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  • Dokumentation

    HORST MHLEISEN

    A N N E H M E N O D E R A B L E H N E N ?

    Das Kabinett Scheidemann, die Oberste Heeresleitung und der Vertrag von Versail-

    les im Juni 1919

    Fnf Dokumente aus dem Nachla des Hauptmanns Gnther von Poseck*

    Fr Walter Heinemeyer zum 75. Geburtstag am 5. August 1987

    1. Die Bedeutung der Dokumente

    Die Ereignisse in Weimar, nach Rckkehr der deutschen Friedensdelegation aus

    Versailles am 18. Juni 1919, knnen immer noch nicht bis in die letzten Einzelhei-

    ten"1 rekonstruiert werden.

    Eine von Wilhelm Ziegler bereits 1932 geuerte Ansicht, ein wirklich exaktes

    Bild von der genauen Reihenfolge der einzelnen Aktionen sei kaum zu gewinnen2,

    wurde durch die Forschungen von Hagen Schulze besttigt3.

    Schulze konnte eine Aufzeichnung des Ersten Generalquartiermeisters [General-

    leutnant Groener] ber die Tage in Weimar vom 18. bis zum 20. Juni 1919" vorle-

    gen4, die im Nachla Schleicher vorhanden ist5.

    Im Mittelpunkt dieser Niederschrift stehen die drei Sitzungen vom 19. Juni 1919

    und die beiden Besprechungen Groeners am 18. Juni mit dem preuischen Kriegsmi-

    nister, Oberst Reinhardt, bzw. am 20. Juni 1919 mit Reichswehrminister Noske.

    * Dem Prsidenten des Bundesarchivs Koblenz, Herrn Prof. Dr. Hans Booms, danke ich sehr fr sein frderndes Interesse, mit dem er diese Dokumentation untersttzt hat. Herrn Archivdirektor Dr. Gerhard Granier, Bundesarchiv - Militrarchiv in Freiburg i.Br., bin ich fr seine ergnzenden und wertvollen Mitteilungen zu Dank verpflichtet.

    1 Udo Wengst, Graf Brockdorff-Rantzau und die auenpolitischen Anfnge der Weimarer Republik (Moderne Geschichte und Politik, Bd. 2), Frankfurt/M. 1973, S. 88.

    2 Wilhelm Ziegler, Die deutsche Nationalversammlung 1919/20 und ihr Verfassungswerk, Berlin 1932, S. 76.

    3 Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Hrsg. von Karl Dietrich Erdmann [und] Wolfgang Mommsen. Das Kabinett Scheidemann - 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearb. von Hagen Schulze, Boppard a. Rh. 1971, S. LX (knftig zit.: AdR, Kabinett Scheidemann und die Nummer des Doku-mentes).

    4 AdR, Kabinett Scheidemann - Dok. Nr. 114, S. 476-492. 5 Bundesarchiv - Militrarchiv (BA/MA) Freiburg i. Br., Nachla Schleicher N 42/12.

  • 420 Horst Mhleisen

    Bei der Abfassung der erwhnten Aufzeichnung" standen Groener alle Nieder-schriften als Grundlage zur Verfgung. Den Text der Aufzeichnung ber seine Besprechung mit Noske am 20.Juni 1919 (Dok. Nr. 5) inserierte er in seine Auf-zeichnung"6, whrend er den Verlauf der Besprechung mit Reinhardt am 18.Juni und den der drei Sitzungen am 19.Juni 1919 in indirekter Rede wiedergab, sieht man von den wenigen wrtlichen Zitaten, die aus den amtlichen Niederschriften stammen, ab.

    Diese offiziellen Aufzeichnungen sind im Nachla Groener7 nicht vorhanden8. Mglich ist, da der Erste Generalquartiermeister die Ausfertigungen der Nieder-schriften nach Abschlu der Aufzeichnung"4 zu den dienstlichen Akten der Ober-sten Heeresleitung (OHL) gegeben hat9. Die von Groener hinterlassenen Papiere, die im Heeresarchiv Potsdam10 nach der im Mai 1939 erfolgten bernahme durch Oberheeresarchivrat Dr. Granier geordnet und verzeichnet worden sind11, haben zu irgendeinem Zeitpunkt Verluste erlitten12.

