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BRANCHE 14 Plastverarbeiter Oktober 2006 ANWENDER VOR ORT IM VISIER BAYER INVESTIERT GROSS IN SHANGHAI Gleich drei neue Produktionseinheiten – für Polycarbonat, MDI und HDI – weihte Bayer MaterialScience Anfang September am integrierten Standort Caojing bei Shanghai mit ei- nem Festakt vor rund 500 internationalen Gästen ein. Bis 2009 werden dort insgesamt 1,8 Milliarden US-Dollar investiert – das größte Projekt in der Unternehmensgeschichte außerhalb Deutschlands. Mit der zeitgleichen Einweihung seines erweiterten Forschungszentrums in Shanghai will Bayer in Zukunft noch stärker seine chine- sischen Kunden bei der Entwicklung neuer Applikationen unterstützten. I n keinem anderen Land der Erde leben mehr Menschen als in China. Kein an- deres Land der Erde verzeichnet einen rasanteren Anstieg des durchschnittlichen Lebensstandards. Während Analysten im Jahr 2000 noch 76 Millionen Konsumen- ten in China zählten, sollen es im Jahr 2015 701 Millionen sein. Zum Vergleich: In den USA steigt diese Zahl im gleichen Zeitraum von 236 auf 284 Millionen. „Der Endverbrauchermarkt in China explo- diert“, so Tony Van Osselaer, Vorstands- mitglied von Bayer MaterialScience (BMS), während eines Workshops mit Journalisten am Rande der Eröffnungsfei- erlichkeiten in Shanghai. Ob Autositze oder -innenverkleidungen, Gebäudefas- saden oder -isolierungen: Es ist vor allem die starke Dynamik in der Automobil- und Bauindustrie, die die Nachfrage nach Kunststoffprodukten schürt. So sollen die im Shanghai Chemical Industrial Park (SCIP) in Caojing errich- teten Anlagen in erster Linie für den hei- mischen Markt produzieren. SCIP ist der größte Chemiepark Chinas, „bald wird es der größte der Welt sein“, tönt es von chi- nesischer Seite während der Bustour über das Gelände, und Platz für weitere Investitionen ist in der Tat vorhanden. Auch für die neuen BMS-Anlagen sind bereits Erweiterungen geplant. Bis in zwei Jahren soll die Startkapazität der neuen Polycarbonatanlage von 100 000 Jahrestonnen verdoppelt werden. Ab- nehmer des Rohstoffs sind nicht nur CD- und DVD-Hersteller, Polycarbonat findet sich auch in Verscheibungen wieder. Das Tianjin Stadion erhält für die Olympi- schen Spiele 2008 in Peking ein Dach aus dem Bayer-Polycarbonat Makrolon. Die Region Asien/Pazifik ist mit 1,5 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr weltweit der größte Absatzmarkt für Po- lycarbonat. Der Weltmarkt insgesamt hat ein Volumen von 2,7 Millionen Tonnen. Greater China (die Volksrepublik und Taiwan zusammen) verarbeiten davon alleine 650 000 Tonnen und verzeichnet Wachstumsraten von jährlich rund 18 %. Einen weiteren Produktionsschwer- punkt am integrierten Standort Caojing bilden Polyurethan-Rohstoffe. Sie wer- den auf Basis von MDI (Diphenyl- methandiisocyanat) unter anderem als Hartschaum zur Wärmedämmung einge- setzt. Die jetzt eingeweihte Anlage ist ein so genannter Splitter, der Roh-MDI in monomeres und polymeres MDI trennt. Auch diese Anlage mit einer Kapazität von 80 000 Jahrestonnen ist nur der Auf- takt. 2008 soll eine Großanlage mit einer Kapazität von 350 000 Jahrestonnen in Betrieb gehen – die größte ihrer Art welt- weit. Ab 2009 soll außerdem TDI (Toluy- lendiisocyanat) – Vorprodukt für die Her- stellung von elastischen Weichschäumen – im SCIP produziert werden. Die Start- kapazität der Anlage wird bei 160 000 Jahrestonnen liegen. Lackrohstoffe waren 2003 der erste Baustein der Bayer-Produktion am Standort. Die Jahreskapazität lag bislang bei 22 500 Tonnen. Nun kommen 30 000 des Rohstoffs HDI (Hexamethylendi- isocyanat) hinzu – mit der Option einer Erweiterung auf weitere 20 000 Tonnen. Optimierte Betriebskosten Investiert wird in China in World-Scale- Anlagen. „World Scale bedeutet opti- mierte Produktionskosten“, erläuterte Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, während einer Pressekon- ferenz vor der offiziellen Eröffnungsfeier. Voraussetzung dafür sei der Einsatz mo- dernster Technologien und Methoden, die einen möglichst geringen Energiever- brauch aufweisen. Denn Energie ist in China teurer als in Europa. Dr. Jürgen Dahmer, Landesgruppensprecher Greater China und Senior Country Represen- tative von Bayer MaterialScience in China, Bayer-Vorstandsvorsitzender Werner Wen- ning und Dr. Hagen Noerenberg, Vorstands- vorsitzender von Bayer MaterialScience (von links) bei den Feierlichkeiten zur Erweiterung des Polymer Research and Development Cen- ter (PRDC) in Shanghai. VOR ORT

