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Anleitungen zum guten Regieren und kaiserlichen Entscheiden in Byzanz von Michael Grünbart 1 Terminologie Bevor auf Schriſten zum guten Regieren oder vorbildhaſten Herrschen im oströmischen Reich eingegangen wird, soll der Begriff »Fürstenspiegel« thematisiert und diskutiert werden. Diesen gibt es in der mittelgriechischen Sprache eigentlich nicht, denn es existiert kein speculum regis/regum. Trotzdem wurde der Terminus seit den Arbeiten von Karl Krumbacher und Kurt Emminger stets zur Klassifikation von Schriſten oder Passagen verwendet, welche Ratschläge und Ermahnungen für den byzantinischen Kaiser und Reflexionen zum idealen Herrscher enthielten. Der von Karl Praechter verwendete Begriff »Königsspiegel« setzte sich hingegen nicht durch.1 Allerdings sind nur wenige selbstständige Werke überliefert, die der westlichen und aus dem Hochmittelalter stammenden Kategorie »Fürsten- spiegel« Genüge leisten können.2 Es kommen Texte in Frage, welche an den byzantinischen Kaiser oder Angehörige seiner Familie gerichtet und meist 1 Karl Krumbacher, Geschichte der byzantini- schen Litteratur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches (527-1453), München 1897, 456 -457 (zu Agapetos); Kurt Emminger, Studien zu den griechischen Fürstenspiegeln. I. Zum ἀνδριὰς βασιλικός des Nikephoros Blemmy- des. II. Die spätmittelalterliche Übersetzung der Demonicea. III. Βασιλείου κεφάλαια παραινετικά, München 1906 -1913; Karl Praechter, Der Roman Barlaam und Joasaph in seinem Verhältnis zu Agapets Königsspiegel, in: Byzantinische Zeit- schrift 2 (1893) 444-460. Siehe auch die Überblicks- artikel von Pierre Hadot, Fürstenspiegel, in: Reallexikon für Antike und Christentum 8 (1969) 555-632; Gudrun Schmalzbauer, Fürstenspiegel, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) 1053-1056; Elizabeth M. Jeffreys /Alexander Kazhdan, Mirror of Princes, in: The Oxford Dictionary of Byzantium II (1991) 1379-1380. Zur Umsetzung in kaiserlichen Beschreibungen siehe Peter Schreiner, Das Herr- scherbild in der byzantinischen Literatur des 9. bis 11. Jahrhunderts, in: Saeculum 61 (1991) 132-151. Vgl. auch Josef Engemann, Herrscherbild, in: Reallexikon für Antike und Christentum 14 (1988) 966-1047. 2 Hans H. Anton, Fürstenspiegel und Herrschere- thos in der Karolingerzeit, Bonn 1968; Jan Manuel Schulte, Speculum Regis. Studien zur Fürsten- spiegel-Literatur in der griechisch-römischen Anti- ke, Münster /Hamburg /London 2001 sowie Hans H. Anton, Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters, Darmstadt 2006. 3 Herbert Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, München 1978, I 157-165. 4 Ebd., I 159. 5 Günter Prinzing, Beobachtungen zu »integrier- ten« Fürstenspiegeln der Byzantiner, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 38 (1988) 1-31; Prinzing listet 18 Fürstenspiegel auf, von denen acht selbstständig sind; der Terminus wird weiter-

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  • Anleitungen zum guten Regieren und kaiserlichen Entscheiden in Byzanz von Michael Grünbart

    1 Terminologie

    Bevor auf Schriften zum guten Regieren oder vorbildhaften Herrschen im ost römischen Reich eingegangen wird, soll der Begriff »Fürstenspiegel« thematisiert und diskutiert werden. Diesen gibt es in der mittelgriechischen Sprache eigentlich nicht, denn es existiert kein speculum regis/regum. Trotzdem wurde der Terminus seit den Arbeiten von Karl Krumbacher und Kurt Emminger stets zur Klassifikation von Schriften oder Passagen verwendet, welche Ratschläge und Ermahnungen für den byzantinischen Kaiser und Reflexionen zum idealen Herrscher enthielten. Der von Karl Praechter verwendete Begriff »Königsspiegel« setzte sich hingegen nicht durch.1 Allerdings sind nur wenige selbstständige Werke überliefert, die der westlichen und aus dem Hochmittelalter stammenden Kategorie »Fürstenspiegel« Genüge leisten können.2 Es kommen Texte in Frage, welche an den byzantinischen Kaiser oder Angehörige seiner Familie gerichtet und meist

    1 Karl Krumbacher, Geschichte der byzantini-schen Litteratur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches (527-1453), München 1897, 456-457 (zu Agapetos); Kurt Emminger, Studien zu den griechischen Fürstenspiegeln. I. Zum ἀνδριὰς βασιλικός des Nikephoros Blemmy-des. II. Die spätmittelalterliche Übersetzung der Demonicea. III. Βασιλείου κεφάλαια παραινετικά, München 1906-1913; Karl Praechter, Der Roman Barlaam und Joasaph in seinem Verhältnis zu Agapets Königsspiegel, in: Byzantinische Zeit-schrift 2 (1893) 444-460. Siehe auch die Überblicks - artikel von Pierre Hadot, Fürstenspiegel, in: Reallexikon für Antike und Christentum 8 (1969) 555-632; Gudrun Schmalzbauer, Fürstenspiegel, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) 1053-1056; Elizabeth M. Jeffreys /Alexander Kazhdan, Mirror of Princes, in: The Oxford Dictionary of Byzantium II (1991) 1379-1380. Zur Umsetzung in kaiserlichen Beschreibungen siehe Peter Schreiner, Das Herr-

    scherbild in der byzantinischen Literatur des 9. bis 11. Jahrhunderts, in: Saeculum 61 (1991) 132-151. Vgl. auch Josef Engemann, Herrscherbild, in: Reallexikon für Antike und Christentum 14 (1988) 966-1047. 2 Hans H. Anton, Fürstenspiegel und Herrschere-thos in der Karolingerzeit, Bonn 1968; Jan Manuel Schulte, Speculum Regis. Studien zur Fürsten-spiegel-Literatur in der griechisch-römischen Anti-ke, Münster /Hamburg /London 2001 sowie Hans H. Anton, Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters, Darmstadt 2006.3 Herbert Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, München 1978, I 157-165.4 Ebd., I 159.5 Günter Prinzing, Beobachtungen zu »integrier-ten« Fürstenspiegeln der Byzantiner, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 38 (1988) 1-31; Prinzing listet 18 Fürstenspiegel auf, von denen acht selbstständig sind; der Terminus wird weiter-

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    paränetischer Natur sind. Herbert Hunger unterteilte in seiner byzantinischen Literaturgeschichte die »Fürstenspiegel« in zwei Gruppen:3 Die erste Gruppe bestehe aus kurzen Kapiteln (κεφάλαια), die mitunter durch eine Akrostichis zusammengehalten würden. Die zweite Gruppe enthalte jene, »die von ihren Autoren in zusammenhängender Darstellung stilisiert wurden; eine Gliederung in mehr oder weniger kleine Kapitel wäre bei diesen Texten, zumindest teilweise, möglich«.4 Diese Einteilung erwies und erweist sich als wenig zielführend, da von einer formalen Ausprägung ausgegangen wird, ja diese sogar vorausgesetzt wird, ohne auf den Kontext oder den Anlass derartiger Paränesen zu achten. Günter Prinzing erkannte das Problem und versuchte mit dem Terminus »›integrierter‹ Fürstenspiegel« der Vielzahl an in unterschiedliche Schriften eingebetteten Handreichungen zum guten Regieren Herr zu werden, doch wirkt die Klassifikation konstruiert und letztendlich willkürlich (etwa auch der Versuch, die byzantinische Brief literatur nach »modernen« Gesichtspunkten zu organisieren, hat sich nicht bewährt).5 Ein Problem jener Einteilung ist, dass in vielen rhetorischen Kompositionen der Byzantiner Elemente von »Fürstenspiegeln« eingestreut sein können. In den regelmäßig vor dem Kaiser gehaltenen Reden (z. B. von Libanios, Themistios oder Eustathios von Thessalonike) oder auch in den offiziellen Urkunden, insbesondere in den Arengen der imperialen Schreiben, findet man Elemente von Vorstellungen zur guten Herrschaft formuliert; diese sind geradezu programmatisch.6 Regelmäßig wird auf die Herrschertugenden verwiesen, die einen Kanon bilden, der sich schon in der hellenistischen Typologie des idealen Machthabers findet.

