwände gegen diemodernen Vergeltungstheorien

cc)146

Präventive StraftheorienB. 147GrundlagenI. 147

Allgemein1. 147Präventionsziel2. 149Differenzierungen3. 149

Theorie der SpezialpräventionII. 150Allgemein1. 150Allgemeine völkerstrafrechtliche Reformulierung2. 154

Grundlagena) 154Kriminologisches täterbezogenes Wissenb) 154Wiederholungsgefahrc) 156Scham vor dem Bestraften?d) 159

Ausprägungen3. 160Differenzierung zwischen Sicherung, Abschreckungund Resozialisierung

a)160

Resozialisierungb) 162Strafbegrenzende Funktionaa) 162

Recht des Straftäters auf (Re-)Integration(1) 162Völkerstrafrechtliche Reformulierung(2) 165

Strafbegründende Funktion derResozialisierung

bb)167

Resozialisierung als Förderung(1) 167Reformulierung im Völkerstrafrecht(2) 170Begründung dem Straftäter gegenüber(3) 175Reformulierung im Völkerstrafrecht(4) 179

Kritikcc) 179Liberaler Einwand(1) 180Begrifflicher Einwand(2) 181Wirksamkeits-Einwand(3) 181

Zwischenfazitdd) 183Abschreckungc) 183

Allgemeinaa) 183

Inhaltsverzeichnis

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Spezifische Begründung dem Täter gegenüberbb) 185Völkerstrafrechtliche Reformulierungcc) 186Kritikdd) 188

Sicherungd) 189Allgemeinaa) 189Reformulierung im Völkerstrafrechtbb) 190Spezifische Begründung dem Täter gegenübercc) 192Kritikdd) 193

GeneralpräventionIII. 195Allgemeines1. 195Negative Generalprävention2. 196

Allgemeina) 196Verhaltensmodell der Abschreckungaa) 196Strafdrohung und Strafzufügungbb) 198Liberale Traditioncc) 201

Reformulierung im Völkerstrafrechtb) 201Allgemeinesaa) 201Verhaltensmodell der Abschreckungbb) 202Strafdrohung, Strafverfahren und Strafzufügungcc) 203

Abschreckung durch Strafzufügung(1) 203Abschreckung durch Strafverfahren?(2) 204Strafdrohung und Strafzufügung(3) 205

Liberale Traditiondd) 207Spezifische Legitimation dem Straftäter gegenüberc) 208

Allgemeinesaa) 208Konkrete Einwilligungbb) 209Abstrakte Einwilligungcc) 210

Allgemeines(1) 210Spezifische Reformulierung imVölkerstrafrecht

(2)211

Kritikd) 213Menschenwürde-Einwandaa) 213Maß- und Grenzenlosigkeitbb) 215Effektivitätseinwandcc) 217

Vernachlässigung des Strafvollzugs(1) 217Instabilität der Gesellschaft(2) 217Empirisches(3) 218Entdeckungs- undVerfolgungswahrscheinlichkeit

(4)219

Inhaltsverzeichnis

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Verhaltensmodell derAbschreckungstheorie

(5)221

Allgemeines(a) 221Führungstäter(b) 222Gefolgschaftstäter(c) 223Erweiterung des Verhaltensmodells(d) 224

Zusammenfassung(6) 225Mikro-, Meso- und Makro-Ebenedd) 225

Positive Generalprävention3. 226Allgemeine Grundlagena) 227

Begriffsklärungaa) 227Adressatenkreisbb) 228Art der Einwirkungcc) 229Demokratische Traditiondd) 230Strafdrohung und Strafzufügungee) 230

Differenzierungenb) 231Lerneffektaa) 232

Grundlagen(1) 232Erweiterung des Bezugsrahmens(2) 233Strafbegrenzung(3) 233

Vertrauens- und Befriedungseffektbb) 234Grundlagen(1) 234Erweiterung des Bezugsrahmens(2) 236Strafbegrenzung(3) 237

Allgemeine völkerstrafrechtliche Reformulierungc) 238Ebenenaa) 238Problemstellungbb) 239Strafdrohung und Strafzufügungcc) 240Demokratische Traditiondd) 241

Differenzierungend) 242Lerneffektaa) 242

Allgemeines(1) 242Weiterentwicklungen im Spannungsfeldzwischen den Makroebenen

(2)243

Grundlagen(a) 243Rekultivierung der betroffenenGesellschaft?

(b)245

Edukative Systemprävention(c) 246Erzeugung von Zivilcourage(d) 247

Inhaltsverzeichnis

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Erweiterung des Bezugsrahmens(3) 249Strafbegrenzung(4) 252

Vertrauens- und Befriedungseffektbb) 253Grundlagen(1) 253Erweiterung des Bezugsrahmens(2) 254

Kanalisierung von Vergeltungs- undRachebedürfnissen?

(a)255

WeltgesellschaftlichesKollektivbewusstsein

(b)257

Strafbegrenzung(3) 259Legitimation gegenüber dem Straftätere) 260

Allgemeinesaa) 260Abstrakte Einwilligungskonstruktionbb) 261Verbindungslinien zur Vergeltungstheoriecc) 262Intellektueller Verbrechensschadendd) 262

Kritikf) 264Latente Funktion und manifester Zweckaa) 265Effektivitätseinwandbb) 267

Allgemeines(1) 267Gefolgschaftstäter(2) 268Führungstäter(3) 269

Meso- und Makroebenencc) 270Liberaler Einwanddd) 271Zusammenfassungee) 272

Expressive StraftheorienC. 272AbgrenzungI. 272Normbezogene expressive StraftheorieII. 273

Allgemeines1. 273Grundlagena) 273Bezugsrahmen der expressiven Normbestätigungb) 275

Rechtsoziologischer Rahmenaa) 275Strafdrohung, Straftat und Strafzufügungbb) 276

Völkerstrafrechtliche Reformulierung2. 277Differenzierunga) 277Reformulierung auf der Makroebene„Weltgesellschaft“

b)277

Allgemeinesaa) 277

Inhaltsverzeichnis

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Möglicher Bezugsrahmen der expressivenNormbestätigung auf Ebene derWeltgesellschaft

bb)

