Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

16
1

description

Leseprobe Klappentext: Niemals hätte Dea gedacht, dass ihr Freund Aime, der ständig um sie rum war, ein solches Geheimnis hatte. Wenn sie darüber nachdachte, war sie sich auch sicher, dass sie es niemals hätte herausgefunden, wenn er es ihr nicht unter die Nase gerieben hätte. Irgendwer hatte ihm und seiner Familie ein Ultimatum gestellt: Entweder sie, Dea, würde eine von ihnen werden oder sie würde demnächst die Bäume von unten betrachten. Nun war sie also ein Blutsauger und konnte sich damit absolut nicht anfreunden. Vor allem nicht unter solchen Bedingungen! Kurzerhand beendet sie die Beziehung mit Aime und geht wieder zu ihrer Familie um weiter zu machen wie zuvor, wobei es heißt: überleben und die anderen am Leben lassen ...

Transcript of Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

Page 1: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

1

Page 2: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

2

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Sandy PennerSatz: Alexandra Oswald

Illustrationen Cover: Ann Triling, Fotolia (Totenköpfe)Chrisharvey, Fotolia (Vampirfrau)Robodread, Fotolia (Hände)Tasosk, Fotolia (Grüne Hölle)

1. Auflage 2011ISBN: 978-3-86196-070-6

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Copyright (©) 2011 by Papierfresserchens MTM-Verlag Heimholzer Straße 2, 88138 Sigmarszell, Deutschland

www.papierfresserchen.de [email protected]

Page 3: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

3

UndergroundDie grüne Hölle

AnnemarieRoelfs

Page 4: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

4

Für Opa

Ich wünschte, du hättest das Buch noch in deinen Händen halten können. Ich vermisse dich.

Page 5: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

5

Zweifle an der Sonne Klarheit,

Zweifle an der Sternen Licht,

Zweifle, ob die Wahrheit lügen kann,

Nur an meiner Liebe nicht!

William ShakespearePolonius in „Hamlet“, Szene 2, Akt 2, Zeile 116

Unsterblichkeit macht die Liebe auch nicht perfekt …

A

Page 6: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

6

„Mum“, ich schrie einmal quer durch das Haus, „ich geh jetzt los! Mona ist bei Dad. Er meinte, er macht heute länger … wollte sich irgendwo einschreiben … weiß nicht genau was. Na ja bin jetzt weg. Bye!“

Noch bevor Mum antworten konnte, lief ich ins Trep-penhaus. Ich wollte mich heute mal wieder mit Aime tref-fen. Er meinte, es würde irgendwas Besonderes sein, aber was sollte schon passieren? Das letzte Besondere war, dass Dad für ein paar Jahre in die Karibik versetzt werden sollte, aber daraus war nichts geworden. Das einzige Wunder an der ganzen Sache war, dass das Essen, was er da gekocht hatte, nicht völlig verbrannt war. Also, um noch mal auf den Punkt zu kommen, in meinen 16 Jahren, die ich lebe, habe ich noch kein Wunder erlebt, das dann nicht zur Ka-tastrophe geworden wäre, und das würde sich auch jetzt nicht ändern.

Ich riss die Haustür auf und lief schnell die Straße ent-lang, als mich plötzlich zwei kalte Hände von hinten pack-ten, sich um meinen Hals legten und leicht nach hinten zo-gen. Jap, Aime war da.

„Hey, lass das“, beschwerte ich mich und versuchte ver-geblich, mir ein Grinsen zu verkneifen.

„Wo läufst du denn hin?“, fragte er etwas ernster, wo-bei ich ihn nur anschaute wie ein Auto.

„Überraschung gelungen“, stotterte ich, obwohl ich noch nicht einmal wusste, worum es geht.

„Du weißt doch noch nicht mal, worum es geht!“ Er hatte es erfasst.

1. Dea3

Page 7: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

7

„Ich nehme dich mit zu mir.“ Der Satz war zu Ende, aber mir hallten die Worte immer noch in den Ohren nach. Mit zu ihm? Ja, das war wirklich mal eine Überraschung.

