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1 Andy Warhol Death & Desaster Im Spannungsfeld von Kommerz und Tragik „Ich erkannte, dass alles, was ich tue, mit dem Tod zusammenhängt.“ Vorbereitung auf die Langzeitklausur der Q2 │WEISS

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Andy Warhol Death & Desaster

Im Spannungsfeld von Kommerz und Tragik

„Ich erkannte, dass alles, was ich tue, mit dem Tod

zusammenhängt.“

Vorbereitung auf die Langzeitklausur der Q2 │WEISS

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Künstler im fotografischen Zeitalter

Ein gesellschaftliches Porträt im Spannungsfeld von Kommerz und Tragik

Die Pop-Art-Bewegung entsteht in den 1950er Jahren unabhängig voneinander in den

USA und England. Nach den verheerenden Schrecken und großen Entbehrungen des

2. Weltkriegs entdecken die Pop-Art Künstler den wachsenden Konsum für ihre

künstlerische Auseinandersetzung. Die Grenzen zwischen Kunst und Alltagswelt lösen

sich auf. Die Banalität der Konsumgesellschaft wird zur Kunst. Im Jahr 1962 findet in

New York eine gemeinsame Ausstellung von amerikanischen und europäischen

Künstlern statt.

Genial oder einfach nur trashig verrückt? Diese Frage stellen sich diejenigen, die sich

mit dem Leben und dem Werk Warhols beschäftigen. Fest steht, dass Warhol (1928 –

1987) unter Kunstexperten und Zeitgenossen als Mitbegründer und Kopf der

amerikanischen Popart Bewegung gilt. Dabei haben seine plakativ-bunten Gemälde,

Drucke und Grafiken nicht den Anspruch, individuell oder elitär zu sein. Die Farben

bilden den stärksten Parameter in seinem Œuvre. Er nutzt sie zum Schminken,

Verstärken, Verwandeln und Karikieren. Warhol arbeitet intensiv und populär zugleich.

Den Ruhm erwirbt er sich mit den Darstellungen von Coca-Cola Flaschen und

Campbell’s Suppendosen, ein Thema, das den gesellschaftlichen Kommerz karikiert.

Dennoch bleibt es das Porträt, das ihn in seinem Schaffen am intensivsten beschäftigt.

Die Farbigkeit wirkt dabei wie Schminke im Dialog zu den schwarzen Ebenen. Rasch

gehen die Porträts des exzentrischen Künstlers aus dem New Yorker Untergrund um die

Welt. Ausgangspunkt seiner Bilder sind nahezu ausnahmslos Fotografien oder Stills.

Er wird sofort mit der Pop-Art Bewegung gleichgesetzt. Diese steht für den Beginn der

1960er Jahre, obgleich dies aber auch etwas kurzgegriffen erscheint, da Warhol damit

ein Image aufgezwängt wird, das seine Wirkungsabsicht nicht erfasst und damit zu

simpel bleibt. Prominente Ikonen wie Liz Taylor, Marilyn Monroe oder Jackie Kennedy

malt Warhol noch, ohne sie je zu treffen, dann geht er zur Auftragsporträtmalerei über.

Zwischen 1972 – 1987 fertigt er etwa 1000 Porträts an, nahezu eines pro Woche. Für

Warhol ist dies sowohl aus künstlerischer Sicht als auch wirtschaftlich eine erfolgreiche

Zeit. Die Kunden zahlen pauschal 25.000 US $ pro Bild. Es sind Industrielle, Models und

Filmstars. Viele erhoffen sich auf diese Weise eine gewisse Unsterblichkeit zu erlangen.

Als unsterblich könnte man bestenfalls sein Werk bezeichnen.

Andy Warhol machte die Wiederholung trivialer Dinge zu seinem Sujet. Quantität zu

seinem Markenzeichen. Kunst zur Fließbandware und Fließbandware sozusagen zur

Kunst. Viele hielten ihn für revolutionär, was er aber weit von sich wies.

In seinen seriellen Auseinandersetzungen mit dem Porträt gleicht kein Gesicht dem

anderen. Und doch ist es immer wieder dasselbe. Endlos könnte die Reihe fortgesetzt

werden, in immer neuen Farbzusammenstellungen. In Warhols Reihungen wird das

Porträt zu einem Ornament der Masse. Stellvertretend steht es für die in den Medien

als Massenware erschienene Fotografie. Die Person dahinter und ihre eigentliche

Identität wird nicht gezeigt. Durch die intensiven Farbsätze und die kontinuierliche

Wiederholung wird das Gesicht zur Fassade. Die tatsächliche Identität geht darin

verloren.

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Mit Mitteln der fotografischen Übertragung, des Siebdrucks und der Tontrennung schuf

Warhol Legenden mit einer ungewohnt plakativen Aura. Auch in andere Sujets

übernahm der damals bestbezahlte Grafikdesigner Manhattans die oberflächliche,

aber effektvolle Ästhetik der Medien- und Konsumwelt, um deren

Verführungsstrategien zu spiegeln. Unsentimental stellte er dabei Katastrophen und

Leid neben Sensationen, Alltagsgeschäft und Starglamour. Der Weg von Warhols

mechanischer Reihung der Motive zu fast unendlichen Sequenzen scheint nicht weit.