277Ablehnung der weltgesellschaftlichenPerspektive durch Jakobs

cc)279

Reformulierung auf der Makroebene derbetroffenen Gesellschaft

c)280

Allgemeinesaa) 280Strafdrohung und Straftatbb) 281Strafzufügungcc) 281Legitimation gegenüber dem betroffenenStraftäter

dd)282

Kritik3. 283Makroebene der betroffenen Gesellschafta) 283

Rechtstheoretischer Rahmenaa) 283Menschenwürde-Einwandbb) 284

Zur Makroebene „Weltgesellschaft“b) 285Kommunikation der historischen WahrheitIII. 286

Inhalt der Theorie1. 286Grundlagena) 286Zu Wahrheit und Kommunikationb) 288Wahrheit und Erinnernc) 290Bezugsrahmen der Kommunikation der historischenWahrheit

d)291

Allgemeinesaa) 291Rehabilitation der Gesellschaft und TransitionalJustice

bb)292

Strafurteile, Wahrheit und Erinnerunge) 293Öffentliche Kennzeichnung als Unrechtaa) 293Individualisierung von Verantwortungbb) 294Physisch-reale Übelszufügung?cc) 295

Kritik2. 296Keine Legitimation außerhalb des regulärenStrafrechts

a)296

Keine Begründung auf Ebene der semantischenKommunikation

b)297

Täterbezogene expressive StraftheorieIV. 298Allgemeines1. 299

Grundlagena) 299

Inhaltsverzeichnis

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Strafdrohung und Strafzufügungb) 300Täterorientierte expressive Straftheorie und „hardtreatment“

c)301

Allgemeine Reformulierung der täterorientiertenexpressiven Straftheorie im Völkerstrafrecht

d)303

Strafe als Buße2. 303Allgemeina) 303Erweiterter Bezugsrahmen der expressivenBußetheorie

b)305

Ausdifferenzierung des Bußekonzeptsc) 305Völkerstrafrechtliche Reformulierung3. 308

Strafe und internationale Gemeinschafta) 308Buße in der globalen Gemeinschaftb) 309

Ausschluss des hostis humani generis stattBuße?

aa)310

Kommunikation mit dem Täter als Mitglied derGemeinschaft

bb)312

Kritik4. 314Menschenwürde-Einwanda) 314Liberaler Einwandb) 315

Opferbezogene expressive StraftheorienV. 316Allgemeines1. 316

Grundlagena) 316Opferbegriffb) 317Bezugsrahmen der Opfertheoriec) 318Verknüpfung mit sozialen Prinzipiend) 319

Allgemeine völkerstrafrechtliche Reformulierung2. 320Grundlagen und Opferbegriffa) 320Verknüpfung mit einem sozialen Prinzipb) 321„Staatsrelativierende“ Perspektivec) 322

Ausdifferenzierung des straftheoretischen Konzepts3. 323Allgemeinesa) 323Interpretation der Straftat aus Opfersichtb) 323

Normbezogener Ansatzaa) 324Missbilligungsorientierter Ansatzbb) 326Zusammenhangcc) 327

Konkretisierung der durch den Schuldspruchvermittelten Botschaft

c)328

Inhaltsverzeichnis

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Begründung der (physisch-realen) Übelszufügungd) 330Entbehrlichkeit des Übelsaa) 330Akzessorische Begründung der Übelszufügungbb) 330Nicht-akzessorische Begründung derÜbelszufügung

cc)331

Grundlagen(1) 331Weiterentwicklung(2) 332

Opferperspektive und Prävention(a) 332Abgrenzung(b) 333Opferaspekt und Strafhöhe(c) 334

Völkerstrafrechtliche Reformulierung4. 334Bedeutung der Völkerstraftata) 334Berechtigte Opferinteressenb) 335

Grundlagenaa) 335Normbestätigungs- und Missbilligungsaspektbb) 337

Völkerstrafrechtlicher Schuldspruchc) 337Notwendigkeit der Übelszufügungd) 339

Übelszufügung entbehrlich?aa) 339Akzessorischer Ansatzbb) 340Nicht-akzessorischer Ansatzcc) 341

Opfertheorie und Menschenwürde des Täters5. 342Kritik6. 343

Anspruch des Opfers auf Bestrafung des Täters?a) 343Strafe und Strafprozessb) 345Effektivitäts-Einwandc) 345Zwischenergebnisd) 347

ZusammenfassungVI. 347VereinigungstheorienD. 348

AllgemeinesI. 348AusprägungenII. 350

Vergeltende Vereinigungstheorien1. 350Expressive Vereinigungstheorie2. 351Präventive Vereinigungstheorien3. 353

Menschenwürde, Prävention und Kommunikation4. Kapitel: 356

AllgemeinesA. 356

Inhaltsverzeichnis

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Individuum als AusgangspunktB. 356StrafeI. 356MenschenwürdeII. 356

StrafbegrenzungstheorieC. 358Legitimationsrahmen i.e.S.I. 358Legitimationsrahmen i.w.S.II. 359Völkerstrafbegrenzungsrecht als WeltverfassungsrechtIII. 359

StrafbegründungstheorieD. 360Prävention und KommunikationI. 360PräventionII. 361

Positive Spezialprävention: Mikroebene1. 361Positive Spezialprävention i.w.S.a) 362Positive Spezialprävention i.e.S.b) 363Zusammenhängec) 364

Zwischen Spezial- und Generalprävention2. 365Ausgangslagea) 365Ein neuer Begriff: Mesopräventionb) 367Inhaltliche Ausprägungenc) 368

Grundlagenaa) 368Besondere Ansatzpunkte auf der Mesoebenebb) 368

Zusammenfassungd) 370Opferbezogene Fundierung und Ausgestaltung derPrävention

3.370

Straftat und Missbilligungsurteila) 370Übelszufügung und Präventionb) 371Weitere Bedeutung des opferbezogenen Aspektsc) 372

Strafurteil ohne Übelszufügungaa) 372Herstellung eines völkerstrafrechtlichen Fallesbb) 372Opferaspekt und Strafhöhecc) 373

Grundlagen(1) 373Spezialprävention(2) 374Mesoprävention(3) 376

Grenzen der konkreten Opferinteressend) 377Präventive Gesamtstrukturaa) 377Versöhnung statt Strafebb) 377Opferinteressen und postmortalesPersönlichkeitsrecht?

cc)378

Zurück zur Menschenwürde4. 379

Inhaltsverzeichnis

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Das ist ein Mensch!E. 380

Literaturverzeichnis 383

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Ist das ein Mensch?