    Seit einigen Jahren wird der Terminus Fürstenspiegel unter Anführungszeichen gesetzt, insbesondere Paolo Odorico spricht sich gegen seine Verwendung aus, findet aber (noch) keine neue begriff liche Fassung.7 Diether Roderich Reinsch behandelte danach einige Facetten der »Fürstenspiegel«

    verwendet, siehe zuletzt Pantelis Carelos, Ein »integrierter« Fürstenspiegel im Prooimion der Ἐπιτομὴ Λογικῆς des Nikephoros Blemmydes, in: Byzantinische Zeitschrift 98 (2006) 399-402; vgl. Michael Grünbart, Basileios II. und Bardas Skleros versöhnen sich, in: Millennium. Jahrbuch zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 5 (2008) 213-224 mit einem weiteren Bei-spiel (der Kaiser Basileios II. erhält Ratschläge nach der Beendigung des Konflikts mit dem Usurpator Bardas Skleros).6 Für die Spätantike siehe Johannes Straub, Vom Herrscherideal in der Spätantike, Stuttgart 1939 (Unveränderter Nachdruck 1964); für die mittel-byzantinische Periode: Otto Treitinger, Die ost-römische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestal-tung im höfischen Zeremoniell. Vom oströmischen Staats- und Reichsgedanken, Darmstadt ²1956; für das späte Byzanz: Dimiter G. Angelov, Byzantine Imperial Panegyric as Advice Literature

    (1204- c.1350), in: Elizabeth Jeffreys (Hg.), Rhetoric in Byzantium. Papers from the Thirty-fifth Spring Symposium of Byzantine Studies, University of Oxford, March 2001, Aldershot 2003, 55-72; ders., Imperial ideology and political thought in Byzanti-um, 1204-1330, Cambridge 2007; übergreifend: Ηerbert Hunger, Φιλανθρωπία. Eine griechische Wortprägung auf ihrem Wege von Aischylos bis Theodoros Metochites, in: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften 100 (1963) 1-20; Herbert Hunger, Pro-oimion, Elemente der byzantinischen Kaiseridee in den Arengen der Urkunden, Wien 1964.7 Paolo Odorico, Les miroirs des princes à Byzan-ce. Une lecture horizontale, in: ders. (Hg.), L’Education au Gouvernement et à la vie. La tradi-tion des »règles de vie« de l’Antiquité au Moyen-Âge, Actes du colloque international de Pise, 18 et 19 mars 2005, Paris 2009, 223-246.

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    literatur vornehmlich des 11. und 12. Jahrhunderts und wies auf Besonderheiten bzw. Reflexionen des Kontextes hin.8 Die Arbeiten von Konstantinos Paidas zu Fürstenspiegeln (κάτοπτρα ἡγεμόνος) legen den Schwerpunkt auf die politische Theorie.9 In der klassischen Philologie hingegen scheint der Terminus »Fürstenspiegel« ein wenig diskutiertes Problem zu sein.10

    Rechtshistoriker untersuchten die »Fürstenspiegel« ebenso, da sie Material zum Verständnis von Herrschaft und ihrer legistischen Konstruktion enthalten. Dieter Simon versuchte, den Unterschied zwischen der enkomiastischen Rede und der Paränese so zu fassen: »Was in den Fürstenspiegeln normativ als gesollt empfohlen wird, stellt das Enkomion deskriptiv als erreicht dar«.11 Anders gewichtete Herbert Hunger das Verhältnis zwischen den beiden, indem er die Nähe und den Kontakt des Verfassers von Paränesen zum Kaiser hervorhob.12

    Sucht man nach Termini, die von den Byzantinern für diese Formen der Schriftlichkeit verwendet werden, dann bietet sich folgendes Bild: Oft wird einfach über das Kaisertum geschrieben oder geredet (περὶ βασιλείας), Agapetos nennt seine Zusammenstellung ἔκθεσις κεφαλαίων παραινετικῶν. Unter dem Namen des Kaisers Basileios laufen ebenso parainetische Kapitel (κεφάλαια παραινετικά), also Ermahnungsschriften, welche möglicherweise Photios verfasst hat.13 Kekaumenos schrieb in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein so genanntes Strategikon, das an seine Nachkommen gerichtet ist und dem eine ihm zugeschriebene Mahnrede an den Kaiser beigegeben ist.14 Paul Lemerle bezeichnete sie als Consilia et narrationes und Charlotte Roueché unterzog jüngst die einzige Handschrift, in der das Werk überliefert ist,

    8 Diether R. Reinsch, Abweichungen vom traditio-nellen byzantinischen Kaiserbild im 11. und 12. Jahr-hundert, in: Odorico, L’Education (Anm. 7), 115-128; ders., Bemerkungen zu einigen byzantinischen »Fürstenspiegeln« des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Helmut Seng / Lars M. Hoffmann (Hg.), Synesios von Kyrene. Politik – Literatur – Philosophie, Turnhout 2012, 404-419.9 Konstantinos D. S. Paidas, Η θεματική των βυζαντινών Κατόπτρων Ηγεμόνος της πρώιμης και μέσης περιόδου (398-1085). Συμβολή στην πολιτική θεωρία των Βυζαντινών, Athen 2005; ders., Τα βυζαντινά »Κάτοπτρα ηγεμόνος« της ύστερης περιόδου (1254-1403). Εκφράσεις του βυζαντινού βασιλικού ιδεώδους, Athen 2006. Vgl. auch Dimitra Karamboula, Staatsbegriffe in der frühbyzantinischen Zeit, Wien 1993; dies., Soma Basileias. Zur Staatsidee im spätantiken Byzanz, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 46 (1996) 1-24; Ioannis G. Leontiadis, Untersuchun-gen zum Staatsverständnis der Byzantiner auf-grund der Fürsten- und Untertanenspiegel (13. bis 15. Jahrhundert), Diss. Wien 1997.

    10 Vgl. etwa Christian Körner, Das Verständnis von Herrschaft in der anonymen Rede Εἰς βασιλέα (Ps.-Aelius Aristides): Ein Fürstenspiegel, in: Klio 93 (2011) 173-192 oder Oliver Schwazer, Senecas Thyestes und der ›Fürstenspiegel‹ für Nero, in: Mnemosyne 69 (2016) 1008-1028; Michael Roberts, Fürstenspiegel, in: Der Neue Pauly 4 (1998) 693-695.11 Dieter Simon, Princeps legibus solutus. Die Stellung des byzantinischen Kaisers zum Gesetz, in: Dieter Nörr / Dieter Simon (Hg.), Gedächtnis-schrift für W. Kunkel, Frankfurt am Main 1984, 449-492, hier 477.12 Hunger, Literatur (Anm. 3), I 157.13 Αthanase Markopoulos, Autour des Chapitres Parénétiques de Basile Ier, in: ΕΥΨΥΧΙΑ. Mélanges offerts à Hélène Ahrweiler, Paris 1998, II 469-479.14 Maria Dora Spadaro (Hg.), Raccomandazioni e consigli di un galantuomo, Alessandria 1998; B. Wassiliewsky / Victor Jernstedt (Hg.), Cecaumeni strategicon et incerti scriptoris de officiis regiis libellus, St. Peterburg 1896.15 Charlotte Roueché, The Place of Kekaumenos in the Admonitory Tradition, in: Odorico, L’Educa-tion (Anm. 7), 129-144; Paolo Odorico, Un esempio

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    einer Analyse. Dabei fällt auf, dass die meisten Werke in der Moskauer Handschrift (Codex K Mosquensis 436 [S. Synod. 298]) belehrenden Charakter haben (äsopische Fabeln, Gnomen, Alexander, Syntipas …).15 Wegen seiner vielen Bezüge zum Alltag und der offenkundigen Praxiserfahrung des Verfassers wird Kekaumenos gerne als Quelle zur Mentalitätsgeschichte des griechischen Mittelalters herangezogen.

    Theophylaktos von Ochrid (ca. 1055 nach 1107) hinterließ ein zweigeteiltes Werk (Παιδεία βασιλική), welches aus einem panegyrikos (πανηγυρικός) und einem parainetikos (παραινετικός) besteht.16 Um das Jahr 1088 entstanden wird damit sein Schüler Konstantin (Sohn Michaels VII.) adressiert. Die Unterweisungen sind länger als die Schriften des Agapetos oder des Basileios und »sie weichen von der gnomologischen Tradition deutlich ab«.17

    Die Musen, Kaiser Alexios I. (10811118) zugeschrieben, stellen eine Besonderheit dar, da in einem Versgedicht Ioannes (II.), dem Sohn Alexios’ Ermahnungen zukommen.18 Theognostos (13. Jh.) nennt seine Sammlung an Ratschlägen thesauros (θησαυρός; »Schatz«).19 Nikephoros Blemmydes stellt das ideale Herrschertum in den Vordergrund seines basilikos andrias (βασιλικὸς ἀνδριάς; »kaiserliches Standbild«). Dabei ist anzumerken, dass seit der Spätantike andrias auch »Vorbild« heißt und auch hier so zu verstehen ist.20 Thomas Magistros (ca. 1277 nach 1347) gilt als ein wichtiger Vertreter der spätbyzantinischen Rhetorik. Thomas verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Thessalonike.21 Magistros reiste zweimal nach Konstantinopel und traf dort den Kaiser Andronikos II. (12821328), dessen Sohn Konstantinos er wahrscheinlich erzog.