Derlei Ästhetik - auch die Vereinzelung von Objekten - enthüllt ebenso viel über

Massenprodukte und deren Herstellung wie über Konsumenten und deren

Gewohnheiten. Bei Warhol werden gebündelte Dollar-Noten oder ornamental

wiederholte Coca-Cola-Flaschen auch zum angestrebten Zeichen der Gleichheit im

„American way of life“, in dem der US-Präsident gleiche Produkte benutzt wie die

Liz, Diptychon, 1965, Synthetisches Polymer und Siebdruckfarbe auf Leinwand

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allgemeine Bevölkerung auch, ganz gleich welcher gesellschaftlichen Schicht sie

individuell angehört. Ideen zur Vermarktung und Popularisierung von Kunst trieben den

Künstler unentwegt um, auch mit billiger 16mm- oder Sofortbild-Kamera als Grundlage

für seine Tableaus.

Andy Warhol und der durch die Massenmedien verbreitete Tod

Ein Flugzeugabsturz, Rassenkämpfe in den USA zwische Schwarz und Weiß, ein

Elektrischer Stuhl, die Causa Kennedy und die tragische Figur Marilyn Monroe, all diese

Bilder Warhols stehen symbolisch für den American way of Life, bzw. aus Warhols Sicht

den American Way of Death. Die 1960er Jahre erzählen von zahlreichen Unglücken,

deren schicksalshafte Bilder in allen Zeitungen zu verfolgen waren. Andy Warhol, selbst

Opfer eines Attentats und zugleich fasziniert von den medialen Abbildungen dieser

Tragödien, nahm genau diese in sein Werk auf: die Serie „Death and Disaster“ entsteht.

„Ich erkannte, dass alles, was ich machte, mit dem Tod zusammenhing“, erinnerte sich

Warhol und der schillernde Künstler präsentiert uns damit eine ernsthafte Seite, die sich

auch fern von der Konsumwelt mit der Gesellschaft auseinandersetzte.

1962 entstand Warhols „Desaster Serie“ deren Ursprung in den Massenmedien zu

finden ist. Bei der „Desaster Serie“ handelte es sich um den Beginn einer neuen

Schaffensphase Warhols. Die Idee zu den Arbeiten der Serie entstand einer Anekdote

zur Folge im Sommer 1962 bei einem Zusammentreffen von Andy und einem Freund.

Dieser machte Andy auf die schicksalhaften Todesfälle aufmerksam, die täglich die

Seiten der Boulevardpresse füllen und trotzdem kaum von der konsumorientierten

Gesellschaft wahrgenommen werden. Warhol begreift den Tod als etwas, der als

Phänomen der Massenmedien in etwas Alltägliches entrückt wird. Infolgedessen

begann sich Warhol mit dem Thema Tod zu befassen. Mit der Technik des Siebdrucks

konnte er seine Bilder so oft vervielfältigen, wie er es für angebracht hielt. Der Künstler

reproduzierte Bilder, die er den Massenmedien entnommen hatte, um sie der

Gesellschaft erneut zuzuführen. Diesmal aber nicht als Pressebericht der Medien über

das Unglück eines Schicksals, sondern transformiert als Kunst, geprägt durch die

Medien. Die Massenmedien als Kunst für den massenhaften Medienkonsum der

Gesellschaft.

Als Kunstwerke, die kein Verfallsdatum mehr kannten, gewannen die

Wegwerfprodukte und kurzlebigen Medienbilder eine neue Realität. Ähnlich

beschreibt Gerhard Richter seinen Kapitalistischen Realismus. Gemalte Bilder haben

eine zeitlose Präsenz im Vergleich zum Foto, das schon im Moment der Entstehung zu

einem Relikt der Vergangenheit wird. Die Popkunst wurde geradezu zur Metapher der

Konsum- und Mediengesellschaft und beobachtet kritisch aus der Distanz, um dann

kritisch und ironisch zu kommentieren. Warhol macht in seinen Werken neben Figuren

des öffentlichen Lebens Autounfälle, Atombomben, Lebensmittelvergiftungen und

den elektrischen Stuhl zum Sujet.

Desaster Serie

Die „Desaster bzw. Todes- Serie“ begann 1962 mit dem Werk „129 Die in Jet“. Die

Anregung kam von seinem o.g. Freund. Er zeigte Warhol die Titelseite einer Zeitung,

auf der das Bild eines Flugzeugabsturzes mit 129 Toten abgebildet war. Diese Titelseite

gab den Anstoß zu der „Desaster Serie“ und war gleichzeitig Warhols letztes Hand

gemaltes Werk bevor er dazu überging, das Siebdruckverfahren anzuwenden. Die sich

in den Medien wiederholenden Schreckensnachrichten waren für Warhol Anlass sich

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dem Thema näher zu widmen. Durch die hartnäckige Wiederholung eines Bildmotivs

nimmt Warhol ihm das Schreckliche.

Dieses Bild des Flugzeugabsturzes führte zu weiteren Bildern, die Selbstmorde,

Autounfälle, Massenunfälle, Vergiftungsopfer, Rassenunruhen, atomare Katastrophen

und elektrische Stühle zeigen. Warhol verarbeitete das Thema Tod in immer neuen

Variationen. Die Vorlagen der „Desaster Serie“ stammen meist aus den

Massenmedien, wie Zeitungen und Illustrierte. Warhol benutzte für seine

Transformationen, aus Zeitungsberichten isolierte Bilder und Meldungen, die er

reproduzierte und repetierte. Durch die Vervielfältigung der meist äußerst

abschreckenden Zeitungsfotos von anonymen Unfallopfern oder Selbstmördern

erreichte der Künstler eine Verharmlosung der Realität, ein Abstumpfen gegenüber

den traurigen Schicksalen. Ein anderes Ziel war es die Betrachter seiner Werke dazu zu

bringen, über das Schicksal eines ihm unbekannten Menschen nachzudenken. Die

„Todes-Serie“ bestand jedoch nicht nur aus Bildern über anonyme Schicksale. Für

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Warhol bestand die „Desaster Serie“ aus zwei Kategorien: Die der anonymen Opfer

und die der Berühmten.