„Ist das ein Mensch?“1 – So lautet der Titel eines Romans von Primo Levi,der 1944 als Jude und Mitglied der Resistenza in Italien verhaftet und insKonzentrationslager Auschwitz deportiert wurde. Er überlebte dieses La-ger der „Verneinung“2, dessen „soziale Struktur“, wie Levi schildert, da-rauf beruhte, „daß die Privilegierten die Nicht-Privilegierten unterdrü-cken“3 und das letzten Endes darauf ausgerichtet war, die Lagerinsassen,„zunächst als Menschen zu vernichten“, um ihnen „dann einen langen Todzu bereiten“4:

Man ist, so Levi, „Häftling“ ohne Namen, nur mit einer Nummer ge-kennzeichnet, gefangen in einem „geometrisch konzipierten Irrsinn“5, oh-ne Warum6, des Willens, irgendetwas zu begreifen völlig entledigt7, manist außerhalb der Welt8, umgeben von einem fortwährenden „Babel“, „woalle in niemals zuvor gehörten Sprachen Befehle und Drohungen schrei-en“9, wo die ertönende Marschmusik den Willen der Gefangenen ersetzt,sie wie Automaten in den Marsch treibt, zu einer „Sarabande der erlosche-nen Menschen“10. „Vielleicht können wir die Krankheiten überleben undden Selektionen entgehen, vielleicht können wir auch der Arbeit standhal-ten und dem Hunger, die uns entkräften. Aber dann?“11

Diese Zeilen und die von ihnen umspannte Lebenswirklichkeit führtenund führen noch heute zu einer Sprach- und Fassungslosigkeit darüber,

1. Kapitel:

A.

1 Levi, 2013.2 Levi, 2013, S. 118.3 Levi, 2013, S. 42.4 Levi, 2013, S. 49.5 Levi, 2013, S. 49.6 Levi, 2013, S. 27.7 Levi, 2013, S. 46.8 Levi, 2013, S. 21.9 Levi, 2013, S. 36.

10 Levi, 2013, S. 49.11 Levi, 2013, S. 53.

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„was Menschen gewagt haben aus Menschen zu machen“12. Zurück blei-ben Fragen, die gerade auch eine wissenschaftliche Bearbeitung herausfor-dern. Für die Rechtswissenschaft scheint insbesondere die Frage von Be-deutung, wie wir solchen Geschehnissen, wie sie von Levi bezeugt wur-den, juristisch gerecht werden können. Viele Menschen – den Autor dieserArbeit mit eingeschlossen – werden einen Gerechtigkeitsimpuls verspü-ren, auf derartig destruktive menschliche Handlungen „irgendwie“ – auchrechtlich – reagieren zu müssen und zu wollen.

Die vier Siegermächte haben im Jahr 1945 versucht, die Sprach- undFassungslosigkeit der Katastrophe mittels einer spezifischen Rechtsformzu überwinden. Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gelten als Ge-burtsstunde des modernen Völkerstrafrechts.13 Verhaltensweisen wie die-jenigen der Nazifunktionäre, der Wehrmachts- und Marineführung oderder Unternehmer der Kriegswirtschaft wurden als Kriminalität verstandenund in rechtliche Begriffe gefasst. Von dieser Basis aus konsequent wur-den seither einige derjenigen, die man als hauptverantwortlich für die Be-gehung sog. Kernverbrechen (core crimes) – namentlich Völkermord,Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression– ansah, mit dem Instrument der Kriminalstrafe sanktioniert, welches alsMittel der reaktiven Kriminalitätsbewältigung in vielen Nationen histo-risch tief verankert ist.

Auf internationaler Ebene hat der Strafgedanke nach Ende des ZweitenWeltkriegs zunächst in Tokio (1946) unmittelbar Anschluss gefunden, inder Folge allerdings erst in den 1990er-Jahren eine nennenswerte Fortent-wicklung erlebt. Fast 50 Jahre nach Nürnberg und zumindest zwei Kata-strophen später wurden die Tribunale für das ehemalige Jugoslawien(1993)14 sowie für Ruanda (1995)15 durch die Vereinten Nationen ad hoceinberufen. Die internationale juristische Reaktion erfolgte, nachdem imehemaligen Jugoslawien der Krieg, „ethnische Säuberungen“ und Lagerdie Bevölkerung Europas erneut dezimierten, und nachdem in Ruanda in-nerhalb von drei Monaten fast eine Million Menschen wegen ihrer Zuge-hörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Tutsi hingerichtet wurden.16 Am1. Juli des Jahres 2002 trat schließlich das Statut des Internationalen Straf-

12 Levi, 2013, S. 53.13 Vgl. dazu etwa Harris, 2008; Jescheck, 1952.14 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ).15 Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (IStGHR).16 Vgl. zusammenfassend Möller, 2003, S. 170–226.

1. Kapitel: Einleitung

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gerichtshofs in Kraft. Damit wurde einem internationalen Gericht durcheinen völkerrechtlichen Vertrag dauerhaft die Kompetenz verliehen, Indi-viduen für die Begehung von Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression17 zu einer Kriminalstrafe zuverurteilen.

