Anforderungen an die Raumluftqualität im OP- und Eingriffsraum · Hygiene Bakteriologie Serologie...

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Anforderungen an die Raumluftqualität in OP- und Eingriffsräumen OA Dr. Eva Schmon FA Hygiene u. Mikrobiologie Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie Stiftingtalstraße 14, 8010- Graz Tel: 0316 340 5802 Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H. Hygiene Bakteriologie Serologie Molekularbiologie Tbc-Diagnostik Mykologie Parasitologie Ärztlicher Direktor: Prim. Dr. Klaus Vander

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Anforderungen an die Raumluftqualität in OP- und Eingriffsräumen

OA Dr. Eva Schmon FA Hygiene u. Mikrobiologie

Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie

Stiftingtalstraße 14, 8010- Graz Tel: 0316 340 5802

Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie

Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.

Hygiene Bakteriologie Serologie Molekularbiologie Tbc-Diagnostik Mykologie Parasitologie

Ärztlicher Direktor: Prim. Dr. Klaus Vander

Die Anforderungen an die Raumausstattung im Wandel der Zeit

Aktuelle Anforderungen an die Raumlufttechnik

• Erwartungen an OP‐Lüftungskonzepte – Keimreduktion (Patientenschutz)

– Reduktion von Rauch während der Operation (z.B. Kauter) als Personalschutz

– Luftfeuchtigkeit und Temperatur regeln

– Sicherer und energieeffizienter Betrieb

– Unabhängig von Medizintechnik funktionieren

Kostengünstig sein:

Zwei Interessen: Investition, Betrieb

Aktuelle Anforderungen an die Raumlufttechnik

ÖNORM H 6020:2015

Lüftungstechnische Anlagen für medizinisch genutzte Räume-

Projektierung, Errichtung, Betrieb, Instandhaltung, technische

und hygienische Kontrolle

DIN EN ISO 14644

Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche

DIN 1946

Raumlufttechnik

(VDI 2083)

Reinraumtechnik

ÖNORM H 6020:2015

Raumlufttechnische Anlagen

Anwendungsbereich:

• Krankenanstalten und andere nach KAKuG bewilligte

Einrichtungen des Gesundheitswesens wie z.B.

Dialysezentren, Ambulatorien, Kuranstalten, Sanatorien und

Pflegeeinrichtungen

• Sonstige Gesundheitseinrichtungen, wie z.B. Ordinationen,

in denen Eingriffe an Patienten durchgeführt werden

• Primäre Funktionen der Lüftungsanlagen sind

Außenluftversorgung, Abtransport von Gerüchen und

Schadstoffen sowie gegebenenfalls Schutz vor Übertragung

von Mikroorganismen auf dem Luftweg.

ÖNORM H 6020:2015

ÖNORM H 6020:2015

• Räume und Bereiche der Raumklasse H1, H2 und H3

müssen immer mit mechanischen Lüftungsanlagen

ausgestattet sein

• Für die Raumklassen H1 und H2 sind für die Zuluft 3

Filterstufen erforderlich (F7, F9, H13)

• Für die Abluft aus der Raumklasse H1, H2 und H3 ist eine

Filterstufe (F6) erforderlich

Raumklasse H1a • Um einen adäquaten Schutz von OP- und

Instrumententisch zu erreichen sind Schutzbereiche von

ca. 2,8 m x 2,8 m erforderlich.

• Dies erfordert bei fachgerechter Ausführung und

sachgemäßem Betrieb eine TAV-Deckengröße von ca.

3,2 m x 3,2 m mit dreistufiger Filterung der Zuluft

(F7/F9/H13) und turbulenzarmer Verdrängungsströmung

(TAV)

• Mikroorganismen, Partikel aller Art und chirurgischer

Rauch werden rasch abgeführt.

• Die in OPs auftretenden Wärmelasten können von OP-

Decken mit TAV-Strömung sicher beherrscht werden.

ÖNORM H 6020:2015

• Die Abscheideleistung der Filter wird durch die ÖNORM

EN 779 definiert

• Filter der Klasse F 9 sind für Schimmelpilzsporen nicht

durchgängig!

