Anno 1976 oder Kurzer Abriss eines Lebens aus der Generation Abba - von Steffen Gresch

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SHORT-STORYAnno 1976oderKurzer Abriss eines Lebens aus der Generation Abbavon Steffen GreschEinst gab es eine Epoche ewigen Sommers, voller Zauber und Wunder, für die Großen und die Kleinen - eine Zeit in der die Erdbeeren noch nach Erdbeeren schmeckten, zum Frühstück Himbeereis gegessen wurde...

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    ORT- TORY

    Anno 1976Anno 1976 urzer Abriss eines Lebens aus der Generation Abba

    von

    Steffen Gresch

    Alle Rechte beim Autor.

    Einst gab es eine Epoche ewigen Sommers, voller Zauber und Wunder, fr die Groen und

    die Kleinen - eine Zeit in der die Erdbeeren noch nach Erdbeeren schmecten, !um "rhstc#imbeereis gegessen wurde und der !ehn$%hrige &obert sogar gerne in die Schule ging -

    welche damals gerade neu gebaut wurde' Sie lag hinter der (orfstrae, an deren Ende auf

    beiden Seiten pr%chtige Kastanienb%ume standen)

    *Guten +orgen, mein Schner, sagte am Eingang ein %lterer .auarbeiter, mit dem sich

    &obert schon ein wenig angefreundet hatte, und fr den noch einiges !u tun war, um den

    flachsgelben "lachbau vor dem neuen Schul$ahr fertig !ustellen'

    +itte Sech!ig war der leicht ergraute, freundliche +aurer damals wohl, und oft sah dieser,

    /hermosannenaffee trinend, vor .eginn seiner 0rbeit, lange der glutgeladenen

    aufgehenden +orgensonne entgegen - und probierte dabei nicht selten eine neue

    "ruchtmilchsorte aus'

    *+ir geht es gut' Was habe ich denn noch !u meistern1 meinte der .erufserfahrene im

    .laumann !u &oberts +utter einmal, als die ihn frher von der Schule abholte, um eine

    +onate vorher gebuchte 2rlaubsreise recht!eitig antreten !u nnen' - (ie "lug!euge hielten

    sich nun mal auch in der /raum!eit nicht an die Stundenpl%ne' 3 *.ald ommt die sichere

    &ente und in vollen Zgen geniee ich diese let!ten 0rbeitstage meines (aseins' Es scheint

    mir so, als wrde ich hier an diesem 4rt ein (enmal errichten, $a, mein 5ebenswer

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    vollenden' 3 0lfred 0' hie der angehende 6ension%r' (ie Kinder freilich nannten ihn immer

    4nel 0lfred'2nd so flog &obert mit seinem vollverdienenden 7ater, seiner teil!eitgestressten

    +utter und dem leinen Kita-Schwesterlein drei /age vor Schulschluss in die "erien8

    irgendwohin gen Sden 3 !u einer felsigen 9nsel, wo die Koosnsse von den 6almen fielen,

    weshalb viele /ouristen, obwohl sie nact waren, dort #elme am Strand trugen)

    (er gemeinsame 2rlaub war vorbei' (ie Eltern mussten wieder arbeiten, das Schwesterlein

    !urc in die Kita'

    9n &etropolis, wo mindestens eine +illionen +enschen leben sollen, verbrachte &obert die

    verbliebenen Wochen bis !um Schulanfang bei den Groeltern' 2nd wenn er mit 4pa auf dem

    &iesenrad war, onnten sie in den verbotenen /eil der Stadt sehen8 *(ahinten wohnt deine

    Grotante, erl%rte der 0lte seinem Enel dann, *sie wohnt in einem anderen 5and'

    Kam &obert die Zeit auf der 9nsel !iemlich ur! vor, so waren die Wochen in &etropolis frihn, wie ein halbes Schul$ahr)

    ::::::::::::::::::::::::

    0ber alles geht !u Ende'

    Ein langer, m%rchenhafter Sommer nahm 0bschied von &obert, als der September schlielich

    vor der /re stand' *+ama mia1- onnte man $et!t mehrmals am /age im &adio hren'

    0uf dem +artplat! tan!ten $unge 5eute in bunten Kleidern, !u einer sich warm anfhlenden

    rh;thmischen, fremdsprachigen +usi, die sich sehr modern anhrte, und &obert ein wenig

    an die ferne 9nsel mit den Koospalmen erinnerte' (ie schnsten "erien seines 5ebens, sie

    liefen noch einmal wie ein Kinofilm an ihm vorbei'

    ::::::::::::::::::::::::

    (ann am der erste Schultag'