    di lunga durata della trasmissione del sapere: Cecaumeno, Sinadinos, I’Antichità, I’età moderno, in: Maria Serena Funghi (Hg.), Aspetti di lettera-tura Gnomica nel mondo antico, Florenz 2003, I 283-299. Deutsche Übersetzung: Hans-Georg Beck, Vademecum des byzantinischen Aristokra-ten. Das sogenannte Strategikon des Kekaumenos, Graz / Wien / Köln ²1964; französische Übersetzung Paolo Odorico (Hg.), Kékauménos. Conseils et récits d’un gentilhomme byzantin, Toulouse 2015.16 Patrologia Graeca 126, 253-285 (besteht in dieser alten Ausgabe aus zwei Teilen, einem pane-gyrikos und einem parainetikos logos); Bernard Leib, La παιδεία βασιλική de Théophylacte, arche-vêque de Bulgarie, et sa contribution à l’histoire de la fin du XIe siècle, in: Revue des Études Byzantines 11 (1953) 197-204. Das Werk lief unter »Fürsten-spiegel«, wurde aber vom Herausgeber Paul Gautier, Théophylacte d’Achrida: Discours, Traités, Poésies, introduction, texte et notes, Thessalonike 1980, 48 und Margaret Mullett, The Madness of Genre, in: Dumbarton Oaks Papers 46 (1992) 233-243, hier 239 als ein basilikos logos eingestuft. Dazu Prinzing, Beobachtungen (Anm. 5), 4 (ohne Mullett zu zitieren). Der Text wurde ohne die in der

    PG angeführten Zwischentitel von Paul Gautier in der genannten Edition als Rede 4 an Konstantinos Dukas herausgegeben (178-211).17 Hunger, Literatur (Anm. 3), 161; dazu zuletzt Roberto Romano, Retorica e cultura a Bisanzio: due Fürstenspiegel a confronto, in: Vichiana 14 (1985) 299-316.18 Paul Maas, Die Musen des Kaisers Alexios I., in: Byzantinische Zeitschrift 22 (1913) 348-369, dazu Reinsch, Abweichungen (Anm. 8). 19 Joseph A. Munitiz (Ed.), Theognosti thesaurus, Turnhout / Leuven 1979; deutsche Übersetzung des 19. Kapitels (»Ermahnung an den Kaiser«) bei Leontiadis, Untersuchungen (Anm. 9), 43-49.20 Herbert Hunger / Ihor Ševčenko, Des Nike-phoros Blemmydes Βασιλικὸς ἀνδριάς und dessen Metaphrase von Georgios Galesiotes und Georgios Oinaiotes, Wien 1986; Roberto Andrés Soto Ayala, Nicéforo Blemida y la estatua del soberano. O Basilikos Andrias, in: Byzantion – Nea Hellás 29 (2010) 135-167.21 Zum Leben siehe Niels Gaul, Thomas Magis-tros und die spätbyzantinische Sophistik. Studien zum Humanismus urbaner Eliten der frühen Palaiologenzeit, Wiesbaden 2011.

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    Thomas hinterließ wichtige philologische Schriften und auch einige politische Traktate, deren Titel an spätantike Bezeichnungen erinnern (Über das Kaisertum, Über das Staatswesen).22 Von Magistros gibt es nicht nur Instruktionen für den Kaiser, sondern auch eine Schrift über die Pflichten der Untergebenen.

    Mittlerweile hat sich in der byzantinischen Literaturforschung die Einsicht durchgesetzt, dass man nicht mehr von streng trennbaren Genres ausgehen kann, sondern dass sich byzantinische Autoren oft Mischformen bedienen und sich bewusst eklektizistisch verhalten – gerade darin besteht der Reiz der byzantinischen Literaturproduktion.23 Mit dieser Prämisse kann auch die Problematik »Fürstenspiegel« entschärft werden. En passant soll erwähnt werden, dass der Terminus »Spiegel« in der byzantinischen rhetorischen Literatur zwar hin und wieder vorkommt, es aber nie zu einem Klassifikationsbegriff schaff te.24 Bei Agapetos Diakonos wird zweimal der Begriff »Spiegel« (katoptron; κάτοπτρον) verwendet: »Seine Seele, die sich um vielerlei Sorgen macht, muss der Kaiser wie einen Spiegel blankreiben, damit sie jederzeit von göttlichem Glanz erstrahlt und von dorther die Unterscheidung der Umstände lernt. Nichts nämlich befähigt so dazu, das Notwendige zu erkennen, wie eine Seele, die ganz rein bewahrt wird.«25 Und: »Wie blanke Spiegel die Bilder der Gesichter zeigen, wie diese sind – heitere Spiegelbilder heiterer Menschen und mürrische von mürrischen –, so gleicht sich auch das gerechte Gericht Gottes unserem Handeln an: wie unsere Taten sind, vergilt er uns auf die gleiche Weise.«26

    Wie auch immer: In wohlklingende Perioden verpackt wurden dem Monarchen Idealbilder des Herrschens vermittelt; Anleihen nahm man dabei in der klassischen griechischen und hellenistischen Literatur, aber auch im Alten Testament; der Ton kann auch mahnend sein, allerdings wird darauf geachtet,

    22 Toma Magistro, La regalità, ed. Paola Volpe Cacciatore, Neapel 1997; Übersetzung in Wilhelm Blum, Byzantinische Fürstenspiegel. Agapetos, Theophylakt von Ochrid, Thomas Magister, Stutt-gart 1981, 99-145.23 Mullett, Madness (Anm. 16); Panagiotis A. Agapitos, Mischung der Gattungen und Über-schreitung der Gesetze: Die Grabrede des Eusta-thios von Thessalonike auf Nikolaos Hagiotheodori-tes, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 48 (1998) 119-146; Floris Bernard, Writing and Reading Byzantine Secular Poetry, 1025-1081, Oxford 2014, 7; vgl. Foteini Kolovou, Der gefangene Gelehrte und sein nächtlicher Gast. Geschichtskon-zeption und Phantasie in Nikephoros Gregoras‘ Rhomaike Historia, Leipzig 2016, die auf die Beson-derheiten der Darstellung des spätbyzantinischen Autors eingeht (funktionale Fiktionalität).24 Stratis Papaioannou, Byzantine Mirrors. Self-Reflection in Medieval Greek Writing, in: Dum-barton Oaks Papers 64 (2010) 81-101.

    25 Rudolf Riedinger, Agapetos, Der Fürsten-spiegel für Kaiser Iustinianos. Capita admonitaria, Athen 1995, 30, 13-17 (cap. 9): Τὴν πολυμέριμνον τοῦ βασιλέως ψυχὴν κατόπτρου δίκην ἀποσμήχεσθαι χρή, ἵνα ταῖς θείαις αὐγαῖς ἀεὶ καταστράπτηται καὶ τῶν πραγμάτων τὰς κρίσεις ἐκεῖθεν διδάσκηται. Οὐδὲν γὰρ οὕτω ποιεῖ τὰ δέοντα καθορᾶν ὡς τὸ φυλάσσειν ἐκείνην διαπαντὸς καθαράν.26 Ebd., 40, 11-16 (cap. 24): Ὥσπερ τὰ ἀκριβῆ τῶν κατόπτρων τοιαύτας δείκνυσι τὰς τῶν προσώπων ἐμφάσεις οἷάπερ ἐστὶ τὰ πρωτότυπα, φαιδρὰ μὲν τῶν φαιδρυνομένων, σκυθρωπὰ δὲ τῶν σκυθρωπαζόντων, οὕτω καὶ ἡ δικαία τοῦ θεοῦ κρίσις ταῖς ἡμετέραις πράξεσιν ἐξομοιοῦται· οἷάπερ ἂν ἦ τὰ παρ’ ἡμῶν εἰργασμένα τοιαῦτα ἡμῖν ἐκ τῶν ὁμοίων ἀντιδιδοῦσα.