Die internationale Strafgerichtsbarkeit hat mittels eines internationalbesetzten Juristenstabs seit dem Zweiten Weltkrieg bisher insgesamt 181Menschen einer Kriminalstrafe unterworfen; 36 der Angeklagten habendie internationalen Richter vom Vorwurf eines Kernverbrechens freige-sprochen.18 Die strafrechtliche Sanktionierung bedeutete – abgesehen von19 Fällen, in denen die Kriegsverbrechertribunale in Nürnberg bzw. Tokionoch die Todesstrafe verhängt haben – üblicherweise, dass die Täter zueiner Freiheitsstrafe verurteilt wurden, d. h. die für schuldig befundenenStaatschefs, Kriegsminister etc. aus ihrem bisherigen Umfeld zwangswei-se herausgenommen und in eine meist im Ausland befindliche und durchfremde Sprachen regulierte, nach Zellen gegliederte Gefängnisarchitekturverbracht werden.19

Damit ist in ganz groben Zügen umrissen, was das Völkerstrafrecht aufTatbestands- und Rechtsfolgenseite umgreifen kann. „[F]ür uns ist das La-ger keine Strafe“, schreibt Levi, „für uns ist kein Termin gesetzt, und dasLager ist weiter nichts als die uns zugedachte, unbefristete Existenz inner-halb des deutschen Sozialgefüges.“20 Das Lager aber wird heute mit Strafebeantwortet und damit zu einem Gegenstand rechtswissenschaftlicher For-schung. Erörterungsbedürftig ist insoweit sowohl das Menschlichkeitsver-brechen als auch die Menschlichkeit des Strafens. Für eine gegenüberihrem eigenen Gegenstand kritische Völker- und Strafrechtswissenschaft

17 Ausführlich zum Aggressionsverbrechen und der (derzeit noch nicht bestehenden)Aburteilungsbefugnis durch den IStGH Werle, 2012, Rn. 1418–1475.

18 Die Nürnberger Nachfolgeprozesse sind dabei nicht mit inbegriffen, vgl. Werle,2012, Rn. 24, 33; http://www.icty.org/sections/TheCases/KeyFiguresoftheCases(zuletzt abgerufen am 3.12.2014); http://www.unictr.org/en/tribunal (zuletzt abge-rufen am 3.12.2014); http://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/situations and cases/Pages/situations and cases.aspx (zuletzt abgerufen am 3.12.2014).

19 Dazu Ambos, 2014, § 8 Rn. 95–105; zur interessanten Verteilung der von UN-Tri-bunalen Verurteilten auf die Mitgliedsstaaten der UN: http://unmict.org/enforcement-of-sentences.html (zuletzt abgerufen am 3.12.2014).

20 Levi, 2013, S. 80; zur Figur des „homo sacer“ unter Berücksichtigung der Konzen-trationslager Agamben, 2002; zu Agambens Philosophie und den sich daraus erge-benden Herausforderungen für ein liberales Strafrecht instruktiv Wittig, 2011, 113.

A. Ist das ein Mensch?

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wäre es schon angesichts der festzustellenden Verfestigung eines völker-strafrechtlichen Projekts und der sich abzeichnenden Weiterweitentwick-lung nicht hinreichend, es alleine bei der Vermutung zu belassen, dass diegeschaffenen oder noch zu schaffenden Rechtsinstitutionen den Gerechtig-keitsimpuls aufgreifen, den wir angesichts der etwa von Levi umschriebe-nen Geschehnisse verspüren. Vielmehr sind die Juristen, deren Professiondas „Lösen“ solcher Fälle zu treuen Händen übertragen ist, zu grundlegen-der Reflexion ihres Tuns verpflichtet. Dies wurde bisher von Seiten derStraf- und Völkerrechtswissenschaft – mit mittlerweile beachtlichen Aus-nahmen – noch zu selten unternommen. Soweit aber die Grundfragennicht beantwortet werden, ist „der Boden nicht gelegt und das Gebäudesteht eben nur zufällig“.21 Die vorliegende Arbeit will sich diesem Bodenunter dem Titel der „Straftheorien im Völkerstrafrecht“ widmen und zuder Beantwortung der Grundfragen des Völkerstrafrechts, soweit sie die-sen Titel betreffen, Weiterführendes beitragen.

Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischer Reflexion

Ausgangspunkt

Das Völkerstrafrecht ist eingebettet in den „modernen“, fortschreitendenProzess der Internationalisierung und Globalisierung22 des Rechts. Es be-zieht sich auf eine Weltgesellschaft, in der, wie Luhmann beobachtet, „dieAngelegenheiten aller Menschen irgendwie zusammenhängen“23, „sichweltweite Interaktionen schon konsolidiert“24 haben, das Wissen „univer-sell verbreitet“25 ist, „eine „weltweite öffentliche Meinung […] bei einerReihe von Themen weltweite Registrierung und Resonanz“26 erfährt, und

B.

I.

21 Gierhake, 2005, S. 30.22 Zur Globalisierung examplarisch Luhmann, ARSP 1971, 1; Höffe, 1999; Höffe,

2002; Röhl/Röhl, 2008, S. 522. Etwa Kaiser, 2007, 379 (386) hebt zutreffend her-vor, dass sich mindestens fünf Dimensionen der Globalisierung unterscheiden las-sen, namentlich eine ökonomische, technische, kulturelle, ökologische und politi-sche.

23 Luhmann, ARSP 1971, 1.24 Luhmann, ARSP 1971, 1 (7).25 Luhmann, ARSP 1971, 1 (7).26 Luhmann, ARSP 1971, 1 (7).

1. Kapitel: Einleitung

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in der „großräumige […] wirtschaftliche Verflechtungen“27 und „eine aufWeltfrieden beruhende durchgehende Verkehrszivilisation entstanden“28

sind.In dieser Dynamik kann man das Völkerstrafrecht als deutliches Zei-

chen einer „eigenständige[n] Sphäre der Globalität“29 interpretieren, dieletztlich alle Menschen teilen. Es verfolgt das Ziel, das „zerbrechlicheMosaik“30 einer universellen Zivilisation zu verteidigen und beruht darauf,dass „alle Völker durch gemeinsame Bande verbunden sind und ihre Kul-turen ein gemeinsames Erbe bilden“31. Sein Gegenstand sind „dieschwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Gan-zes berühren“32, welche „das Gewissen der Menschheit zutiefst erschüt-tern“33. Zur Reaktion berufen ist nicht eine durch Grenzen gekennzeichne-te nationale Einheit, sondern die grenzenlose internationale Gemeinschaft.