    6 AdR, Kabinett Scheidemann - D o k . Nr. 114, S. 491 f. 7 BA/MA Freiburg i.Br., Nachla Groener N 46. 8 Zwei Tage nach Groeners Tod (3. Mai 1939) wurden seine privaten Papiere auf Veranlassung des

    Chefs der Heeresarchive, Generalleutnant Dr. h. c. von Rabenau, in das Heeresarchiv Potsdam ver-bracht, um einer Beschlagnahme durch die Geheime Staatspolizei zuvorzukommen. Dazu: Doro-thea Groener-Geyer, Die Odyssee der Groener-Papiere. In: Die Welt als Geschichte 19 (1959), S. 75-95, hier: S.76, Anm.2. Frau Groener-Geyer, die Tochter Groeners aus dessen erster Ehe, berichtet, Rabenau habe seinen Beauftragten befohlen, den Nachla mit der Waffe zu verteidigen" (ebenda); dies., General Groener. Soldat und Staatsmann, Frankfurt a.M. 1955, S.344 (mit Anm.69, S. 363). Wilhelm Groener, Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg. Hrsg. von Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhun-derts, Bd. 41), Gttingen 1957, S. 19. ber die wechselvolle Geschichte des Groener-Nachlasses: Groener-Geyer, Die Odyssee der Groener-Papiere, S.75-95; hierzu die Erwiderung: Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen, Zur Odyssee der Groener-Papiere". Kritische Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dorothea Groener-Geyer. In: Die Welt als Geschichte 19 (1959), S.244-253.

    9 Es steht fest, da aus den amtlichen Akten der OHL Schriftgut entfernt und angeblich verbrannt worden" ist (Tagebucheintragung Groeners vom 4. September 1919, abgedr. bei Groener-Geyer, S.184).

    10 Karl Ruppert, Heeresarchiv Potsdam 1936-1945. In: Der Archivar 3 (1950), Sp. 177-180. Bern-hard Poll, Vom Schicksal der deutschen Heeresakten und der amtlichen Kriegsgeschichtsschrei-bung. In: Der Archivar 6 (1953), Sp. 65-76, hier: Sp.71. Adolf Brenneke, Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europischen Archivwesens, bearb. nach Vorlesungsnachschriften und Nachlapapieren und ergnzt von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953, S.307f. Friedrich Peter Kahlenberg, Deutsche Archive in Ost und West. Zur Entwicklung des staatlichen Archivwesens seit 1945 (Mannheimer Schriften zur Politik und Zeitgeschichte 4), Dsseldorf 1972, S.22. Gerhard Granier, Josef Henke, Klaus Oldenhage, Das Bundesarchiv und seine Bestnde, 3. erg. und neu bearb. Aufl. (Schriften des Bundesarchivs 10), Boppard a.Rh. 1977, S. 39, S. 157 und S. 188.

    11 Bernhard Poll, In memoriam Friedrich Granier. In: Der Archivar 6 (1953), Sp. 106-112, hier: Sp. 109; Groener-Geyer, Die Odyssee der Groener-Papiere, S. 78.

    12 Insgesamt wurden 294 Nummern sehr unterschiedlichen Umfangs sowie eine grere Karten-sammlung verzeichnet" (Groener, Lebenserinnerungen, Einleitung des Herausgebers, S. 19, Anm. 30). Zu den Verlusten des Nachlasses, die anhand des vorliegenden Repertoriums festgestellt

  • Annehmen oder Ablehnen 421

    Ein knapper Rckblick auf die Ereignisse, die der am 23.Juni 1919 erfolgten bedingungslosen Annahme des Friedensvertrages unmittelbar vorausgingen, ist not-wendig, um die Dokumente in den historischen Zusammenhang einzuordnen13.