• Abscheidegrad H13 = 99,95 % (0,5µm)

Anforderungen an die Raumluftqualität und

Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2

nach ÖNORM H 6020:2015

Technisch:

• In den Räumen der Raumklasse H1 und H2 ist die Luft in

möglichst keimarmen Zustand zum Patienten und in den

Arbeitsbereich zu führen

• Die hohen Anforderungen an die Keimarmut von Schutzzonen

der Raumklasse H1 sind nur mit turbulenzarmer

Verdrängungsströmung (TAV) zu erfüllen!

• Eine Absaugung in Bodennähe unterstützt die

Raumluftströmung

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in

Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

Technisch

Anforderungen an einen TAV- Durchlass:

• Zulufttemperatur max. 3 K unter der Raumlufttemperatur

• Zuluftgeschwindigkeit max. 0,45 m/sec.; Ø ≥ 0,25 m/sec,

Einzelwert ≥ 0,22 m/sec

• Turbulenzgrad < 10 %

• Die Abmessungen der Schutzzone sind auf dem Fußboden

kenntlich zu machen

Luftführungssysteme in Operationsräumen

im Vergleich

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

• Bei Auswahl der Type, Größe und Form des TAV-Durchlasses

sind Faktoren wie Arbeitsablauf, Raumgröße, Raumhöhe,

Inneneinrichtung, Wärmelasten, Stative, Beleuchtung u. a. zu

berücksichtigen.

• Es muss sichergestellt sein, dass sich nicht nur der OP-Tisch,

sondern auch das steril gekleidete OP-Team und die

Instrumentiertische während einer Operation im

Schutzbereich befinden.

• Die aktive Luftaustrittsfläche des TAV-Durchlasses muss in

jedem Fall größer sein als die vorgegebene Fläche der

Schutzzone.

turbulenzarme Verdrängungsströmung (TAV)

turbulenzarme Verdrängungsströmung (TAV)

• Sie erzeugen eine stabile, vertikale, turbulenzarme

Verdrängungsströmung (TAV) unter Vermeidung von

Sekundärluftkontaminationen.

• Durch die dynamische Abschirmung des Schutzfeldes

kann das Risiko von postoperativen Wundinfektionen

deutlich gesenkt werden.

• Niedrige Turbulenzgrade und hohe Schutzgrade

zeichnen das System ebenso aus, wie niedrige

Schadgaskonzentration und hohe thermische

Behaglichkeit im Arbeitsbereich.

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

Moderne OP-Raum Technik

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

• Wird Zuluft in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich

über einen TAV-Durchlass geführt, bildet sich eine

turbulenzarme Verdrängungsströmung unmittelbar nach

diesem aus.

• Die Aufrechterhaltung der turbulenzarmen

Verdrängungsströmung in der Operationsschutzzone sollte

durch eine Symmetrie in der Abführung der Luft unterstützt

werden

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

Anforderungen an einen TAV-Zuluftdurchlass:

• Gehäuse sind aus hygienisch unbedenklichem

und desinfektionsmittelbeständigem Material

und dichtauszuführen.

• Um randseitige Induktion zu vermeiden, können

rundumlaufende Schürzen verwendet werden.

• Die Störungen des Luftstromes sind zu

minimieren (z.B. durch strömungsgünstig

geformte OP-Leuchten schmale Stege).

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in Räumen der Raumklasse H1 und H2 nach ÖNORM H 6020:2015

Innerhalb der Schutzzone müssen alle Messpunkte,

gemessen für die Partikelgrößen 5 µm und 0,5µm, den

Anforderungen der ÖNORM 14644-1:1999 (ISO 5)

entsprechen

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in

Räumen der Raumklasse H1 und H2

Mikrobiologisch

Primäre Luftkeime

• Corynebakterien, aerobe Sporenbildner, Pilzsporen

Sekundäre Luftkeime:

• koagulase negative Staphylokokken, Staphylokokkus aureus, Anaerobier

Daher:

• so wenig Personen wie möglich im Raum

• Türen geschlossen halten

• Verwendung von Astronautenhaube

• Verwendung von Mund-, Nasenschutz

• So wenig reden als möglich

• (OP-Kleidung mit Bündchen)

Keimemission

Als Keimreservoir und Quelle für die aerogene

Verbreitung sind überwiegend die im OP- Raum tätigen

Personen zu betrachten!