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    die Grenze zur Kaiserkritik und zum Kaisertadel nicht zu überschreiten.27 Kaiserkritik wurde wenig geduldet und fand meist nur in »Geheimschriften«, a posteriore oder in einem gesicherten Umfeld statt.28 Eine Personengruppe, die im ausgehenden römischen Reich zunehmend unter Beobachtung gestellt wurde, waren die Prognostiker und Zukunftsdeuter. Denn Wahrsager konnten ein schlechtes Klima für die Handlungsfähigkeit eines Kaisers und damit seiner Außenwirkung erzeugen, in der Spätantike ging man gegen diese »Berufsgruppe« systematisch vor.29 Die Verleumdung des Kaisers und die Missachtung seiner monarchischen Autorität finden in einer Tadelrede (ψόγος) statt. Das beste Beispiel eines solchen Werkes, das schlechtes Regieren reflektiert, aber durch die Negativschablone Rückschlüsse auf Herrschaftsvorstellungen zulässt, ist Prokops vielgescholtene Geheimgeschichte, die nicht für eine große Öffentlichkeit bestimmt war.30

    Wie bereits erwähnt richten sich die aus dem byzantinischen Raum erhalten gebliebenen Anleitungen zum guten Regieren meistens an den byzantinischen Kaiser.31 Nur in wenigen Fällen werden auch fremdländischen Herrschern derartige Ratschläge übermittelt. Dieter Roderich Reinsch führt das bekannte Schreiben des Patriarchen Photios an den bulgarischen Khan Boris (getauft Michael) an, welches um das Jahr 865 datiert wird.32 Des Weiteren kann ein Brief des Patriarchen Nikolaos Mystikos, der über einen kurzen Zeitraum an Stelle des Kaisers (nach dem Tode Alexanders im Jahre 913) die Regierungsgeschäfte leitete, ins Treffen geführt werden. Er schreibt etwa an den Kalifen AlMuqtadir.33 Noch besser eignen sich allerdings die Briefe an den bulgarischen Herrscher Simeon, die durch und durch instruierenden und mahnenden Charakter haben.34 Diese Passagen dienen dazu, den ausländischen Herrschern ihre Abhängigkeit von Byzanz suggestiv klar zu machen, sie gleich

    27 Antonia Giannouli, Paränese zwischen Enkomion und Psogos. Zur Gattungseinordnung byzantinischer Fürstenspiegel, in: Andreas Rhoby / Elisabeth Schiffer (Hg.), Imitatio – Aemulatio – Variatio. Akten des internationalen wissenschaft-lichen Symposions zur byzantinischen Sprache und Literatur (Wien, 22.-25. Oktober 2008), Wien 2010, 119-128.28 Franz H. Tinnefeld, Kategorien der Kaiserkritik in der byzantinischen Historiographie von Prokop bis Niketas Choniates, München 1971; Paul Mag-dalino, Aspects of Twelf th-Century Kaiserkritik, in: Speculum 58 (1983) 326-346.29 Marie Theres Fögen, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissens-monopol in der Spätantike, Frankfurt a. M. 1993; Almuth Lotz, Der Magiekonflikt in der Spätantike, Bonn 2005.

    30 Anthony Kaldellis, The Secret History. With Related Texts, Indianapolis 2010; Averil Cameron, Procopius and the Sixth Century, Berkeley CA u. a. 1985.31 Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22).32 Reinsch, Abweichungen (Anm. 8), 404; Basilei-os Laourdas / Leendert G. Westerink (Hg.), Photii epistulae et Amphilochia, Leipzig 1983, ep. 1. Dazu Despina Stratoudaki-White / Joseph R. Berrigan, The Patriarch and the Prince. The Letter of Patri-arch Photios of Constantinople to Khan Boris of Bulgaria, Brookline 1982; Despina Stratoudaki-White, The Hellenistic Tradition as an Influence on Ninth-Century Byzantium: Patriarch Photios’ Letter to Boris-Michael, the Archon of Bulgaria, in: The Patristic and Byzantine Review 6 (1987) 121-129.33 Romilly J. H. Jenkins / Leendert G. Westerink (Hg.), Nicholas I Patriarch of Constantinople. Let-ters. Greek Text and English Translation, Washing-ton, D.C. 1973, 2-13 (ep. 1).34 Ebd., z. B. 172-181 (ep. 25).

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    sam zu zivilisieren und sie an die byzantinische, christlich dominierte Kultur heranzuführen und den rechten Platz zuzuweisen.

    Es lässt sich also festhalten: Wenn der Terminus »Fürstenspiegel« verwendet wird, dann handelt es sich dabei nur in Ausnahmefällen um eigenständige, paränetische Schriften. In vielen Textzeugnissen aus dem byzantinischen Jahrtausend findet man Vorstellungen vom idealen Herrscher und Herrschen, es ist erlaubt, dem Kaiser Instruktionen zu geben. Auf fällig ist, dass es sich in den meisten Fällen um Ratschläge handelt. Diese sind entweder zeitloser, also allgemeingültiger Natur oder sie lassen einen Kontext erkennen.

    2 Tendenzen paränetischen Schrifttums

    Im Folgenden wird ein knapper Durchgang durch die vorhandenen Zeugnisse gemacht werden, dabei soll es nicht so sehr auf Formales ankommen, sondern eher auf den ideologischen Inhalt und seinen Kontext abgehoben werden.

    Es handelt sich dabei um Texte bzw. Autoren, in und bei denen besondere Elemente der paränetischen Literatur auf tauchen (in chronologischer Reihenfolge):35 Synesios von Kyrene, Agapetos Diakonos, Theophylaktos Simokates, Photios, Kaiser Basileios I., Nikolaos Mystikos, Konstantinos VII., Kekaumenos, Theophylaktos von Ochrid, PseudoAntonios, Melissa, Alexios I., Digenis Akrites,36 Äsop-Roman,37 das Lehrgedicht Spaneas,38 Stephanos und Ichnelates,39 Theognostos, Nikephoros Blemmydes, Maximos Planudes, Thomas Magistros, Manuel II. Palaiologos und Georgios Gemistos Plethon. Es fällt dabei auf, dass auch Kaiser als mögliche Autoren fungieren; dies hat damit zu tun, dass ein Kaiser seinen präsumptiven Nachfolgern Ratschläge mitgeben wollte. Wenn man den Begriff Paränese noch weiter auf faltet, dann müssen die Militärhandbücher mitberücksichtigt werden. Darin kommen auch Mahnungen /Erfahrungen für kaiserliches Handeln vor.

    35 Überblicke bei Blum, Byzantinische Fürsten-spiegel (Anm. 22); Leontiadis, Untersuchungen (Anm. 9), 18-25.36 Erich Trapp, Digenis Akrites. Synoptische Ausgabe der ältesten Versionen, Wien 1971, 232f. (G IV 1983-1992, Z V 2350-2358); in das Epos eingefügt ist eine Rede des Helden Digenis an den Kaiser, den er am Euphrat trifft.37 Hans Eideneier, Byzantinische Fürstenspiegelei im neugriechischen Äsoproman, in: Lars Hoff-mann / Anuscha Monchizadeh (Hg.), Zwischen Polis, Provinz und Peripherie. Beiträge zur byzan-tinischen Geschichte und Kultur, Wiesbaden 2005, 719-748.38 Georg Danezis, Spaneas. Vorlage, Quellen, Versionen, München 1987.

    39 Lars-Olof Sjöberg, Stephanites und Ichnelates. Überlieferungsgeschichte und Text, Stockholm 1964.40 Vgl. auch Johannes Irmscher, Das Bild des Untertanen im Fürstenspiegel des Agapetos, in: Klio 60 (1978) 507-509, besonders die Kapitel 9 und 24 bei Agapetos.41 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), Cap. 20: Σεπτὴ δικαίως ἐστὶν ἡ ὑμῶν βασιλεία, ὅτι τοῖς πολεμίοις μὲν δεικνύει τὴν ἐξουσίαν, τοῖς ὑπηκόοις δὲ νέμει φιλανθρωπίαν· καὶ νικῶσα ἐκείνους τῇ δυνάμει τῶν ὅπλων, τῇ ἀόπλῳ ἀγάπῃ τῶν οἰκείων ἡττᾶται· ὅσον γὰρ θηρίου καὶ προβάτου τὸ μέσον, τοσοῦτον ἀμφοτέρων ἡγεῖται τὸ διάφορον. Über-setzung: Ebd., 39.

  • Anleitungen zum guten Regieren 69

    Der Kaiser muss nach außen hin Stärke, nach innen philanthropia/humanitas beweisen und sich mildtätig erweisen; die Untertanen sollen ein Gefühl der Freiwilligkeit ihres Status haben, der Herrscher beeinflusst die Untertanen positiv durch Wohltaten.40 Agapetos schreibt:

    »Die Art eurer Regierung wird zu Recht hochgeschätzt, denn den Feinden zeigt sie ihre Macht, den Untertanen aber lässt sie Menschenfreundlichkeit [besser: Wohltätigkeit] zuteil werden. Siegreich gegen jene mit Waffengewalt, lässt sie sich von der waffenlosen Liebe der eigenen Leute besiegen. Denn wie groß der Unterschied zwischen einer Bestie und einem Lamm ist, so groß sieht sie den Unterschied zwischen Feind und Freund«.41

    Die Mahnung Waffengewalt einzusetzen, schimmert bei Agapetos nur an wenigen Stellen durch und bleibt dabei wenig konkret. Blättert man durch andere paränetische Schriften, so wird die Prominenz des Themas »Militär« evident.42

    Die Spruchsammlungen (Sieben Weise)43 und – was bisher kaum mitberücksichtigt wurde – Traumbücher dürfen eigentlich auch nicht fehlen.44