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BRANCHE

14 Plastverarbeiter ‚ Oktober 2006

ANWENDER VOR ORT IM VISIER BAYER INVESTIERT GROSS IN SHANGHAI Gleich drei neue Produktionseinheiten – für Polycarbonat, MDI und HDI – weihte Bayer MaterialScience Anfang September am integrierten Standort Caojing bei Shanghai mit ei-nem Festakt vor rund 500 internationalen Gästen ein. Bis 2009 werden dort insgesamt 1,8 Milliarden US-Dollar investiert – das größte Projekt in der Unternehmensgeschichte außerhalb Deutschlands. Mit der zeitgleichen Einweihung seines erweiterten Forschungszentrums in Shanghai will Bayer in Zukunft noch stärker seine chine-sischen Kunden bei der Entwicklung neuer Applikationen unterstützten.

I n keinem anderen Land der Erde leben mehr Menschen als in China. Kein an-deres Land der Erde verzeichnet einen

rasanteren Anstieg des durchschnittlichen Lebensstandards. Während Analysten im Jahr 2000 noch 76 Millionen Konsumen-ten in China zählten, sollen es im Jahr 2015 701 Millionen sein. Zum Vergleich: In den USA steigt diese Zahl im gleichen Zeitraum von 236 auf 284 Millionen. „Der Endverbrauchermarkt in China explo-diert“, so Tony Van Osselaer, Vorstands-mitglied von Bayer MaterialScience (BMS), während eines Workshops mit Journalisten am Rande der Eröffnungsfei-erlichkeiten in Shanghai. Ob Autositze oder -innenverkleidungen, Gebäudefas-saden oder -isolierungen: Es ist vor allem die starke Dynamik in der Automobil- und Bauindustrie, die die Nachfrage nach Kunststoffprodukten schürt.

So sollen die im Shanghai Chemical Industrial Park (SCIP) in Caojing errich-teten Anlagen in erster Linie für den hei-mischen Markt produzieren. SCIP ist der größte Chemiepark Chinas, „bald wird es

der größte der Welt sein“, tönt es von chi-nesischer Seite während der Bustour über das Gelände, und Platz für weitere Investitionen ist in der Tat vorhanden. Auch für die neuen BMS-Anlagen sind bereits Erweiterungen geplant. Bis in zwei Jahren soll die Startkapazität der neuen Polycarbonatanlage von 100 000 Jahrestonnen verdoppelt werden. Ab-nehmer des Rohstoffs sind nicht nur CD- und DVD-Hersteller, Polycarbonat findet sich auch in Verscheibungen wieder. Das Tianjin Stadion erhält für die Olympi-schen Spiele 2008 in Peking ein Dach aus dem Bayer-Polycarbonat Makrolon.

Die Region Asien/Pazifik ist mit 1,5 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr weltweit der größte Absatzmarkt für Po-lycarbonat. Der Weltmarkt insgesamt hat ein Volumen von 2,7 Millionen Tonnen. Greater China (die Volksrepublik und Taiwan zusammen) verarbeiten davon alleine 650 000 Tonnen und verzeichnet Wachstumsraten von jährlich rund 18 %.

Einen weiteren Produktionsschwer-punkt am integrierten Standort Caojing

bilden Polyurethan-Rohstoffe. Sie wer-den auf Basis von MDI (Diphenyl-methandiisocyanat) unter anderem als Hartschaum zur Wärmedämmung einge-setzt. Die jetzt eingeweihte Anlage ist ein so genannter Splitter, der Roh-MDI in monomeres und polymeres MDI trennt. Auch diese Anlage mit einer Kapazität von 80 000 Jahrestonnen ist nur der Auf-takt. 2008 soll eine Großanlage mit einer Kapazität von 350 000 Jahrestonnen in Betrieb gehen – die größte ihrer Art welt-weit. Ab 2009 soll außerdem TDI (Toluy-lendiisocyanat) – Vorprodukt für die Her-stellung von elastischen Weichschäumen – im SCIP produziert werden. Die Start-kapazität der Anlage wird bei 160 000 Jahrestonnen liegen.