Eigentlich glaube ich ja nicht an Gerüchte, aber in die-sem Fall gab es viele. Ich war jetzt schon fast ein Jahr mit Aime zusammen, aber ich war noch nie bei ihm gewesen. Keiner war schon mal bei ihm. Er und seine Schwester wa-ren in der Schule auch nicht gerade beliebt. Na gut, sie waren keine Außenseiter. Sie hielten sich lediglich von der Masse fern, hatten aber ihre eigene kleine Gruppe, mich eingeschlossen.

Sie gehörten einfach nicht zu den austauschbaren Möchtegernmodels. Was nicht heißen soll, dass sie häss-lich waren. Aime zum Beispiel hatte nur seinen eigenen Stil, der mir außerdem ziemlich gut gefiel. Bei den anderen, der Masse, hieß es, die beiden wären anders. Einige erzählten nur irgendwelchen Mist, andere erfanden irgendwelche Märchen, von wegen sie seien nur ungefähr menschen-ähnliche Wesen. Aber ich hatte mir nie etwas daraus ge-macht, da es über jeden an der Schule Gerüchte gab und das auch dazugehörte.

Jetzt bekam ich jedoch schon etwas Angst. Ich ver-suchte mir einfach einzureden, dass ich nur Angst davor hatte, dass seine Familie mich nicht mochte, und dass die anderen das nur sagten, weil sie eifersüchtig waren. Aber es half nichts. Ich schluckte einmal und schaute ihn wieder an. „Na dann mal los!“, sagte er und nahm meine Hand.

Auf dem Weg redeten wir nicht wirklich viel, bis er in eine modrige Seitenstraße einbog. Es war eine Sackgasse. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er hier wohnte. Na gut, ich wusste nicht viel von seinen Eltern, aber allein er und seine Schwester reichten aus, um das für unmöglich zu halten.

„Äh.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Page 8: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

8

„Ich muss dir etwas sagen“, begann er und lehnte sich an eine Wand, ausgerechnet die, die am weitesten von mir weg war. Toll, jetzt wollte er auch noch Schluss ma-chen! Das kam ja gut. Ich versuchte, ihn anzugucken, aber er mied meinen Blick. „Wir sind jetzt fast ein Jahr zusam-men und … ich … ich finde, du solltest etwas wissen. Ähm … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Du kennst doch die ganzen Sachen, die über mich und meine Familie erzählt werden. Die sind … die sind zum Teil nicht unwahr.“ Er sah verzweifelt aus.

„Um das kurz zu fassen, du meinst, ihr seid anders?“„Ja … nur … nicht einfach anders … sondern eher ge-

fährlich anders … für dich gefährlich anders. Wir sind …“ Er schwieg. Das konnte nicht wahr sein. Er sagte mir, sie seien gefährlich anders und was kam jetzt noch? Wahrscheinlich erzählte er mir gleich noch, er sei ein Blutsauger.

„Was bist du? Bitte sag jetzt nicht, dass du ein Blutsau-ger bist oder so …“ Normalerweise hätte ich noch etwas anderes hinzugefügt, aber ich hatte mir abgewöhnt, bei ihm solche Bemerkungen fallen zu lassen.

„Dann fass ich es in andere Worte … Ich bin ein Vampir.“ Er schaute zu Boden. Ich auch. Ich konnte es nicht glauben, aber ich wusste, dass es wahr war. Woher, weiß ich nicht. Intuition. Ich kam mir plötzlich ziemlich dumm vor. Eigent-lich hätte ich ja eins und eins zusammenzählen können und ich hätte es gewusst. Ich war wohl zu sehr mit etwas an-derem beschäftigt. Mit der Seite von ihm, die für mich die Menschenseite war.

Von all dem abgesehen, drängte sich jetzt ein Gedanke in den Vordergrund: Was war jetzt gefährlich? War er nicht auch schon vor einem Jahr gefährlich gewesen? Und wenn nicht, warum jetzt? Und wenn nicht er die Gefahr war, wer war es dann? Sollte ich jetzt ein Snack für seine Familie werden? Das Letzte konnte ich mir eher nicht vorstellen,

Page 9: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

9

aber es war nicht auszuschließen, wenn man bedachte, dass ich ein Mensch war und das alles Blutsauger. Ich ver-mied es, das Wort Vampir zu denken. Es machte mich nur noch nervöser. Blutsauger klang deutlich angenehmer.