    Vorbildhaft für die Schriften, die einen Herrscher instruieren und zu gutem Regieren auf forderten, war Isokrates (436338 v. Chr.). Viele der byzantinischen Rhetoren beziehen sich auf seinen Euagoras, ein Enkomion bzw. epitaphios logos, in dem die zeitlosen Ideale theophilia und philanthropia angesprochen werden.45 Dazu tritt die pseudoisokratische Schrift pros Demonikon, die in der paränetischen Tradition der Byzantiner reichen Nachhall gefunden hat.46 Der Erfolg dieser Rede lag darin, dass sich die Motive und Ratschläge problemlos christianisieren ließen. Dion von Prusa (genannt Chrysostomos) wird explizit von Kaiser Manuel II. (13911425) angeführt.47

    Allerdings finden sich auch bei Themistios viele Elemente der herrscherlichen Paränese;48 verwiesen werden soll bloß auf Rede 15 (»Welche ist die königlichste der Tugenden?«), die der begnadete Rhetor im Januar 381 in Gegenwart des Kaisers Theodosius I. und des Senates hielt. Themistios spricht sich darin für

    42 Joseph A. Munitiz, War and Peace Reflected in Some Byzantine Mirrors of Princes, in: Timothy S. Miller / John Nesbitt (Hg.), War and Peace in Byzantium. Essays in Honor of George T. Dennis, SJ., Washington, D.C. 1995, 50-61.43 Maria Tziatzi-Papagianni, Die Sprüche der sieben Weisen. Zwei byzantinische Sammlungen. Einleitung, Text, Testimonien und Kommentar, Stuttgart / Leipzig 1994.44 Christine Angelidi / George T. Calofonos (Hg.), Dreaming in Byzantium and Beyond, Farnham 2014; Traumbücher laufen auch unter den Namen von Geistlichen vgl. Franz Drexl, Das Traumbuch des Patriarchen Germanos, in: Laographia 7 (1923) 428-448; Karl Brackertz, Die Volks-Traumbücher des byzantinischen Mittelalters, München 1993.

    45 Hunger, Literatur (Anm. 3), I 159; Evangelos Alexiou, Der Euagoras des Isokrates. Ein Kommen-tar, Berlin 2010.46 Hunger, Literatur (Anm. 3), I 159.47 Giannouli, Paränese (Anm. 27), 119. S. auch Florin Leonte, Advice and Praise for the Ruler: Making Political Strategies in Manuel II Palaio-logos’s Dialogue on Marriage, in: Papers from the First and Second Postgraduate Forums in Byzan-tine Studies: »Sailing to Byzantium«, Cambridge 2009, 163-183.48 Hartmut Leppin / Werner Portmann, Themis-tios: Staatsreden, Stuttgart 1998.

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    eine Herrschaft aus, die von philanthropia geleitet sei. Dadurch könne man als Herrscher, der eine sichere Politik im Inneren des Reichs führe, auch äußeren Feinden besser gegenübertreten. Rede 19 handelt Über die Philanthropie des Kaisers Theodosius (wahrscheinlich 383 oder 384, spätestens 387). Das Verhältnis zwischen dem Herrscher und der göttlichen Sphäre wird in einer erst 1985 entdeckten Rede des Themistios ausgeleuchtet.49

    Gemeinhin wird die Rede des Synesios, gerichtet an den jungen Kaiser Arkadios, aus dem Jahre 399 als Auf takt zur byzantinischen »Fürstenspiegelliteratur« verstanden.50 Der Titel εἰς τὸν αὐτοκράτορα ἢ Περὶ βασιλείας zielt auf den Autokrator und seine Herrschaft, ein Fürst (archon) wird hier nicht genannt.51

    Die prägendste frühbyzantinische paränetische Schrift für das Hochmittelalter und die Frühe Neuzeit stammt aus der Feder des Agapetos, welcher aufgrund seiner Tätigkeit wohl an der Hagia Sophia in Konstantinopel den Beinamen Diakonos trägt.52 Die Schrift unterbreitet in 72 kurzen Absätzen Ratschläge an Kaiser Justinian.53 Datiert wird das Werk auf die 530er Jahre. Die kurzen, sentenzenhaften Kapitel – der Titel lautet ἔκθεσις κεφαλαίων παραινετικῶν σχεδιασθεῖσα – sind durch eine Akrostichis zusammengehalten (»Unserem göttlichsten und frömmsten Kaiser Iustinian der niedrigste Diakon Agapetos«; Τῷ θειοτάτῳ καὶ εὐσεβεστάτῳ βασιλεῖ ἡμῶν Ἰουστινιανῷ Ἀγαπητὸς ὁ ἐλάχιστος διάκονος; dies weist darauf hin, dass die Autorschaft hier eine große Rolle spielt). Agapetos bezog Material aus Isokrates und kirchlichen Schriftstellern wie Basileios und Gregor von Nazianz. Interessant sind die Beziehungen zum Barlaam und IoasaphRoman.54 Weitere Beobachtungen machte jüngst Paolo Odorico, welcher auf die Ähnlichkeiten zwischen der am 21. November 533 erlassenen Constitutio Imperatoriam maiestatem und der Sammlung des Agapetos hinwies.55 Es ist evident,

    49 Eugenio Amato / Ilaria Ramelli, L’inedito Πρὸς βασιλέα di Temistio, in: Byzantinische Zeitschrift 99 (2006) 1-67.50 Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22), 31 f. so auch Reinsch, Abweichungen (Anm. 8), 404.51 Antonio Garzya, Sul regno. Trad. con testo a fronte, Neapel 1973; Hartwin Brandt, Die Rede »peri basileias« des Synesios von Kyrene – ein ungewöhnlicher Fürstenspiegel, in: Consuetudinis amor. Fragments d’histoire romaine (IIe - VIe siè-cles) offerts à Jean-Pierre Callu, Rom 2003, 57-70.52 Riedinger, Agapetos (Anm. 25); Antonio Bellomo, Agapeto Diacono e la sua Scheda regia. Contributo alla storia dell‘ imperatore Giustiniano e die suoi tempi, Bari 1906 (alle Handschriften stammen aus der Zeit nach 1300).

    53 Patrick Henry, A Mirror for Justinian. The »Ecthesis« of Agapetus Diaconus, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 8 (1967) 281-308; Renate Frohne, Agapetus Diaconus: Untersuchun-gen zu den Quellen und zur Wirkungsgeschichte des ersten byzantinischen Fürstenspiegels, Diss. Tübingen 1984; Johannes Irmscher, Das Bild des Untertanen im Fürstenspiegel des Agapetos, in: Klio 60 (1978) 507-509; Stefano Rocca, Un tratta-tista di età Giustinianea: Agapeto Diacono, in: Civiltà classica e cristiana 10 (1989) 303-328; Alexander Demandt, Der Fürstenspiegel des Aga-pet, in: Mediterraneo antico 5 (2002) 573-584.54 Direktübernahmen sind im Barlaamroman zu finden, so Ihor Ševčenko, Agapetus East and West: The Fate of a Byzantine »Mirror of Princes«, in: Revue des Études Sud-Est-Européennes 16 (1978) 3-44, hier 5. Der Barlaamroman stamme nicht aus dem 8., sondern sei eine Metaphrase aus dem

  • Anleitungen zum guten Regieren 71

    dass sich inhaltliche Überschneidungen zwischen dem Gesetzestext und Kapiteln des Agapetos ergeben, was zu Überlegungen führte, ob der Kaiser vielleicht auf den Diakon hörte.56 Festzuhalten ist auch, dass die Beziehung des irdischen Herrschers zum Recht einen hervorragenden Rang einnimmt. Agapetos beginnt sogar damit: »Von seinem (scil. Gottes) Gesetz laß dich beherrschen und herrsche über deine Untertanen getreu dem Gesetz«.57 Unterbewertet werden darf nicht, dass Agapetos aus dem kirchlichen Milieu stammte und sich an den weltlichen Herrscher wandte – später werden Photios und Nikolaos Mystikos aus diesem Kontext wirken. Auf fällig ist, dass Verfasser von paränetischem Schrifttum – wie im Westen – eher einen geistlichen Hintergrund hatten.

    Das Werk des Agapetos entwickelte ein umfangreiches Nachleben, mehr als 80 Handschriften sind bekannt;58 diese wurden im Zuge der Überlieferung auch mit Scholien versehen.59 Durch die Übersetzung ins Lateinische wurde die Schrift in allen Teilen Europas bekannt und verbreitet.60

    Die 72 Kapitel wurden systematisch auf Parallelen und Zitate durchleuchtet, und es konnten einige frappierende Befunde gemacht werden, die zeigen, wie Vorstellungen von gutem Herrschen in die Gedankenwelt der Byzantiner verwoben waren. Renate Frohne zeigte Verbindungen zu den Briefen des Isidor von Pelusium auf,61 und sie lieferte auch Einblicke in die Arbeitsweise des frühbyzantinischen Autors, welcher im besten Sinne mimetisch vorging. Die Briefe des Isidor kann man auch als eine Sammlung von gnomologischen Passagen betrachten, sie haben formal wenig mit Epistolographie zu tun.62 Agapetos war gebildet und mit den biblischen Schriften sowie Florilegien wohlvertraut.63

    Ein paar Streif lichter sollen hier angeführt werden, um im Folgenden mittels anderer paränetischer Zeugnisse Tendenzen und Gewichtungen festzumachen.