Dadurch zeigt sich zugleich ein weiterer wichtiger Zug der Rechtsglo-balisierung, der im Zusammenhang des Völkerstrafrechts in besondererWeise hervortritt: die „moderne“ Zurückdrängung der Nationalstaaten,verbunden mit einer gleichzeitigen Stärkung von internationalen Organisa-tionen.34 Den Staaten bzw. ihren Repräsentanten und Amtsträgern wurdeim 20. Jahrhundert „das Privileg der Impunität und Immunität bei Makro-kriminalität in zunehmendem Maße von der internationalen Staatenge-

27 Luhmann, ARSP 1971, 1 (7).28 Luhmann, ARSP 1971, 1 (7).29 So im Zusammenhang der Globalisierung Röhl/Röhl, 2008, S. 522. Die Weltge-

sellschaft lässt sich nach Luhmann, ARSP 1971, 1 (7-8) nicht nur für „normkon-formes, sondern auch für abweichendes Verhalten“ beschreiben. Höffe, 2002, derdie Globalisierung aus philosophischer Sicht ausgeleuchtet hat, spricht von einerinhomogenen Weltgesellschaft in Gestalt einer Gewaltgemeinschaft, einer Koope-rationsgemeinschaft und einer Gemeinschaft von Leid und Not (vgl. zur Weltge-sellschaft auch schon Höffe, 1999, S. 11).

30 Abs. 2 Präambel des IStGH-Statuts.31 Abs. 2 Präambel des IStGH-Statuts.32 Abs. 4 Präambel des IStGH-Statuts.33 Abs. 2 Präambel des IStGH-Statuts.34 Exemplarisch diagnostiziert Haffke, 2002, 395 (398), dass das Völkerstrafrecht

„den Keim einer aufdämmernden Weltstaatlichkeit“ enthält. Burchard, Die Frie-dens-Warte 2008, 73 begreift Völkerstrafrecht als „global governance“. Diese Ent-wicklungslinie ist freilich in dem multidimensionalen Globalisierungsprozess nurein Aspekt (vgl. dazu ausführlicher Kaiser, 2007, 379 [386–395]).

B. Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischer Reflexion

27

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meinschaft und den Vereinten Nationen bestritten“, und damit ihre Souve-ränität durch überstaatliche Institutionen höherer Ordnung eingegrenzt.35

Das Völkerstrafrecht lässt sich in diesem Zusammenhang auf verschie-dene Weise sozialtheoretisch deuten. Mit Neubacher36 könnte man bereitsdie Existenz einer – wenn auch noch defizitären – internationalen Straf-rechtsordnung und Strafgerichtsbarkeit als Zivilisierungsfortschritt im Sin-ne der Zivilisationstheorie von Elias37 verstehen. Auch zu der Entwick-lung der Gewalt hin zu deren zunehmender Domestizierung nach Pinker38

ließen sich interessante – näher auszuforschende – Parallelen ziehen. Be-zeichnenderweise fällt etwa die Geburtsstunde des modernen Völkerstraf-rechts – die Nürnberger Prozesse – mit einem historisch wichtigen Um-bruch bzgl. der Gewalt zusammen: Nach Ende des Zweiten Weltkriegsführten die „höher entwickelten Staaten keinen Krieg mehr gegeneinander[…]“ (sog. „langer Frieden“).39 Pinker sieht einen weiteren wichtigenWendepunkt nach Ende des kalten Krieges 1989: „Organisierte Konfliktealler Art – Bürgerkriege, Völkermord, Unterdrückung durch selbstherrli-che Regierungen und terroristische Anschläge – […]“ seien seitdem zu-rückgegangen (sog. „neuer Frieden“).40 Auch hier könnte man eine Pa-rallele ziehen – 1993 und 1995 wurden die Ad-hoc-Tribunale für Jugosla-wien (IStGHJ) bzw. Ruanda (IStGHR) gegründet. Den vorläufigen„Schlussstein“ dieser Entwicklung bildete so dann die Verstetigung diesesProzesses durch die Verabschiedung des Statuts des Internationalen Straf-gerichtshofs.

Doch stellt sich die Globalisierung tatsächlich nur als „Metamorphose“des Strafrechts dar?41 Zum Teil wird im Völkerstrafrecht neben ein fort-schrittlich gefärbtes Narrativ auch eine machtkritische Deutung gestellt, inder – etwa in Anknüpfung an Foucault42 – die internationale (u. U. west-

35 So Neubacher, 2005, S. 146–147.36 Neubacher, 2005, S. 136–155.37 Elias, 1990; Elias, 1992.38 Pinker, 2011.39 Pinker, 2011, S. 16; ausführlich Pinker, 2011, S. 290–440, siehe insbesondere

auch S. 387–402 zur Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschen-rechte 1948 durch 48 Staaten und deren Bedeutung für den „langen Frieden“; zuletzterem auch Pinker, 2011, S. 562–711 zur „Revolution der Rechte“.

40 Pinker, 2011, S. 16; ausführlich Pinker, 2011, S. 441–561.41 Schünemann, 2004, 133 stellt im Titel seines Beitrags zur Rechtsglobalisierung die

Frage, ob diese eine Metamorophose oder sogar Apokalypse des Rechts sei.42 Foucault, 1992, S. 295–329.

1. Kapitel: Einleitung

28

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lich gesteuerte) Ausbreitung der „Sozialdisziplinierung“43 als Gefahr fürdie gesellschaftlichen und individuellen Identitäten begriffen wird.44 Wel-cher Interpretation hier der Vorzug zu geben ist, soll an dieser Stelle nichtvertieft und entschieden werden. Ziel der vorliegenden Untersuchung istes – im Bewusstsein der konfliktbeladenen Spannbreite der sozialtheoreti-schen Deutungsmuster – herauszuarbeiten, ob für das Völkerstrafrechtüberhaupt eine tragfähige strafrechtliche Grundlegung entwickelt werdenkann.