Die Bilder Marilyn Monroes entstanden kurz nach dem Selbstmord der berühmten

Schauspielerin und Sexsymbols im August 1962. Warhol verwendete ein Pressefoto aus

den fünfziger Jahren, von dem er den unteren Teil wegließ (vgl. S 11), um das Bild mit

Hilfe des Siebdrucks unzählige Male in unterschiedlichen Variationen zu reproduzieren.

Auch die Schicksale anderer berühmter Frauen der damaligen Zeit dienten Warhol als

Gegenstand seiner Kunst. Liz Taylor und Jackie Kennedy wurden zu Motiven der

„Desaster Serie“. Fotos von Liz wurden für den Künstler interessant, als die

Schauspielerin Liz Tylor ernsthaft erkrankte und alle Welt davon überzeugt war, sie

würde nicht überleben. Die First Lady, Jackie Kennedy, wurde nach dem Tod ihres

Ehemanns zum Motiv der Serie. Ruhm und Tragik liegen in Warhols Werken dicht

beieinander.

Ein weiterer dominierender Teil der „Desaster Serie“ sind die elektrischen Stühle. Diese

Bilder polarisierten im besonderen Maße. Andy reproduzierte das Foto eines „Electric

Chair“ und vervielfältigte es in allen erdenklichen Farben und verharmloste so dieses

Sinnbild des Schreckens für den Betrachter. Das Bild des „Electric Chair“ und auch die

anderen Werke der „Desaster Serie“ wurden durch die Repetition der Motive in ein

und demselben Bild massenhaft konsumierbar.

Warhols Intention war es, dass das Publikum eine veränderte Perspektive auf die

verhandelten Themen wahrnehmen und neu bewerten kann. Überdies ist es ihm

gelungen, mit einer schier unheimlichen Treffsicherheit Bildinhalte aufzugreifen, die bis

heute nichts von ihrer Wirkung verloren haben. In seiner Hand wurden die unvermittelt

direkten, schockierenden einfachen Bilder, die er gewöhnlich Zeitungen und

Zeitschriften entnahm oder in Fotografien entdeckte, zu zeitlosen, schlüssigen

Bildzeichen, die sich dem Publikum unauslöschlich eingeprägt haben.

Der durch die Massenmedien verbreitete Tod im Werk Warhols

Alle Bilder die Warhol seiner Desaster Serie zuordnete, zeigen den Tod oder haben ihn

in irgendeiner Weise mit ihm zu tun. Die Bilder der Autounfälle und Selbstmorde sind

eindeutig. Auf diesen Bildern wird der Tod sichtbar. Bei den Bildern von Autobomben,

Rassenunruhen und anderen Krawallen sieht man dagegen nicht den Tod, sondern

dessen Ursache. Bei dem elektrischen Stuhl handelt es sich um ein Motiv der absichtlich

herbeigeführten Todesursache. Aber dieses Motiv ist in seiner Deutung diffizil. Das Werk

ist sozialkritisch aufgeladen und hebt eine sehr umstrittene Seite des American Way of

Life hervor, obgleich sich Warhol stets unpolitisch verhalten hat und sich auch

hinsichtlich der amerikanischen Justiz neutral verhielt und sich nie positionierte. Bei den

Porträts der Reichen und Schönen der Todesserie Warhols ist der Grund, weshalb sie zu

der Serie gehören nicht auf den ersten Blick erkennbar. Hier sind die

Hintergrundinformationen wichtig, um die Bilder zu deuten. Die Porträts Marilyn

Monroes ordnete Warhol der Desaster Serie zu, da Monroe ein Opfer der Konsum- und

Mediengesellschaft geworden ist. Bereits zu Lebzeiten galt sie als Schönheitsideal und

Sexsymbol. Als Schauspielerin hingegen wurde sie nicht ernst genommen. An dem

Wahn um ihre Person zerbrach sie schließlich. Es ist anzunehmen, dass sie sich vor

diesem Hintergrund mit Schlaftabletten das Leben nahm. Sie war bereits tot, als Warhol

ihr Bild als Gegenstand für seine Kunst nutzte. Liz Taylor hingegen war so krank, dass es

nicht sicher war, ob sie sich erholen würde, als Warhol sie malte. Am Beispiel Jackie

Kennedys wird die Fragilität des Glücks erkennbar. Die Bilder zeigen die glückliche First

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Lady, bevor sie ihren Mann durch das Attentat von Dallas verliert und sie zeigen

zugleich die trauernde junge Frau nach dem Tod des Präsidenten. Warhol greift in

diesen Bildern das Tragische im Leben Jackie Kennedys auf, das durch den Verlust,

den Tod des Mannes verursacht wurde.