    Es regnete' &obert freute sich auf das flache Schulgeb%ude, das so schn gelb angestrichen

    war und natrlich auf den netten 4nel 0lfred' (och was sah er1 3 (ie Kastanienb%ume

    waren in!wischen alle weggehol!t' 6lanierraupen, .agger und .etonmischer standen berall

    herum' Ein schwit!ender +ensch mit nactem 4berrper und seltsamen Zeichnungen an

    den 0rmen machte mit dem 6resslufthammer einen ohrenbet%ubenden 5%rm' (ie anderen

    0rbeiter trugen Gummistiefel und die gleiche blaue Kleidung wie 4nel 0lfred' (en sah

    &obert nun inmitten anderer, .ier trinender, laut lachender +%nner' - Er lief gleich hin !u

    ihm und fragte' *4nel 0lfred, was ist denn hier passiert

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    g

    entstehen' - Ein 6arhaus 3 mitten im (orf' Was fr ein 9rrsinn1 &obert ging weiter !ur

    Schule' Ein h%sslicher Stacheldraht war $et!t um diese ge!ogen' Zu sp%t geommen 3 stand er

    am #aupteingang vor verschlossener /re' 9rgendwann sah ihn die platinblonde,

    urlaubsgebr%unte Seret%rin und ffnete' *=et!t aber schnell1 (er 2nterricht hat schon

    angefangen1

    (er 5ehrer im Klassen!immer war neu und unbeannt' &obert musste bis !ur 6ause drauen

    warten, weil er nicht pntlich geommen war' (as gab einen Eintrag ins #ausaufgabenheft,den die Eltern unterschreiben mussten'

    *Zusp%tommer1 riefen viele +itschler ihm von nun an lange auf dem Schulhof hinterher 3

    bis &oberts Eltern ihren =ungen im "rh$ahr aus der Klasse nahmen, und ihn !um 2nterricht

    in die Kreisstadt schicten)

    ::::::::::::::::::::::::

    #ier besuchte &obert eine Schule, wo auf dem #of $unge Kastanienb%ume blhten, und der

    (iretor ein "reund der "amilie war' 2nd 4nel 0lfred wohnte gan! in der >%he und musste

    $et!t nicht mehr arbeiten' *Guten +orgen, mein Schner, rief er, Zigarre rauchend, aus dem

    "enster !u ihm, wenn &obert $eden +orgen um viertel vor 0cht aus dem sonnengelben,

    erdgasbetriebenen Schulbus stieg)

    (en ?rger in der frheren Schule hatte &obert l%ngst vergessen' >ur manchmal im /raumerschien ihm noch einmal die (orfstrae, wie sie frher war, mit den schnen alten

    Kastanienb%umen' 7or dem 0ufwachen sah &obert dann meistens $enen hochaushohen

    .aum, den er einmal bis !ur Spit!e erstiegen hatte, um in der Krone sein +%rchenbuch *(er

    /eufel mit den drei goldenen #aaren !u lesen, weshalb die besorgten Eltern damals die

    "euerwehr alarmiert hatten, weil sie sich nicht anders !u helfen wussten' (ie harte, aber

    gerechte Strafe lie auch nicht lange auf sich warten8 *Eine Woche "ernsehverbot1 3 Zwei

    "olgen seiner 5ieblings-Science-"iction-Serie onnte er deswegen nicht sehen'

    (och das war 7ergangenheit, und */r%ume sind Sch%ume 3 pflegte &oberts +utter immer

    !u sagen, wenn er ihr davon er!%hlte'

    9n seinem Zimmer lagen nun Schallplatten, auf deren #llen, !wei +%nner und !wei "rauen

    !u sehen waren' 2nd heimlich machte sich der =unge Gedanen darber, ob ihm nun die

    brnette oder die blonde S%ngerin besser gefallen wrde)

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    +ehr als dreiig =ahre sp%ter'

    2nser herangereifter 6rotagonist ist Single und arbeitet heute als 6frtner eines

    &egierungsgeb%udes in &etropolis' 9m (ienst liest &obert #lderlin, 4rwell, oder seinen

    5ieblingsroman8 "ahrenheit @AB' Er handelt von einem Staat, in dem .cher bei Strafe

    verboten sind' Stellt sich heraus, dass $emand dennoch welche besit!t, rct die "euerwehr

    an, und verbrennt diese'

    +anchmal schaut der +inister vorbei, und spendiert einen Espresso oder einen Calvados'

    4der beides'