Das Zentrum der strafrechtlichen Grundlagenreflexion bilden bereitsseit dem Altertum die sog. Straftheorien. Im Kern behandeln diese die Fra-ge, ob und wie Kriminalstrafe legitimiert werden kann. Wichtige und bisheute diskutierte Wurzeln der Straftheorien finden sich bereits in der anti-ken Philosophie; schon damals stehen sich etwa die Positionen der Prä-vention und Vergeltung gegenüber, wie z. B. die über Seneca und Platonübermittelte Stellungnahme des Protagoras (ca. 485–415 v. Chr.) belegt,in der dieser sich gegen die von den Pythagoräern überlieferte h. M., wo-nach Strafe als talionsgerechte Vergeltung zu verstehen sei, wendet: „Namuit Plato ait: ‚nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur.‘“(„Denn, wie Platon sagt: ‚Kein kluger Mensch straft, weil gesündigt wor-den ist, sondern damit nicht gesündigt werde‘“).45

Durch das Thema der Straftheorien im Völkerstrafrecht wird insofern„Altes“ (die Straftheorien) und „Neues“ (das Völkerstrafrecht) zusammen-geführt. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass auchdas Völkerstrafrecht ältere Wurzeln hat. Anzuführen sind hier etwa derProzess gegen den Landvogt Peter von Hagenbach im Jahre 1474 in Brei-sach wegen seiner dort ausgeübten mörderischen Schreckensherrschaft46,die weniger bekannten internationalen Gerichte zur Abschaffung des Skla-

43 Zu diesem Begriff in Abgrenzung zur sozialen Kontrolle etwa Kaiser, 2007, 379(384).

44 Hierzu bereits Neubacher, 2005, S. 153, der zudem darauf hinweist, dass die Ent-wicklung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit besser in die Zivilisationstheo-rie von Elias eingefasst werden kann.

45 Seneca, De ira, Liber I, XIX 7, Philosophische Schriften, 2011, S. 140-141. Diesgibt übrigens Protagoras Ansicht wieder, nicht die von Platon (so bereits v. Hip-pel, 1925, S. 461), wobei etwa bereits Aristoteles als Vereinigungstheoretiker ge-sehen werden kann, vgl. v. Hippel, 1925, S. 462–465.

46 Hierzu etwa Merkel, 1996, 309 (327-328), der die Vorgeschichte des Völkerstraf-rechts bis hin zur Antike und Xenophons Hellenika ausdeutet. Ausführlich Neuba-cher, 2005, S. 255–267.

B. Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischer Reflexion

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venhandels, die bereits von 1817 bis 1871 auf völkervertraglicher Grund-lage im Interesse des Menschenrechtsschutzes Recht gesprochen haben47

sowie der (gescheiterte) Versuch im Jahre 1919 nach dem Ersten Welt-krieg den deutschen Kaiser Wilhelm II. völkerrechtlich wegen „der Urhe-berschaft am Krieg“48 zu bestrafen. Das hier zentral problematisierte, ge-genwärtig praktizierte Völkerstrafrecht ist dennoch in der angedeutetenEntwicklungslinie von „Nürnberg nach Den Haag“ eine relativ moderneErscheinung.49

Es ist in diesem Kontext das Ziel der vorliegenden Untersuchung, das„Alte“ (die Straftheorien) aus dem spezifischen Blickwinkel des „Neuen“(des Völkerstrafrechts) zu hinterfragen. Dabei geht es mit anderen Wortendarum, eine Straftheorie aus völkerstrafrechtlichem Blickwinkel zu formu-lieren. Auch eine völkerstrafrechtliche Straftheorie muss und darf natür-lich nicht im „luftleeren“ Raum beginnen, sondern kann und soll sich denhistorisch gewachsenen Gedankenreichtum der für die Institution der Stra-fe entwickelten Konzepte zu Eigen machen.50 Will man nicht spekulativverfahren, muss man auch im Bereich der Straftheorie die Probleme zu-nächst am „Fall“ kennen und diskutieren lernen.51 Der „Fall“ der Straf-theorie ist aber gerade „ihr Auftreten in der Geschichte“52.

Um das Ziel zu erreichen, eine völkerstrafrechtliche Straftheorie zu for-mulieren und die straftheoretische „Lücke“ im internationalen Bereich et-was aufzufüllen, sollen die Straftheorien in dieser Untersuchung imSchwerpunkt aber nicht ideengeschichtlich vertieft werden,53 sondern pri-mär in ihrem heutigen, historisch gewachsenen Bestand zum Ausgangs-punkt einer Reflexion des Völkerstrafrechts genommen werden. Der Zu-

47 Darauf hat insbesondere der vormalige Vize-Präsident des IStGH René Blattmannin seinen zahlreichen instruktiven Vorträgen zur Geschichte des Völkerstrafrechtshingewiesen; der Bearbeiter hat hiervon im Rahmen eines Praktikums am IStGHKenntnis erlangt (von diesem eigenständigen Schwerpunkt Blattmanns berichtetauch Väsper-Gränske, ZIS 2013, 401 [402]).

48 Dazu Merkel, 1996, 309 (328), der darauf hinweist, dass hier auf die Verletzungder „Gesetze Gottes und der Menschheit“ abgestellt wurde. Vgl. zu den sog. Leip-ziger Prozessen Neubacher, 2005, S. 306–314 m.w.N.

49 Hierzu etwa Cassese, 2013, S. 4; Jeßberger/Geneuss, 2014, 217 (218).50 Gierhake, 2005, S. 21.51 So etwa Kaufmann, 1997, S. 10.52 Allgemein zur Rechtsphilosophie Kaufmann, 1997, S. 10.53 Zu instruktiven ideengeschichtlichen Ansätzen einer „universellen“ Straftheorie

aus neuerer Zeit etwa Greco, 2009.