Anforderungen an die Raumluftqualität und Luftführung in

Räumen der Raumklasse H1 und H2 Mikrobiologisch- Luftkeimmessung

• Keine diesbezüglichen Angaben in der ÖNORM H 6020

DIN 1946-4 (nach H13 Filter) und DGHM (1989)

• 4-10 KBE / m3 („at rest“)

VDI 2083

• < 50 KBE / m3 (hochaseptischer OP)

• < 200 KBE / m3 (aseptischer OP)

RKI (2010)

• „Ein mikrobiologisches Monitoring ist für die für die Bewertung der einwandfreien Funktion der RLT- Anlage weder notwendig noch zielführend!“

IKM (KAGES)

• Gesamtkeimzahl < 200 KBE / m3

• Schimmelpilze nicht nachweisbar / m3

Derzeit kein fachlicher Konsens hinsichtlich der Wirksamkeit

Moderner Reinraumtechnik zur Vermeidung von postoperativen Wundinfektionen!

Messung in Schutzzone OP H1a

Woher kommen also die Anforderungen und Erwartungen an eine

„moderne“ Raumlufttechnik?

Lidwell- Studie (1982): (zu) häufig zitiert

• 8055 Gelenkersatzoperationen (Hüfte/Knie)

• Eingriffe entweder in Operationssälen mit LAF oder in Operationssälen mit konventioneller Belüftung

• WI: LAF / konventionell = 0,6 % / 1,5 %

Aber:

Die perioperative Gabe von Antibiotika zeigte einen deutlich größeren Einfluss auf die Wundinfektionsrate als die Verwendung von LAF- Systemen

Charnley- Studie (1969):

• 2065 Gelenkersatzoperationen (Hüfte)

• Eingriffe entweder in Operationssälen mit Reinraumkammer/Körperabsaugung oder in Operationssäle mit konventioneller Belüftung

• WI: Reinraumkammer / konventionell = 1,3 % / 8,9 %

Aber:

Während der Studie erfolgten zahlreiche Änderungen (Bias): Wundverschluss, verbesserte OP- Technik, keine Besucher, kein Personalwechsel, zwei Paar Operationshandschuhe, vollständige Kopfbedeckung, Operationskittel aus undurchlässigem Material

Woher kommen also die Anforderungen und Erwartungen an eine

„moderne“ Raumlufttechnik?

Charnley- Studie (1969) – Plausible Hinweise für Luft als Vektor?

Erregerspektrum:

• Staphylokokkus aureus (50% aller Fälle)

• Proteus mirabilis

• „gram negative Erreger“

• Erst an 5. Stelle kamen koagulase negative Staphylokokken (sekundäre

Luftkeime; endogene/exogene Erreger)

Die meisten Wundinfektionen entstammen dem „endogenen

Erregerreservoir“ des Patienten!

Meta-Analyse von 26 Studien mit 14155 HEP:

LAF allein: Senkung von 5,8 auf 0,7 %

perioperative Antibiotikaprophylaxe allein: Senkung von 5,8 auf 1,3 %

Kombination beider Maßnahmen: Senkung von 5,8 auf 0,6 %

„endogene“ Erreger“

Woher kommen also die Anforderungen und Erwartungen an eine „moderne“ Raumlufttechnik?

Bei Eingriffen ohne Implantation großer Fremdkörper, also bei der

überwiegenden Zahl an Operationen, gab und gibt es keinen statistisch

signifikanten Hinweis dafür, dass die normalerweise in der Luft

vorkommenden Keime (koagulase negative Stapylokokken,

Corynebakterien, etc.) für postoperative Wundinfektionen verantwortlich

sind.