    *Was w%re wohl aus mir geworden, wenn die Kastanienallee damals im (orfe noch gestanden

    h%tte

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    beschaulichen 0bendruhe' (arum hat er seinen 9-6od dabei, und sein 5ieblingsalbum von

    den .eatles *Sgt' 6eppers 5onele; #earts Club .and angelict' +anchmal ommen ihm

    hier oben frei schwebende Gedichte entgegen' (iese tippt er dann auf der .ildschirmtastatur

    seines leinen +ultifuntionsger%tes ein' (ie +usi im 6la;er l%uft' (och &obert hrt nicht

    das erste, sondern das let!te Stc des legend%ren .eatles-Sammelsuriums von BF - das

    den Zuhrern eine .otschaft verspricht - und einst eine 6op-&evolution ausgelst haben soll8

    Es ist *0 (a; 9n /he 5ive' (ie let!ten Kl%nge der flotten &eprise von *Sgt' 6eppers sind noch!u hren 3 ein sich !um Endpunt steigerndes E-Gitarren-Solo - ein $auch!ender Schrei 3

    am Ende eine auslingende, l%nger anhaltende +odulation' (er Schluss der &eprise ist nicht

    lar aus!umachen' Es folgt eine be!aubernde, aber einfache Gitarrenaordabfolge, die ein

    Gefhl der Schwerelosigeit suggeriert' Klassische, an einen berhmten Komponisten

    erinnernde 6iano-.reas erhhen die Spannung' =ohn 5ennon set!t mit der ersten Strophe

    ein' *9 read the news toda; oh bo;, about a luc; man, who mad the grade) Eine aus der

    "erne ommende, &obert fesselnde +elancholie, erfllt seinen gan!en Krper' 0m>achthimmel erblict er den (eichselstern des Groen Wagens' *9rgendwo da drauen,

    hinter den let!ten Sternen dent er sich, *muss es ein 6aralleluniversum geben' 3 (a sit!t

    eventuell ein (oppelg%nger von mir, mehr als tausend =ahre frher, als heute, vielleicht !ur

    Zeit Karls des Groen' 0ls einsamer +nch hause ich in einer leinen .ergapelle, trauere

    um das l%ngst untergegangene m%chtige und glan!volle &mische &eich, und habe Sehnsucht

    nach den /ierreis!eichen am Sternenhimmel' 9ch lettere im inneren des leinen

    Kirchturmes die morschen #ol!leitern hinauf !um Giebel, und schaue, wie $et!t auch gerade,

    hoch !u den Gestirnen' +eine "inger werden unruhig' Sie lech!en danach, etwas in die

    /astatur des 9-6ods eingeben !u nnen' 9n beiden, nebeneinander befindlichen 2niversen,

    erlebe ich nun folgendes Gedicht8

    Im Elfenbeinturme wartet vergebens

    Der Elfenbeinprinz auf den Wurf seines Lebens

    Zu spterer Stunde schloss er ihn auf

    Kam heiterer Dinge die Stufen herauf

    !inauf ins "nendlich# so einsam das $ll

    !arret hier nchtens dem nahenden Knall

    Lauscht einer ewigen Sinfonie

    %erloren lngst & seine 'elodie

    $ls Leuchtturm war (enes )eli*t einst gedacht

    +un hat ihn der $lltag zum ,empel gemacht-.

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    &obert speichert den eingegeben /eHt seiner frisch erdichteten 7erse als (atei ab, und hrt wieder

    in *0 (a; 9n /he 5ive * hinein' >och einmal ist er in Gedanen bei seinem (oppelg%nger, dem

    mittelalterlichen +nchen auf der .erguppe' (ieser beobachtet, hoch oben im Kirchturm weiter

    die Sterne' Sein .lic richtet sich auf das Sternbild Stier' Zeus, der weise Gttervater der 0lten

    Griechen, hatte einer Sage nach, sich in ein solches /ier verwandelt' (enn er war verliebt in die

    =ungfrau Europa, und verfhrte sie im Spiel, ber alle +eere hinweg, in sein &eich' 7or dem

    inneren 0uge &oberts und des Geistlichen, reitet nun nacend - mit schulterlangemastanienbraunem #aar, die unschuldige Europa auf dem &cen des Stieres die 6le$aden

    entlang' Sie nimmt Kurs auf den Groen Wagen' &obert ffnet die 0ugen' *0 (a; 9n /he 5ive von

    den .eatles ist !u Ende gegangen' Zweiundvier!ig Seunden lang dauert der berm%chtige

    Schlussaord, dass man ihn noch gan! lange - auch in den let!ten /iefen des unendlichen

    Weltenalls hren ann, bis er irgendwann endgltig verlungen ist'

    (ann endlich ehrt die lang ersehnte, n%chtliche Stille ein' *So soll es bleiben sagt &obert sich'

    2nd er fliegt durch die 5fte 3 hinauf !u den Sternen'

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