1. Kapitel: Einleitung

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sammenhang des Völkerstrafrechts erfordert einen neuen Blick auf das„Material“ der Straftheorien. In der Vergangenheit – wobei Vergangenheithier in den Dimensionen der Geschichte der Straftheorien verstanden wird– war es kaum vorstellbar, dass ein internationaler Rechtsstab im Auftragder Weltgemeinschaft Strafurteile fällt, so dass auch die straftheoretischenKonzepte im Ansatz nicht spezifisch auf die völkerstrafrechtliche Situati-on zugeschnitten sind. Die Straftheorien erhalten in diesem Bereich eineneue internationale, globale Dimension, die zugleich ihre Fortentwick-lungsbedürftigkeit und -fähigkeit auf die Probe stellt. Die nun folgendenErwägungen dienen dem Anliegen, diesen spezifisch völkerstrafrechtli-chen Schwerpunkt der Frage nach der Legitimation der Strafe etwas näherherauszuarbeiten. Damit wird die gewählte Untersuchungsfrage nicht nurnäher konturiert, sondern zugleich auch eingegrenzt.

Zur näheren Konturierung des Reflexionsrahmens

Zum Begriff des Völkerstrafrechts

Zunächst ist eine Begriffsbestimmung erforderlich. Gegenstand des Völ-kerstrafrechts sind nach einem mittlerweile tradierten Verständnis „alleNormen des Völkerrechts, die unmittelbar eine individuelle Strafbarkeitbegründen, ausschließen oder auf andere Weise regeln“54. Danach behan-delt das Völkerstrafrecht also stets die Strafbarkeit von Individuen, diestrafbarkeitsbegründende Norm ist Teil der Völkerrechtsordnung und dienormierte Rechtsfolge ist die Kriminalstrafe.55 Es handelt sich beim Völ-kerstrafrecht um eine Kombination aus straf- und völkerrechtlichenGrundsätzen; materiell ist das Völkerstrafrecht angesichts der Dominanz

II.

1.

54 So Werle, 2012, Rn. 86. Die klassische Definition von Jescheck, 1952, S. 9 lautet:„Das Völkerstrafrecht ist die Gesamtheit aller Normen strafrechtlicher Natur, diedem Völkerrecht angehören.“ Triffterer, 1966, S. 34 tradiert dies, in dem er formu-liert: „Völkerstrafrecht im formellen Sinn ist die Gesamtheit aller völkerrechtli-chen Normen strafrechtlicher Natur, die an ein bestimmtes Verhalten – das inter-nationale Verbrechen – bestimmte, typischerweise dem Strafrecht vorbehalteneRechtsfolgen knüpfen und die als solche unmittelbar anwendbar sind.“ Vgl. auchStuckenberg, 2007, S. 2–3. Zum (weiteren) Begriff „International Criminal Law“im englischen Schrifttum einführend Cassese, 2013, S. 3-4 sowie unten unter 1.Kapitel:B.II.2.

55 Vgl. Werle, 2012, Rn. 87.

B. Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischer Reflexion

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strafrechtlicher Zurechnung und Sanktionen als Strafrecht zu begreifen,formell gehören völkerstrafrechtlichen Normen zum Völkerrecht.56 DasVölkerstrafrecht wird der Rechtsordnung der internationalen Gemein-schaft zugeordnet; es handelt sich mit anderen Worten um das Strafrechtder internationalen Gemeinschaft.57 Hervorzuheben ist, dass die völker-strafrechtliche Verantwortlichkeit unabhängig von der Transformation ei-nes Tatbestandes in die nationale Rechtsordnung ist.58 In institutionellerHinsicht wird der Strafanspruch nicht mehr nur durch die Einzelstaaten,sondern vielmehr – und das ist hier Thema – auch durch die internationaleGemeinschaft mittels einer internationalen Strafgerichtsbarkeit ausgeübt.59

Der (enge) Begriff des Völkerstrafrechts erfasst inhaltlich die sog. corecrimes (Kernverbrechen), d. h. „die schwersten Verbrechen“, welche nichtnur den Rechtskreis einzelner Staaten,60 sondern „die internationale Ge-meinschaft als Ganzes berühren“, namentlich die Tatbestände des Völker-mordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Kriegsverbrechenund der Aggression, die im IStGH-Statut pönalisiert werden.61 Der Begriffder Kernverbrechen bringt zum Ausdruck, dass es um den „hartenKern“62, den „weltweit anerkannten Mindeststandard“63 des völkerrechtli-chen Strafrechts geht, in welchem dieses mit einem universellen Geltungs-anspruch ausgestattet ist.64 Das Kernvölkerstrafrecht wird, wie Trifftererformuliert, als „Ausfluß der spezifischen Strafgewalt der Völkergemein-

56 So formuliert etwa Ambos, 2014, § 5 Rn. 1.57 Triffterer, 1966, S. 29; vgl. Satzger, 2013, § 12 Rn. 1, der inhaltlich gleichbedeu-

tend vom „Strafrecht der Völkergemeinschaft“ spricht.58 Dazu etwa bereits Triffterer, 1966, S. 31; vgl. auch Esser, 2014, § 16 Rn. 16

m.w.N.59 Zu den unterschiedlichen Ebenen Ambos, OJLS 2013, 293 (296–297).60 Satzger, 2013, § 12 Rn. 1; Cassesse, 2013, S. 20 spricht hier von „criminal rules of

a truly international nature“. Ob dahinter ein materiell legitimierendes Konzept(z. B. internationaler Rechtsgüterschutz oder international harm principle) steht, isteine davon zu unterscheidende Frage, vgl. hierzu auch 1. Kapitel:C.III.