„Du?“ Ich versuchte die Situation etwas zu lockern, aber ich zog das eher alles ins Lächerliche. „Haben Blut-sauger nicht eigentlich Reißzähne?“ Die Frage war zwar be-rechtigt, kam aber zum falschen Zeitpunkt. Ich lief auf ihn zu. So plötzlich konnte er ja nicht böse geworden sein. Ich fasste an seine Lippen und bohrte meinen Finger durch. Mühsam versuchte ich, seinen Mund aufzubekommen, bis er nachgab.

Neugierig betrachtete ich seinen Kiefer. Es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen. Vorsichtig legte ich meinen Zei-gefinger auf seine Schneidezähne. Besonders scharf waren auch die nicht. Plötzlich biss er zu. Na ja nicht richtig. Er machte den Mund nur zu und tat so, als ob er zubeißen wollte, aber dennoch erschrak ich im ersten Moment. Er schaute mich erwartungsvoll an.

„Ich vertraue dir“, sagte ich, obwohl ich bezweifelte, dass es, nachdem ich zusammengezuckt war, noch glaub-würdig klang. Er ließ wieder los. Neugierig musterte er mich und nahm mich dann doch in den Arm. Er murmelte irgendetwas, was wie ein noch klang. Ich ließ es aber gut sein.

„Also Dea, du hast damit kein Problem? Dann könnten wir uns doch etwas anders … ähm … fortbewegen.“ Ich wusste es nicht genau, aber mein Gefühl sagte mir, dass ich wieder guckte wie ein Auto. Ich nickte vorsichtig. Er legte meine Arme um seinen Hals und sprang gegen eine Wand. Er drückte sich ab und sprang zur nächsten, bis er oben war. „Gut festhalten!“, sagte er noch schnell, dann sprang er ab. Erst dachte ich, er würde fallen, aber dann flog er. Wir flogen tatsächlich.

Page 10: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

10

Diesen Teil der Stadt hatte ich noch nie gesehen. Ich würde fast sagen, es war der untote Teil der Stadt. Das lag also hinter all den Sackgassen. Ein Teil der Stadt gefüllt mit Blutsaugern und andersartigen Wesen. Zu meinem Ent-setzen waren wir nicht die Einzigen, die über den Häusern flogen. Es gab hier so eine Art Luftverkehr. Nur eines brach-te mich zum Staunen: Die anderen fliegenden Blutsauger hatten Reißzähne. Der eigenartige Verkehr hielt zum Glück nicht lange an. Wir landeten an einem Schornstein und er setzte mich ab.

„Ach ja, die Zähne … Die wachsen noch, nach einiger Zeit“, dieses Mal sprach er das Thema an. Ich schaute wie-der zum Schornstein. Die Schornsteine in der untoten Stadt waren viel breiter als die in unserem Teil. Sie waren auch lange nicht so verrußt. Ich fragte mich, wozu sie sonst be-nutzt würden, wenn nicht zum Feuern.

„Und jetzt?“, ich guckte ihn fasziniert an. Er schaute zum Schornstein und nickte mit dem Kopf dorthin.

„Nicht da rein, oder?“„Doch!“ Ich war entsetzt. Ich war doch nicht der Weihnachts-

mann, dass ich durch den Schornstein in das Haus klettern muss. Ich lief zum Mauerrand, um zu sehen, ob unten kei-ne Tür war. Dort war eine. Auf dem Dach musste es doch auch eine geben, sonst kam man vom Haus hier doch gar nicht hin! Warum konnten wir dann nicht da durch? Unlo-gisch diese Männer! Aime zog mich zu sich ran.