Lackrohstoffe waren 2003 der erste Baustein der Bayer-Produktion am Standort. Die Jahreskapazität lag bislang bei 22 500 Tonnen. Nun kommen 30 000 des Rohstoffs HDI (Hexamethylendi- isocyanat) hinzu – mit der Option einer Erweiterung auf weitere 20 000 Tonnen.

Optimierte Betriebskosten Investiert wird in China in World-Scale-Anlagen. „World Scale bedeutet opti-mierte Produktionskosten“, erläuterte Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG, während einer Pressekon-ferenz vor der offiziellen Eröffnungsfeier. Voraussetzung dafür sei der Einsatz mo-dernster Technologien und Methoden, die einen möglichst geringen Energiever-brauch aufweisen. Denn Energie ist in China teurer als in Europa.

Dr. Jürgen Dahmer, Landesgruppensprecher Greater China und Senior Country Represen-tative von Bayer MaterialScience in China, Bayer-Vorstandsvorsitzender Werner Wen-ning und Dr. Hagen Noerenberg, Vorstands-vorsitzender von Bayer MaterialScience (von links) bei den Feierlichkeiten zur Erweiterung des Polymer Research and Development Cen-ter (PRDC) in Shanghai.

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Als Beispiel für solche innovativen Technologien nannte Achim Noack, Ge-schäftsführer von Bayer Technology Ser-vices (BTS), das Chlor-Elektrolyse-Ver-fahren, das gegenüber herkömmlichen Methoden 30 Prozent weniger Energie verbraucht, sowie die adiabatische Hy-drierung und hoch effiziente Phosgenie-rung, die in der im Bau befindlichen MDI-Anlage Einsatz finden werden. BTS ist als Servicegesellschaft für die Planung, die Beschaffung und den Bau sämtlicher Bayer-Investitionsprojekte verantwort-lich und so auch in China aktiv.

Forschungszentrum wächst: Insert- und Schaumverfahren ab 2007 Wenige Autominuten vom Chemiepark SCIP entfernt wurde einen Tag nach der Einweihung der drei neuen Produktions-einheiten, die Erweiterung des Polymer Research and Development Center (PRDC) im Shanghaier Stadtteil Pudong gefeiert. 2001 wurde das PRDC gegrün-det. Mit der Erweiterung vereint es nun als erstes Forschungszentrum von BMS in der Region Asien/Pazifik technische Entwicklungs- und Forschungseinrich-tungen für die vier in dieser Region täti-gen Geschäftsfelder: Polyurethanes, Po-lycarbonates, Coatings/Adhesives/Sea-lants sowie Thermoplastic Polyuretha-nes. Ziel ist es, gemeinsam mit den ein-heimischen Kunden neue Anwendun-gen zu entwickeln, bestehende Prozesse

zu verbessern sowie technischen Service und Schulungen anzubieten.

Zwei neue Gebäude und ein Lageran-bau kamen mit der jüngsten Investition hinzu. Die Labor- und Technikum-Fläche hat sich damit verdoppelt. „Das PRDC be-herbergt nun einige der bestausgestatte-ten Labors von Bayer MaterialScience weltweit“, sagte Hagen Noerenberg, Vor-standsvorsitzender von BMS, während seiner Rede zur Einweihung des erwei-terten Forschungszentrums. So ist dieses mit einem System Streamline II für die Herstellung wiederbeschreibbarer DVDs im Reinraum ausgestattet. In einer Kli-makammer lassen sich die realen Pro-duktionsbedingungen der chinesischen Kunststoffverarbeiter simulieren, ob sie aus der Wüste Gobi oder den Tropenwäl-dern Südasiens kommen. Auch im For-schungszentrum ist Platz für Erweiterun-gen. In die derzeit noch leeren Räume sollen im kommenden Jahr unter ande-rem Spritzgießmaschinen für die Insert-technologie und Schaumverfahren ein-ziehen; der Textilbereich bekommt eine kontinuierliche Beschichtungsanlage.

Drei Forschungszentren für Polymere unterhält BMS weltweit. Das größte ist in Leverkusen, ein weiteres in Pittsburgh in den USA angesiedelt. Zwischen den Zen-tren herrscht ein reger Informations- und Wissensaustausch. 100 Mitarbeiter zählt das Forschungszentrum in Shanghai ak-tuell. Kurzfristig soll diese Zahl ansteigen.