Alle drei Frauen waren jung und galten als Schönheitsideale, als Warhol sie in seinen

Bildern der Desaster Serie aufgriff. Zudem waren sie berühmt und begehrt, was die

Medien durch ihre Bilder und Berichte intensivierten. Warhol konservierte das in den

Massenmedien konstruierte Bild der Stars in deinen Werken. Nahezu alle Motive, die

Warhol in der Desaster Serie verwendete, stammen aus dem Fundus der öffentlichen

Massenmedien. Nur einige wenige bezog er aus unbenannten Quellen oder aus

Polizeiarchiven.

Mit der vehementen Wiederholung von drastischen Motiven beabsichtige Warhol

zweierlei. Zum einen war er der Meinung, dass die Betrachter durch die Repetition und

Verfremdung der einzelnen Fotos hinsichtlich des Entsetzens abstumpfen und die Bilder

so leichter zu konsumieren sind als ein einzelnes Foto in der Presse. Warhol selbst litt seit

dem Attentat im Jahr 1969 auf ihn unter Angstzuständen vor körperlicher Gewalt und

versuchte vielleicht seine eigene Furcht durch die Konfrontation mit den virulenten

Pressebildern zu kompensieren. Es gibt Forschungsbereiche, die sich mit der

Angstbewältigung durch Mediengewalt beschäftigen. Es wird darüber diskutiert, ob

ängstliche Personen Horror- und Psychofilme konsumieren, um eine Angstreduktion zu

erreichen. Warum sollte also nicht Andy Warhol versucht haben, die kollektiven Ängste

zu reduzieren?

Auf der anderen Seite führt er dem Publikum immer wieder tragische Schicksale vor

Augen und trägt dazu bei, dass die Toten nicht in Vergessenheit geraten. Damit leistet

er einen kontroversen Beitrag zur Aufarbeitung eines kollektiven Leids. Warhol

suggeriert mit dieser Serie, dass der Tod ein ständiger Begleiter des Lebens ist.

Reproduktionsverfahren Siebdruck

Andy Warhol begann im Jahr 1962 seine Bilder mit einer neuen Technik zu

verwirklichen. Er benutzte das Siebdruckverfahren, um seine Ideen umzusetzen. Warhol

wollte das Menschliche aus seiner Arbeit verdrängen, das Individuelle eliminieren. Mit

dem Siebdruck konnte er ein beliebiges Motiv so oft reproduzieren und verändern, wie

es ihm gefiel. Er konnte ein und dasselbe Bild in verschiedenen Farben, Anordnungen

und Größen immer wieder neu arrangieren. Die Herstellung seiner Kunst mit Hilfe des

Siebdrucks brachte ungeahnte Möglichkeiten mit sich. Es entstand eine Art

Massenproduktion, wie es für die Konsumgesellschaft Amerikas in dieser Zeit

charakteristisch war. Andy Warhol vereinfachte das Druckverfahren für seine Zwecke.

Anstatt der Druckform mit dem Siebgewebe verwendete der Künstler

lichtempfindliches Gewebe das als Fotonegativ diente. Außerdem druckte Warhol auf

Leinwand, die er bereits im Vorhinein mit Acrylfarbe grundiert hatte. Ende des Jahres

1963 bezog Warhol sein neues Atelier in New York, welches er „Factory“ nannte. Das

im fünften Stock liegende, 400qm große Atelier diente dem Künstler dazu seine

Siebdruck-Werke zu produzieren. Die traditionelle Malerei sah Warhol als veraltet an.

Mit der Technik des Siebdrucks hatte er die Möglichkeit seine Arbeiten schneller,

einfacher und immer gleich zu gestalten. Warhols Ziel war es das Menschliche aus

seinen Bildern zu verbannen.

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Electric Chair

Mit den Bildern des elektrischen Stuhls hat Warhol ein paradoxes Sujet gewählt. Er hat

das Bild in einer farbigen Palette gedruckt, die an Modefarben angelehnt war. Dies

stellt einen inhaltlichen Widerspruch dar, da der Gegenstand unverrückbar symbolisch

aufgeladen ist. Mit den intensiven Farbsätzen bewirkt Warhol jedoch eine Form der

Irritation, da die Pastelltöne an eine freie, sorgenfreie Welt erinnern. Der Raum, in dem

sich der Stuhl befindet, ist leer. Über der Tür befindet sich ein Schild auf dem „Ruhe“

steht. Es ist dennoch nicht erkennbar, ob während der Exekution eine weitere Person

anwesend ist. Außerhalb des Raumes wird die Hinrichtung von einem Publikum

begleitet. Dieser Stuhl steht ikonografisch für das grausame Ende eines Lebens in der

amerikanischen Justiz. Doch besonders bei diesen Werken erzielt Warhol durch die

Repetition des Motivs ein Abstumpfen gegenüber der Schwere des Bildgehalts. In

Europa wurde die Serie „Electric Chair“ als sozialkritisch gedeutet und mit großer

Anerkennung ausgezeichnet, während sie in den USA auf Ablehnung und

Unverständnis traf.

Andy Warhol: Ten different Electric Chairs, 1971

Warhol kombiniert in seinen Arbeiten traditionelle Gestaltungsverfahren und

Methoden aus der Werbeindustrie und bedient sich dieser Bilder als Vorlage. Die Bilder

Warhols übernehmen dramaturgische filmische Darstellungsmittel wie Totale,

Großaufnahme und Bildausschnitt.

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Das Ornament der Masse: Andy Warhol, Marilyn Monroe, 1967/ MoMa (Museum für Modern Art, New York)

Dies ist ihm durch die neuen Massenmedien wie Film, Fernsehen und Kino erst möglich.