„Festhalten“, sagte er wieder und wartete, bis ich meine Arme um ihn gelegt hatte. Dann sprang er in den Schorn-stein hinein. Ich kniff die Augen zu. Das durfte nicht wahr sein. Erst wird er zum Blutsauger, dann springt er eine gut 20 Meter hohe Mauer hoch und fängt an zu fliegen und jetzt müssen wir auch noch durch einen Schornstein in sei-ne Wohnung rein. Horror!

Page 11: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

11

Es fühlte sich nicht an wie ein Flug oder ein Fall, eher wie eine von den dunklen Wasserrutschen im Schwimm-bad. Irgendetwas berührte meine Augen.

„Du kannst die Augen wieder aufmachen. Wir sind unten.“ Juhu geschafft! Wir waren gelandet.

Ich öffnete meine Augen. Vor mir standen Aime und Jamie. Seine Schwester tauchte meistens immer mitten-drin auf. Zur Schule kam sie immer pünktlich, man konnte fast sagen auf die Sekunde genau, denn vor der Stunde sah man sie nirgends. Gut, ich war auch pünktlich in der Schu-le, nur ob ich auch pünktlich im Unterricht saß, war eine andere Sache. „Hi“, sagte sie leise.

„Jap, hi, und was machen wir jetzt? Zeigst du mir dein Zimmer?“, ich konnte es nicht, erwarten, es zu sehen. Vor allem sein Bett … oder etwas anderes, das für mich ein Zei-chen seiner menschlichen Seite gewesen wäre.

„Ich würde dich lieber ... erst einmal meinen Eltern vor-stellen“, Aime stockte leicht. Warum stockte er? Das war nicht normal! Überhaupt nicht normal! Vor allem nicht, da Jamie jetzt anfing, den Kopf zu schütteln. Aime nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Zimmer, in dem wir gelandet waren. Der Flur, in den wir hineingingen, war an einer Seite voll mit Bilderrahmen, in denen Tausende von Briefmarken waren. Eigenartiges Haus.

„Das muss ich mir nicht antun“, murmelte Jamie und verschwand. Sie ging nicht weg, sie flog nicht weg, sie war einfach weg. Ist wahrscheinlich auch so eine Blutsauger-besonderheit.

Aber was meinte sie mit, das wolle sie sich nicht antun? Was sollte denn schon passieren, wenn ich Aimes Eltern traf? Wenn sie mir wirklich etwas Böses wollten, würde es mir nichts bringen weg zu laufen. Alles, was ich über die-se Wesen wusste, die ich nur aus Dracula kannte, sprach gegen das Weglaufen.

Page 12: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

12

Ich beschloss, weniger zu denken. Das sollte schon et-was bringen. Wenn ich einfach nicht mehr über die Dinge nachdachte, die passierten, konnte mir auch nicht unheim-lich werden. Na gut, mein Plan war nicht ganz wasserdicht, aber es war eine schöne Vorstellung.

Wir gingen in ein anderes Zimmer am Ende des Flures. Der Boden war mit hellen Fliesen ausgelegt, mit sehr teuren Fliesen, soweit ich das beurteilen konnte. Die Wände wa-ren vertäfelt. Der ganze Raum wirkte drückend und außer einem einzigen Stuhl war alles hinausgeräumt. Aimes El-tern standen am anderen Ende des Zimmers und schauten aus einer Balkontür. Als wir in das Zimmer kamen, drehten sie sich um. Die sahen wirklich aus wie Vampire. Ich meine Blutsauger!

Sein Vater hatte kurze, schwarze Haare, die mit Gel nach hinten gekämmt waren, einen Dreitagebart und sah dennoch ordentlich aus. Seine Mutter hatte tiefrote Haare. Nicht so wie meine. Meine waren eher orange. Ihre wa-ren richtig rot, fast schon knallrot genauso wie ihre Lippen. Sein Vater trug eine dunkelblaue Jeans, ein weißes Shirt und darüber ein Jackett. Seine Mutter ein kurz geschnitte-nes, eng anliegendes, schwarzes Kleid, wie meine Mutter es auch hatte. Und beide hatten Zähne. Eckzähne. Spitze Eckzähne.

„Hallo, du musst Dea sein. Ich bin Ethan und das ist meine Frau Addison. Schön, dass du hier bist.“ Ethan klang ganz nett. Ich wusste nicht, wo da die Gefahr sein sollte.