    11. Jh.; Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 11-15 stellt Passagen zusammen; Karl Praechter, Der Roman Barlaam und Joasaph in seinem Verhältnis zu Aga-pets Königsspiegel, in: Byzantinische Zeitschrift 2 (1893) 444-460.55 Odorico, Miroirs (Anm. 7), 229-230; Corpus Iuris Civilis, Institutiones – Digesta, rec. Theodorus Mommsen. Rectractavit Paulus Krueger, Berlin 1964, XXVII.56 So Odorico, Miroirs (Anm. 7), 230. 57 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 26, 5-8 (cap. 1): »… ὑπὸ τῶν αὐτοῦ βασιλευόμενος νόμων καὶ τῶν ὑπὸ σὲ βασιλεύων ἐννόμως«. Siehe Igor Čičurov, Gesetz und Gerechtigkeit in den byzantinischen Fürstenspiegeln des 6.-9. Jahrhunderts, in: Ludwig Burgmann / Marie Theres Fögen / Andreas Schminck (Hg.), Cupido legum, Frankfurt a. M. 1985, 33-45, bes. 34-35.

    58 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 5.59 Fusco F. Paciarelli, Per l’edizione degli scoli alla Scheda regia di Agapeto Diacono, in: Κοινωνία 2 (1978) 199-210 (Auswertung von 29 Handschriften).60 Ševčenko, Agapetus (Anm. 54), 3-44; Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 17-19.61 Frohne, Agapetus (Anm. 53), 201-248.62 Manfred Kertsch, Johannes Chrysostomos – Isidor von Pelusion – Agapetos Diakonos. Zur Rezeption oder Tradition bildsprachlich (bildhaft) formulierter Paränesen ethischen Vorwurfs in der griechischen Patristik, in: Mit teilungen zur christ-lichen Archäologie 3 (1997) 66-73.63 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 6.

  • Michael Grünbart72

    Der Herrscher ist zwar wegen seiner Körperlichkeit keinem anderen Menschen überlegen, aber kraft seines Amtes ist er dem allherrschenden Gott gleich.64 Agapetos verwendet andererseits noch keinen Gedanken auf den gesunden bzw. gut trainierten Körper des Kaisers, wie dies Theophylaktos im 11. Jahrhundert extra erwähnt.65

    3 Beraten und Entscheiden im paränetischen Schrifttum

    Einige Motive sind aus der byzantinischen Kaiserrede hinlänglich bekannt und werden fast immer angeführt: Der Steuermann und die Wachsamkeit des Herrschers sind triviale Bilder.66 So muss der Kaiser auch klug, richtig und nachhaltig entscheiden, um nicht vom Weg abzukommen. Entscheiden kommt aber in vielen Fällen nicht ohne fachliche Unterstützung aus; darum ist es nicht verwunderlich, dass Beraten und Entscheiden im paränetischen Schrifttum mannigfaltig vorkommen. Eine Probe: »Empfange die, welche guten Rat geben wollen, nicht die, welche immer darauf aus sind, dir zu schmeicheln. Denn die einen sehen in Wahrheit das Nutzbringende, während sich die anderen nach der Meinung der Herrscher richten. So ahmen sie den Schatten der Körper nach, indem sie dem Beifall zollen, was die Herrscher sagen.«67

    Der Kaiser befindet sich kraft seiner Funktion in einem permanenten Entscheidensnotstand. Zwar können Prozesse des Entscheidens delegiert werden, doch bleiben für den byzantinischen Herrscher noch genügend Fälle des Entscheidens übrig. Die Gefahr, die dabei auftreten kann und als solche erkannt wird, kann überstürztes Entscheiden sein. Darum warnt Agapetos in Kapitel 25 seiner Schrift an Kaiser Justinian: »Bedenke ohne Hast das, was zu tun ist, und führe den Entschluss zügig aus, denn in Staatsgeschäften ist unüberlegtes Handeln

    64 Ebd., 38, 12-18 (cap. 21): »Τῇ μὲν οὐσίᾳ τοῦ σώματος ἴσος παντὸς ἀνθρώπου ὁ βασιλεύς, τῇ ἐξουσίᾳ δὲ τοῦ ἀξιώματος ὅμοιός ἐστι τῷ ἐπὶ πάντων θεῷ, οὐκ ἔχει γὰρ ἐπὶ γῆς τὸν αὐτοῦ ὑψηλότερον. Χρὴ τοίνυν αὐτὸν καὶ ὡς θνητὸν μὴ ἐπαίρεσθαι καὶ ὡς θεὸν μὴ ὀργίζεσθαι. Εἰ γὰρ καὶ εἰκόνι θεϊκῇ τετίμηται, ἀλλὰ καὶ κόνει χοϊκῇ συμπέπληκται, δι’ ἧς ἐκδιδάσκεται τὴν πρὸς πάντας ἰσότητα.« – »In seinem körperlichen Wesen gleicht der Kaiser einem jeden Menschen, in der Vollmacht seiner Würde aber ähnelt er Gott, der über allen steht, denn auf Erden gibt es nie-manden, der höher stünde. Er darf sich gewiss nun nicht wie ein Sterblicher im Stolz erheben und wie Gott darf er sich nicht zum Zorn hinreißen lassen. Denn wenn er auch als göttliches Abbild geehrt wird, bleibt er doch mit Erdenstaub ver-mengt, durch den er seine Gleichheit mit allen Menschen vorgeführt bekommt« (nach Riedinger, Agapetos [Anm. 25], 39).

    65 In der von Blum verwendeten Übersetzungs-vorlage ist der Zusatz »Die Übung seines Leibes ist für den Kaiser gesund« (cap. XXIV) zu finden, Gautier, Théophylacte d’Achrida (Anm. 16), 207, 27ff (ohne Überschrift).66 Riedinger, Agapetos (Anm. 25) Kapitel 2 und 10; vgl. Klaus R. Grinda, Enzyklopädie der literarischen Vergleiche. Das Bildinventar von der römischen Antike bis zum Ende des Frühmittel-alters, Paderborn 2002, 460-469 (f1-f5, Steuer-mann); Hunger, Prooimion (Anm. 6), 94.67 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 40, 1-5 (cap. 22): »Ἀποδέχου τοὺς τὰ χρηστὰ συμβουλεύειν ἐθέλοντας, ἀλλὰ μὴ τοὺς κολακεύειν ἑκάστοτε σπεύδοντας· οἱ μὲν γὰρ τὸ συμφέρον συνορῶσιν ἐν ἀληθείᾳ, οἱ δὲ πρὸς τὰ δοκοῦντα τοῖς κρατοῦσιν ἀφορῶσι, καὶ τῶν σωμάτων τὰς σκιὰς μιμούμενοι τοῖς παρ’ αύτῶν λεγομένοις συνᾴδουσι.«

  • Anleitungen zum guten Regieren 73

    höchst gefährlich. Wer sich nämlich das Übel vor Augen hält, das aus Unüberlegtheit entsteht, wird gut den Nutzen der Wohlberatenheit erkennen, so wie man das Geschenk der Gesundheit dann zu würdigen weiß, wenn man Krankheit erlebt hat. Man muss also, allergnädigster Kaiser, mit wohldurchdachtem Rat und inständigem Gebet sorgfältig ausfindig machen, was der Welt von Nutzen ist.«68

    Hierher passt eine Passage aus einem Militärhandbuch, das dem Kaiser Maurikios zugeschrieben wurde (datiert Ende 6. Jh.): »Langsam und sicher zu überlegen ist notwendig, und wenn der Beschluss /Entschluss richtig scheint, den Zeitpunkt nicht durch Verzögerung oder Angst verstreichen zu lassen«.69

    Derartige Ratschläge durchziehen die byzantinischen Quellen, eine systematische Durchsicht wird noch mehr Material zu Tage fördern. Explizite Richtlinien, die das imperiale Entscheiden betreffen, versammelte der spätbyzantinische Gelehrte Thomas Magistros.