Gleichzeitig arbeitet er auf konventionellen Bildträgern der Gattung Malerei. Eine

besondere Bedeutung stellt das Reproduktionsverfahren Siebdruck dar. Offenbar

bediente er sich diesem Verfahren nur, weil es ihm die Arbeit erleichterte. Das

passgenaue Arbeiten ignorierte er jedoch. Es entstehen Überlappungen und

unsaubere Flächen, die an Malerei erinnern. Dem unsachgemäßen Gebrauch von

Rakeln, schmutzigen Sieben und ungenauer Passung steht in Warhols Werk oft eine

grelle Einfärbung gegenüber. Der Einsatz leuchtender bunter Farbsätze greift formal

die schillernde Konsumwelt mit ihren Neonröhren und Hochglanzmagazinen auf.

Durch die Kombination mit Schwarz wird das Bild in eine flächige Struktur gemustert.

Bei Warhol wird das Urbild, die Bildvorlage, verstellt. Warhol brannte durch die steige

Wiederholung das Charakteristikum der jeweiligen Person in das Porträt ein. Durch

dieses Verfahren und die serielle Produktion wurden bereits Campbell’s Suppendosen

und Coca-Cola Flaschen ebenso darstellungswürdig wie ein traditionelles Stillleben.

Warhol hebt damit den Unterschied zwischen Hoch- und Popkultur auf, indem er

Lebensweise, Produktionsarten und Konsumverhalten seiner Zeit thematisiert.

Marilyn Monroe

Das Phänomen des Star- und Prominentenkults reicht weit bis in unsere heutige Zeit

hinein und prägt mehr denn je das Bild unserer Gesellschaft. Stars sind Menschen, die

bei vielen Bewunderung und Faszination auslösen und auf die wir viele unserer

Sehnsüchte projizieren. Stars besitzen meist eine geheimnisvolle Aura um sich herum

und verkörpern Schönheit, Erfolg, Glamour, Macht und Abenteuer. Sie sind

charismatische Erscheinungen und sind vor allem eins: berühmt. Man kann sie

symbolischen Idealbildern oder gesellschaftlichen Ikonen gleichsetzen. Mit dem

Phänomen der Starporträts setzten sich unterschiedliche Künstler, vor allem in

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Großbritannien und in den USA der 1960er Jahre auseinander. Einer, der sich

besonders für den Starkult interessierte, war Andy Warhol. Warhol war der erste

Künstler, der den Versuch unternahm, den Glamour der Stars auf die Kunst zu

übertragen. Warhol berief sich bei seinen Portraitserien vor allem auf so genannte

Superstars, wie z.B. Marilyn Monroe, Elizabeth Taylor und Elvis Presley. Bei vielen dieser

Superstars lagen wie kaum bei anderen Menschen, Ruhm und Tragödie so nahe

beieinander. Das Bild, welches wir von dem Star erhalten, unterliegt einem

Transformationsprozess durch die Massenmedien. Die Medien beeinflussen

maßgeblich unsere Wahrnehmung von öffentlichen Personen, mit ihnen auch den

Stars. Das Zitat „In the future, everybody could be a star for 15 minutes“ geht auf

Warhol zurück. Warhols Formulierung aus den Sechzigern ist heute längst Realität

geworden. Stars gibt es in jeder Sparte der Gesellschaft. Dabei gibt es kaum genaue

Vorstellungen, was einen Star auszeichnet. Ein Star muss vor allem die permanente

Aufmerksamkeit durch die Massenmedien erreichen, gleich ob die Schlagzeilen gut

oder schlecht sind. Die Wiederholung des immer gleichen steigert den

Bekanntheitsgrad. Ermöglicht wurde dies erst durch mediale Reproduktionstechniken

seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Bilder von Stars konnten somit in die ganze Welt

gelangen.

Star heißt zu Deutsch etwa Stern. Das verleiht den Stars das Prädikat von etwas

Wundervollem, Leuchtendem und Besonderem. Der Begriff Star ist seit dem

Filmzeitalter in aller Munde. Der Begriff Superstar, das Superlativ von Star, stammt

wahrscheinlich von dem Avantgardefilmer Jack Smith, der damit 1964 eine

Fotostrecke bezeichnete. Warhol übernahm den Begriff und bezeichnete die

Darsteller seiner berühmten Factory, als Superstars. Warhols Interesse am Startum reicht

weit bis in seine Kindheit zurück. Schon früh sammelte er mit Begeisterung Star- und

Publicity Fotos. Warhol konnte somit auf einen großen Fundus an Bildern zurückgreifen,

die Ausdruck in seinen Pop-Art Starportraits der Sechziger Jahre fanden und das Bild

des Stars entscheidend mitgeprägt haben. Der Begriff Pop-Art versucht die materielle

Bedeutung der Populärkultur zu beschreiben. Mitte der Sechziger Jahre hatte sich die

Pop-Art internationales Ansehen verschafft und sich fest etabliert. Warhols Starportraits

entstanden in der Pop-Art Ära, einer Zeit, in der das Konsumdenken, der technische

Fortschritt und die rapide wachsende Macht der Medien in der Kunst reflektiert

wurden. Letzteres wurde in Warhols Starportraits thematisiert.

