Antiepileptikum verlängert das Leben

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24 IN|FO|NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 2012; Vol. 14, Nr. 2 Neuroonkologie Journal Screen Weller M, Gorlia T, Cairncross JG et al. Prolonged survival with valproic acid use in the EORTC/ NCIC temozolomide trial for glioblas- toma. Neurology 2011; 77: 1156–64 Glioblastompatienten unter Chemotherapie Antiepileptikum verlängert das Leben Fragestellung: Zahlreiche Antiepileptika haben Ein- fluss auf den Metabolismus von Zytostatika und damit auf deren Toxizität und Wirksamkeit. Beeinflusst also die Wahl des Antiepileptikums in einer homogen be- handelten Gruppe von Glioblastompatienten deren Überlebenszeit? Hintergrund: Etwa die Hälfte aller Patienten mit Glio- blastom erleidet im Verlaufe ihrer Erkrankung epilep- tische Anfälle. Bei der antiepileptischen Therapie muss beachtet werden, dass zahlreiche Antiepileptika Co- enzyme des Cytochrom-P450-Systems induzieren und damit einen Einfluss auf den Metabolismus, auf die Bioverfügbarkeit und damit möglicherweise auch auf die Wirksamkeit von Chemotherapeutika haben; dies gilt zum Beispiel für Phenytoin, Phenobarbital und Car- bamazepin. Dagegen gibt es Antiepileptika ohne solche Wechselwirkungen. Valproat dagegen ist ein Enzym- inhibitor, der hemmend auf den Metabolismus von Alkylantien wirkt und darüber deren Toxizität und mög- licherweise auch deren Wirksamkeit erhöhen kann. Wiederholt wurden auch eine intrinsische antitumoröse Wirksamkeit von Antiepileptika diskutiert. Patienten und Methodik: In die große multizen- trische, prospektive, randomisierte Phase-III-Studie der EORTC, die zur Zulassung einer zusätzlichen Temozo- lomidtherapie bei Glioblastom geführt hatte, waren 573 Patienten eingeschlossen worden. Diese Patienten wur- den nun in der vorliegenden Arbeit retrospektiv analy- siert. Von ihnen hatten 387 (68 %) eine antiepileptische Medikation erhalten: davon 110 (28 %) mit einem nicht enzyminduzierenden Antiepileptikum (davon 97 eine Valproat-Monotherapie) und 277 mit mindestens einem enzyminduzierenden Antiepileptikum (Phenytoin, Car- bamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital). Für drei Therapiegruppen (keine Antiepileptika, Valproat-Mono- therapie, enzyminduzierende Antiepileptika) wurden Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben in Abhängigkeit von der gewählten Therapieform (Strah- lentherapie alleine versus Strahlentherapie plus Temo- zolomid-Chemotherapie) analysiert. Der Effekt der antiepileptischen Medikation auf diese Zielparameter wurde in einer univariaten Analyse und mit einem Cox- Modell unter Berücksichtigung bekannter klinisch pro- gnostischer Parameter (wie z. B. Lebensalter) analysiert. . Ergebnisse: Die drei Therapiegruppen zeigten bezüg- lich der klinisch prognostischen Parameter keine Un- gleichgewichte. Bei der Analyse der chemotherapiein- duzierten Myelotoxizität wurden von den mit nicht enzyminduzierenden Antiepileptika behandelten nur die 97 mit Valproat Therapierten berücksichtigt. Diese wiesen während der adjuvanten Temozolomid-Therapie signifikant häufiger WHO-Grad-III/IV-Thrombozyto- penien, Neutropenien, und Leukopenien auf als die Patienten ohne Antiepileptika oder mit enzyminduzie- renden Antiepileptika. In Bezug auf das Therapieergeb- nis zeigte sich für Valproat-Patienten, die eine zusätzliche Temozolomidtherapie erhielten, eine mediane Gesamt- überlebenszeit von 17,35 Monaten, die statistisch signi- fikant länger war als die medianen Überlebenszeiten der gleichermaßen chemotherapeutisch behandelten Pa- tienten ohne antiepileptische Medikation oder mit enzyminduzierenden Antiepileptika (13,96 bzw. 14,42 Monate). Ein solcher Unterschied fand sich für die aus- schließlich Strahlentherapierten nicht. Schlussfolgerungen: Die Autoren schlussfolgern, dass die antiepileptische Medikation mit Valproat bei den Patienten dieses Studienkollektivs, welche mit einer Temozolomid-Chemotherapie behandelt worden waren, sowohl zu einer erhöhten Toxizität als auch zu einer erhöhten Wirksamkeit der Therapie geführt hat. Sie diskutieren zwei mögliche Mechanismen: Valproat hat Einfluss auf Temozolomid-Metabolismus und -Aus- scheidung und vermag möglicherweise auf diesem Weg die Bioverfügbarkeit von Temozolomid zu erhöhen. Außerdem besitzt Valproat eine intrinsische antitumo- röse Aktivität durch seine die Histon-Deacetylase hem- mende Eigenschaften, welche Zelldifferenzierung, Wachstumsarrest und Apoptoseinduktion befördern könnten. Die Autoren interpretieren ihre eigene Beobachtung mit Zurückhaltung und weisen darauf hin, dass es sich bei dieser Studie um eine retrospektive Analyse einer großen Patientenpopulation handelt, deren antiepilep- tische Medikation regional unterschiedlich und im Rah- men des Studienprotokolls nicht vorgeschrieben war. Kommentar: Die vorliegende Arbeit besitzt in mehrfacher Hinsicht Be- deutung: (1) Sie zeigt, dass bei der Chemotherapie von Gliomen Medikam- teninteraktionen zu berücksichtigen sind, insbesondere bei der Gabe von Antiepileptika. Die Kenntnis dieser Wechselwirkungen hat Bedeutung bei der Überwachung chemotherapieinduzierter Myelotoxizität und bei der In- terpretation des Therapieerfolges. (2) Mögliche „intrinsinsiche antitumoröse Eigenschaften“ von in der Neuroonkologie eingesetzten Antiepileptika sind es Wert, wissenschaftlich weiter untersucht zu werden. (3) Der Einsatz von Antiepileptika in der (Neuro-)Onkologie ist bei der Stratifizierung innerhalb von prospektiven, randomisierten Therapiestudien wichtig. Uwe Schlegel, Bochum