„Ach, kommen wir zur Sache. Es gibt ein Problem da-mit, dass du mit Aime zusammen bist.“ Addison fand ich dann doch nicht ganz so nett. Mein Mund klappte auf und ich hatte so meine Probleme, ihn wieder zuzubekommen.

„Eigentlich“, ergänzte Ethan, „liegt das Problem eher darin, dass einige Personen in eurem Zusammensein jetzt eine Gefahr sehen. Und sie haben recht. Es wäre gefährlich,

Page 13: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

13

wenn einer von euch aus Versehen vom Blut des anderen … hm … trinken würde?“ Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Oder du etwas machst, das für einen von uns gefährlich werden könnte? Deshalb werden wir dich gleich den anderen Vampiren vorstellen und du wirst sozusagen darin eingewiesen, wie du dich hier verhalten musst, ja? Die anderen werden dir ja schon nichts anhaben. Setzt dich doch schon mal hin. Wir kommen gleich wieder.“

Ethan lächelte mich zuversichtlich an. Mittlerweile wusste ich nicht mehr, was hier vorging. Ich versuchte je-doch weiter, nicht so viel zu denken.

„Mann, Mum …“, sagte Aime noch, dann gingen sie aus dem Raum.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die drei wieder rein und hinter ihnen liefen um die 25 andere Blutsauger. Ganz am Schluss lief Jamie in einigen Metern Abstand, im-mer noch mit einem mürrischen Gesichtsausdruck. Aime und Ethan stellten sich hinter mich. Aime hibbelte kurz, kniete sich dann aber neben mich und nahm meine Hand. Ich kam mir schon recht komisch vor. Die Situation hatte etwas Eigenartiges, nicht wie bei einer Vorstellung … an-ders eben.

„Das ist Dea!“, sagte Ethan und dann fiel mir ein, wo-ran es mich erinnerte. Wie konnte mir Idiotin gerade DAS entgangen sein? Ich träumte, das konnte nicht anders sein. Nein, Aime war kein verdammter Blutsauger und nein, ich kannte seine Eltern nicht und noch mehr nein, sie wollten mich gerade nicht verwandeln. NEIN!

Es war aber zu spät. Ich zuckte zusammen und Aime drückte meine Hand nur noch fester.

„Au! Lass das! Spinnst du!“, schrie ich laut auf, dann be-kam ich einen Schock, einen Schlag, so als wenn ich elek-trisch geladen wäre, nur stärker. Viel stärker. Meine Sicht wurde kurz ganz bunt, dann wurde alles viel lauter. Es roch

Page 14: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

14

viel intensiver und ich verlor mein Gleichgewicht. Ich tau-melte zurück und fiel Aime in die Arme. Dort blieb ich kurz liegen, bis ich endgültig begriffen hatte, was nun passiert war. Ich sprang auf und floh aus dem Raum. Das hier konn-te einfach nicht real sein. Immer und immer wieder ver-suchte ich es mir einzureden.

Ich kannte mich in diesem Monsterhaus nicht aus, aber zur Tür finden konnte ich doch irgendwie. Ich stürzte auf die Straße. Sollten mich die Autos doch umfahren. Brachte doch eh nichts mehr! Dieser Idiot hatte mich zu einem wi-derlichen Blutsauger gemacht.

Wenn ich daran dachte, wie Jamie im Biounterricht beim Sezieren von Schweineaugen fast zusammengebro-chen war, wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich schon immer mehr Vampir gewesen war als sie, aber da hatte ich auch noch gelebt … als Mensch gelebt. Ich war anschei-nend ja die Einzige, die nicht mitzureden hatte, ob mir mein Leben geklaut werden durfte. Wer hatte das denn zu bestimmen? Aime? Jamie? Wer verdammt noch mal hatte zu bestimmen, dass ich ein Monster wurde? ICH WOLLTE KEIN MONSTER WERDEN!

„Dea warte!“ Aime lief mir hinterher. Ich drehte mich um.