Sowohl im Bereich Forschung und Entwicklung als auch für die Rohstoff-produktion werden vor allem Mitarbeiter aus der Region angeworben. In den letz-ten zwei Jahren lag der Anteil der auslän-dischen Mitarbeiter von Bayer in China bei rund acht Prozent. „Unser langfristi-ges Ziel sind ein bis zwei Prozent“, so To-ny Van Osselaer. Die Aus- und Weiterbil-dung lokaler Facharbeiter nimmt Bayer mit in die Hand. Sie beinhaltet auch ei-nen Aufenthalt in Leverkusen oder an ei-nem anderen europäischen Standort des Konzerns. In Europa bleiben möchten die Chinesen nach solch einem Aufent-halt in der Regel nicht, berichtet Achim Noack: „Alle möchten zurück nach Chi-na, um ihr Land aufzubauen.“ Susanne Zinckgraf

Neben der Automobilproduktion benötigt in China die Bauindustrie mit die meisten Kunststoffprodukte. In keiner anderen chi-nesischen Stadt verändert sich das Stadt-bild so rasant wie in Shanghai. Über 20 000 Baustellen wurden im Jahr 2002 gezählt. Diese Zahl dürfte noch eine Weile konstant bleiben. Die traditionellen Wohnviertel ver-schwinden der Reihe nach aus dem Zen-trum. Allein im Jahr 2003 sind über 36 Mil-lionen Quadratmeter Baufläche neu ent-standen. Abgesehen von den futuristischen Wolken-kratzern im Handels- und Finanzviertel Pu-dong am Ufer des Huangpu-Flusses bestim-men Klimaanlagen neben fast jedem Fens-ter das Bild der Gebäudefassaden. Nach In-formationen der Initiative Ecobuild Shang-hai 2006 des Delegiertenbüros der Deut-schen Wirtschaft in Shanghai werden viel-fach noch einfach verglaste Fenster einge-

baut und die Außenwände nicht gedämmt. Im Winter dienen die Klimageräte zum Hei-zen. Steigende Stromkosten und häufige Stromausfälle – vor allem im Sommer – be-wirken ein Umdenken in der Bauindustrie. „Die Nachfrage nach energieeffizienten Lö-sungen im Bau steigt an“, so Ecobuild, und damit die Nachfrage nach Isolier- und Dämmmaterialien. Im geografischen Stadtgebiet Shanghais le-ben aktuell (Stand 1. Januar 2006) über neun Millionen Menschen. Das gesamte Verwaltungsgebiet Shanghai zählt über 18 Millionen Einwohner. Knapp 14 Millionen davon sind registrierte Bewohner mit stän-digem Wohnsitz. Zur Zeit leben über 50 000 Ausländer in der Metropole, über 7 000 kommen aus Deutschland.

Baustellen, wie hier hinter dem Jin Mao Buil-ding, prägen das Bild der Megametropole.

BAUBOOM TREIBT NACHFRAGE NACH KUNSTSTOFFPRODUKTEN IN DIE HÖHE Energieeffiziente Lösungen gefragt

16 Plastverarbeiter ‚ Oktober 2006

BRANCHE

17 % seines weltweiten Umsatzes erwirt-schaftet Bayer in der Region Asien/Pazifik. Im Jahr 2005 stieg der Umsatz dort um 15,5 % auf 4,6 Mrd. Euro. Größter Standort ist Japan. Greater China (VR China und Taiwan) erwirt-schaftet mit rund 49 000 Mitarbeitern 28 % des Asien-Umsatzes, Tendenz rasant stei-gend – bezogen sowohl auf den Umsatz als auch die Zahl der Mitarbeiter. In China ist Bayer mit 19 Unternehmen vertreten, darun-

ter Bayer MaterialScience, Bayer Crops-cience, Bayer Healthcare und Bayer Technolo-gy Services. Im Ranking der Kunststoffpro-duzenten liegt Bayer MaterialScience in Chi-na derzeit auf Platz 2 sowohl für Polyurethan als auch Polycarbonat (weltweit ist BMS die Nr. 1 im PUR-Markt und die Nr. 2 bei Polycar-bonat). Seit 1882 ist Bayer in China aktiv. Da-mals begann das Unternehmen in Asien mit dem Vertrieb von Farbstoffen.

BAYER IN ASIEN Mit 19 Unternehmen vor Ort