    Die deutsche Delegation verlie Versailles am 16. Juni, um sich mit dem Kabinett wegen der Annahme oder Ablehnung des Vertrages zu beraten. Die Alliierten hatten die deutschen Gegenvorschlge vom 29. Mai, die eine Revision von greren Ver-tragsteilen vorsahen, in ihrer Note vom 16. Juni abgelehnt und den endgltigen Text des Vertrages bergeben. Die Frist (der Annahme oder der Ablehnung) lief am 23. Juni 1919 um 19 Uhr ab.

    Die Delegation traf am 18. Juni in Weimar ein; sie empfahl der Regierung in einer Denkschrift, den Vertrag nicht zu unterzeichnen. Alle sechs Hauptdelegierten hat-ten das Memorandum unterschrieben, das dem Kabinett am 18. Juni durch den Lei-ter der Delegation, den Grafen Brockdorff-Rantzau, bergeben wurde. Sieben Mit-glieder des Kabinetts sprachen sich gegen den Vertrag aus, sieben stimmten dafr.

    Die Frage des Annehmens oder Ablehnens war auch im Offizierkorps heftig dis-kutiert worden. Es sollte fr den Fall der Ablehnung Vorsorge getroffen werden zu verhindern, da die Polen sich mit Gewalt Westpreuens und Oberschlesiens bemchtigen, da die Bestimmungen des Vertrages von Versailles diese groen Gebietsabtretungen vorsahen, die von groen Teilen der Bevlkerung als unertrg-lich abgelehnt wurden.

    Groener waren die Absichten, Widerstand im Osten gegen die Polen zu organi-sieren, einen selbstndigen Oststaat zu schaffen und ihn als geschlossene politische Einheit vom Reich zu separieren, nicht verborgen geblieben. Der preuische Kriegs-minister Reinhardt und General von Below waren die strksten Befrworter dieser Plne im militrischen, der Oberprsident von Ostpreuen v. Batocki und der Reichskommissar fr West- und Ostpreuen Winnig im politischen Bereich. Groe-ner war der Sprecher der Gruppe, die fr die Annahme des Vertrages eintrat.

    Bei einer Besprechung am 14. Mai prallten die Gegenstze zwischen Groener und Reinhardt erstmals hart aufeinander. Der preuische Kriegsminister sah im Fall der Annahme des Friedensvertrages Schwierigkeiten bei der Truppe voraus; im Fall der Ablehnung sei der Osten in der relativ besten Lage, aber im Innern msse mit star-kem Widerstand von unten gerechnet werden14. Nach Groeners Erinnerungen ver-trat Reinhardt hier zum ersten Male mit aller Deutlichkeit den Gedanken, die deutsche Einheit vorbergehend aufzugeben, um vom selbstndigen Osten her den

    werden konnten: ebenda, S.20, Anm. 31 und: Groener-Geyer, Die Odyssee der Groener-Papiere, S. 78. Frhr. Hiller von Gaertringen, Zur Odyssee der Groener-Papiere", S. 245.

    13 Horst Mhleisen, Kurt Freiherr von Lersner. Diplomat im Umbruch der Zeiten 1918-1920. Eine Biographie, Gttingen, Zrich 1987, S. 186ff. (knftig zit.: Mhleisen, Lersner); ders., Das Kabi-nett Bauer, die Nationalversammlung und die bedingungslose Annahme des Vertrages von Versail-les im Juni 1919. Zwei Dokumente aus dem Nachla von Johannes Bell. In: Geschichte in Wissen-schaft und Unterricht 38 (1987), S.65-89, hier: S.66f. (knftig zit.: Mhleisen, Das Kabinett Bauer. . . ) .

    14 Francis L.Carsten, Reichswehr und Politik 1918-1933, Kln, Berlin 1964, S.46.

  • 422 Horst Mhleisen

    "Widerstand gegen den Feind aufzunehmen. Fr diesen Plan, der in zahlreichen

    preuischen Kpfen eine Rolle spielte, hatte ich kein Verstndnis. Die Erhaltung der

    Reichseinheit war die conditio sine qua non, fr die ich zu jedem Opfer bereit war.

    Nach meiner berzeugung war das Entscheidende gewonnen, wenn wir uns die

    staatliche Einheit der deutschen Stmme erhielten."15