„Worauf denn? Seid ihr nicht schon fertig! Was soll-te das? Macht es Spaß anderen ihr Leben als normaler Mensch zu nehmen?“ Die Wut hätte mir eigentlich Tränen ins Gesicht treiben müssen, aber es passierte nichts. Ich schätze, das ging einfach nicht mehr. Meine Augen funkel-ten nur. Das war wohl die Art wie Blutsauger heulten.

„Du ver…“ Ich unterbrach ihn. „Ach lass mich einfach!“„Nein, ich lass dich jetzt nicht! Wärst du jetzt lieber tot?

Lass es mich einfach erklären!“ Ich lief weiter. Sollte er es mir doch erzählen, solange ich noch nicht zu Hause ange-

Page 15: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

15

kommen war. „Dea warte!“ Er hielt mich fest.„WAS?“„Wir hatten keine Wahl. Wenn wir dich nicht zu einer

von uns gemacht hätten, hätten die anderen dafür gesorgt, dass … dass du dir … na ja die Bäume von unten anguckst.“

„Sehr charmant ausgedrückt“, gab ich patzig zurück.„Lass mich ausreden.“„Wozu denn?“ Jetzt konnte ich es mir nicht mehr ver-

kneifen, ihn anzuschreien. Er hatte es aber auch verdient.„Wir dürfen mit Menschen befreundet sein, sie dürfen

wissen, dass wir Vampire sind, aber die Ältesten … die … ähm … haben dich für eine Gefahr gehalten. Das heißt, ich hätte dich nicht mehr treffen dürfen, obwohl das auch nichts mehr gebracht hätte. Ihr Entschluss stand schon fest. Ich bin der Jüngste und die meisten vertrauen mir noch nicht.“

„Ach, was für ein Wunder!“ Ich lief immer noch stur gerade aus.

„Sie wollten deshalb sehen, dass Ethan dich verwan-delt.“ Er ignorierte meine Bemerkung.

„Und ich durfte nicht mitreden?“„Hätte ich gewusst, dass du auf die ganze Vampirge-

schichte so locker reagieren wirst …“„Hätteste dir auch denken können!“„… hätte ich es dir natürlich eher gesagt und mit dir da-

rüber geredet. Aber ich hatte Angst. Was, wenn du nicht so reagiert hättest, wenn du Angst vor mir gehabt hättest? Sie hätten dich getötet! Verstehst du das nicht? Du wärst für mich gestorben.“ Er ignorierte mich wieder.

„Und warum musste Ethan mich dann verwandeln und nicht du?“ Obwohl seine Erklärungen logisch erschienen, konnten sie meine Wut nicht stoppen.

„Weil ich das noch nicht kann. Oder hab ich solche Zäh-ne wie er?“

Page 16: Annemarie Roelfs - Underground: Die Grüne Hölle

16

„Nein!“, ich überlegte. „Wie alt bist du wirklich?“, das wollte ich noch wissen, bevor ich mich aus dem Staub machte.

„Wirklich 18.“Bei dieser Antwort beließ ich es und ging. Ich wusste

nicht, ob ich ihm das glauben sollte. Ich wusste sowieso nicht mehr, ob ich ihm vertrauen konnte, und wollte ihn am liebsten nie wiedersehen. Ich fing an, daran zu zwei-feln, ob überhaupt irgendetwas echt gewesen war. Wie oft hatte er Ich liebe dich gesagt, aber war da noch etwas dran? War das ganze letzte Jahr auf einer Lüge aufgebaut?

Nachdem ich es geschafft hatte, die Mauer hochzu-kommen und irgendwie auch lebendig wieder hinunter, lief ich nach Hause. Ich wusste nicht, ob man mir mein neues Monster-Ich ansah, aber ich hoffte nicht. Ein Spiegelbild gab es ja nicht mehr, laut der Filme zumindest. Trotzdem vermied ich es, mich in den Fensterscheiben der Autos an-zusehen. Selbst wenn ich nicht wie ein Monster aussehe, konnte man mir meine Verzweiflung und meine Wut mit Gewissheit ansehen. Meine Eltern würden es aber hoffent-lich nicht bemerken …