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24 IN|FO|Neurologie & Psychiatrie 2012; Vol. 14, Nr. 2

Journal Screen NeuroonkologieJournal Screen

Weller M, Gorlia T, Cairncross JG et al. Prolonged survival

with valproic acid use in the EORTC/

NCIC temozolomide trial for glioblas­

toma. Neurology 2011; 77: 1156–64

Glioblastompatienten unter Chemotherapie

Antiepileptikum verlängert das LebenFragestellung: Zahlreiche Antiepileptika haben Ein­fluss auf den Metabolismus von Zytostatika und damit auf deren Toxizität und Wirksamkeit. Beeinflusst also die Wahl des Antiepileptikums in einer homogen be­handelten Gruppe von Glioblastompatienten deren Überlebenszeit?

Hintergrund: Etwa die Hälfte aller Patienten mit Glio­blastom erleidet im Verlaufe ihrer Erkrankung epilep­tische Anfälle. Bei der antiepileptischen Therapie muss beachtet werden, dass zahlreiche Antiepileptika Co­enzyme des Cytochrom­P450­Systems induzieren und damit einen Einfluss auf den Metabolismus, auf die Bioverfügbarkeit und damit möglicherweise auch auf die Wirksamkeit von Chemotherapeutika haben; dies gilt zum Beispiel für Phenytoin, Phenobarbital und Car­bamazepin. Dagegen gibt es Antiepileptika ohne solche Wechselwirkungen. Valproat dagegen ist ein Enzym­inhibitor, der hemmend auf den Metabolismus von Alkylantien wirkt und darüber deren Toxizität und mög­licherweise auch deren Wirksamkeit erhöhen kann. Wiederholt wurden auch eine intrinsische antitumoröse Wirksamkeit von Antiepileptika diskutiert.

