Ansichten von frauen
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D I E P H O T O G R A P H I N E V A K R O T H
Ansichten von FrauenZeitgenössische Photographie ist ein Gebrauchsgegenstand. Sie dokumentiert das
Alltägliche in jeder Tageszeitung, hält es fest und behauptet, daß es so gewesen sei. Oder
sie verändert das Alltägliche, indem sie es – in der Werbung – neu dekoriert, verschönert
und behauptet, daß es so sein müsse. Da Photographie die Realität durch einen Apparat
hindurch wiedergibt, ist man geneigt, ihr Glauben zu schenken.
Damit scheint das Objektiv ein untaugliches Mittel für subjektive Interpretation zu sein.
Natürlich ist das nicht wahr. Jedes Photo interpretiert zugleich, weil es selektiert, es spiegelt
eine unvollständige und deshalb subjektive Wirklichkeit wider. Daß sie so einheitlich
ist, so glaubwürdig sogar in einer Anzeige, liegt an dem mangelnden Interesse, das der
Photographie heute entgegengebracht wird: Für die „andere Wirklichkeit“ sind andere
zuständig, Künstler, Schreiber, Literaten.
Eva Kroth, achtundzwanzigjährige Photographin aus Hamburg , hat jetzt den Versuch
unternommen, ein ständig abgelichtetes Photo-Objekt neu zu sehen. Ihre Sammlung –
Eva Kroth: „Ansichten von Frauen“, Zweitausendeins Versand, Frankfurt am Main , 1977;
Abb., 17,– DM
ist Ausdruck einer konsequenten Verzweiflung über heutige Photographie und gerade
deshalb geeignet, sie zu rehabilitieren.
„Ansichten von Frauen“ ist bewußt im doppeldeutigen Sinn gemeint. Hier werden Frauen
angesehen, aber sie sehen auch an: die Welt, die Kamera, die Photographin, sich selbst.
In den drei Jahren, die Eva Kroth an dem Buch gearbeitet hat, photographierte sie über
300 Frauen, unterhielt sich mit ihnen, bat sie, ihre Situation zu schildern und filterte aus
den Gesprächen Sätze, die jetzt – man kann es nicht anders sagen – die Photos illustrieren.
Denn die Geschichte erzählen die optischen „Ansichten“.
Alle Frauen sind ausdrücklich zum Zweck des Photographiertwerdens vor die
Kamera gesetzt worden: Eva Kroth verfährt mit den Mitteln und der Ästhetik eines
Werbephotographen, sie läßt ihre Modelle sich darstellen, zieht sie teilweise sogar aus.
Aber ihre Optik ist von dem Voyeurismus üblicher Frauenphotographie weit entfernt, weil
sie nicht am Objekt, sondern am Subjekt Frau interessiert ist: „Wer bist du?“
Viele ihrer Partnerinnen vor dem Objektiv hat diese Frage erkennbar in Verlegenheit
gestürzt. Ertappt, verunsichert, wirken sie, als ob sie zum erstenmal so klar nach sich
selbst gefragt worden seien, rasch irgendeine Identität zusammengescharrt hätten und nun
erschrocken etwas präsentieren, was dieses „Ich“ sein könnte. Persönlichkeiten sind die
wenigsten, das zaghafte Angebot dominiert. Hat Eva Kroth ihre Frauen überfordert? Es
ist schon mitleiderregend, wie sehr sich manche der Photographierten bemüht haben, der
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Photographin zu gefallen. Sie blicken in die Kamera wie Schneewittchen in den Spiegel, sie
sind es nicht gewohnt, als Mensch angeschaut zu werden und weigern sich einfach, etwas
anderes als Objekt zu sein.
Die Bildtexte verstärken diesen Eindruck oft noch, indem sie in krassem Widerspruch zur
Aussage des Photos stehen. Da verkündet ein zweiundzwanzigjähriges „Photomodell“ (die
Frauen haben ihre Berufsbezeichnungen selber angegeben): „Irgendwann habe ich gemerkt,
wie ich sein muß, um auf bestimmte Leute zu wirken. Im Grunde bin ich Realist. Mein
Aussehen ist mein Kapital.“ Oder die dreiunddreißigjährige Sekretärin, mit nacktem
Oberkörper ergeben vor der Kamera posierend: „Eigentlich finde ich mich ganz gut so wie
ich bin.“
Die Photographin Eva Kroth verzärtelt ihre Objekte nicht. Sie weigert sich, sie schöner
zu zeigen als sie sind, verzichtet auf Weichzeichner und ähnliche photographische
Vernebelungseffekte, präsentiert – in harten Schwarzweißphotos – ein Frauenbild, von
dem sie im Vorwort des Buches sagt: „Das Resultat meiner Arbeit entspricht für mich der
Realität, aber ich weiß, daß es meine persönliche Realität ist.“
Manchen der porträtierten Frauen war es durchaus nicht angenehm, so gesehen zu werden.
Was von der Photographin als persönliche Betroffenheit in der Begegnung mit ihnen
empfunden wurde, das menschliche Unglück und die Unsicherheit, die in vielen Photos
zum Ausdruck kommt, haben sie als bewußte Diffamierung verstanden: Hier sei eine
Frauenhasserin am Werk gewesen, meinten einige.
Heinrich Böll hat bei der Büchner-Preisverleihung an Reiner Kunze gesagt: „Es gibt ein
uraltes, nicht nur deutsches Mißverständnis zwischen Autoren und Politikern; letztere
bilden sich einfach zu viel ein, wenn sie durch Romane, Gedichte, Erzählungen, Dramen
sich beleidigt fühlen, weil die Welt, die sie geschaffen haben, in Wirklichkeit schöner sei
als dort dargeboten.“
Eva Kroth verteidigt ihre Wirklichkeit in der Photographie gegen eine Übermacht anderer,
schönerer Wirklichkeiten. Sie versteht sich damit als Repräsentantin einer Reihe von
aufklärerischen, sozial engagierten Photographen, wie zum Beispiel der 1964 gestorbene
August Sander es war. Sander porträtierte Menschen seiner Zeit, was damals hieß: Männer.
Sabine Rosenbladt
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