    »Nun aber entscheiden Leute [wie Feldherren oder Steuermänner] in vergleichsweise kleinen und unwichtigen Angelegenheiten, für dich ist aber ein einziger Würfel gefallen, und zwar über die ganze Welt«.70

    »Deine Überlegungen und Entscheidungen sollen in jeder Hinsicht richtig und unumstößlich sein (niemals dürf ten noch weitere Entscheidungen möglich sein!); sei eifrig darauf bedacht, dass du niemals auch nur einen einzigen Beschluss ohne diese Vorüberlegung in die Wirklichkeit umsetzt.«71

    Was der byzantinische Gelehrte zusätzlich betont ist die Wichtigkeit, sich Zeit zu nehmen und eine Entscheidung mit Bedacht zu fällen. Thomas Magistros setzt noch etwas darauf: »Es ist jedoch keineswegs ausreichend, sich in wichtigen Dingen nur zu beraten, es gilt noch eine weitere Forderung: die einmal getroffene Entscheidung muß vor ihrer Umsetzung in die Tat den anderen Menschen verborgen bleiben. Du mußt darauf achten, dass wirklich eine Entscheidung gefällt wird – gewiß –, aber mehr noch, dass zur Entscheidung

    68 Ebd., 42, 1-7 (cap. 25): »Βουλεύου μὲν τὰ πρακτέα βραδέως, ἐκτέλει δὲ τὰ κριθέντα σπουδαίως, ἐπειδὴ λίαν σφαλερώτατον τὸ ἐν τοῖς πράγμασιν ἀπερίσκεπτον· εἰ γὰρ τὰ ἐξ ἀβουλίας τις ἐννοήσει κακά, τότε γνώσεται καλῶς τῆς εὐβουλίας τὰ χρήσιμα, ὡς καὶ τῆς ὑγείας τὴν χάριν μετὰ τὴν πεῖραν τῆς νόσου· δεῖ τοίνυν, εὐφρονέστατε βασιλεῦ, καὶ βουλῇ, συνετωτέρᾳ καὶ εὐχῇ συντονωτέρᾳ ἐξερευνᾶν ἀκριβῶς τὰ συνοίσοντα τῷ κόσμῳ.«69 Mauricii strategicon. Einf., Ed. u. Indices von George T. Dennis. Übers. von Ernst Gamillscheg, Wien 1980, 270 (VIII 1 [5]): »Τὸ βουλεύεσθαι βραδέως καὶ ἀσφαλῶς τῶν ἀναγκαίων ἐστὶ καὶ δοκούσης τῆς γνώμης μὴ ἀναβάλλεσθαι τοὺς καιροὺς δι΄ ὄκνον τινὰ ἢ δειλίαν· οὐδὲ γὰρ ἀσφαλὲς ἡ δειλία, ἀλλὰ κακίας ἐπίνοια.«

    70 Toma Magistro, La regalità (Anm. 22), 56 (Zeile 671-673): »Καίτοι οἱ μὲν ὑπὲρ σμικρῶν δή τινων καὶ τῶν ἐν μέρει πραγμάτων, σοὶ δὲ εἷς ὑπὲρ ἁπάσης τῆς οἰκουμένης ἔῤῥιπται κύβος«; Übersetzung der Passage bei Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22), 119.71 Toma Magistro, La regalità (Anm. 22), 55 (Zeile 648-653): »Δεῖ καὶ σὲ περὶ πλείονος τοῦτο πάντων ποιεῖσθαι, καὶ ὅπως ἄν σοι κάλλιστα καὶ ἀσφαλέστατα καὶ ὡς οὐκ ἂν ἄλλως εἰκὸς ἦν αἱ περὶ τῶν ὅλων ἑκάστοτε γίγνοιντο βουλαί τε καὶ σκέψεις, καὶ μηδοτιοῦν τῶν ἁπάντων ἄνευ ταυτησὶ τῆς προνοίας εἰς ἔργον ἐξάγοις διαφερόντως φροντίζειν«. Übersetzung: Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22), 118 (cap. 15).

  • Michael Grünbart74

    die absolute Verschwiegenheit kommt; denn unter dieser Voraussetzung kannst du dann die eigentliche Entscheidung noch mehr bedenken und deren Durchführung vorbereiten. Wenn nämlich die Verschwiegenheit gegeben ist, wird auch die Entscheidung großen Wert haben; fehlt aber die Verschwiegenheit, so ist die Durchführung offenkundig gar nichts wert, mag auch die Beratung tausendfach durchgeführt worden sein.«72

    In seiner Not, richtige Entscheidungen zu fällen und die passenden Befehle zu geben, ist der Kaiser auf Ratgeber angewiesen,73 die Suche nach den besten Beratern und Experten zieht sich durch die paränetische Literatur, denn »[v]on Gotte mit der irdischen Herrschaft betraut, lass niemals charakterlos Beamte Verwaltungsangelegenheiten entscheiden. Denn für alles Unheil, das solche Leute anrichten, wird der vor Gott Rechenschaft ablegen, der ihnen Macht gab. Daher sollen die Beförderungen maßgeblicher Leute nur nach strenger Prüfung erfolgen.«74

    Diese Aussage bezieht sich zwar auf kein konkretes Ereignis, aber es wird deutlich, dass diese vor dem Hintergrund einer gut entwickelten Administration formuliert ist.

    Die Abhängigkeit vom Herrscher und die Vertretung klarer Meinungen sind zwei Extreme, die sich bloß mit Fingerspitzengefühl im Alltag verantwortlicher Funktionäre miteinander verbinden lassen. Nähe zum Herrscher kann das Kriechertum befördern, die Mahnung vor Schmeichlern ist ein Standardtopos in der paränetischen Literatur seit der Antike. Schon Demosthenes warnte in seiner Rede über die Hilfssendung an die Olynthier vor Schmeichelei (κολακεία).75

    Seit damals wird auch die negative Seite der Panegyrik diskutiert, denn das Lob kann den Adressaten verderben, während Mahnungen zu Besserungen anregen können. Die Mahnrede wird als freimütige und wahre oratio charakterisiert.76

    72 Toma Magistro, La regalità (Anm. 22), 56, 679-689: »Καὶ μὴν οὐ τὸ βουλεύεσθαι μόνον περὶ τῶν μεγίστων ἀπόχρη, ἀλλὰ καὶ τὸ τὰ βεβουλευμένα πρὶν ἢ πεπρᾶχθαι λανθάνειν τοὺς ἄλλους προσεῖναι δεῖ, καὶ σκοπεῖν οὐχ ὅπως ἐκεῖνο μᾶλλον ἔσται, ἢ ὅπως ἐκείνῳ τοῦτο προσέσται, κἀντεῦθεν τοῦτο μείζονος ἀξιοῦν τῆς προνοίας ὡς, ἐὰν μὲν τοῦτο προσῇ, κἀκεῖνο πολλοῦ τινος ἄξιον ὄν· τούτου δ’ ἀπόντος, κἂν μυριάκις ἐκεῖνο παρῇ, οὐδὲν μᾶλλόν γε ὂν μᾶλλον δ’οὐδενὸς ἄξιον ὄν· εἰκότως. Πᾶσα γὰρ δήπου βουλή, κἂν ὡς ἄριστα ἔχῃ, κὰν ἐκ βαθείας ἥκῃ φρενός, τοῖς μὲν πολλοῖς ἄγνωστος οὖσα, τὰ μέγιστ’ ὀνίνησι τοὺς χρωμένους«. Über - setzung Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22), 119 (cap. 15).73 Ulrike Graßnick, Ratgeber des Königs: Fürsten-spiegel und Herrscherideal im spätmittelalterlichen England, Köln / Wien 2004; Gerd Althoff, Kon - trolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter, Darmstadt 2016.

    74 Riedinger, Agapetos (Anm. 25), 44, 11-15 (cap. 30): »ἐγκόσμιον ὑπὸ θεοῦ πιστευθεὶς βασιλείαν μηδενὶ χρῶ τῶν πονηρῶν πρὸς τὰς τῶν πραγμάτων διοικήσεις. ὧν γὰρ ἂν ἐκεῖνοι κακῶς διαπράξωνται, λόγον ὑφέξει θεῷ ὁ τὴν ἰσχὺν αὐτοῖς δεδωκώς. Μετὰ πολλῆς οὐν ἐξετάσεως αἱ τῶν ἀρχόντων προβολαὶ γινέσθωσαν«. Über-setzung: Ebd., 45.75 Giannouli, Paränese (Anm. 27), 121.76 Ebd.77 Z. B. Riedinger, Agapetos (Anm. 25), cap.12. 78 Michael Grünbart, Byzantinisches Redner-ideal? Anmerkungen zu einem kaum beachteten Aspekt mittelgriechischer Beredsamkeit, in: Wolfgang Kof ler / Karlheinz Töchterle (Hg.), Pontes III. Die antike Rhetorik in der europäischen Geistesgeschichte, Innsbruck /Wien / Bozen 2005, 103-114 (Beispiele aus Michael Psellos und Niketas Choniates).

  • Anleitungen zum guten Regieren 75

    Die besondere Kritik an Schmeichlern gibt dem Schreibenden oder Vortragenden die Möglichkeit, sich davon abzugrenzen und die Ehrlichkeit seiner Ratschläge zu betonen.77 Das trifft das seit der antiken Rhetorik gepflegte Ideal des vir bonus, der nicht nur hervorragend gebildet, sondern auch ethisch unverwerf lich auftreten und agieren soll. Kritik an Rhetorenkollegen, die sich keiner eigenen Meinung befleißigen und nach dem Mund des Kaisers reden, findet man des Öfteren.78

    Es ist nicht verwunderlich, dass sich Reflexionen über den Wert von Freundschaft in die Paränesen mischen. So geht Theophylaktos von Ochrid in mehreren Kapiteln seiner kaiserlichen Unterweisung auf das Thema Freundschaft ein.