Patienten und Methodik: In die große multizen­trische, prospektive, randomisierte Phase­III­Studie der EORTC, die zur Zulassung einer zusätzlichen Temozo­lomidtherapie bei Glioblastom geführt hatte, waren 573 Patienten eingeschlossen worden. Diese Patienten wur­den nun in der vorliegenden Arbeit retrospektiv analy­siert. Von ihnen hatten 387 (68 %) eine antiepileptische Medikation erhalten: davon 110 (28 %) mit einem nicht enzyminduzierenden Antiepileptikum (davon 97 eine Valproat­Monotherapie) und 277 mit mindestens einem enzyminduzierenden Antiepileptikum (Phenytoin, Car­bamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital). Für drei Therapiegruppen (keine Antiepileptika, Valproat­Mono­

therapie, enzyminduzierende Antiepileptika) wurden Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben in Abhängigkeit von der gewählten Therapieform (Strah­lentherapie alleine versus Strahlentherapie plus Temo­zolomid­Chemotherapie) analysiert. Der Effekt der antiepileptischen Medikation auf diese Zielparameter wurde in einer univariaten Analyse und mit einem Cox­Modell unter Berücksichtigung bekannter klinisch pro­gnostischer Parameter (wie z. B. Lebensalter) analysiert. .Ergebnisse: Die drei Therapiegruppen zeigten bezüg­lich der klinisch prognostischen Parameter keine Un­gleichgewichte. Bei der Analyse der chemotherapiein­duzierten Myelotoxizität wurden von den mit nicht enzyminduzierenden Antiepileptika behandelten nur die 97 mit Valproat Therapierten berücksichtigt. Diese wiesen während der adjuvanten Temozolomid­Therapie signifikant häufiger WHO­Grad­III/IV­Thrombozyto­penien, Neutropenien, und Leukopenien auf als die Patienten ohne Antiepileptika oder mit enzyminduzie­renden Antiepileptika. In Bezug auf das Therapieergeb­nis zeigte sich für Valproat­Patienten, die eine zusätzliche Temozolomidtherapie erhielten, eine mediane Gesamt­überlebenszeit von 17,35 Monaten, die statistisch signi­fikant länger war als die medianen Überlebenszeiten der gleichermaßen chemotherapeutisch behandelten Pa­tienten ohne antiepileptische Medikation oder mit enzym induzierenden Antiepileptika (13,96 bzw. 14,42 Monate). Ein solcher Unterschied fand sich für die aus­schließlich Strahlentherapierten nicht.

Schlussfolgerungen: Die Autoren schlussfolgern, dass die antiepileptische Medikation mit Valproat bei den Patienten dieses Studienkollektivs, welche mit einer Temozolomid­Chemotherapie behandelt worden waren, sowohl zu einer erhöhten Toxizität als auch zu einer erhöhten Wirksamkeit der Therapie geführt hat. Sie diskutieren zwei mögliche Mechanismen: Valproat hat Einfluss auf Temozolomid­Metabolismus und ­Aus­scheidung und vermag möglicherweise auf diesem Weg die Bioverfügbarkeit von Temozolomid zu erhöhen. Außerdem besitzt Valproat eine intrinsische antitumo­röse Aktivität durch seine die Histon­Deacetylase hem­mende Eigenschaften, welche Zelldifferenzierung, Wachstumsarrest und Apoptoseinduktion befördern könnten.

Die Autoren interpretieren ihre eigene Beobach tung mit Zurückhaltung und weisen darauf hin, dass es sich bei dieser Studie um eine retrospektive Analyse einer großen Patientenpopulation handelt, deren antiepilep­tische Medikation regional unterschiedlich und im Rah­men des Studienprotokolls nicht vorgeschrieben war.

Kommentar: Die vorliegende Arbeit besitzt in mehrfacher Hinsicht Be­deutung: (1) Sie zeigt, dass bei der Chemotherapie von Gliomen Medikam­teninteraktionen zu berücksichtigen sind, insbesondere bei der Gabe von Antiepileptika. Die Kenntnis dieser Wechselwirkungen hat Bedeutung bei der Überwachung chemotherapieinduzierter Myelotoxizität und bei der In­terpretation des Therapieerfolges. (2) Mögliche „intrinsinsiche antitumoröse Eigenschaften“ von in der Neuroonkologie eingesetzten Antiepileptika sind es Wert, wissenschaftlich weiter untersucht zu werden. (3) Der Einsatz von Antiepileptika in der (Neuro­)Onkologie ist bei der Stratifizierung innerhalb von prospektiven, randomisierten Therapiestudien wichtig.

Uwe Schlegel, Bochum