Ein Starporträt zu schaffen impliziert, die herkömmliche Vorgehensweise der

Bildnismalerei, die auf der persönlichen und unmittelbaren Erfahrung des Malers von

seinem Modell beruht, zu durchbrechen. Denn es entspräche kaum dem Wesen eines

Stars, sein Porträt anhand der unmittelbaren Anschauung der eigenen Person fertigen

zu lassen. Einen Star zu porträtieren, bedeutet eine generierte Oberfläche zu

porträtieren, die von den Medien geschaffen wurde. Insofern handelt Warhol

konsequent, wenn er das Bildnis dessen fertigt, als das der Star für die Öffentlichkeit

existiert. Es ist das Bildnis seines fotografischen Bildes. Warhols Besessenheit, allen voran

für Marilyn Monroe (eigentlich Norma Jean Mortensen), ging so weit, dass er von ihr

etwa tausend Fotos sammelte und studierte. Einer seiner bekanntesten Siebdrucke, ist

das Portrait Marilyn aus dem Jahre 1962. Es entstand kurz nach ihrem Tod im Alter von

nur 36 Jahren. Das Portrait basiert auf einer Werbestandaufnahme für den Film Niagara

aus dem Jahr 1953. Warhol übertrug das Schwarz-Weiß Bild auf einen Siebdruck,

welches er mehrmals auf eingefärbten Leinwänden reproduzierte. Anschließend hat

er die aufgedruckten Bilder teilweise weiter malerisch bearbeitet.

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Warhol inszeniert das Porträt Marilyn, indem er auf eine Fotografie zurückgreift, die

einen vermeintlichen Eindruck der Realität, wie Marilyn Monroe aussah, abbilden soll.

Zudem evoziert die fotografische Vorlage einen gewissen Wiedererkennungswert der

omnipräsenten Schauspielerin. Warhol wählte gezielt einen bestimmten Ausschnitt der

Fotografie, der Marilyn Hals aufwärts zeigt. Die Wahrnehmung des Betrachters ist somit

genau auf ihr Gesicht fixiert. Sie erscheint dadurch persönlich und nicht mehr so

distanziert wie auf der Fotografie, zumal die Kleidung ausgegrenzt ist. Warhols begrenzt

gewählter Bildausschnitt und seine farbig leuchtende Akzentuierung auf ihrem Haar,

ihren Lippen und ihrem Augen-Make-up, heben besonders die Sinnlichkeit der

Schauspielerin hervor. Man nimmt das Porträt als ganzes Gefüge wahr.

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Aufgaben:

1. Lesen Sie den Text zu Andy Warhol bis Seite 11 selektiv und heben Sie die wichtigsten

Kernaussagen farbig hervor.

2. Finden Sie zu den einzelnen Textabschnitten knappe Überschriften, die den jeweiligen

Inhalt bündeln.

3. Erläutern Sie die Bedeutung der Gleichmachung im Werk Warhols mit Hilfe von

geeigneten Beispielen. (AFB II)

4. Setzen Sie die Ambivalenz in Warhols Werk hinsichtlich der gewählten Bildgegenstände

und der jeweiligen Farbsysteme in Beziehung. Nutzen Sie dazu beispielhaft die

zehnteilige Porträtreiche zu Marilyn Monroe von 1967 und „Ten Electric Chair“ von 1971.

Links: Warhols skizzierter Zuschnitt für den

Siebdruck der Werbestandaufnahme

Rechts: Marilyn, Siebdruck,1962

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Jackie, 1964

Am 22 November wurde der amerikanische Präsident John F. Kennedy erschossen.

Sein Tod war ein omnipräsentes Medienereignis. Andy Warhol fokussiert in seinem Bild

Jackie (1964) das Gesicht der gefassten, jedoch von schwermütiger Trauer

gezeichneten Präsidentenwitwe wie unter einem Brennglas. Warhol verarbeitete in

einer Serie von Werken ein Covermotiv des LIVE Magazine, das Jaqueline und ihre

Kinder bei der Trauerfeier am Fuße des Kapitols in Washington zeigte. Mittels der

Siebdrucktechnik sowie des Schwarz-Weiß-Kontrastes wird die mediale Präsenz der

zugrundeliegenden Fotografie aufgegriffen und künstlerisch umgeformt. Durch den

silberfarbenen Glanz und den gewählten Bildausschnitt steht trotz des Soldaten im

Hintergrund alleine Jackie im Zentrum des Interesses. Sie wird zu Ikone der disziplinierten

Trauer, zum personifizierten Symbol eines persönlichen wie auch nationalen Verlusts.

Nine Jackies

Das Bild „Nine Jackies“ von 1964 ist aus fünf Motiven zusammengesetzt, die alle das

Gesicht Jackie Kennedys zeigen. Von den insgesamt neun Bildern, die in drei Reihen

und drei Zeilen nebeneinander und untereinander arrangiert sind, sind fünf Bilder

schwarz-weiß und vier in blau-schwarz gehalten. Drei blau-schwarze Bilder zeigen eine

lächelnde Jackie Kennedy, ein anderes einzelnes blau-schwarzes Bild zeigt im Zentrum

des Werks eine strahlende First Lady aus anderer Perspektive. Unter dem zentralen Bild

und rechts davon befindet sich eine unbunte Fassung der jungen Frau mit einem

Andy Warhol, Jackie, 1964, Siebdrucktinte auf Leinwand, 51 x 41 cm, Wolverhampton Art Gallery

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Soldaten links hinter ihr. Auf diesem Bild ist ihr Blick traurig und abweisend. In der oberen

linken und der unteren rechten Ecke befindet sich ein Bild, das ebenfalls Jackie

Kennedy und eine Person hinter ihrer linken Schulter zeigt. Hier handelt es sich

vermutlich um eine Nahaufnahme der Situation während der Trauerfeier mit dem

Soldaten zu einem anderen Zeitpunkt und aus einer anderen Perspektive. Auf diesen

Bildern wirkt sie gefasst. Das letzte Bild befindet sich in der Mitte der oberen Reihe und

zeigt die Jackie Kennedy mit starrem Blick in Trauer. Das Bild ist schwer zu erkennen,

da es von einer dunklen Flächigkeit dominiert wird.