    Freundschaft stellt ein hohes Gut in der imperialen Sphäre dar: »Viele Güter des Kaisertums gibt es, doch keines ist so hervorragend wie der Name ›Freund‹«.79 Der Freund kümmere sich ständig um den Kaiser, »sein ganzes Sinnen ist darauf gerichtet, dass die politischen Verhältnisse für die Kaiserherrschaft fest und gesichert sind«.80 Das erinnert an Aussagen Anna Komnenes, die in ihrer Alexias ein Idealbild der Kaiserin entwirft. Eirene Dukaina, die Mutter Annas, folgt ihrem Gemahl ins Feld, pflegt ihn und hält ihm den Rücken frei.81

    Und »der Kaiser soll in seinem Freund nicht einen unangenehmen Aufseher, sondern einen willkommenen Mahner sehen; über die Schmeichler aber soll er erbittert sein wie über Feinde«.82 Mit solchen Freunden soll sich der Kaiser umgeben und ihrem Rat – wie von Ärzten – folgen.83 Dazu passt die Aussage in der Kekaumenos zugeschriebenen Mahnrede an den Kaiser: »Laß dir von niemandem schmeicheln, suche deine Freunde vielmehr unter jenen, welche dir Vorhaltungen machen.«84

    79 Gautier, Théophylacte d’Achrida (Anm. 16), 201, 25-26: »πολλῶν γὰρ ὄντων τῇ βασιλείᾳ καλῶν, οὐδὲν τοιοῦτον ὡς τὸ τοὺ φίλου πρᾶγμα καὶ ὄνομαap XIV)«. Blum, Byzantinische Fürsten-spiegel (Anm. 22), 88.80 Gautier, Théophylacte d’Achrida (Anm. 16), 203, 12-13: »ἀλλ’ ὅπως ἀραρότως ἕξει τῇ βασιλείᾳ τὰ πράγματα«; Blum, Byzantinische Fürsten - spiegel (Anm. 22), 89.81 Diether R. Reinsch /Athanasios Kambylis (Hg.), Annae Comnenae, Alexias, Berlin / New York 2001, XII 3 § 4f. »Der zweite und wichtigste Grund da - für, dass die Basilis (= Kaiserin) den Autokrator (= Kaiser) begleitete, war der, dass er wegen der auf allen Seiten auf tauchenden Verschwörer höchster Wachsamkeit bedurf te und wahrlich einer mit vielen Augen sehenden Macht«; zuletzt Michael Grünbart, Typisch Mann, typisch Frau? Zu geschlechtsspezifischen Konventionen in Byzanz, in: Byzantinoslavica 74 (2016) 44-60.

    82 Gautier, Théophylacte d’Achrida (Anm. 16), 203, 17-20: »Καὶ μέντοι καὶ βασιλεὺς οὐ βαρὺν σωφρονιστήν, ἀλλὰ γλυκὺν νουθετητὴν τὸν φίλον οἰήσεται, καὶ τοῖς μὲν κολακεύουσιν ὡς ἐχθραίνουσιν ἐμπικρανεῖται καὶ βαρὺ συνάξει τὸ ἐπισκύνιον«; Blum, Byzantinische Fürstenspiegel (Anm. 22), 89.83 Gautier, Théophylacte d’Achrida (Anm. 16), 203, 26-28 (cap. XVII).84 Wassiliewsky / Jernstedt, Cecaumeni strate-gicon (Anm. 14), 100, 24-25: »Μὴ καταδέξῃ κολακεύεσθαι παρὰ τινος, κτῆσαι δὲ μᾶλλον φίλους τοὺς ἐλέγχοντάς σε«; Übersetzung Beck, Vademecum (Anm. 15), 145.

  • Michael Grünbart76

    4 Schluss

    Der Terminus »Fürstenspiegel« ist vorsichtig für den byzantinischen Kosmos zu benutzen, da es kaum Werke gibt, die die neuzeitlichen Anforderungen erfüllen. In das rhetorische Schrifttum und die gnomologische Literatur sind oft Ratschläge für den byzantinischen Kaiser eingebettet, man entdeckt solche auch in historiographischen Werken; die Definition eines eigenen Genres »Fürstenspiegel« stößt also rasch auf ihre Grenzen; am besten ist es wohl, man wählt fluide Ausdrücke wie paränetische Literatur bzw. Paränesen85 oder Herrschaftsdidaktik, welche mehr auf den Inhalt als auf die Form zielen.86

    Seit der Spätantike existieren zahlreiche paränetische Schriften, in denen dem Kaiser ideales Verhalten mitgeteilt und anempfohlen wird. Es wird dabei nur gelegentlich auf aktuelles Handeln des Kaisers Bezug genommen, da dies leicht als Kaiserkritik aufgefasst werden kann. Es heißt aber nicht, dass historische Exempla, die den Kaiser anregen oder aufrütteln sollen, fehlen. Ständig fließen Formulierungen ein, in denen sich die Verfasser von Schmeichlern abgrenzen; damit versuchen sie, ihre Position abzusichern und den Eindruck zu vermeiden, Kritik am Kaiser zu üben.

    In derartigen Schriften wird keine politische Theorie entwickelt, die Mahnungen und Ratschläge zielen meistens auf einen Autokrator und sein Verhalten. Dem Kaiser wird die Verantwortung seines Handelns vor Augen geführt, da er – zumindest der universalistischen Vorstellung des byzan tinischen Kaisertums nach – für die gesamte Welt agiert.

    In diesem Beitrag wurde vornehmlich auf das Entscheiden fokussiert: Der Kaiser solle mit Bedacht entscheiden. Er entscheide zwar als Solitär, er solle aber Experten konsultieren.

    Wenn man die Texte zusammen betrachtet, dann fällt auf, dass sie vom 6. bis zum 15. Jh. zunehmend christliche Elemente enthalten. Der Kaiser möge durch das Spenden von Almosen die Tugend der Wohltätigkeit erfüllen, doch soll er dabei mit Bedacht vorgehen (besonders in der Spätzeit des Reiches).

    Zuletzt noch die Frage: Wer ist zum Verfassen von Paränesen prädestiniert? Die Nähe zum Machtzentrum und die Vertrautheit kaiserlichen Agierens stellen Voraussetzungen dar. Mahnende Anleitungen können von einem Elternteil an die nachfolgende Generation weitergegeben werden (z. B. Konstantinos VII., Kekaumenos). Oft sind deren Urheber Ratgeber oder Erzieher von Kaisersöhnen (z. B. Theophylaktos von Ochrid, Thomas Magistros); auf fällig ist auch, dass Personen mit kirchlicher Affinität Ratschläge verfassen.

    85 Darauf hebt auch Mullett, Madness (Anm. 16), 239 ab.

    86 Für den frühmittelalterlichen lateinischen Westen zuletzt Monika Suchan, Mahnen und Regieren. Die Metapher des Hirten im früheren Mittelalter, Berlin 2015.

  • Anleitungen zum guten Regieren 77

    ZusammenfassungAus der byzantinischen Epoche (5.15. Jh.) sind zahlreiche Anleitungen zum guten Regieren (adressiert an den byzantinischen Kaiser) erhalten geblieben, wobei der Terminus paränetische Literatur dem Begriff Fürstenspiegel vorzuziehen ist. Die Zeugnisse sind durchgehend mahnenden Charakters – es handelt sich dabei aber nicht um Kaiserkritik – und zeichnen dem Herrscher ideales Handeln vor. Betrachtet man die erhaltenen Zeugnisse von Synesios bis Georgios Gemistos Plethon, dann wird deutlich, dass diese zwar Standardthemen enthalten (z. B. Philanthropie), stets aber auch den Kontext ihres Entstehens widerspiegeln (z. B. Veränderung der Größe des Herrschaftsbereichs). Beraten (lassen) und Entscheiden sind wesentliche Elemente herrscherlichen Handelns und werden aus diesem Grund im paränetischen Schrifttum differenziert behandelt.

    AbstractThere are numerous guides for good government (addressed to the Byzantine emperor) from the Byzantine era (5th 15th centuries), although the term paraenetic literature is preferable here to the term mirror of princes. The documentary evidence is consistently admonitory, without being a criticism of the emperor, and maps out ideal conduct for the ruler. If one looks at the extant documents from Synesius to Georgius Gemistus Plethon, then it becomes clear that, although these contain standard themes (e.g. philanthropy), they also always reflect the context of their origins (e.g. change in the size of the domain). Advising (taking advice) and decisionmaking are essential elements of sovereign action and for this reason they receive a differentiated treatment in the paraenetic literature.