61 Statt vieler Werle, 2012, Rn. 88 m.w.N.; vgl. auch Abs. 4 und 9 der Präambel so-wie Art. 5 IStGH-Statut.

62 So Werle, ZStW 1997, 808 (816).63 So Satzger, 2013, § 12 Rn. 3.64 Hierzu auch in Bezug zum geltenden Recht Grützner/Pötz/Kreß/Kreß, 2007, IV A

1 Rn. 31; vgl. zum begrifflich universalen Geltungsanspruch auch Haffke, 2002,395 (397).

1. Kapitel: Einleitung

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schaft“ begriffen.65 Um die völkerrechtliche Natur der core crimes zumAusdruck zu bringen, kann man auch von „völkerrechtlichen Verbre-chen“66 sprechen. Die Verwirklichung des völkerrechtlichen Strafan-spruchs ist diesem Begriffe nach unabhängig von der Staatsangehörigkeitdes Täters und dem Willen einzelner Staaten.67

Neben dem Völkerstrafrecht, das in der geschilderten engen Begriff-lichkeit nur die Kernverbrechen umfasst, gibt es einen weiteren Bereichsog. „internationaler Verbrechen“ wie z. B. den Terrorismus oder be-stimmte Umweltdelikte, an deren Verfolgung und Bestrafung die interna-tionale Gemeinschaft ebenso ein internationales Interesse hat.68 Die Straf-barkeit ergibt sich hier aber nicht – jedenfalls nicht unumstritten – unmit-telbar aus dem Völkerrecht, sondern die Staaten haben sich „nur“ mittelsbi- und multilateraler Verträge darauf verständigt bzw. können sich daraufverständigen, diese Verbrechen vermittelt über die Nationalstaaten zu ahn-den.69 Die diese weiteren „internationalen Verbrechen“ umfassendenRechtssätze sind vom tradierten Kernvölkerstrafrecht begrifflich zu tren-nen; man kann hier von „materiellem internationalen Strafrecht i.w.S.“70

sprechen. Dieses ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.Gleiches gilt für die immer wieder diskutierte Strafbarkeit juristischer

Personen, d. h. eines Unternehmens und insbesondere eines Staates oderVolkes selbst.71 Beide Aspekte sind weder nach obiger Definition „Völ-kerstrafrecht“, da dieses nur die strafrechtliche Haftung von Individuenbetrifft, noch gehören sie zum klassischen Gegenstand der Straftheorien.Außen vor bleibt schließlich das nationale Recht, das die individuelleStrafbarkeit für die Kernverbrechen regelt, wie z. B. in Deutschland dasVölkerstrafgesetzbuch (VStGB). Dieses gehört nicht zum Völkerstraf-

65 Triffterer, 1966, S. 31, vgl. auch S. 30: „Da jede Gemeinschaft zum Schutze ihrerRechtsgüter eine eigene Strafgewalt besitzt, trägt jede Rechtsordnung das Straf-recht als Teil in sich.“

66 Zu diesem Begriff z. B. Wilkitzki, ZStW 1987, 455 (463). Neubacher, 2005, S. 39bevorzugt, da es hier um besonders schwere, systematische Menschenrechtsverlet-zungen geht, den Begriff des „Menschenrechtsverbrechens“.

67 Hierzu ausführlicher Köhler, JRE 2003, 435 (440).68 Werle, 2012, Rn. 122, 124.69 Neubacher, 2005, S. 39; Werle, 2012, Rn. 122.70 Neubacher 2005, S. 39.71 Grundlegend Jescheck, 1952, S. 7–8; vgl. zur Abgrenzung zum Staatenunrecht

Werle, 2012, Rn. 119–121.

B. Das Völkerstrafrecht als Gegenstand straftheoretischer Reflexion

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recht, da die Regelungen nicht Teil des Völkerrechts sind, auch wenn sieder Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben dienen.

Völkerstrafrecht versus internationales Strafrecht

Das hier wiedergegebene Begriffsverständis ist mittlerweile gefestigt.Zum Teil wird für das, was hier als Völkerstrafrecht bezeichnet wird, in-des der Begriff des „internationalen Strafrechts“ bevorzugt. So führte etwabereits v. Liszt aus: „Internationales Strafrecht im eigentlichen Sinne desWortes sind diejenigen Strafrechtssätze, welche nicht vom einzelnen Staa-te, sondern von der Gesamtheit der Kulturstaaten, also von der Völker-rechtsgemeinschaft erlassen sind.“72 Für die Verwendung des Begriffs desinternationalen Strafrechts wird angeführt, dass man dadurch eine interna-tional anschlussfähige Terminologie habe („International Criminal Law“73

bzw. „droit international pénal“ etc.) und dem Missverständnis vorbeugenkönne, es gehe beim Völkerstrafrecht um die Bestrafung von „Völkern“.74

Üblicherweise wird der Begriff des internationalen Strafrechts heute, an-ders als v. Liszt dies intendierte, sehr weit gefasst. Er bezeichnet alle Be-reiche des Strafrechts, die Auslandsbezug aufweisen und somit neben demVölkerstrafrecht auch das europäische und das zwischenstaatliche Straf-recht, d. h. das Strafanwendungs-, Auslieferungs- und Rechtshilferecht.75

Will man das Völkerstrafrecht beschreiben, muss der Begriff des interna-tionalen Strafrechts dahingehend präzisiert werden, dass es sich um „ma-terielles internationales Strafrecht“76 i.e.S. oder „International CriminalLaw strictu sensu“77 handelt. Vorzugswürdig ist es daher den prägnante-ren Begriff des Völkerstrafrechts beizubehalten, da dieser die völkerrecht-liche Rechtsnatur78 zum Ausdruck bringt und zugleich deutlich macht,dass es sich beim Völkerstrafrecht um das „Strafrecht der internationalen

2.

72 V. Liszt, 1905, S. 100.73 Exemplarisch hierzu Cassese, 2013, S. 3–21 m.w.N.74 Hierzu etwa Neubacher, 2005, S. 33, 37.75 Werle, 2012, Rn. 131; Neubacher, 2005, 38.76 Neubacher, 2005, 38.77 Vgl. Wolfrum/Kreß, 2012, International Criminal Law Rn. 10–14; Cassese, 2013,

S. 20 spricht von „truly international criminal law“.78 So schon Triffterer, 1966, S. 26.

1. Kapitel: Einleitung

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