Andy Warhol: Nine Jackies, 1964, Serigrafie auf Leinwand, 152,4 x 122,3 cm

Der Tod des Präsidenten J.F. Kennedy am 23. Februar 1963 wurde durch die

Aufnahmen eines Amateurfilmers zum weltweiten Medienereignis. Warhol machte hier

aber nicht den Tod des Präsidenten zum Gegenstand seiner künstlerischen

Auseinandersetzung, sondern die Trauer seiner Witwe. Sie wurde zu einem

Kollektivsymbol der bedrückenden Stimmung einer Nation. Nine Jackies setzt sich aus

Fotos aus der Zeit vor und nach dem Tod J.F. Kennedys zusammen, die bei der

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Beisetzung entstanden sind. Die trauernde Jackie Kennedy wurde in den

Massenmedien zum Symbol für eine allgemeine Trauer. Die Bilder führen der

schnelllebigen, von Konsum geprägten Gesellschaft, die Fragilität des Glücks vor

Augen.

Kombinatorik

In der Malerei fällt gewöhnlich die Gestaltung des Motivs, beispielsweise das Malen

eines Porträts, mit der Anordnung dieses Motivs auf der Fläche des Bildes zusammen.

Der Begriff der Komposition meint beides als Untrennbares. Warhol trennt diese beiden

Aspekte der Komposition auf. Bei seinen Arbeiten erfolgt die Gestaltung des Motivs

zunächst für sich, und zwar durch die entsprechende Vorbereitung des Drucksiebs. Erst

in einem zweiten Schritt, wenn das Sieb gedruckt wird, erfolgt die Übertragung auf

einen Bildgrund. Die Flowers, die als umfangreiche Serie ab 1964 entstehen, lassen den

zweigeteilten Kompositionsvorgang sowie seine spezifischen Konsequenzen gut

sichtbar werden.

Andy Warhol: Flowers, 1964, Bonnefanten Museum / Maastricht

Ausgangspunkt für die Flowers ist eine Fotografie von Hibiskusblüten, die die Zeitschrift

Modern Photography 1964 publizierte. Bei den fotomechanischen

Ablichtungsvorgängen zur Herstellung des Drucksiebs, steigert Warhol den Hell-Dunkel-

Kontrast solange, bis die Binnenzeichnung der Blüten fast ganz verschwunden ist. Im

Belichtungsvorgang zur Vorbereitung des Drucksiebs entstehen somit offene Stellen.

Auf diese Weise lässt Warhol die Blüten leeren, die jetzt nur noch durch die

Außenkontur als Blüte erkennbar sind. Wird nun ein Flowers-Sieb auf eine Leinwand

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gedruckt, so kommt deren Grundierungsfarbe bei den leeren Stellen der Blüten, und

zwar nur dort, ungebrochen zum Vorschein. Die Farbe des Leinwandgrundes wird so

zur Farbe, zur Figur der Blumen. Damit gewinnt Warhol die Möglichkeit, allein durch das

Kombinieren des Siebes mit verschiedenfarbigen Leinwänden unterschiedliche

Varianten der Blüten selbst zu erzeugen. Eine Blaue Leinwand ergibt also blaue

Blumen, eine rote Leinwand rote usw..

Ein zweiter Aspekt von Warhols kompositorischer Kombinatorik entsteht durch das

Drucken eines identischen Bildmotivs auf ganz unterschiedliche Formate. Die Marilyns

beispielsweise existieren nicht nur auf quadratischen Formaten (1x1 m), sondern unter

anderem auch als Rechteck von 50x40 cm. Diese beiden Formate sind wiederum

Standardformate in Warhols Werk, die für ganz unterschiedliche Bildgegenstände

Anwendung finden. Das Format 50x40 cm diente gleichzeitig auch für die

Suppendosen oder die einzelnen Tafeln der Jackie-Bilder. Das Format 1x1m hingegen

diente als Standardgröße für Starporträts, wie die Auftragsarbeiten, die in den 1970er

Jahren entstanden.

Entscheidend in diesem Zusammenhang ist nun, dass das innerbildliche, serielle Bild

durch die simultane Präsentation mehrerer Drucke die reproduktive und serielle

Herstellung unmittelbar anschaulich werden lässt. Das Prinzip des Bildformats und die

gitterförmige Anordnung in der Präsentation ist im Grunde ein Prinzip der industriellen

Produktion. An der umfassenden Werkreihe mit den Monroe-Porträts „Thirty are better

than one“, wird bereits deutlich, dass neben dem Bildthema, das die erste inhaltliche

Ebene bildet, die Tatsache der seriellen Reproduktion zur zweiten Ebene wird.

Warhol versteht die Pop Art als künstlerische Antwort auf die moderne Massenkultur.