Wichtig ist, die etablierten Maßnahmen zur Prävention „endogenen und exogenen“ Wundinfektionen zu beachten:

• Präoperative Desinfektion des OP- Feldes

• Antibiotikaprophylaxe

• Schonende OP- Technik

• Chirurgische Händedesinfektion

• Sterile OP-Kleidung

• Sterilisation der Instrumente

• Vermeiden von Unterkühlung

• Zurückhaltender Umgang mit Bluttransfusionen

Woher kommen also die Anforderungen und Erwartungen an eine „moderne“ Raumlufttechnik?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Brandt C., et al zeigte eine höherer Rate von Wundinfektionen in Räumen mit „laminar flow“!

Erklärungsversuch:

• Köpfe der Chirurgen in der Regel über dem OP- Feld, direkt im laminaren Luftstrom

• Ev. niedrigere Gewebstemperatur während des Eingriffes

Funktioniert wirklich alles so wie wir es uns vorstellen?

Also wirklich alles umsonst?

Frank Wille et. al, „Einfluss von unterschiedlichen Lüftungssystemen auf die

mikrobiologische Instrumentenreinheit“

Die Sterilität der am Patienten eingesetzten Instrumente ist ein grundlegender Baustein

zur Vermeidung von postoperativen Wundinfektionen!

Verglichen wurden:

• Lüftungsdeckenfeld mit turbulenzarmer Verdrängungsströmung (3,2 x3,2m, Rkl. H1a)

• Bereich außerhalb des Schutzbereiches (s. OP- Rkl. H1a)

• OP mit turbulente Mischbelüftung (Rkl. H1b)

Also wirklich alles umsonst?

Danke für ihre Aufmerksamkeit!

Anforderungen an die Raumluftqualität in Eingriffsräumen

ÖNORM H 6020:2015

Räume und Bereiche der Raumklasse H4 müssen nur dann mit

mechanischen Lüftungsanlagen ausgestattet werden, wenn natürliche

Lüftung nicht oder nur unzureichend möglich ist oder die Anlage zum

Ausgleich der Luftmengenbilanz dient

Cave: Eingriffsraum für „Sonderfälle“ = Raumklasse H2c

Anforderungen an die Raumluftqualität in Eingriffsräumen

Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (RKI)

Kap. 5.3 „Anforderungen an die Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen“

„Wenn aus Gründen des Raumklimas bzw. des Arbeitsschutzes eine raumlufttechnische Anlage

erforderlich ist, gilt ……“

Was subsummiert sich unter „Eingriffen“?

(auszugsweise aus der RKI)

Anforderungen an die Raumluftqualität in Eingriffsräumen

ÖNORM H 6020:2015

Anforderungen an die Raumluftqualität in Eingriffsräumen

Im Extremfall wären nach ÖNORM H 6020:2015 (chirurgische) Eingriffe bei

geöffnetem Fenster möglich!

Anforderungen an die Raumluftqualität in Eingriffsräumen

Risikoadaptierter, hygienisch korrekter Zugang

Für Eingriffsräume die nominell der Raumklasse H4 zuzuordnen sind, ist in

Hinblick auf die- aus hygienischer Sicht- höheren Anforderungen an die

Raumluftqualität zumindest eine turbulente Mischbelüftung mit

endständigen Schwebstofffiltern (H13) und geringfügiger

Schutzdruckhaltung gegenüber den umgebenden Räumen

vorzusehen. Falls eine Raumklimatisierung erforderlich ist, muss diese

auch über die zu Grunde liegende Anlage erfolgen.

Quellen:

• ÖNORM H 6020:2015

• DIN EN ISO 14644

• VDI 2083

• DIN 1946

• Krankenhaushygiene up2date; 1/März 2009 (S.5)

• Krankenhaushygiene up2date; 4/Dezember 2008 (S.373; „Wie sicher soll ihr OP Raum sein“)

• Krankenhaushygiene up2date; 1/März 2007 (S.53; „Die Luft als Erreger postoperativer Infektionen-Teil I“)

• Krankenhaushygiene up2date; 2/Juni 2007 (S.161; „Die Luft als Erreger postoperativer Infektionen-Teil II“)

• Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention

• Hygiene & Medizin; „Einfluss von unterschiedlichen Lüftungssystemen auf die mikrobiologische Instrumentenreinheit“

4/2013