Während in den 1950er Jahren Künstler wie Jackson Pollock, Willem de Kooning, Franz

Kline und andere den abstrakten Expressionismus prägen, und sich formal nicht mit

den kommerziellen Dingen des Alltags auseinander setzten, grenzt sich Warhol von

ihnen ab und wählt Motive, die in einem Bruchteil einer Sekunde erkennbar waren.

Film und Foto sind Synonyme der Konsumgesellschaft. Sie stehen in der Kunst ebenfalls

als Synonym für Wirklichkeitstreue. Warhol kombiniert in seinen Arbeiten

Gestaltungsverfahren. Diese Illusion des Tatsächlichen stellt er teilweise zeichnerisch

dar, indem er in die Siebdrucke malerische oder zeichnerische Elemente einbindet.

Dies sind konventionelle bildnerische Mittel der Renaissance, wie die perspektivische

Genauigkeit. Die Bilder Warhols übernehmen dramaturgische filmische

Darstellungsmittel wie Totale, Großaufnahme, Bildausschnitt. Demnach stellt in diesem

Zusammenhang das Reproduktionsverfahren Siebdruck in Warhols Werk eine

besondere Bedeutung dar, denn offenbar bediente er sich dieser Technik nur, weil sie

ihm die Arbeit erleichterte. Die Möglichkeit, einzelne Farbfelder fast passgenau

nebeneinander zu drucken, ignorierte er anfangs jedoch. Vielmehr überlappen sich

die Grenzlinien in seinen Bildern, sodass zwischen schwarz-weiß aufgedruckter

Fotovorlage und nachträglicher Kolorierung ein optischer „Sprung“ entsteht (vgl.

deine Arbeit mit GIMP/Q1).

Dem unsachgemäßen Gebrauch von Rakeln, schmutzigen Sieben und ungenauer

Passung steht eine grelle Einfärbung, Salven leuchtender bunter Farbsätze, wie ein

flächig gemusterter Vorhang gegenüber, der das „Urbild“ verstellt. In den Porträts

brannte Warhol das Charakteristikum der Dargestellten förmlich ein.

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SCHRIFTLICHER TEIL │künstlerische Reproduktionsverfahren

Aufgabe 1: Begründen Sie, weshalb Warhol mit dem Reproduktionsverfahren das jeweilige

Charakteristikum der Person förmlich ins Porträt eingebrannt hat. Diskutieren Sie im Anschluss,

inwiefern durch die Kombinatorik und ggf. der Übermalungen eine Karikatur ähnliche

Erscheinung entsteht. (AFB III)

Aufgabe 2: Setzen Sie Warhols serielles Arbeitsverfahren mit exemplarischen Werkreihen in

Beziehung und erläutern Sie seine Wirkungsabsicht. (AFB II+III)

Aufgabe 3: Beurteilen Sie anhand von Ihnen gewählter Werkbeispiele (min. 3!), wie Warhol das

Thema Tod in seiner Arbeit aufgreift. Erklären Sie in diesem Zusammenhang Warhols Aussage

„Ich erkenne, dass alles, was ich tue, mit dem Tod zusammenhängt.“ (AFB III)

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Zu Aufgabe 3 (exemplarische Werkbeispiele): Dreifacher Elvis, 1964 / Die zwei Marilyns, 1962 /

Totenkopf, 1976 / Grünfarbenes brennendes Auto I, 1963 / Elektrischer Stuhl, 1967 / Liz, 1964 /

Jackie Triptychon, 1964

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Links: Andy Warhol, Mao, 1973, Synthetisches

Polymer und Siebdruck auf Papier 30,5 x 25,5 cm,

Privatsammlung

Rechts: Andy Warhol, Farboffset, 84 x 59 cm,

rechts unten handsigniert. Andy Warhol sowie

Unterschrift von Willy Brandt und unten rechts von

Andy Warhol, 1976

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PRAKTISCHER TEIL (DIGITAL)

Bearbeitungszeitraum: Eine Woche

Aufgabe: Entwickeln Sie digital ein serielles Bildkonzept, das die Wesensmerkmale der Death

and Desaster Reihe Warhols formalästhetisch aufgreift (AFB II). Wenden Sie die eingeübten

bildnerischen Gestaltungsverfahren im Bereich der digitalen Siebdrucke (Q1/GIMP) an (AFB I).

Bauen Sie anhand einer Bildvorlage des öffentlichen Geschehens ein Bildkonzept

kombinatorisch auf, das auf unterschiedlich schwachen Intensitätskontrasten sowie Farbe-an-

sich-Kontrasten basiert. Berücksichtigen Sie dabei einen Bildaufbau mit Versatz und

aufeinander abgestimmten Farbspektren innerhalb der Repetition (AFB III).

Erfinden Sie in Ihrer Bildlösung anhand der gewählten Bildvorlage oder Vorlagen ein

Spannungsfeld zwischen Leben und Tod (AFB III).

Präsentieren Sie Ihre Bildserie auf ihrer Homepage und fügen Sie den Arbeiten eine kurze, aber

sinnhafte Erläuterung bei!

Quellen

Klipphan, Helmut: Handbuch der Printmedien, Heidelberg 2000

McShine, Kynaston: Andy Warhol Retrospektive, München 1989

Honeff, Klaus: Warhol, 2015

Lüthy, Michael: Andy Warhol, Thirty Are Better Than One, Frankfurt/M, 1995